Beiträge von Sylverstar

    Kapitel 5 - Ein fremder Gast


    Wenn Henry Thursday ein tüchtiger Seemann war, so war Billy Buck ein brauchbarer Schmuggelmeister. Alles schaffte er, und alles hatte er im Griff. Während einiger Schmuggelaktionen lebte er im Grünen Dachs, und Hühnervettel zog sich saubere Kleider an und putzte sich ordentlich raus, servierte ihm leckere Sachen und versuchte, sich an ihn ran zu machen.



    Da ging mir auf, dass Hühnervettel ein bisschen dumm sein musste, denn Billy Buck hatte bald genug verdient, um sich ein feines Haus in einer anderen Gegend zu kaufen und ein Gentleman zu werden. Was würde er da mit einem schlampigen Frauenzimmer wie Hühnervettel anfangen? Er schaffte es, sie sich vom Leib halten - ohne sie zu beleidigen und ohne sie zu verärgern - ja, der konnte sich zu winden wie ein Aal!
    Sobald es dämmrig wurde, wollte ein gutgekleideter Kaufmann nach dem anderen mit Billy reden.



    Aber an jenem Tag kam jemand, der kein Kaufmann war, sondern eine hübsche, schwangere junge Frau mit großen Augen und einem kurzen Kleidchen.
    Es stellte sich heraus, dass eine Fracht, die für Billy Buck gedacht war, es war wohl reichlich Tabak, von der Bucht aus direkt zur Cocosinsel gesegelt war. Sobald der Schoner am Kai festgemacht worden war, waren die Zollmänner an Bord gekommen - ohne dass sie auch nur einen Fliegenschiss gefunden hatten!



    Diese Frau war Passagier an Bord, und jetzt wollte sie auch mit Billy Buck reden. Ja, denn sie wäre nicht weit gekommen, in den Schuhen, die sie anhatte. Aber auch, wenn der Weg vom Kai bis zum Wirtshaus nicht besonders weit gewesen war, musste sie sich ausruhen, und das sollte sie oben in einem der Gästezimmer machen.
    Ich merkte sofort, dass Hühnervettel eifersüchtig war, denn sie wurde ziemlich wütend und stampfte von einem Fuss auf den anderen.
    Innendrin musste ich über sie lachen, denn es gab ja wohl nichts, worauf sie eifersüchtig sein musste - so ein kleines Frauchen mit Kugelbauch - Billy konnte doch wohl was Besseres kriegen als so was Gebrauchtes.
    Er kam dann auch schnell wieder nach unten und flüsterte Hühnervettel was zu, dann gingen die beiden nach Draußen.
    Als sie wieder rein kamen, war Hühnervettel immer noch wütned und eifersüchtig, das merkte ich genau.



    Dann ging auf einmal die Tür auf, und Zollinspektor Dance stand in der Tür, gefolgt von einem anderen Kerl.
    "Guten Tag, Mary!", sagte Dance überschwenglich.
    "Wie ich höre, hast Du heute einen fremden Gast bekommen!"



    "Ja, hier sitze ich!", sagte Billy.
    "Dich meinte ich nicht." Dance beachtete ihn kaum. "Du bist zu gerissen für mich. Die schwangere Frau, die will ich begrüßen! Die Zollmänner unten am Kai müssen ganz schöne Idioten sein, aber ich habe ihre Spur verfolgt."
    "Wir haben wirklich gerade einen Gast von da gekriegt.", sagte Hühnervettel. "Aber die Frau ist nicht schwanger."
    Ich war so verblüfft, dass ich nicht überlegte. Hatte Hühnervettel denn ausgerechnet das nicht gesehen, wo sie doch sonst alles sofort sah.



    "Aber sie hatte doch nen dicken Bauch!", platzte ich los.
    "Was sagst Du da, Du Dummkopf!", rief Hühnervettel, und sofort kriegte ich ordentlich eine von ihr gelangt.
    "Hatte sie doch, hatte sie doch!", schnaubte ich vor Zorn und stampfte mit dem Fuss auf.
    Dance wandt sich an Mary.
    "Immer mit der Ruhe, Mary." Und dann sagte er zu mir: "Liebes, Du hast ganz recht, aber ein anständiges kleines Mädchen wie Du weiß von solchen Dingen noch nicht Bescheid. Ein anständiges kleines Mädchen sollte nicht einmal eine Ahnung davon haben, was das Wort schwanger überhaupt bedeutet. Über sowas spricht man nämlich in gesitteten Gesellschaften nicht." Er grinste Billy und Hühnervettel breit an. "Aber so kann man das hier wohl nicht gerade nennen."



    Auf einmal kam die junge Frau die Treppe runter, dünn wie ein Faden! Ich habe fast meinen Augen nicht getraut.
    "Da sind wir wohl zu spät gekommen.", sagte Dance traurig.



    "Zu gern hätte ich gewusst, was Sie unter dem Kleid hatten, als Sie an Land gingen, mein Fräulein. Geh nach oben, und sieh nach, ob Du was finden kannst.", sagte er zu dem Mann, der mit ihm herein gekommen war. Doch nach einer Weile kam er kopfschüttelnd wieder die Treppe herunter.
    "Es ist bald Mittag!", sagte Dance, und mit diesen Worten verschwanden die beiden wieder.
    "Hi, hi!", lachte die junge Frau. "Jetzt habe ich das Meine getan, und jetzt mache ich mich wieder auf den Weg."
    "Ja, Du hast Dich sehr geschickt angestellt.", sagte Billy. "Ich begleite Dich ein Stück und besorge Dir Pferd und Wagen."
    Damit gingen sie fort, und Hühnervettel plante Fürchterliches.

    Ich bin echt gespannt, was aus den beiden wird. Ob eine von den beiden sich so mit der anderen streiten wird dass sie sich trennen? Oder sogar der "Wunsch" wirklich in Erfüllung geht?
    Bin echt gespannt!
    Sylvi

    O je hast mein Beileid. Mir ist sowas auch passiert. Also bei mir sind meine Eltern gestorben.
    Ich finde es bemerkenswert wie Du das alles verarbeitest. Ich hab grad voll geheult... sorry

    Vielen Dank für alle, die einen Kommi geschrieben haben.
    Didiaaa: Danke für Dein Lob! Hat mich sehr gefreut.
    Kleine Fee: Auch dir dankeschööön!
    Irgendwie habe ich zwar den Eindruck, dass vielen meine Story nicht gefällt, weil so wenige Kommis da sind, aber ich mach trotzdem weiter, weil es uns (mir und moni) voll Spaß macht. Moni meint, die Leser sind erst mal nur still dabei und melden sich später.
    Also, auf ein Neues, gleich gehts weiter!

    Kapitel 4 - Das erste Treffen mit Jim Hawkins


    Zu Anfang war das Schreiben eine ganz schöne Strapaze. Ich konnte an nichts anderes denken, und es ging mir mehr schlecht als recht. Aber dann fing ich an, an das zu denken, was Schlotterknochen darüber gesagt hatte, wie ich schreiben solle, und danach wurde es ein bisschen besser.
    Am nächsten Tag lief Hühnervettel im Dorf herum und tuschelte mit einer Frau nach der anderen. Ich wusste genau, was da vor sich ging: Sie sollten sich nach Dance und seinen Männern umsehen. Aber dann rief Hühnervettel nach mir.



    "Du machst Dich jetzt auf den Weg zum Admiral Benbow," - das war ein Wirtshaus, das nicht allzu weit weg war - "und hörst Dich um, ob Inspektor Dance dort aufgekreuzt ist. Aber das sollen ehrenwerte Leute sein, ich würde eher sagen, sie sind scheinheilig, deshalb musst Du aufpassen, was Du sagst. Tu bloß nicht so, als ob Du es auf jeden Fall rausfinden wolltest. Sag, Du willst ihm was ausrichten. Und wenn Du ihn triffst, sagst Du, Du hättest gehört, dass er gerne Eier kaufen würde, und Du wolltest nur fragen, ob das stimmt, denn dann könnte Deine Mutter ihm welche verkaufen. Haste kapiert? Und gnade Dir Gott, wenn Du die Sache vermasselst. Dann schlag ich Dich grün und blau!"
    Ha, das war nicht schwer für mich, wo ich´s doch gewohnt war, mich durchzumogeln! Ich machte mich gut gelaunt auf den Weg. In diesem Wirtshaus war ich vorher noch nie gewesen, aber ich hatte es von Weitem gesehen.



    Es lag sogar so nah, dass ich den merkwürdigen Kerl gesehen und gehört hatte, der dort logierte. Ein richtiger Seebär, der eine Art Seemannslied vor sich hin brummte.
    "Fünfzehn Mann auf des toten Manns Kiste,
    johoho, und die Buddel mit Rum!"


    Billy Bone hieß er, so ähnlich wie Billy Buck. Ich hatte schon viel von ihm gehört und wollte ihn zugegebenermaßen mal aus der Nähe ansehen. Also rannte ich hin und sagte Guten Tag. Er war wirklich genau so, wie ihn die Leute beschrieben haben: Groß und kräftig, das Haar hing ihm wild ins Gesicht und er hatte eine Narbe von einem Säbelhieb im Gesicht.
    "Was willst Du?", brummte er.
    "Hast Du einen gesehen, der Dance heißt?", fragte ich.
    "Was ist das für einer?", fragte er, und da war es, als hätte er plötzlich einen Schatten auf dem Gesicht. Er hatte wohl Angst.
    "Ist das ein Seemann?", fragte er weiter.
    "Nein.", sagte ich und da hatte er nicht mehr solche Angst.
    "Wer ist er dann?"
    "Ein Freund von meiner Mutter.", sagte ich.
    Und mir wurde klar, dass ich von ihm nicht viel erfahren würde, und so machte ich mich wieder auf den Weg ins Wirtshaus.
    Etwas, was mich sehr wütend gemacht hat, als Schlotterknochen mir aus dem Buch vorgelesen hatte, war, dass Jim Hawkins nichts über mich geschrieben hatte. Wir kannten uns doch, und ich werde nie unser erstes Treffen vergessen.



    Er stand vor dem Wirtshaus, das blonde Haar fiel ihm leicht ins Gesicht. Er war größer und älter als ich.
    "Guten Tag!", sagte ich. "Schönes Wetter heute."
    "Guten Tag!", grüßte er.
    Ich fragte ihn nach seinem Namen.
    "Jim Hawkins.", antwortete er.
    "Weißt Du, wer Dance ist?" Er sah mich stutzig an.
    "Natürlich weiß ich das.", sagte er dann. "Aber wie heißt Du?"
    "Sally.", sagte ich kurz. Ich durfte nicht zu viel verraten.
    "Was willst Du von Dance?" Mensch, der war aber neugierig.
    "Ihm was ausrichten, von meiner Mutter. Sie verkauft ihm Eier."
    Er sah mich noch einmal von oben bis unten an.
    "Ich weiß nicht, wo er ist. Aber ich kann Mutter fragen. Sie weiß es bestimmt. Komm mit rein."
    Ja, hier war alles anders. So hell und freundlich. So sauber und fein. Seine Mutter stand am Herd.



    "Guten Tag.", sagte sie, als sie mein Eintreten bemerkte.
    "Das ist Sally. Sie will wissen, wo Dance ist. Weißt Du, wo sie ihn finden kann?"
    "Wo er im Augenblick ist, weiß ich nicht, er ist ja ständig im Distrikt unterwegs. Aber das Essen ist fertig. Jim, setzt Dich an den Tisch!"
    Es war, als wäre ich am Boden festgewachsen. Ich stand einfach da und starrte ihn an.



    Auf einem Fass, welches in der Stube stand, ließ ich mich schließlich nieder. Er sagte kurz: "Willst Du Dich nicht an den Tisch setzen?"
    Doch ich schüttelte den Kopf.
    "Da, wo ich her komme, dürfen Kinder nicht mit am Tisch sitzen."
    Dann kam seine Mutter mit der Schüssel, in der das Essen war. Ja, das war eine richtige Kraftbrühe, mit Haferschrot angedickt. Das konnte ich sogar da riechen, wo ich saß.
    Die Mutter sah mich an. "Hast Du vielleicht auch Hunger?"
    Ich hatte schon seit Monaten nichts Warmes mehr im Magen gehabt, dennoch schüttelte ich verlegen den Kopf. Doch da war sie schon unterwegs mit einem neuen Teller Suppe, und so saß ich schließlich neben Jim und löffelte den Teller blitzblank.



    Dann passierte etwas, dass ich nie vergssen werde: Die Mutter hatte bereits den Tisch abgeräumt, da stand Jim auf und sie umarmten sich. Die Mutter strich ihrem Jungen über die Wange und gab ihm einen Kuss.
    Ich weiß kaum, wie ich von da weg kam, und die ganze Zeit hatte ich die beiden vor Augen.
    "Hast Du was über Dance rausgekriegt?", fragte Hühnervettel, als ich nach Hause kam.
    "Du verfluchtes nutzloses Ding!", kreischte sie und ging auf mich los.



    "Du verdammtes Drecksweib! Fahr doch zur See!", schrie ich. (In Wirklichkeit sagte ich, dass sie ganz woanders hinfahren sollte, aber Schlotterknochen hat gesagt, so etwas kann nicht auf Papier stehen.)
    Sie hob die Hand, um mich zu schlagen, aber da war einer, der war schneller. Billy Buck hatte das Szenario beobachtet und in letzter Minute ihren Arm zu fassen gekriegt.



    "Ganz ruhig, Mary. Wir haben ja noch Zeit. Gib ihr noch eine Chance, dann wird das schon."
    Ich wischte mir die Augen ab, in denen bereits Tränen standen, und legte mich auf den verschimmelten Strohsack unter der Treppe. Ich dachte an das, was ich heute erlebt hatte. Um die Sache mit Hühnervettel kümmerte ich mich nicht groß. An so etwas war ich schon gewohnt. Aber bald machte sie etwas, was noch viel viel schlimmer war.

    Kapitel 3 - Ein gemütlicher Abend in der Schankstube


    An dem Abend hat irgendwie alles angefangen. Mit einem Mal war´s, als wär´s plötzlich dunkler und kälter in der Wirtsstube geworden. In der Tür stand ein stattlicher älterer Herr, den die meisten kannten. Sauer und mürrisch war er. Das Geschwätz hörte auf, und die Leute glotzen ihn an. Ja, er war ein seltener Gast unseres Hauses. Ich hatte ihn, glaube ich, vorher noch nie im Grünen Dachs gesehen, aber ich wusste genau, wer er war: Der Waldhüter droben vom Gutshof, Thomas Redruth. Ein zänkisches Weibsbild, von dem er sich erholen musste, hatte er nicht. Kann sein, er wollte sich mit einem Schluck trösten, eben gerade deshalb. Oder er hatte einen armen Hungerleider nicht geschnappt, der im Wald beim Gut einen Hasen abgeschossen hatte. "Guten Tag, Hochwohlgeboren!", rief Billy Buck. Dann rempelte er Schlotterknochen, der neben ihm saß, in die Seite. "Bring ein Glas feinsten Rum, Du Dummkopf!"



    Schlotterknochen lief sogleich und der Gutsherr gesellte sich an den Tisch, an dem Billy saß. Billy, der Spaßvogel, wollte sofort einen Jux mit ihm machen, doch das hätte er sich sparen können.
    "Trinken könnt Ihr!", sagte Redruth. "Aber wenn der Gutsherr Hilfe bei der Feldbestellung oder bei der Ernte braucht, dann kann man kaum Leute kriegen."
    "Vielleicht verdienen sie mit anderen Sachen besser.", sagte Billy Buck. "Beim Fischen zum Beispiel."
    Die ganze Wirtsstube lachte.



    "Oh, ich denke, sie sind beim Fischen auf etwas anderes aus, als auf Fisch." Redruth ließ sich nicht beirren.
    "Die Leute aus der Stadt sollten sich schämen!"
    "Aber warum denn das?", fragte Billy unschulig. Er tat, als würde er nichts verstehen.
    "Ja, das werde ich Dir sagen, fall´s Du´s noch nicht wissen solltest, Du Gauner!" Redruth ließ nicht locker.
    "Ihr betrügt den König! Ja, das tut Ihr! Fast nichts kauft Ihr auf ehrliche Weise - geschmuggelte Sachen sind das! Allzu viele halten zu den Schurken und erzählen nicht, was sie gehört oder gesehen haben!"



    Er war wohl an diesem Abend regelrecht auf dem Kriegspfad gegen alles, was nicht ganz Rechtens war.
    "Sachte, sachte..", sagte Billy Buck ruhig. "Ist es denn erstaunlich, dass manche sich ärgern, wenn sie mehr bezahlen sollen, als ein braver Arbeiter aufbringen kann, für Tee, Tabak und viele andere Sachen, von denen man Freude und Nutzen hat? Wenn der Zoll so ungeheuer hoch ist, dann haben sie wohl keine Lust, die zu verpetzen, die ihnen die Sachen zu einem vernünftigen Preis verschaffen. Man sagt, dass hier im Distrikt auch auf den Tischen der Herrschaften Schmuggelware zu finden ist, weil sie ihre Finger dabei im Spiel haben. Du kannst ja Deinen Herrn, den Gutsherrn Trelawney, danach fragen. Ich habe gehört, er weiß auch von jenen Dingen!"



    Peng! Redruth haute mit der Faust auf den Tisch.
    "Wie kannst Du es nur wagen, so etwas zu sagen?"
    "Sachte, sachte..." Wieder blieb Billy ganz ruhig.
    "Ich habe ja gar nichts Schlechtes über Deinen Gutsherrn gesagt, sondern nur, dass Du ihn danach fragen kannst."



    "Ich gehe jetzt!", schrie Redruth, als würde das irgendwen traurig stimmen. "Und ich schwöre Dir: Zollinspektor Dance macht bestimmt bald einen Ausflug in diese Gegend, und schaut bei Euch rein! Dann weht hier ein anderer Wind!"
    Dann schritt er aus der Stube. Für einen kurzen Moment war alles still, doch dann sagte Billy: "Hunde, die bellen, beißen nicht. Und schon gar nicht solche, die keine Zähne mehr im Maul haben!"
    Die Schankstube gröhlte und lachte, dann fingen sie an zu singen:
    Habt Ihr schon gehört,
    vom tapferen Johnny?
    Aus fernen Ländern
    ist er heimgekehrt!
    Er ist zurück, ja, er kam
    über´s salzige Meer
    mit dem wilden Westwind!


    Und Billy erzählte und machte Späße und lachte, und die Leute fingen wieder an, zu reden und fühlten sich wieder wohl.
    Hühnervettel wollte sich sogleich wieder an Billy ranschmeißen, doch da sagte er ernst:
    "Jemand sollte nach Dance Ausschau halten, jemand, der möglichst unauffällig ist und unverdächtig aussieht!"
    Und Hühnervettel sagte prompt:
    "Da kenne ich einige. Darüber sprechen wir morgen!"
    "Ja, Du weißt immer Rat, Mary, auf Dich kann man sich verlassen!", sagte Billy, und Hühnervettel kicherte glücklich vor sich hin.

    Kapitel 2 - Das Wirtshaus


    Jetzt hab ich erzählt, wie es kam, dass ich mit dem Schreiben angefangen habe, und nun will ich Euch erzählen, wie das andere zuging.



    Ich wohnte im Wirtshaus Zum Grünen Dachs, zusammen mit Knochengestell, der, wie ich dachte, mein Vater war, und Hühnervettel, meiner Mutter. Mit Knochengestell hatte es etwas sehr Merkwürdiges auf sich: Er konnte lesen und schreiben, und einige sagten, dass er früher Pfarrer war. Trotzdem hatte er vor allen möglichen Sachen Angst. Manchmal hatte er sogar solche Angst, dass ihm die Zähne im Mund aufeinander klapperten. Deshalb nannte ich ihn immer Schlotterknochen. Die anderen sagten immer Knochengestell zu ihm. Er wollte nicht gern, dass die Leute ihn sahen, deshalb versteckte er sich meist in dunklen Winkeln.



    Die allergrößte Angst hatte er aber vor Hühnervettel, und das war auch kein Wunder, denn so ein übles Weib gab es auf der ganzen Cocosinsel kein zweites Mal. Manchmal konnte ich gar nicht glauben, dass er sich einmal nahe genug an sie heran getraut hatte, um mein Vater zu sein.
    Hühnervettel keifte und jammerte den ganzen Tag, dass ich nicht genug tat. Ich solle Holz hacken, ich solle Wasser holen, und ich solle die Wäsche im Bach ausspülen.



    Manche Gäste haben mich rumgescheucht und gekniffen, und andere haben mir auch Fusstritte versetzt, wenn ich ihnen nicht schnell genug war. Hühnervettel hat mich meistens an meinen langen Haaren gezogen und geschlagen, aber meistens war ich schneller als sie und konnte ihr entwischen.
    Irgendwie ist´s mir in unserem Wirtshaus auch ganz gut gegangen. Ja, ich glaub, ich hätte mich ganz wohl gefühlt, wenn ich nur etwas mehr zu essen gekriegt hätte, denn von den schimmeligen Käseresten und den harten Brotkrusten, die Hühnervettel mir hinwarf, konnte man schlecht fett werden.



    Aber auch dort konnte es schön sein!
    Ich hätte mir auch niemals erträumen lassen, dass Hühnervettel so abgrundtief schlecht war, sich so was Gemeines für mich auszudenken. Aber davon will ich ja jetzt erzählen.
    Am Schönsten wars im Grünen Dachs, wenn Billy Buck auftauchte. Und das war vielleicht ein Kerl, das sag ich Euch!



    Hühnervettel ist um ihn rumgeturtelt und hat ihm schöne Augen gemacht, aber er hätte jede kriegen können und hat sich nicht groß um sie gekümmert. Aber trotzdem war da was zwischen denen. Denn Billy zog die Leute an, und Hühnervettel hat das ausgenutzt.



    Oft hat sie mich in die Stadt geschickt, zu diesem oder jenen Tagelöhner. Da sollte ich sagen, dass Billy jetzt da war, und dann kamen die Leute, dass die Wirtsstube ganz voll wurde.
    Billy spendierte Überseerum anstatt dem saueren Bier, sodass am Ende des Abends alle betrunkener als an anderen Tagen nach Hause trotteten.



    Ich habe mich meist auf die Treppe gesetzt und heimlich zugehört, damit ich so viel wie möglich mitkriegte, denn hier war´s spannend und toll. Die haben ja nicht immer genau gesagt, was sie meinten, aber ich hab trotzdem das meiste kapiert.
    Aber dann kam ein Abend, den ich nie vergessen werde...

    Kapitel 1 - Eine Art Vorwort


    Es fing wohl damit an, dass Schlotterknochen etwas in seinem Bündel nach Hause brachte.
    Er machte es auf und zeigte es mir.
    "Das ist ein Buch!", sagte er. Ja, soviel wusste ich auch, obwohl es das erste Mal war, dass ich ein Buch aus nächster Nähe sah.




    "Weißt Du, wie es heißt?", fragte er mich.
    "Oh je, hat´s etwa auch einen Namen?", fragte ich. "Ist´s getauft? War´s in der Kirche?"
    "Alle Bücher haben einen Namen.", erklärte Schlotterknochen. "Manche haben auch mehrere. Das ist genau wie bei den Menschen."



    "Wie heißt´s denn nun?", fragte ich. "George vielleicht?" Ja, das war möglich, denn so hieß der König, hatte ich gehört. Und ein Buch musste schließlich auch einen feinen Namen haben, dachte ich.
    "Es heißt Die Schatzinsel.", sagte Schlotterknochen. Da blieb ich eine Weile stumm. So etwas Sonderbares!
    "Und es handelt von Leuten, die Du kennst!", erklärte er weiter.



    "Von Jim Hawkins, Gutsherr Trelawney und Dr. Livesey zum Beispiel."
    "Oh je.", seufzte ich wieder. "Sind die ganz klein geworden und jetzt da drin?" Denn ich dachte, es könnte so etwas wie Hexerei sein.
    "Irgendwie schon...", murmelte Schlotterknochen.
    "Jim Hawkins hat es geschrieben."
    "Jim Hawkins? Dieser kleine Schmarotzer?! (Ich fand übrigens nicht wirklich, dass er ein Schmarotzer war.) Was hat er denn da geschrieben?"



    Und Schlotterknochen fing an, zu lesen. Die nächsten Tage tat er fast nichts anderes als lesen, und ich tat fast nichts anderes als zuhören.
    Schlotterknochen war wohl ein gebildeter Mensch, doch das Vorlesen war er wohl nicht so gewohnt, und ich musste zwischendrin immer nachfragen, wenn ich was nicht verstanden habe, und auch fluchen. Zum Schluss habe ich dann gesagt: "Jetzt will ich ein Buch schreiben! So, wie es wirklich war!"



    "Du kannst ja gar nicht schreiben!", sagte Schlotterknochen.
    "Aber Du kannst es!", gab ich zurück.
    "Es ist gefährlich, über so was zu schreiben!", sagte er.
    "Du weißt schon, Sally, wir haben ganz schön viel erlebt! Und wenn es aufgeschrieben ist, dann steht es da, und alle können es lesen."
    Ich fiel ihm ins Wort. "Aber alle können doch gar nicht lesen!"



    "Sheriffs und Friedensrichter und solche Leute können lesen.", sagte er wieder.
    "Dann will eben ich selbst schreiben! Ich will es lernen!"
    "Dazu musst Du zuerst lesen lernen." Er sah mich misstrauisch an.
    "Jawohl!", rief ich, bestimmt wie nie zuvor.



    Und es war eine Quälerei, und es dauerte lange. Aber zum Schluss konnte ich beides, und da hab ich selbst geschrieben. Und meine Geschichte fängt schon viel eher an als die von Jim Hawkins. Der hatte noch nicht mal was von der Schatzinsel geahnt, als meine Geschichte anfing. Und hier ist sie:

    Das Geheimnis der Schatzinsel


    Liebe Leute, groß und klein,
    Ihr sollt hier Willkommen sein.
    Zu meiner Pirateng´schicht!
    Vergesst das Weiterlesen nicht!


    Diese Fotostory erzählt von Sally, die auf der Cocosinsel lebt, in der Nähe von Südamerika. Es geht um das Buch "Die Schatzinsel", sehr verbreitet, auch mehrmals verfilmt, bzw. um die Story: "Sally und das Geheimnis der Schatzinsel", geht aber viel mehr auf Sally´s Leben ein. Das Buch wurde geschrieben von Jo Tenfjord, hier der Link, das Buch ist echt lesenswert: Hier gehts zum Buch
    Lest selbst, was sich hinter dem Geheimnis der Schatzinsel verbirgt! Viel Spaß!


    Sylvi


    Kapitelübersicht (wird immer geändert):


    1. Kapitel: Eine Art Vorwort


    2. Kapitel: Das Wirtshaus


    3. Kapitel: Ein gemütlicher Abend in der Schankstube


    4. Kapitel: Das erste Treffen mit Jim Hawkins











    Juli 2008


    "Aaaangsthase!!!", grölten ein paar Jugendliche, und deuteten dabei auf ein junges Mädchen, welches beleidigt die Hände vor dem Körper verschränkte.
    "Ich gehe nicht in dieses Horror-Haus! Drei Kinder und eine Lehrerin wurden da drin ermordet!"
    Die Jugendlichen sahen sie spottend an. "Und Du glaubst, es spukt nun da drin, oder was?", fragte der Junge mit den Piercings. Natürlich mochte sie ihn, zugegeben, sie hatte sich sogar ein wenig in ihn verliebt. Aber dass er jetzt so gemein war! Das war wirklich böse von ihm! Mark war der Mädchenschwarm schlechthin, aber für ihn in dieses Geisterhaus gehen? Nie im Leben!





    Ihre Freundin Jule hatte natürlich wie immer keine Angst. Voller Tatendrang trieb sie die Gruppe zum Aufbruch an. "Wir sollten uns jetzt wirklich auf den Weg machen, Leute! Bald ist Geisterstunde! Lisa, sei nicht so ein Feigling und komm mit!"
    Oh mann, dachte Lisa, fängt sie jetzt auch noch an!
    Sie entschloss sich, mitzukommen. Alleine wollte sie auch nicht daheim bleiben, und irgendwie hatten die anderen ja recht. Was sollte schon passieren?





    Als die Gruppe sich dem dunklen Gebäude näherte, wäre Lisa doch lieber umgekehrt. Aber sie wollte jetzt nicht mehr kehrt machen.
    "Sieh nur, da unten brennt Licht!", sagte Mark und lachte. Wahrscheinlich Glühwürmchen, dachte Lisa. Sie liefen den Hügel hinunter richtung Schule, wobei Lisa darauf achtete, ja nicht zu weit von den anderen entfernt zu sein.





    Jule quängelte, weil ihre Schuhe sie drückten und sie nicht so schnell nachkam, doch irgendwann erreichte auch sie den stillgelegten Pausenhof. Durch die Hintertür drangen sie in das Gebäude ein.
    Im Inneren sah es schrecklich aus. Überall befand sich eine dicke Staubschicht, und man fand zahlreiche Spinnennetze an den Wänden.





    Das erste Klassenzimmer, welches sie betraten, war jenes, indem vor zwanzig Jahren ein Schüler durchgedreht war und mit dem Revolver seines Vaters die Lehrerin erschossen hatte. Hier hatte es begonnen. An den Wänden sah man noch immer das Blut, keiner hatte hier sauber gemacht.
    Die Jugendlichen betrachteten alles sehr genau. Man konnte fast fühlen, was damals geschehen war, so real war hier alles. Sie marschierten weiter in ein Zimmer, welches mit Stühlen gefüllt war. Vor den Stühlen befand sich ein großer, schwarzer Vorhang.





    "Hier ist wohl das Theaterzimmer, indem der Amokläufer das junge Mädchen an die Wand gedrückt und erschossen hatte.", stellte Mark sachlich fest.
    Und wieder sahen sie sich das Zimmer sehr genau an, als plötzlich jemand zu schreien begann...





    Da stand auf einmal eine Frau, nein, wohl eher ein Geist! Sie schrie, als wäre gerade eine Kugel durch ihren Kösper gejagt worden. Sie hielt sich die Hände vor die "Wunde", und eine Minute später verschwand sie.



    Die Gruppe hatte nur noch einen Gedanken: Raus hier!
    Sie liefen in den FLur, doch dort wartete bereits die nächste Überraschung. Drei Kinder standen genau vor dem Ausgang!





    Mit den Kindern war es ähnlich wie mit der Frau eben. Auch sie sahen aus, als wären sie schon lange tot. Jetzt gab es nur noch einen Ausweg: Ein Fenster. Die vier schlugen gemeinsam eine Scheibe ein und halfen sich gegenseitig, hindurchzukommen.





    Nun hieß es laufen, und das taten sie auch. Und noch von weitem hörten sie die Schüsse, die durch das Gebäude jagten, und die Schreie der verzweifelten Kinder...




    PS: Danke an Monimausal für die Downloads!

    hallo moni... die entwicklung und der verlauf deiner story ist ja wirklich unglaublich und gelungen. deine parallelen zur realen welt und deiner weise zu schreiben, machen deine geschichte zu was ganz besonderen. wenn man schonmal mit dem tod eines menschen konfrontiert wurde, welcher in dem mentalbedachten bzw einer ähnlichen beziehung und gleichen bezug stand wie rilana zu ihrem vater, weis man wovon du sprichst und kann der fotostory bejaend und nickend zustimmen und mit sicheren gewissen sagen, genau so ist es. ich finde deine story sehr gut und stellenweise sehr aufbauend. viel glück bei weiteren teilen und RESPEKT.

    AAAAAAAAAA musste gerade voll viel lesen!
    Juhu ich find alles toll. Das gefängnis ist voll schön!
    und rilanas neue frisur steht ihr auch gut. sieben jahre istschon eine lange zeit, aber wenn sie dann wenigstens wieder zu ihren kindern´darf dann darf sie sich ja trottdem auf was freuen.
    viele grüße deine sylvi

    Jennys Frühlingsreise


    Jenny war sieben Jahre alt, ein lebenslustiges kleines Mädchen, das am liebsten mit seinen Pferden spielte und sich Fantasiegeschichten ausdachte.





    In den letzten Wochen hatten ihre Eltern sie häufig zu verschiedenen Ärzten gebracht - alte Männer in weißen Kitteln - die sie komisch ansahen und ihr immer wieder mit Spritzen in den Arm stachen und ihr Blut abnahmen. Zuerst hatte Jenny Angst gehabt, die Spritzen taten weh und die Männer waren ihr unheimlich, aber irgendwann hatte sie sich daran gewöhnt.
    Doch sie beklagte sich nicht. Ihre Mami war die ganze Zeit immer so traurig gewesen und hatte so viel geweint. Und wenn Jenny artig zu den Ärtzen ging, dann schien sie sich darüber zu freuen. Also war sie artig. Jenny wollte nicht, daß ihre Mutter weinte, und so schlimm war es ja nun auch nicht. Sie war schließlich schon ein großes Mädchen, hatte Papa gesagt, also wollte sie sich auch wie eines benehmen.
    Jenny hatte am Fenster ihres Zimmers gestanden und hinaus auf die Pferdeweide geschaut, als sie ihre Mutter telefonieren hörte. Sie hörte immer wieder ihren Namen. Sie wollte wissen, worüber ihre Mama da redete.
    Sie stürmte aus dem Zimmer, rannte den Gang entlang und sah gerade noch, wie ihre Eltern in das Büro gingen. Das fand Jenny eigenartig - normalerweise hielten sie sich nie da drin auf. Und schon gar nicht zum telefonieren.
    Sie ging bis zu der Tür des Büros und lauschte. Ihre Mutter hatte ihr immer verboten zu lauschen, aber Jenny hatte das Gefühl, dass sie einfach hören musste, was da drinnen passierte. Vielleicht musste sie wieder zum Arzt! Der Gedanke erschreckte Jenny.
    Der Flur war leer, niemand beobachtete Jenny, als sie ein Ohr an die Tür presste. Zuerst war nichts zu verstehen, doch plötzlich schrie ihre Mutter so laut auf, daaa Jenny vor Schreck fast ebenfalls geschrien hätte.
    “Nein! Nein, Jenny darf nicht sterben. Oh Gott, Herr Doktor, sie müssen doch etwas tun können! Nein...” hörte Jenny ihre Mutter rufen, dann war da nur noch ein verzweifeltes Schluchzen. In diesem Moment wäre Jenny am liebsten einfach in das Büro gelaufen und ihrer Mutter um den Hals gefallen, sie zu trösten. Mami, du darfst nicht weinen, dachte sie. Ich werde nicht sterben, Mami, ich bin doch gesund, mir geht's doch gut.
    Und dann war da plötzlich dieses Geräusch, dass Jenny nie zuvor gehört hatte und doch sofort erkannte. Sie hörte dieses Geräusch und wusste, dass es stimmte, dass sie sterben würde. Sie hörte ihren Vater weinen...
    Verwirrt ging sie den Gang zurück zu ihrem Zimmer. Sie setzte sich auf ihr Bett und sah zu Boden. Ihre Gedanken sausten wie wild durcheinander, so, dass sie gar nicht wusste, was sie denken sollte.





    Sie musste also sterben. Aber jeder Mensch musste doch einmal sterben. So wie Oma letztes Jahr, die war auch gestorben. Aber Oma war auch schon alt gewesen, dachte Jenny. Wie alt, wusste sie nicht, aber wenn man so alt wie Oma war, dann starb man eben. Aber Jenny war doch erst sieben. Und sie kannte viele Leute, die älter waren als sie. Also war sie noch nicht alt genug zum Sterben.
    Jenny fragte sich, was es mit dem Sterben auf sich hatte. Papa hatte ihr gesagt, dass man dann in den Himmel kommt, zum lieben Gott, und dort sei immer Frühling. Es sei wie einer dieser vielen Frühlingsausflüge, die sie mit ihrem Papa schon unternommen hatte. Diese Vorstellung gefiel Jenny. Sie hatte sich schon gefragt, wie der liebe Gott wohl aussehen mochte. Papa hatte auch gesagt, dass er immer bei ihr sei. Egal wo Jenny auch hinginge, der liebe Gott wäre bei ihr und würde auf sie aufpassen. Daraufhin hatte sie sich immer umgesehen, ob sie ihn entdecken würde, doch es schien zu stimmen - man konnte ihn nicht sehen.






    Doch vielleicht konnte er sie ja hören. Er musste schon besonders gute Ohren haben, um vom Himmel aus zu hören, was sie sagte - aber er war immerhin der liebe Gott!
    Jenny stand auf, ging zum Fenster und öffnete es. Sie wollte mit dem lieben Gott reden und wenn er ihr zuhören sollte, wollte sie es ihm so einfach wie möglich machen...



    Drei Monate später stand Jenny am Fenster ihres Kinderzimmers und sah hinaus zu den Pferden. Sie hatte seit ihrem ersten Gespräch mit dem lieben Gott jeden Abend hier gestanden und geredet.





    Am Anfang dachte sie, er würde ihr nicht zuhören, weil er nie antwortete. Doch nach einer Weile war sie zu der Überzeugung gelangt, dass er zwar gute Ohren hatte, aber nicht so laut schreien konnte, dass sie ihn hier unten hören konnte.
    Ihre Eltern hatten ihr nichts von dem Gespräch mit dem Oberdoktor erzählt und Jenny hielt es für besser, nicht zu zeigen, dass sie gelauscht hatte. Mami würde dann bestimmt böse werden und sie hatte es auch so schon schwer genug. Auch wenn der liebe Gott ihr keine Antworten auf ihre Fragen gab, tat es ihr gut, mit ihm über ihre Sorgen zu reden. Ihre Eltern waren ja immerzu so traurig, oft hörte sie sie nachts weinen, da wollte sie ihnen nicht auch noch mit ihren Problemen zur Last fallen.
    So stand Jenny jeden Tag am Fenster, sah in den Himmel und sprach mit dem lieben Gott, der dort oben immer Frühling hatte.





    Sie erzählte ihm, dass ihre Eltern sie nicht mehr zur Schule gehen liessen, weil sie immer so müde und schwach war. Das machte sie traurig. Sie konnte zwar ganz gut lesen und schreiben, aber das Rechnen fiel ihr noch schwer. Und sie wollte nicht dumm in den Himmel kommen. Papa hatte immer gesagt, wie wichtig es sei, gut rechnen zu können. Und weshalb sollte das im Himmel anders sein?
    Vielleicht musste man so weit weg sein, wie der liebe Gott es eben war, um zu verstehen, dass sie keine Angst mehr hatte zu sterben.





    Die Einsicht, dass der liebe Gott genau Bescheid wusste über ihre Sorgen und Ängste, hatte irgendwann dazu geführt, dass sie keine Angst mehr hatte. Wenn sie im Himmel war, würde sich der liebe Gott um sie kümmern. Er würde für sie da sein und dafür sorgen, dass nichts von dem, wovor sie sich fürchtete, passieren würde. Schließlich war er der liebe Gott und konnte alles so machen, wie er es wollte. Und weil sie ihm gesagt hatte, wovor sie Angst hatte, würde er dafür sorgen, dass nichts davon passierte.
    Jenny stand am Fenster und sah hinaus in den Abendhimmel, der von der untergehenden Sonne rot gefärbt war. Einige Sterne waren schon zu sehen und auch der Mond war auch bereits aufgezogen.
    Sie fühlte sich schwach und müde, ihre kleinen Hände hielten sich am Fensterbrett fest, damit sie nicht fiel. Ihr Herz schlug, sie konnte es hören. Die Luft roch nach Frühling, nach erwachendem Leben und Wärme. Ihre Augen glänzten matt als sie die Welt vor ihrem Fenster betrachtete.





    “Lieber Gott, das hast du alles wirklich hübsch gemacht, mit der Sonne und dem Mond und den Sternen”, sagte sie und lachte leise. “Weißt du, ich glaube, es wird mir bestimmt bei dir gefallen...Mir gefällt der Frühling so gut.”





    Jenny schloss das Fenster, ging zu ihrem Bett und legte sich hinein. Sie fror plötzlich sehr, also zog sie die Decke bis zum Hals hinauf, doch es half nur ein wenig. Ein scheues Lächeln überflog noch einmal ihre Lippen. “Ich werde Oma besuchen”, flüsterte sie.





    Dann schloss Jenny die Augen und machte sich auf die Reise in den Frühling...