*Fotostory* Klaudia - Farben der Sehnsucht


  • Hallo liebe Fotostoryfans,
    ich möchte euch ab heute meine aktuelle Sims3-Fotostory „Klaudia – Farben der Sehnsucht“ vorstellen. Der Titel klingt wie eine Telenovela, und ja, man könnte es als solche betrachten, wobei ich den Begriff Fotonovela bevorzuge :D
    Im Vordergrund steht Klaudia, ein junges, schüchternes Mädchen, das versucht, sich durch die Wirrungen des Lebens und der Liebe zu meistern. Und am Ende steht die große Frage: Wir sie ihr Glück finde?
    Diese Fotostory schließt mehr oder weniger nahtlos an meine bisherigen Geschichten an.
    In meiner ersten Fotostory „Die Brodlowski Saga“, umgesetzt mit Sims1, war Klaudias Großvater Arkadiusz auf der Suche nach Glück.
    www.brodlowski-saga.de.vu
    In meiner zweiten Fotostory „Oxana – Wege des Gewissens“, umgesetzt mit Sims2 und gerade hier im Forum abgeschlossen, stand dann Klaudias Mutter Oxana im Fokus.
    www.oxana-brodlowska.de.vu
    Es ist aber keineswegs notwendig, dass ihr die vorherigen Storys kennt. Alle notwendigen Bezüge auf die Vergangenheit werden in der aktuellen Story noch einmal ausführlich gegeben.
    Und jetzt genug der einleitenden Worte :)
    Viel Spaß beim Lesen von „Klaudia – Farben der Sehnsucht“!



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    Inhalt
    Prolog
    Kapitel 1: Aller Anfang ist schwer
    Kapitel 2: Das Geständnis
    Kapitel 3: Ein anderer Blickwinkel
    Kapitel 4: Unerwarteter Besuch
    Kapitel 5: Die nächste Frieda Kahlo
    Kapitel 6: Nachtleben
    Kapitel 7: Katz-und-Maus-Spiel
    Kapitel 8: Wolf und Lämmchen
    Kapitel 9: Auf gute Nachbarschaft
    Kapitel 10: Aufsteigender Rauch
    Kapitel 11: Falten im Gesicht
    Kapitel 12: Gelbe Rosen
    Kapitel 13: Familienfehde
    Kapitel 14: Blickdicht
    Kapitel 15: Kribbeln im Bauch
    Kapitel 16: Aufgedeckte Lügen
    Kapitel 17: Jamie
    Kapitel 18: Beschlossene Sache
    Kapitel 19: So, so, so schön
    Kapitel 20: Armors Pfeil
    Kapitel 21: Donnerwetter
    Kapitel 22: Rache
    Kapitel 23: Nur ein Mann
    Kapitel 24: Entscheidungen
    Kapitel 25: Ein Häufchen Elend
    Kapitel 26: Hässliche, dicke Kuh
    Kapitel 27: Unerwarteter Besuch
    Kapitel 28: Geburtstag mit Überraschung
    Kapitel 29: Zeit heilt alle Wunden
    Kapitel 30: An die Pfunde, fertig, los!
    Kapitel 31: Verwandlung
    Kapitel 32: Frühlingsgefühle
    Kapitel 33: Starthilfe
    Kapitel 34: Liebe im Spiel
    Kapitel 35: Die fremde im Spiegel
    Kapitel 36: Schlaf gut
    Kapitel 38: Ein unmoralisches Angebot
    Kapitel 39: Date mit einem Unbekannten
    Kapitel 40: Chance aufs Glück
    Kapitel 41: Gemeinsame Zukunft
    Kapitel 42: Mechanisch
    Kapitel 43: Zweifel
    Kapitel 44: Tausend Schmetterlinge
    Kapitel 45: Schwanger
    Kapitel 46: Ahnungsvolles Gefühl
    Kapitel 47: Frohe Botschaft
    Kapitel 48: Twinbrook
    Kapitel 49: Unglaubliche Wut
    Kapitel 50: Zweite Chance
    Kapitel 51: Hochzeitsvorbereitungen
    Kapitel 52: Der große Tag
    Kapitel 53: Moon River
    Kapitel 54: Die Erfüllung aller Wünsche
    Kapitel 55: When the moon hit's your eye...
    Kapitel 56: Trautes Heim...
    Kapitel 57: ...Glück allein?
    Kapitel 58: Kopfkino
    Kapitel 59: Unterstützung
    Kapitel 60: Das Baby kommt
    Kapitel 61: Rosige Zukunft
    Kapitel 62: Mutterfreuden
    Kapitel 63: Lady Klaudia
    Kapitel 64: Kindersegen
    Kapitel 65: Wie die Zeit verfliegt
    Kapitel 66: Ultimatum
    Kapitel 67: Wut
    Kapitel 68: Eine weise Frau
    Kapitel 69: Elisabetta
    Kapitel 70: Kinderwunsch
    Kapitel 71: Mein Sonnenschein
    Kapitel 72: Ein kleiner Gefallen
    Kapitel 73: Die Freundin meiner Tante
    Kapitel 74: Unerwarteter Inhalt


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    Downloads Falls ihr Interesse an den Sims aus dieser Story haben solltet, so habe ich sie in der offiziellen Exchange hochgeladen. Ich habe die Sims in einem "sauberen" Sims3-Ordner gepackt (also ohne Downloads oder Mods), so dass es hoffentlich keine Probleme geben sollte. Durch das Fehlen der default Skintones und Augen sehen sie aber etwas anders aus als auf den Bilder hier in der Story. Die Sims selbst sind z.T. mit Slider-Hacks erstellt worden. Solange ihr die Gesichter/Körper nicht im CAS nachbearbeitet, sollte das keine Rolle spielen. Wenn ihr es doch tut, dann kann es sein, dass sie deutlich ihr Aussehen verändern. Klaudia, Papa Dominik, Mama Oxana, Bruder Sky, Cousine Magda, Tante Joanna, Schwester Kinga, Schwager Olek Ehemann Francesco, Schwägerin Alexis, Onkel Orion, Tante Desdemona

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  • Prolog



    Ha...Ha…Hallo. Ich bin Klaudia, Klaudia mit K, und schon diese kleine Besonderheit bereitet mir im Alltag so manche Probleme. Ich bin nämlich unheimlich schüchtern und es kostet mich jedes Mal viel Überwindung die Leute darauf hinzuweisen, dass mein Name mit K und nicht wie üblich mit C geschrieben wird. Ich frage mich bloß, was meine Eltern sich dabei gedacht haben.


    Ich wurde im Sternzeichen des Fisches geboren. Wenn ich mich selbst beschreiben sollte, und wie gesagt, Fremden gegenüber tue ich das nur höchst ungern, dann wären da an erster Stelle meine Schüchternheit zu nennen. Ich bin aber auch ein genügsamer und sehr ordentlicher Mensch. Zudem ist mir mein Familie sehr wichtig. Nur in ihrem Kreis fühle ich mich so richtig aufgehoben und geborgen. Meine große Leidenschaft gilt der Kunst. Bereits als kleines Mädchen habe ich sehr gerne meine Zeit vor der Staffelei verbracht. Ich höre sehr gerne klassische Musik, liebte Pfannkuchen und Türkis ist meine absolute Lieblingsfarbe.


    Geboren wurde ich in Sierra Simlone Stadt, einer Kleinstad im Süden der SimNation. Wobei, so ganz stimmt das nicht, denn seit fast 8 Jahren gehört die Sierra Simlone nicht mehr zur SimNation, aber dazu erzähle ich später mehr.


    Meine Eltern sind Oxana und Dominik Blech. Demnach ist auch mein Nachname Blech. Mein Vater arbeitete früher für ein privates Sicherheitsunternehmen und meine Mutter führte unseren landwirtschaftlichen Betrieb mit Getreideanbau, Rinderzucht und Zitrusplantagen in der Sierra Simlone.


    Ich habe noch zwei Geschwister. Kinga ist 6 Jahre älter als ich. Leider hatte sie in der Vergangenheit viele Probleme. Meine Eltern kamen irgendwann nicht mehr mit ihr klar und gaben sie in die Obhut meiner Tante Joanna, der Zwillingsschwester meiner Mutter. Seitdem habe ich nichts mehr von ihr gehört. Ich vermute, dass sie in eine Art Besserungsanstalt geschickt wurde. Immer wenn ich meine Eltern nach Kingas Verbleib frage, reagierten sie immer sehr ausweichend. Ich weiß nur, dass es meiner Schwester inzwischen wieder besser geht, sie aber keinen Kontakt mehr zu uns allen wünschte.


    Und dann ist da noch mein kleiner Bruder Sky. Er ist 9 Jahre jünger als ich. Ich sollte vielleicht anmerken, dass sowohl Kinga, als auch Sky nur meine Halbgeschwister sind. Kinga und ich haben unterschiedliche Väter, während Sky eine andere Mutter hat. Dennoch würde ich uns alle fünf als eine Familie bezeichnen. Kingas leiblicher Vater ist schon vor langer Zeit verstorben und Skys Mutter hat ihn sehr früh im Stich gelassen. Meine beiden leiblichen Eltern waren somit auch für meine beiden Halbgeschwister die einzigen Eltern, die sie wirklich kennengelernt haben.


    Als ich 15 Jahre alt war, wurde die SimNation von dem südamerikanischen Land Simnistrien überfallen. In diesem Krieg wurden große Teile der SimNation verwüstet. Aber am schlimmsten traf es die Sierra Simlone. Denn im Rahmen der Friedenverhandlungen wurde dieses Gebiet an Simnistrien übergeben. Meiner Familie blieb nichts anderes übrig, als unser Heimat zu verlassen.


    Wir kamen kurzzeitig bei meiner Tante Joanna in SimCity unter, doch schon bald wollten meine Eltern wieder auf eigenen Beinen stehen und zogen in die nördlichste Provinz der SimNation, nach Simskelad. Simskelad blieb vom Krieg nahezu unberührt und in der Kleinstadt Rodaklippa fanden wir ein neues Zuhause.



    Bis zu meinem 19. Geburtstag blieb ich in Rodaklippa und machte mehr schlecht als Recht mein Abitur. Trotzdem wollte ich studieren und so zog es mich an die Le Tour Akademie in Nantesim. Dort studiere ich dann vier Jahre lang Mathematik. Und ich arbeitete wirklich hart, um mein Ziel zu erreichen. Und jetzt…jetzt war ich wieder unterwegs nach Rodaklippa, um mich dem wahren Leben zu stellen.




    Klaudia Blech


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    Keine Sorge, das werden die letzten Sims2 Bilder in dieser Geschichte bleiben ;) Von nun an wird alles mit Sims3 erstellt sein. Versprochen!

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  • Kapitel 1: Aller Anfang ist schwer



    Das Taxi bog in eine ruhige Straße direkt hinter dem Sportstadion ein und hielt wenige Meter weiter vor einem grau verputzten Haus, das schon mal bessere Tage gesehen hatte. "So, Miss", sprach mich der Fahrer an, "wir sind am Ziel. Celia Gade 3. Das mach dann 25 §". Ich gab dem Fahrer sein Geld und für die 5 § Trinkgeld half er mir auch noch, meine beiden Koffer aus dem Wagen zu holen. Und dann stand ich vor meinem neuen Haus. Ich, Klaudia Blech, 23 Jahre jung und endlich bereit, auf eigenen Beinen zu stehen.


    Diese Worte sollten mir eigentlich selbst Mut zusprechen, denn in Wahrheit hatte ich eine Heidenangst. Mein ganzes zukünftiges Leben war so unsicher. All die schönen Pläne, die meine Eltern für mich geschmiedet hatten, waren dahin und ich wusste nicht, ob ich alleine zurechtkommen würde. Aber ich musste es probieren. Also atmete ich tief durch und ging auf mein neues Häuschen zu. Die Tür knartschte gefährlich in den Angeln, doch sie öffnete sich und gab den Blick in einen dunkles, muffig riechendes Haus frei.



    Nun, hübsch war wahrlich etwas anderes. Aber das Geld hat gerade einmal so für den Kauf dieses Haus gereicht. Mit nicht ganz 20000 § war es allerdings auch spotbillig. Und hey, es hatte doch alles Notwendige. Einen Fußboden, Wände, die halbwegs stabil aussahen und ein Dach über dem Kopf hatte ich auch. Aber mit dieser scheußlichen Cowboytapete würde ich vorerst wohl Vorlieb nehmen müssen. Nur was dringend fehlte waren die Möbel. Ein paar Simoleons hatte ich noch auf meinem Sparbuch. Für ein Bett und den ein oder anderen Beistelltisch würde das hoffentlich noch so ausreichen.


    Und dann entdeckte ich bei meinem Rundgang durch und um das Haus eine tolle Überraschung. Halb überwuchert von einem Knetwegerich fand ich doch tatsächlich ein Fahrrad. Gut, seine besten Tage hatte das gute Stück schon längst hinter sich, aber ich hatte schon früh gelernt, dass man Dinge nie nach ihrem Äußeren bewerten sollte.


    Der Lack war kaum noch zu erkennen und alle Metalteile waren von einer dicken Rostschicht überzogen. Aber alles was zum Fahren benötigt wurde, war vorhanden. Zwei Räder, eine rostige Kette und ein, zugegebenermaßen sehr dreckiger, Sattel. Die Reifen waren natürlich platt. Doch als ich versuchte das Fahrrad aus dem Gebüsch zu zerren, entdeckte ich auch eine alte Luftpumpe unter dem Knetwegerich. Und die Schläuche schienen noch dicht zu sein. Also schwang ich mich aufs Rad und begab mich zu meinem ersten Besuch in die Innenstadt von Rodaklippa.


    Ich fand mich auf Anhieb zurecht, aber das war auch nicht verwunderlich, wenn man bedachte, dass Rodaklippa keine unbekannte Stadt für mich war. Ich war hier bereits gut vier Jahre zuhause gewesen, bevor ich an die Le Tour Akademie in Nantesim ging, um Mathematik zu studieren. Und meine Eltern und mein jüngerer Bruder Sky lebten immer noch in diesem beschaulichen Örtchen im Nordosten der SimNation. Ich wusste daher auch sehr gut, dass es hier keinen großen Möbelladen gab. Aber der ein oder andere Trödler bot schöne und auch günstige Sachen an. Vielleicht würde ich hier ja fündig werden.


    Ich wusste, dass es einen Antiquitätenladen direkt neben dem China-Imbiss gab. Der verführerische Duft von Frühlingsrollen stieg mir in die Nase, als ich mein Fahrrad abstellte und an Mr. Lums Geschäft vorbei ging, doch ich wiederstand dem Drang und betrat stattdessen das Antiquariat. Die Auswahl war wie erwartet klein, auch wenn mir der grün, gelb gestreifte Sessel gut gefiel. Nur ein Bett würde ich hier wohl kaum finden.


    Ich schaute mich in jeder Ecke deswinzigen Ladens genau um, auf der Hoffnung, doch noch ein Bett zu finden. Aber es war hoffnungslos. Das bedeutete für mich aber, dass ich meinen ganzen Mut zusammennehmen musste um...um den Verkäufer anzusprechen. Ich hasste mich selbst dafür, aber ich war einfach unglaublich schüchtern. Einen fremden Menschen ansprechen zu müssen, war für mich jedes Mal eine Qual. Doch ich riss mich zusammen und ging zaghaft auf den Mann hinter dem Tresen zu. "Entschuldigung", flüsterte ich so leise und mit gesenktem Kopf, dass der Mann mich kaum verstehen konnte. "Entschuldigen Sie bitte", fügte ich etwas lauter hinzu, als der Mann sich immer noch nicht regte. Erst jetzt blickte er von seiner Zeitung auf. Es schien so, als ob er gerade erst in diesem Moment realisiert hätte, dass Kundschaft im Laden war. Sofort trat er hinter dem Tresen hervor.


    "Kann ich Ihnen behilflich sein, Miss?", sprach er mich freundlich an. Doch weil er dabei noch einen Schritt näher auf mich zukam, fühlte ich mich plötzlich eingeengt und wich nach hinten aus. "Ich suche ein Bett", nuschelte ich mit gesenktem Kopf in meine Haare hinein. Offenbar so leise, dass mein Gegenüber mich nicht verstand, denn er kam noch näher auf mich zu. "Ein Bett!", wiederholte ich jetzt lauter, denn ich wollte die Situation schnell hinter mich bringen. "Ein Bett?", echote er überrascht.


    "Lassen Sie mich einen Moment überlegen“, grübelte der Verkäufer weiter. "Hier hab ich natürlich keines. Hmm. Aber warten Sie, vielleicht lässt sich da ja doch was machen. Die alte Witwe Klapkins, Gott hab sie selig, ist vor ein paar Tagen verstorben und ihr Haus soll verkauft werden. Ich könnte da mal vorbeifahren und schauen, ob ich bei der Haushaltsauflösung nicht ein Bett für Sie bekommen kann, Miss." Mir war es ganz egal, wo er das Bett auftreiben wollte, Hauptsache ich hätte heute Abend eins. Und noch besser war es, dass der Ladenbesitzer sich bereit erklärte, dass Bett direkt zu meinem neuen Haus zu liefern.


    Oh, war ich erleichtert, als ich den Laden wieder verlassen konnte. Bis mir einfiel, dass ich ja noch ein paar andere Möbelstücke aus dem Antiquariat gut gebrauchen könnte. Als diese Einkäufe erledigt waren, schwang ich mich auf mein rostiges Fahrrad und radelte hinunter zur Strandpromenade. Es war ein unbeschreiblich schönes Gefühl, die warme Frühjahrssonne auf der Haut zu spüren, dem Meeresrauschen zu lauschen und den Blick über die Bucht von Rodaklippa schweifen zu lassen. Alleine wegen dieses Anblicks war es es wert gewesen, wieder hierher zu ziehen.


    Ich blieb bis zum Sonnenuntergang am Strand. Als ich dann wieder bei meinem frisch erworbenen Haus ankam, wartete bereits eine angenehme Überraschung auf mich. Der Ladenbesitzer hatte Wort gehalten und im Vorgarten stand ein ganzer Haufen Möbel, und zwar die, die ich mir im Antiquitätenladen ausgesucht hatte. Und ein Bett war auch dabei. Der scheußliche Goldrahmen brachte mich selbst im fahlen Licht der Wandlaterne beinah zum Erblinden, aber ein hässliches Bett war immer noch besser als gar kein Bett. Nur wie sollte ich die Möbel ins Haus bekommen?


    Mit den leichten Möbeln wurde ich schon fertig. Der Tisch und die Staffelei waren kein Problem. Der Sessel war schon eine Herausforderung, aber mit ein wenig schieben, zerren und drücken, stand auch er an seinem Platz im Wohnzimmer. Nur für das Bett musste ich mir immer noch was einfallen lassen. Ich schaute in der Zeitung nach einem Umzugsunternehmen, aber die ungeheuerlichen Preise ließen mich diesen Gedanken schnell wieder verwerfen.


    Außerdem hätte das bedeutet, dass ich nach dem Verkäufer im Antiquitätenladen mit noch einer weiteren mir unbekannten Person hätte reden müssen. Vermutlich hätte ich sogar telefonieren müssen und das war noch viel schlimmer, als einer lebenden Person gegenüberzustehen. Ich musste mir einfach was anderes einfallen lassen. Und während ich noch so vor mich hin grübelte, fielen meine Augen auch schon zu und ich schlief im Sessel ein.

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  • Kapitel 2: Das Geständnis




    Nachdem ich am nächsten Morgen mit einem steifen Nacken und total verspanntem Rücken aufgewacht war, beschloss ich, nicht noch eine Nacht auf mein Bett verzichten zu wollen. Zur Not musste ich im Garten schlafen. Ein Blick auf den wolkenverhangenen Himmel sagte mir aber deutlich, dass das womöglich keine so gute Idee war. Ich brauchte Hilfe und ich wusste auch, wo ich sie bekommen würde. Also stieg ich auf mein Fahrrad und fuhr zum Industriepark von Rodaklippa. Und da ich mich schon darauf eingestellt hatte, dass ich länger warten könnte, packte ich auch noch gleich meine Angelrute ein, die ich aus Nantesim mitgebracht hatte. So ein wenig Angeln im Teich konnte sehr entspannend sein.




    Ich verbrachte einige Stunden angelnd an dem Teich, ohne dass auch nur ein Fisch angebissen hätte. Und langsam begann mein Magen zu knurren. Vielleicht wartete ich ja sogar umsonst? Was war, wenn er heute gar nicht arbeitete? Doch noch während sich der Gedanke in meinem Kopf formte, öffnete sich das Eingangsportal der Kaserne und ein Mann um die sechzig mit Glatze verließ das Gebäude. Es war genau der Mann, auf den ich gewartete hatte. Und dennoch traute ich mich nicht, direkt auf ihn zuzugehen. Stattdessen versteckte ich mich hinter den Bäumen und beobachtet ihn.




    Doch dann riss ich mich zusammen und trat einfach aus dem Schatten der Bäume. "Hallo Papa", winkte ich schüchtern. Der Mann blieb verdutzt stehen und drehte sich zu mir um. Und als er mich erkannte, weiteten sich seine Augen vor Freude. "Klaudia, was machst du denn hier?", rief er freudig überrascht, kam auch mich zu und nahm mich in den Arm. "Du hast gar nicht Bescheid gegeben, dass du uns besuchen willst."



    Tja, ich hatte mein Ankommen in Rodaklippa tatsächlich nicht angekündigt. Und das hatte auch seinen Grund. Diesen wollte ich aber vorerst für mich behalten. "Ich hab mir ein Haus hier in der Stadt gekauft", sagte ich zaghaft, besorgt, wie mein Vater auf diese Nachricht reagieren würde. Dieser schaute mich zwar verwundert an, wartete aber geduldig auf weitere Erklärung meinerseits, anstatt mir ins Wort zu fallen. "Und...und ich bräuchte jetzt deine Hilfe beim Tragen der Möbel, Papa. Das Bett steht schon seit gestern im Garten und sollte dringend ins Haus. Und noch eine Nacht im Sessel muss ich nicht unbedingt verbringen."




    "Na du machst vielleicht Sachen, Spätzchen", Papa grinste breit und schüttelte mit dem Kopf. "Warum hast du mich dann nicht schon gestern gerufen? Deine Mutter wird Augen machen wenn sie hört, dass du in der Stadt bist. Wir sollten sie gleich anrufen."




    Mein Vater war schon dabei, sein Handy aus der Tasche zu ziehen, als ich ihn stoppte. "Halt, Papa, bitte nicht!" Mein Vater runzelte verwirrt die Stirn. "Ich...ich", stotterte ich los, "ich muss erst mit dir allein sprechen...später. Jetzt möchte ich nur, dass du mir mit dem Bett hilfst, Papa. Ich verspreche dir, dass ich für alles eine Erklärung habe." Mein Vater wirkte zwar nicht glücklich mit dieser Antwort, aber schließlich nickte er. "Ok, dann lass uns mal zu deinem neuen Haus aufbrechen."






    Mein Problem stand immer noch so vor der Haustür, wie ich es verlassen hatte. Als mein Vater das klobige Ungetüm sah, schlug er die Hände über dem Kopf zusammen. "Vielleicht sollten wir noch deinen Bruder herholen", schlug er vor. Doch in der nächsten Sekunde überlegte er es sich anders. "Na, lass es uns erst einmal so versuchen." Mein Vater griff das Bett am Fußende und ich stellte mich an das Kopfteil und mit vereinten Kräften hoben wir den Koloss aus Messing an.




    Trotzdem war es ein Kampf, das Bett ins Schlafzimmer zu bekommen. Das Kopfteil war so sperrig, dass wir damit kaum durch die Eingangstür kamen, selbst als wir es quer stellten. Und nachdem wir die erste Tür überwunden hatten, standen noch zwei weitere bevor, nämlich die zum Wohn- und die zum Schlafzimmer. Aber nach etlichem Schieben, Drücken und Zerren stand das Bett an seinem Platz und ich ließ mich zufrieden darauf nieder. "Danke, Papa", seufzte ich aus tiefstem Herzen und mein Vater lächelte zufrieden zurück.




    Anschließend führte ich Papa in meinem neuen Haus herum, auch wenn es nicht wirklich viel zu sehen gab. Nach der Hausbesichtigung bot ich ihm einen Saft an, da mein Kühlschrank leider nicht mehr hergab. Er trank ihn in aller Ruhe aus, doch dann konnte ich seinen Fragen nicht länger ausweichen. "So, Spatz", sagte er und stellte die leere Saftpackung auf dem Wohnzimmertisch ab, "und jetzt erklärst du mir hoffentlich, warum du dir klammheimlich ein Haus in Rodaklippa gekauft hast, ohne deine Mutter und mich in deine Pläne einzuweihen."




    Ich blickte meinen Vater aus großen Augen an, wie ein Reh, das vom Scheinwerferlich geblendet wurde. Meine Lippen begannen zu beben und nur mühevoll brachte ich die Worte heraus, die kaum mehr als ein Flüster waren: "Ich habe die Abschlussprüfung nicht bestanden. Nicht beim ersten Versuch...und auch nicht beim Zweiten. Und das war es jetzt Papa. Noch eine Chance bekomme ich nicht. Ich habe das Mathematikstudium nicht geschafft."




    Ich hatte erwartet, dass mein Vater wütend wird oder enttäuscht reagiert, aber alles was ich in seinem Blick sehen konnte, war tiefes Bedauern. "Spätzchen, du hast doch nicht versagt. Du hast die Uni nicht geschafft. Das kann passieren. Ich war auch nicht auf der Uni und deine Mutter hat ihr Abitur auch vorzeitig abgebrochen. Das ist doch keine Schande."




    "Aber ich wollte euch doch Stolz machen", schluchzte ich und jetzt hielt nichts mehr die Tränen auf, die sich in meinen Augen angesammelt hatten. Mein Vater kam einen Schritt auf mich zu und nahm mich fest in den Arm. "Wir sind stolz auf dich, was immer du machst, Spatz." Es tat gut, das zu hören, und ich klammerte mich weiter an meinen Vater fest wie ein kleines Mädchen. Er strich mir immer wieder behutsam über den Rücken. Schließlich lockerte ich meine Umarmung und auch mein Vater ließ mich wieder frei. Dafür strich er mir liebevoll über den Kopf. "Aber warum all die Geheimnisse?", fragte er. "Warum hast du uns das nicht sofort gesagt? Die Prüfungen waren doch schon vor drei Wochen."




    Ich drehte mich von meinem Vater weg und ging ein paar Schritte im Raum auf und ab. Verlegen kratzte ich mich am Hinterkopf, als ich ihm antwortete. "Ich wollte euch keine Probleme bereiten. Du und Mama, ihr hattet es in den letzten Jahren schon schwer genug. Ich weiß doch, wie sehr Mama immer noch darunter leidet, dass ihr die Sierra Simlone verlassen musstet. Und wir haben doch schon ein Problemkind in der Familie." Damit sprach ich meine ältere Schwester Kinga an, die in die Obhut meiner Tante Joanna gegeben wurde musste, weil meine Eltern nicht mehr mit ihr fertig wurden. Das war schon vor über zehn Jahren und meine Schwester war seither nicht mehr bereit, auch nur ein Wort mit meinen Eltern zu wechseln.




    "Und ihr habt so viel in meine Ausbildung investiert. Ich weiß doch, wie teuer die Studiengebühren sind. Und ihr habt auch meinen Lebensunterhalt finanziert. Da wollte ich es auch schaffen. Ich wollte euch Stolz machen. Und als ich es nicht geschafft habe, da habe ich mich geschämt. Ich wollte ohne eure Hilfe wieder auf die Beine kommen, deshalb habe ich euch nichts erzählt. Das Geld für das Haus habe ich während des Studiums zurückgelegt. Ich bin nie auf Partys oder so gegangen, daher musste ich auch nie viel ausgeben. Und mit Aushilfsjobs habe ich mir immer etwas dazuverdient und alles beiseitegelegt. Aber wie du siehst, Papa, habe ich es nicht einmal geschafft, alleine mein Bett in das Haus zu bekommen." Und wieder füllten sich meine Augen gefährlich mit dicken Tränen.




    Und wieder musste mein Vater auf mich zukommen und mich tröstend in den Arm nehmen. Als mein Kopf seien Schulter berührte, waren die Tränen wieder fast wie weggeblasen. "Spatz, deine Mutter und ich haben Probleme mit deiner Schwester, aber das sind unsere Probleme. Du bist weder dafür verantwortlich, noch musst du für uns die perfekte Tochter spielen, als Ausgleich für Kingas Verhalten. Und das andere ist doch bloß Geld. Deine Mutter und ich haben uns hier in Rodaklippa eine gute, neue Existenz aufgebaut. Ja, am Anfang war es schwer, aber jetzt haben wir ein sicheres Einkommen. Und wir hätten dir in jedem Fall ein Studium ermöglicht. Es wäre wunderbar gewesen, wenn du erfolgreich deinen Abschluss gemacht hättest. Aber es ist kein Beinbruch, wenn es nicht geklappt hat."




    Ich war erleichtert, diese Worte zu hören. Und gleichzeitig fühlte ich mich so dumm, weil ich eine andere Reaktion von meinen Eltern befürchtet hatte. Jetzt, wo mein großes Geheimnis offenbart wurde, konnte ich mich entspannt mit meinem Vater unterhalten. Wir unterhielten uns so lange, bis wir schließlich im dunklen Wohnzimmer kaum noch das Gesicht des anderen erkennen konnten und ich mich vom Holzboden erhob, um das Licht einzuschalten. Auch Papa stand auf und klopfte sich den Staub von der Hose. "Für mich wird es langsam Zeit, heim zu deiner Mutter und zu deinem Bruder zu gehen. Die beiden fragen sich bestimmt schon, wo ich geblieben bin." Ich begleitete meinen Vater noch vor das Haus und verabschiede mich dort von ihm. "Sag Mama, dass ich sie gleich morgen besuchen werde", bat ich meinen Vater. Der nickte zustimmend und machte sich auf den Weg zur U-Bahnstation.


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    Ich hoffe, das Kapitel hat euch gefallen. Ich würde mich über die ein oder ander Rückmeldung sehr freuen :)

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  • Kapitel 3: Ein anderer Blickwinkel




    Es war wunderbar entspannend, die Nacht in einem richtigen Bett zu verbringen. Außerdem schlief es sich umso besser, wenn man kein schlechtes Gewissen mehr haben musste, weil man seine Eltern belog. Meine gute Laune wurde aber getrübt, als ich am Morgen in das Badezimmer ging, und plötzlich in einer großen Pfütze stand.



    Die Verzweiflung stand mir ins Gesicht geschrieben. Wo kam bloß all das Wasser her? Ich schaute mich hektisch im Badezimmer um und erkannte schnell, dass es außen an den Wänden der Duschkabine entlang floss. Und als ich die Kabine öffnete, sah ich auch, dass das Wasser aus dem Rohr der Brause in alle Richtungen spritzte. Ich hatte schon bei meinem Einzug eine Rohrzange auf dem Fensterbrett im Bad gefunden und jetzt wurde mir auch klar, warum diese dort lag. Offenbar passierte solch eine Überschwemmung nicht zum ersten Mal.



    Ich schraubte eine Weile an der Brause herum, macht damit zunächst alles nur noch viel schlimmer, aber schließlich versiegte das Wasser. Nur damit war die Arbeit noch längst nicht beendet. Das ganze Bad stand unter Wasser und dieses musste aufgesammelt werden. Das war wirklich ein schöner Start in den neuen Tag.






    Doch nach gefühlten Stunden hatte ich das Badezimmer wieder trocken gelegt. Erschöpft ließ ich mich in meinen Sessel fallen, doch dann wurde mir klar, wie einsam es in diesem großen Haus doch war. Also entschloss ich mich kurzerhand wie versprochen Mama zu besuchen. Ich schwang mich also auf mein Fahrrad und radelte los. Leider hatte ich vergessen, dass meinen Eltern auf einer Anhöhe über der Stadt lebten und ich deshalb ziemlich ins Schwitzen kam. Vielleicht hätte ich doch lieber die U-Bahn nehmen sollen? Doch die Natur um mich herum und der tolle Anblick der Stadt unten im Tal entschädigten für die Strapazen.



    Doch irgendwann kam ich doch oben an. Ich war zwar erschöpft, aber gleichzeitig stolz auf meine Leistung. Das Haus meiner Eltern hatte sich seit meinem letzten Besuch zu Weihnachten nicht verändert. Die sandfarbenen Backsteine und der weiße Putz strahlten im Sonnenschein. Nachdem meine Familie unser Zuhause in der Sierra Simlone, der heutigen Sierra Simnistria, verlassen musste, hatten meine Eltern hier in Rodaklippa einen altes, halb zerfallenes Bauerhaus gefunden und es mit viel Arbeit und Mühe zu dem gemacht, was man heuet hier auf den Hügel stehen sah.



    Ich klopfte gar nicht erst an, sonder betrat einfach das Haus. Immerhin wohnten hier meine Eltern und auch ich habe in diesem Haus ein paar Jahre gelebt. Und auch wenn ich schon länger nicht mehr hier wohnte, so war es doch mein Zuhause. Ich hatte meine Mutter bereits durch das Fenster hindurch in der Küche entdeckt. Offenbar hatte sie mich nicht das Haus betreten hören, denn als ich vorsichtig gegen den Türrahmen klopfte, drehte sie sich erschrocken herum. Und als sie dann aber mich entdeckte, klatschte sie entzückt in die Hände.




    "Ach, mein kleiner Spatz", rief meine Mutter erfreut. "Ich konnte es kaum glauben, als dein Vater erzählte, du hättest dir ein Haus in Rodaklippa gekauft. Ich hätte dich am liebsten gleich besucht." Ich ging auf Mama zu und sie streichelte mir behutsam über den Arm. "Ich fühle mich einfach wohl hier", entgegnete ich. Und das stimmte auch. Ich hatte schon gestern erfahren, wie schön es war, wenn man einfach nur ein paar Straßen weiter gehen musste, um den eigenen Vater um Hilfe zu bitten. Und jetzt bei Mama zu sein machte mich ebenfalls glücklich. Vier Jahre lang hatte ich versucht, die große weite Welt zu erkunden. Doch jetzt hatte ich erkannt, dass ich nur da sein wollte, wo auch meine Familie war.



    Doch dann setzte meine Mutter eine traurige Mine auf. "Aber warum hast du uns nie etwas davon erzählt, dass es mit deinem Studium nicht gut läuft. Dein Vater und ich hatten immer das Gefühl, dass du das ganz leicht meistern würdest. Ich war wirklich sehr überrascht, dass du die Abschlussprüfung nicht bestanden hast." Betroffen senkte ich meinen Blick. Mein missglücktes Studium war wirklich kein Thema, über das ich gerne sprach.



    Doch Mama schien dies nicht zu bemerken. Sie forderte mich dazu auf, mich hinzusetzen und bohrte gleich weiter. "Vielleicht hast du dich auch einfach übernommen, Spatz? Mathematik ist schließlich auch ein schweres Fach. Vielleicht hättest du lieber Simlisch auf Grundschullehramt studieren sollen? Du hast doch früher immer so schöne Aufsätze geschrieben." Ja, in der dritten Klasse! Danach sanken meine Noten eher in die Mittelmäßigkeit ab. "Ich glaube, studieren war nie das Richtige für mich, ganz egal welches Fach", seufzte ich betrübt.



    "Ja, da hast du vielleicht recht", entgegnete meine Mutter. Obwohl sie genau das bestätigte, was ich gerade gesagt hatte, trafen mich ihre Worte. Insgeheim hatte ich mir gewünscht, dass sie mir widersprach, dass sie mir bewies, dass sie an mich glaubte. Doch stattdessen begann sie von meiner älteren Schwester zu sprechen. "Kinga war fürs Studium wie gemacht. Oh, sie war eine solch gute Schülerin. Sie hätte alles werden können. Ärztin, Politikerin…"



    Der Blick meiner Mutter schweifte in die Ferne ab. "Doch es kommt nicht immer alles so, wie man es sich vorstellt. Deine Schwester hat sich ihr Leben selbst verbaut. Ich kann nur hoffen, dass sie es schafft, irgendwie glücklich zu werden. Weißt du, wir Blech Frauen sind nicht unbedingt fürs Glück gemacht." Für einen Moment versank meine Mutter in stummer Traurigkeit. "Ich hätte mir gewünscht, dass du mehr Glück im Leben haben würdest, Spätzchen."



    "Mama, so schlimm ist mein Leben auch wieder nicht", entgegnete ich und versuchte die Stimmung mit einem Lächeln aufzulockern. Doch ein Lächeln spielgelt sich nicht wie erhofft auf den Lippen meiner Mutter wieder. Sie blickte mich stattdessen traurig an und in ihren Augen erkannte ich, dass ich sie enttäuscht hatte. Auch ihre zweite Tochter hatte es zu nichts gebracht. Diese Erkenntnis traf mich tief und mein Lächeln erstarrte zu einer steinernen Fratze.



    Zum Glück betrat gerade in diesem Moment Papa die Küche. "Na, was machen meine beiden wunderschönen Frauen? Ein kleines Kaffeepläuschchen? Solltet ihr beiden nicht lieber damit beschäftigt sein, dem Herrn des Hauses ein deftiges Mittagessen zu kochen?" Mein Vater zwinkerte mir bei den Worten zu. Er hatte eben für jede Situation einen Spruch parat.



    Natürlich erwartete mein Vater nicht, dass Mama und ich alles stehen und liegen ließen, um ihn zu bekochen. Wobei, darüber gefreut hätte er sich sicher. Stattdessen setzte er sich zu uns an den Tisch. "Ich habe mit deiner Mutter gestern lange gesprochen", setzt er schließlich an. "Warum ziehst du nicht wieder bei uns ein? Wir haben hier genug Platz und du wärst nicht so allein in deinem Haus. Außerdem bräuchtest du dir auch keine Sorgen ums Geld zu machen. Deine Mutter und ich würden uns um dich kümmern."



    Sowohl Mama als auch Papa sahen mich erwartungsvoll an. Und ich muss zugeben, dass das Angebot verlockend klang. Ich bräuchte mir keine Gedanken darüber zu machen, wie es mit meinem Leben weitergehen sollte. Doch dann erinnerte ich mich wieder an den Blick der Enttäuschung, den ich in den Augen meiner Mutter gesehen hatte. Nein, ich musste es schaffen, auf eigenen Beinen zu stehen. Ich musste meiner Mutter beweisen, dass ich keine Enttäuschung war. Ich wusste zwar noch nicht wie, aber ich würde das schaffen!



    "Vielen Dank für euer Angebot. Aber...aber wenn es auch nichts ausmacht, würde ich doch gerne erst einmal versuchen, ob ich das mit dem eigenen Haus hinbekomme." Ich war selbst erstaunt darüber, dass ich den Mut fand auszusprechen, was ich wirklich dachte. Aber leicht fiel es mir nicht und meine Stimme wurde mit jedem Wort schwächer. Mein Vater blickte Mama betrübt an und diese biss sich nur unbeholfen auf die Lippen. Die Situation wurde wirklich unangenehm. Doch dann begann Papa langsam mit dem Kopf zu nicken. "In Ordnung, Spatz. Aber vergiss nie, dass du uns jederzeit um Hilfe bitten kannst. Dafür sind wir schließlich da."



    Das wusste ich natürlich. Und jetzt, wo alles geklärt war, wurden alle um einiges lockerer. Wir zogen uns ins Wohnzimmer zurück und unterhielten uns, während im Hintergrund die Aufzeichnung des gestrigen Fußballspiels SimCity gegen SimVegas übertragen wurde. Mein Bruder Sky gesellte sich zu uns, sobald er von der Schule heimkehrte. Eine überschwängliche Umarmung konnte ich von ihm nicht erwarten. Dafür war er mit seinen 14 Jahren ja viel zu cool. Aber ich musste ganz genau, dass sich hinter seinem kühlen "Hi, Klaudi" ehrliche Freude darüber verbarg, mich wiederzusehen.



    Ich war mir sicher, dass Mama und Papa ihm von meinem Missglückten Studium erzählt hatten. Aber er erwähnte das mit keinem Wort und dafür war ich ihm unendlich dankbar. Stattdessen fragte er mich darüber aus, wie es den wäre in einem eigenen Haus zu wohnen, ohne Elter, mit der Freiheit, alles tun und lassen zu können, was man wollte. Ich muss gestehen, dass ich mir aufgrund der Angst vor der Reaktion meiner Eltern und aufgrund der ungewissen Zukunft, die Vorteile der Situation noch gar nicht so bewusst gemacht hatte. Manchmal musste man die Welt nur aus einem anderen Blickwinkel betrachten und schon ging die Sonne auf.

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  • Kapitel 4: Unerwarteter Besuch




    Tja, aber diese Vorteile konnte man ganz schnell vergessen wenn man erst einmal wieder mutterseelenallein in seinen eigenen vier Wänden war. Ich hatte vorher noch nie alleine gelebt. Als ich klein war, lebte ich mit meinen Eltern, meinen Geschwistern und einem guten Freund meiner Mutter unter einem Dach. Im Studentenwohnheim hatte ich auch immer Menschen um mich herum. Es war nicht so, dass ich es liebte, in einer großen Menschenmenge zu sein, das nun ganz und gar nicht. Aber es war schon zu wissen, dass jemand in den Nähe war. Und mein neuer Pandabär war zwar schön, aber leider war er ein sehr schweigsamer Gefährte.



    Doch bevor die Stille, die nur von dem lauten Ticken meiner 2 § Wanduhr durchbrochen wurde, mich in den Wahnsinn treiben konnte, klingelte es an der Tür. Ich war verwirrt, denn bis auch meine Eltern hatte ich keine Freunde in Rodaklippa. Auch in der Schule war ich lieber für mich allein und die wenigen Freundschaften, die ich doch hatte, waren nach meinem Umzug nach Nantesim recht schnell abgeebbt. Als ich zaghaft die Tür öffnete, wurde ich von einer jungen Frau in Empfang genommen, die laut "Überraschung!" schrie und dabei strahlte, als ob sie gerade im Lotto gewonnen hätte.



    "Magda?", fragte ich unsicher, da ich glaubte, dass mich meine Sinne im faden Licht der Gartenlaterne täuschen könnten. "Nein der Papst!", antworte diese augenrollend. "Natürlich bin ich es, Claude. Deine Cousine, die extra den weiten Weg aus SimCity auf sich genommen hat, um dich zu besuchen!"



    Bevor ich auch nur ein Wort darauf erwidern konnte, kam sie auf mich zu und nahm mich fest in den Arm. Dabei fiel mein Blick auf die vielen Koffer, die sie mitgebracht hatte. Entweder, meine Cousine reiste immer mit großem Gepäck…oder sie hatte vor, länger zu bleiben. "Willst du mich den gar nicht rein bitten, Claude?", unterbrach sie meine Gedanken. "Nach der langen Reise bin ich ganz schon ausgehungert."



    "Ja, klar", stammelte ich und führte Magda ins Haus. Ihre beiden schweren Koffer nahm sie selbstverständlich mit, was für mich ein deutliches Zeichen war, dass sie nicht vor hatte, so schnell wieder zu gehen. Ich bot ihr einen Saft an, den sie dankend entgegennahm, und dann ließ sie sich seufzend in meinen gestreiften Sessel fallen. Während sie den Saft durch den Strohhalm saugte, wanderte ihr Blick durch das Wohnzimmer. "Du hast es hier ja wirklich...nett, Claude". Beschämt senkte ich meinen Blick, denn der Seitenhieb war mir nicht entgangen. Ja, das Zimmer war so gut wie leer, und die vorhandene Innenausstattung ließ so einige Wünsche offen. Aber hej, das war mein Haus, und sie war hier bloß ein Gast. Zudem auch noch ein ungeladener.



    Doch natürlich traute ich mich nicht, ihr das ins Gesicht zu sagen. "Würdest du mir auch den Rest des Hauses zeigen?", fragte Magda dann und stellte die nun leere Safttüte auf den Tisch ab. Viel gab es ja nicht zu sehen, aber ich zeigte meiner Cousine das Badezimmer und das Schlafzimmer. "Oh, du hast ja sogar ein Doppelbett", bemerkte sie, als ich das Licht in dem Zimmer einschaltete. Irgendwie ahnte ich schon, was gleich kommen würde und natürlich behielt ich Recht. "Meinst du…meinst du ich konnte hier vielleicht für ein paar Nächte bleiben?"



    In meinem Inneren tobte ein Kampf. Auf der einen Seite war ich froh, nicht mehr allein sein zu müssen. Auf der anderen Seite hatte ich mir Unabhängigkeit doch gewünscht. Als ich jedoch in Magdas große, flehende Rehaugen blickte, konnte ich meiner Cousine diesen Wunsch nicht abschlagen. "Okay, Magda, du kannst für eine Weile hier bleiben." Sie klatschte zufrieden in die Hände. "Danke, Claude, Danke, Danke, Danke!", rief sie überschwänglich. "Ich hieße Klaudia, nicht Claude", erwiderte ich zaghaft, da es mir langsam den Wecker ging, dass meine Cousine mich so nannte. Ich war doch kein Mann! Aber entweder hatte sie mich nicht verstanden, weil ich zu leise gesprochen hatte, oder aber sie wollte einfach nicht hören. Denn gleich im nächsten Satz nannte sie mich wieder so. "Ach, Claude, das wird so lustig. So wie damals während des Kriegs, als du mit deine Familie bei uns gewohnt hast. Wir werden wie Schwester sein. Claude, ich sag‘s dir, das wird eine tolle Zeit werden."



    Ich wollte Magdas Worten wirklich Glauben schenken. Wir unterhielten uns noch ein wenig, doch schnell merkten wir beide, wie müde wir waren und machten uns fertig fürs Bett. Tja, und bereits in der dritten Nacht in meinem eigenen Haus musste ich nicht mehr alleine schlafen.





    Meine Cousine entpuppte sich als Langschläferin. Während sie also noch schön vor sich hin träumte, holte ich meine Pinsel und Farben hervor, und vertrieb mir die Zeit an der Staffelei. "Was machst du denn da, Claude?" Magda kam mit verschlafenen Augen aus dem Badezimmer und starrte mein Bild an. "Ich glaub, du bist da mit dem Pinsel ausgerutscht. Also diesen hässlichen dicken schwarzen Punkt solltest du lieber noch mal übermale", bemerkte sie.




    Hässlicher schwarzer Fleck? Das war do die Pupille eines Drachenauges! Und in dieser Pupille sollte sich die Welt wiederspiegeln. Konnte man das denn wirklich nicht erkennen? Niedergeschlagen blickte ich auf den Boden. Das bemerkte auch Magda. "Ach komm schon, Claude. Es ist nicht eben jeder zu Maler geboren." Diese Worte trösteten mich allerdings keineswegs. Denn bislang hatte ich mir eingeredet, dass ich zwar nicht viel konnte, aber ganz sicher eines, und das war Malen. Aber offensichtlich war das doch nicht der Fall.



    Kurz vor Mittag klingelte es überraschend an der Tür. Es war meine Mutter, die vorbeigekommen war, um sich mein neues Haus anzusehen. Ich führte sie als herum und zeigte ihr auch die Schotterterasse hinter dem Haus. "Und, Mama, was hältst du davon?", fragte ich unsicher uns zeigte auf das Gebäude. "Es ist wirklich nett, Spatz", antwortete meine Mutter und an ihrem Gesichtsausdruck konnte ich erkennen, dass sie es ernst meinte. "Das Haus erinnert mich ein wenig an das Haus deiner Großväter in SimCity. Ich denke, du kannst dir hier mit ein wenig Arbeit ein schönes Zuhause schaffen."



    "Und hier in dieser Ecke konntest du einen schönen Gemüsegarten anlegen", meine Mutter deutete auf ein Stück Rasen, das gut geschützt im Schatten einer kleinen Birke lag. "Ich könnte dir mit allerlei Samen aushelfen, Spatz." Die Idee eines Gartens gefiel mir sogar richtig gut. Ich würde meine Mutter tatsächlich darauf ansprechen müssen. Aber an einen Garten sollte ich vielleicht erst denken, wenn ich einen Herd in der Küche stehen hatte und mich nicht länger von Saft und Eiscreme ernähren musste. Das war zwar lecker, aber ich merkte leider schon, dass meine Hosen begannen mehr zu zwicken, als sie es ohnehin schon taten.



    Dann fiel mir plötzlich auf, dass meine Mutter ganz still geworden war. Als ich zu ihr rüber schaute, sah ich ihren wehmütigen Blick und sofort wurde mir der Grund dafür klar. Sie hatte eben von Zuhause gesprochen. Und obwohl sie sich hier in Rodaklippa wohl fühlte, so war ihr Zuhause doch die Sierra Simlone. Dort hatte sie sich ein Zuhause eingerichtet, eine Farm aus dem Boden gestampft, meinen Vater kennengelernt und drei Kinder aufgezogen. Und durch einen schrecklichen Krieg wurde ihr das alles entrissen. Sie war eine Vertrieben, die sich danach sehnte, wieder nach Hause zurück kehren zu können. Und obwohl diese Ereignisse schon 8 Jahre zurück lagen, war ihr Heimweh nicht kleiner geworden.



    Magdas helle Stimme riss meine Mutter aus ihren trüben Gedanken heraus. "Hallo. Tante Oxana!", rief sie begeistert und winkte meiner Mutter zu, die sich umdrehte um zu erkenne, wer da noch ihr rief. "Ist das etwa Magda?", fragte meine Mutter ungläubig. Zur Antwort lächelte ich nur dümmlich. "Ähm...ja. Sie stand gestern einfach vor meiner Tür und wollte für ein paar Tage bleiben. Ich konnte sie ja schlecht auf der Straße schlafen lassen."



    Meine Mutter war von Magdas Besuch genauso so überrascht, wie ich. Während die beiden sich im Garten unterhielten, holte ich die Zeitung aus dem Briefkasten, die in Rodaklippa täglich kostenlos geliefert wurde, und lass mir die Stadtneuigkeiten der letzten Tage durch. Etwas wirklich Spannendes war nicht passiert, aber immerhin konnte ich ein paar Coupons für reduziertes Krokodils-Fleisch ergattern. Blieb nur noch die Frage, worauf ich es kochen sollte. Ein Coupon für einen Herd wäre da schon nützlicher.



    Und dann wagte ich mich doch noch einmal zurück an mein Bild und malte es zu Ende. Meine Mutter betrat das Haus in demselben Augenblick, in dem ich den Pinsel zur Seite legte. "Das ist sehr schön, Spatz", bemerkte sie. "Ein Drachenauge, nicht wahr?" "Ja, genau!", rief ich begeistert und beschrieb meiner Mutter die Details des Bildes. "Du hast Talent, Klaudia. Hast du nie überlegt, vielleicht doch Kunst zu studieren?"



    "Ich...ich hab es sogar versuch", gestand ich meiner Mutter. "Im zweiten Semester habe ich ein paar Vorlesungen besucht. Aber auch dafür war ich zu dumm. Ich hab fast nichts von dem verstanden, was unser Professor erzählte. Und durch die Prüfung bin ich dann auch auf mit Pauken und Trompeten durchgefallen. Ich kann vielleicht gut malen, aber für ein Kunststudium reicht das leider nicht." In den Augen meiner Mutter war für eine kurze Zeit ein Hoffnungsschimmer aufgekeimt, der jetzt jäh erlosch. "Ok, Spatz. Aber das Bild ist wirklich hübsch", bestärkte sie mich noch einmal, doch irgendwie klang dieser Zuspruch plötzlich hohl. Kurz darauf verabschiedete sich von Magda und mir und brach nach Hause auf.

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  • Kapitel 5: Die nächste Frieda Kahlo



    Am Abend schlug Magda vor, doch irgendwo in der Stadt essen zu gehen, da sie schon nach einem Tag keinen Saft und kein Eis mehr sehen konnte. Also gingen wir rüber zum Chinesen und trafen dort zufällig auch meinen Bruder Sky, der sich uns anschloss. "Müsstest du nicht eigentlich jetzt an der Uni sein?", fragte Sky unsere Cousine, während er von seiner Frühlingsrolle abbiss. "Das Semester ist doch noch gar nicht zu Ende."



    "Ach, weißt du Sky, ich hatte irgendwie genug vom Studium", antworte Magda ganz gelassen, während sei weiter von ihrem Hähnchen-Süß-Sauer aß. "Die ständigen Vorlesungen, Hausarbeiten und Prüfungen gingen mir einfach nur noch auf die Nerven. Und studieren wird eh überbewertet. Also hab ich mir gedacht, ich probiermal was Neues. Und da ich zufällig mitgehört habe, wie Tante Oxana meiner Mutter am Telefon erzählt hat, das Claude sich hier ein Haus gekauft hat, dachte ich mir, ich besuche meine Lieblingscousine einfach mal."



    "Und Tante Joanna hat dich einfach so die Uni abbrechen lassen?", fragte Sky skeptisch und zog die Augenbraue hoch. Tante Joanna war manchmal…etwas herrisch. Ich mochte sie wirklich gerne, keine Frage, aber Magda und ihr Bruder Jakób taten mir als Kind immer leid, weil sie so eine strenge Mutter hatten. Daher war Skys Frage durchaus berechtigt. Doch Magda zuckte nur leichtfertig mit den Schultern. "Was Mom nicht weiß, macht sie nicht heiß. Und solange ihr niemand was von meinem Aufenthalt erzählt, hab ich erst einmal meine Ruhe vor ihr."



    "Dir ist aber schon klar, dass du dich meiner Mutter, der Zwillingsschwester deiner Mutter, heute nur zu bereitwillig gezeigt hast?", warf ich ein. "Und so oft wie die beiden miteinander telefonieren, kannst du dir sicher sein, dass deine Mutter spätestens morgen weiß, dass du in Rodaklippa bist." Magda verschluckte sich an ihrem Essen und begann zu husten. "Mist...", fluchte sie niedergeschlagen und ließ den Kopf hast auf ihren Teller sinken.





    Magda war an diesem Abend kaum noch ansprechbar, also gingen wir schnell nach Hause und meine Cousine verkroch sich unter die Bettdecke. Am nächsten Morgen wollte sie das Bett auch nicht verlassen. Ich hingegen hatte in der Zeitung gelesen, dass im Cjnjd-Tower, einem Bürogebäude im Gewerbegebiet der Stadt, eine Kunstausstellung stattfinden sollte. Als schwang ich mich auf mein Fahrrad und radelte dort hin. Als ich dann jedoch vor dem Büroturm stand, war ich mir nicht sicher, ob ich mich nicht doch im Ort oder Datum geirrt hatte. Es waren hier weder Menschen zu sehen noch deutete ein Schild auf die Ausstellung hin.



    Aber als ich erst einmal das Foyer betrat, wurde mir klar, dass ich mich nicht verlesen hatte. Die Ausstellung zeigte Bilder von Künstlern aus der Region und diese wurden auch zum Verkauf angeboten. Obwohl das nüchterne Ambiente in dem Bürokomplex nicht sehr inspirierend war, konnte ich doch beobachten, dass so manches Bild einen neuen Besitzer fand. Viele Bilder hier waren einfach atemberaubend und ich konnte mir vorstellen, dass die Maler noch eine große Zukunft vor sich haben würden. Andere Bilder waren…nun ja, sagen wir mal, dass mein Drachenauge eindeutig künstlerisch wertvoller war. Aber auch diese Bilder fanden ihre Käufer. Und so formte sich in meinem Kopf die Idee, mit meinen Bildern etwas Geld zu verdienen. Auf dem Weg zurück nach Hause machte ich einen Stopp im Wingate Park und ließ mich von den Bäumen, Sträuchern und Springbrunnen zu neuen Ideen inspirieren. Ja, dieser Brunnen würde sicherlich ein gutes Motiv abgeben.



    Und die gesammelte Inspiration setzte ich noch am gleichen Abend in ein neues Bild um. Die Frage war nur noch, wie ich es schaffen konnte, meine Bilder an den Mann zu bringen.



    Der Zufall wollte es dann, dass ich am nächsten Tag einer der Künstlerinnen über den Weg lief, die bei der Ausstellung im Bürogebäude ihre Bilder gezeigt hatte. Ich nahm mir fest vor, sie anzusprechen, aber schlussendlich langte mein Mut dazu doch nicht. Doch das Glück war auf meiner Seite, denn die Frau erkannte mich wieder und sprach mich von sich aus an. "Guten Tag, sie waren doch auch bei der Ausstellung gestern, nicht wahr?", fragte sie. Ich nickte eifrig. "Ihre Bilder haben mir sehr gut gefallen, Frau Martinez, nicht wahr?" Die Frau lächelte mich an, erfreut darüber, dass ich mir ihren Namen gemerkt hatte. "Genau, Jennifer Martinez."



    Ich wusste selbst nicht, was in mich gefahren war, aber ich riss mich zusammen und lud Jennifer einfach auf eine Tasse Kaffee ein. Dabei fragte ich sie behutsam darüber aus, wie man es am besten anstellte, Geld mit seiner Malerei zu verdienen. Und offenbar war es gar nicht so schwer. Der erste Schritt war natürlich das Malen von guten Bildern, und das konnte ich ja. Als nächstes musste man sich nur im Rathaus als Künstler registrieren lassen. Dann war man in der Kartei der Stadt und wurde zu solchen Veranstaltungen, wie der Ausstellung im Büro, eingeladen. Und wenn man Glück hatte, fand man dort Käufer für seine Bilder oder wurde zu anderen Ausstellungen eingeladen.



    Bereits in der folgenden Nacht plagten mich Zweifel, ob es wirklich eine gute Entscheidung war, sich als freischaffende Malerin zu versuchen. Und ich wusste, mir würden immer mehr Gründe einfallen, mich nicht registrieren zu lassen, je länger ich mit der Entscheidung wartete. Also nahm ich meinen ganzen Mut zusammen und ging am Morgen ins Rathaus. Und wider Erwarten wurde ich dort nicht ausgelacht, weil ich eine solch unsichere Zukunft wählte, sondern vom Sachbearbeiter zu meinem Entschluss beglückwünscht. Und so verließ ich beschwingt das Rathaus als offiziell registrierte Malerin.



    Der Sachbearbeiter hatte mich auch darüber informierte, dass die örtliche Galerie immer mal wieder Bilder von unbekannten Künstlern aufkaufte. Ich könne es ja immerhin mal probieren, mein Bild anzubieten. Also fuhr ich zurück nach Hause und nahm mein letztes Werk von der Staffelei.



    Doch je näher ich der Galerie kam, desto unsicherer wurde ich mir, ob mein Bild wirklich gut war oder bloß einfaches Gepinsel. Irgendwie sah es doch ein wenig aus wie die Arbeit eines Grundschulkindes. In der Galerie angekommen, traute ich mich dann gar nicht mehr, die Leiterin anzusprechen. Stattdessen versteckte ich mich eingeschüchtert hinter einer großen Löwenstatue und grübelte angestrengt.



    Mehrmals war ich kurz davor, die Stufen zum Büro der Galeristin hinaufzusteigen, doch jedes Mal zuckte ich wieder zurück. Was wenn sie mich auslachen würde? Oder wenn sie mich anschrie, weil ich ihre kostbare Zeit verschwendete? Aber ich würde es nie erfahren, wenn ich es nicht ausprobierte. Ich stieg als die Treppe hoch und klopfte zaghaft an der Tür. Als ich keine Antwort bekam, öffnete ich die Tür einen Spalt breit und spähte in den Raum. Und tatsächlich saß die Galeristin, Melinda Cosgrove, wie ich dem Schild an der Tür entnahm, vor ihrem Rechner. Also wagte ich mich geräuschlos an ihren Schreibtisch heran. "Frau Cosgrove? Frau Cosgrove?", versuchte ich sie von dem Bildschirm loszureißen. "Ich...ich habe da ein Bild, dass ich ihnen gerne anbieten würde." Melinda Cosgrove hörte mit einem Schlag auf zu tippen und sah mich direkt an. "Dann aber schnell, zeigen Sie mir das Bild. Los, los!"



    Zu meiner Schande musste ich gestehen, dass ich das Bild unten in der Galerie vergessen hatte. Melinda Cosgrove stöhnte laut, als sie das hörte, aber sie erhob sich von ihrem Stuhl und begleitete mich nach unten. Nachdem sie einen Blick auf mein Bild geworfen hatte, forderte sie mich auf, es in einen der Rahmen zu stecken, die in der Ecke standen und es probehalber an die Wand zu hängen. Ich tat, was sie verlangte und stellte mich mit zittrigen Knien neben mein Bild, während sie es eindringlich begutachtete. Ihr Nachdenken erschien mir wie eine Ewigkeit. Doch dann öffnete sie ihre Lippen. "Ich denke, ich werde es an den Mann bringen können. Es ist nicht gerade überragend, aber dieser infantile Stil hat etwas für sich. Außerdem brauche ich immer wieder Werke für das niedrige Preissegment. Wenn sich das hier gut verkauft, dann können sie mir noch ein paar Bilder vorbei bringen."



    Mein Herz raste vor Glück. Melinda wollte mein Bild! Sie wollte es tatsächlich und glaubte sogar daran, dass sie es würde verkaufen können. Ich war so aufgedreht, dass ich laufen musste. Und nur das Meer hielt mich davon ab, immer weiter zu laufen. "Ich hab es geschafft!", brüllte ich laut gegen das Getöse der Welle an und riss einen Arm in die Luft. "Ich werde die nächste Frida Kahlo!" Zufrieden beobachtete ich, wie die Sonne langsam im Meer versank.

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  • Kaitel 6: Nachtleben




    Magda hatte sich die letzten Tage im Schlafzimmer verkrochen. Die Angst vor ihrer Mutter saß offenbar tief. Doch nachdem nach ein, zwei, ja selbst nach drei Tagen nichts passierte, hellte sich ihre Stimmung wieder auf. Meine muffigen vier Wände wurden ihr zu eng, also entschloss sie sich, die Stadt zu erkunden und landet schließlich in der Saftbar am Strand. Der Barkeeper war zwar schon etwas älter, sah aber immer noch sehr heiß aus, wie Magda befand. Von ihm ließ sie sich gerne einen Cocktail mixen. Und die übrigen Herren in der Bar waren auch nicht gerade unansehnlich.



    Leider wurde sie von keinem dieser Herren angesprochen, was ihrem Selbstbewusstsein einen kleinen Knick verpasst. Andererseits, rief sie sich ins Gedächtnis, war das hier nicht SimCity, sondern nur das verschlafene Rodaklippa. Vielleicht waren die Männer hier einfach nur schüchtern und frau musste selbst Initiative ergreifen? Also reichte sie gleich dem nächsten Mann in ihrer Nähe die Hand, und dieser stellte sich im Gegenzug höflich als Eric Pierce vor.



    Der andere süße Typ in der Bar war Noah Rothman. Nachdem sie eine Weile zu dritt gequatscht hatten, wagten sie ein Spielchen am Kicker. Zu Magdas Unmut stellte sich im Verlauf des Gespräches heraus, das Eric verheiratet war. Gut, das war kein unüberwindbares Hindernis, aber Magda wollte es in Rodaklippa lieber ruhig angehen lassen und schenkte stattdessen für den Rest des Abends Noah ihre ungeteilte Aufmerksamkeit.



    Beim Tanzen kamen sich die beiden auch immer näher und Magda wartete nur darauf, dass Noah endlich seien Hände um ihre Hüften legen würde. Doch nichts geschah. Und als Magda bemerkte, das Noah seien Hüften noch besser schwingen konnte, als sie selbst, dämmerte ihr langsam, dass vermutlich Eric die besseren Chancen hätte, Noahs Aufmerksamkeit zu erregen. Na, immerhin war Happy Hour. Und nach drei weiteren Drinks torkelte Magda, zu ihren Verdruss ganz allein, zurück nach Hause.



    Doch so leicht ließ Magda sich nicht entmutigen. Einen Tag später, ich wollte mir gerade etwas aus dem Kühlschrank holen, stand sie plötzlich aufgedonnert vor mir. "Claude, wir können doch nicht jeden Abend hier in der Bude hocken. Da draußen tobt das Nachtleben. Los, zieh dir was anderes an und dann las uns los gehen. Die Bar gleich bei uns an der Ecke sieht doch echt nett aus. Und ich dulde keine Widerworte! Versauern konnten wir immer noch, wenn wir 30 sind."



    Mich zu wehren hätte keinen Sinn gehabt. Magda warf einen Blick in meine Koffer und suchte etwas heraus, was ihrer Meinung nach gerade noch akzeptabel war. Und dann machten wir uns auf den Weg zu Sammie's Jazz Review, einer Bar gleich bei uns um die Ecke. Der Laden war schicker, als ich erwartet hatte. Ein Pianist spielte sanfte Klänge und auch ansonsten sah es hier sehr edel aus. Bei dem Preis für das Essen verging mir fast der Appetit, aber ich musste zugeben, dass es lecker war.



    Ich hatte erwartet, dass Magda mich in irgendeine Disco schleppte. Aber die Atmosphäre in dieser Bar gefiel mir sogar. Und nachdem ich einen kleinen Drink getrunken hatte, bemerkte ich, dass ich irgendwie redseliger wurde. Meine Schüchternheit schwand ein Stück weit, und ich traute mich sogar, ein Gespräch mit einem netten Mann mittleren Alters zu beginnen, der sich dann lustiger Weise als der Ehemann von Jennifer Martinez entpuppte, meiner Bekannten, die mir geholfen hatte, eine selbstständige Malerin zu werden.



    Anschließend vertrieb ich mir die Zeit mit Darts spielen. Ich hatte meinen Spaß, aber Magda wirkte erneut niedergeschlagen.



    Der einzige Gast in der Bar war verheiratet und unterhielt sich zu allem Überfluss mit mir. Gab es in dieser Stadt denn wirklich keine gutaussehenden Singles? Frustriert spülte Magda ihren Cocktail hinunter. "Komm Claude, lass uns abdüsen", rief sie mir zu, nachdem sie ihr geleertes Glas abgestellt hatte. "Hier ist ja eh nichts los." Schade, eigentlich wäre ich gerne noch etwas länger geblieben. Aber ohne Magda hier zu bleiben, das traute ich mich selbst mit Alkohol nicht. Also verließen wir gemeinsam die Cocktailbar.





    Im Gegensatz zu Magda hatte ich mit gut amüsiert. Leider wurde meine Freude am nächsten Morgen gleich wieder getrübt. Ich war kaum aufgestanden, als es an der Tür klingelte. Eine wenig freundliche Frau stellte sich als Gerichtsvollzieherin vor und zeigte mir einen Brief, dem nach ich eine Rechnung trotz mehrmaliger Aufforderung nicht beglichen hätte. Ich versuchte sie davon zu überzeugen, dass das Ganze nur ein Versehen war und ich ihr das Geld auch gleich geben könnte, doch die Frau blieb hart. Sie schaute sich in meiner karg eingerichteten Wohnung um und entschied, dass der schöne, grün-gelb gestreifte Sessel genau den Gegenwert der Rechnung entsprechen würde.



    Und so war ich plötzlich eines meiner ohnehin wenigen Möbelstücke los. Niedergeschlagen durchwühlte ich die Mülltonne nach dem angeblichen Mahnbrief, konnte aber nichts finden. Man, das war doch so ungerecht!



    Aber was passiert war, war passiert. Ich hatte noch etwas Geld auf dem Konto, das war nicht das Problem. Aber noch so einen Sessel hatten sie in dem Antiquitätenladen nicht und das machte mich so traurig. Aber bevor ich mich weiter über meine eigene Dummheit ärgerte, ging ich zu der Baustelle auf dem Nachbargrundstück hinüber. Vor ein paar Tagen waren die Bagger angerückt und die Bauarbeiten machten große Fortschritte. Ich fragte mich, was hier wohl für Leute einziehen würden. Ich hoffte, dass es nette Nachbarn werden würde.

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  • Kapitel 7: Katz-und-Maus-Spiel




    Auch Tage später trauerte ich dem Sessel nach, den der Gerichtsvollzieher mitgenommen hatte. Magdalena kratzte das hingegen herzlich wenig. Sie hatte ihn ja auch nicht bezahlt. Und da sie immer noch nicht glauben konnte, dass mein "Gekrakel" in einer Galerie hing, ging sie in eben diese um sich mit eigenen Augen davon zu überzeugen. Doch bis zum Bild kam sie gar nicht erst, dann bereits vorher lief sie einem Mann direkt in die Arme, der fortan ihre ganze Aufmerksamkeit forderte.



    Ich versuchte derweil etwas zu malen, aber irgendwie wollte mir an diesem Tag nichts so recht gelingen. Also legte ich mich mit einem Buch auf Bett und lass den Roman "Mord in Schönsichtigen". Der Krimi war dabei so spannend, dass ich das Buch gar nicht mehr aus der Hand legen konnte. Erst als die Matratze heftig schwankte, weil Magda darauf hüpfte, wurde ich in die Realität zurückgerissen. "Ach Claude", seufzte meine Cousine. "Ich habe heute den wundervollsten Mann kennengelernt, denn es geben kann: Ron." Als sie seinen Namen hauchte, dachte ich fast, sie würde jeden Augenblick in Ohnmacht fallen.



    "Oh, Claude, du musst ihn unbedingt kennenlernen. Er sieht so gut aus. Ganz schlank und durchtrainiert. Vielleicht ein bisschen schmal, aber er gefällt mir trotzdem", schwärmte sie. "Wir haben den ganzen Tag zusammen gequatscht und sind am Strand spazieren gegangen." Bei Erzählen begannen ihre Augen regelrecht zu funkeln. Ihre Blicke wanderten immer wieder zur Decke und ich war mir sicher, dass sie dort nicht nur den verstaubten Lampenschirm betrachtet, sondern sich im Geiste ein Bild von ihrem Ron ausmalte.



    Plötzlich riss sie ihre Augen weit auf und streckte die Arme von sich. "Ich hab‘s, Claude! Wir müssen eine Party veranstalten. Dann kann ich ihn hierher einladen. Dann kannst du ihn auch begutachten und mir sagen, was du von ihm hältst. Aber wir müssen noch andere Leute einladen, sonst wird es auffällig. Hhm...du hast ja keine Freunde, Claude, und ich kenne hier auch noch nicht so viele Leute. Zur Not muss es einfach deine Familie tun. Tu kannst ja eine "Juh, ich habe ein Bild verkauft", Party geben."



    Sie wartete gar nicht erst ab, was ich von dieser Idee hielt, sondern griff gleich zum Handy. "Tante, Oxana?...Oh Entschuldigung, ich weiß es ist spät...Wir geben übermorgen ein Party, du, Onkel Nick und Sky ihr müsst unbedingt kommen...Ja?...Ok, dann bis Samstag!" Da ich ahnte, dass ich bei dieser Party ohnehin nicht viel zu sagen haben würde, verkroch ich mich einfach unter die Bettdecke und versuchte einzuschlafen. Magda hingen lief noch stundenlang in der Wohnung umher und brütete über der Partyplanung.



    Da unser Haus nicht viel Luxus zu bieten hatte und wir auch kein Geld hatten, um für die Party großartig etwas anzuschaffen, setzte Magda sich in den Kopf, wenigstens unseren Kamin anzufeuern, um für etwas Glamour in unserem Haus zu sorgen. Und damit es bei der Party keine unvorhergesehenen Schwierigkeiten gab, feuerte sie den Kamin probeweise schon mal am Vortag an. Das klappte auch auf Anhieb, doch leider dachte sie nicht mehr daran, ihn wieder zu löschen bevor sie ins Bett ging. Und so wurde sie in der Nacht von einem unheilvollen Knistern geweckt.



    Als sie die Augen aufschlug, nahm sie sofort die ungewöhnliche Hitze und das orange Leuchten im Zimmer wahr. Und sofort wurde ihr klar, dass ein Feuer ausgebrochen war. Die Tür zum Wohnzimmer brannte lichterloh. Panisch sprang sie aus dem Bett und erkannte, dass sie eingesperrt war. Die Tür zum Bad war durch die Flammen ebenfalls blockiert. Panisch begann sie zu schreien. "Klaudia! Klaudia! Es brennt! Das Haus brennt! Klaudia, hörst du mich?! Oh Gott, bitte hör mich! Ich bin hier eingesperrt! Ich will nicht verbrennen!"



    Ich war in der Küche, als mich ihre panischen Schreie erreichten. Als ich in das Wohnzimmer rannte, sah ich schon die Flammen, die bis zur Decke hochschossen. Blitzschnell lief ich zurück in die Küche und schnappte mir den Feuerlöscher, der in der Ecke stand. "Bitte sei noch funktionsfähig", flehte ich innerlich. Doch zum Glück schoss ein Strahl weißen Schaums aus dem Löscher, sobald ich den Sicherheitsbolzen herausriss und den Hebel drückte. Und mit wenigen Stößen des Feuerlöschers waren die Flammen besiegt.



    Magda zitterte am ganzen Körper, als sie durch die versengte Tür aus dem Schlafzimmer trat. Die pure Angst war ihr immer noch ins Gesicht geschrieben. "Magda, es ist alles in Ordnung", redete ich beruhigend auf sie ein. Ich wollte tröstend meinen Arm auf ihre Schulter legen, doch sie stieß mich von sich.



    "Ich…ich will einfach nur an die frische Luft", stammelte sie und taumelte benommen hinaus in den Garten. Im ersten Moment wollte ich ihr nachgehen, doch dann besann ich mich und ließ meine Cousine allein. Durch das Fenster im Wohnzimmer konnte ich sehen, wie sie mit zittrigen Knien am Gartenzaun stand und regungslos in die Bäume starrte. Da wurde auch mir bewusst, was für ein wahnsinniges Glück wir gehabt haben. Nur ein paar Sekunden später und das Feuer hätte sich im ganzen Haus ausgebreitet. Wer weiß, ob Magda dann noch rechtzeitig entkommen wäre. Bei diesem Gedanken fuhr ein Schauer durch meinen Körper und ich klammerte mich fest an meinen Kuschelpanda.






    Ich wollten die Party am nächsten Tag zunächst absagen, doch Magda bestand darauf, dass wir das durchzogen. Offenbar hatte sie den Schreck von letzter Nacht bereits überwunden. Nachdem wir das Haus ordentlich gelüftet hatten, war von dem Brand kaum noch etwas zu bemerken. Und am Abend trudelten dann die Gäste bei uns ein. Meine Familie, aber auch einige Freunde und Bekannte, die Magda und ich bereits in Rodaklippa hatten, waren gekommen.



    Nur ein Gast, auf den Magda doch so sehnsüchtig wartete, ließ sich nicht blicken. Immer wieder lief sie in die Küche und starrte durch das Fenster auf die Straße und zur U-Bahn-Station, in der Hoffnung, Ron würde dort jeden Moment auftauchen. Doch leider fehlte von ihm, selbst zwei Stunden nachdem die Party offiziell begonnen hatte, jede Spur.



    Ich war derweil vollauf damit beschäftigt, den Gästen, und insbesondere meinen Eltern, zu erklären, wieso die Tür zum Schlafzimmer so verkohlt war. Und so im Kreis der Familie machte es mir sogar richtig Spaß, von meiner Heldentat zu berichten. Mama war hingegen von der Geschichte entsetzt und versprach mir, gleich morgen früh einen Rauchmelder vorbeizubringen.



    Magda wollte die Hoffnung immer noch nicht aufgeben. Gleich würde Ron auftauchen. Bestimmt war ihm nur etwas sehr wichtiges dazwischen gekommen. Immer wieder kontrollierte sie ihr Handy, ob er angerufen oder ihr eine Nachricht hinterlassen hatte. Doch das Display blieb so leer wie die Straße vor unserem Haus.



    Die letzten Gäste verließen die Party kurz nach Mitternacht. Und ich fand, das war schon ganz schön spät dafür, dass es bei uns weder Musik, noch Essen oder etwas zu trinken gab. Als Gastgeberin musste ich echt noch an mir arbeiten. Magda hatte sich schon deutlich früher ins Bett verkrochen. Und im Licht der Deckenlampe konnte ich genau erkennen, dass sie sich in den Schlaf geweint hatte. Meine Cousine tat mir in diesem Moment furchtbar leid. Ich hoffte, sie würde über diesen Ron schnell hinweg kommen.






    Magda wälzte sich die halbe Nacht hin und her. Irgendwann schliefen wir beide dann ein. Doch bereits am frühen Morgen riss uns das Klingeln der Tür aus dem Schlaf. "Das ist bestimmt Ron!", rief Magda aufgeregt, sprang aus dem Bett und lief zur Tür.



    In freudiger Erwartung riss sie die Eingangstür auf. Doch ihre Gesichtszüge entglitten ihr, als sie erkannte, dass dort vor der Tür keineswegs Ron stand, sondern eine Person, der sie lieber noch eine Weile aus dem Weg gegangen wäre.



    Dort stand eine Frau im weißen Hosenanzug. Sie hatte die fünfzig bereits überschritten, dennoch hatte sie einen durchtrainierten Körper und der tiefe Ausschnitt ihres Oberteils gab den Blick auf ihre immer noch straffe Haut frei. Sie hätte trotz ihres Alters noch immer sehr schön sein können, wäre da nicht dieser finstere Blick gewesen. "Guten Morgen, Tochter", begrüßte sie Magda mit bedrohlichem Unterton in der Stimme. "Ich denke es ist an der Zeit, dass wir diesem kleinen Katz-und-Maus-Spiel endlich ein Ende setzen."



    Gedanken


    Oh je, Tante Joanna, sah wirklich fuchsteufelswild aus. Magda tat mir wirklich leid. Ja, ich geb es ja zu, manchmal konnte meine Cousine mich echt in den Wahnsinn treiben. Sie schien ständig nur an sich selbst zu denken und ihre eigenen Bedürfnisse befriedigen zu wollen. Und dabei teilte sie nur zu gern Seitenhiebe aus. Ich musste ihr aber zugutehalten, dass sie das nicht zu bemerken schien. Und da ich an das Gute im Menschen glaubte, war ich überzeugt, dass Magda auch nicht die Absicht hegte, mich oder andere Menschen in ihrer Umgebung zu verhöhnen und zu demütigen. Sie war halt wie ein Elefant im Gefühlsporzelanladen ihrer Mitmenschen.


    Aus ihrem Plan, nur ein paar Tage bei mir bleiben zu wollen, waren inzwischen fast drei Wochen geworden. Am Anfang hatte ich mich ja noch geärgert, aber inzwischen wollte ich gar nicht mehr, dass Magda wieder ging. Bei all ihren Fehlern gab sie mir doch das Gefühl, nicht so allein zu sein. Und wenn man sie auf dem richtigen Fuß erwischte, konnte sie ja sogar ganz nett sein. Sie war bloß so sehr in sich selbst verliebt, was wohl daran lag, dass sie im Allgemeinen sehr gut bei Männern ankam. Und Sinn für Humor hatte sie auch. Dummerweise war ich nur meist das Ziel ihrer Späßchen. Und auf dem Deckel hatte sie auch einiges. Ich konnte schon verstehen, warum Tante Joanna so wütend darüber war, dass Magda einfach so das Studium abbrach. Zumal sie auch noch ein Händchen fürs Handwerk aufwies. Ich hatte noch niemanden so schnell die Dusche wieder reparieren sehen. Zu dumm nur, dass Madam sich nur im äußersten Notfall dazu herabließ, den Schraubenschlüssel selbst in die Hand zu nehmen. Denn Magda hatte eigentlich immer nur eins im Kopf und das waren Partys. Kein Wunder also, dass dieser Charakterzug den Studienplänen meiner Tante im Wege stand.


    Ich hatte mich inzwischen sehr gut wieder in Rodaklippa eingelebt. All meine Befürchtungen, dass meine Eltern mich erst anschreien, dann hassen und schließlich aus der Stadt verjagen würden, wenn sie erführen, dass ich mein Mathematikstudium nicht gepackt habe, entpuppten sich zum Glück als bloße Hirngespinste meiner all zu regen Fantasie. Mit dem Geld was ich während des Studiums gespart hatte, konnte ich mir ein Haus, zugegeben ein altes und baufälliges Haus, aber immerhin ein Haus, leisten. Danach war mein Konto so gut wie leer. Doch als sich rausstellte, dass Magda so schnell nicht wieder ausziehen würde, drückte sie mir einen Umschlag mit einigen 100 § in die Hand, ohne dass ich sie danach hätte fragen müssen. So sah es auf unserem Haushaltskonto zurzeit sehr gut aus.


    Und zusätzliches Geld floss durch den Verkauf meiner Bilder in die Haushaltskasse! Mein erstes Bild, was ich in die Galerie gebracht hatte, verkaufte sich gleich für 36 §. Und mir gelangen zwei weitere Verkäufe, wobei das letzte Bild sogar unglaubliche 100 § einbrachte! Gut, bei diesen Verkaufspreisen wurden gerade so meine Materialkosten gedeckt, aber ich war mir sicher, dass das erst der Anfang war. Ich spürte es genau, dass ich noch eine großartige Künstlerin werden würde.

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  • Was bisher geschah:
    (Zusammenfassung der bisherigen Kapitel)


    Vor einigen Wochen kaufte ich mir ein baufälliges Haus in Rodaklippa, der Stadt in der meine Eltern lebten und in der ich meine Teenagerjahre verlebt hatte. Ich hatte meine Eltern nicht über den Umzug informiert, denn das bedeutete ihnen eingestehen zu müssen, dass ich mein Studium abgebrochen hatte. Ich hatte versagt. Schlussendlich konnte ich das Geheimnis aber doch nicht für mich bewahren und meine Eltern versprachen mir, mich zu unterstützen, wie auch immer ich mein zukünftiges Leben gestalten wollte. Ich hatte schon immer sehr gerne gemalt und so versuchte ich, mein Hobby zum Beruf zu machen und mich als freischaffende Malerin zu versuchen. Eines Tages stand meine Cousine Magda vor meiner Haustür und bat mich, ein paar Tage bei mir übernachten zu können. Leider war meine Cousine eine recht oberflächliche und egozentrische Person, die mich bei jeder Gelegenheit spüren ließ, dass ich mit ihrer Schönheit nicht mithalten konnte. Und aus den Tagen, die sie bei mir bleiben wollte wurden Wochen. Langsam aber sicher gewöhnten wir uns an das gemeinsame Zusammenleben, bis eines Tages jemand an unsere Tür klingelte. Und als Magda die Tür öffnet, stand dort eine Frau im weißen Hosenanzug, die sie finster anblickte: Ihre Mutter.


    Kapitel 8: Wolf und Lämmchen




    Magda verschlug es die Sprache. Was jetzt? Sollte sie losschreien, davonlaufen, ihre Mutter anbrüllen? Alles war besser, als einfach nur wie zur Salzsäule erstarrt vor ihr zu stehen. Langsam wurde ihre Mutter ungeduldig. „Willst du mich gar nicht hereinbitten?“, fragte sie. „Habe ich dich etwa so schlecht erzogen?“ Langsam erwachte Magda aus ihrer Schockstarre. „Nein, nein“, stammelte sie, immer noch überrumpelt vom plötzlichen Auftauchen ihrer Mutter. „Komm nur herein.“ Tante Joanna folgte ihrer Aufforderung umgehend, ohne abzuwarten, bis ihre Tochter sich wieder gesammelt hatte.




    Magda brauchte einige Sekunden um sich wieder zu fangen. Zitternd lehnte sie sich an die Hauswand und füllte ihr Herz in ihrem Brustkorb rasen. Langsam begann ihr Gehirn wieder seine Arbeit aufzunehmen und ihr wurde bewusst, dass sie lediglich einen Pyjama trug. So konnte sie ihrer Mutter einfach nicht entgegentreten. In diesem Aufzug fühlte sie sich ihr zu schutzlos ausgeliefert. Also lief sie schnell ins Schlafzimmer und zog ihren blauen Einteiler an.




    Selbstbewusst war ihre Mutter ins Haus getreten und sah sich darin um. Und offenbar gefiel ihr nicht wirklich, was sie hier vorfand. Aber ich konnte es ihr nicht einmal verübeln. Das Haus glich immer noch mehr einer Baracke, als einem gemütlichen Zuhause. Ich würde mich demnächst dringend um die Innenausstattung kümmern müssen. Fertig umgezogen, folgte Magda ihrer Mutter ins Wohnzimmer.




    „Was…was erwartest du jetzt von mir, Mutter?“, fragte sie vorsichtig, nachdem Tante Joanna die Begutachtung des Raumes abgeschlossen hatte. „Soll ich meine Sachen packen und mit dir nach SimCity zurück kehren?“ Es war eigentlich mehr eine Feststellung als eine Frage und sie ließ ihre Schultern bereits mutlos hängen. Magda war überzeugt davon, dass mit dem Besuch ihrer Mutter ihre kleine Flucht hier und jetzt ein Ende gefunden hatte. Und sie sah den mühseligen und langweiligen Studienalltag wieder auf sich zukommen.



    Sie war daher schon auf halben Weg zum Schlafzimmer, um ihren Koffer zu holen, als ihre Mutter sie mit ihrer Erwiderung überraschte. „Ich erwarte von dir, dass du nicht einfach so davonläufst und dich aus Angst vor den Konsequenzen versteckst. Ich habe dich nicht zu einem Feigling erzogen.“ Magda drehte sich langsam zu ihrer Mutter um und begegnete ihrem eindringlichen Blick. Ein kalter Schauer durchlief dabei ihren ganzen Körper. „Wenn du dein Studium abbrechen willst“, setzte Tante Joanna fort, „dann stehe auch zu deiner Entscheidung! Ich hätte von dir erwartet, dass du den Mut aufgebracht hättest zu deinem Vater und mir zu kommen und für deine Entscheidung einzutreten.“




    Magda war sichtlich verwirrt. „Heißt das, ich muss nicht zurück an die Uni?“, fragte sie in der festen Überzeugung, ihre Mutter falsch verstanden zu haben. „Du bist erwachsen, Magda“, erwiderte diese. „Du kannst machen, was immer du für richtig hältst. Dein Vater und ich können dich zu nichts mehr zwingen. Aber dir muss auch klar sein, dass jede Entscheidung Folgen nach sich zieht.“




    Da war also der Hacken, auf den Magda gewartet hatte. Es wäre sonst auch zu schön gewesen, um wahr zu sein, wenn ihre Mutter ihr so ohne jegliche Bedingung gestattet hätte, in Rodaklippa zu bleiben. Aber Magda hatte keine Lust ihr ödes Studium wieder aufzunehmen. Wie schlimm konnte im Vergleich dazu die Alternative, die ihre Mutter ihr anbot, schon sein? „Was für Konsequenzen wären das denn?“, fragte sie, darum bemüht möglichst gleichgültig zu klingen. Es war ja nicht nötig ihrer Mutter direkt auf die Nase zu binden, dass sie sich schon längst entschlossen hatte. Doch ihr Grinsen verriet nur zu deutlich, was in ihrem Kopf vor sich ging.




    „Nun, die Konsequenz ist ganz einfach die, dass du in Zukunft für deinen eigenen Unterhalt wirst aufkommen müssen“, erwiderte ihre Mutter und Magda entging die tiefe Befriedigung in ihrer Stimme nicht. „Du kannst nicht erwarten, dass dein Vater und ich weiter dafür aufkommen, dass du deine Tage mit Feiern und Partys verbringst.“ Sie wollten ihr den Geldhahn abdrehen? Magda wäre fast wie ein Häufchen Elend in sich zusammen gesunken und schlug die Hände vorm Gesicht zusammen. Was nutze es ihr, wenn sie zwar den langweiligen Vorlesungen entronnen war, dafür nun aber kein Geld mehr zur Verfügung hatte. Das war so unfair! Ihre Eltern waren doch steinreich, da konnten sie ihrer eigenen Tochter doch wohl etwas von diesem Reichtum abgeben.




    „Bekomme ich etwa gar nichts mehr?“, startete Magda einen letzten
    verzweifelten Versuch. „Nicht mal ein bisschen?“ Tante Joanna grinste zufrieden. „Die Überweisung deines ‚Taschengeldes‘ wurde bereits gestoppt und deine Kreditkarten sind gesperrt.“ „Auch die Goldene?“, schrie Magda entsetzt. Ihre Augen glänzten feucht, kurz davor, in Tränen auszubrechen. Ihre Mutter stemmte eine Hand in die Hüfte und begann sich mit der anderen ihren Nacken zu massieren. „Magda, Liebes, es liegt ganz bei dir, ob wir dich weiter unterstützen“, flötete sie. „Sobald du wieder an der Uni bist und gute Prüfungsresultate ablieferst, werden dein Vater und ich uns wieder großzügig zeigen. Wir sind doch keine Unmenschen.“




    Magda stand vor einem großen Dilemma. Was sollte sie bloß tun? Sie hasste die Uni. All das Lernen und die Prüfungen waren nur langweilig und anstrengend. Und die Männer an ihrem Campus waren auch zu nichts zu gebrauchen. Alles nur Streber und Langeweiler. Sie wollte ihr Leben genieße, solange sie noch jung war. Aber wie sollte das ohne Geld möglich sein? Ihre Mutter wusste genau, wie sie sie erpressen konnte. Erst in diesem Augenblick wurde Magda klar, dass genau das ihr Plan war. Sie wollte sie kleinkriegen. Sie wollte Magda in dem Glauben lassen, sie könne sich frei entscheiden. Aber in Wahrheit wollte sie sie nur dazu bringen, ihr Studium wieder aufzunehmen.




    Und diese Erkenntnis weckte den Trotz in Magda. „Gut, dann werde ich die Konsequenzen eben tragen“, erklärte sie bestimmt. „Ich werde hier bei Klaudia bleiben. Es gefällt mir hier. Und du wirst sehen, dass ich auch gut ohne euer Geld zu Recht kommen werde.“ Der Mut ihrer Tochter überraschte meine Tante und sie sog eine Augenbraue in die Höhe. Einige Sekunden lang starrte sie Magda durchdringend an. Magda spürte den Druck dieses Blickes, der wie ein Gewicht immer schwerer auf sie niederdrückte. Doch sie hielt dem Druck stand. „Gut“, sagte Tante Joanna schließlich, „ich wünsche dir, dass sich diese Entscheidung als die richtige für dich entpuppt. Ansonsten kennst du die Bedingungen, unter denen du auf unsere Hilfe zählen kannst.“




    Auch diese Hilfe konnte Magda gut verzichten…vorerst. Daher verkniff sie sich ihre bissige Bemerkung und ließe es bei dem Kompromiss bewenden, den sie mit ihrer Mutter ausgehandelt hatte. Wie schwer konnte es schon sein, sich den Lebensunterhalt selbst zu verdienen? Inzwischen war auch ich aufgewacht und hatte mich angezogen. Durch die Schlafzimmertür hatte ich Tante Joannas Stimme bereits erkannt und ich freute mich darauf, sie begrüßen zu können.




    Auf Tante Joannas Gesicht erschien ein warmes Lachen, als sie mich sah. Magda fiel es schwer, einen Wutschrei zu unterdrücken. Wie könnte ihre Mutter sich bloß in einer Sekunde vom zähnefletschenden Wolf in ein sanftes Lämmchen verwandeln? Und warum passierte das ihrer Mutter nicht beim Anblick der eigenen Tochter, sondern bei dem der Nichte? „Ich würde dir ja einen Kaffee anbieten, Tante Joanna“, sagte ich nach abgeschlossener Begrüßung, „aber ich habe leider keine Kaffeemaschine und unsere einzige Sitzgelegenheit wurde letztens gepfändet.“ Betroffen blickte ich zu Boden. „Das macht doch gar nicht“, entgegnete Tante Joanna. Dann wand sie sich an Magda: „Magda, Schatz, dir macht es doch nichts aus eben in die Stadt zu fahren und uns allen einen Cappuccino mitzubringen?“




    Magda sah ihre Mutter finster an, doch dann drehte sie sich ohne ein weiteres Wort um und verließ das Haus. Das laute knallen der Tür war ein deutlicher Hinweis, dass sie nicht gut gelaunt war. Tante Joanna und ich gingen derweil hinaus in den Garten. „Ist es in Ordnung für dich, wenn Magda etwas länger bei dir wohnen bleibt?“, fragte sie mich. Diese Frage hatte ich mir schon selbst gestellt, weil ich seit längerem vermutete, dass Magda nicht so schnell wieder verschwinden würde. Und auch wenn meine Cousine mich manchmal wirklich, wirklich ärgerte, so war es doch schön, nicht ganz alleine in diesem Haus zu sein. „Magda kann gerne so lange bleiben, wie sie will“, antwortete ich daher wahrheitsgemäß ohne langes Zögern.




    Erneut zeigte mir Tante Joanna ihr warmes Lächeln. „Aber lass dich von meiner Tochter bloß nicht ausnutzen“, ermahnte sie mich. „Sie ist sehr geschickt darin, andere ihre Arbeit machen zu lassen. Wenn sie dich im Haushalt nicht unterstütz und dir keine Miete bezahlt, dann lass es mich wissen.“ Bei diesen Worten begann ich mich unbehaglich zu winden. „Ok, ich sehe schon, sie hat bislang keinen Finger gerührt“, schloss meine Tante aus meinem Verhalten. „Ich denke aber, dass sich das nach meinem heutigen Gespräch mit ihr ändern wird.“ Ich lächelte unsicher. So ganz wollte ich ihren Worten noch nicht glauben. Aber wer weiß, vielleicht würde Magda mich ja doch noch überraschen?

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  • Kapitel 9: Auf gute Nachbarschaft





    Magdas Mutter hatte sie in die Stadt geschickt, um uns allen ein heißes Getränk zu besorgen. Etwa eine halbe Stunde später kehrte meine Cousine mit drei heißen Cappuccino-Bechern nach Hause zurück. „Bin wieder da“, rief sie und stelle ihre Fracht auf dem Tisch im Wohnzimmer ab. „Mutter…Klaudia…wo seid ihr?“, rief sie verwirrt, als sie uns nicht entdecken konnte.




    „Hier hinten“, antwortete ich leise um meine eigene Konzentration nicht zu stören. Vorsichtig vollendete ich den letzten Pinselstrich und schaute mein Werk zufrieden an. „Deine Mutter ist schon wieder gegangen“, erklärte ich Magda. „Sie wollte noch zu meiner Mama. Die beiden haben sich länger nicht mehr getroffen.“ Hätte ich zu Magda rüber geschaut, hätte ich gesehen, wie ihr Kopf sich langsam rot färbte. Stattdessen hörte ich sie nur ein wütendes Aufschreien und das Knallen der Schlafzimmertür.




    Doch ich nahm davon kaum Notiz. Ich hatte nur Augen für mein Bild. Ich nahm es von der Staffelei und hängte es an einen Nagel, den ich vor ein paar Tagen extra für diesen Zweck in die Wand gehauen hatte. So konnte ich das Bild viel besser begutachten. Und was ich sah, gefiel mir. Es gefiel mir sogar so gut, dass ich ohne zu zögern mein Handy zückte und meine Galeristin Melinda anrief um ihr mein neustes Werk anzubieten.






    Melinda hängte dieses Bild in ihrer Galerie auf und auch noch einige weitere in den folgenden Wochen. Und tatsächlich gelang es ihr auch, die Bilder zu verkaufen. Viel bekam ich nicht für meine Kunst, aber es reichte, um die laufenden Rechnungen zu bezahlen. Und es blieb sogar genug übrig, um das Haus endlich zu verschönern. Mit der Hilfe meines Vaters schliff ich die alten Böden ab, strich die Fensterrahmen und Türen und besorgte noch etliche Möbel vom Flohmarkt. Langsam wurde das Haus richtig wohnlich. Die Küche war nun voll ausgestattet und endlich musste ich mich nicht länger von kalter Dosensuppe und Marmeladenbroten ernähren. Man hätte meinen können, dass bei einer so kärglichen Kost die Pfunde nur so purzelten, doch bei mir trat eher das Gegenteil ein. Ich war also froh, zur Abwechslung auch mal was Gesundes kochen zu können.




    Doch eine Küche mit Herd und Kochutensilien war noch lange kein Garant dafür, dass man darin auch wirklich etwas Essbares fabrizieren konnte. Bei meiner Mama musste ich nie selbst kochen und während meiner Zeit an der Uni habe ich immer in der Mensa gegessen. So kam es öfter vor, dass Magda und ich darum bemüht waren noch etwas Genießbares unter einer schwarz verbrannten Kruste zu finden. Magda versuchte gerade ein Stückchen verbrannten Käse runterzuschlucken, welches sich in ihrer Speiseröhre festzusetzen drohte, als ich sie ganz unschuldig danach fragte, ob sie denn nun endlich einen Job gefunden hätte.




    Kaum war dieses Thema auf dem Tisch, war der Käse auch schon wieder vergessen. „Mensch, Claude, nerv mich doch nicht ständig!“, erwiderte sie genervt. „Ich hab dir doch gesagt, dass ich Zeit brauche um zu überlegen, was ich mit meinem Leben anfangen will. Ich will nicht einfach irgendwas machen. Es muss schon zu mir passen.“ Dagegen sprach ja auch gar nichts. Nur überlegte sie jetzt schon seit Wochen…und das bevorzugt feiernd in irgendwelchen Bars und Kneipen.





    Den Rest des Tages war Magda einfach nur wütend auf mich. Sie schmollte erst alleine im Schlafzimmer, doch das wurde ihr schnell zu langweilig. Also zog sie ihr Partyoutfit an und ging rüber in die Jazz-Bar an der Ecke. Immer noch sauer auf mich setzte sie sich an die Bar und bestellte einen Drink. Und dann begann sie wirklich nachzudenken…denn für den Drink musste sie ihr letztes Geld ausgeben. Es wurde Zeit, dass sie einen Job fand. Aber was sollte sie bloß machen? Eines war klar, der Job musste viel Geld einbringen und er durfte auf keinen Fall anstrengend sein.




    Wie wäre es mit Verkäuferin in einem Klamottenladen? Nee, da musste man zu früh aufstehen. Oder vielleicht Bardame in einem der Clubs in der Stadt? Nee, da verdiente man zu wenig. Dann fiel ihr Blick plötzlich auf den Mann am Piano und langsam formte sich eine Idee in ihrem Kopf. Irgendetwas mit Musik wäre doch cool. Ein bisschen Musik spielen, noch etwas singen und schon bald wäre sie ein richtiger Star. Ja, ein Star, das war es, was sie werden wollte!




    Als der Pianist schließlich eine Pause einlegte, zögerte Magda nicht, um mit ihm ins Gespräch zu kommen. Und sie kam auch gleich zur Sache. Arbeitszeit, Vergütung, alles wurde ausgefragt. Der Pianist gab ihr den Rat, sich einmal bei der Konzerthalle zu melden. Dort wurden immer mal wieder junge talentierte Musiker gesucht. Und das würde Magda auch tun. Endlich hatte sie einen Plan für ihre Zukunft.




    Erstaunlicherweise war sie auch am nächsten Morgen noch fest entschlossen, ein Musikstar zu werden. Also machte Magda sich auf zur Konzerthalle. Ihrem Smartphone und dem Internet zum Dank fand sie die besagte Konzerthalle auch leicht. Sie staunte allerdings nicht schlecht, als sie altes Kino vorfand, das seine besten Jahre auch schon hinter sich hatte. Aber was wollte sie von einer Kleinstadt wie Rodaklippa auch erwarten? Wenn sie erst einmal berühmt war, dann konnte sie ja in die großen Hallen in SimCity, SimVegas und Simtropolis füllen.






    Während Magda versuchte einen Job zu ergattern, stand ich vor dem Fenster im Wohnzimmer und starrte auf unser neues Nachbarhaus. Es war ganz hübsch geworden. Etwas altbacken vielleicht, aber trotzdem sehr nett. Und die Bewohner waren vermutlich auch nett. In meinem Inneren tobte ein Kampf. Sollte ich einfach mal rüber gehen und mich vorstellen? Immerhin waren wir Nachbarn, da wäre es doch nett, sich kennenzulernen. Aber meine eigene Schüchternheit stand mir mal wieder im Weg.




    Es dauerte lange, aber irgendwann überzeugte ich mich selbst, dass mir schon niemand den Kopf abreißen würde, wenn ich mich einfach mal vorstelle. Und vielleicht war auch gar niemand Zuhause? Und wenn doch, mehr als ein paar Worte würden wir ohnehin nicht wechseln, was sollte also schon passieren? Ich ging daher hinüber und klingelte. Ich wartet, doch niemand d öffnete. Erleichterung machte sich in mir breit und ich ging die Treppe der Veranda wieder hinunter. Immerhin hatte ich guten Willen bewiesen, mehr konnte man nicht erwarten. Doch dann öffnete sich die Haustür doch noch. Eine ältere Dame kam heraus und ging auf mich zu. „Sie sind doch unsere Nachbarin“, begrüßte sie mich freundlich. „Ich habe sie schon ein paar Mal durchs Fenster gesehen. Mein Name ist Lutzenbacher, Agatha Lutzenbacher.“ „Klaudia Blech“, stellte ich mich im Gegenzug vor. „Es ist schön Sie kennenzulernen.“




    Frau Lutzenbacher lud mich sofort zu sich nach Hause ein. Sie bot mir einen Kaffee an, den ich aber dankend ablehnte und dann setzten wir uns auf die Wohnzimmercouch und sie begann mir von ihrer Familie zu erzählen. Sie war seit über vierzig Jahren verheiratet, ihr Mann Franz Josef hat früher als Wissenschaftler gearbeitet, doch inzwischen war er im Ruhestand. Dafür ist ihr älterer Sohn Adalbert in die Fußstapfen des Vaters getreten. Er hat gerade einen neuen Job im wissenschaftlichen Institut von Rodaklippa angenommen, daher auch der Umzug von Simfort hierher. Dann erzählte sie mir noch von ihrer Tochter Eulalia und ihrem jüngsten Sohn Gernot.




    Ich stellte schnell fest, dass Frau Lutzenbacher sehr gesprächig war. Ich kam kaum dazu, ihr auch etwas von meiner Familie zu erzählen. Nach gut einer Stunde teilte ich Frau Lutzenbacher mit, dass ich nun langsam gehen müsste. Wir erhoben uns vom Sofa und sie begleitete mich zur Haustür. Ich lächelte verlegen, weil ich nicht wusste, wie ich das Treffen nun beenden sollte. Doch das übernahm Frau Lutzenbacher für mich. „Auf gute Nachbarschaft, Frau Blech“, sagte sie zum Abschied. Und nach diesem netten Zusammentreffen hatte ich keine Zweifel, dass wir gut miteinander auskommen würden.

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  • Kapitel 10: Aufsteigender Rauch




    Ich weiß zwar nicht wie sie es angestellt hatte, aber es war Magda doch tatsächlich gelungen, sich einen Job zu angeln. Kaum hatte sie das Konzerthaus verlassen, griff sich auch schon nach ihrem Handy und wählte Rons Nummer. Sie bat ihn zu ihr zu kommen und kurze Zeit später traf er im Park an der Strandpromenade ein. „Ich hab einen Job!“, begrüßte sie ihn laut quietschend, als er zu ihr herüber schlenderte. Dabei klatschte sie euphorisch in die Hände. Ihr Gesicht war ein einziges Grinsen. Und die Freunde über den neuen Job war nicht der einzige Grund dafür. Nachdem Ron sie damals auf der Party versetzt hatte, rechnete sie jedes Mal aufs Neue damit, dass er wieder eine Verabredung platzen lassen würde. Doch heute wurde sie nicht enttäuscht.



    „Das freut mich für dich, Schatz“, erwiderte er und meinte es aufrichtig. „Was sind denn deine Aufgaben?“ „Ach, nichts besonderes“, winkte Magda ab. „Ich soll wohl einfach für die anstehenden Konzerte die Werbetrommel rühren. Flyer verteilen und dabei nett lächeln.“ „Nett lächeln kannst du in jedem Fall“. Bei diesen Worten ergriff Ron Magdas Hände. „Schön, dass du gleich gekommen bist“, hauchte sie und blickte ihn schüchtern an. Ron merkte gleich, dass sie immer noch verunsichert darüber war, dass er der Einladung zu ihrer Party nicht gefolgt war. Er hatte sich zwar schon mehrmals entschuldigt, aber er wiederholte es lieber einmal zu viel als zu wenig. „Ich verspreche dir, dich nie wieder zu versetzten, Schatz. Aber ich hatte sehr wichtige Gründe, warum ich nicht zur Party kommen konnte. Das musst du mir glauben.“



    Mit diesen Worten zog er sie zu sich heran und küsste sie. Magdalena schmolz förmlich dahin. Wer konnte diesen Lippen schon widerstehen? Sie vertraute ihm vollkommen…zumindest fast. Wenn er ihr doch einfach sagen würde, was diese wichtigen Gründe genau waren. Dann wäre alles so viel einfacher. Aber…oh, diese Lippen…





    Da Magda noch am gleichen Tag anfing zu arbeiten, konnte sie mir die gute Neuigkeit erst am nächsten Morgen mitteilen. Obwohl das Austeilen der Flyer insgesamt wenig anspruchsvoll war, war sie immer noch Feuer und Flamme für die Idee, ein Musik-Star zu werden. Sie sprang aufgeregt um mich herum, als sie mir die guten Neuigkeiten überbrachte und ich kann gar nicht sagen wie es passiert war, aber plötzlich rannten wir mit Kissen bewaffnet durchs Wohnzimmer und schlugen laut lachend aufeinander ein. In solchen Momenten war ich richtig dankbar, Magda bei mir zu habe.



    Zur Feier des Tages entschlossen wir uns, unseren neuen Grill einzuweihen. Das Wetter war gut und ich hatte einfach riesigen Hunger auf Würstchen. „Für mich aber nur eines“, betonte Magda. „Ich muss auf meine Linie achten. So ein gesunder Apfel ist da viel besser.“ Sie ging zu unserem Apfelbaum und pflückte eine der reifen, roten Früchte. „Dir würde so ein Apfel übrigens auch nicht schaden, Claude. Ich will ja nichts sagen, aber deine Hose hättest du vielleicht lieber eine Nummer größer kaufen sollen.“ Tja, und das waren die Momente, in denen ich mich zurückhalten musste, Magda nicht die Augen mit der Grillzange auszustechen.




    Und zu allem Überfluss brannten mir die ollen Würstchen auch noch an! Ich wusste selber nicht, wie das passieren konnte. Ich war so damit beschäftigt, mir eine schlagfertige Erwiderung für Magdas letzte Gemeinheit einfallen zu lassen, dass erst der beißende Qualm der zu Steinkohle verbrannten Würstchen mich wieder in die Realität riss.



    Missmutig schaute ich die verbrannten Würstchen an. Vielleicht konnte man die schwarze Kruste ja noch abschaben? Ich packte sie also auf einen Teller und wollte damit in die Küche, als plötzlich Frau Lutzenbacher auf mich zugelaufen kam. „Fräulein Blech! Fräulein Blech!“, rief sie energisch. „So geht das aber nicht! Sie können doch hier nicht so einen Qualm verursachen! Der ganze Rauch von ihrem Grill zieht direkt in mein Schlafzimmer!“



    „Oh, Frau Lutzenbacher, das tut mir aber furchtbar leid“, stammelte ich verlegen. „Das Essen ist einfach in Brand geraten. Ich hab ja gleich versucht es zu löschen, aber dadurch hat der Grill nur noch mehr gequalmt. Entschuldigen sie bitte.“ Doch Frau Lutzenbachers Miene blieb finster. „Das mit dem vielen Qualm ist ja nur der Gipfel“, keifte sie. „Sie hätten uns vorwarnen müssen, dass sie überhaupt grillen wollen!“



    Inzwischen war auch Magda zu uns beiden gestoßen und mischte sich in das Gespräch ein. „Frau Lutzenbacher, richtig? Ich bin Magda, Klaudias Cousine“, stellte sie sich höflich vor, doch Frau Lutzenbacher musterte sie lediglich abschätzig. Magda blieb davon unbeeindruckt und sprach im ruhigen Ton weiter. „Es ist doch ein wenig übertrieben, dass wir ankündigen sollen, wann wir in unserem eigenen Garten grillen. Es ist ja nicht so, dass wir das täglich machen würden.“ Doch Frau Lutzenbacher hörte ihr gar nicht zu. „Genug, reden sie gar nicht weiter. Es gehört einfach zum guten Ton, dass man unter Nachbarn Rücksicht aufeinander nimmt. Oder haben sie schon einmal erlebt, dass wir ihr Haus mit Grillgestank verpestet hätten? Nein! Und jetzt ist alles gesagt. Ich hoffe, so etwas wird nicht noch einmal vorkommen!“



    Ich stand wie angewurzelt da, zu geschockt, um irgendetwas sagen zu können. Frau Lutzenbacher drehte sich ohne ein weiteres Wort um und verschwand in ihrem Haus. „Blöde Kuh“, hörte ich Magda grummeln. Dann warf meine Cousine einen Blick auf die verbrannten Würstchen und entschied sich lieber eine Kleinigkeit in der Stadt zu essen bevor ihre Schicht begann. Somit blieb ich alleine zurück. Ich nahm mir ein Würstchen, kratzte die Schwarze Kruste ab und begann es zu essen. Und als ich so am Esstisch saß, stiegen die Tränen in mir hoch und ich konnte sie nicht unterdrücken. Ich wollte Frau Lutzenbacher doch nichts Böses.



    Den Rest des Tages verbrachte ich an der Staffelei in der Sicherheit meiner vier Wände. In den Garten wagte ich mich nicht mehr hinaus. Dennoch schweiften meine Gedanken immer wieder zu dem Streit mit Frau Lutzenbacher ab. Hatte meine Nachbarin vielleicht Recht? War ich wirklich zu rücksichtslos gewesen und hätte sie wegen des Grills vorwarnen müssen? Ich war mir vollkommen unsicher. Und eh ich es mich versah, hatte ich eine düstere, schwarz-braune Leinwand vor mir, die exakt das wiederspielgelte, was in meinem Inneren vor sich ging.



    Na toll, jetzt hatte ich auch noch eine Leinwand versaut. Dabei waren die doch so teuer und auf meinem Konto sah es nicht rosig aus. Meine Laune war auf dem Tiefpunkt angelangt, als ich unverhofft eine mir wohlbekannte Melodie von der Straße vernahm. Konnte es sein? Ja, wirklich! Trotz der späten Stunde fuhr ein Eiswagen die Straße herunter. Ich legte Palette und Pinsel hastig beiseite und lief auf die Straße hinaus. „Halt, ich will ein Eis!“, rief ich laut winkend. Der Wagen stoppt und um mich selbst für diesen furchtbaren Tag zu entschädigen, gönnte ich mir ein schönes, großes Erdbeereis mit Streuseln.



    Als Magda von ihrer Arbeit wiederkam, steuerte sie als erstes unseren Tiefkühlschrank an und holte sich ebenfalls ein Eis. In ihren abgetragenen Arbeitsklamotten, die im krassen Gegensatz zu der modischen und femininen Kleidung stand, die sie sonst im Alltag trug, hätte ich meine Cousine kaum erkannt. „Du wirst nicht glauben, wer auch in der Konzerthalle arbeitet, Claude“, begann sie aufgeregt zu erzählen, als ich mich zu ihr an den Tisch setzte. „Der Mann von der ollen Lutzenbacher, Franz Josef! Also wirklich, wer heißt denn heute noch so? Und er arbeitet dort nicht alleine, sondern auch noch mit seiner Tochter. Die hat einen noch bescheuerteren Namen als er. Eulalia. Aber das passt irgendwie, denn sie sieht auch aus wie eine Eule und sollte das Haus lieber nur nachts verlassen.“


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  • Kapitel 11: Falten im Gesicht




    Am nächsten Morgen bat mich Magda, sie in ein Café in der Stadt zu begleiten. Eigentlich hätte ich an meinem Bild weiter malen müssen und versuchen sollen zu retten, was zu retten war. Aber meiner Cousine lag dieser Besuch wirklich am Herzen, sodass ich schließlich zustimmte. Erst als wir uns an einen Tisch vor dem Café setzten und unseren Vanillelatte genossen, rückte sie mit dem Grund für diesen Ausflug heraus. „Claude, ich will dir endlich Ron vorstellen. Er hat versprochen, dass er mich in seiner Frühstückspause hier trifft.“



    Das weckte auch meine Neugier. Während Magda und ich auf das Erscheinen ihres geheimnisvollen Freundes warteten, unterhielten wir uns, hauptsächlich über den Auftritt von Frau Lutzenbacher am gestrigen Nachmittag. Doch Magda war nicht wirklich bei der Sache und schaute immer wieder ungeduldig auf ihre Uhr. Plötzlich sprang sie von ihrem Stuhl hoch. „Da ist er ja endlich“, rief sie entzückt. Ich folgte ihrem Blick, neugierig, wer mich da erwarten würde, doch bis auf einen Mann in mittleren Jahren im weißen T-Shirt und kurzen Hosen konnte ich niemanden entdecken.



    Meine Augen weiteten sich überrascht, als Magda genau auf diesen Mann zulief und ihn begeistert küsste. Das war also Ron? Aber…aber der war doch mindestens 40! Er hätte fast ihr Vater sein können.



    Magda löste sich widerstrebend von den Lippen ihres älteren Freundes. „Ron, ich möchte dir meine Cousine Claude vorstellen.“ Magda deutete in meine Richtung. Ron kam auf mich zu und reichte mir die Hand. „Schön dich endlich kennen zu lernen“, sagte er. „Magda hat mir viel von dir erzählt.“ Nun, von dir hat sie mir offensichtlich nicht genug erzählt, schoss es mir durch den Kopf. Magda war neben Ron getreten und blickte mich mit großen erwartungsvollen Augen an, sofort eine positive Bewertung zu ihrem neuen Freund erwartend. Und ich hätte ihr den Gefallen liebend gerne getan. Doch ich sah in Rons Gesicht und konnte die Falten, die deutlich auf seiner Stirn und um seien Augen herum zu sehen waren, nicht ignorieren.



    Ich starrte sie regelrecht an. Es war mir peinlich, aber ich konnte einfach nicht wegsehen. Es war wie bei einem schrecklichen Autounfall. „Schön…schön dich auch kennen zu lernen“, stotterte ich schließlich. Oh man, am liebsten wäre ich im Boden versunken. Hätte Magda mich nicht vorwarnen können? Dann wäre die ganze Situation weniger peinlich für uns alle geworden.

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    Ron trank einen Kaffee mit uns zusammen, musste dann aber schnell wieder zurück zu seiner Arbeit. Ich wechselte nur wenige Worte mit ihm. Grundsätzlich schien er wirklich nett zu sein, wäre da bloß nicht sein Alter. Ich konnte nicht verstehen, wieso Magda sich ausgerechnet in diesen Mann verliebt hatte. Zumal sie jeden Mann haben konnte. Ich lag auf dem Bett und las in einem Krimi, als Magda abends nach Hause kam. Sie begrüßte mich knapp und ging dann direkt auf den Spiegel im Schlafzimmer zu. „Findest du eigentlich, dass mich diese Arbeitsklamotten fett machen, Claude?“, fragte sie, strich sich ihre Haare sorgfältig aus dem Gesicht und mustert sich selbstkritisch im Spiegel.



    „Nein, überhaupt nicht“, versicherte ich meiner Cousine, was sofort ein zufriedenes Grinsen in ihr Gesicht zauberte. Langsam blätterte ich in meinem Krimi weiter, ohne auch nur eines der Worte auf der Seite gelesen zu haben. „Du Magda“, fragte ich ganz beiläufig, „wie alt ist Ron eigentlich?“ Magda warf mir einen fragenden Blick zu. „Ich hab noch gar nicht gefragt“, gestand sie. „Aber ich schätze mal, dass er so Anfang 40 ist.“



    Ich legte das Buch hastig zur Seite, ungeachtet der Tatsache, dass ich dabei mehrere der Seiten einknickte, und sprang vom Bett auf. Aufgeregt ging ich auf meine Cousine zu. „Aber Magda, findest du nicht, dass er viel zu alt für dich ist?“, fragte ich. „Euch trennen zwanzig Jahre, Magda. Zwanzig!“



    Doch Magda schien das ganz gleichgültig zu sein. Sie hob die Hände in Richtung Decke und zuckte mit den Schultern. „Was sind schon zwanzig Jahre, wenn man sich wirklich liebt?“, fragt sie. Ich erkannte, dass sie die Worte vollkommen ernst meinte. Ihr war der Altersunterschied tatsächlich egal. „Ron sieht immer noch fantastisch aus und ist fitter als so mancher in unserem Alter.“ Bei diesen Worten pikste sich mir in den Bauch um mir zu zeigen, dass er in jedem Fall fitter war, als ich. „Außerdem weiß er, wie man eine Frau behandelt, was man von den meisten Jungs in unserem Alter nicht behaupten kann. Und jetzt lass es gut sein, Claude. Ich weiß schon, was ich tue.“


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    Ich hoffte für Magda, dass sie wirklich wusste, was sie tat. Und vielleicht stimmte es sogar. Immerhin hatte sie auf dem Gebiet Männer sehr viel mehr Erfahrung als ich. Ich sollte mich da also besser raushalten. Wenige Tage später rief meine Galeristin Melinda Casgrove bei mir an. „Kaludia, schön dass ich Sie erreiche. Ein Kund hat sich gestern einige Ihrer Bilder in meiner Mappe angesehen und war sehr angetan. Leider sind die Bilder, an denen er am meisten interessiert war, schon verkauft. Ich habe ihm dann von dem Bild berichtet, an dem Sie aktuell arbeiten, und er hörte sich sehr interessiert an. Er lässt fragen, ob Sie nicht persönlich bei ihm mit dem Bild vorbeikommen könnten. Er wäre auch bereit, sehr gut zu bezahlen, wenn das Bild wirklich so gut ist, wie ich es ihm versprochen habe.“



    Melinda gab mir die Adresse des Kunden. Mein Herz raste zwar wie verrückt, weil ich mich einem Unbekannten stellen musste, aber ich wickelte die Leinwand dennoch in Papier, verstaute sie sicher in meinem Fahrradkorb und machte mich auf dem Weg. Am Ziel angekommen atmete ich tief durch und klingelte zaghaft, meine Worte bereits gut überlegt. Doch mein ganzes Konzept wurde durcheinander gewirbelt, als anstelle eines Mannes eine Frau mittleren Alters die Haustür öffnete. „Guten Tag“, begrüßte sie mich, ehe ich nur ein Wort sprechen konnte. „Sie müssen dann wohl Fräulein Blech sein, die Künstlerin von der uns Frau Casgrove erzählt hat. Kommen sie nur rein.“



    Ok, Augen zu und durch. Die Frau stellte sich als Bethany Wendigo vor und führte mich gleich ins Wohnzimmer. „So, Fräulein Blech, hier sehen sie das Objekt des Grauens.“ Mit einer ausschweifenden Handbewegung deutete sie auf die kahlen weißen Wände in dem ohnehin nur sehr spärlich eingerichteten Raum. „Ich liege meinem Mann schon seit Monaten in den Ohren, dass wir hier etwas Farbe hinein bringen müssen. Und ich hoffe, dass Sie uns da weiter helfen können.“ Ich sah Frau Wendigo unsicher an. Das Bild, welches ich mitgebracht hatte, war durchaus farbenfroh. Und ich konnte mir sogar gut vorstellen, dass es in diesen Raum passte. Aber würde die Kundin das genauso sehen?



    Das würde ich nur erfahren, wenn ich es versuchte. Ich entschuldigte mich kurz und lief schnell zu meinem Fahrrad, um das Bild zu holen. Ich brauchte das Papier nur anzuheben, um Frau Wendigo ein „entzückend“ zu entlocken. „Hängen Sie es bitte gleich auf“, forderte sie mich auf. Zum Glück befand sich in der Wand bereits ein Nagel, den ich nutzen konnte. Ich richtet das Bild ein letztes Mal aus, als ich Schritte im Wohnzimmer hörte. „Cuthbert, schau doch mal, was für ein hinreißendes Gemälde“, rief Frau Wendigo erfreut, als ihr Mann näher trat. Dabei schlug sie enthusiastisch die Hände zusammen. „Der Raum beginnt schon förmlich vor Freude zu strahlen.“



    Während Frau Wendigo sich das Gemälde aus nächster Nähe besah, kam ihr Mann auf mich zu. „Sie können ja unschwer erkennen, dass meiner Frau ihr Werk sehr gefällt. Ich werde ihr wohl kaum ausreden können, es zu kaufen.“ Bei diesen Worten warf er seiner Frau einen spöttischen Blick zu. „Was wollen Sie also für das Bild?“ Mein Herz raste. Vor dieser Frage hatte ich die größte Angst gehabt. Was wenn ihm der Preis zu teuer war? Und was, wenn ich mich weit unter Wert verkaufte? Zum Glück hatte ich dieses Thema vorher mit Melinda besprochen. „320 §“, sagte ich daher so bestimmt wie möglich, wobei ich ein leichtes Zittern in der Stimme nicht unterdrücken konnte. Cuthbert Wendigo warf erneut einen Blick auf seine Frau, die jeden Pinselstrich einzeln mit dem Finger abfuhr. „Nun“, sagte er schließlich, „dieser Preis erscheint mir angemessen. Und wenn Sie noch weiter Bilder dieser Art haben, dann lassen sie es mich wissen. Ich sehe schon, dass meine Frau mit diesem einen Bild nicht befriedigt sein wird.“


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  • Kapitel 12: Gelbe Rosen




    Nicht nur ich verzeichnete erste berufliche Erfolge, nein, auch Magda kam ihren Wunsch, ein Star zu werden, ein klein wenig näher. „Ich soll einfach nur tanzen? Drei Stunden lang? Und ganz sicher angezogen?“, fragte sie immer wieder, als ihre Chefin ihr von einem Zusatzjob erzählte, den sie erledigen konnte. Und dafür sollte es auch noch 1000 § geben. Magda musste nicht lange überlegen und gab ihr Bestes auf der Tanzfläche. Das Problem war nur, dass in der Disko gähnende Leere herrschte. Ihre Gage erhielt sie zum Glück trotzdem.



    Doch zu ihrem Leidwesen sah ihr Arbeitsalltag nicht immer so glamourös aus. In der städtischen Konzerthalle fanden nicht eben viele Vorstellungen statt, also war Magda auch nicht zu oft damit beschäftigt, Flyer zu verteilen. Aber wie sie schon selbst bei ihrem ersten Besuch bemerkt hatte, hatte die Konzerthalle ihre besten Jahre bereits hinter sich. Und so gab es an jeder Ecke etwas auszubessern. Und weil echte Handwerker natürlich viel zu teuer sind, wurde Magda kurzerhand als eine Art Hausmeisterin eingewiesen.



    Ich verbrachte die nächsten Tage und Wochen vor meiner Leinwand. Der erfolgreiche Verkauf eines meiner Bilder inspirierte mich zu vielen weiteren Werken. Und diesmal hatte ich Lust viele, kräftige Farben zu verwenden. Mit den düsteren Bildern war es endgültig vorbei. Melinda schlug vor, dass wir eine Ausstellung nur mit Bildern von mir bei ihr in der Galerie veranstalten könnten. Diese Aussicht motivierte mich noch zusätzlich ein besonders großes Werk zu schaffen…im wahrsten Sinne des Wortes. Nicht das ich gerade heiß darauf war, mich den Blicken unzähliger Menschen zu stellen, aber meine Bilder durften sie ruhig bewundern. Ich würde mich einfach hinter einer der Statuen in der Galerie verbergen und alles aus meinem Versteck heraus beobachten.



    Natürlich hätte Melinda das nie zugelassen. Ihrer Auffassung nach musste ich auf die Leute zugehen, damit sie auch die Künstlerin hinter den Bildern kennen lernten und bereit waren, noch ein bisschen mehr für meine Arbeiten auszugeben. Ich malte fast vier Wochen am Stück und gönnte mir nur kurze Unterbrechungen. Aber dann hatte ich eine Serie von sieben Bildern fertig und Melinda kündigte die Ausstellung an. Als ich am Tag der Eröffnung klopfenden Herzens die Galerie betrat, fiel mein Blick sofort auf meine Bilder, die gut ausgeleuchtet an den weißen Wänden hingen. Ein Gefühl des Stolzes breitete sich bei diesem Anblick in meiner Brust aus.



    Meine Familie wurde zur Eröffnung selbstverständlich auch eingeladen. Mama betrachtete aufmerksam mein Hauptwerk, das große Landschaftsbild. Da sie mit dem Rücken zu mir gewandt stand, fiel mein Blick unweigerlich auch ihr hinten unheimlich tief ausgeschnittenes Abendkleid und ich errötet leicht bei diesem Anblick. Im selben Augenblick trat Papa an meine Seite. Auch er hatte Mama beobachtet „Ist deine Mutter nicht wunderschön?“, fragte er mich ohne einen Blick von ihr zu wenden. „Ja“, hauchte ich tonlos und ein zufriedenes Lächeln erschien auf den Lippen meines Vaters.



    Mama musste unsere Blicke gespürt haben, die auf ihrem Rücken ruhten, denn sie schaute mit einem Mal über ihre Schulter und sah in unsere Richtung. Ihr Blick fiel auf Papa und augenblicklich erschien ein zauberhaftes Lächeln auf ihrem Gesicht und ihre Augen begannen zu leuchten. In diesem Moment erschien sie wieder wie ein junges Mädchen.



    Ein ähnlicher Gesichtsausdruck beherrschte auch das Gesicht meines Vaters. Selbst ein Fremder hätte jetzt die Verliebtheit bemerkt, die zwischen meinen Eltern herrschte und das mehr als 30 Jahre nach ihrem Kennenlernen. Ja, die beiden hatten ihre schweren Zeiten gehabt, aber die hatten sie überwunden, weil ihre Gefühle füreinander stärker waren als alle Widrigkeiten, die sich ihnen in den Weg stellten.



    So sehr ich mich für meine Eltern auch freute, ich konnte ein Gefühl der tiefen Traurigkeit nicht verdrängen. Das was die beiden verband würde ich vermutlich nie kennenlernen. Kein Mann hatte mich bislang so angesehen, wie Papa es gerade bei Mama tat. Ich war 23 und immer noch ungeküsst. Doch wer konnte es den Männern auch verübeln? Ich war nun mal nicht schön. Aber ich wünschte mir doch so sehr einen Partner an meiner Seite, einen Mann, mit dem ich die Freunde über den heutigen Tag hätte teilen können, mit dem ich irgendwann eine eigene Familie gründen würde. Aber das schien für mich aussichtslos.



    Mama kam auf mich zu und riss mich aus meinen trüben Gedanken. „Ich bin so stolz auf die, Klaudia“, sagte sie und legte liebevoll ihre Hand auf meinen Oberarm. Ihre Augen leuchteten und ich wusste, dass sie diese Worte vollkommen aufrichtig meinte.



    Mama war wahrhaftig stolz auf mich! Ein breites Grinsen erschien auf meinem Gesicht. Endlich, nach all den Jahren, nach all meinen Misserfolgen sah ich, dass meine Mutter voll und ganz von mir überzeugt war. Ich hatte es geschafft, aus dem Schatten meiner älteren Schwester Kinga zu treten. Mir war klar, dass dieser Moment schnell wieder vorbei gehen könnte, daher versuchte ich ihn in mich aufzusaugen, um so lange wie möglich davon zehren zu können. Sie war stolz auf mich!



    Wir blieben etwa zwei Stunden in der Galerie. Im Anschluss lud ich meine Familie und Melinda zu mir nach Hause ein, um mit ihnen noch den Erfolg meiner ersten Ausstellung feiern zu können. Mama hatte extra dafür schon am Morgen einen Korb mit leckeren Speisen im Schlafzimmer deponiert, den sie nun auspackte. Es waren auch einige der Besucher der Galerie mitgekommen. Einer von ihnen war mein Nachbar Gernot, den ich bislang nur flüchtig vom Sehen her kannte, der sich aber in der Galerie sehr nett mit mir über mein gelbes Bild mit der Weinflasche unterhalten hatte.



    Nach dem Streit mit seiner Mutter vor ein paar Wochen, war ich zunächst nach eingeschüchterter als sonst beim Umgang mit mir unbekannten Menschen. Doch Gernot schien sehr nett und meine Bedenken, dass er mir wegen des Streites böse sein könnte verflogen spätestens, als er mir ganz überraschend einen Blumenstrauß überreichte. „Als Dankeschön dafür, dass Sie uns mit ihren wundervollen Bildern erfreut haben, Klaudia.“ Ich war sprachlos und überwältigt zur gleichen Zeit. Noch niemals hatte mir jemand einen Blumenstrauß überreicht…und schon gar nicht ein Mann. „Vielen Dank“, rief ich schließlich übermütig und nahm den duftenden Strauß entgegen. Meine Mutter beobachtete die Szene mit einem zufriedenen Grinsen auf den Lippen.



    In diesem Moment hatte ich alles andere um mich herum vergessen und so bemerkte ich auch nicht, wie Magda und Sky begannen Stühle und Tische nach draußen zu tragen und Papa den Grill anfeuerte und begann, Würstchen aufzulegen. Magda hatte offenbar schon wieder vollkommen vergessen, dass wir unserer Nachbarin Frau Lutzenbacher versprochen hatten, nicht ohne Vorankündigung im Garten zu grillen. Und ich war zu abgelenkt, um meinen Vater rechtzeitig von seinem Vorhaben abzubringen.



    Und so kam es, dass wenige Minuten später eine wütende Frau Lutzenbacher auf Papa zugelaufen kam. Ihr Gesicht glühte rot vor Zorn und sie schnaufte schwer, angestrengt von dem Sprint, den sie hingelegt hatte. „Sie! Sie können hier nicht einfach so einen unerträglichen Qualm verbreiten“, brüllte sie meinen Vater an. „Frau Blech! Kommen sie sofort heraus“, schrie sie dann in Richtung des Hauses. „Ich muss ihnen wohl noch Anstand und Ordnung beibringen!“

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  • Kapitel 13: Familienfehde




    Bis zu diesem Moment hatte ich mich angeregt mit Gernot unterhalten. Doch als ich Frau Lutzenbachers Stimme vernahm, fuhr ich erschrocken zusammen und beeilte mich in den Garten zu kommen. Ein Blick auf den glühenden Grill genügte um zu erkennen, wo das Problem lag. „Frau Lutzenbacher, es tut mir leid“, entschuldigte ich mich. „Es war nicht geplant gewesen zu grillen. Mein Vater hat das ganz spontan entschieden, sonst hätte ich Ihnen Bescheid gegeben.“ „Dafür ist es jetzt ja wohl zu spät“, entgegnete sie schnippisch. „Meine Bettwäsche ist wieder einmal ruiniert. Und überhaupt, Sie können doch nicht einfach so mitten am Tag eine Party veranstalten. Es ist Mittagsruhe und mein Mann und ich wollen unsere wohl verdiente Ruhe genießen, aber bei dem Lärm aus Ihrem Haus ist das völlig unmöglich.“ Ich war ja ein Mensch, der nur selten in Rage geriet und dies schon gar nicht nach außen hin zeigte. Doch mit ihrer völlig unbegründeten Anschuldigung hatte es Frau Lutzenbacher zu weit getrieben. „Man kann unsere Gespräche im Haus doch kaum hier im Garten hören. Wir spielen ja nicht einmal Musik. Würden Sie hier nicht so rumbrüllen, Frau Lutzenbacher, dann hätten wir alle unsere Ruhe!“ Mein Vater unternahm noch einen letzten Versuch, die Situation aufzulockern. „Frau Lutzenbacher, kommen Sie und ihr Mann doch einfach rüber und essen Sie etwas mit uns“, dabei präsentierte er ihr den Würstchenteller. „Es besteht doch kein Grund für Streitereien.“



    Doch das sah Agatha Lutzenbacher offenbar ganz anders. „Sie können sich Ihre Würstchen sonst wo hinstecken“, entgegnet sie giftig und gar nicht so damenhaft, wie sie sich sonst gerne gab. „Hätten Sie bei der Erziehung Ihrer Tochter nicht so eklatant versagt, dann hätten Wir heute auch keine Schwierigkeiten“, fügte sie schnippisch hinzu. Im selben Moment kam ihr Mann Franz Joseph auf uns zugelaufen. Ich hatte die leise Hoffnung, dass er seine Frau beruhigen wollte, doch dem war leider nicht so. Stattdessen stemmte er die Hände in die Hüften und blickte mich finster an. „Mein Frau Agatha hatte von vorneherein Recht, dass Sie und ihre Cousine mit zweifelhaftem Ruf uns nur Scherereien bereiten würden. In meinem Leben habe ich noch nicht so rücksichtslose Nachbarn wie Sie erlebt. Und das wo wir doch äußerst nachsichtig mit Ihren zahlreichen Vergehen waren.“



    Von welchen zahlreichen Vergehen Herr Lutzenbacher sprechen mochte, würde mir auf ewig ein Rätsel bleiben. Ich hatte keine Idee, was Magda und ich verbrochen haben sollten, außer dem einen unangekündigten Grillabend von vor einigen Wochen. Aber ich hatte auch nicht viel Zeit darüber nachzudenken, denn mit einem Mal brach um mich herum das totale Durcheinander aus. Mein Vater begann erst heftig mit Frau Lutzenbacher zu diskutieren und lieferte sich dann ein hitziges Wortgefecht mit deren Mann. Wie aus dem nichts tauchten auch noch Adalbert und Eulalia Lutzenbacher auf, die beiden Kinder von Agatha und Franz Joseph, die mit ihren rund vierzig Jahren immer noch bei den Eltern wohnten. Die beiden mischten sich umgehend in den Streit ein und auf meiner Seite traten auch noch Magda und meine Mutter in die Schlacht.



    Meine Mutter brüllte wütend Eulalia an, die es gewagt hatte, mich als „dicke Kuh“ zu bezeichnen. „Niemand beleidigt mein Pummelchen“, schrie sie diese an. „Besonders niemand, der eine Frisur wie ein Wischmopp auf dem Kopf trägt und dessen Nase wie eine angebissene Kartoffel im Gesicht klebt!“



    Eulalia warf daraufhin meiner Mutter einige unschöne Kraftausdrücke an den Kopf, die mich innerlich erröten ließen. Für einen Moment dachte ich, meine Mutter würde sich auf meine Nachbarin stürzen und sich mit ihr prügeln. Und ich vermute, dass lediglich die Sorge um ihr schönes Abendkleid sie davon abhielt.



    Magda brüllte in der Zwischenzeit Agatha Lutzenbacher an, die sie zum wiederholten Mal als Flittchen bezeichnet hatte. „Ja, verdammt, ich habe Brüste“, schrei sie und deutete auf ihre Oberweite. „Und ich schäme mich auch nicht, sie zu zeigen. Sie sind doch nur neidisch, weil sie nur noch zwei vertrocknete Backpflaumen da oben haben!“



    Und ich musste mich mit dem stotternden Adalbert rumärgern. Ein ums andere Mal warf er mir vor, seine Eltern mit meinem unverschämten Verhalten noch ins Grab zu bringen. Ich wusste genau, dass er mir in jeder anderen Situation damit ein schlechtes Gewissen hätte einreden können, aber nicht heute. Die Glücksmomente des heutigen Tages gaben mir ungewohnte Selbstsicherheit. Außerdem hatte ich mir einfach nichts vorzuwerfen und diese unbegründeten Anschuldigungen ließen eine ungekannte Wut in mir aufsteigen. „Es waren deine Eltern die den Streit begonnen haben“, schrie ich ihn an. „Wenn sie einer ins Grab bringt, dann sie sich selbst mit ihrer Kleinlichkeit und Streitsucht.“



    Ich glaube wirklich, dass wir alle uns im Gras wälzend und an den Haaren ziehenden geendet hätten, wäre Gernot nicht eingeschritten. „Mama, Papa, reißt euch zusammen“, rief er seine Eltern zur Besinnung. „Adalbert, Eulalia, ihr benehmt euch ja schlimmer als kleine Kinder. Es ist mir peinlich, Teil eurer Familie zu sein!“ Irgendwie drang er mit seinen Worten zu seiner Sippe durch, denn das Geschrei hörte mit einem Mal auf. „Geht ins Haus! Bitte!“, forderte er seine Eltern und Geschwister auf und diese leisteten, wenn auch widerwillig, folge.



    Dann wand er sich an mich. „Klaudia, es tut mir ja so wahnsinnig leid. Ich weiß auch nicht, was in meine Familie gefahren ist. Ich kann mich nur vielmals für ihr Benehmen bei euch allen Entschuldigen und hoffe, dass ihr meine Entschuldigung annehmt.“ Er blickte erst mich und dann auch den Rest meiner Familie reumütig an. Und dieser liebe Blick genügte, dass ich ihm keine Sekunde böse sein konnte und auch bereits begann zu vergessen wie seine Eltern und Geschwister sich noch eben aufgeführt hatten. „Schon in Ordnung“, erwiderte ich daher und Gernot nickte dankbar. „Ich werde lieber nach meiner Familie sehen und versuchen, sie zu beruhigen“, fügte er hinzu und lief dann schnellen Schrittes ins Haus seiner Eltern.



    Mein Vater war immer noch ganz außer Atem von der Aufregung, die sich eben ereignet hatte, und die Pulsader an seinem Hals trat deutlich hervor. „Ich hätte denen nur zu gerne eine rein gehauen, Brodlowska“, gestand er meiner Mutter. „Es ist vielleicht besser, dass du das nicht gemacht hast, Nick“, entgegnete diese. „Wir sind gleich wieder auf unserer Farm, aber unser Spatz muss Tag ein Tag aus neben diesen Verrückten leben. Die können ihr das Leben noch ganz schön schwer machen, wenn sie wollen.“ Meine Mutter drehte den Kopf in Richtung des Hauses der Lutzenbachers und sah gerade noch, wie Franz Joseph sich hinter der Hausecke versteckte. Offenbar hatte er uns noch aus der Fern beobachtet.



    In dem ganzen Gemenge waren die Würstchen irgendwann auf dem Rasen gelandet. Da hatten wir uns also wegen des Grills so in die Haare bekommen und konnten jetzt nicht einmal mehr etwas von dem Grillgut essen. Aber wir sahen jetzt erst recht nicht ein, warum wir unsere Feier abbrechen sollten. Also bereiteten Mama und ich in der Küche schnell ein paar Nudeln mit Käsesoße zu. Als wir dann am Tisch im Garten saßen, drang das ganze Ausmaß des Streites zu mir durch. „Was, wenn sie uns jetzt wegen jeder Kleinigkeit an den Hals gehen?“, fragte ich besorgt. „Ich will mich in meinem eigenen Haus nicht wie eine Gefangene fühlen.“



    Mein Bruder Sky verfiel für einen Moment ins Schweigen, doch dann erschien ein schelmisches Grinsen auf seinen Lippen. „Nun, Schwesterherz, mir würden da schon ein paar Streiche einfallen, die wir deinen lieben Nachbarn spielen könnten. Die werden sich noch wünschen, sich niemals mit einer Blech angelegt zu haben.“



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    Das nächste Kapitel gibt es dann erst in der Woche nach Ostern. Ferien müssen auch mal sein ;)

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  • Kapitel 14: Blickdicht




    Magda traf sich weiterhin regelmäßig mit Ron. Ich hatte den großen Altersunterschied der beiden nicht mehr weiter thematisiert. Vielleicht war es ja wirklich egal, dass er 20 Jahre älter war? Wenn die beiden sich liebten und glücklich waren, dann hatte ich mich da nicht einzumischen. In der Regel traf sich Magda mit Ron bei ihm zuhause, so dass ich von den beiden ohnehin kaum etwas mitbekam.



    In der ersten Zeit war ich verwundert, dass Magda nie bei ihm übernachtete. Ich vermute ja zunächst, dass die beiden es etwas langsamer angehen lassen wollten, aber Magda war eine sehr freizügige Person und so erfuhr ich immer sehr genau, was die beiden alles so getan hatten…ganz unabhängig davon, ob ich es hören wollte oder nicht. Als ich Magda darauf ansprach, warum sie denn anschließend nicht bei Ron übernachtete, antwortete sie, dass er morgens immer sehr früh zur Arbeit müsste und es so für beide einfacher wäre. Ich konnte ihrer Stimme aber deutlich entnehmen, dass ihre eigenen Worte in Ohren wie eine Ausrede klangen.



    Bei uns konnte Ron natürlich auch nicht übernachten. Immerhin teilten Magda und ich uns ein Bett. Das hielt Magda allerdings keineswegs davon ab, sich mit Ron darin zu vergnügen. Immer wieder geriet ich in die peinliche Situation, dass ich nichtsahnend nach Hause kam und plötzlich ein halbnackter Mann in meinem Wohnzimmer stand. Ich hätte jedes Mal vor Scham im Boden versinken können. Zum Glück war Ron so nett, sich in einer solchen Situation so schnell wie möglich wieder anzukleiden.






    Jedoch wurde die Situation mit meinen Nachbarn nicht entspannter. Ganz im Gegenteil. Selbst wenn ich auf dem Weg nach Hause einfach nur am Haus der Lutzenbachers vorbei ging, kam einer der Bewohner herausgelaufen um mich übelst zu beschimpfen. Ich verstand wirklich nicht, wie es so weit hatte kommen können.



    Nach dem letzten verbalen Angriff von Eulalia konnte ich mich auch nicht mehr zusammenreißen. Ohne ein Wort zu erwidern hatte ich ihr Gezeter über mich ergehen lassen und bin schnellen Schrittes nach Hause geeilt. In der Küche fing ich wie mechanisch an abzuspülen. Die Tränen stiegen mir immer weiter in die Augen und dann schließlich glitt mir das Geschirr einfach aus den Händen. Ich begann bitterlich zu schluchzen und die Tränen liefen mir am Gesicht herab. Ich war so froh, dass Magda in dem Moment nicht zuhause war und mich in dieser Verfassung sah.



    So konnte es nicht weiter gehen. Also tat ich etwas, was ich eigentlich nicht tun wollte. Ich rief meinen kleinen Bruder Sky an. „Und du bist dir ganz sicher, dass wir das tun wollen?“, fragte er mich, als wir vor dem Haus der Lutzenbachers standen. „Ja!“, sagte ich bestimmt und ballte meine Hände zu Fäusten zusammen. „Vielleicht merken die dann endlich, dass ich mir nicht alles gefallen lasse.“ Sky klatschte zufrieden in die Hände. „Wunderbar, dann lass uns gleich anfangen.“



    Und dann taten wir etwas sehr Dummes…dadurch aber nicht weniger Befriedigendes. Wir begannen das Haus der Lutzenbachers mit faulen Eiern zu bewerfen. Eine Welle der Genugtuung stieg in mir auf, jedes Mal wenn eines der Eier mit einem klatschenden Geräusch an der Haustür der Lutzenbachers zersprang und seinen fauligen Geruch entfaltete.




    Adalbert fand das ganz natürlich nicht so lustig und stürmte wütend auf die Veranda. Am liebsten hätte ich auch noch ein Ei auf seinem Kopf zerbersten lassen, aber das traute ich mich dann doch nicht. „Ihr dreckigen Straßenköter, macht dass ihr von hier verschwindet“, zeterte er. „Das wir ein Nachspiel haben!“



    Und es hatte sogar ein ziemlich schnelles Nachspiel. Sky und ich hatten uns vor Lachen noch gar nicht eingekriegt, als plötzlich die Polizeisirene in unserer Straße ertönte. „*******, dein verrückter Nachbar hat die Bullen gerufen!“, rief Sky. „Lauf sofort weg!“ Das musste mein Bruder mir nicht zweimal sagen. Wir liefen los, so schnell uns unsere Beine tragen konnten. Leider hatten wir uns keinen Fluchtweg zurechtgelegt. Und es stellte sich als äußerst unklug heraus, direkt in mein Haus zu rennen.



    Denn auch wenn wir uns hinter dem Herd in der Küche versteckten, es half nichts. „Kommen sie bitte sofort raus“, erklang die genervte Stimme des Polizeibeamten der an mein Küchenfenster klopfte. „Ich kann sie beide ganz genau sehen.“ Ach verdammt. Ich schloss also auf und musste mir eine Standpauke darüber anhören, wie kindisch unser Benehmen doch war. Und Sky wurde vom Polizisten ins Auto verfrachtet und nach Hause zu meinen Eltern gefahren. Aber an seinem breiten Grinsen konnte ich erkennen, dass ihm der Spaß bei den Lutzenbachers jeden Ärger wert war.



    Und so war es nicht verwunderlich, dass wir unsere Aktion noch das ein oder andere Mal wiederholten. Meinem kleinen Bruder schienen die Ideen für neue Streiche auch nie auszugehen. Besonders unterhaltsam fand ich es, als er eine Tüte, prall gefüllt mit dem Hinterlassenschaften des Pferdes meiner Eltern, mitbrachte und sie vor dem Haus der Lutzenbachers platzierte.



    Dann zückte er ein Feuerzeug und zündete die Tüte an. Die Flammen fraßen sich schnell durch das Papier und erreichten auch die Pferdeäpfel, die ebenfalls sogleich Feuer hingen und begannen, einen widerlichen Gestank zu verbreiten. Wir hatten den Zeitpunkt unserer Aktion genau so abgepasst, dass Franz Joseph gerade aus der Arbeit kam und unseren Streich voll genießen konnte. Ich habe einen Menschen selten so fluchen gehört.



    Doch ich sah ein, dass es keine Dauerlösung werden könnte, meinen Nachbarn Tag ein Tag aus Streiche zu spielen. Irgendwann würde die Polizei nicht mehr so freundlich sein und mir nur mit dem erhobenen Zeigefinger drohen. Was aber noch viel schlimmer war, die Lutzenbachers könnten auf die Idee kommen und sich an mir rächen. Und einen täglichen Kleinkrieg im Garten würde ich nicht lange aushalten. Es musste eine Lösung her und ich hatte da auch schon eine Idee. Ich zückte mein Handy und wählte die Nummer meiner Eltern. „Papa, kannst du bitte vorbei kommen? Wir müssen dringend in den Baumarkt fahren.“



    Gesagt getan. Wir kauften unzählige Bretter und Nägel, mein Vater brachte seinen Werkzeugkasten mit und nach Stunden schweißtreibender Arbeit betrachteten wir zufrieden unser Werk: Einen hohen Lattenzaun, den so leicht niemand überwinden würde. „Das haben wir gut hinbekommen, Spatz“, Papa klopfte mir stolz auf die Schulter. Und auch Magda betrachtete zufrieden die Früchte unserer Arbeit. Ich sackte einfach nur erschöpft, aber hoch zufrieden in mir zusammen. „Ich hoffe inständig, dass die Lutzenbachers uns endlich in Ruhe lassen, wenn sie uns nicht ständig im Blick haben“, flüsterte ich.



    Wir hatten den Zaun genau in der Zeit aufgestellt, als die ganze Familie Lutzenbacher nicht anwesend war. Während die jungen Arbeiten waren, verbrachten Agatha und Franz Joseph den Samstagvormittag nämlich mit ihren vier Hunden am Belmoral Angelplatz am Stadtrand. Und Agatha staunte nicht schlecht, als sie nach Hause kam und plötzlich ein Zaun sie daran hinderte, uns auszuspähen. Eiligen Schrittes lief sie auf die Barriere zu und presst ihr faltiges Gesicht gegen das Holz um durch eine Lücke zwischen den Latten einen Blick in unseren Garten zu erhaschen. Doch viel konnte sie nicht sehen und das trieb ihren Blutdruck in ungeahnte Höhen.



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    Mir ist bewusst, dass die Bilder der früheren Kapitel derzeit nicht angezeigt werden. Ich arbeite daran, das Problem zu beheben. :ciao:

  • Kapitel 15: Kribbeln im Bauch




    Der Zaun, den wir zwischen unserem Grundstück und dem der Lutzenbachers aufgestellt hatten, half wirklich. Allein weil Magda und ich jetzt wussten, dass nicht mehr jeder unserer Schritte mit Argusaugen verfolgt wurde, fühlten wir uns wieder wohl in unserem Haus. Und keiner der Lutzenbachers wagte es, um den Zaun herum zu gehen und unser Grundstück zu betreten. Selbst als wir den Grill entfachten, nur so zu Testzwecken, stürmte keine wütende Agatha herbei, wobei ich meine, ein seltsames Knurren hinter dem Zaun vernommen zu haben. Nur einen der Lutzenbachers sah ich eines Abends unerwartet wieder und zwar Gernot. „Klaudia, ich möchte mich noch mal bei Ihnen für das Verhalten meiner Familie entschuldigen. Ich schäme mich wirklich zutiefst dafür“, offenbarte er mir nachdem er mich von sich aus angesprochen hatte.



    Im ersten Moment hatte ich ja noch befürchtet, dass auch er es darauf angelegt hätte, einen Streit mit mir zu beginnen. Daher wollte ich mich so schnell wie möglich vor ihm verstecken. Doch dafür war es ja nun zu spät. Und im Gespräch mit Gernot erkannte ich, dass er wirklich bekümmert darüber war, wie sich die Situation zwischen unseren Familien entwickelt hatte.



    In diesem Moment tat er mir so furchtbar leid und ich vergaß sogar, wie schrecklich seine Eltern und Geschwister zu mir gewesen waren. „Aber Sie warten doch gar nicht schuld an der Situation, Gernot“, sagte ich deshalb. „Ganz im Gegenteil, Sie haben sich sogar gegen Ihre Familie gestellt und mich verteidigt. Dafür bin ich ihnen sehr dankbar.“ Ein zartes Lächeln huschte über seine Lippen und ich sah, dass es ihm besser ging.



    „Aber reden wir nicht mehr länger über diese unsäglich Geschichte“, warf ich ein, um das Thema zu wechseln. „Der Zaun hat ja zum Glück Ruhe geschaffen.“ Wir begannen beide langsam Richtung Strandpromenade zu schlendern. „Und wir sollten das mit dem Sie langsam lassen. Dann fühle ich mich auch immer so alt. Du kannst gerne du zu mir sagen.“ Gernot nahm meinen Vorschlag lachend an.



    Seit der Eröffnung meiner Ausstellung in der Galerie hatte ich nicht mehr so viel mit Gernot gesprochen und sofort fühlte ich, dass wir beide uns super verstanden. So ganz konnten wir es doch nicht lassen, über seine Familie zu sprechen, aber ich amüsierte mich köstlich, als er erzählte, dass seine Schwester Eulalia nur mit Mühe und Not seinen Vater davon abhalten konnte, mit einer Brechstange in den Garten zu rennen, um den Lattenzaun niederzureißen. Und dann gestand er mir, dass er seinen Chef davon überzeugen konnte, eines meiner Bilder für das Foyer seiner Firm, der Lama Liefergesellschaft, zu kaufen.



    Ich konnte mich nicht erinnern, dass jemand jemals so etwas Nettes für mich getan hätte. Und ganz plötzlich stieg dieses seltsame Gefühl in mir auf. Es begann in meinem Bauch zu kribbeln und alles um mich herum schien wie in Zeitlupe abzulaufen und Meilen weit entfernt zu sein. Ich sah nur noch Gernots grüne Augen, die im Schein der untergehenden Sonne funkelten. Und seine Lippen kamen meinen immer näher.



    Doch bevor sie sie berühren konnten, drehte ich meinen Kopf weg und torkelte einige Schritte nach hinten. Da ich Gernot nicht in die Augen blicken konnte, wandte ich mich zum Meer. Meine Hände gestikulierten wild und ich versuchte irgendetwas Sinnvolles von mir zu geben, doch bis auf ein unverständliches Gestotter brachte ich keinen Ton hervor. Ich spürte Gernots verwirrten Blick in meinem Rücken.



    Oh Gott, ich hab alles kaputt gemacht! Dieser furchtbare Gedanke schoss mit Wahnsinnsgeschwindigkeit durch meinen Kopf. Gernot würde mich jetzt doch für vollkommen verrückt halten. Dabei hatten wir doch so einen schönen Abend verbracht. Und ich mochte ihn wirklich. Sogar wirklich sehr. Und ich wusste selber nicht, warum ich diesen Kuss nicht zugelassen hatte. Es wäre mein erster richtiger Kuss geworden und ich hatte es komplett vermasselt.



    Gernots Räuspern riss mich aus meinen trüben Gedanken und ich drehte mich langsam zu ihm um. „Klaudia, es tut mir leid, wenn ich zu aufdringlich war“, entschuldigte er sich. „Aber der Abend mit dir war so schön und in dem Moment wollte ich dich einfach nur küssen. Ich verstehe, wenn du nicht das gleiche empfindest. Ich werde mich in Zukunft zurückhalten. Aber ich will dich nicht als Freundin verlieren.“



    Er hatte etwas falsch gemacht? Ich war doch diejenige, die einfach davongelaufen war. Und er war mir deswegen nicht einmal böse. Ich war so erleichtert, dass ich für einen Augenblick sogar meine Schüchternheit vergaß. „Nein, du warst überhaupt nicht zu aufdringlich, Gernot. Ich war nur überrascht…und ein wenig erschrocken.“ „Heißt das, du würdest gerne einmal richtig mit mir ausgehen? Zu einem richtigen Date?“ Gernot wollt tatsächlich mit mir ausgehen! Der Wahnsinn! Ich jubelte innerlich und das zeigte sich nach außen auch in meinem strahlenden Gesicht. „Ja, das würde ich sehr gerne.“ Und dann kehrte meine Schüchternheit und Unsicherheit zurück. „Aber für heute muss ich wirklich nach Hause. Es ist schon spät und Magda macht sich sicher Sorgen.“






    Gernot bot natürlich an, mich nach Hause zu begleiten, doch ich lehnte mit der Begründung ab, dass ich noch kurz bei der Galerie vorbei gehen müsste. Ich konnte Gernot genau ansehen, dass er erkannte, dass dies nur ein Vorwand war. Aber er drängte nicht weiter und verabschiedete sich von mir mit einer ungelenken Umarmung. Mir blieb nichts anderes übrig, als den Umweg durch die Innenstadt an der Galerie vorbei zu nehmen. Und ich ärgerte mich über mich selbst, weil ich Gernot nicht erlaubt hatte, mich zu begleiten. Der einzige Grund dafür war Angst gewesen. Denn ich wusste genau, dass wir uns diesmal wirklich geküsst hätten, wenn mir an meinem Haus angekommen wären. Und so sehr ich mir das auch wünschte, so sehr fürchtete ich mich auch vor diesem Kuss. Was wenn ich noch nicht bereit war? Und viel schlimmer, was wenn er den Kuss furchtbar finden würde? Ich hatte immerhin keine Erfahrung und würde sicher alles falsch machen.



    „Dad, warte doch. Dad!“ Dieser Ruf riss mich aus meinen Gedanken. Er kam von vorne und als ich in die Richtung schaute, bemerkte ich Ron, der mir genau entgegen kam. Aber es war inzwischen dunkel und die Straße war nur schwach beleuchtet, sodass der Freund meiner Cousine mich nicht sah oder einfach nicht erkannte. Der Ruf kam von einem Jungen, vielleicht Anfang 20, aber eindeutig jünger als ich. Ich blickte mich um, konnte aber auf der Straße niemanden entdecken, der der Vater dieses Jungens ein könnte. Irgendetwas war hier doch komisch, insbesondere da Ron plötzlich stehen blieb und sich nach dem Jungen umdrehte.



    „Dad, du hast vergessen mir die Autoschlüssel zu geben“, sagte der Junge außer Atem als er Ron erreichte und streckte ihm seine offene Hand hin. Ron befühlte von außen die Hosentaschen seiner Jeans und zog lachend den gesuchten Schlüssel hervor. „Oh man, Dad, wegen dir komme ich jetzt auch noch zu spät!“, beklagte sich der Junge. „Samantha wir mir den Kopf abreißen. Ich bin doch schon zu unserem letzten Date eine halbe Stunde zu spät aufgetaucht.“



    Ganz wie von selbst hatte ich mich hinter einen Klappaufsteller geschoben und beobachtete Ron und diesen Jungen aus dem verborgenen. Konnte es sein? Konnte dieser Junge…In meinen Kopf ratterte es und ich wusste, dass ich jede Sekunde alles erkennen würde. „Sag ihr einfach, wie schön sie heute Abend aussieht, und sie wird dir sofort verzeihen“, antwortete Ron auf die Bemerkung des Jungen. „Und, Jamie, denk immer daran, mach nichts, was ich nicht auch machen würde.“ Er zwinkerte ihm zu. „Du weißt doch, Dad, der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.“ Bei diesen Worten nahm er den Autoschlüssel aus Rons Hand und flitzte wieder in die Richtung davon, aus der er gekommen war.



    Dad? Apfel? Stamm? Das…das war doch nicht…Nein!!! Ich sank in die Knie, raufte mir die Haare und meine Lippen formten sich zu einem lautlosen Entsetzensschrei. Ron hatte einen Sohn! Der Freund meiner Cousine hatte tatsächlich einen Sohn, der nicht viel jünger war als sie selbst. Diese Neuigkeit würde sie aus den Socken hauen.



    Gedanken:


    Ich glaube, ich war verliebt! Und das tollste überhaupt, ich glaube, auch Gernot war in mich verliebt. Wieso hätte er sonst versuchen sollen, mich zu küssen? Ich hatte schon öfters für Männer geschwärmt, für die Freunde meiner älteren Schwester Kinga, für die Jungs aus meiner Klasse und später für einige meiner Kommilitonen an der Uni. Aber nie hatte sich einer dieser Männer auch für mich interessiert. Dieses Gefühl war toll, aber es versetzt mich auch in Panik. Einem 16 jährigen Mädchen verzieh man leicht ihre Unerfahrenheit. Ich aber war schon 24 und hatte von Liebe, von deren körperlichen Aspekten ganz zu schweigen, nicht die geringste Ahnung. Und dann kam noch erschwerend hinzu, dass ich mit Gernots Familie bis aufs Blut zerstritten war.

    Ich konnte seine Eltern und seine beiden älteren Geschwister einfach nur als meine Feinde bezeichnen. Wie würden sie reagieren, wenn Gernot mich bei ihnen als seine Freundin vorstellen würde? Aber so weit war es ja noch nicht und ich wollte mir den Kopf nicht über ungelegte Eier zerbrechen.
    Und viel drängender war das Problem, dass Magdas Freund Ron nicht nur 20 Jahre älter war, als meine Cousine, sondern auch noch verschwiegen hatte, dass er einen erwachsenen Sohn hatte. Was für Geheimnisse hatte er also noch? Wartete vielleicht irgendwo noch eine Ehefrau?

    Am Anfang war ich ja nicht so begeister von der Aussicht gewesen, dass Magda für länger bei mir bleiben würde. Doch inzwischen wollte ich sie nicht mehr missen. Klar, sie konnte nervig sein wie keine Zweite, aber wenn ich sie braucht, war sie für mich da. Das hatte ich bei all den Streitereien mit den Lutzenbachers deutlich gemerkt. Und nachdem sie sich endlich einen Job gesucht hatte, trug sie wirklich etwas zu unserem gemeinsamen Lebensunterhalt bei. Der Job in der Konzerthalle war ihr zwar lästig, aber sie verdiente etwas Geld damit. Und sie hoffte immer noch darauf, dass die Betreiber sie bald auch auf die Bühne lassen würden. Immerhin durfte sie inzwischen ab und an entscheiden, wer auf die Bühne gelassen wurde, allerdings musste sie diese immer noch selbst zusammenzimmern. Doch viel mehr Geld verdiente sie mit ihren zusätzlichen Auftritten in diversen Clubs und Discos in der Umgebung. Es war erstaunlich, wie viel Geld sich mit Tanzen verdienen ließ und Magda hatte inzwischen einen beträchtlichen Ruf erlangt. Aber das war nicht das, was sie ein Leben lang machen wollte. Nein, ihr Ziel war und blieb die Musikbühne.

    Und auch ich hatte meine Erfolge zu verzeichnen. Meine erste eigene Ausstellung war ein voller Erfolg und die Bilder verkauften sich gut. Die Stadt verlieh mir daraufhin sogar den offiziellen Titel eines Kunstgalerie-Neuzugangs, was mich in der Region noch etwas bekannter machte. Und das hatte zur Folge, dass sich meine Bilder noch besser verkauften. Ja, auch ich war zu einem kleinen Star der Kunstsszene avanciert. So kam langsam, aber stätig, immer mehr Geld auf unserem gemeinsamen Haushaltskonto zusammen.

    Magda und ich spielten schon länger mit dem Gedanken, unser Haus mal richtig zu renovieren. Mit der Cowboy-Tapete im Schlafzimmer hätte ich ja noch leben können, aber auf Dauer wünschte ich mir doch einfach ein eigens Schlafzimmer, das ich mir nicht mit Magda teilen musste. Denn wer konnte schon wissen, vielleicht brauchte ich ja schon bald einen Ort, an dem ich mit Gernot ungestört sein konnte.



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  • Was bisher geschah:
    (Zusammenfassung der voherigen Kapitel)


    Nachdem ich durch die Abschlussprüfung meines Mathematikstudiums gefallen war, kehrte ich ohne Abschluss nach Rodaklippa zurück, der Stadt, in der meine Eltern nach dem Krieg ein neues Zuhause gefunden hatten und wo ich mein Teenagerjahre verlebte. Ich war so beschämt über mein Versagen, dass ich zunächst nicht wagte, mich bei meinen Eltern zu melden. Doch natürlich konnte ich mich nicht ewig vor ihnen verbergen. Mein Vater reagierte sehr verständnisvoll auf diese Nachricht. Meine Mutter konnte ihre Enttäuschung nicht ganz verbergen, aber auch sie machte mir keine Vorwürfe. Mathematik war einfach nichts für mich, aber dafür hatte ich schon immer gerne gemalt. Und so ließ ich mich als Malerin registrieren. Und was soll ich sagen, meine Bilder fanden bei den Menschen Anklang, sodass ich bald schon meine erste eigene Ausstellung feiern konnte. Es wäre ein Tag der Freude geworden, wären da nicht meine schrecklichen Nachbarn, die Lutzenbachers, gewesen. Sie ruinierten meine Gartenparty und beschimpften mich und meine Familie. Aber auf dieser Party erschien auch er, mein strahlender Ritter Gernot, der sich für mich gegen seine Familie auflehnte. Noch niemals zuvor hatte ein Mann sich für mich interessiert und ich verliebte mich Hals über Kopf in ihn. Meine Cousine Magda hatte in Liebesangelegenheiten nicht so viel Glück. Sie war bei mir untergekommen, nachdem auch sie ihr Studium abgebrochen hatte. Ihre Mutter ließ sie bei mir wohnen, damit Magda endlich etwas Selbständigkeit lernte. Schnell lernte sie den deutlich älteren Ron kennen und lieben. Doch Ron verbarg etwas vor ihr und ich sollte bald herausfinden, worin dieses Geheimnis bestand, als ich ihn eines Abends zufällig mit einem jungen Mann auf der Straße antraf. Und dieser Mann war niemand anderes als Rons erwachsener Sohn.



    Kapitel 16: Aufgedeckte Lügen




    Ich blieb noch so lange hinter dem Aufsteller verborgen, bis Ron an mir vorbei gegangen war und schließlich in eine der kleinen Kneipen in der Innenstadt einkehrte. Doch dann hielt mich nichts mehr und ich lief los. Ich war in meinem Leben noch nie so schnell gelaufen. Nicht etwa auf dem Bürgersteig, sonder einfach mitten über die Wiesen, vorbei am Rathaus und der Sporthalle. Ich wollte so schnell wie möglich zu Magda um ihr mitzuteilen, was ich gerade erfahren hatte. Bereits von der Straße aus konnte ich sie in der Küche stehen sehen.



    Ich riss also einfach die Tür auf und platze ohne weitere Vorwarnung mit der Neuigkeit heraus. „Ron hat einen Sohn! Einen erwachsenen Sohn“, schrie ich aufgebracht und rang mit meinem Atem. Magda sah mich erschrocken aus ihren großen blauen Augen an. Dabei war es nicht die Nachricht, die sie so in Schrecken versetzte, sondern mein plötzliches und stürmisches Auftauchen in der Küche. Zunächst…denn drangen auch meine Worte zu ihr durch.



    „Was…was soll das heißen, Ron hat einen Sohn?“, fragte sie stotternd. „Genau das, was ich sage“, entgegnete ich keuchend und wäre am liebsten auf dem Boden zusammengebrochen. Magda erkannte sofort, dass ich keine Scherze machte. Dafür war ich einfach viel zu fertig. „Ich hab ihn…eben….mit seinem Sohn…in der Stadt getroffen“, erklärte ich weiter und bemühte mich, genügen Luft zu bekommen. „Ich…wollte es dir…sofort sagen. Er ist jetzt…im Flanagan’s.“



    Mehr brauchte ich nicht zu erklären. Der Schock wich schnell aus Magdas Gesicht, doch dafür traten Wut und Ärger an seine Stelle. Ohne ein weiteres Wort schritt Magda ins Wohnzimmer, schnappte sich ihre Handtasche und verließ wutschnaubend das Haus. Sie machte sich nicht einmal die Mühe, die Haustür hinter sich zu schließen. Derweil versuchte ich, wieder zu Atem zu kommen und nicht ohnmächtig auf den Fliesen zusammenzubrechen.




    Als Magda im Flanagan’s ankam, war Ron immer noch dort. Es war so gut wie leer in der Kneipe und Ron saß an der Bar und trank seinen Drink. Als Magda ihren Freund so da sitzen sah, wusste sie plötzlich nicht mehr, wie sie jetzt weiter vorgehen sollte. Unsicher stand sie in der Tür, bis die Bardame Ron auf seine Freundin aufmerksam machte und er sich zu ihr umdrehte. Bei seinem Anblick fiel es ihr noch viel schwerer, wütend auf ihn zu sein und beinah hätte sie ihm verziehen, dass er sie monatelang nicht darüber aufgeklärt hatte, dass er Vater war.



    Doch eben nur beinah. Was hatte er ihr denn noch alles verschwiegen. Vielleicht die Ehefrau? Oder weitere, jüngere Kinder? Und mit einem Schlag war die Wut wieder zurück. „Wann hattest du mir vor, von deinem erwachsenen Sohn zu berichten!“, brüllte sie ihren Freund an, der gar nicht wusste, wie ihm geschah. „Woher…?“, begann er zu stammeln, doch Magda ließ ihn gar nicht erst aussprechen. „Dann ist es also wahr?! Du streitest es gar nicht ab?“ Ein kleiner Funken Hoffnung war bei Magda verblieben, dass ich mich geirrt hatte, dass ich die Situation einfach falsch gedeutet hatte, und Ron gar keinen Sohn hatte.



    Doch mit seiner Reaktion hatte er alles zugegeben und so gab es für Magda kein Halten mehr. Sie beschimpfte ihn als Lügner, warf ihm vor, dass er sie monatelang betrogen hatte. Ron versuchte noch, meine Cousine zu beschwichtigen, doch sie ließ ihm dazu keine Chance. Seine Erklärungsversuche interessierten sie nicht im Mindesten.



    Und daher gab es für sie auch nur einen einzigen Ausweg. „Es ist aus, Ron! Hörst du?“, brüllte sie ihn an. „Ich will mit dir und deinen dreckigen Lügen nichts mehr zu tun haben!“ Und Ron gab sich geschlagen. „Gut, wenn du meinst“, erwiderte er und zog dabei genervt eine Augenbraue in die Höhe. Auf solch ein kindisches Niveau wollte er sich nicht herablassen. Magda funkelte ihn wütend an. Noch einmal wollte Ron zu einer Erklärung ansetzen, doch dann schüttelte er einfach nur den Kopf, legte einen 10 § Schein auf den Tresen und machte sich auf hinaus in die Nacht.




    Ich lag bereits im Bett, als Magda nach Hause kam. Ich wurde augenblicklich wach, als sie leise die Tür zum Schlafzimmer öffnete und ins Zimmer trat. Ich schaltete das Licht an und sah meine Cousine, wie ein Häufchen Elend angelehnt an der Wand neben der Tür stehen. Die verwischte Wimperntusche in ihrem Gesicht verriet eindeutig, dass sie geweint hatte.



    Also überlegte ich nicht lange, wühlte mich unter der Bettdecke hervor und trat zu Magda. Und dann nahm ich sie einfach nur in den Arm. Ich spürte, wie sie am ganzen Körper zitterte. „Was ist passiert?“, flüsterte ich. Magda begann bei dieser einfach Frage heftig zu schluchzen und ich spürte, wie ihre Tränen meinen Pyjama durchtränkten. Dann begann sie wir zögerlich von ihrer Trennung von Ron zu berichten.



    Sie hatte schon lange geahnt, dass Ron ein Geheimnis hatte. Jetzt verstand sie auch, warum sie nie bei ihm übernachten konnte und warum er sie so oft versetzt hatte. Aber sie verstand nicht, warum er sie überhaupt angelogen hatte. Ich vermutete, dass es daran lag, dass er immer wusste, dass die Beziehung mit Magda nicht von Dauer sein würde. Der Altersunterschied war einfach zu groß. Und daher wollte er nicht, dass sein Sohn eine Beziehung zu einer unbedeutenden Frau aufbaute. Aber diese Gedanken behielt ich für mich, denn ich ahnte, dass Magda diese Erklärung nicht im Mindesten gefallen hätte. Irgendwann in dieser Nacht weinte Magda sich schließlich in den Schlaf.





    Die nächsten Tage und Wochen waren wirklich hart für Magda. Immer wieder traf sie in der Stadt auf Ron. Sie spürte, dass sie ihn immer noch liebte, doch seinen Betrug konnte sie ihm nicht verzeihen. Und er hatte offenbar auch kein Interesse daran, denn nur kurz nach ihrer Trennung traf Magda ihn mit einer neuen Frau im Arm an. Um ihren Schmerz zu vergessen, stürzte Magda sich deshalb in ein neues Projekt. Sie entschied, dass es Zeit wäre, unser Haus mal ordentlich in Schuss zu bringen. Ich stimmte zu, denn auch ich fand, dass ein paar neue Möbel und etwas Farbe hier und dort sicher nicht schaden könnten. Doch Magda hatte an etwas Größeres Gedacht. Und so saßen wir, gut sechs Wochen nach ihrer Trennung von Ron, bei unserem Architekten, der uns über die Baupläne in Kenntnis setzen sollte. „Magda, Klaudia, die Planungen sind abgeschlossen und wenn ihr wollt, können meine Jungs direkt loslegen“, erklärte Noah, der nicht nur unser Architekt, sondern auch gleichzeitig der Bauleiter war.



    „Es kann losgehen!“, rief Magda verzückt. Ich war noch nicht ganz so in Feierlaune, immerhin mussten noch viele Fragen geklärt werden. Die wichtigste Frage war natürlich die, was der ganze Spaß den kosten sollte. Denn mit ein paar neuen Möbeln und etwas Farbe hatte Magda sich nicht zufrieden gegeben. „Was wird der Umbau denn nun eigentlich kosten, Noah“, fragte ich daher direkt.



    „Nun, der Umbau ist wird doch etwas teurer ausfallen, als wir es zunächst besprochen hatten“, druckste Noah herum. „Bei den derzeitigen Preisen für Baustoffe und die Löhne belaufen sich die Kosten auf knapp 58.000 §.“ 58.000 §!!! „So viel Geld haben wir im Leben nicht“, entfuhr es mir und ich riss meine Arme in die Höhe. Auch Magda riss erschrocken beim Klang dieser Summe ihre Augen auf und sackte in sich zusammen. „So viel, Geld können wir nicht auftreiben, Magda. Komm lass uns gehen“, murmelte ich betrübt und erhob mich bereits aus dem Krokodilledersessel.



    „Nicht so schnell, meine Damen“, hielt Noah uns zurück. „Mir war klar, dass dieser Betrag nicht leicht zu Stemmen sein wird, daher kann ich euch anbieten, das Geld in Raten abzubezahlen. Ich habe bereits einen Finanzierungsplan vorbereitet, den ihr euch in Ruhe ansehen solltet. Und bedenkt, dass ihr das Haus bald ohnehin renovieren müsst. Selbst ohne die zusätzlichen Zimmer, die wir geplant haben müssen sämtliche Rohre und die Elektrik ausgetauscht werden und das Dach ist so marode, dass ich euch eigentlich nicht mehr ruhigen Gewissens in das Haus lassen dürfte. Die Kosten für den Ausbau und die Innengestaltung der Räume sind im Vergleich dazu wirklich gering.“



    Mit diesen Worten hatte Noah nicht Unrecht, das wusste ich. „Ich muss mich mal kurz mit meiner Cousine besprechen“, sagte ich und forderte Magda auch, mich in den Vorraum des Büros zu begleiten. „Ich weiß wirklich nicht, ob wir uns das leisten können, Magda. Zusammen haben wir 8.000 § auf dem Konto, das heißt, wir müssten noch 50.000§ auftreiben. Das ist eine Menge Geld.“ „Aber dafür würden wir in einem schönen Haus wohnen, Claude. Und wir haben beide Jobs, du verdienst mit deinem Gekrakel einen Haufen Kohle, auch wenn ich mich immer Frage, wer deine Bilder kauft. Und ich habe es im Gefühl, dass ich bald den Durchbruch schaffe. Und wir haben doch noch das dritte Zimmer geplant, das wo dein Atelier rein soll. Wenn wir uns stattdessen einen dritten Mitbewohner suchen, dann können wir noch zusätzlich etwas Geld verdienen.“




    Ok, Magda hatte mich überzeugt. Wir gingen also wieder zurück in Noahs Büro und überbrachten ihm die frohe Botschaft. „Wir sind mit den Umbauarbeiten einverstanden. Und wir nehmen dein Finanzierungsangebot gerne an.“

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  • Kapitel 17: Jamie




    Die Umbauarbeiten an unserem Haus begannen umgehend. Für Magda und mich bedeutete dies allerdings, dass wir uns für eine Weile nach einer anderen Bleibe umsehen mussten. Um uns diese Zeit etwas zu erleichtern, spendierte Noah uns eine Reise nach China. Er behauptet zwar, dass es ein Geschenk sei, doch ich war mir sicher, dass er diese Reise eiskalt in die Preiskalkulation für unseren Umbau mit einbezogen hatte. Doch wie heißt es so schön, einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul. Also ließen Magda und ich die Eindrücke, die uns dieses große unbekannte Land bot, auf uns wirken und genossen unseren Urlaub.



    Schnell stellte ich fest, dass Magda und ich unter Urlaub ganz unterschiedliche Dinge verstanden. Ich wollte am liebsten die ganze Gegend erkunden. Jeder Waldweg, jeder alte Tempel, jede Höhle interessierte mich. Stundenlang streifte ich durch die Hügellandschaften unseres Urlaubsortes und sog das Panorama in mich auf. Ich bereute es, dass ich meine Staffelei nicht dabei hatte, denn hier hätte ich die herrlichsten Bilder malen können. Aber so fand ich immerhin Zeit, einige seltene Erzklumpen und Kristalle zu finden, die hier in der Gegend sehr häufig anzufinden waren und die in meinem Reiseführer hoch angepriesen wurden.



    Magda hingegen verbrachte den Tag am liebsten im Spa-Bereich unseres Hotels oder in den Läden in der Altstadt unseres Urlaubsortes. Es war unglaublich, aber selbst hier im fernen China zog sie die Blicke der Männer zu Hauf auf sich. Und sie genoss dies in vollen Zügen. So half ihr der Urlaub auch, den letzten Kummer über ihre Trennung von Ron zu vergessen.



    Wieder aus dem Urlaub zurück, kamen Magda und ich erst einmal bei meinen Eltern unter, da der Umbau noch immer im vollen Gange war. Meine Mutter und mein Vater freuten sich riesig, dass ich wieder bei ihnen wohnte und verwöhnten Magda und mich, wo es nur ging. Und ich muss sagen, dass ich das sogar aus vollen Zügen genoss. Nur war das Leben im Haus meiner Eltern auch recht unbequem. Magda und ich mussten mit einem Schlafsack auf dem Wohnzimmerboden Vorlieb nehmen. Und selbst die vielen Kissen, die meine Eltern uns brachten, machten es nicht sehr viel bequemer.



    Daher war ich sehr froh, als Magda und ich, nach gut vier Wochen Umbauzeit, endlich in unser Haus zurückkehren konnten. Die neu angebauten Zimmer waren bereits von außen gut zu erkennen. Und der neue Putz und vor allem das schöne blaue Dach ließen nicht mehr erahnen, welch baufällige Hütte hier noch vor wenigen Wochen gestanden hatte.



    Doch noch schöner war das gemütliche Innere des Hauses. Noah hatte ganze Arbeit geleistet, denn das Wohnzimmer erinnerte nicht mehr im Entferntesten an die große, leere Lagerhalle, die es mal gewesen war. Dabei waren nicht einmal viel Möbel hinzugekommen. Eigentlich nur die grüne Couch mit passendem Sessel und die flauschigen Teppiche. Ursprünglich hatte Magda darauf bestanden, die hässliche Blümchentapete runter zu reißen. Aber irgendwie war sie mir doch ans Herz gewachsen. Allerdings war sie inzwischen so vergilbt, dass wir sie beim besten Willen nicht beibehalten konnten. Daher bat ich Noah, wenigstens etwas Ähnliches zu finden. Und er ließ extra für uns eine Tapete mit exakt demselben Muster, dafür aber in sehr viel schöneren Farben, drucken. Bei solchen Sonderanfertigungen durfte ich mich über die Kosten des Umbaus eigentlich nicht wundern.



    Unser gemeinsames altes Schlafzimmer wurde nun zu meinem alleinigen Reich. Dafür durfte Magda eines der beiden neu angebauten Zimmer beziehen. Sie entschied sich für den Raum, der von der Küche aus zu erreichen war und richtete ihn nach ihren eigenen Vorstellungen ein. Nach den schlaflosen Nächten auf dem Dielenboden meiner Eltern wäre mir sicherlich jede noch so schäbige Matratze wie ein Himmelbett erschienen, aber Magdas Zimmer machte wirklich einen sehr gemütlichen Eindruck. Bei diesem Anblick wurde ich doch neidisch, dass ich nicht auch auf eine Umgestaltung meines Zimmers gepocht hatte.



    Doch das Geld war ja ohnehin schon knapp. Und daher mussten auch die alten Küchenmöbel in der neuen Küche wieder ihren Platz finden. Lediglich den alten Kühlschrank, der sicherlich Unmengen an Strom verschwendet hatte, ließen wir gegen ein neues Gerät mit AAA+ Siegel austauschen. Ansonsten wurden die Wände des Raumes mit einem lindgrünen Fliesenspiegel versehen, der in eine dazu passende Tapete überging. Der Raum war insgesamt noch etwas karg eingerichtet, aber Magda und ich konnten darin schon super an unseren Kochkünsten feilen.



    Blieb nur noch der bislang ungenutzte Raum, der eigentlich zunächst als mein Atelier geplant war. Aber um den Umbau überhaupt finanzieren zu können, mussten wir das Zimmer nun doch vermieten. Ich hatte im Supermarkt einen Aushang an das Schwarze Brett gepinnt, doch drei Tage lang meldete sich niemand, der gerne bei uns eingezogen wäre. Doch das sollte sich an diesem Nachmittag ändern. Als Magda die Tür öffnete, stand ein junger blonder Mann vor der Haustür. „Hi, mein Name ist Jamie“, stellte er sich vor. „Ist es richtig, dass ihr einen Mitbewohner sucht?“



    Magdas kritischer Blick prüfte Jamie von oben bis unten. Schlecht sah er ja nicht aus. Gut, er war vielleicht etwas jung, gerade mal 20, schätzte sie, aber das war noch lange kein Grund, einen gutaussehenden Mann abzuweisen. „Ja, wir suchen einen neuen Mitbewohner, das ist richtig“, flötete sie als Antwort auf seine Frage. „Ich bin übrigens Magda“, stellte sie sich vor. „Mein Cousine Claude ist im Wohnzimmer, ich stelle sie dir am besten gleich mal vor. Aber du darfst dich nicht erschrecken, das Wort Spiegel scheint für sie ein Fremdwort zu sein und von einem Frisör hat sie offenbar auch noch nie etwas gehört.“



    Magda führte Jamie ins Wohnzimmer. Ich saß gerade auf der Couch und blätterte durch den Katalog einer bekannten Kunstgallerie in SimCity. „Claude, Jamie möchte sich bei uns als potenzieller Mitbewohner vorstellen“, sagte sie. Die nächsten Worte sprach sie im lauten Flüsterton hinter vorgehaltener Hand: „Versuch mal nicht so schrullig wie sonst zu sein, sonst verschreckst du ihn noch.“ Jamie hatte natürlich jedes Wort gehört und ich wollte am liebsten vor Scham in den Polsterkissen des Sofas verschwinden.



    Beschämt schaute ich zu Jamie rüber, dem die Situation offenbar genau so unangenehm war wie mir. Na toll, Magda würde es noch schaffen, den einzigen Bewerber mit ihrem Geplapper zu vergraulen. Doch dann weiteten sich meine Augen überrascht, als ich erkannte, um wen es sich bei Jamie eigentlich handelte: Das war doch Rons Sohn! Es war zwar schon über zwei Monate her, dass ich ihn getroffen hatte und damals war es auch schon dunkel auf der Straße, doch ich erkannte ihn eindeutig wieder.

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  • Hallo Stev84, auch diese Story ist wieder so spannend wie die von Klaudias Mutter Oxana =)
    Du schreibst super realistisch und man kann so gut mit den Personen mitfühlen und ich bin immer ganz gespannt wie sich ihr Leben entwickeln wird ;)
    Weiter so! :applaus