*Fotostory* Klaudia - Farben der Sehnsucht

  • Kapitel 43: Zweifel



    Stundenlang kreisten meine Gedanken nach dieser missglückten Nacht mit FRancesco und ließen mich nicht zur Ruhe kommen. Doch schließlich schlief ich ein. Mir kam der tröstliche Gedanke, dass Francesco und ich uns erst einmal aufeinander einlassen mussten. Vielleicht hatte er ja nur gesagt, er hätte es schön gefunden, weil er mich nicht kränken wollte? Vielleicht war er auch so nervös wie ich und daher war unser erstes Mal so in die Hose gegangen? Es musste einfach so sein! Ich nahm mir sogar vor, ihn darauf anzusprechen. Ganz vorsichtig natürlich. Doch als ich am Morgen aufwachte, war die andere Bettseite bereits leer.



    Der Blick auf den Wecker auf dem Nachttisch verriet, dass es gerade einmal sieben Uhr war. Daher dachte ich auch zunächst, dass Francesco nur im Bad wäre. Doch als er nach 15 Minuten immer noch nicht zurück war, entschloss ich mich aufzustehen und mich anzuziehen. Ich war gerade dabei das Bett zu machen, als das Hausmädchen, Anke, wenn ich mich recht erinnerte, das Zimmer betrat. „Fräulein Blech, Sie sind ja bereits wach“, stellte sie überrascht fest. „Aber bitte, Sie müssen das Bett nicht machen. Das ist doch meine Aufgabe.“



    Einem Impuls folgend wollte ich die ebne erst sorgfältig gerade gestrichene Decke wieder zerwühlen, weil ich befürchtete, Anke könnte Ärger dafür bekommen, wenn jemand erführe, dass ich ihre Arbeit erledigt hatte. Aber natürlich was das dumm. Ich ließ die Decke also in Ruhe und ging auf sie zu. „Anke, wissen Sie wo Francesco ist? Ich kann ihn nicht finden.“ Anke wirkte sichtlich verlegen, als sie mir antwortete. „Lord Hartfels bat mich Ihnen mitzuteilen, dass er dringend eine Geschäftsreise antreten musste. Er wird die nächsten vier Wochen in Südamerika unterwegs sein.“



    Ich glaubte zunächst, mich verhört zu haben. Francesco konnte doch nicht einfach abreisen, ohne ein Wort zu sagen. Und das, wo wir doch gerade erst miteinander geschlafen hatten. War es für ihn etwa so furchtbar gewesen, dass er sofort die Flucht ergreifen musste? Anke lächelte mir mitfühlend zu, doch eine Erklärung konnte sie mit verständlicherweise nicht liefern. „Nehmen sie doch auf der Terrasse Platz, Fräulein Blech“, forderte sie mich stattdessen auf. „Es ist ein sehr schöner Morgen. Ich werde ihnen dann das Frühstück draußen servieren.“



    Als ich auf die Terrasse hinausging, fiel mein Blick sofort auf das große Schwimmbecken, welches mir bei meinen vorherigen Besuchen nicht aufgefallen war. Und ich entdeckte Alexis, die darin ihre Bahnen zog. Als sie mich bemerkte, winkte sie mir gleich zu. „Guten Morgen, Klaudia!“ rief sie fröhlich und schwamm an den Beckenrand, um mit einer geschickten Bewegung aus dem Wasser zu steigen.



    Sie hüllte sich in einen Satin-Bademantel, der am Beckenrand lag, und setzte sich zu mir an den Tisch, wo bereits die dampfenden Waffeln auf uns warteten. „Du siehst nicht besonders glücklich aus, Klaudia“, stellte sie fest, nachdem wir schweigend zu essen begonnen hatten. „Ist etwas passiert?“ Doch ehe ich antworten konnte, kam sie schon selbst auf des Rätsels Lösung. „Warte, es geht um Francesco. Mein lieber Bruder hat sich bestimmt wieder einmal davongeschlichen, ohne sich von seiner Liebsten zu verabschieden. Deshalb stand die Limousine heute früh schon vor dem Schloss.“



    Ich nickte betrübt. „Du darfst dir das nicht so zu Herzen nehmen, Klaudia. Du bist nicht die erste Frau, die ich hier morgens allein am Pool antreffe. Nicht das du mich falsch verstehst, viele Frauen gab es da nicht. Mein Bruder ist kein Frauenheld. Aber er ist ein Einzelgänger. Und manchmal wird ihm Nähe einfach zu viel und er beschließt zu fliehen. So sieht er selbst das natürlich nicht. Für ihn sind es immer wichtige, unaufschiebbare Geschäfte, die seien Aufmerksamkeit verlangen. Dabei hätte er dich doch nur kurz wecken müssen. Aber so ist Francesco nun einmal. Selbst Mutter und ich wissen oft genug nicht, wohin er verschwindet. Aber auf eines kann man sich verlassen: Er kommt immer zurück.“


    *****



    Alexis Worte schafften es nicht, meine Ängste zu mildern. Ich war mehr und mehr davon überzeugt, dass Francesco nur deswegen verschwunden war, weil er sich von mir abgestoßen fühlte. Deshalb hat er es auch nicht ertragen, mich beim Sex anzusehen. Wahrscheinlich hat er stattdessen an eine der vielen Frauen gedacht, die Alexis erwähnt hatte und die er viel lieber statt mir im Bett gehabt hätte. Ist er etwa auch verschwunden, weil er die Hochzeit absagen wollte? Wie würde ich dann dastehen, vor meinen Freunden und vor meinen Eltern? Wie sollte ich es ihnen erklären, dass er mich auf einmal nicht mehr wollte? Um nicht ganz verrückt zu werden, versuchte ich mich so gut es ging abzulenken. Seit Israel gelang mir das beim Malen nicht mehr so richtig. Aber beim Gitarrespielen, insbesondere in der Öffentlichkeit, wurden meine Gedanken wider klarer.



    Es gab natürlich keine stichhaltigen Anzeichen dafür, dass Francesco die Verlobung lösen wollte. Er hatte nichts in der Richtung angedeutet. Und war es vor kurzem nicht noch mein eigner Wunsch die Verlobung zu lösen? Ich war so verwirrt, dass ich gar nicht mehr wusste, was ich wollte. Wenn ich doch mit Francesco hätte sprechen können. Doch er ging niemals an sein Handy, wenn ich ihn anrief und beantwortete auch keine meiner Kurznachrichten. Selbst in Südamerika solle es doch wohl Handyempfang geben. Und das brachte mich wieder zu meinen Selbstzweifeln zurück. Wollte er mich denn überhaupt noch wiedersehen, geschweige denn heiraten? Es war ein Teufelskreis.



    Zwei Wochen wartete ich, ohne ein Lebenszeichen von Francesco zu bekommen. Zwei Wochen in denen ich kaum etwas anderes tun konnte als darüber nachzudenken, ob ich ihn heiraten konnte, ob ich es wolle oder ob er es konnte und wollte. Da ich mich zuhause ständig vor Jamie und Magda rechtfertigen musste und mir die ewigen Beteuerungen, es ginge mir gut und ich sei glücklich, langsam zum Halse raushingen, zog ich mich in die zahlreichen Parks von Rodaklippa zurück. Im japanischen Garten erhoffte ich mir endlich Klarheit zu bekomme. Das ganze Zen um mich herum musste ja für etwas gut sein.



    Doch statt Klarheit übermannte mich bei all dem harmonischen Anblick die pure Verzweiflung. Ich hatte mich in eine Sackgasse manövriert, aus der es kein Entkommen mehr gab. Ich wollte Francesco nicht heiraten. Wir hatten uns nichts zu sagen, wir hatten keine gemeinsamen Interessen. Er war mir gegenüber kalt und abweisend und unsere unglückliche gemeinsame Nacht war da nur die Spitze des Eisbergs. Und mit so einem Mann sollte ich den Rest meines Lebens verbringen? Mit ihm Kinder aufziehen? Das konnte ich einfach nicht.



    Aber was war die Alternative? Würde ich die Hochzeit absagen, dann würde ich mich in aller Öffentlichkeit, vor all meinen Freunden und meiner Familie demütigen lassen. Ich würde auch Francescos Ruf und den meiner Tante beschmutzen, die diese Ehe doch eingefädelt hatte. Aber vor allem wäre ich allein. Ich hätte keinen Mann und all meine Träume von Ehe und Familie wären dahin. Ich ließ meinen Gefühlen freien Lauf und versuchte den Schmerz heraus zu weinen. Und jeder Träne, jedem bitteren Schluchzer, schienen mindestens zwei weitere zu folgen. Ich weiß nicht, wie lange ich dort noch so gestanden hätte, hätte nicht eine mir wohlvertraute Stimme besorgt, „Klaudia, ist…ist alles in Ordnung bei dir?“, gefragt.

  • Kapitel 44: Tausend Schmetterlinge



    Heulend stand ich im japanischen Garten, als eine mir wohlvertraute Stimme fragte: „Klaudia, ist…ist alles in Ordnung bei dir?“ Überrascht drehte ich mich um und sah Gernot ins Gesicht. Das erste was mir auffiel, war sein tief besorgter Blick. Und beim Anblick meiner vom vielen Weinen ganz verquollenen Augen zuckte er regelrecht zusammen. „Was ist passiert?“, fragte er allarmiert. Ich wollte ihm ja antworten, aber ich brachte nur ein unverständliches Schluchzen hervor, welches einem Knurren sehr nahe kam. Gernot verstand das offenbar als Aufforderung zu verschwinden. „Es tut mir leid, Klaudia, ich hätte dich nicht ansprechen sollen. Nicht nach dem, was ich dir angetan habe. Du hast mir ja sehr deutlich zu verstehen gegeben, dass du mich nie mehr sehen willst. Und ich habe das auch verdient. Aber als ich dich eben so bitterlich weinen sah, da musste ich einfach sicher gehen, dass dir nichts fehlt. Das war offenbar ein Fehler. Ich werde dann jetzt besser gehen.“



    „Halt“, hörte ich mich sagen, bevor ich Zeit hatte, darüber nachzudenken. „Geh nicht, Gernot, bitte.“ Gernot war gerade im Begriff gewesen zu gehen und hielt nun verblüfft in seiner Bewegung inne. „Es geht mir nicht gut“, gestand ich, auch wenn es kaum zu übersehen war. „Ich hab einen furchtbaren Fehler gemacht und ich weiß nicht, wie ich da wieder raus kommen soll. Ich könnte jetzt wirklich einen Freund gebrachen, mit dem ich darüber reden kann.“ „Freund?“, fragte Gernot erstaunt. „Nach allem, was ich dir angetan habe? Das habe ich nicht verdient, Klaudia.“



    Und ob er das hatte. Und noch viel mehr. Blitzschnell ließ ich meinen Kopf nach vorne schnellen und küsste Gernot. Überrascht riss er die Augen weit auf und ich war nicht minder überrascht über meine Aktion. Doch meine Lippen ruhten noch immer auf seinen, als mir klar wurde, dass ich gerade in diesem Augenblick zum ersten Mal seit langem wieder das Richtige tat. Ja, Gernot hatte mich verletzt. Aber er hatte sich mehrfach entschuldigt. Und sein Auftritt gerade ließ keinen Zweifel daran, dass er seine Tat aufrichtig bereute. Und was immer auch vorgefallen war, ich durfte nicht vergessen, dass er der erste Mann war, der mich geliebt hatte. Und er hatte dies bereits getan, als ich noch dick und unansehnlich war. Er hatte nicht bloß die hübsche Fassade geliebt, die John, Israel, Roman und auch Francesco angezogen hatten, nein, er hatte wirklich mich geliebt, die kleine, dicke, unsichere Klaudia.



    Und ich hatte auch nie aufgehört, ihn zu lieben. Das wurde mir jetzt deutlicher, als jemals zuvor. Und Gernot schien es nicht anders zu ergehen. Denn nach dem ersten Schreck erwiderte er meinen Kuss. Und ich spürte das Feuerwerk, ich spürte die tausend Schmetterlinge in meinem Bauch, die ich bei Francesco so vermisst hatte. Kein Wunder, denn sie hatten ja alle auf Gernot gewartet.



    Was immer Gernot noch vorgehabt hatte, er ließ alle Pläne fallen. Stattdessen verbrachte er den Rest des Tages mit mir. Arm in Arm nahmen wir auf der Parkbank im japanischen Garten Platz. Ich konnte meinen Kopf an seien Schulter lehnen und alle Sorgen vergessen. Meine Tränen trockneten innerhalb von Minuten. Und zum ersten Mal seit Wochen fühlte ich mich wieder glücklich.


    *****



    Und an diesem Gefühl änderte sich auch in den kommenden Tagen nichts. Ich traf mich täglich mit Gernot. Da ich noch nicht wollte, dass uns jemand zusammen sah, trafen wir uns meist bei ihm zuhause. Natürlich hatte Gernot von meiner Verlobung mit Francesco gehört. Aber ihm konnte ich sagen, wie unglücklich ich in dieser Beziehung war, auch wenn ich nicht auf die näheren Umstände einging. Und Gernot bestätigte mich in meinem Entschluss, dass es richtig war, Francesco zu verlassen, ganz egal welche Folgen das auch nach sich ziehen mochte. Schlimmer als in einer unglücklichen Ehe gefangen zu sein, konnte es nicht werden.



    Wir hatten auch über seinen Betrug mit Magda gesprochen. Es war nicht leicht darüber zu reden, aber falls Gernot und ich eine Zukunft haben sollten, dann musste diese Geschichte ein für alle Mal geklärt werden. Gernot versicherte mir eindringlich, was für einen großen Fehler er begangen hatte und das sich so etwas nie wiederholen würde. Die Art wie er es sagt ließ mich keine Sekunde an seinen Worten zweifeln. Und die Art wie er mich küsste, wie er mich berührte, ließ auch keinen Zweifel daran, wie sehr er mich begehrt. Er wolle mich voll und ganz, am liebsten sofort, so wie wir es schon vor Monaten geplant hatten. Und ich wollte es ja auch. Meine Gefühle für Gernot waren so stark, da musste es doch zu einem Vulkanausbruch kommen, wenn wir beide uns auch körperlich liebten.



    Doch so sehr ich es auch wollte, noch konnte ich nicht mit ihm schlafen. Nicht solange ich nicht mit Francesco gesprochen hatte und unsere Verlobung gelöst war. „Francesco kommt in wenigen Tagen wieder“, erklärte ich Gernot und zog sanft aber beherzt seine Hand wieder unter meinem Shirt hervor. „Ich habe am eigenen Leib erfahren, wie weh es tut, betrogen zu werden. Ich schulde es Francesco daher wenigstens so lange zu warten, bis wir nicht mehr verlobt sind. Ich hoffe, du verstehst das, Gernot.“ Ich sah zwar die Enttäuschung in Gernots Augen, aber es lag auch ein so liebevoller Blick darin, der mich nicht zweifeln ließ, dass er geduldig warten würde, bis er mich ganz für sich allein haben konnte.


    *****



    Um es für uns beide leichter zu machen, schlug ich vor, dass wir uns vorher nicht mehr treffen sollten. Es waren ja nur noch ein paar Tage, die wir beide sicherlich leicht überstehen würden. Gernot war zwar nicht begeistert aber er stimmte dennoch zu. Und auch wenn ich Gernot vermisste, so war ich zufrieden wie schon lange nicht mehr. Auch das Malen erfüllte mich wieder mit Freude und ich sah schon ein neues Meisterwerk entstehen.



    Während ich malte, machte sich Magda in der Küche Pfannkuchen zum Abendessen. Normalerweise liebte ich Pfannkuchen, doch heute war irgendetwas anders. Bereits beim ersten Duft spürte ich ein mulmiges Gefühl im Magen, welches sich verstärkte, als Magda mit dem süßen Fettgebäck ins Wohnzimmer kam, um es am Esstisch zu verspeisen. Ich versuchte es zu ignorieren, bis Magda aufgegessen hatte, doch dann drehte sich mir alles im Magen um.



    So schnell ich konnte lief ich ins Badezimmer und entleerte meinen Mageninhalt in die Toilette. Zitternd hielt ich mich am Rand der Schüssel fest. Nein, das durfte nicht sein! Doch ich hatte genügend Groschenromane gelesen und Folgen der Soap Wirrungen der Begierde gesehen um zu wissen was es bedeutete, wenn einem aus heiterem Himmel beim Geruch von Essen schlecht wurde. Und in Kombination damit, dass meine Regel seit drei Tagen überfällig war und ich definitiv ungeschützten Geschlechtsverkehr hatte, bestand kein Zweifel. Ich war schwanger.


    Gedanken:


    Nein, nein, nein, nein, nein! Nein! Ich war schwanger. Ich brauchte keinen Arzt um mir dessen sicher zu sein. Und Francesco war der Vater. Ich würde ein Kind von einem Mann bekommen, dem ich im besten Fall gleichgültig war. Einem Mann, der mich bevormundete, mit dem mich keine gemeinsamen Interessen verbanden, den ich nicht sonderlich sympathisch fand und der im Gegenzug ganz offensichtlich auch nicht viel von mir hielt, weder in freundschaftlicher noch in sexueller Beziehung.


    Vielleicht, vielleicht hätte ich darüber hinweg sehen können…irgendwie…irgendwann. Aber dann war da doch noch Gernot. Er war der Mann, den ich wahrhaft liebte, den ich schon immer geliebt hatte. Ich wollte keinen anderen. Ich brauchte nur Gernot, denn konnten mir alle Johns, Israels, Romans und vor allem Francescos der Welt gestohlen bleiben. Ja, er hatte mich betrogen, aber er bereute es. Und ich zweifelte nicht an seinen Worten, dass sich so etwas nicht wiederholen würde. Ich würde ihm auch keinen Anlass dazu geben, es zu wiederholen.


    Oder besser gesagt, ich hätte ihm keinen Anlass dazu gegeben. Aber das Kind unter meinem Herzen änderte alles. Ich konnte doch nicht ein Kind von Francesco bekommen und mit Gernot zusammen sein. Selbst wenn ich es gekonnt hätte, wusste ich nicht, ob ich es wollte. Ich hatte bei meiner Schwester Kinga miterlebt was es anrichten kann, wenn man nicht bei seinem leiblichen Vater aufwächst. Wollte ich das meinem Kind wirklich antun nur weil ich so selbstsüchtig war und mich nach Liebe sehnte? Aber gab es diese Option überhaupt für mich? Würde Francesco es jemals zulassen, dass ich mich von ihm trennte, jetzt wo ich sein Kind erwartete? Würde er es mir sogar weg nehmen? Ich wusste, dass ich das nicht ertragen hätte. Die einzige Lösung wäre, es ihm ganz zu verschweigen, zu behaupten, Gernot wäre der Vater. Aber auch das konnte ich weder Francesco noch meinem Kind antun.


    Es wäre so viel einfacher, wenn ich nicht schwanger wäre. So viel einfacher. Und so viel trauriger. Noch während ich über der Toilette hing, spürte ich, wie ich dieses Kind zu lieben begann. Eines war mir ganz klar, ich konnte auf einen liebenden Mann verzichten, aber dieses Kind wollte ich nicht mehr missen.

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  • Was bisher geschah:
    (Zusammenfassung der voherigen Kapitel)


    Mit 23 musste ich mir eingestehen, dass ich mich mit meinem Mathematikstudium übernommen hatte. Ich fiel auch im zweiten Anlauf durch meine Abschlussprüfung. Und da ich nicht wusste, wohin ich sonst gehen sollte, kehrte ich nach Rodaklippa zurück, die Stadt, in der meine Eltern nach dem verheerenden Krieg, der die SimNation verwüstet hatte, Zuflucht gefunden hatten und in der ich meine Jugend verbracht hatte. Ich schämte mich so sehr über mein eigenes Versagen, dass ich mich zunächst vor meinen Eltern verborgen hielt. Aber ewig konnte ich mich nicht verstecken und meine Eltern hatten entgegen meinen Befürchtungen viel Verständnis für mich übrig.


    Ich hatte immer sehr sparsam gelebt und jeden Monat Geld beiseitegelegt. Das ermöglichte es mir auch, ein Haus zu kaufen. Es war zwar sehr heruntergekommen, aber es war meins. Nun, zumindest fast, denn schon bald stand meine Cousine Magda auf der Matte, die ihr Studium ebenfalls, wenn auch freiwillig, abgebrochen hatte und sich nun vor der wütenden Reaktion ihrer Mutter, meiner Tante Joanna, verstecken wollte. Das das nicht lange gut gehen konnte, war abzusehen. Aber Magda schaffte es ihre Mutter zu überzeugen, sie vorerst bei mir wohnen zu lassen. Der Preis dafür war, dass Magda für ihren eigenen Unterhalt sorgen musste. Und das gelang ihr erstaunlich gut, indem sie sich einer lokalen Band anschloss und bald schon zur Backgroundsängerin avancierte.


    Auch ich hatte berufliche Erfolge zu verzeichnen. Mathematik war eindeutig nicht meine Welt, aber ich liebte die Malerei und ich hatte Talent dafür. Eine lokale Galeristin, Melinda Cosgrove, nahm sich meiner an und schon bald konnte ich ganze Ausstellungen mit meinen Bildern füllen, die guten Absatz fanden. Bei meiner ersten Ausstellung lernte ich dann ihn kennen: Gernot Lutzenbacher. Ein hübscher jünger Mann, der mich liebte, obwohl ich eindeutig zu viele Kilos auf den Hüften hatte und nicht unbedingt die Hübscheste war. Doch mein Glück sollte nicht lange währen, denn ich hatte den Zorn meiner Cousine Magda auf mich gelenkt. Ich hatte zugelassen, dass Jamie Carnes bei uns einzog. An sich ein netter junger Mann, wäre er nicht der Sohn des Ex-Freundes meiner Cousine. Ich hatte von diesem Verwandtschaftsverhältnis gewusst und es Magda gegenüber verschwiegen. Nun verliebte sie sich aber in Jamie, doch als sie herausfand, dass er der Sohn ihres Ex-Freundes war, fühlte sie sich von mir und ihm betrogen. Aus Rache dafür schlief sie mit meinem festen Freund Gernot.


    Ich war entsetzt. Ich schickte Gernot umgehend in die Wüste und war fest entschlossen auch meine hinterlistige Cousine aus dem gemeinsamen Haus zu werfen. Doch ich brachte es nicht übers Herz, denn sie entschuldigte sich aus tiefstem Herzen bei mir. Und zum Betrug gehörten immer zwei. Und dass Gernot auf ihr Angebot eingegangen war wog weitaus schlimmer, als dass sie sich ihm angeboten hatte. Als Entschuldigung bot sie mir an, mir zu helfen, mehr aus meinem Äußeren herauszuholen. Und es klappte tatsächlich. Mit ihrer Hilfe nahm ich ordentlich ab, veränderte meinen Kleidungsstil, meine Haare, mein Make-up. Und plötzlich sah ich eine wirklich schöne Frau im Spiegel.


    Noch im Prozess der Verwandlung feierte ich meinen 25. Geburtstag. Und überraschend tauchte meine ältere Schwester Kinga, zu der meine Elter und ich schon seit Jahren keinen Kontakt hatten, auf der Party auf. Sie hatte inzwischen geheiratet und einen Sohn, David, bekommen. Er war der Grund, warum Kinga wieder Kontakt zu mir aufnehmen wollte. Meiner Mutter konnte sie selbst nach so vielen Jahren nicht verzeihen, dass diese sie über ihren wahren Vater im Unklaren gelassen hatte. Aber auch wenn ihr Sohn keine Oma haben konnte, so doch wenigstens eine liebende Tante. Ich versprach Kinga, meinen Eltern nicht zu verraten, wo sie nun lebte, aber ich nahm mir dennoch vor, zwischen ihnen und ihr zu vermitteln.


    Magda schaffte es mein Äußeres zu verwandeln. Leider traf dies nicht auf mein Inneres zu. Ich war immer noch schüchtern und verunsichert im Umgang mit Männern. Den ersten Mann, John, verschreckte ich direkt und beim zweiten, Israel, glaubte ich umgehend an die große, immerwährende Liebe, nachdem ich mit ihm mein erstes Mal erlebt hatte. Doch für ihn war ich nicht mehr als ein kurzer Flirt. Ich veränderte daraufhin mein Äußeres noch einmal. Der Stil, den meine Cousine für mich ausgesucht hatte, erschien mir zu sehr wie eine Verkleidung. Nach dem Motto „weniger ist mehr“ fand ich meinen eigenen Stil und lernte bald darauf Roman kennen und lieben. Es war alles perfekt, bis ich durch meine Angst und Unsicherheit wieder alles zerstörte, als er mit mir schlafen wollte. Da ich glaubte ihn endgültig verloren zu haben, fiel ich in ein tiefes Loch der Verzweiflung. Ich dachte, ich würde einsam und alleine sterben, ohne Ehemann, ohne Kinder.


    Daher fiel der Vorschlag meiner Tante Joanna, eine Ehe für mich zu arrangieren, auch fruchtbaren Boden. Ich traf mich mit dem Mann, Francesco, den sie für mich ausgesucht hatte. Unser Date verlief sehr durchwachsen, doch verzweifelt und eingeschüchtert wie ich war, gab ich ihm das Versprechen, seine Frau zu werden. Ich bereute es noch in derselben Nacht, doch ehe ich den Fehler korrigieren konnte, wurde meine Verlobung bereits in der Tageszeitung verkündet. Denn es stellte sich heraus, dass Francesco der Lord von Rodaklippa war. Ich konnte keine Rückzieher mehr machen und jede Hoffnung wieder mit Roman zusammen zu kommen zerplatzte, als er von meiner Verlobung erfuhr. Ich ergab mich also meinem Schicksal und verbrachte sogar eine Nacht mit Francesco. Unser Liebesakt war kalt und mechanisch und am nächsten Morgen war Francesco verschwunden. Ich musste mit der Nachricht vorlieb nehmen, dass er wichtigen Geschäften nachgehen müsse und in wenigen Wochen wiederkommen würde. Das lies mich in ein noch tieferes Loch fallen. Und es war Gernot, der mich wieder aus diesem Loch herauszog. Mir wurde klar, dass er mich schon geliebt hatte, als ich noch dick und unansehnlich war, und dass ich nie wirklich aufgehört hatte, ihn zu lieben. Für ihn war ich sogar bereit alle Widrigkeiten auf mich zu nehmen und mich von Francesco zu trennen. Doch es kam alles ganz anders, eines Nachmittags übermannte mich eine ungekannte Übelkeit und ich ahnte schon, was das zu bedeuten hatte.



    Kapitel 45: Schwanger



    Ein Besuch bei meiner Frauenärztin im Krankenhaus bestätigt mir am nächsten Tag, was für mich bereits Tatsache war. Ich war wirklich schwanger. Ich erwartete ein Kind von Francesco.



    Er musste es erfahren, je früher desto besser. Jetzt hatte ich noch den Mut es ihm zu sagen. Aber ich wusste, dass es mit jeder Stunde die verstrich schwerer werden würde. Ich kannte mich in dieser Hinsicht sehr genau. Daher rief ich ihn umgehend an, als ich das Krankenhaus verließ. Doch wieder einmal meldete sich nur seine Mailbox. Verflucht! Warum konnte er nicht endlich einmal rangehen. Ich war doch schließlich seine Verlobte!



    Aber Francesco musst einfach erfahren, dass ich sein Kind erwartete und zwar sofort. Und auch wenn ich nicht in der Lage war, ihn zu erreichen, so war ich mir sicher, dass seine Mutter, Lady Eleonore, ihre Möglichkeiten hatte. Also fuhr ich umgehend vom Krankenhaus nach Hardsten. Das Hausmädchen Anke öffnete mir die Tür und nachdem sie mich bei ihrer Herrin angekündigt hatte, wurde ich zu Lady Eleonore geführt.



    Diese befand sich im Wohnzimmer, wo sie in einem der bequemen Sessel saß. Auf dem Tisch vor ihr lagen Dokumente ausgebreitet, die sie aufmerksam begutachtete und immer wieder Zahlen in eine Rechenmaschine eintippte. Auf dem anderen Tisch stand eine Kanne mit dampfenden Tee. Es war offensichtlich, dass Francescos Mutter mitten in der Arbeit steckte. Und offenbar war sie nicht gewillt, diese zu unterbrechen. Denn auch wenn ich mir sicher war, dass sie mein Eintreten schon längst bemerkt hatte, blickte sie erst nach einigen Minuten, in denen ich schweigend in der Tür gestanden hatte, zu mir auf.



    „Klaudia, was für ein unerwarteter Besuch“, begrüßte sie mich schließlich und winkte mich zu sich heran. Ich machte einen ungelenken Knicks vor meiner zukünftigen Schwiegermutter und kam näher. „Worüber möchtest du den mit mir sprechen? Es muss wichtig sein, wenn du deswegen unangekündigt hier auftauchst.“ Ihre Worte gaben mir deutlich zu verstehen, dass ich sie gestört hatte. Aber da musste ich jetzt durch. Ich nahm also all meinen Mut zusammen und legte ihr mein Anliegen dar. „Ich kann Francesco seit Wochen nicht erreichen. Ich hatte gehofft, Sie könnten mir da weiterhelfen, Lady Eleonore.“



    Francescos Mutter gab mir mit einer Handbewegung zu verstehen, dass ich auf dem Sofa Platz nehmen sollte. „Klaudia, Kind, mein Sohn ist nicht zum Spaß in Südamerika unterwegs. Er ist der Lord von Rodaklippa und vertritt dort die Interessen unserer Lordschaft und unseres ganzen Fürstentums. Du wirst doch sicher einsehen, dass er dabei nicht von Nichtigkeiten gestört werden kann. Ich kann mir gut vorstellen, dass du dich nach ihm sehnst. Aber auch als frisch verliebte junge Frau wirst du es noch einige Tage aushalten können, von deinem Liebsten getrennt zu sein. Geduld ist eine Tugend Klaudia, und als zukünftige Lady von Rodaklippa solltest du dich ganz besonders in dieser Tugend üben.“ Lady Eleonores Worte enthielten viel Wahrheit und unter normalen Umständen hätte ich auch gewartet, bis Francesco wieder zurück in der SimNation war. Aber in diesem Fall war das nicht möglich. „Ich weiß, dass Francesco wichtige Dinge zu erledigen hat. Er tut das für sein Land und für seine Familie…unsere Familie. Aber es ist dennoch erforderlich, dass ich ihn spreche, Lady Eleonore. Ich würde nicht fragen, wenn es nicht dringend wäre.“



    Lady Eleonore nahm ihre Lesebrille ab und legte sie vor sich auf den Tisch. „Ihr höre leider sehr oft, dass Menschen dringende Angelegenheiten mit dem Lord von Rodaklippa zu besprechen hätten, die sich dann als Belanglosigkeiten entpuppen. Du wirst daher verstehen, dass ich darauf bestehen muss, dass du mir mehr Informationen lieferst, warum ich meinen Sohn bei der Ausführung seiner höchstwichtigen Geschäfte unterbrechen sollte.“ Erwartungsvoll blickte sie mich an.



    Und ich sackte wie ein Häufchen Elend in mich zusammen. Das war einfach nicht richtig. Francesco sollte der Erste sein der erfährt, dass er Vater wird, nicht seine Mutter. Aber anders kam ich einfach nicht an ihn heran. Und es war immer noch besser er erfuhr es jetzt von seinen Mutter, als erst in mehreren Tagen oder gar Wochen von mir selbst. Als rückte ich mit der Sprache heraus, auch wenn meine Worte nicht mehr als ein Flüstern waren. „Ich bin schwanger. Das ist es, was ich Francesco mitteilen muss.“



    Es wurde mit einem Mal so leise im Salon, dass man eine Stecknadel hätte fallen hören können. Als ich verschämt aufblickte, sah ich in Lady Eleonores undurchdringliches Gesicht. War es ein Lächeln, was ich auf ihren Lippen zu erkennen glaubte? Oder blickten mich ihre Augen wütend an? Bis auf ein undeutsames „Hmm“ gab sie leider mit keinem Wort zu verstehen, was sie von dieser Neuigkeit hielt.



    Immer noch schweigend erhob sie sich und ging hinüber zu einem Bücherregal im hinteren Teil des Salons. Sie überflog kurz die Buchrücken und griff dann zielstrebig nach einem dicken blauen Ordner.



    Anschließend setzte sie sich an den Tisch, der neben dem Bücherregal stand, und schlug den Ordner auf. Da ihre Lesebrille immer noch auf dem kleinen Couchtisch lag, musste sie die Seiten weiter von sich weg halten, um die Schrift lesen zu können. Da ich weder eine Reaktion auf meine Offenbarung, noch eine Anweisung erhielt, wie ich mich zu verhalten hatte, folgte ich Lady Eleonore zu dem Tisch und setzte mich auf den freien Stuhl neben sie. Ich beobachtete sie beim Lesen und bemerkte wie sich ihre Lippen ab und an kräuselten und sie die Augenbrauen zusammen zog. Leider saß ich zu weit weg um die Buchstaben lesen zu können. Aber das war vermutlich auch besser so, denn ich konnte mir nicht vorstellen, dass es Francescos Mutter gefallen hätte, wenn ich ungefragt in ihren Dokumenten las.



    Schließlich klappte sie den Ordner wieder zusammen und legte ihn vor sich auf den Tisch. Das ermöglichte es mir, den Titel zu lesen, und ich war sichtlich verwirrt, als ich dort meinen Namen las. Doch bei Lady Eleonores nächsten Worten wäre ich fast vom Stuhl gefallen. „Wir werden auf einen Vaterschaftstest bestehen müssen, Fräulein Blech.“ Ich wusste nicht ob ich weinen oder lachen sollte. War das wirklich ihr Ernst? „Dazu besteht überhaupt kein Grund“, entgegnete ich abwehrend, nachdem ich meine Fassung halbwegs wiedererlangt hatte. „Ich habe mit keinem anderen Mann außer Francesco geschlafen.“



    „Nun, das Dossier über Sie, dass ich von meinem Privatdetektiv habe anfertigen lassen“, mit dem Finger deutete sie auf den blauen Ordner vor sich, „lässt da anderes vermuten. Nun schauen Sie nicht so entrüstet. Haben Sie wirklich geglaubt, ich würde die Verlobte meines Sohnes und zukünftige Lady von Rodaklippa nicht gründlich durchleuchten lassen? Für so naiv hätte ich Sie nicht gehalten, Fräulein Blech. Und es ist mir auch nicht entgangen, dass Sie sich seit Francescos Abreise regelmäßig und in sehr intimer Weise mit einem gewissen Herrn Gernot Lutzenbacher getroffen haben. Zu Ihrem Glück muss ich gestehen, dass Sie das in sehr diskreter Art und Weise getan haben, sodass ein sofortiges Einschreiten nicht nötig war.“



    „Aber ich habe nie mit Gernot geschlafen!“, warf ich zu meiner Verteidigung ein und lief dennoch vor Scham rot an. „Nun, Ihr bisheriger Lebensstil lässt da anderes vermuten“, entgegnete Lady Eleonore gelassen. „Ich finde hier einen Eintrag über ein intimes Verhältnis zu einem Herrn Roman Mulig, direkt bevor sie meinem Sohn vorgestellt wurden. Dann gibt es einen Eintrag über einen Herrn Israel Classen. Und davor waren Sie offenbar schon einmal mit Herrn Lutzenbacher liiert gewesen. Und das sind Ihre Liebschaften aus dem letzten Jahr. Ich will gar nicht wissen, wie viel mehr ich gefunden hätte, hätte ich meinen Detektiv weiter suchen lassen. Wollen sie eine Beziehung zu diesen Herren etwa abstreiten?“

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  • Kapitel 46: Ahnungsvolles Gefühl



    Eine Beziehung zu Israel, Roman oder Gernot abstreiten? Nein, das konnte ich natürlich nicht. Ich hätte ihr dennoch gerne erklärt, dass ich ganz sicher keine Frau war, die viele Männer in ihrem Leben gehabt hatte. Tatsächlich gab es da nur Israel und Francesco. Und was meine zahlreichen Liebschaften anging, so traf das nur auf das letzte Jahr zu. Davor hatte ich doch noch nicht einmal einen Jungen richtig geküsst. Doch die Worte kamen mir nicht über die Lippe. Stattdessen merkte ich, wie die Übelkeit wieder in mir aufstieg, und zwar so intensiv, dass ich nicht anders konnte als hastig vom Tisch aufzustehen und mich auf direktem Wege ins Badezimmer zu begeben.



    Nachdem ich mich am Waschtisch wieder einigermaßen frisch gemacht hatte, kehrte ich in den Salon zurück. Meine Entrüstung über Lady Eleonores Vorwürfe war verschwunden, denn alles was sie gesagt hatte, entsprach ja der Wahrheit. Vermutlich glaubte sie, dass ich auch mit Gernot und Roman geschlafen hatte, aber ich musste, dass meine Worte alleine sie nicht vom Gegenteil überzeugen würden. „Ich werde einem Vaterschaftstest zustimmen“, hauchte ich daher kraftlos und das lag nur zum Teil daran, dass ich mich gerade erst übergeben hatte. Lady Eleonore wirkte zufrieden. Doch ich war immer noch verunsichert. „Was wird jetzt geschehen? Was werden Sie Francesco erzählen?“



    „Wegen ihrer Liebschaften? Erst einmal gar nichts“, entgegnete Lady Eleonore. „Wir werden das Ergebnis des Vaterschaftstests abwarten. Wenn herauskommt, dass mein Sohn der Vater Ihres Kindes ist, dann werden Sie ihn wie geplant heiraten und wir sind alle zufrieden. Solle das nicht der Fall sein, dann werden wir die Angelegenheit so diskret wie möglich lösen. Es liegt schließlich auch im Interesse des Hauses Hartfels, dass mein Sohn nicht wegen Ihres unbedarften Handelns in die Schlagzeilen gerät. Trotz allem vertraue ich immer noch dem Urteil ihrer Tante, dass Sie eine gute Frau für Francesco sein werden. Es ist schon lange mein Wunsch, unsere beiden Familien zu verbinden. Sie müssen wissen, ich habe damals als junges Mädchen ihre Urgroßmutter Donna Justyna kennengelernt. Nie zuvor war mir eine so brillante und durchsetzungsstarke Frau begegnet. Ich bewundere sie und ihre Leistungen bis zum heutigen Tag und es ist nicht übertrieben, wenn ich sie als mein Vorbild bezeichne. Ihre Urgroßmutter hielt auch große Stücke auf mich. Es gab sogar eine Zeit, in der sie bemüht war, eine Ehe zwischen mir und ihrem Großvater Arkadiusz zu ermöglichen.“



    „Nun, es ist niemals dazu gekommen, und ich heiratete stattdessen Wilhelm Hartfels von Rodaklippa. Dennoch besteht seit diesen Tagen ein enger Kontakt zwischen unseren beiden Familien. Ich hatte gehofft, dass es mit der Verbindung von Francesco und Ihnen endlich zu der Vereinigung kommen würde, die mir selbst verwehrt blieb. Daher liegt es auch in meinem ganz persönlichen Interesse, dass dieser Vaterschaftstest ein positives Ergebnis für uns alle bringt.“ Ich wusste selbst nicht warum, aber diese Worte stimmten mich hoffnungsvoll. Trotz allem, was sie über mich herausgefunden hatte, sogar dass ich ein heimliches Verhältnis zu Gernot hatte, wünschte sie dennoch, dass ich die Frau ihres Sohnes werden sollte. Dafür musste ich einfach Dankbarkeit empfinden. „Vielen Dank, Lady Eleonore, dass Sie mir eine Chance geben, mich zu beweisen. Ich versichere Ihnen, dass der Vaterschaftstest eindeutig belegen wird, dass Francesco der Vater meines Kindes ist. Und ich werde Ihnen keinen weiteren Grund geben, an mir zu zweifeln, dass verspreche ich.“


    *****



    Nach diesem Gespräch war ich einfach nur fertig und zu nicht zu mehr in der Lage, als mich den Rest des Tages unter der Bettdecke in meinem Zimmer zu verkriechen. Francesco würde also bald von seinem Kind erfahren. Aber es gab noch jemanden, der diese Neuigkeit so schnell wie möglich hören musste, denn für ihn würde sie ebenfalls weitreichende Konsequenzen haben. Gleich am nächsten Morgen besuchte ich also Gernot, der mir gestern schon per SMS zu verstehen gegeben hatte, wie sehr er mich vermisste und sich auf ein baldiges Wiedersehen freute. Freudestrahlend kam er auf mich zu, als ich das Haus der Lutzenbachers betrat. Aber das Lächeln verschwand aus seinem Gesicht, als ich auswich, als er mich umarmen wollte. „Nein, Gernot, nicht“, sagte ich mit belegter Stimme. „Wir dürfen das nicht länger tun.“



    Er war verwirrt. „Klaudia, Schatz, was ist denn auf einmal los? Ich dachte, wir hätten alles besprochen. Du wolltest dich von Francesco trennen, sobald er wieder in der SimNation ist.“ Er wollte erneut auf mich zugehen und mich in den Arm nehmen, doch ich hielt ihn abermals auf Abstand. „Gernot, nein. Etwas hat sich verändert, etwas sehr entscheidendes. Ich kann Francesco nicht verlassen. Bitte versteh das.“



    Aber natürlich konnte er das nicht, solange ich ihm den Grund dafür nicht nannte. Es hatte keinen Sinn, lange um den heißen Brei herum zu reden. Es gab keine schonenden Worte, um es ihm begreiflich zu machen. Also sprach ich es einfach aus. „Ich bin schwanger. Ich erwarte ein Kind von Francesco.“ Gernot sah mich an, wie ein Reh im Scheinwerferlicht. Er hatte damit gerechnet, dass ich erneut Gewissenbisse bekommen hätte, aber nicht mit einer solchen Neuigkeit. „Schwanger?“, wiederholte er tonlos und die Farbe wich ihm mehr und mehr aus dem Gesicht.



    „Aber, kann man da nichts gegen machen?“, fragte er schließlich nach einer kurzen Pause. „Ich meine, du kannst noch nicht sehr weit sein. Es ist also noch Zeit für eine Abtreibung. Dann wären wir alle Probleme los.“ Ich konnte einfach nicht fassen, dass Gernot das gerade vorgeschlagen hatte. „Gernot, das kann doch nicht dein Ernst sein“, erwiderte ich entrüstet. „Ich kann doch nicht ein unschuldiges kleines Wesen umbringen, nur damit wir uns eine schöne Zeit machen können. Das könnte ich niemals mit meinem Gewissen vereinbaren. Und ich bin schockiert, dass du an diese Möglichkeit überhaupt denken kannst.“ Ich sprach aus tiefster Überzeugung. Bis zu diesem Augenblick war es mir noch nicht einmal in den Sinn gekommen, das Problem auf diese Weise zu lösen. Nein, eines stand ganz fest, ich wollte dieses Kind haben und ihm eine liebende Mutter werden. Das war mir wichtiger als alles andere.



    Meine klaren Worte hatten ihre Wirkung nicht verfehlt. Gernot schaute bekümmert auf den Boden. Es war eindeutig, dass er sich selbst seiner Worte schämte. Und dafür liebte ich ihn. Oh, verdammt, warum musste ich ihn denn so lieben. Gab es nicht doch noch eine Chance für uns beide, nein für uns drei? Ich musste einfach einen Versuch wagen. „Gernot, könntest du dir vorstellen, dieses Kind zu lieben? Könntest du dir vorstellen, es als dein eigenes anzunehmen und es niemals spüren zu lassen, dass du nicht sein Vater bist?“



    Wäre Gernot dazu bereit gewesen, ich hätte mich gegen Francesco, gegen seine Mutter und sogar gegen meine Tante Joanna gestellt. Ich hätte alle Mühen auf mich genommen, um mit ihm und meinem Kind glücklich zu werde. Doch ein Blick in Gernots Augen genügte um zu wissen, dass er es einfach nicht konnte. Und ich machte ihm deswegen keinen Vorwurf. Dies war ein Opfer, das man nicht ohne weiteres erwarten konnte. Und es würde nicht ausreichen, wenn er nur mit halbem Herzen dabei war. Dafür war mir das Wohlergehen meines Kindes einfach zu wichtig.



    Trotzdem wollte ich die Hoffnung noch nicht ganz aufgeben. „Leider scheint es, als ob das Schicksal uns beide nicht vereint sehen wollte. Aber niemand zwingt uns, auf das Schicksal zu hören. Denk in Ruhe über alles nach, Gernot und entscheide dich dann. Und wenn du zu dem Schluss kommen solltest, dass du, ich und das Kind eine Zukunft haben, dann weißt du, wo du mich findest. Ansonsten danke ich dir für die wunderschöne Zeit, die wir gemeinsam hatten.“ Sanft drückte ich ihm einen Abschiedskuss auf die Wange. Und mit dem ahnungsvollen Gefühl, dass dies unser letzter Kuss gewesen war, verließ ich das Haus.



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    An dieser Stelle möchte ich all meinen Lesern ein schönes Weihnachtsfest und einen guten Rutsch ins Neue Jahr wünschen :hallo:

  • Kapitel 47: Frohe Botschaft



    Den Rest des Tages hoffte ich auf eine Nachricht von Gernot. Doch schließlich musste ich einsehen, dass er nicht bereit war, das Kind eines anderen zu akzeptieren. Somit stand für mich fest, dass ich bei Francesco bleiben würde. Und nun konnte ich meinen Eltern auch endlich die frohe Botschaft übermitteln. Ich fuhr hinaus zu ihrem Haus und wartete, bis Mama ihre Arbeit bei den Rindern beendete und sich gemeinsam mit Papa im Wohnzimmer einfand. Anders als bei Lady Eleonore oder Gernot freute ich mich richtig, es ihnen zu sagen, auch wenn ich ein wenig die Reaktion meiner Mama fürchtete. Doch zu meiner großen Erleichterung begann ihren Augen zu strahlen, als sie von dem Kind erfuhr.



    Und auch Papa war hellauf begeistert. Sofort legte er sein Ohr an meinem Bauch um zu horchen, ob sich darin schon etwas tat. „Papa, das Baby ist doch noch viel zu winzig, als dass du es wahrnehmen könntest.“ Doch das war meinem Vater egal. Auch wenn meine Eltern schon eine Enkelkind hatten, David, den Sohn meiner älteren Schwester Kinga, so hatten sie aufgrund des Zerwürfnisses in der Familie keinen Kontakt zu ihm. Mein Kind würde also ihr erster Enkel werden, dessen Aufwachsen sie aus nächster Nähe mitverfolgen und den sie mit ihrer Liebe überschütten konnten.



    Papa musste leider kurz darauf zur Arbeit aufbrechen. Aber das gab mir die Gelegenheit, mich ganz in Ruhe mit meiner Mutter zu unterhalten. Ich begleitete sie nach draußen und wir nahmen auf der Bank Platz. Anders als mein Vater wusste sie sehr genau, dass ich Francesco nicht aus Liebe heiraten wollte. „Spätzchen, jetzt sei ganz ehrlich zu mir, wie geht es dir wirklich?“, fragte sie besorgt. Ich musste einen kurzen Moment überlegen. „Ich freue mich auf das Kind, wirklich. Aber ich weiß nicht, ob ich mit Francesco glücklich werden kann. Ich bin mir überhaupt nicht im Klaren darüber, was ich für ihn empfinde. Es ist ganz sicher keine Liebe. Da gibt es…gab es einen anderen. Aber jetzt wo ich schwanger bin, spielt das alles ohnehin keine Rolle mehr.“



    „Ach, Pummelchen, ich hätte mir so sehr gewünscht, dass du es einmal leichter in Liebesangelegenheiten haben würdest, als ich. Aber wir Brodlowska-Frauen scheinen das Unglück förmlich anzuziehen“, seufzte meine Mutter. Doch dann lächelte sie. „Es ist aber schön zu hören, dass du dich auf das Kind freust. Ich hätte viel darum gegeben, wenn es damals bei meiner Schwangerschaft mit deiner Schwester Kinga ebenso gewesen wäre. Ich erwartete ein Kind von einem Mann den ich abgöttisch liebte, aber für das Kind konnte ich nur Kälte aufbringen, weil es mein und sein Leben so durcheinanderbrachte. Und du, du erwartest ein Kind von einem Mann, der dir fremd ist. Und trotzdem liebst du das Kind jetzt schön. Das Schicksal spielt manchmal seltsame Streiche mit uns.“



    Gebannt lauschte ich den Worten meiner Mutter. Noch nie hatte sie so offen mit mir über ihre Gefühle für Kinga oder zu Kingas leiblichem Vater, Albert Kappe, mit mir gesprochen. „Mami, du hast Papa am Anfang auch nicht geliebt, nicht wahr? Wie hast du es trotzdem ausgehalten, bei ihm zu bleibe? Und warst du immer unglücklich in dieser Zeit?“ Meine Mutter blickte mich zunächst schockiert an und ich hatte Angst, eine Grenze überschritten zu haben. Doch dann wurde mir bewusst, wie schwer es ihr fallen musste zuzugeben, dass sie meinen eigenen Vater nicht geliebt hatte, zumindest für eine sehr, sehr lange Zeit nicht. Keine Mutter gab das gerne zu. „Nein, ich war nicht immer unglücklich. Ich war es oft, das muss ich gestehen, aber nicht immer. Immerhin wohnte der Mann den ich liebte nur wenige Straßen entfernt. Er war so nah und doch so unerreichbar. Und dass ich deiner Schwester nicht die liebevolle Mutter sein konnte, die sie verdiente, bereitete mir auch viele schlaflose Nächte. Aber auch wenn ich deinen Vater nicht immer liebte, so schätzte ich ihn doch sehr als Freund und Vertrauten. Das machte es erträglich für mich. Und ich schöpfte Kraft aus der Überzeugung, das Richtige getan zu haben, als ich behauptete Kinga wäre die Tochter deines Vaters, um Albert und seine Familie zu schützen.“



    „Es war also kein Fehler, bei Papa zu bleiben?“ „Spätzchen, nein, das war es ganz sicher nicht. Immerhin habe ich ihn ihm zum Schluss die große Liebe gefunden. Wäre ich nicht bei deinem Vater geblieben, dann gäbe es heute weder dich noch Sky in meinem Leben. Darauf möchte ich um keinen Preis verzichten. Und Dominik war in der Lage, deiner Schwester die Liebe zukommen zu lassen, die ich ihr nicht geben konnte.“ „Glaubst du denn, dass auch ich eines Tages Francesco lieben werde?“ „Ich wünsche es dir von ganzem Herzen, Spätzchen. Aber setze nicht zu viel Hoffnung in diese Vorstellung. Ich hatte seltenes Glück mit deinem Vater. Liebe ist eine wundervolle Sache, aber man kann auch ohne sie auskommen. Das wird dir so niemand sonst sagen, aber ich weiß es aus eigener Erfahrung. Und auch Freundschaft und Vertrauen kann ein starkes Fundament für eine dauerhafte Beziehung und ein zufriedenes Leben sein. Vergiss das bitte niemals.“


    *****



    Ich wollte diesen wertvollen Rat stets beherzigen. Einige Tage später hatte ich den Termin beim Frauenarzt, um eindeutig zu belegen, dass Francesco der Vater meines Kindes war. Bereits am Tag zuvor war mir Blut entnommen worden um daraus die DNA meines Kindes zu isolieren und sie mit der von Francesco abzugleichen. Und heute würde ich das Ergebnis erfahren. Lady Eleonore hatte den Arzt ausgesucht und sie bestand auch darauf, bei der Verkündung des Ergebnisses anwesend zu sein. Da ich mir keine Sorgen zu machen brauchte, dass Francesco nicht der Vater war, ging ich sehr entspannt an diesen Termin heran. Allerdings stieg mehr und mehr der Ärger darüber auf, dass Lady Eleonore mir so wenig Vertrauen entgegen brachte. Wie nicht anders zu erwarten bestätigte uns der Arzt was ich immer gewusst hatte. Und gemeinsam mit meiner zukünftigen Schwiegermutter konnte ich das Krankenhaus wieder verlassen.



    Der Gesichtsausdruck von Lady Eleonora als der Arzt das Ergebnis verkündet, ließ keinen eindeutigen Schluss zu, ob sie erfreut über das Resultat war. Aber auf der Straße versicherte sie mir, dass sie mir immer vertraut habe. „Ich habe niemals daran gezweifelt, dass mein Sohn nicht der Vater deines Kindes ist, Klaudia. Aber du musst verstehen, dass ich absolut sicher sein musste. Aber jetzt sind alle Unwägbarkeiten für immer aus dem Weg geräumt. Ich freue mich darauf, dich und meinen Enkel in der Familie willkommen zu heißen. Endlich werden unsere beiden Familien vereint. „Ihre Worte klangen zu schön um wahr zu sein und standen im klaren Gegensatz zu dem kalten Verhalten, welches sie mir noch vor wenigen Minuten entgegengebracht hatte. Dennoch war ich froh zu hören, dass sie mir zumindest offiziell nicht länger grollte.


    *****



    Am nächsten Abend klingelte es an der Haustür. Ich hätte nicht überraschter sein können, als plötzlich Francesco im Jogginganzug und sichtlich verschwitzt vor mir stand. Ich bat ihn herein. „Mutter rief mich gestern in Südamerika an und forderte mich auch, meine Reise zu unterbrechen und nach Rodaklippa zurückzukehren. Du hättest mir etwas Wichtiges mitzuteilen. Da sie mich ansonsten nie auf meinen Reisen unterbricht, muss es etwas sehr Dringendes sein. Ich bin daher umgehend in die SimNation zurückgeflogen und habe meine abendliche Joggingrunde genutzt, um die Müdigkeit des langen Fluges abzuschütteln und zu dir zu kommen.“ Ich war erstaunt. Lady Eleonora hatte ihm also noch nichts gesagt. Nun gut, dann musste ich es wohl selbst tun, so wie ich es von Anfang an geplant hatte und wie es ihm zustand. „Francesco, ich…also wir, wir erwarten ein Kind. Ich bin schwanger.“



    Ich wartete ängstlich auf seine Reaktion. Aber zu meinem Glück konnte ich keinen Ärger oder Wut in seinem Gesicht ablesen. „Mutter hatte mir schon Angst gemacht. Hätte ich gewusst, dass der Grund für meine Rückkehr eher erfreulich ist, dann hätte ich meine Reise nicht so überstürzt abgebrochen.“ Eher erfreulich? Nun, das hörte sich doch schon ganz positiv an...ein bisschen zumindest. Aber offenbar war es ihm nicht besonders wichtig. „Freust du dich denn?“, hakte ich daher nach. „Es wird meine Mutter und die Lordschafft Rodaklippa freuen, dass für einen Erben gesorgt wurde. Vermutlich wäre es besser, bis nach der Hochzeit damit zu warten, aber ich denke nicht, dass es das Schlechteste ist, was uns passieren konnte.“



    Und wieder: Das was Francesco sagte war nicht direkt negativ. Aber ein wenig mehr Begeisterung hätte ich mir doch gewünscht. Immerhin war es mein und auch sein erstes Kind. Aber dann überraschte er mich doch positiv, als er ernstes Interesse an unserem Nachwuchs zeigte. „Ist mit dem Baby alles in Ordnung?“, fragte er. Ich erklärte ihm, dass man zu dem frühen Zeitpunkt noch nicht viel sagen konnte, aber bislang entwickelte sich das Baby ganz normal. „Darf ich deinen Bauch berühren?“, bat er anschließend, was ich ihm gerne gestattete. Er sagte nichts weiter, als seine Hand über meinen Bauch strich, aber ich bildete mir ein, ein Lächeln auf seinen Lippen zu erkennen.



    Es gab noch eine Menge Dinge zu besprechen. Daher setzte ich mich mit Francesco auf die Couch im Wohnzimmer. Zum Glück waren weder Jamie noch Magda im Haus, so dass wir uns ganz in Ruhe unterhalten konnten. „Meine Mutter wird darauf bestehen, dass wir die Hochzeit vorverlegen. Und auch ich bin der Meinung, dass wir das tun sollten. Es geht einfach nicht an, dass der zukünftige Lord oder die zukünftige Lady von Rodaklippa unehelich geboren wird“, erklärte er. Ich konnte ihm in diesem Punkt zustimmen. Damit stand also fest, dass wir in wenigen Monaten, vermutlich im Januar heiraten würden. Dieser nahe Termin machte mir zunächst ein wenig Angst. Auf der anderen Seite gab er mir aber auch Halt, weil ich nun wusste, dass es kein Zurück mehr gab.



    Und dann gab es noch ein anderes Thema. „Klaudia, jetzt wo die Hochzeit im absehbarer Zeit abgehalten wird und wir ein Kind erwarten, wird es überfällig, dass wir darüber reden, wo wir in Zukunft gemeinsam leben werden.“ Ich musste tief schlucken. Es bedeutete, dass ich Francescos demnächst täglich um mich haben würde und das bereitete mir unweigerlich Angst. Das konnte wohl auch Francesco deutlich spüren, denn er legte behutsam seinen Arm um meine Schulter. „Ich weiß, dass das eine große Umstellung für uns beide sein wird. Und du hängst sicherlich an deinem Haus, aber es ist kein geeigneter Ort für die Lady und den Lord von Rodaklippa, selbst wenn deine beiden Mitbewohner ausziehen sollten.“ „Also muss ich nach Hardsten ziehen“, folgerte ich aus seinen Worten.



    Der Gedanke, dort täglich Lady Eleonore über den Weg zu laufen, die genau wusste, dass ich mit Gernot zusammen gewesen bin, obwohl ich bereits mit Francesco verlobt war, behagte mir überhaupt nicht. Doch Francesco schüttelte den Kopf. „Nein, nicht Hardsten. Wir haben ein zweites Anwesen direkt in der Stadt. Dort werden wir beide ungestört von meiner Mutter und meiner Schwester leben können. Das Haus muss noch renoviert werden, denn es stand jahrelang leer, aber ich hoffe dennoch, dass es dir zusagen wird. „Da bin ich mir ganz sicher“, antwortete ich ehrlich erleichtert darüber, nicht nach Hardsten ziehen zu müssen. Und auf einmal begann ich mich sogar auf das gemeinsame Leben mit Francesco und unserem Kind unter einem Dach zu freuen.

  • Kapitel 48: Twinbrook



    Mein Zusammenziehen mit Francesco war beschlossene Sache. Doch der Renovierungsbedarf in der Stadtvilla war größer als zunächst angenommen. Daher beschlossen Francesco und ich, erst nach der Hochzeit umzuziehen. Mir kam dieser Aufschub nicht ungelegen, denn so konnte ich mich länger mental darauf vorbereiten. Und ein weiteres Projekt lenkte mich von zu vielen Grübeleien ab. Ein Projekt, das mich nach Twinbrook führte und das auch die Anwesenheit meiner Mutter erforderte. Gemeinsam traten wir die Reise in die 500 km entfernte Ortschafft mit dem Überlandbus an. Im strömenden Regen trafen wir an unserer Pension ein.



    Twinbrook war schon im Sommer kein besonders beliebter Ferienort, da es in dem sumpfigen Gebiet vor Mücken nur so wimmelte. Doch jetzt im Herbst hatten wir sogar die gesamte Pension für uns allein. Es hatte nicht viel Überzeugungsarbeit gebraucht um Mama dazu zu bewegen, mich zu begleiten. Sie war zwar etwas erstaunt über die Wahl des Reiseziels, aber sie war einfach froh, ein paar gemeinsame Tage mit mir verbringen zu können. Unser Zimmer, so wie die Pension insgesamt, war schon etwas in die Tage gekommen. Aber es war sauber und für uns völlig ausreichend.



    Ich fühlte mich direkt in meine Kindheit zurückversetzt und musste an den gemeinsamen Urlaub in Drei Seen zurückdenken. Damals hatte Papa uns gerade verlassen als herauskam, dass er nicht der Vater meiner älteren Schwester war. Und um mich und auch sich selbst abzulenken, war Mama mit mir in Berge gefahren. Trotz der schlimmen Umstände, die Anlass für den Ausflug waren, wurde es ein wundervoller Urlaub. Und wie in unserer Blockhütte damals hatten wir auch hier in der Pension einen gemütlichen Kamin, an dem wir uns von dem kalten Regenwetter aufwärmen konnten.



    Die Urlaubsstimmung von damals lebte noch einmal richtig auf, als wir am nächsten Tag das Twinbrooker Herbstfest besuchten. Wir ließen uns von dem stetigen Nieselregen nicht abhalten und nahmen sogar an einem Apfelbeißwettbewerb teil. Mama stellte sich nicht gerade geschickt an und ich gewann haushoch.



    Auch einen Besuch im Geisterhaus ließen wir uns nicht nehmen. Man sollte meinen, dass solche Attraktionen nur für Kinder gruselig sind, aber mir lief es kalt den Rücken herunter bei all den unheimlichen Geräuschen und Schreckgestalten im Inneren.


    *****



    So sehr ich die gemeinsame Zeit mit Mama genoss, so war ich doch nicht alleine deswegen nach Twinbrook gekommen. Nein, mein eigentliches Ziel war es meine Schwester Kinga ausfindig zu machen, damit Mama und sie sich endlich aussprechen konnten. Und da unser kurzer Urlaub bald schon vorbei sein würde, begann ich gleich am nächsten Morgen mit meiner Suche. Kinga hatte mir zwar verraten, dass sie nun in Twinbrook lebte, die genaue Adresse blieb sie mir aber schuldig. Sie hatte wohl schon geahnt, dass ich ungebeten in ihrem Leben auftauchen könnte. Ich versuchte also mich in meine Schwester hineinzuversetzen und entschied, dass sie sich wahrscheinlich wie schon zu Teenagerzeiten immer noch gerne in Clubs und Bars aufhielt. Eine Eckkneipe in der Innenstadt erschien mir sehr vielversprechend. Doch im Inneren herrschte gähnende Leere und von Kinga war weit und breit keine Spur. Vielleicht hätte ich meine Suche doch lieber abends beginnen sollen statt morgens um 11 Uhr.



    Lediglich eine Bedienung stand gelangweilt hinter der Bar. Es gab nichts Schlimmeres für mich, als fremde Menschen anzusprechen. Aber ich überwand mich und sprach die Dame direkt an. „Guten Morgen, ich bin auf der Suche nach einer Frau, Kinga Blech…ach, nein, Kinga Mazur heißt sie ja jetzt. Sie muss hier in der Stadt leben und ich hatte gehofft, dass Sie sie möglicherweise kennen könnten.“



    „Meinen Sie etwa unsere Feuerwehrfrau Frau Mazur?“ Ich nickte eifrig. „Ja, die kommt hier abends ab und an vorbei. Seitdem sie Mutter geworden ist, sind die Besuche aber seltener geworden.“ „Kennen Sie zufällig die Adresse von Frau Mazur“, hakte ich nach, erfreut gleich beim ersten Versuch einen Treffer gelandet zu haben. Doch die Bardame kniff misstrauisch die Augen zusammen. „Warum wollen Sie das denn wissen? Wer sind Sie überhaupt?“



    „Ich bin eine alte Schulfreundin. Anastasia Beaverhausen“, antwortete ich, bevor ich genau darüber nachdenken konnte. Es erschien mir irgendwie sinnvoll nicht zu verraten, dass ich Kingas Schwester und auf der Suche nach ihr war. Ich traute Kinga zu, dass sie sofort untertauchen würde, wenn sie erführe, dass ich in Twinbrook war. „Ich bin geschäftlich in der Stadt und dachte, es wäre nett, meine Freundin bei Gelegenheit zu besuchen. Nur leider habe ich ihre Adresse nicht mehr im Kopf und ihre alte Handynummer scheint auch nicht mehr aktuell.“ Mein unschuldiges Lächeln schien die Bardame besänftigt zu haben. Sie nannte mir Kingas Anschrift, die ich umgehend in der Kontaktliste meines Smartphones abspeicherte.


    *****



    Sim-Maps sei Dank war es nicht schwer herauszufinden, wo sich Kingas Haus befand. Dort hin zu kommen war schon das größere Problem. Wie der Name schon vermuten ließ, befand sich die Sumpfloch-Chaussee…nun ja…eben mitten im Sumpf. Das es unaufhörlich regnete, verschob ich den Besuch auf den nächsten Tag, in der Hoffnung, es würde besseres Wetter geben. Doch auch am nächsten Morgen hingen dunkle Wolken über Twinbrook, die ihre schwere Last über der Stadt entluden. Doch noch länger wollte ich nicht warten, denn ich spürte schon, wie mein Entschluss, Mama und Kinga zusammenzuführen, ins Wanken geriet. Ich überzeugte meine Mutter daher, trotz des Regens eine Wanderung in den Sumpf zu unternehmen. Und nachdem wir uns Gummistiefel für sie bei der Pensionsbesitzerin geliehen hatten, ließ sie sich auch dazu erweichen.



    Trotz des Regens hatte der herbstliche Sumpf etwas sehr Schönes an sich. Hier und da hörte man noch einen Frosch quaken oder sah einen Vogel, der mit aufgeplustertem Gefieder in den immer kahler werdenden Bäumen saß. Geschützt unter unseren Regenschirmen spazierten wir umher. Selbst meine Mutter begann, den Ausflug zu genießen. „Hier ist es ja ohnehin immer nass“, sagt sie erheitert. „Was macht da das bisschen Wasser zusätzlich von oben schon aus?“ Ich konnte ihr nur zustimmen. Es war gut, dass sie in bester Laune war. Das konnte bei der Konfrontation mit meiner Schwester nur hilfreich sein. Und die Ortungsfunktion meines Handys verriet, dass wir Kingas Haus bald erreicht haben würden.



    Als wir um die nächste Ecke bogen, konnte ich es auch schon sehen. Ja, da war es tatsächlich. Ich erkannte die Fassade und die Veranda von den Bildern, die Kinga mir gezeigt hatte. Es war an der Zeit, meinen Plan in die Tat umzusetzen. „Oh Gott, oh Gott, oh Gott, meine Blase platzt gleich“, begann ich zu jammern. Meine Mutter sah mich skeptisch an. „Kannst du es denn nicht noch etwas aushalten? Zur Not musst du eben in die Büsche gehen. Hier in der Einöde ist doch ohnehin niemand.“ „In die Büsche“, rief ich gespielt entsetzt. „Am Ende spring mich noch ein Frosch an. Nein, aber halten kann ich auch nicht mehr. Oh nein, oh nein. Aber warte, da ist doch ein Haus! Ich werde einfach mal klingeln und fragen, ob ich die Toilette benutzen kann.“ Bevor sie Einspruch erheben konnte marschierte ich eilig auf Kingas Haus zu und Mama folgte mir dicht auf, nachdem sie ihre Überraschung überwunden hatte.



    „Pummelchen, du weißt doch gar nicht, was hier für Leute wohnen, so mitten im Sumpf“, protestierte meine Mutter. Doch da hatte ich die Klingel schon längst gedrückt. Einen Moment fürchtete ich schon, es könnte niemand daheim sein. Doch dann hörte ich Schritte und die Tür wurde geöffnet. „Hallo Ki“, begrüßte ich verlegen lächeln meine Schwester, die mich perplex anstarrte.



    „Klaudi? Was machst du den hier“, fragte sie erstaunt, aber nicht unerfreut. „Wie hast du meine Adresse herausgefunden? Ich hätte wissen müssen, dass meine kleine Schwester schon Mittel und Wege finden würde um mich aufzuspüren. Das schein uns wohl in den Genen zu liegen.“ Ich wusste zwar nicht, worauf sie damit anspielte, aber viel Zeit zu überlegen blieb mir nicht. Denn plötzlich verfinsterte sich ihr Gesicht. „Nein!“, knurrte sie. „Du hast nicht wirklich SIE hergeführt.“

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  • Kapitel 49: Unbeschreibliche Wut



    Zornig funkelte Kinga unsere Mutter an. Als ich mich ebenfalls zu ihr umdrehte, erschrak ich beinah. Alle Farbe war aus Mamas Gesicht gewichen. Mit weit aufgerissenen Augen stand sie dort, unfähig sich zu rühren oder etwas zu sagen. 13 lange Jahre hatte sie ihre Tochter nicht zu Gesicht bekommen. Und nun stand sie auf einmal vor ihr.



    Unter anderen Umständen hätte es ein Moment des Glücks werden können. Doch die Reaktion meiner Schwester machte alle Hoffnungen, die ich mir im Vorfeld gemacht hatte, mit einem Schlag zunichte. „Dazu hattest du kein Recht“, feuchte sie mich an und stieß mich unsanft zur Seite. Dann wandte sie sich an Mama. „Verschwinde von hier, Mutter! Ich hab dir gesagt, dass ich dich niemals wieder sehen will! Was ist an diesen Worten nicht zu verstehen gewesen. Hau ab! Verschwinde aus meinem Leben und lass dich nie, nie wieder hier blicken! Ich hasse dich! Ich hasse dich! Ich hasse dich!“



    Das war mehr, als unsere Mutter ertragen konnte. Ihre Hände begannen so stark zu zittern, dass sie den Schirm nicht länger halten konnte. Sie hatte diese Worte schon einmal von Kinga zu hören bekommen. Und vor 13 Jahren hatten sie ihr bereits das Herz gebrochen. Man hätte meinen können, dass es beim zweiten Mal leichter wurde. Doch genau das Gegenteil war der Fall. Sie konnte es nicht ertragen, nicht noch einmal. Schluchzend drehte sie sich um und lief davon.



    Und jetzt platze auch mir der Kragen. „Wusste das wirklich sein, Ki?! Ist es langsam nicht genug?! Herr Gott, wie viele Jahre müssen denn noch vergehen, bis du Mama verzeihen kannst?“ Kinga wollte protestieren, doch ich ließ sie nicht zu Wort kommen. „Ja, Mama hat einen Fehler gemacht. Sie hat dich belogen, aber doch nur, weil sie dein Bestes wollte. Kannst du oder willst du das einfach nicht verstehen? Seit Jahren vergeht kein Tag, an dem sie sich nicht deswegen Vorwürfe machen würde. Aber mehr als entschuldigen kann sie sich nicht, Ki! Sie kann nicht ungeschehen machen, was passiert ist. Sie kann auch deinen leiblichen Vater nicht wieder lebendig machen. Aber ist es nicht schlimm genug, dass du nie die Chance hattest ihn kennen zu lernen? Musst du deswegen auch Mama von dir weg stoßen? Kinga, werd endlich erwachsen und vergib ihr! Es ist lange genug böses Blut geflossen!“



    Doch meine Schwester ließ sich nicht überzeugen. „Du verstehst das einfach nicht, Klaudia. Sie hat mir weiß gemacht, ein anderer Mann wäre mein Vater. Sie hat zugelassen, dass ich einen Mann liebte, der gar nicht mein Vater war und mit einem Schlag hat sie mir jede Verbindung zu ihm genommen. Wie soll man so etwas verzeihen?“ „Du hast dich selbst von Papa abgewendet“, entgegnete ich entschieden. „Er liebt dich heute noch genauso wie vor 20 Jahren. Nur weil du nicht seine Gene trägst, bist du nicht weniger seine Tochter geworden. Es war deine Entscheidung sich von ihm abzuwenden. Mama hatte damit nichts zu tun, also gib ihr nicht die Schuld dafür.“ Ich merkte, wie die Wut in meiner Schwester nachließ. Aber sie war zum Einlenken immer noch nicht bereit.



    Ich wagte einen letzten Versuch. „Denk an David, deinen Sohn“, flehte ich sie an. „Soll er ohne seine Großeltern aufwachsen? Wie willst du ihm später erklären, dass er sie nie kennenlernen durfte, weil du nicht über deinen Schatten springen konntest? Wirst du damit leben können? Und wirst du auch damit leben können, dass du deinen Neffen oder deine Nichte niemals wirst kennenlernen dürfen?“ Bei diesen Worten strich ich mir über meinem Bauch, dem man die Wölbung langsam ansehen konnte. Erst begriff Kinga nicht, doch dann weiteten sich ihre Augen. „Bist du etwa…“, fragte sie und ich nickte zur Bestätigung. „Du wirst Tante, Ki. Aber ich meine es ganz ernst wenn ich sage, dass ich nichts mehr mit dir zu tun haben will, wenn du Mama nicht vergeben kannst. Ich will nicht, dass mein Kind Umgang mit einem so verbitterten und hasserfüllten Menschen wie dir hat.“



    Ich wartete gar nicht erst Kingas Reaktion ab sondern drehte mich um und ging hinaus in den Regen. Unweit des Hauses entdeckte ich Mama, die immer noch bitterlich weinte. Ich ging auf sie zu und bot ihr unter meinem Schirm Schutz. „Mami, es tut mir leid, dass ich dich hierher gebracht habe. Ich wollte nur helfen. Ich dachte, wenn du und Kinga, wenn ihr euch erst seht, dann könnt ihr einander vergeben. Jetzt erkenne ich, wie naiv ich war und wie sehr dich das verletzt hat. Komm, Mami, lass uns zurück in die Pension gehen und anschließend sofort nach Rodaklippa zurückkehren. Hier hält uns doch nichts mehr.“



    Wir waren gerade im Begriff zu gehen, als uns Kingas Stimme aufhielt. „Nein, bitte, geht nicht.“ Überrascht blieben Mama und ich stehen. Kinga war uns nachgelaufen, bleib aber in einem Abstand zu uns stehen. „Klaudi, bleib bitte…und Mutter…du auch.“ Es war zu hören, wie viel Überwindung sie die letzten Worte kosteten.



    Zitternd ergriff Mama meine Hand und gemeinsam drehten wir uns um. Kinga kam langsam auf uns zu. Sie konnte sie dennoch nicht überwinden, auch die letzten Meter zu gehen. Betroffen schaute sie zu Boden und zerzauste sich mit der freien Hand das kurze Haar. Mit geschlossenen Augen atmete sie mehrmals tief durch, doch dann begann sie zu sprechen: „Mutter, es…es tut mir leid, was ich dir eben an den Kopf geworfen habe. Ich…ich hasse dich nicht. Es tut einfach nur so weh, dich zu sehen. Ich kann es nicht abstellen und dabei möchte ich es doch. Ich bin es müde, wütend zu sein. Aber ich weiß einfach nicht mehr, wie es sich ohne Wut anfühlt.“



    Ich wusste nicht, ob ich Kinga an Mamas Stelle vergeben hätte. Doch sie musste darüber nicht einmal nachdenken. „Kinga, mein Töchterchen, du musst mir gar nichts erklären. Ich verstehe es doch.“ Dicke Tränen flossen ihre Wangen hinunter. „Ich bin deine Mutter und ich liebe dich bedingungslos. Kein Wort was du sagst, könnte daran jemals etwas ändern.“



    Und plötzlich warf Kinga ihren Schirm beiseite und drückte unsere überwältigte Mutter fest an sich. „Mutti, es tut mir alles so leid“, schluchzte Kinga und zitterte am ganzen Körper. Und auch ich war den Tränen nah. Noch nie hatte ich meine Schwester so erlebt. Sie ließ in diesem Moment alle Mauern fallen. Ohne den Mantel aus Zorn und Provokation war da bloß eine zarte, verletzliche Frau. „Schhhh, Töchterchen, es ist ja alles gut“, redete Mama behutsam auf sie ein und ich bewunderte sie für ihre Stärke. „Dir braucht nichts leid zu tun. Ich war dir niemals, niemals böse.“



    Die beiden verharrten für eine Weile eng umschlungen, bis Kinga sich wieder von Mama löste. Mit dem Daumen wischte sie sich die Tränen aus den Augenwinkeln. Der für Kinga so ungewöhnliche emotionale Moment war vorüber, aber der Geist der Vergebung war immer noch zu spüren. „Klaudi, Mutter, kommt doch bitte rein“, bat sie uns. „Hier im Regen holen wir uns ja noch alle den Tod.“

  • Kapitel 50: Zweite Chance



    Obwohl Kinga sie immer noch Mutter nannte, war die Kälte aus dem Wort verschwunden. Die Erleichterung auf Seiten meiner Mutter war fast greifbar. Und sie folgte nur zu gerne der Einladung, ins Haus zu kommen. Denn hier erwartete sie ihr kleiner Enkel, den sie bislang noch nie zu Gesicht bekommen hatte. Die Freude über dieses Kennenlernen war auf beiden Seiten nicht zu übersehen.



    Doch ich ahnte, dass Mama noch viel mit Kinga zu besprechen hatte. Also nahm ich ihr David ab und gab den beiden die Gelegenheit, sich ungestört zu unterhalten. Ich ging mit meinem Neffen in sein Zimmer und der nahm mich gleich bei der Hand um mich zu seinem Steckkasten zu führen. Es war wundervoll ihm dabei zuzusehen, wie begeistert er die Bauklötze in die dafür vorgesehen Öffnungen steckte. Und wenn es mal nicht ganz so gut klappte, half ich ihm. In diesem Moment konnte ich es kaum abwarten, mit meinem eignen Kind genauso da zu sitzen.



    Das Gespräch zwischen Kinga und Mama verlief nicht einfach. Über die Jahre hatten sich die Probleme aufgetürmt und beiden war klar, dass man nicht einfach so tun konnte, als ob nie etwas vorgefallen wäre. Dafür war zu viel böses Blut geflossen. Man konnte die Vergangenheit nicht ungeschehen machen. Und beide erkannte, dass sie jetzt über alles sprechen musste, sonst würde sich dieses Gelegenheitsfenster schließen und möglicherweise nie wieder öffnen. „Warum musstest du mich anlügen, Mutter?“ Das war die Frage, die Kinga am meisten auf der Seele brannte. Doch es gab keine einfache Antwort darauf. „Kinga, Schatz, ich habe oft darüber nachgedacht. Möglicherweise hätte ich anders handeln können. Ich hätte Albert sagen können, dass ich schwanger von ihm war, mit allen Konsequenzen, die das mit sich gebracht hätte. Aber so oft ich darüber nachdenke, ich komme immer wieder zu dem Schluss, dass es richtig war, ihm nichts zu sagen. Damit habe ich ihn geschützt, seine Familie, aber auch mich und dich. Glaubst du es wäre in einer Kleinstadt wie Sierra Simlone Stadt, wo jeder jeden kennt, einfach für dich geworden als Tochter einer Ehebrecherin? Ich wollte dir das ersparen.“



    „Und Schatz, habe ich dir mit Dominik nicht einen guten Ersatzvater gesucht? Er hat dich geliebt und er tut es immer noch. Ganz egal, ob du nun sein leibliches Kind bist, oder nicht. Ich hoffe inständig, dass du auch ihn wirst wieder lieben können. Auf die Gene kommt es doch nicht an. Nein, so zu tun, als ob Dominik dein Vater sei, war die beste Entscheidung gewesen. Und wäre es nach mir gegangen, ihr beiden hättet niemals erfahren müssen, dass ihr nicht Vater und Tochter seid. Ich hätte dieses Geheimnis mit mir ins Grab genommen und ihr beide wärt glücklich gewesen, so wie ihr es wart, bevor alles ans Licht kam. Ich kann verstehen, dass du das anders siehst, Schatz. Ich kann verstehen, dass du dich von mir um zwei Väter betrogen fühlst. Um den einen, den du nie kennenlernen durftest, und um den anderen, den ich dir entrissen habe. Aber ich kann nur beteuern, dass es niemals in meiner Absicht lag, dich zu verletzen. Aber könnte ich die Zeit zurückdrehen, ich würde alles wieder genauso machen.“



    Meine Schwester blickte unsere Mutter eindringlich an. Zum ersten Mal in ihrem Leben erlaubte sie es sich, die ganze Geschichte durch die Augen meiner Mutter zu betrachten. Oh ja, sie hielt Mamas Entscheidung immer noch für falsch und die über Jahre angeeignete Wut und der Zorn ließen sich nur schwer zurückdrängen. Aber plötzlich verstand Kinga, warum unsere Mutter glaubte so handeln zu müssen, wie sie es tat. Und dieses Verständnis machte es ihr einfacher, zwar nicht zu vergessen, aber doch zu vergeben.



    Ja, die Entscheidung meinen Vater auch als Kingas Vater auszugeben, hielt meine Mutter für absolut richtig. Aber mit einem anderen Entschluss hatte sie schon seit Jahren schwer zu kämpfen. Und auch das musste jetzt geklärt werden. „Kinga, Schatz, war es die richtige Entscheidung von mir, dich damals in die Obhut meiner Schwester zu geben? Es vergeht kein Tag, an dem ich mir nicht vorwerfe, dass ich mich nicht genug angestrengt habe, dir aus eigener Kraft zu helfen. Vielleicht…vielleicht hätten wir eine Therapie versuchen sollen. Vielleicht hättest du nur mehr Zeit gebraucht, um…“



    Kinga unterbrach sie. „Nein Mutter, das hätte nichts gebracht. Dafür steckte ich schon viel zu tief im Sumpf aus Hass, Alkohol und Drogen. Wie oft habe ich dich dafür verflucht, dass du mich zu Tante Joanna geschickt hast. Aber wenn ich heute daran denke, was aus mir ohne diese Entscheidung geworden wäre, läuft es mir kalt den Rücken herunter. Ich war am Ende, Mutter. Aber dein Mut mich gehen zu lassen, hat mich gerettet. Es war hart, aber dadurch habe ich in Justice einen neuen Lebensinhalt gefunden.“ Die Erwähnung von Justice, der Mafia-ähnlichen Organisation der Tante Joanna vorstand, von der ich aber nichts wusste, löste in Mama nicht den Schrecken aus, den sie selbst erwartet hatte. Tief im Inneren hatte sie immer geahnt, dass ihre Zwillingsschwester einen Preis für ihre Hilfe einfordern würde. Doch solange dieser Preis gut für Kinga war, und danach sah es aus, war sie gerne bereit ihn zu bezahlen. „Mutter, ich werfe dir vieles vor, aber in diesem Fall hast du richtig entschieden.“


    *****



    Wir blieben noch bis zum späten Abend bei Kinga und Mama erhielt auch noch die Gelegenheit, Kingas Ehemann Olek kennenzulernen. Ich hatte meine Mutter selten so zufrieden erlebt, wie bei unserer Rückfahrt mit dem Taxi zur Pension. Umgehend rief sie Papa an, um ihm zu berichten, was sich ereignet hatte. Während ich auf einer Gitarre spielte, die ich im Aufenthaltsraum gefunden hatte, lauschte ich, wie sie ein ums andere Mal zwischen herzlichem Lachen und Freudentränen wechselte.



    Zum Schluss drückte sie mir den Telefonhörer in die Hand. „Spätzchen“, hörte ich meinen Vater mit zittriger Stimme sagen, „ich bin dir so dankbar, dass du das für Mama gemacht hast.“ „Nicht nur für Mama“, entgegnete ich sogleich. „Ich hab das auch für dich gemacht. Ich weiß doch, wie sehr du Kinga lieb hast.“ Ich hörte ein Schluchzen am anderen Ende der Leitung. Dann räusperte sich mein Vater. „Verdammtes Regenwetter. Da hab ich mich doch glatt erkältet“, versuchte er sich herauszureden, aber ich wusste genau, wie gerührt er war. Endlich, nach so vielen Jahren, kehrte wieder Frieden in unsere Familie ein.



    Natürlich trafen wir uns auch am nächsten Tag mit Kinga. Diesmal kam sie zu uns in die Pension. Und auch sie bedankte sich bei mir dafür, dass ich sie dazu gezwungen hatte, mit Mama zu reden. Und sie entschuldigte sich für die harschen Worte, die sie mir am Vortag an den Kopf geworfen hatte.



    Natürlich verzieh ich ihr. Um ehrlich zu sein, hatte ich unsere Auseinandersetzung bereits völlig vergessen. Und jetzt konnte ich mit ihr auch die Freude über meine Schwangerschaft teilen. Und ich erzählte ihr von Francesco. Nicht die geschönte Story, die ich sonst berichtete, sondern die Wahrheit, wie sie auch Mama und Tante Joanna kannten. „Und du willst diesen Francesco wirklich heiraten?“, fragte sie, als ich geendet hatte. Auch darüber hatte ich hier in Twinbrook noch einmal in Ruhe nachdenken können. Und die Antwort war ja. Ich wollte Francesco heiraten, denn mein Kind gehört einfach zu seinem Vater.



    „Wirst du zu meiner Hochzeit kommen?“, fragte ich hoffnungsvoll. Kinga sah mich erst überrascht an, aber dann begann sie zu lächeln. „Das werde ich mir doch nicht entgehen lassen. Schließlich habe ich doch nur eine Schwester. Außerdem bin ich auf meinen Schwager gespannt. Ein echter Lord also?“ Ich war überglücklich. Am liebsten hätte ich Kinga noch gefragt, ob sie meine Trauzeugin werden wollte. Aber ich ahnte, dass ich damit den Bogen vielleicht überspannt hätte. Die Wunde begann gerade erst zu verheilen und die Narben konnten jeden Moment wieder aufbrechen, wenn wir nicht vorsichtig waren.

  • Kapitel 51: Hochzeitsvorbereitungen



    Wieder Zuhause angekommen wurde es höchste Zeit, sich mit den Hochzeitsvorbereitungen zu beschäftigen. Dazu traf ich mich mit meiner zukünftigen Schwiegermutter Lady Eleonore und Francescos Schwester Alexis auf Schloss Hardsten. „Ich habe mir überlegt, dass die Trauung in der kleinen Kapelle oben auf den Klippen stattfinden könnte“, begann ich zu erzählen, als ich nach meinen Vorstellungen gefragt wurde. „Von dort oben hat man so eine schöne Aussicht aufs Meer. Und ihr beiden und meine Familie würden dort sicherlich Platz finden. Und die Feier könnten wir dann hier auf Hardsten ausrichten. Hier ist ja mehr als genug Platz.“



    „Aber Klaudia, Kind, was redest du denn da für einen Unsinn. Eine fürstliche Hochzeit in einer winzigen Kapelle!“, empörte sich Lady Eleonore. „Nein, der Lord von Rodaklippa wird natürlich in der Kathedrale getraut. Ich habe bereits mit dem Bischof gesprochen und er ist hoch erfreut. Und in der Kathedrale wird auch genug Platz für alle Gäste sein. Wir werden natürlich eine Einladung zum Herzog nach Simnorsk schicken. Und dass die Lords und Ladys der benachbarten Lordschaften eingeladen werden, ist bereits beschlossene Sache.“



    „Und die Hochzeitsfeier wird auf Schloss Utökad abgehalten, wie es seit Generationen üblich in unserer Familie ist“, stimmt Alexis mit ein. „Ach, Klaudia, du wirst eine wunderschöne Braut sein, in deinem weißen Atlaskleid und dem Schleier aus französischer Chantilly-Spitze. Ich kann es kaum erwarten, dich den Mittelgang der Kathedrale entlangschreiten zu sehen.“ Ich erkannte entsetzt, dass ich bei meiner eigenen Hochzeit kein Mitspracherecht haben würde. Wie konnte ich nur so dumm gewesen sein zu glauben, dass ich tatsächlich mitentscheiden durfte? Lady Eleonore und Alexis hatten bereits alles bis ins Detail geplant. Ich sollte dankbar dafür sein, dass sie mich wenigstens im Voraus über ihre Pläne in Kenntnis setzten.



    Wie wenig ihnen an meiner Meinung gelegen war wurde deutlich, als ich nur zu bereitwillig die Erlaubnis erhielt mich für eine Weile in den Garten zurückziehen zu dürfen. Auf diese Weise konnten Lady Eleonore und Alexis in Ruhe die Hochzeit planen. Die frische Abendluft tat mir gut. Zwar litt ich nicht mehr länger unter Morgenübelkeit, aber dafür spielte mein Kreislauf manchmal etwas verrückt. Ich atmete gerade tief durch, als mich der Klang einer vertrauten Stimme zusammenzucken ließ.



    „Na, hast du genug von dem Gerede von Mutter und meiner Schwester?“ Ich war so in Gedanken vertieft gewesen, dass ich Francesco gar nicht auf der Steinbank unter der Eiche bemerkt hatte. „Die beiden können sehr anstrengend werden, wenn sie sich erst einmal für ein Thema begeistern. Und dann wird es schwierig, gegen sie anzukommen. Ich hab es mir daher angewöhnt, gleich das Feld zu räumen. Das spart Zeit und Nerven.“



    Ich musste bei seinen Worten lächeln. Aber glücklich machte es mich nicht, kein Mitspracherecht bei meiner eigenen Hochzeit zu haben. Und leider sah es nicht danach aus, als ob ich in dieser Hinsicht Unterstützung von Francesco erwarten konnte. Das führte wiederum dazu, dass ich erneut die gesamte Hochzeit in Frage stellte. Meine Unsicherheit war so groß, dass ich sie zum ersten Mal auch Francesco gegenüber zur Sprache brachte. „Bist du dir sicher, dass wir das richtige tun? Ich meine…warum willst du überhaupt mich heiraten? Du könntest doch vermutlich jede haben. Warum also ausgerechnet ich?“



    Francesco blickte mich ernst an und ließ sich einen Moment Zeit für seine Antwort. „Der Hauptgrund, Klaudia, ist, dass meine Mutter unsere Hochzeit für eine gute Idee hält. Sie hat dich für mich als passende Frau ausgesucht und ich vertraue ihrem Urteil in dieser Hinsicht blind. Sie war immer um mein Wohl, aber insbesondere das Wohl unserer Familie bedacht. Und wenn Mutter sagt, du bist die richtige Frau, um Lady von Rodaklippa und Mutter des nächsten Erben zu sein, dann stelle ich das nicht in Frage.“



    „Und die letztere Aufgabe hast du ja bereits glänzend erfüllt…oder zumindest fast.“ Seine Mine wurde deutlich freundlicher bei diesen Worten. „Du erwartest mein Kind. In diesem Fall bleibt uns gar keine andere Wahl, als die Ehe einzugehen. Und ich hätte es weitaus schlimmer treffen können. Optisch gibt es an dir wenig zu bemängeln, Klaudia, und im Gegensatz zu vielen anderen Frauen denke ich nicht unentwegt, dass ich meine Zeit auch sinnvoller hätte nutzen können, als sie in deiner Gegenwart zu verbringen.“ Sollte das ein Kompliment gewesen sein? Ich war mir nicht sicher, ob ich versuchte einfach, es als solches aufzunehmen. Immerhin wusste ich jetzt genau, dass Francesco nicht an unserer Entschluss zu heiraten zweifelte. Und das gab mir Mut, es auch nicht zu tun.


    *****



    Einige Wochen später bat mich Magda, mich etwas aufzubrezeln. Das war leichter gesagt als getan, dann bedingt durch die Schwangerschaft passten mir meine normalen Klamotten nicht mehr so richtig. Aber schließlich grub ich doch noch etwas aus dem Schrank, was bei Magda Anklang fand und in das ich dennoch hinein passte. Dann verdeckte sie mir die Augen und führte mich ins Wohnzimmer. Der Sinn des Ganzen wurde mir offenbart, als sie die Hände von meinen Augen nahm und eine Horde von Frauen wild „Überraschung!“ schrie. „Ein Junggesellinnenabschied?“, fragte ich überwältigt und Magda nickte eifrig.



    Magda hatte Mama, Tante Joanna, Alexis und meine Galeristin Melinda zu diesem Anlass eingeladen. Eigentlich hatte sie geplant, mit mir und den anderen Frauen die Innenstadt von Rodaklippa unsicher zu machen. Aber Alexis hatte darauf hingewiesen, dass sich so ein Benehmen für die zukünftige Lady nicht gehörte. Und Magda musste schließlich nachgeben und sich mit einer intimen Privatparty begnügen, die auch noch möglichst weit vor dem eigentlichen Hochzeitstermin datiert war, damit die Presse gar nicht erst auf die Idee kam, dass sich etwas ereignen könnte. In diesem Fall war ich sehr froh über das Eingreifen meiner baldigen Schwägerin, denn ich hätte mir nichts schlimmeres Vorstellen können, als verkleidet und umringt von einer Horde betrunkener Frauen von Kneipe zu Kneipe zu ziehen und fremde Leute anzusprechen, die mir etwas abkaufen oder Spielchen mit mir spielen sollten. Stattdessen konnte ich mich in ruhiger Atmosphäre mit den Menschen unterhalten, die mir wichtig waren und ihren Lobreden auf meine baldige Heirat lauschen.



    Aber es wurde nicht nur geredet. Ich weiß gar nicht wer damit begonnen hatte, aber plötzlich liefen alle mit Kissen bewaffnet umher und schlugen aufeinander ein, dass die Federn nur so umherflogen. Ich bekam vor lauter Lachen beinah keine Luft mehr. Und das die ein oder andere Feder im Salat landete, war uns in der Situation auch egal.



    Magda nutzte die Gelegenheit, um Alexis besser kennenzulernen und ich hatte endlich mal Zeit mich ganz in Ruhe mit Melinda zu unterhalten. In der Galerie kamen wir neben dem geschäftlichen Teil kaum dazu, uns auch privat zu unterhalten. Die Schwangerschaft und die baldige Hochzeit führten zusätzlich dazu, dass ich kaum noch malte und sie so noch weniger sah. So hatte Melinda mir noch gar nicht richtig gratuliert und bestaunte nun meinen Babybauch.



    Und Mama und Tante Joanna drehten die Musik auf und legten eine flotte Sohle aufs Parkett. Die beiden lieferten sich ein regelrechtes Tanz-Battle. Man konnte sehr gut erkennen, dass sie in ihren Jugendjahren viel Zeit in Clubs und Discos verbracht haben mussten und verlernt hatten sie davon nichts. Als ich die beiden so tanzen sah, kam mir der entsetzliche Gedanke, dass Magda einen Stripper engagiert haben könnte. Doch zum Glück kannte meine Cousine mich inzwischen gut genug um zu wissen, dass ich keinen Spaß dabei gehabt hätte, mir einen halb nackten, fremden Mann anzusehen und womöglich noch mit ihm tanzen zu müssen. Nein, da sah ich doch lieber meiner Mama beim Tanzen zu.



    Alkohol war in meiner Situation ein absolutes Tabu. Das hielt aber meine übrigen Gäste nicht davon ab, das ein oder andere Gläschen Sekt zu trinken. Das führte dazu, dass sie noch ausgelassener Tanzen und Feiern wollten. Und irgendwann schnappte sich Magda sogar die Sektflasche, schüttelte sie kräftig, ließ den Korken knallen und richtete dann die Sektfontäne direkt auf ihre Mutter. Im ersten Augenblick dachte ich noch, Tante Joanna würde furchtbar böse werden, doch sie lachte nur und forderte Magda sogar auf, den Strahl direkt in ihren Mund zu richten. So ging die Party noch viele Stunden weiter und erst sehr, sehr spät kam ich in meinem Bett zur Ruhe.


    *****



    Da mir Lady Eleonore und Alexis ohnehin alle Entscheidungen bezüglich der Hochzeit abnahmen und ich weder die Lust noch die Kraft hatte mich gegen die beiden aufzulehnen, konnte ich ganz in Ruhe die Adventszeit genießen. Alle paar Tage erhielt ich ein Update von den beiden, welches ich abnicken durfte um wenigstens den Schein eines Mitspracherechts zu wahren. Heiligabend und die Festtage verbrachte ich abwechselnd bei meinen Eltern und bei Francescos Familie auf Schloss Hardsten. Aber es blieb mir auch noch genug Zeit um vermutlich zum letzten Mal mit Jamie und Magda zu feiern.



    Die Bescherung hielten wir bereits am frühen Nachmittag des Heiligen Abends ab. Beide erhielten von mir eine Kleinigkeit, die aber von Herzen kam. Für meine Cousine hatte ich ein schönes Parfüm besorgt, um ihr noch einmal dafür zu danken, dass sie mir so dabei geholfen hatte abzunehmen und mein Styling zu verändern. Und Jamie erhielt eine signierte Ausgabe eines Romans seines Lieblingsautors. Aber das eigentliche Geschenk hatten die beiden schon einige Tage zuvor erhalten. Wir waren beim Notar und Magda und Jamie wurden offiziell als Eigentümer des Hauses eingetragen, sodass sie auch nach meinem Auszug unbesorgt hier wohnen bleiben konnten.

  • Kapitel 52: Der große Tag



    Die Feiertage vergingen und das neue Jahr begann. Und ehe ich es mich versah war der Januar bereits zur Hälfte vorbei und der Tag meiner Hochzeit stand bevor. Bereits am frühen Morgen wurde ich von der Limousine abgeholt und auf Schloss Hardsten gebracht. Eine Stylistin wurde beauftragt, meine wilde Mähne zu zähmen und mein Make-up für den Tag perfekt zu machen. Eine Schneiderin half mir anschließend in mein Hochzeitskleid und nahm letzte Änderungen vor, damit es sich perfekt um meinen Babybauch legte. Und dann stand ich vor dem Spiegel und konnte es selbst nicht fassen, wie wunderschön ich aussah. Aus dem hässlichen, dicken Entlein war tatsächlich ein anmutiger Schwan geworden.



    Alexis betrat das Ankleidezimmer und musterte mich anerkennend. „Du siehst wunderschön aus, Klaudia. Jedes Mädchen in ganz Simskelad wird dich heute beneiden.“ Damit hatte Francescos Schwester sicherlich Recht. Doch ich bezweifelte stark, dass sie mich immer noch beneiden würden, wenn sie wüssten, dass es doch nur schöner Schein war. Francesco liebte mich nicht…und ich ihn auch nicht. Alexis bat mich, am Frisiertisch Platz zu nehmen. Als ich saß, überprüfte sie den festen Halt der Blumen in meinem Haar. Und dann bat sie mich, die Augen zu schließen und sie erst wieder zu öffnen, wenn sie mich dazu aufforderte.



    Ich kam ihrer Bitte nach und hörte, wie sie sich einige Schritte entfernte und eine Truhe öffnete. Dann kam sie wieder zurück und befestigte etwas in meinem Haar. „So, jetzt darfst du die Augen wieder öffnen“, verkündete sie schließlich. Ich tat es. Und der Anblick, der sich mir im Spiegel bot verschlug mir die Sprache. Ein Diadem! Ich drehte behutsam meinen Kopf und sah zu, wie das Licht der Lampen sich in den Steinchen zu unzähligen Regenbogen brach. „Sind das…sind das etwa echte Diamanten?“, fragte ich atemlos. Alexis nickte lachend. „Das Diadem ist schon seit vielen Jahren im Besitz unserer Familie. Meine Mutter hat es bei ihrer Hochzeit getragen und davor schon ihre Mutter. Du wirst heute zur Lady von Rodaklippa, Klaudia, und damit steht es von nun auch dir zu, ein solches Diadem zu tragen.“



    Damit war ich bereit. Francesco, Alexis und Lady Eleonore fuhren bereits vor, während ich wenig später mit einer eigenen Limousine zur erst vor wenigen Jahren errichteten Kathedrale gefahren wurde. Am Straßenrand entdeckte ich die Sicherheitskräfte, die die Schaulustigen, aber auch die Paparazzi zurückhielten. Ich fröstelte leicht, als ich aus dem Wagen stieg, und das lag nur zum Teil an den frostigen Januartemperaturen. Aber ich fand augenblicklich Trost in dem Anblick meines Papas, der mich bereits erwartet hatte. „Du siehst wunderschön aus, Spätzchen“, stellte er mit stolzgeschwellter Brust fest.



    Ich errötete bei seinem Kompliment. Dann reichte ich ihm meine Hand, damit wir gemeinsam die Kathedrale betreten konnten. Doch überraschend hielt Papa mich zurück. „Spätzchen, dir ist doch klar, dass du das nicht zu tun brauchst.“ Ich sah ihn verwundert an. Wusste er etwa, dass ich Francesco nicht aus Liebe heiratete? Der besorgte Blick in seinen Augen ließ keinen Zweifel daran, dass Mama ihn eingeweiht haben musste. „Nur weil du ein Kind von diesem Mann erwartest, musst du noch lange nicht seine Frau werden. Ich habe Ingrid, die leibliche Mutter deines Bruders Sky auch geheiratet, weil ich es damals für meine Pflicht hielt. Aber es hat weder mir noch ihr und schon gar nicht deinem kleinen Bruder Gutes gebracht. Und auch mit deiner Tante werden wir fertig. Lass nicht zu, dass jemand anderes dein Leben bestimmt.“



    Es war unbeschreiblich schön zu hören, dass mein Vater mich unterstützen würde, wie immer ich mich auch entschieden sollte. Aber ich war inzwischen schon zu weit gegangen, um noch einmal umkehren zu können. Und ich hatte viel Zeit gehabt, um nachzudenken. „Papa, ich werde Francesco heute heiraten. Ich habe mir das sehr gut überlegt. Ich glaube einfach, dass ich mit ihm und unserem Kind glücklich werden kann. Ich muss es zumindest versuchen. Alles andere würde ich mir ein Leben lang vorwerfen.“ Diese Antwort schien meinen Vater zufrieden zu stelle. Ich hakte mich bei ihm ein und Seite an Seite betraten wir das Gotteshaus.
    Leona Lewis - Ave Maria



    In der Vorhalle der Kathedrale wartete Alexis bereits auf mich. Sie befestigte einen langen Schleier an meiner Frisur und überreichte mir einen Blumenstrauß aus rosaroten Rosen. Nachdem sie sich versichert hatte, dass mein Kleid gut saß, betrat sie eilig das Längsschiff und nahm ihren Platz auf der Seite links des Altars ein. Dann ertönte die imposante Orgel. Ich atmete tief durch, hakte mich bei Papa unter und gemeinsam schritten wir durch das Portal. Ich spürte wie alle Blicke auf mich gerichtet waren. Meine Wangen glühten vor Nervosität und meine Knie fühlten sich an wie aus Gummi. Aber ich nahm all meine Selbstbeherrschung zusammen und schritt entschlossen auf den Altar zu.



    Relativ weit hinten sitzend entdeckte ich meine ältere Schwester Kinga und ihren Mann Olek. Sie waren also tatsächlich gekommen. Diese Erkenntnis zauberte ein Lächeln auf meine Lippen. Und ich freute mich nicht nur für mich, sondern auch für meine Eltern. Für Mama, aber auch ganz besonders für Papa, der Kinga nun zum ersten Mal seit vielen Jahren wiedersehen würde. Mein Einmarsch wurde nicht nur von der Orgel, sondern auch gesanglich von Magda begleitet. Am liebsten hätte ich meine Cousine als meine Trauzeugin gesehen. Doch Lady Eleonore machte mir entschieden deutlich, dass Magda aufgrund ihres Rufes in der Stadt für diese Rolle gänzlich ungeeignet wäre. Doch es gelang mir immerhin, sie als Sängerin an meiner Seite zu haben. Und Magda war sehr zufrieden damit, dass sie ihre Stimme einem so großen und bedeutenden Publikum präsentieren durfte.



    Begleitet von ihrem Ave Maria schritt ich auf den Altar zu. Ich wusste, dass ich damit mit jedem Schritt unausweichlich einer Ehe mit einem Mann näher kam, den ich nicht aus Liebe heiraten wollte. Und all meine Denkweisen und Erfahrungen sagten mir, dass das nicht richtig war. Aber ein Blick in die erwartungsvollen Gesichter meiner Familie ließ mich in meinem Entschluss nicht wanken. Mama sah aus, als ob sie sich wirklich für mich freuen würde. Es war keine überschwängliche Freude, die sie zur Schau stellte, aber ihr Gesichtsausdruck ließ erkennen, dass sie sich mit meinem Entschluss zu heiraten inzwischen angefreundet hatte. Ich vermutete, dass meine Schwangerschaft maßgeblich dazu beigetragen hatte. Jamie schien der Glücklichste von allen zu sein, vermutlich weil er nicht ahnte, wie es zu dieser Ehe gekommen war. Aber das zeigt mir doch, dass ich für Außenstehende offensichtlich eine hervorragende Wahl getroffen hatte und das ließ mich hoffen, dass ich keinen zu großen Fehler beging. Auch Tante Joanna, Onkel Tobias und mein Cousin Jakób, der jüngere Bruder von Magda, saßen dort. Und sogar Onkel Orion, der jünger Bruder meiner Mutter, und seine Frau, Tante Desdemona, hatten es nach Rodaklippa geschafft. Dies war keine Selbstverständlichkeit, den selbst zehn Jahre nach Kriegsende war es schwierig eine Ausreisegenehmigung aus der früheren Sierra Simlone, der heutigen Sierra Simnistria, zu erhalten.



    Von den Mitgliedern meiner Familie schweifte mein Blick hinüber zum Altar. Und dort stand er, Francesco, der Vater meines ungeborenen Kindes und mein zukünftiger Ehemann. In seinem schwarzen Smoking sah er noch besser aus als sonst. Was auch immer ich von Francesco halten sollte, man konnte meiner Tante nicht vorwerfen, dass sie mir einen unansehnlichen Mann ausgesucht hätte. Natürlich war Aussehen nicht das Wichtigste, aber ich hatte am eigenen Leib erlebt, dass ein schönes Äußeres einige Dinge vereinfachte. Und ich mochte sein Aussehen, ich mochte es wirklich sehr. Vielleicht liebte ich es sogar. Und wenn ich erst sein Aussehen liebte, dann würde ich vielleicht auch ihn bald lieben. Und wenn ich ihn erst liebte, dass musste auch er anfangen mich zu lieben. Anders konnte es gar nicht sein.



    Gleich hinter Francesco stand mein kleiner Bruder Sky, der mein Trauzeuge sein würde. Er lächelte mir breit zu, als ich mich nährte. Und das gab mir die Gewissheit, dass alles gut werden würde. Auch Francesco lächelte…nun ja, soweit man bei ihm jemals von einem Lächeln sprechen konnte. Als Papa und ich fast bei ihm waren, streckte er seine Hand aus, um meine in Empfang zu nehmen. Papa streichelte zärtlich über meinen Handrücken und legte dann meine Hand in die von Francesco. „Lass mir niemals zu Ohren kommen, dass mein kleines Mädchen unglücklich ist“, sprach mein Vater eine deutliche Warnung aus. Doch Francesco blieb davon unbeeindruckt. „Sie wird immer gut versorgt sein“, erwiderte er gelassen. Das war nicht die Antwort, die Papa zu hören gehofft hatte. Aber er beließ es dabei. Was blieb ihm auch anderes übrig? „Ich hoffe, du wirst sehr glücklich, mein Spätzchen“, sagte er daher an mich gewandt, hauchte einen Kuss auf meine Wange und nahm auf einer Bank neben meiner Mutter Platz.



    Hinter dem Altar stand der Bischof von Rodaklippa, gekleidet in ein grünes Prachtgewand und mit der Mitra auf dem Kopf. Ich hatte schon einige Weihnachts- und Ostermessen mit ihm gefeiert und er hatte immer einen sympathischen Eindruck auf mich gemacht. Es hielt eine überzeugende Predigt und führte gekonnt durch die Liturgie. Schließlich wurden Francesco und ich dazu aufgefordert uns vor dem Altar niederzuknien und empfingen den Segen des Bischofs.



    Ein kleiner Junge, der Sohn von Lord und Lady Sanftmuth von Lugenlund, brachte die Ringe herbei, die nun ebenfalls vom Bischof gesegnet wurden. Der Baron von Simskelad hatte sich herzlich für unsere Einladung bedankt, sah sich aber außer Stande zu kommen. Dafür waren aber neben den Sanftmuths noch die Lords und Ladys Forstwacht von Djupenskog und Lachsigton von Mörksjön, zwei weiterer benachbarter Lordschaften Rodaklippas der Einladung gefolgt. Sie alle saßen auf der linken Seite der Kathedrale bei Francescos Mutter. Und dann war der Moment gekommen. Aus verständlichen Gründen hatten wir beschlossen, auch eigene Gelübde zu verzichten. Das war eine der wenigen Entscheidungen, bei der ich Lady Eleonore aus vollem Herzen hatte zustimmen können. Daher stellte der Bischof die alt hergebrachten Fragen.



    „Klaudia Virginia Blech, willst du den hier anwesenden Wilhelm Francesco Hartfels zu deinem Mann nehmen, ihn lieben und ehren bis das der Tod euch scheidet, so antworte ‚Ich will‘“. Meine Stimme bebte. Immerhin musste ich vor Gott versprechen, diesen Mann mein Leben lang zu lieben. In diesem Moment kam ich mir wie niemals zuvor wie eine Heuchlerin vor. Aber ich sagte dennoch „Ich will“ und Francesco streifte mir meinen Ehering über.



    „Und willst du, Wilhelm Francesco Hartfels“, setzte der Bischof nach einer kurzen Pause fort, „die hier anwesende Klaudia Virginia Blech zu deiner Frau nehmen, sie lieben und ehren bis das der Tod euch scheidet so antworte ebenfalls mit ‚Ich will‘“. „Ich will“, antwortete Francesco im Gegensatz zu mir mit fester Stimme. Mit zittriger Hand nahm ich seinen Ring von dem Kissen, welches der kleine Junge bereit hielt, und steckte ihn Francesco an den Finger.



    Der Bischof war zufrieden mit dem Verlauf der Zeremonie. Im Hintergrund ertönte bereits die Orgel als er sprach: „Im Namen Gottes und seiner Kirche bestätige ich den Ehebund, den ihr soeben geschlossen haben. Was Gott zusammengeführt hat, darf der Mensch nicht trennen. Ihr dürft euch nun küssen.“ Francesco legte seine Arme um mich und zog mich zu sich heran. Und als seine Lippen die meinen berührten, passierte etwas mit mir. Dieser Kuss war so anders als all die, die wir zuvor ausgetauscht hatten. Ich wusste nicht, ob der liebe Gott seine Hände im Spiel hatte, aber ich spürte ein herrliches Kribbeln im ganzen Körper. War das etwa…könnte es sein? Könnte es sein, dass ich wirklich begann Francesco zu lieben?

  • Kapitel 53: Moon River



    Ich hörte ein Seufzen durch den Kirchenbau gehen. Magda könnte ihre Tränen der Rührung nicht länger unterdrücken und heulte laut auf. Aber wer weiß, vielleicht waren es auch Tränen des Neids, da ich, ihr dicke, hässliche Cousine vor ihr einen Ehemann abbekommen hatte? Und dann auch noch einen Lord! Bei Magda konnte man nie wissen. Bei Papas Tränen zweifelte ich keine Sekunde, welchen Ursprung sie hatten. Er freute sich einfach für mich. Bei Mamas Tränen war ich mir nicht sicher. Waren es wirklich Freudentränen, oder trauerte sie doch, weil ich mich, wie schon sie vor mir, in eine Ehe ohne Liebe gestürzt hatte? Tante Joanna wirkte in jedem Fall höhst zufrieden, weil ihr Plan so gut aufgegangen war. Meinen Cousin schien die ganze Sache eher zu langweilen. Aber Onkel Orion freute sich ehrlich für mich und wurde darin nur noch von Jamie übertroffen, der selig grinste.



    Unter lautem Orgelgetöse zogen wir aus der Kathedrale aus. Bevor Lady Eleonore etwas dagegen unternehmen könnte, stürzten sich schon meine Eltern, meine Familie und meine Freunde auf Francesco und mich, um uns mit Glückwünschen zu überhäufen. Aus dem Augenwinkel sah ich deutlich, wie vor Ärger eine Ader auf der Stirn meiner Schwiegermutter…ich hatte jetzt tatsächlich eine Schwiegermutter…hervortrat. Eine solch öffentliche Zurschaustellung von Gefühlen war eindeutig nicht standesgemäß. Aber sie konnte sie jetzt nicht mehr verhindern, ohne ihr Gesicht noch weiter zu verlieren. Also machte sie gute Miene zum bösen Spiel.



    In schwarzen Reisebusen mit getönten Scheiben wurde die gesamte Hochzeitsgesellschaft in das etwa zehn Kilometer von Rodaklippa entfernte Schloss Utökad gefahren. Als wir ankamen, setzte bereits die Dämmerung ein. Es war ein schönes altes Schloss, welches aber nur noch als Museum fungierte und von der Familie von Zeit zu Zeit für wichtige Empfänge genutzt wurde. Bei unserer Ankunft wurden wir mit einem Sektempfang begrüßt. Das war auch der Moment für Sky seinen Pflichten als Trauzeuge nachzukommen und eine Rede auf Francesco und mich zu halten. Und er meisterte diese Aufgabe mit Bravour. Ich war richtig stolz auf mein kleines Brüderchen.



    Nach der Rede hatte ich endlich etwas Zeit, mich meinen Gästen zu widmen. Ich war sehr froh, dass Onkel Orion es geschafft hatte zu kommen. Seit unserer Flucht aus der Sierra Simlone hatte ich nur wenige Gelegenheiten gehabt, Mamas jüngeren Bruder zu sehen. Und es tat gut, wieder Neuigkeiten aus der alten Heimat zu hören und zu erfahren, wie es den alten Freunden und auch Verwandten erging, da der Kontakt aufgrund der angespannten politischen Situation nach wie vor schwierig, wenn nicht gar unmöglich war.



    Nach dem Sektempfang nahmen unsere Gäste an der U-förmigen Tafel Platz. Die Tische waren mit weißen Damast-Tischtüchern ausgelegt und mit aufwändigen Rosengestecken, Rosenblättern und vielen Kerzen dekoriert. Das zahlreiche Besteck ließ schon erahnen, dass es mehrere Gänge geben würde. Das Menü wurde direkt am Tisch serviert, sobald sich alle Gäste gesetzt hatten. Nach einer kräftigen klaren Brühe und einem Chicoreesalat mit Steinpilzen folgte dann der Hauptgang: Kapaun mit Wirsing und Trüffeln. Ungelogen, ich hatte in meinem Leben noch nie so etwas Leckeres gegessen.



    Unseren adeligen Gästen wurden Plätze an der Tafel zugewiesen, die ihrer Stellung angemessen waren. Außerdem hatte meine Schwiegermutter sie so alle in Gesprächsweite und konnte das Angenehme gleich mit dem Nützlichen verbinden und die politischen Verbindungen festigen. Die übrigen Gäste hatten hingehen freie Platzwahl. Papa und Kinga wählten Plätze dich beisammen um die Möglichkeit zu einem ruhigen Gespräch zu bekommen. Und bei der Gelegenheit lernte Kinga auch endlich ihren Stiefbruder Sky kennen, den sie bislang nur als Baby einmal kurz zu Gesicht bekommen hatte. Mama entschied sich ganz bewusst dafür, abseits von den dreien zu sitzen. Trotz der Aussprache mit meiner Schwester war ihr Verhältnis weiterhin angespannt und sie wollte der Aussöhnung zwischen Papa und Kinga nicht noch zusätzliche Steine in den Weg legen. Stattdessen saß sie bei ihrem Bruder Orion und seiner Frau Desdemona und saugte begierig alle Neuigkeiten aus der Sierra Simlone auf.



    Nach dem Essen wurde es Zeit, den Tanz zu eröffnen. Um dem Schauplatz und Francescos…und nun auch meiner…sozialen Stellung gerecht zu werden, geschah dies in Form einer Polonaise. Nicht nur konnte bei diesem Schreittanz jeder mitmachen, nein, man kam auch mehrere Male an jedem der Tanzenden vorbei und war so in der Lage selbst bei einer noch so großen Gesellschaft jeden Gast persönlich zu begrüßen.



    Für die musikalische Untermalung des Abends sorgten wie bereits in der Kirche Magda, die nun auch ihr Können am Klavier unter Beweis stellen konnte, und der Organist, der aber genau so begabt am Kontrabass war. Je nach Lied begleiteten sie den Klang ihrer Instrumente zusätzlich gesanglich.



    Nach der Polonaise erfolgte dann auch die klassische Eröffnung des Hochzeitstanzes in Form eines Langsamen Walzers. Zu den sanften Klängen von Moon River, gesungen von Magda, schwebten Francesco und ich über die Tanzfläche. Er war ein göttlicher Tänzer der selbst mich Tanzlegastheniker wie eine Elfe auf der Tanzfläche erschienen ließ. Wir hatten diesen Tanz in den letzten Wochen immer und immer wieder geprobt, aber niemals ist er uns so gut gelungen wie heute. Und niemals hatte ich mich so sicher und geborgen in Francescos Armen gefühlt. Diese simplen zwei Worte vorhin in der Kirche hatten irgendwie alles verändert…und das zum Besseren.



    Als das Lied zu Ende war und das nächste erkläng, gesellten sich auch die übrigen Gäste zu uns auf die Tanzfläche. Erst unsere Trauzeugen, dann auch Lady Eleonore und meine Eltern und schließlich auch alle anderen. Doch ich hatte nur Augen für Francesco und wollte die Tanzfläche nie wieder verlassen.



    Ganz ähnlich schien es auch meinen Eltern zu ergehen die eng umschlungen auf der Tanzfläche standen und sich gemächlich zum Takt der Musik wiegten. Die beiden sahen so glücklich aus. Dabei war ihre Ehe auch nicht ideal gestartet. Es hatte keine Liebe gegeben…zumindest nicht auf Seiten meiner Mutter. Und doch liebten sie sich inzwischen innig. Das gab mir die Zuversicht, dass es bei Francesco und mit ähnlich werden würde. Mit der Zeit würden wir auch unsere Liebe zueinander finden. Und ich fühlte genau, dass sich die Knospe der Liebe bereits zu öffnen begann.



    Auch Magdas Eltern, Tante Joanna und Onkel Tobias, sahen immer noch frisch verliebt aus. Und in Sachen Tanzen konnte den beiden niemand das Wasser reichen. Mit ausgefallenen Figuren stellten sie ihr Können unter Beweis. Mama, Tante Joanna, Kinga…das Liebesglück schien eindeutig in unserer Familie zu liegen, warum sollte es da bei mir anders sein? Ich hatte einfach nur Starthilfe gebraucht um meine Schüchternheit zu überwinden. Jetzt, wo mir Tante Joanna bei diesem ersten und schwierigsten Schritt geholfen hatte, würde sich alles Weitere zum Guten wenden. Und zusammen mit unserem ungeborenen Kind würde mein Glück mit Francesco perfekt sein.



    Pünktlich um Mitternacht wurde die Hochzeitstorte angeschnitten. Eigentlich sah sie ja viel zu schön aus, um sie zu essen, aber was sein musste, musste sein. Obwohl ich den Brauch eigentlich gut kannte, griff ich dennoch als erste zum Messer, was zur Folge hatte, dass meine Hand die untere auf dem Messer war. Dem Brauch folgend würde also Francesco das Sagen in unsere Ehe haben. Ganz unglücklich macht mich dies nicht, denn ich wusste ja nur zu gut, wie schwer mir manche Entscheidungen fielen. Ich war dankbar dafür, dass mir jemand diese Last in Zukunft abnahmen konnte.



    Magda musste selbstverständlich nicht den ganzen Abend auf der Bühne stehen und singen. In ihren Pausen kam sie zu mir und gemeinsam hielten wir nach einem geeigneten Ehemann für meine Cousine Ausschau. Zu Magdas Leidwesen waren die anwesenden Lords alle bereits verheiratet und hatten ihr ledigen Brüder und Söhne Zuhause gelassen. Dann würde sie sich doch einen Mann aus dem einfachen Volk suchen müssen. Und der ein oder andere brauchbare Kandidat war sogar dabei.



    Im späteren Verlauf des Abends ging es auf der Tanzfläche dann etwas lockerer zu. Walzer, Quickstepp und Slowfox wurden von moderneren Klängen abgelöst. Wobei „modern“ immer noch relativ war, denn es wurde hauptsächlich Rock’n’Roll gespielt, der in Lady Eleonores Augen sicherlich schon verrucht genug war. Meine Familie hatte dennoch ihren Spaß. Magda tanzte mit ihrer neusten Eroberung Mathew Glover-Pandora, Tante Joanna und Onkel Tobias hatten die Tanzfläche offenbar nicht für eine Sekunde verlassen, Jamie tanzte (und flirtete) mit Frida Appleby-Stardust und ich hatte mir Onkel Orion geschnappt.



    Aber auch unser hochgeborenen Gäste waren dieser Art der Unterhaltung nicht abgeneigt, wie mein Bruder Sky bei seinem wilden Tänzchen mit Lady Graziella Forstwacht von Djupenskog unter Beweis stellte. Man, konnte die Dame ihre Hüften schwingen! Und auch die Geistlichkeit war gut in Schwung. Nachdem der Bischof sich den bisherigen Abend damit begnügt hatte den übrigen Gästen beim Tanzen nur zuzusehen, konnte ihn Mama schließlich doch noch dazu bewegen, ein Tänzchen zu wagen.



    Ich hätte ewig so weiter feiern können. Aber die Schwangerschaft, auch wenn sie bislang ganz entspannt bei mir verlief, ging doch nicht spurlos an mir vorüber. Ich merkte, dass ich zusehends müder wurde. Aber bevor ich das Fest verlassen konnte, galt es noch den Brautstrauß zu werfen. Die unverheirateten Frauen und Mädchen auf dem Fest versammelten sich auf der Tanzfläche. Ich stellte mich mit dem Rücken zu ihnen und dann warf ich den Strauß hoch in die Luft.



    Ich hatte schon vorher genau gesehen, dass Magda ganz scharf darauf war, den Strauß zu fangen. Und es gelang ihr tatsächlich. Und nur böse Zungen behaupteten hinterher, sie hätte die kleine Annabelle zur Seite geschubst. Das Mädchen war ganz einfach über seine eigenen Füße gestolpert. Auf jeden Fall hielt Magda höchst zufrieden den Strauß in der Hand. Jetzt fehlte ja nur noch der Ehemann. Mit diesem letzten Bild im Kopf verließen Francesco und ich unsere Gäste, die noch viele Stunden weiter feierten.

  • Kapitel 54: Die Erfüllung aller Wünsche



    Im Innenhof des Schlosses wartete bereits der Chauffeur mit der Limousine auf uns. Die Hochzeitsnacht würden Francesco und ich auf Schloss Hardsten verbringen. Unser gemeinsames Haus war noch immer nicht bezugsfertig und auf Hardsten würden wir mehr Privatsphäre haben als in der Cilia Gade. Als wir allein in Francescos Zimmer waren, merkte ich, dass er etwas nervös wurde. „Klaudia“, begann er die Unterhaltung, „ich habe mit meinem Anwalt und auch mit dem Bischof gesprochen und beide waren der Auffassung, dass es unumgänglich sei, dass wir die Ehe trotz allem“, dabei deutete er auf meine prallen Babybauch, „vollziehen müssen.“ Seine Wangen glühten bei diesen Worten feuerrot und das war nur zum Teil den frostigen Außentemperaturen oder dem Alkohol zuzuschreiben. Nein, es war ihm ganz einfach unangenehm über das Thema Sex zu sprechen, selbst mit mir, seiner eigenen Frau.



    Oder aber, es war ihm unangenehm mich darum zu bitten, mit ihm zu schlafen, obwohl wir beide wussten, dass wir die Ehe nicht aus Liebe eingegangen waren. Was auch immer der Grund war, er brauchte sich keine weiteren Gedanken zu machen. „Deine Mutter hat mich über meine heutigen Pflichten bereits in Kenntnis gesetzt“, erwiderte ich. Zunächst hatte mich das in Angst versetzt. Doch jetzt war es anders. Francesco war mein Mann. Beim Ja-Wort hatte ich gespürt, dass ich mehr für ihn empfand, als ich geglaubt hatte. Und jetzt war ich neugierig, ob sich dieses Gefühl bestätigen würde, wenn ich Francesco auch körperlich näher kam. „Ich bin bereit dafür“, konnte ich ihm daher ehrlich antworten.



    Aufgeregt war ich dennoch. Immerhin hatte ich erst ein einziges Mal mit ihm geschlafen. Nachdem er von meiner Schwangerschaft erfahren hatte, hatte Francesco nie wieder etwas in dieser Richtung versucht. Und unser erstes Mal hatte ich nicht unbedingt positiv in Erinnerung. Ich hatte diese Nacht ein ums anders Mal Revue passieren lassen und war zu dem Schluss gekommen, dass ich Francescos scheinbare Unachtsamkeit mir gegenüber vielleicht überbewertet hatte. Inzwischen kannte ich ihn ja besser und wusste, dass er ein sehr in sich gekehrter Mensch war, der so gut wie nie Gefühle nach außen hin zeigte. Warum sollte das beim Sex also anders sein? Ich wollte ihm und uns beiden also eine neue Chance geben, auch wenn mein Herz dabei wie wild klopfte. Schüchtern strich ich eine Haarsträhne, die sich aus meiner Frisur gelöst hatte zurück und drehte mich mit dem Rücken zu ihm. Und bei den Worten, „Würdest du mir mit dem Reißverschluss helfen?“, war ich bemüht, so verführerisch wie möglich zu klingen. Er sollte wissen, dass ich das hier wirklich wollte.



    Francesco ließ sich nicht ein zweites Mal bitten. Während er mein Kleid öffnete zog ich die langen weißen Handschuhe aus und warf sie auf den Boden. Das Kleid glitt an meinem Körper hinab. Ohne dass ich ihn dazu auffordern musste begann Francesco auch den Verschluss meines BHs zu öffnen. Derweil griff ich mir in die Haare und zog die Haarnadeln heraus, die meine Frisur zusammenhielten und schüttelte meine Lockenmähne. Mit der anderen Hand drückte ich zunächst noch den geöffneten BH an meinen Körper. Doch als ich Francescos Hände auf meiner Hüfte fühlte, blickte ich ihn über die Schulter hinweg an und ließ auch dieses Kleidungsstück zu Boden gleiten. Dann drehte ich mich zu meinem Mann um, nahm ihm seine Fliege ab, seinen Kummerbund und half ihm dabei sich von seinem Jackett und seinem Hemd zu befreien. Auch seine Kleidungsstücke fielen achtlos zu Boden und schließlich standen wir vollkommen nackt voreinander. Unsere Blicke ruhten auf dem Körper des jeweils anderen und dieses Mal hatte ich das Gefühl, dass Francesco sich sehr viel Zeit nahm.



    Ich nahm seine Hand und gemeinsam legten wir uns auf das Bett. Ich wollte, dass es diesmal anders wurde als beim ersten Mal. Vielleicht hatte ich mich damals einfach zu sehr darauf verlassen, dass Francesco schon alles machen würde, so wie es Israel bei meinem aller Ersten Mal getan hatte. Vielleicht war Francesco ja genau so schüchtern und unsicher in Liebesdingen wie ich es war und brauchte etwas Unterstützung? Nur wusste ich nicht, was ihm gefallen könnte. Also dachte ich daran, was ich schön fand und begann damit, seine Arme, seine Brust und seinen Bauch vorsichtig mit meinen Fingerspitzen zu stricheln. Es dauerte nicht lange, bis Francescos Finger auf die gleiche Weise meinen Körper erkundeten. Der eigentliche Akt verlief dann bei erster Betrachtung wie beim ersten Mal. Doch schnell erkannte ich, dass die Bewegungen, die ich zunächst als mechanisch wahrgenommen hatte, viel eher mit Sorgfalt und Präzision ausgeführt wurden. Seine Augen waren auch diesmal fest verschlossen, aber diesmal verstörte es mich nicht mehr so sehr. Denn als ich seinen Gesichtsausdruck genauer musterte, erkannte ich, dass er dabei durchaus zufrieden aussah. Und als ich begann, seinen Hals mit kleinen Küssen zu verwöhnen, verzogen sich seine Mundwinkel sogar zu einem Lächeln.



    Ja, unser Liebesakt war auch diesmal sehr anders als das, was ich mit Israel erlebt hatte. Aber war es deswegen schlechter? Ich war mir da inzwischen nicht mehr so sicher. Es war schön, Francescos warme Haut auf meiner zu spüren. Ich genoss seine Berührungen. Und ich war mir sicher, dass auch er es genoss. Sein rascher Höhepunkt sollte mir in dieser Hinsicht Beweis genug sein. Auch diesmal schlief er hinterher schnell ein. Aber wer wollte es ihm verdenken? Wir waren seit dem frühen Morgen auf den Beinen und hatten viel getanzt. Und auch wenn Francesco nicht übermäßig viel getrunken hatte, so hatte der Alkohol doch sicher auch seine Mitschuld. Ich hingegen konnte noch nicht gleich einschlafen. Doch das war nicht schlimm. Ich schmiegte mich an den Rücken meines Ehemannes und lauschte seinen gleichmäßigen Atemzügen. Ich war tatsächlich seine Frau…und es fühlte sich gut an. Ich war verheiratet, würde bald Mutter werden. Alle meine Wünsche gingen in Erfüllung.


    *****


    Direkt am nächsten Morgen traten wir unsere Hochzeitsreise an. Das Ziel war der kleine Ort Monte Vista in der Toskana. Es war die Heimatstadt der mütterlichen Linie von Francescos Familie. Lady Eleonore war hier aufgewachsen und Francesco hatte hier viele Sommer bei seinen Großeltern verbracht. Vom Regionalflughafen in Rodaklippa flogen wir zunächst in einer kleinen Cessna nach SimCity, von wo aus es in der ersten Klasse nach Florenz weiterging. Dort angekommen setzten wir unsere Reise in einer gemieteten Limousine fort. Obwohl es in der Toskana sehr viel wärmer als im kalten Simskelad war, war der Winter auch hier deutlich zu spüren. Ohne dicke Winterjacken ließ es sich auch hier nicht aushalten. Erst nach Sonnenuntergang kamen wir an unserem Landhotel an.



    Unser Zimmer war bereits für uns vorbereitet worden. Es war großzügig und elegant eingerichtet, auch wenn man es nicht unbedingt luxuriös bezeichnet hätte. Ich fühlte mich auf Anhieb wohl hier. Trotz der Anstrengungen der Reise setzt sich Francesco noch an den Schreibtisch und ging einige Daten zur wirtschaftlichen Entwicklung Rodaklippas im letzten Quartal durch. Und ich machte mich schon einmal mit dem ungewohnten Euro Münzen und Scheinen vertraut, die wir an der Rezeption gegen Simoleons eingetauscht hatten.



    Als wir am nächsten Morgen aufwachten hatte es tatsächlich geschneit. Eine dünne weiße Schicht bedeckte die Landschaft, war aber bereits im Begriff zu tauen. Von so ein bisschen Schnee ließen Francesco und ich uns nicht abhalten. Wie zogen unsere warmen Winterjacken an und machten uns auf zu einem Spaziergang durch die historische Altstadt von Monte Vista.



    Die Altstadt war wirklich wunderschön. Hoch oben auf dem Berg gelegen befanden sich hinter der dicken Stadtmauern eine Vielzahl historischer Bauten. Aber das beeindruckendste Bauwerk war die Burg. „Bis zu ihrem Tod vor einigen Jahren haben meine Großeltern in dieser Burg gewohnt“, erklärte Francesco. „Sie ist auch noch heute im Besitz der Familie de‘ Morelli, allerdings lebt mein Tante mit ihrer Familie in einer Villa bei Florenz.“ „Können wir sie denn besichtigen?“, fragte ich neugierig. „Wir könnten schon. Aber heute wird die Burg von der Stadtverwaltung genutzt und ist vollgestopft mit Akten. Es wäre also nicht sonderlich spannend.“



    Interessiert hätte es mich dennoch. Aber für Francesco war das Thema bereits erledigt. Und offenbar hatte er für den Rest des Tages auch schon andere Pläne. „Klaudia, ich hoffe es ist in Ordnung, wenn ich dich für den Rest des Nachmittags alleine lasse. Ich habe gleich einen Geschäftstermin mit ein paar lokalen Politikern. Das würde dich ohnehin sicherlich nur langweilen.“ Damit hatte er vermutlich Recht, aber eine Wahl blieb mir ja so oder so nicht. Doch in Monte Vista gab es viel zu sehen und ich konnte mich problemlos den ganzen Tag im Museum aufhalten und mir die hiesigen Gemälde und Skulpturen anschauen.



    Am Abend stieß Francesco dann wieder zu mir und gemeinsam besuchten wir eine urige Pizzeria in der Altstadt. Ich wusste nicht, ob es daran lag, dass ich seit dem Frühstück nichts gegessen hatte oder daran, dass ich derzeit ohnehin für zwei aß, aber ich hatte selten so eine gute Pizza gegessen. Und von der köstlichen Panna Cotta zum Nachtisch will ich gar nicht erst anfangen.



    Gut gesättigt fuhren wir zurück in unser Hotel. Beide machten wir uns fertig fürs Bett. Die Häuser hier in der Toskana waren eindeutig nicht für solche eisigen Temperaturen gebaut worden, denn trotz der dicken Daunendecke begann ich zu zittern. Francesco merkte dies und zog mich zu sich heran. Und schon nach wenigen Augenblicken in seinen Armen wurde mir wärmer. Und mir wurde regelrecht heiß, als ich seine Erregung spürte. Nein, diesmal musste er nicht mit mir schlafen und es war auch kein Alkohol im Spiel. Er wollte es demnach und ich war glücklich darüber. War es nicht ein deutliches Zeichen, dass er begann mich zu lieben? Und ich wurde umso glücklicher, als dass sich dieses Ereignis in den kommenden Nächten noch des Öfteren wiederholen sollte.

  • Kapitel 55: When the moon hit's your eye...



    Obwohl wir in unseren Flitterwochen waren, könnte es Francesco sich nicht erlauben, seine Arbeit ruhen zu lassen. Regelmäßig ließ er sich von seiner Mutter über die Geschehnisse in Rodaklippa und ganz Simskelad auf dem Laufenden halten und brütete bis spät in die Nacht hinein über Ratsbeschlüssen, Steuerlisten und den Haushaltsplänen für das kommende Jahr. Ich nutzte die Zeit dann für ausgedehnte Spaziergänge durch die hügelige Landschaft oder vertrieb mir die Zeit mit Spielen auf der Gitarre, die ich mir von einem der Hotelangestellten ausgeliehen hatte.



    Aber Francesco arbeitete natürlich nicht die ganze Zeit. Unsere Hochzeitsreise gab ihm nämlich die Gelegenheit, sich seiner großen Leidenschaft, dem Weinhandel, zu widmen. Und ich war neugierig, mehr über seine Lieblingsbeschäftigung zu erfahren. An einem Nachmittag fuhren wir also zu einem Weingut hinaus, mit dem Francesco schon seit Jahren geschäftliche Beziehungen unterhielt. „Willkommen, Lord Hartfels“, begrüßte uns Signora Camara, die Winzerin. „Ich bin hoch erfreut sie wieder einmal auf Gut Lussureggiante begrüßen zu dürfen.“



    Da der kalte Wind oben auf den Hügeln besonders stark wehte, bat sie uns umgehend in das Innere des Weinguts. „Und sie müssen dann Lady Hartfels sein“, begrüßte sie auch mich, sobald wir die Mäntel ausgezogen hatten. „Ich habe die Bilder ihrer Hochzeit in den Illustrierten verschlungen. Aber in Wirklichkeit sind sie noch viel schöner, als auf den Fotos.“ Ich errötete bei dem Kompliment und bedankte mich. Ein Blick zu Francesco verriet mir, dass auch er über dieses Kompliment erfreut schien.



    „Und bald kommt ja auch schon der kleine principe oder die kleine principessa auf die Welt“, fuhr Signora Camara begeistert fort. „Wann ist es denn so weit?“ „Ich bin jetzt am Anfang des fünften Monats“, antwortete ich und gab ihr erfreut die Erlaubnis, meinen Bauch berühren zu dürfen. „Der Geburtstermin ist für Mitte Mai angesetzt.



    Nach dieser Begrüßung führte Seniora Camara uns durch das Weingut. Francesco war besonders an dem Weinkeller interessiert, in dem die Fässer mit dem Wein aus diesem Jahr lagerten. Die Weinlese war längst abgeschlossen, daher standen die Weinpressen zu meinem Leidwesen alle still. Aber Francesco interessierte sich ohnehin eher für den fertigen Wein und nicht so sehr für den Vorgang der Herstellung. „Dieses Jahr werden wir eine sehr guten Wein verkaufen können. Der Sommer war sehr sonnenreich, es hat aber auch ausreichend geregnet“, erklärte die Winzerin. „Wir haben auch schon ausprobiert, unseren Wein mit dem aus ihrem Gut zu mischen, Lord Hartfels. Die Süße unseres Jahrgangs zusammen mit dem herben Geschmack der Trauben aus Rodaklippa harmonieren wunderbar. Sie müssen gleich ein Glas davon probieren.“



    Das ließ Francesco sich nicht zweimal sagen und wir kehrten in das Haupthaus zurück. Seniora Camara öffnete eine Flasche des eben erwähnten Coupage-Weins und schenkte Francesco ein Glas ein. „Und für sie, Lady Hartfels, habe ich einen ausgezeichneten Saft aus unseren Trauben.“ Auch mir schenkte sie ein Glas ein. Der Traubensaft schmeckte so, wie ein Traubensaft eben schmeckte. Aber Francesco schien von dem Coupage-Wein sichtlich angetan. „Sie müssen mir davon ein paar Flaschen mitgeben, Signora Camara. Meine Mutter wird diesen Wein lieben.“



    Danach nahm Francesco mich zur Seite und ergriff meine Hände „Ich werde mit Signiora Camara den Rest des Tages Verträge ausarbeiten müssen, Klaudia. Ich werde eine größere Menge ihres Weines kaufen. Du würdest dich hier nur langweilen. Ich habe daher einen der Pflanzer gebeten, dich zu den Ruinen unweit von hier zu fahren. Dann siehst du wenigstens etwas von der schönen Landschaft.“



    Ich war schon enttäuscht, dass ich auch diesen Tag wieder nicht vollständig mit Francesco verbringen konnte. Aber als Frau des Lords von Rodaklippa sollte ich mich schon einmal an diesen Zustand gewöhnen. Leider spielte auch das Wetter nicht so richtig bei meinen Besichtigungsplänen mit. Der leichte Schneefall war in einen unangenehmen Dauerregen übergegangen. Die Ruinen des Amphitheaters waren deswegen nicht weniger beeindruckend, aber bei Sonnenschein hätte die Besichtigung sicher noch mehr Spaß gemacht.



    Der Pflanzer berichtete zudem, dass es in der Nähe noch die Ruinen eines alten Thermalbades gäbe. Da ich ohnehin schon durchnässt war, entschied ich, dass ein paar Minuten länger im kalten Regen nun auch nichts mehr ausmachen würden. Also marschierte ich durch den aufgeweichten Boden zu den Ruinen. Und diese waren wirklich sehenswert. Den besonderen Charme machten die roten Mohnblumen aus, die überall zwischen den Mauerresten wuchsen. Die unterirdischen heißen Quellen sorgten dafür, dass sie selbst im Winter noch gut gediehen. Wie schön musste es hier erst im Sommer aussehen.



    Erst als ich wieder im Hotel ankam, merkte ich, wie durchgefroren ich eigentlich war. Aber ein heißes Bad half mir, mich schnell wieder aufzuwärmen. Und auf diese Weise könnte ich das einzige wirklich luxuriöse Zimmer unseres Hotels entsprechend würdigen.



    In den folgenden Tagen bekam ich noch weniger von Francesco zu sehen als zuvor. Seine Geschäfte und politischen Verpflichtungen führten ihn nach Pisa, Lucca und Florenz. Ich hätte all diese Städte auch gerne gesehen. Aber Francesco überzeugte mich, dass ich dort nur die Hotellobbys zu sehen bekommen hätte und ich in meinem Zustand ohnehin lieber nicht so weiter Strecken fahren sollte. Also verbrachte ich meine Tage damit, Monte Vista zu erkunden, selbst wenn es dabei wie aus Eimern schüttete. Auf einem meiner Streifzüge entdeckte ich eine kleine, verwinkelte Buchhandlung, die wunderschöne Bilderbücher für Kleinkinder im Angebot hatte. Mein kleiner Zwerg würde sich darüber sicher sehr freuen, also schlug ich gleich zu.



    Das ungewöhnlich kalte Winterwetter wich bald den Vorboten des Frühlings. Es wurde warm. So warm, dass man auch ohne Jacke auf die Straße gehen konnte. Man merkte richtig, wie sich die Gassen Monte Vistas wie nach einem Winterschlaf wieder mit Menschen füllten. Und auch mich zog es auf die Straße, und zwar mit meiner Gitarre. Ja, ich wusste, dass es nicht standesgemäß war. Aber ich hatte hier noch nirgendwo Paparazzi entdeckt und was Francesco, oder besser gesagt seine Mutter, nicht wussten, machte sie nicht heiß. Und den Einheimischen schien mein Spiel zu gefallen, denn sie ließen ordentlich Trinkgeld da.



    So schön meine Spaziergänge durch Monte Vista und die Umgebung auch waren, so war ich doch am glücklichsten, wenn Francesco bei mir war. In den letzten Tagen vor unserer Abreise hatte er keine Geschäfte mehr zu erledigen und gemeinsam besichtigten wir noch einmal die Ruinen des Amphitheaters und der Therme. Am Abend unserer Abreise aßen wir dann in einem Bistro in der Altstadt. Das Wetter war inzwischen so gut, dass man selbst in der Abendluft kaum fror. Vor dem Bistro war eine Tanzfläche aufgebaut und Francesco musste mich nicht zweimal zum Tanz auffordern. Es war so wunderschön. Der Mond schien über der Burg und ich lag in Francescos Armen. Das Wort „Liebe“ war weder ihm noch mir in den letzten Wochen über die Lippen gekommen. Aber konnte es noch einen Zweifel geben, dass wir und liebten. Wie sonst hätte ich so glücklich sein können?


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    Ich habe ein paar der neueren Charaktere zum Download bereitgestellt:
    Ehemann Francesco, Schwägerin Alexis, Onkel Orion, Tante Desdemona


    Einmal editiert, zuletzt von Stev84 ()

  • Kapitel 56: Trautes Heim...



    Unsere dreiwöchige Hochzeitsreise ging wie im Flug vorbei. Als wir nach Simskelad zurückkehrten herrschte dort im Gegensatz zur Toskana noch tiefster Winter. Das Schneetreiben war sogar so schlimm, dass wir von SimCity anstelle des Flugzeuges die Bahn nehmen mussten. Am Bahnhof in Rodaklippa stiegen wir in ein Taxi. Erst nach einigen Minuten bemerkte ich, dass wir weder in die Cilia Gade, noch hinaus zu Schloss Hardsten fuhren. „Wir fahren zu unserem eigenen Haus, Klaudia“, klärt Francesco mich auf meine Frage hin auf. „Mutter hat mich darüber informiert, dass es nun bezugsfertig sei.“



    An unser eigenes Haus hatte ich gar nicht mehr gedacht. Vor meiner Hochzeit hatte ich solche Angst davor gehabt, mit Francesco unter einem Dach leben zu müssen, dass ich den anstehenden Umzug völlig verdrängt hatte. Aber jetzt? Jetzt konnte ich mir vorstellen, wie schön es werden könnte mit ihm und unserem Baby in dem neuen Haus. Das Taxi bog in ein Wohnviertel unweit der Innenstadt von Rodaklippa ein und hielt vor einem Haus, das von einem gusseisernen Zaun umgeben war. Ungläubig starrte ich es an. „Francesco, ist das etwa…unser Haus?“ Francesco nickte lächelnd. „Und wir werden dort ganz allein wohnen?!“ Wieder nickte Francesco. „Das Volk erwartet, dass ihr Lord und ihre Lady standesgemäß hausen. Und du musst zugeben, es ist doch ein hübsches Haus.“



    Oh ja, das war es in der Tat. Aber vor allem war es riesig! „Hast du es noch vergrößern lassen?“, fragte ich überwältigt. Ich hatte das Haus einmal von außen besichtigt, aber damals war es mir viel kleiner erschienen. Francesco verneinte meine Frage. „Wir haben lediglich die Efeuranken entfernt und die Bäume im Vorgarten fällen lassen. Dadurch erscheint es größer. Aber es ist immer noch dasselbe Haus.“ Ich sah, dass die groben Sandsteinmauern sorgfältig abgestrahlt und die Umrahmungen der Fenster und der übrigen Dekorelemente neu gestrichen worden waren. Obwohl dieses Haus um ein vielfaches kleiner war als Schloss Hardsten, erschien es mir nicht weniger prachtvoll.




    Mein Mann forderte mich dazu auf, das Haus zu betreten. „Es ist noch nicht vollständig eingerichtet“, entschuldigte er sich im Vorfeld. „Unsere Hochzeit und die Renovierung haben nicht gerade unerhebliche Kosten verursacht. Wir könnten uns das leisten, aber es wurde nicht eben mal aus der Portokasse bezahlt. Für die Innenausstattung wurde mir nur ein begrenztes Budget bewilligt. Aber spätesten nach der Weinlese im Herbst können wir wieder größere Anschaffungen tätigen. Dann kannst du das Haus nach deinen Wünschen weiter einrichten.“ Ich hörte seine Worte kaum, denn ich war zu überwältigt vom Inneren des Hauses. Das Wohnzimmer, mit der breiten Holztreppe in der Mitte, glich eher einem Ballsaal. Die Einrichtung war wirklich noch sehr karg, aber das was dort stand war von hoher Qualität. Und zu meiner Überraschung wirkt im Inneren alles sehr modern. Es war ein schöner Kontrast zum klassischen Äußeren des Hauses.



    Wir setzten die Besichtigung im Esszimmer fort. Wie im Wohnzimmer befand sich auch in diesem Raum ein offener Kamin. Und es war genug Platz für weit mehr als sechs Personen, für die der Raum im Moment eingerichtet war. „Ich habe Alexis angewiesen sich zu bemühen, bei der Auswahl der Möbel deinen Geschmack zu treffen. Wenn ich mich recht entsinne, ist doch türkis-grün deine Lieblingsfarbe? Du kannst aber selbstverständlich alles nach deinem Geschmack verändern. Immerhin bis du die Dame des Hauses.“ Doch das würde nicht nötig sein. Ich fand alles perfekt, so wie es war. Und ganz besonders, weil Francesco tatsächlich meine Lieblingsfarbe kannte.



    Auch die Küche war modern eingerichtet. Es fehlte ihr zwar noch die persönliche Note, aber das würde mit der Zeit schon kommen. „Alle Installationen wurden ausgetauscht“, berichtete Francesco und ich erkannte, dass es ihm Freude bereitete. „Im ganzen Haus wurden die Strom- und Wasserleitungen ausgetauscht. Wir werden also keine bösen Überraschungen erleben.“ Ich ging gleich zum Spülbecken hinüber und öffnete den Hahn. Und wie zum Beweis von Francescos Worten strömte ein klarer, kräftiger Wasserstrahl heraus.



    Die übrigen Räume im Erdgeschoss waren noch nicht eingerichtet. Daher stiegen wir die Treppe hinauf ins Obergeschoss. Die Treppe war von einer Galerie umrandet, von der man einen guten Blick in das Wohnzimmer hatte. Wie wundervoll musste dieser Raum aussehen, wenn er weihnachtlich dekoriert war? Ich konnte es kaum erwarten, hier nächstes Jahr mit meiner kleinen Familie unter dem Weihnachtsbaum zu sitzen und im Esszimmer meine Verwandten und Freunde zu bewirten. Das Obergeschoss war von einem großen, flurartigen Raum geprägt. „Du konntest hier dein Atelier einrichten, Klaudia“, schlug Francesco vor.



    Gleich hinter der ersten Tür befand sich das Badezimmer. „Das hier ist unser Hauptbadezimmer. Wenn unser Kind erst einmal größer ist, werden wir sicherlich ein zweites Bad brauchen. Aber vorerst wird das hier genügen.“ Das würde es ganz sicher. Und es gab neben der Dusche auch eine Badewanne. Die hatte ich in der Cilia Gade schmerzlich vermisst.



    Als nächstes führte er mich in das Zimmer ganz am Ende des Flurs. Verwundert blickte ich ihn an, als er mir das leere Zimmer zeigte. „Das hier, Klaudia, wird das Zimmer unseres Kindes. Es ist der sonnigste Raum im ganzen Haus. Und ich habe mir gedacht, dass du es vielleicht gerne selbst einrichten würdest, sobald wir das Geschlecht des Babys erfahren haben.“ Sofort sah ich den Raum mit anderen Augen. „Ja, hier können wir die Wiege hinstellen“, rief ich begeistert. „Und hier, hier kommt die Wickelkommode hin. Und die Wände müssen anders gestrichen werden. Am besten mit bunten Tieren drauf. Mama kann mir sicher dabei helfen.“



    Francesco musste mich regelrecht aus dem Kinderzimmer in den nächsten Raum schleifen. „Und das hier wird dann dein Schlafzimmer werden.“ Ich betrachtete den in hellen Pastelltönen eingerichteten Raum mit dem großen Spiegel und dem gemütlich aussehenden Bett. Sogar die Bettwäsche entsprach meinem Geschmack. „Magda hat Anke dabei geholfen deine Sachen aus der Cilia Gade zu holen und sie hier in die Schränke zu räumen.“ Es war ein sehr schöner Raum, wie alle, die ich bislang gesehen hatte. Doch dann drangen Francescos Worte an mein Bewusstsein. „Dein Schlafzimmer“, hatte er gesagt.

  • Kapitel 57: ...Glück allein?



    „Was meinst du mit ‚mein Schlafzimmer‘. Du hast doch sicher gemeint, dass das unser Schlafzimmer sein wird. Ich gebe zu, es ist sehr feminin eingerichtet, aber das können wir doch sicher leicht ändern. Mit einer anderen Bettwäsche und anderen Vorhängen sieht es hier gleich ganz anders aus.“ „Aber Klaudia, wie stellst du dir das vor?“, erwiderte Francesco ruhig. „Ich arbeite viel und oft bis spät in die Nacht. Mein Schlafzimmer liegt daher direkt an meinem Arbeitszimmer. Ich will dich doch nicht immer wecken müssen, wenn ich ins Bett komme. Und wenn ich so nah am Kinderzimmer schlafen müsste, würde ich doch keine Nacht mehr durchschlafen können. Und das kann ich mir bei meiner Arbeit nicht erlauben, das verstehst du doch sicher. Und du hast doch in Monte Vista selbst gehört, dass ich schnarche und mich nachts viel hin- und her wälze. Nein, es wird für uns beide sehr viel bequemer sein, wenn jeder sein eigenes Schlafzimmer hat.“



    Was? Aber nein! „Dein Schnarchen ist ganz leise und hat mich überhaupt nicht gestört. Und ich habe nicht mitbekommen, dass du dich herumwälzt“, entgegnet ich. „Das ist doch kein Grund, dass wir nicht zusammen in einem Raum schlafen sollten. Mich wird das nicht stören.“ „Klaudia, das ist beschlossene Sache. Ich werde mein eigenes Schlafzimmer haben“, erwiderte Francesco. Er sprach ruhig und leise, aber sein Tonfall ließ keinen Zweifel daran, dass er nicht mit sich diskutieren lassen würde und er keine Widerworte mehr von mir wünschte. Und ich…ich gab nach.



    Augenblicklich kehrt bei ihm der beschwingte Tonfall zurück. Wir setzten den Rundgang fort, aber meine Hochstimmung war mit einem Schlag verflogen. Ich wollte mir sein Schlafzimmer gar nicht ansehen, dennoch folgte ich ihm. Francesco hatte seine Möbel aus Schloss Hardsten mitgenommen. Beim Anblick des mir wohlvertrauten Bettes musste ich an unsere gemeinsamen Nächte denken. Ich hatte gedacht, dass ich von nun jede Nacht an seiner Seite würde schlafen können. In den Flitterwochen war es doch so schön gewesen. Ich konnte nicht begreifen, warum er das nicht fortsetzen wollte.



    Francescos Schlafzimmer war der letzte fertig eingerichtete Raum in unserem neuen Haus. Damit war die Besichtigung abgeschlossen. Francesco trug unser Koffer in das obere Stockwerk, welche die Taxifahrerin in den Eingangsbereich des Hauses gestellt hatte. Dann verabschiedete er sich und brach zum Rathaus auf, um zu überprüfen, was sich in seiner Abwesenheit alles auf seinem Schreibtisch angehäuft hatte. Und ich begann traurig in meinem Schlafzimmer die Koffer auszupacken. Francesco hatte so vehement auf die getrennten Schlafzimmer bestanden. Könnte er es wirklich nicht ertragen, mit mir in einem Bett zu schlafen? Das hatte in Italien doch einen ganz anderen Eindruck gemacht. Ich konnte mich doch nicht so in seinen Gefühlen geirrt haben. Und daher durfte ich nicht so leicht aufgeben. Vielleicht hatte er noch nicht erkannt, wie viel er mir inzwischen bedeutete und glaubte, dass mir getrennte Schlafzimmer bei dem Zustandekommen unsere Ehe sogar lieber seien.



    Ich wartete auf Francescos Rückkehr. Doch es wurde spät und ich überbrückte die Wartezeit mit Telefonanten mit meinen Eltern und Magda, die alles über unsere Hochzeitsreise wissen wollten. Gegen neuen machte ich mich fertig fürs Bett. Noch während ich im Badezimmer war, hörte ich, dass Francesco wieder nach Hause kam. Doch offenbar hatte er wieder Arbeit mit nach Hause gebracht, denn er breitete seine Unterlagen auf dem Esszimmertisch aus und starrte konzentriert auf seinen Laptop. Er sah nicht einmal auf, als ich das Esszimmer betrat. Ich musste alles auf eine Karte setzen. Magda hatte mir beigebracht, dass Männer Frauen mochten, die genau wussten was sie wollten. Und ich wollte Francesco. Ich schritt hinter ihn und strich ihn mit meinen Fingerspitzen über den Nacken. „Komm, bitte ins Bett, Francesco…zu mir. Ich habe alleine Angst in diesem neuen großen Haus. Ohne dich kann ich nicht einschlafen.“ Es dauerte eine Weile, bis Francesco aufhörte eifrig zu tippen. Er starrte weiterhin fest auf den Bildschirm, als er grummelnd seine Zustimmung gab. „Gib mir noch eine halbe Stunde, dann komme ich zu dir hoch.“



    Und tatsächlich öffnete sich nach genau dreißig Minuten die Tür meines Schlafzimmers. Francesco kam herein und legte sich zu mir unter die Decke. „Es ist so schön, dass du gekommen bist“, murmelte ich bereits im Halbschlaf, bevor ich glücklich in die Traumwelt hinüberglitt. Er war wirklich gekommen. Es würde sich als alles zum Guten wenden.



    In der Nacht gaben die Wolken die Sicht auf den nahezu vollen Mond frei. Der Mondschein fiel genau durch das Fenster auf mein Bett. Die unerwartete Helligkeit ließ mich wach werden. Es dauert einige Sekunden, bis ich begriff, wo ich mich eigentlich befand. Meine Hand tastete nach der anderen Bettseite. Doch dort, wo sich mein Ehemann befinden sollte, herrschte nur gähnende Leere. Ich wartete fünf, zehn, fünfzehn Minuten darauf, dass er wiederkommen würde. Bestimmt war er nur auf der Toilette. Doch mit jeder Minute die verstrich wurde deutlicher, dass dies nicht der Grund für sein Verschwinden war.



    Etwas in meinem Inneren sagte mir auch, dass er nicht einfach nach unten gegangen war, um weiter zu arbeiten. Nein, ich wusste genau, wo ich ihn finden würde. Im Dunkeln tappste ich barfuß zu seiner Schlafzimmertür. Mein Herz klopfte wie wild, doch ich brauchte Gewissheit. Langsam drehte ich den Türknauf und drückte vorsichtig gegen die Tür. Doch diese gab keinen Millimeter nach. Sie war von innen verschlossen.



    Nein, bitte nicht. Er hatte mich doch nicht bewusst ausgeschlossen? Nein, es war bestimmt nur Gewohnheit. Bestimmt schloss er in Hardsten seine Zimmertür auch immer ab. Also klopfte ich. Mein Herz pochte so wild, dass ich glaubte, es würde meine Brust sprengen. Aber es kam keine Reaktion. Also klopfte ich ein zweites Mal, beherzter. Bestimmt hatte er das erste Klopfen nicht gehört. Aber dieses musste er hören. Es war nicht zu überhören. Doch wieder folgte keinerlei Reaktion. Ich war versucht ein drittes Mal zu klopfen, seinen Namen zu rufen. Aber ich wusste, dass es nichts geändert hätte. Und ich wollte mich nicht mehr erniedrigen, als ich es ohnehin schon getan hatte. Ein wenig Stolz besaß auch ich.



    Erst als ich in meinem Zimmer war, ließ ich meinen Gefühlen freien Lauf. Wie ein Häufchen Elend sank ich auf den Boden. Francesco liebte mich nicht. Er hatte es nie getan und er würde es niemals tun. Ich hatte mir alles nur eingebildet…wieder einmal. Hatte ich aus der Geschichte mit Israel nichts gelernt? Ich war so dumm, so dumm! Francesco erfüllte einfach nur seinen Job. Für ihn war ich ein Geschäftsabschluss und er erfüllte gewissenhaft wie immer seine Pflicht. Zum Vertrag gehörten eine Hochzeit und die Flitterwochen, es gehörte dazu, ab und an mit mir zu schlafen und in der Öffentlichkeit den Eindruck eines glücklichen Paares zu machen. Aber mit Liebe hatte das rein gar nichts zu tun.



    Aber nach Liebe hatte ich auch nicht gefragt. Nein, ich wollte einen Ehemann und ich wollte Kinder. Beides hatte Tante Joanna mir verschafft. Ich verstand zwar immer noch nicht, welchen Vorteil sie daraus zog, aber sie hatte ihren Teil der Vereinbarung erfüllt. Und jetzt war es an mir, den Preis zu bezahlen. Ich hatte mich auf eine Vernunftehe eingelassen und die hatte ich bekommen. Ich musste endlich anfangen, meine Ehe mit Francesco als genau das anzusehen. Vielleicht würden wir ja mit der Zeit Freunde werden, aber ich musste aufhören, mir mehr zu erhoffen.



    Und ich hatte ja bald schon jemand anderes, den ich lieben konnte und der mich lieben würde. Behutsam strich ich mir über meinen Bauch und spürte deutlich die Bewegungen darin. Dank meiner Vereinbarung mit Tante Joanna würde ich bald Mutter werden. Und das war mehr, als ich jemals zu hoffen gewagt hatte. Dafür sollt ich dankbar sein. Und ich würde es.

  • Kapitel 58: Kopfkino



    Als ich nach einer unruhigen Nacht am nächsten Morgen hinunterging, hatte Francesco bereits das Frühstück vorbereitet. Er erwähnte mit keinem Wort den Vorfall der letzten Nacht. Es erklärte mir sein plötzliches Verschwinden nicht und schon gar nicht entschuldigte er sich dafür. Ich hatte es auch nicht erwartet, aber ein kleiner Funken Hoffnung war da doch gewesen, der nun vollends erstickt wurde. Schweigend nahmen wir unser Frühstück ein und ich ahnte, dass meine Morgen in Zukunft alle nach diesem Muster ablaufen würden.



    Nur die Aussicht bald ein kleines Kind in den Händen wiegen zu können, bewahrte mich davor bei dieser Aussicht in totale Verzweiflung zu verfallen. Wenige Tage später hatte ich einen Termin zur nächsten Vorsorgeuntersuchung bei meinem Arzt. „So, Lady Hartfels, dann wollen wir mal sehen, ob uns das Kleine heute verrät, was es wird“, sagte Dr. March, während er auf den Bildschirm des Ultraschallgerätes schaute. Neugierig drehte auch ich meinen Kopf in diese Richtung. „Ah, da ist es ja“, sagte der Doktor und auch ich erkannte den kleinen Menschen, der sich in grauen Streifen auf dem Bildschirm abzeichnete. Es war schon alles da, der Kopf, die Hände, die Füße und…“Und, sehen sie es?“, fragte mich der Arzt. Doch so sehr ich mich anstrengte, ich konnte zwischen den kleinen Beinchen nichts erkenne. Also schüttelte ich den Kopf. „Dann darf ich ihnen zu einer Tochter gratulieren, Lady Hartfels“, entgegnete Dr. March lachend, „einer kerngesunden, wenn ich das hinzufügen darf.“



    Dr. March führte noch einige weitere Untersuchungen durch, aber zum Glück war sowohl mit mir als auch mit meiner kleinen Tochter alles in bester Ordnung. Nach der Untersuchung bat er mich, an seinem Schreibtisch Platz zu nehmen, damit wir die Details der Geburt durchsprechen konnten. Ich würde mich dahingehend noch mit Mama beraten müssen, aber ich fühlte mich hier im Krankenhaus von Rodaklippa und in Dr. Marchs Händen sehr gut aufgehoben.



    Nach unserem Gespräch verließ ich das Krankenhaus. Eine Tochter! Ich würde tatsächlich eine Tochter bekommen. Überglücklich stampfte ich bei strahlender Wintersonne durch den tiefen Schnee zurück nach Hause. Bislang hatte ich mir eingeredet, dass es mir egal sei, welches Geschlecht mein Kind haben würde. Aber jetzt, wo ich wusste, dass es ein Mädchen werden würde, wurde mit klar, dass ich mir immer eine Tochter gewünscht hatte.



    Und jetzt, wo das Geschlecht meines Kindes feststand, konnte ich mich in die Einrichtung und die Dekoration des Kinderzimmers stürzen. Diese Ablenkung tat mir so unendlich gut. Ich konnte in Möbelkatalogen blättern, mir Stoffe und Farbmuster ansehen und die wundervollsten Spielsachen kaufen. Mit vielem würde meine Tochter erst in einigen Jahren spielen können, aber ich konnte mich einfach nicht bremsen. Einmal probierte ich es, Francesco in die Planung mit einzubeziehen. Doch er drückte mir lediglich die Kreditkarte in die Hand und versicherte mir, dass ich das schon allein hinbekommen würde. Nun, daran hatte ich auch nicht gezweifelt. Dennoch holte ich mir Mama zur Unterstützung und gemeinsam tapezierten und strichen wir die Wände und stellten die gelieferten Möbel auf. Das Kinderzimmer nahm von Tag zu Tag mehr Gestalt an und schließlich blieb uns nur noch das Einräumen der Babyutensilien und Spielsachen. „Geschafft!“, rief Mama, als ich das letzte Kinderbuch in das Bücherregal stellte.



    Zufrieden betrachteten wir unser Werk. Das Bettchen, der Wickeltisch, die bunten Vorhänge…es war alles so schön! Ja, hier würde sich meine kleine Maus wohl fühlen. Ich konnte es kaum noch abwarten, bis sie endlich auf der Welt war.


    *****



    Lange schien es, als wolle der Schnee gar nicht mehr weichen. Es blieb kalt und frostig bis weit in den April hinein. Doch dann kam der Frühling mit einem großen Schlag. Der Schnee schmolz und überall um mich herum begannen die Blätter und Blumen zu sprießen. Anfang Mai hatten wir fast schon sommerliche Temperaturen. In der Cilia Gade hatte ich mir immer vorgenommen, einen Gemüsegarten anzulegen. Doch über eine kümmerliche Tomatenpflanze war mein Vorhaben nie hinausgekommen. Das sollte sich in meinem neuen Zuhause ändern. Sobald es warm genug war, ging ich also in den Garten hinaus und begann damit einige Kräuter in die Beete vor dem Küchenfenster zu pflanzen.



    Mein inzwischen kugelrunder Bauch machte mir die Arbeit nicht gerade einfacher. Mühsam richtete ich mich auf. Dabei nahm ich aus dem Augenwinkel eine Gestalt am Gartenzaun wahr. Tatsächlich, dort stand mein kleiner Bruder Sky. Wobei, klein traf es nicht mehr wirklich. Inzwischen war er mindestens genau so groß wie ich, wenn nicht sogar großer. Ich wollte ihm zur Begrüßung zuwinken, doch als ihm bewusst wurde, dass ich ihn entdeckt hatte, zuckte er erschrocken zusammen.



    Und noch seltsamer wurde es, als er einfach davonlief, als ich mich ihn nährte. „Hey, Sky, warte doch!“, rief ich ihm hinterher, während ich zum Gartenzaun watschelte. Doch Sky schien gar keine Notiz von mir zu nehmen, sondern sprintete in Richtung Innenstadt davon.



    Verwundert blieb ich am Zaun stehen. Was war bloß in meinen kleinen Bruder gefahren? Es benahm sich doch sonst nicht so seltsam. Und dann wurde mir bewusst, dass er um diese Uhrzeit eigentlich in der Schule hätte sein müssen. Was machte er also an meinem Haus? Schwänzen wollte so gar nicht zu Sky passen.



    Für einen kurzen Moment dachte ich daher, dass er einfach nur schnell zur Schule rennen wollte, schließlich lag sie in derselben Richtung. Doch das erklärte nicht, warum er überhaupt hier und dann ohne ein Wort losgeeilt war. Noch weniger erklärte es, warum er nach gut 200 Metern stoppt und seinen Kopf langsam in meine Richtung drehte. In dieser Position verweilte er eine gefühlte Ewigkeit, bevor er schlussendlich wieder langsam zu mir zurückkehrte.



    Als er näher kam, sah ich bestürzt, dass seine Augen ganz verquollen waren. Einige Tränen liefen immer noch seine Wange hinunter. Es musste etwas passiert sein. Etwas sehr schlimmes. Anders war sein Verhalten nicht zu erklären. Und mit einem Mal bekam ich furchtbare Angst.



    „Sky, was ist passiert?“, fragte ich panisch. „Geht es um Mama und Papa? Ist ihnen etwas zugestoßen. Sky, rede mit mir!“ Er blickte mich zunächst nur verständnislos an, doch dann schüttelte er zu meiner Erleichterung entschieden mit dem Kopf. „Nein…nein, Mama und Papa geht es gut.“ Erleichtert atmete ich auf. „Noch“, fuhr Sky fort. „Aber wenn sie erfahren was passiert ist…“ Sky schluckte heftig.



    Mein Kopfkino hatte also nur eine Minute lang Pause gehabt. Sofort malte ich mir die schlimmsten Horrorszenarien aus. Waren Mama oder Papa krank? Nein, das ergab keinen Sinn. Warum hätte Sky es dann vor ihnen wissen sollen. Es musste also um ihn gehen. War er etwa von der Schule geflogen? Aber das passierte doch nicht so schnell. Ich konnte mir keinen Reim auf die ganze Geschichte machen. Aber lange musste ich nicht mehr im Trüben fischen. „Klaudi, du kennst doch meine Freundin, Tamara“, setzte Sky mit gesenktem Kopf an. Ich nickte, auch wenn ich sei bislang nur sehr flüchtig kennengelernt hatte. Sky und sie waren erst kurz vor Weihnachten fest zusammen gekommen. „Tamara…sie…sie ist schwanger.“

  • Kapitel 59: Unterstützung



    Soeben hatte mein jüngerer Bruder Sky mir mitgeteilt, dass seine Freundin schwanger sei. „Von dir!?“, platzte es mir heraus, bevor ich nur darüber nachdenken konnte. „Natürlich von mir, von wem den sonst“, antwortete Sky sichtlich gekränkt. In diesem Augenblick hätte ich nicht sagen können, welcher Gedanke für ihn schlimmer zu ertragen war: Dass seine Freundin überhaupt schwanger war, oder dass sie nicht von ihm schwanger sein könnte.



    „Und ihr seid euch wirklich sicher?“, hakte ich nach. „Kann es nicht nur sein, dass ihre Tage aus einem andern Grund ausbleiben? Bei einem so jungen Mädchen ist das nichts Ungewöhnliches.“ Doch Sky schüttelte traurig den Kopf. „Sie war gestern beim Arzt. Er hat es bestätigt. Sie hatte wohl schon länger eine Vermutung, hat mir aber nichts davon gesagt…erst heute Morgen. Sie ist schon im vierten Monat.“ Vierter Monat! Du liebe Güte. Damit war es bereits zu spät um noch eingreifen zu können. Und mit einem Mal wurde mir bewusst, dass ich bald nicht nur Mutter sonder auch zum zweiten Mal Tante werden würde. Und so unpassend es war, irgendwie fand ich den Gedanken schön, dass meine kleine Tochter einen Cousin oder eine Cousine zum Spielen haben würde.



    Doch der Gedanke, der mir Freude auslöste, löste bei meinem kleinen Bruder blankes Entsetzen aus. Und mit einem Mal begann er wie ein kleines Kind zu weinen. „Was soll ich denn jetzt machen, Klaudi?“, schluchzte er bitterlich. „Ich bin doch noch viel zu jung, um Vater zu werden. Wie soll ich denn für Tamara und unser Kind sorgen? Ich hab doch nicht einmal das Abitur. Wer wird mich denn einstellen? Soll ich etwa für den Rest meines Lebens hinter der Kasse an der Tankstelle stehen? Ich wollte doch an die Uni! Ich wollte doch Anwalt werden. Und jetzt kann ich das alles vergessen. Mein ganzes Leben ist kaputt und nur, weil ich einmal nicht aufgepasst habe. Das kann doch alles nicht wahr sein.“



    Alle seine Fragen waren berechtigt. Und auf keine wusste ich eine Antwort. Es wäre gelogen, wenn ich gesagt hätte, alles würde gut werden. Es war zwar nicht hoffnungslos, aber Skys Leben würde sich grundlegend ändern. Ich konnte ihn jetzt in dieser Situation nur in den Arm nehmen. Und plötzlich war er nicht mehr der fast erwachsene Mann, sondern ein kleines Kind, das sich an meiner Schulter ausweinte. „Kommst du bitte mit mir mit, wenn ich es Mama und Papa erzähle“, flehte er mich schluchzend an. Und natürlich könnte ich ihm diesen Wunsch nicht abschlagen.


    *****



    Da ich wusste, dass Papa ohnehin noch in der Kaserne sein musste und Mama vormittags immer genug Arbeit mit der Farm hatte, bot ich Sky an, sich erst einmal in meinem Haus ein wenig zu beruhigen. Und tatsächlich versiegten seine Tränen nach einer Weile und gemeinsam machten mir uns nach dem Mittag zum Haus unserer Eltern auf. Wir trafen sie im Wohnzimmer an, wo sie beide über ihren Kreuzworträtselbüchern brüteten. Erfreut und neugierig erhoben sie sich vom Sofa, als ich verkündete, dass es eine Neuigkeit gäbe. „Also…ja…wisst ihr“, stammelte ich drauf los, nach den richtigen Worten ringend. Doch die richtigen Worte gab es in dieser Situation nicht, als platzte ich einfach mit den Tatsachen heraus. „Ihr werdet bald nicht nur Großeltern von einem sondern gleich von zwei Enkelkindern.“



    Ich hatte ja mit Vielem gerechnet, aber nicht mit den verzückten Blicken auf den Gesichtern meiner Eltern. „Spätzchen, das sind ja wundervolle Nachrichten! Seit wann weißt du denn schon, dass du Zwillinge erwartest?“, fragte Mama sogleich. Zwilling? Ich? Oh nein, offenbar kam es hier gerade zu einem riesigen Missverständnis, welches ich sofort aufklären musste. „Nein, nein!“, warf ich entschieden ein. „Ich erwarte nur ein Kind.“ Doch zu meiner Verwunderung strahlten meine Eltern weiterhin. „Dann bekommt Kinga als ein zweites Kind?“, entgegnete nun Papa. „Das sind ja herrliche Neuigkeiten!“



    Nein, das wollte ich doch auch nicht sagen! Doch bevor ich meine Eltern noch mehr in die Irre leiten konnte, ergriff Sky selbst das Wort. „Nein, auch nicht Kinga. Mama, Papa“, Sky atmete tief durch, „ich werde Vater. Tami ist schwanger.“



    Endlich trat die Reaktion bei meinen Eltern ein, dich ich von Anfang an erwartet hatte. Papa erstarrte zur Salzsäule und alle Farbe wich aus Mamas Gesicht. Kraftlos stützte sie sich an der Schulter meines Vaters ab. Es folgten dieselben Fragen, die auch ich schon zuvor gestellt, und nach wenigen Minuten waren wir alle auf dem gleichen Stand. Doch im Gegensatz zu heute Morgen bewahrte Sky diesmal die Fassung. Er war zwar weiß wie eine Wand, aber seine Augen blieben trocken.



    Dafür rang nun unser Vater mit seiner Fassung. Und auch wenn er sich Mühe gab, so konnte er seine Wut doch nicht bremsen. „Junge, haben wir dir denn nichts über Verhütung beigebracht! Wie konntest du nur so fahrlässig sein?!“ Erschrocken wich Sky zurück und auch ich war erstaunt über Papa ungewohnt heftigen Ausbruch. Ja, er schimpft öfter mal über die ein oder andere Person. Aber Sky und ich hatten ihn bislang nur höchst selten zu einem Wutausbruch getrieben.



    Doch Mama stellte sich sogleich schützend vor Sky. „Nick, nicht, dass führt doch zu nichts“, redete sie beruhigend auf Papa ein und strich im besänftigend über die Wangen. „Ein Spaziergang würde dir jetzt sicher gut tun, meinst du nicht auch?“ Mein Vater blickte Mama eindringlich in die Augen, doch schließlich nickte er. „Du hast Recht Brodlowska, ein wenig frische Luft wird mir gut tun.“ Wortlos rauschte er an Sky und mir vorbei, nahm seine Jacke von der Garderobe und verließ das Haus.



    Sky stand kurz davor, wieder in Tränen auszubrechen. Und auch meine Augen begannen verräterisch zu glänzen. Doch Mama kam unverzüglich auf Sky zu um ihn zu trösten. „Schatz, mach dir um Papa keine Sorgen. Er ist erschrocken, aber glaube mir, er wird sich schnell wieder beruhigen. Und was noch viel wichtiger ist, wir werden dich unterstützen, wo immer wir können. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Papa und ich sind immer für dich da.“ Ich konnte regelrecht spüren, wie eine unglaubliche Last von Skys Schultern fiel…zumindest für den Moment. Seine Zukunft würde nicht einfach aussehen, aber er konnte sich darauf verlassen, dass unsere Eltern zu ihm hielten.

  • Kapitel 60: Das Baby kommt



    Sky bat darum, sich in sein Zimmer zurückziehen zu dürfen. Er musste jetzt erst einmal etwas alleine sein. Und natürlich ließ Mama ihn ziehen. Derweil kochte sie uns einen heißen Kräutertee zur Entspannung der Nerven und wir setzten uns an den Esstisch im Wohnzimmer. „Sky hat Angst“, erklärte ich Mama, nachdem ich den ersten Schluck genommen hatte. „Er fürchtet, dass er sich seine ganze Zukunft verbaut hat.“ Doch Mama winkte beschwichtigend ab. „Ja, er wird es jetzt schwere haben, keine Frage. Aber ein Kind ist kein Weltuntergang, insbesondere, da dein Vater und ich vorerst für alles Finanzielle aufkommen können. Und dein Bruder ist bereits 16. Er ist zwar noch jung, aber auch kein Kind mehr. Ich bin mir sicher, dass er mit der Verantwortung wird umgehen können, wenn wir ihn unterstützen.“



    „Ich war ja auch erst 19, als ich mit Kinga schwanger wurde“, fuhr Mama fort. „Das sind nur drei Jahre mehr. Und ich stand ohne meine Eltern da.“ Doch dann wurde sie etwas nachdenklicher. „Aber ich hatte deinen Vater an meiner Seite. Und mit seinen 27 Jahren hatte er deutlich mehr Lebenserfahrung als ich. Er war mir eine große Hilfe, auch wenn ich das nicht immer zu schätzen wusste. Ich hoffe sehr, dass sich Sky und Tamara auch gegenseitig unterstützen werden. Aber zur Not hat er ja uns, seine Familie.“



    Und ganz plötzlich begann sie zu lächeln. „Zwei Enkelkinder! Und beide ganz in der Nähe! Ich weiß, für Sky ist das sicher nicht optimal, aber der Gedanke bald zwei süße Enkelkinder in den Armen halten zu dürfen ist einfach zu schön.“ Ich konnte Mama in dieser Hinsicht gut verstehen. Denn auch ich freute mich ja, dass meine kleine Tochter einen Spielkameraden im gleichen Alter haben würde.


    *****



    Kurz darauf kehrte Papa wieder heim. Und wie meine Mutter es vorausgesagt hatte, hatte er sich inzwischen wieder beruhigt. Gemeinsam kamen sie überein, dass es das Beste wäre, sich noch heute mit den Eltern von Tamara zu treffen, um das weiter Vorgehen zu besprechen. Da ich unbedingt erfahren wollte, wie sich diese Zusammenkunft gestalten würde, wartete ich im Haus meiner Eltern auf ihre Rückkehr und las in einem Buch für werdende Mütter, welches Mama für mich gekauft hatte.



    Das Buch war so „spannend“, dass ich beim Lesen einnickte. Erst das laut Zuschlagen der Haustür riss mich aus meinen Träumen. Und sogleich betrat Papa fuchsteufelswild das Wohnzimmer. „Was bilden diese Leute sich eigentlich ein? Ich habe noch nie so spießige und bornierte Menschen erlebt. Es ist nicht zu fassen!“ Meine Mutter war direkt hinter ihm und sie sah keineswegs glücklicher aus. „Und das wollen gottesfürchtige Menschen sein?“, schnaubt e sie. „Mir scheint, die haben die Wort Nächstenliebe und Vergebung noch nie gehört. Christen! Dass ich nicht lache!“



    „Was ist denn passiert?“, fragte ich daher sogleich und sprang aus dem Sessel auf. Offenbar war der Besuch bei Tamaras Eltern nicht wie erhofft verlaufen. „Was passiert ist? Diese Idioten haben erst deinen Bruder und dann uns wüst beschimpft. Die schwafelten die ganze Zeit etwas von ‚Sünde‘ und ‚Entehrung der Familie‘ “, berichtete Papa. „Aber damit noch nicht genug. Nachdem Tamaras Vater uns auf die Straße gesetzt hatte, hörten wir aus dem Haus nur noch großes Geschrei. Und dann flogen auch schon Kleidungsstücke und Tamaras andere persönliche Gegenstände aus dem Fenster. Und schließlich mussten wir mit ansehen, wie ihr Vater Tamara selbst unsanft durch die Tür beförderte. ‚Dein sündiger Leib wird diese Türschwelle nicht noch einmal überschreiten‘, das waren exakt seine Worte an seine Tochter.“



    Erst jetzt nahm ich die beiden Gestalten wahr, die langsam aus dem Flur ins Wohnzimmer schritten. Tamaras Gesicht war vollkommen ausdruckslos, aber ich konnte genau erkennen, dass sie heftig geweint hatte. Mein Bruder redete tröstend auf sie ein und strich ihr liebevoll über den Arm, aber sie schien beides nicht zu bemerken. Sie stand eindeutig unter Schock. „Wir haben Tamara natürlich sofort mit uns genommen“, erklärte Mama. „In diesem Zustand konnten wir sie ja schlecht allein zurück lassen. Wir werden noch mal versuchen, mit ihren Eltern zu sprechen, aber vorerst wir sie bei uns bleiben.“



    Ich blieb noch zum Abendessen. Mama schmierte in der Küche ein paar Stullen für alle und Tamara und ich trugen die Teller schon einmal ins Esszimmer. Ich hatte meinen Teller gerade abgestellt, als ich ein sehr unangenehmes Ziehen in meinem Bauch bemerkte. Erst dachte ich, meine Kleine hätte mich wie so oft getreten, bevorzugt gegen eines meiner inneren Organe. Aber dieses Ziehen war anders und entwickelte sich rasend schnell zu einem mehr als unangenehmen Schmerz. Ich stöhnte leise auf und griff mir an den Bauch. „Lady Hartfels, ist mit Ihnen alles in Ordnung?“, fragte Tamara erschrocken. Doch so schnell der Schmerz gekommen war, war er auch wieder vorbei. Ich konnte also Entwarnung geben. Lady Hartfels, wie seltsam sich diese Worte doch aus dem Mund der Freundin meines kleinen Bruders angehört hatten. Ich würde mich noch daran gewöhnen müssen, in Zukunft von den meisten Menschen so genannt zu werden.



    Der plötzliche Schmerz war verschwunden, allerdings nur für die nächsten Minuten. Schon beim Essen spürte ich immer wieder dieses seltsame Ziehen. Doch als ich dann Mama half den Tisch abzuräumen und das dreckige Geschirr in die Küche trug, durchfuhr es mich erneut mit ganzer Heftigkeit. „Spatz, geht es dir nicht gut?“, fragte nun auch Mama. Doch sie musste mich nur einmal anblicken um zu erkennen, was los war. „Spätzchen, das sind die Wehen“, erklärte sie schmunzelnd. Doch ich schüttelte heftig mit dem Kopf. „Nein, das kann nicht sein. Der errechnete Termin ist doch erst in vier Tagen! Das können also noch gar nicht die Wehen sein!“ Doch noch bevor Mama darauf antworten konnte, spürte ich plötzlich, wie mir warmes Wasser das Bein hinunterlief. Entsetzt riss ich die Augen auf. Oh oh…war das…war das etwa die Fruchtblase?



    Doch bevor ich auch nur weiter darüber nachdenken konnte durchfuhr mich auch schon die nächste Schmerzwelle, dir mir fast die Sinne raubte. Ein animalischer Schrei entfuhr meiner Kehle, der dazu führte, dass Papa, Sky und Tamara panisch in die Küche angelaufen kamen.



    „Was ist passiert?“, fragt Papa alarmiert. Mama war die einzige, die gelassen blieb. „Bei unserem Pummelchen haben die Wehen eingesetzt. Du wirst also gleich Großvater, Nick.“ Doch ihre Worte führten nicht dazu, dass mein Vater sich beruhigte, ganz im Gegenteil. „Hier?! Jetzt?! Wir sind auf eine Hausgeburt doch gar nicht vorbereitet!“ Papas Panik übertrug sich auch auf Sky, der panisch zwischen Mama und mir hin und her blickte und die Hände über dem Kopf zusammenschlug. Doch Mama blieb weiterhin gelassen. „Von Hausgeburt kann doch gar keine Rede sein“, erwiderte sie schmunzelnd. „Das Baby kommt vermutlich erst in einigen Stunden. Wir haben noch viel Zeit. Also los, Dominik, hol‘ das Auto aus der Garage und dann fahren wir alle zusammen zum Krankenhaus.“

  • Kapitel 61: Rosige Zukunft



    Bei einem Abendessen bei meinen Eltern setzten bei mir überraschend die Wehen ein. Während alle in Panik ausbrachen, behielt Mama als einzige einen ruhigen Kopf und sagte, was zu tun sei. Jetzt, wo Papa eine klare Aufgabe hatte, beruhigte er sich augenblicklich und befolgte unverzüglich die Anweisungen meiner Mutter. Während Sky versuchte, Francesco zu erreichen, fuhren meine Eltern mich ins Krankenhaus. Sky und Tamara würden später mit der U-Bahn nachkommen. Am Empfang des Krankenhauses musste nur einmal der Name „Lady Hartfels“ fallen und sofort wurde ich von mehreren Krankenschwestern umringt, die sich um mich kümmerten und mich für die Entbindung vorbereiteten. Dr. March wurde unverzüglich gerufen und er bestätigte, dass es sich um keinen Fehlalarm handelte und mein Baby tatsächlich zur Welt kam. Da Francesco noch nicht eingetroffen war, bat ich meine Mutter mich in den Kreißsaal zu begleiten. Die Schmerzen waren zunächst noch erträglich, doch das sollte sich bald ändern.



    In diesem Moment war ich so dankbar, dass Mama bei mir war und ich diese Tortur nicht allein durchstehen musste. Selbst wenn Francesco hier gewesen wäre, ich hätte mir immer Mama an meiner Seite gewünscht, denn sie wusste genau, wie sie mich unterstützen und mit Kraft geben konnte. Dr. March fragte, ob ich etwas gegen die Schmerzen haben wollte, doch bevor ich mich dazu durchringen konnte, musste ich erneut pressen und mit einem Rutsch war auch schon alles vorbei. Ich konnte mich nur noch daran erinnern, wie Mama mir beruhigend über die Haare strich und wie ich meine kleine Tochter zum ersten Mal schreien hörte. Dann wurde um mich herum alles schwarz.



    Als ich wieder zu mir kam, war ich nicht länger im Kreißsaal, sondern bereits auf dem Zimmer. Erschrocken richtete ich mich auf, merkte aber sofort, dass sich die Welt erneut zu drehen begann. „Langsam, Spätzchen“, hörte ich die sanfte Stimme meiner Mutter. „Dein Kreislauf muss erst einmal wieder in Gang komme.“ Sie erhob sich aus einem Stuhl am Fenster. Und in ihren Armen hielt sie ein winziges Bündel. Neugierig reckte ich meinen Hals um einen Blick auf meine Tochter zu erhaschen. Mama kam zu mir ans Bett und beugte sich mit der Kleinen zu mir herab, damit ich sie genau in Augenschein nehmen konnte. Sie war so winzig! Das süßte Baby, das ich je gesehen hatte.



    Während ich vorsichtig mit meinen Fingern über den schrumpeligen Kopf meiner Tochter fuhr, ging die Tür zum Krankenzimmer auf und Papa und Sky kamen herein. Beide traten sie zu mir ans Bett. Papa lächelte selig und blickt abwechselnd mich und dann wieder seine Enkeltochter in den Armen meiner Mutter an. Sky beglückwünschte mich überschwänglich und klatschte begeistert in die Hände. Ich hielt das für ein wunderbares Zeichen. Wenn er sich so für mich freuen konnte, würde er sich bestimmt auch schon bald auf sein eigenes Kind freuen können.



    Und ich freute mich wahnsinnig über mein Kind. Kreislauf hin oder her, ich konnte nicht mehr länger ruhig im Bett bleiben. Ich musste meine Tochter in den Arm nehmen. Meine Mutter versuchte gar nicht erst, mich davon abzuhalten und übergab mir behutsam das kleine Würmchen. Wellen des Glücks durchströmten mich, als ich ihren wunderbaren Duft einsaugte und ihre winzigen Fingerchen meinen Hals berührten.



    Kurz darauf betrat Francesco das Krankenzimmer. „Es tut mir leid, dass ich nicht früher hier sein konnte“, entschuldigte er sich. Seine Stimme ließ erkennen, dass er es ernst meinte. „Die Ratssitzung wollte einfach kein Ende nehmen. Und das ist also unser kleines Mädchen?“, fragte er, als er bei mir war. Beiläufig drückte er mir einen Kuss auf die Stirn und ich merkte, wie meine Gefühle sofort wieder begannen Purzelbäume zu schlagen. Klaudia, er liebt dich nicht! Ich musste mich selbst ermahnen, nicht in mein altes Verhaltensmuster zu verfallen. Aber es fiel mir nicht leicht. Vorsichtig legte ich ihm unsere Tochter in den Arm. Ich spürte, wie er jeden Muskel anspannte, aus Angst sie fallen zu lassen oder sie zu zerdrücken. Aber als sie friedlich in seinen Armen lag, entspannte er sich wieder. Ich beugte mich über seine Schulter und gemeinsam schauten wir uns unsere Prinzessin an. „Sie ist uns ganz gut gelungen“, bemerkte Francesco. Ein Lächeln zeichnete sich deutlich auf seinen Lippen ab. Was auch immer er für mich empfand, es war deutlich, dass seine Gefühle für unsere Tochter sehr viel stärker waren. Aber diese Erkenntnis machte mich nicht eifersüchtig. Viel mehr gab sie mir Gewissheit, dass unsere Tochter trotz der schwierigen Beziehung zwischen Francesco und mir nicht würde leiden müssen.



    Meine Familie verabschiedete sich von uns und fuhr wieder nach Hause. Der Tag war für alle lang und ereignisreich gewesen und sie sehnten sich jetzt nach ihren Betten. Meine Kleine und ich würden noch für zwei oder drei Nächte im Krankenhaus bleiben müssen. Ich war überzeugt, dass auch Francesco mich allein lassen würde, jetzt wo er unsere Tochter gesehen hatte. Doch er überraschte mich mit der Ankündigung, heute Nacht bei mir im Krankenhaus bleiben zu wollen. Ich wusste nicht was überwog, die Freude über sein Bleiben oder das Gefühlschaos, welches diese Ankündigung bei mir auslöste. Nachdem er unsere Tochter eine Weile im Arm gehalten hatte, übergab er sie wieder an mich. Verliebt schaute ich sie an, meine kleine Prinzessin, meine kleine…Der Name! Es fehlte ja noch der Name. Francesco und ich hatten vor einigen Wochen zwar schon darüber gesprochen, aber… „Francesco, ich weiß, dass ich deinem Namensvorschlag schon zugestimmt habe“, begann ich langsam zu sprechen, wobei ich es nicht wagte, ihn direkt anzublicken, weil mir sonst der Mut gefehlt hätte, weiter zu sprechen, „und Elisabetta ist ein wirklich schöner Name und ich verstehe, dass du unsere Tochter nach deiner Großmutter benennen möchtest…aber…aber ich würde unsere kleine Maus lieber anders nennen. Was würdest du…ich meine, wie gefällt dir…Karlotta? Können wir sie Karlotta nennen?“



    Ich starrte immer noch auf Francescos Schuhe. Erst folgte ein langes Schweigen, denn hörte ich ein Brummen. Immer noch wortlos begann Francesco die Nase unserer Tochter zu kitzeln, die ob dieser Bewegung begann angestrengt zu atmen. Aber es schien ihr zu gefallen. „Karlotta.“ Er ließ sich den Namen mehrmals auf der Zunge zergehen. Meine Anspannung wuchs ins Unermessliche, bis er schließlich verkündete: „Gut, wenn du es möchtest, dann nennen wir unsere Tochter Karlotta. Karlotta Elisabetta Klaudia Hartfels von Rodaklippa. Mutter wird nicht begeistert sein, dass sie die Geburtsanzeige noch Mal wird ändern lassen müssen, aber das soll nicht unser Problem sein.“



    Hatte ich mich verhört? Nein, Francesco hatte tatsächlich zugestimmt! Karlotta. Mein kleines Lottchen. Ich strahlte über das ganze Gesicht. Und wie zum Zeichen, dass der Name auch meinem Würmchen zusagte, zeichnete sich ein Lächeln auch Lottchens Gesicht ab. Natürlich war mir klar, dass sie noch nicht wirklich lächeln konnte, aber das minderte mein Entzücken nicht. Und mit einem Mal blickte ich in eine sehr rosige Zukunft.



    ******


    Entschuldigt, dass es so lange kein Update gab. Ich war in den letzten Wochen beruflich sehr eingespannt und hatte daher keien Zeit und auch wenig Muse, mich mit den Sims zu beschäftigen. Aber jetzt sollte regelmäßigen Updates für die nächsten Wochen nichts mehr im Wege stehen :)

  • Kapitel 62: Mutterfreuden



    Drei Tage nach der Geburt durfte ich das Krankenhaus mit meinem kleinen Engel verlassen. Lottchen ging es prächtig und auch ich erholte mich gut. Mein kleiner Ohnmachtsanfall nach der Geburt blieb zum Glück ohne Folgen. Meine Tochter fühlte sich in ihrem neuen Zuhause gleich wohl. Und ich…zum ersten Mal fühlte sich dieses Haus wirklich wie ein Zuhause an. Ich genoss es, einen kleinen Menschen um mich herum zu haben, um den ich mich rund um die Uhr kümmern konnte.



    Was nicht heißen soll, dass alles plötzlich wunderbar war. Das Muttersein war manchmal doch weniger idyllisch als in meinen Phantasien. Karlotta konnte schreien wie am Spieß. Und leider hatte ich noch nicht herausgefunden, was sie mir mit diesem Schreien signalisieren wollte. Hatte sie Hunger? War ihre Windel voll? Es konnte alles und doch nichts sein. Und abgesehen von Schreien kam von ihr kaum etwas zurück. Wenn sie nicht gerade schlief, lag sie teilnahmslos in ihrem Bettchen, ohne mich wirklich wahrzunehmen. Ich wusste aus Büchern, dass das in den ersten Wochen ganz normal war. Und dennoch war es manchmal nicht leicht auszuhalten.



    Das Gute war, dass sie vorerst nicht viel Aufmerksamkeit braucht, wenn sie denn satt und frisch gewickelt war. Ich konnte sie dann beruhigt in ein Körbchen legen, wo sie entweder schlief, oder mit ihren großen Augen einfach die Luft anstarrte.



    Und ich konnte mich derweil ungestört meiner Malerei widmen. Vor der Hochzeit hatte ich nicht die Muse dafür gefunden. Und mit voranschreitender Schwangerschaft fiel mir das lange Stehen vor der Staffelei schwerer und schwerer. Doch jetzt sprühte ich wieder vor Idee. Lottchen war eine wahre Quelle der Inspiration. Und in dem Atelier, das Francesco für mich eingerichtet hatte, gestaltete sich das Malen sehr viel angenehmer, als im vollgestellten Wohnzimmer in der Cilia Gade.



    Ich nahm mein Lottchen zum Anlass, mich an mein erstes Portrait zu wagen. So friedlich, wie sie in ihrem Körbchen neben der Staffelei lag, konnte ich einfach nicht anders, als diesen Anblick auf Leinwand festzuhalten. Ichmerkte schnell, dass ich an der Darstellung von Menschen noch sehr viel Üben musste. Aber im Großen und Ganzen war ich mit dem Ergebnis doch sehr zufrieden.


    *****



    Ein paar Wochen nach der Geburt lud ich die Familie, sowie Magda und Jamie zu einer kleinen Party ein. Magda hatte ihre Gitarre mitgebracht und gemeinsam sorgten wir für die musikalische Untermalung des Abends. Auch Tamara war gekommen. Nachwievor lebte sie bei Mama und Papa, da ihre Eltern weiterhin nicht dazu bereit waren, sich mit ihr auszusprechen. Und es sah nicht danach aus, als ob sie dazu in nächster Zukunft bereit sein würden. Tamaras Babybauch war inzwischen deutlich zu erkennen. Und auch wenn ich sie in letzter Zeit verständlicherweise häufiger mit einem trüben Gesicht gesehen hatte, hatte sie an diesem Abend doch sichtlich Spaß.



    Tamara zeigt großes Interesse an Lottchen, was in ihrem Zustand auch nur zu verständlich war. Bald würde sie selbst Mutter sein und dieser Gedanke bereitete ihr Freude und Angst zugleich. Da ich die gleichen Gedanken noch zu gut von mir selbst kannte, entschloss daher, dass es gut für sie wäre, wenn sie schon mal etwas an meiner Tochter üben konnte. Von nun an war Tammy ein häufiger Gast in unserem Haus. Und auch für mich war es spannend, eine Schwangerschaft mitzuerleben, die nicht die eigene war. Ich hätte zum Beispiel nie gedacht, wie gut man die Tritte des Babys von außen spüren konnte.



    Und ich zeigt ihr, wie sie Lottchen wickeln und ihr die Flasche geben konnte. Ich war mir sicher, dass auch Mama ihr das später alles beibringen konnte, aber ich merkte, wie Tammy sich mehr und mehr entspannte, je sicherer sie im Umgang mit meinem Mädchen wurde. Und ich konnte ihr auch noch den ein oder anderen Tipp geben, wie sie sich die letzten Monate der Schwangerschaft etwas angenehmer machen konnte.



    Aber Tammy braucht auch jemanden, um über andere Themen zu sprechen…zum Beispiel ihre Beziehung zu meinem Bruder Sky. Mit meinen Eltern konnte sie darüber nicht sprechen. Ich hingegen war nicht so viel älter, sodass sie sich mir wie einer Freundin anvertrauen konnte. „Wie soll ich mir sicher sein, dass Sky mit mir zusammen bleibt, weil er mich liebt, und nicht bloß, weil wir zusammen ein Kind erwarten?“, fragte sie mich. Eine Frage, auf die ich keine Antwort wusste. Ich glaubte auch nicht, dass sie eine Antwort von mir erwartete. Aber es tat ihr sichtlich gut, ihre Ängste mit jemandem zu teilen.


    *****



    Auch meine Schwiegermutter Lady Eleonore und meine Schwägerin Alexis waren häufig zu Besuch, um die kleine Karlotta zu sehen. Daher war ich auch nicht überrascht, als Alexis eines Morgens unerwartet vor der Haustür stand. „Möchtest du deine Nichte sehen?“, fragte ich und ließ sie aus dem Regen in das trockene Haus hinein. „Lottchen ist schon wieder gewachsen. Und sie lächelt jetzt immer, wenn ich mich über ihr Bettchen beuge“, berichtete ich begeistert. „Ja, natürlich bin ich auch wegen Lottchen hier, aber nicht nur“, erklärte Alexis. „Eigentlich muss ich mit dir sprechen. Du weißt doch, dass Francesco am Wochenende eine Rede vor dem Rathaus halten wird. Mutter und ich sind der Meinung, dass das der ideale Zeitpunkt wäre, um dem Volk die künftige Lady von Rodaklippa zu präsentieren.“



    Diese Ankündigung überraschte mich nicht. Francesco hatte bereits angedeutet, dass wir unsere Tochter öffentlich präsentieren müssten. Und für mich war dieser Zeitpunkt genauso so gut…oder auch nicht gut; mir graute jetzt schon vor der Vorstellung, mich vor all den Leuten zu Schau stellen zu müssen…wie jeder andere. Aber es waren Alexis nächste Worte, die mich trafen. „Bevor es so weit ist, müssten wir aber erste einmal über deine Garderobe reden.“ Ihr Blick wanderte kritisch von meinem Kopf zu den Füßen und unweigerlich krümmte ich mich zusammen. „Nimm es mir nicht übel, Klaudia, aber du siehst nicht aus wie eine Lady von Rodaklippa. Während deiner Schwangerschaft konnten wir das noch durchgehen lassen. Auch das Volk hat da ein Auge zugedrückt. Aber jetzt erwartet es mehr von seiner Lady als…nun als das.“ Sie deutete auf mich. Erschrocken sah ich an mir herab. Sah ich den wirklich so furchtbar aus?



    Offenbar schon, denn Alexis ließ mir keine Wahl. Mein erneutes Umstyling war beschlossen. Inzwischen hatte ich aufgehört, mitzuzählen. Und die Sache war gut geplant. In der Limousine vor dem Haus wartete ein Kindermädchen, das sich um Karlotta kümmern würde, während der Stylist im Schönheitssalon sich meiner Haare und meiner Kleidung annahm. Meine Haare wurden geglättet und zu einer ähnlichen Frisur gekämmt, wie ich sie bei meiner ersten Verabredung mit Francesco getragen hatte. Das Glätteisen bekam ich als Geschenk gleich mit. Immerhin ließ mir Alexis die Wahl zwischen einigen Kleidungsstücken, die sie mit dem Stylisten für mich zuvor ausgesucht hatte. Und offenbar waren sie mit meiner Auswahl einverstanden. „Du siehst toll aus, Klaudia“, schwärmte meine Schwägerin, als ich mich in einem rot-weißen Sommerkleid vor dem Spiegel drehte. „Für den Alltag oder ein Gartenfest ist dieses Kleid perfekt. Aber für deinen Auftritt am Wochenende brauchen wir noch etwas Edleres…“



    Nun, das hatte ich mir schon gedacht. Aber ich musste zugeben, dass mir dieses Umstyling wirklich Spaß machte. Alexis gab mir das Gefühl, dass ihr meine Meinung nicht gleichgültig war. Sie drängte mir keinen fremden Stil auf, sondern versuchte, das Beste aus mir herauszuholen. Und ja, das Ergebnis gefiel mir. Ich hätte es nicht selbst ausgesucht. T-Shirt und Jeans wären mir immer lieber gewesen. Damit fiel ich eben nicht so sehr auf, konnte mich verstecken. Jetzt, in diesem Kleid, mit dieser Frisur, musste ich die Blicke auf mich ziehen. Und das machte mir Angst. Andererseits musste ich als Lady von Rodaklippa damit umzugehen lernen. Und wenn ich mich so um Spiegel betrachtete, konnte ich mir nicht vorstellen, dass die Menschen…mein Volk…schlecht von mir denken würden.