22: Grüne Hände
Ich kann nicht wirklich sagen, dass es mich überraschte, das Kaya nicht mehr da war. Ich kann aber auch nicht sagen, dass ich es nicht trotzdem gehofft hatte.
Ich seufzte und ließ mich auf die Bank fallen, auf der sie eigentlich hätte warten sollen.

Wo würde sie wohl am ehesten hingehen? Ich dachte nach- besonders beeindruckt schien sie von dem Pausenhof gewesen zu sein. Ich beschloss, dort als erstes nachzusehen.
Tatsächlich fand ich Kaya. Aber so wirklich froh war ich nicht, denn sie war nicht allein.
Sie tummelte sich zusammen mit ein paar anderen Schülern um eine der beiden Dartscheiben.
Ich kannte das Mädchen, das gerade dabei war, die Pfeile zu werfen, sie hieß Marie und ging in meine Parallelklasse.

Unwillkürlich verspürte ich Eifersucht. Kaya war es in weniger als einer viertel Stunde gelungen, neue Freunde zu finden- was mir innerhalb mehrerer Jahre unmöglich gewesen war. Ich ging auf die kleine Gruppe zu und stellte mich neben Kaya. „Wie ich sehe, hast du schon neue Bekanntschaften geschlossen?“ fragte ich so freundlich, wie meine Verfassung es in diesem Moment eben zuließ. „Ja, das sind Mike, Lisa, Leon und Marie“ erklärte sie mir lächelnd.

„Stell dir vor, Marie hat grüne Augen!“ sagte sie stolz. Ich rang nach Luft- wie viel zu spät war ich wohl gekommen? Vielleicht gerade noch rechtzeitig...? „Tatsächlich?“ machte ich –obwohl es mir relativ egal war, welche Augenfarbe Marie hatte. „Möchtest du jetzt mal werfen?“ fragte diese und hielt Kaya die Pfeile entgegen. Kaya wollte gerade zugreifen, da bemerkte ich ihre Hände- sie waren so grün wie eh und je...

„Fatima, wir müssen jetzt gehen, komm!“ Ich packte ihren Arm und zog sie einige Meter weiter weg.
„Au!“ beklagte sich Kaya und funkelte mich böse an. „Das hat weh getan!“ Ich ignorierte sie.
„Kaya, deine Hände!“ flüsterte ich vielsagend. „Was meine Hände? Was soll mit meinen Händen- oh nein!“ entsetzt zog sie ihre Finger ein. „Das war knapp“ bemerkte ich.
„Fatima, wieso Fatima?“ „Ich dachte, es war so ein merkwürdiger Name mit K... so wie Kayal“ hörte ich Marie verwirrt fragen, während ich Kaya hinter mir her zerrte. „Was machst du denn?“ Kayas Stimme bebte vor Aufregung.

„Ich kann allein gehen, lass mich!“ Ich ließ sie los und blieb stehen. „Du hast recht, tut mir leid.“ Sagte ich lahm. Wir standen beide etwas beschämt da und schauten in zwei Gegengesetze Richtungen. „Kilian, einen Moment noch!“ Herrn Wagners Stimme war im ersten Moment eine dankbare Erlösung der Peinlichkeit, doch kurz darauf spürte ich bereits, dass der Schweiß wieder ausbrach- was war denn noch?
Kaya schien es ähnlich zu gehen, denn ich brauchte ihr Gesicht nur aus den Augenwinkeln anzuschielen, um pures Entsetzten darin lesen zu können.
„Ähm...was denn?“ hörte ich meine Stimme fragen, die sich komisch hoch anhörte.
„Oh nichts wichtiges, ich hatte nur vergessen, dir zu sagen was du auf morgen machen sollst.“ Erklärte er mit einem strengen Blick; er hatte uns mittlerweise eingeholt.

„Und du kannst dir denken, dass ich von dir eine besonders ordentliche Aufgabe sehen will.“ Offenbar bereute er es schon, zu mild gewesen zu sein. „ Ich werde mein bestes geben“ versprach ich und wandte mich wieder Kaya zu. „Willst du mir deine Freundin denn nicht vorstellen?“ hörte ich Herrn Wagner vielsagend fragen.
