Monika Feth - Der Erdbeerplücker
Aus meinem absoluten Lieblingsbuch:
>>Und warum bist du gekommen?<<, fragte meine Mutter.
Gute Frage. Warum war ich gekommen? Vielleicht hatte ich es gewusst, doch inzwischen hatte ich es vergessen.
Es waren Kinder, die sie fanden. Ein Junge und ein Mädchen, Geschwister, der Junge zehn, das Mädchen neun Jahre alt. Die Eltern hatten ihnen verboten, im Wald zu spielen. Sie hatten es trotzdem getan. Und waren entsetzlich dafür bestraft worden. Mit einem Anblick, den sie ihr Leben lang nicht vergessen würden
Die in Jever hatte nach Rauch gerochen. sie hatte ihm sogar eine Zigarette angeboten! Sie hatte kokett gelacht, den Kopf in den Nacken gelegt und den Rauch in die Luft geblasen und nicht geahnt, dass sie ihr Todesurteil längst unterzeichnet hatte
Irgendwie war ich aus der Schulzeit herausgewachsen. Eigentlich hätte ich in diesem Jahr Abi gemacht. Ich bereute es inzwischen sehr, in der Elften eine Ehrenrunde gedreht zu haben. Die Stundenpläne, die Klausuren, der Geruch nach Kreide, Schwamm und Schweiß, die ewig gleichen Gesichter, das alles ging mir so auf den Wecker, dass mir manchmal danach war, um mich zu schlagen.
Ich weiß nicht, welcher Architekt seinen schlechten Geschmack an unserer Schule ausgetobt hat. Wahrscheinlich einer, der selbst nie Schüler gewesen ist. Der Albtraum aus glas und beton war im Sommer ein Brutkasten, im Winter ein Eishaus.
Vor kurzem war ein neuer Spruch hinzugekommen, der Erste, der Klasse hatte und mir gefiel:
Heilige Jungfrau Maria, die du empfangen hast, ohne zu sündigen, lehre uns sündigen, ohne zu empfangen!
Er ließ die Fensterscheibe auf der Fahrerseite herunter, obwohl das die Klimaanlage stören würde, der Wind zauste ihm das Haar und trug den Duft der Erdbeeren von den Feldern herein. Frisch. Würzig. Süß.
Er atmete tief.
Manchmal schien es gar nicht so schwer, glücklich zu sein. Er schaltete das Radio ein. Tina Turner. Warum nicht? Und er sang mit und schlug den Takt mit den Fingern auf das Lenkrad.
You´re simply the best …
Selbst Vergessen schien manchmal nicht allzu schwierig zu sein.
>>Sagen Sie, Melzig, was lese ich da in der Zeitung?<<
Bert konnte Menschen nicht ausstehen, die sich am Telefon nicht vorstellen, die einfach losplapperten und darauf vertrauten, dass man ihre Stimme schon erkennen würde. Für einen kurzen Moment war er versucht, so zu tun, als könne er den Anrufer nicht einordnen, doch dann ließ er es bleiben. Er verzichtete auch auf die Antwort, die ihm auf der Zunge lag: Wenn sie nicht wissen, was sie lesen, wer dann?
Wie wir miteinander umgehen, dachte Bert. Als würden wir in lauter vorgefertigten Schablonen denken und reden.
Ich drehte mich noch einmal um, das Laken war wieder über Caros nackten, schutzlosen Körper gebreitet.
>> Bitte ziehen Sie ihr etwas an<<, sagte ich zu dem Mann im grünen Kittel. >> Ihr ist immer so schnell kalt.>>
Er nickte.
Sagte nicht, dass Tote nicht mehr frieren.
Ich dachte es selbst. Und das war viel schlimmer.
Ein Wort wie aus einem Gedicht, dachte ich. Erdbeerplücker.
Ich hatte vergessen, den Einkaufkorb meiner Mutter mitzunehmen, und hielt die vier Schalen vor dem Bauch gestapelt, eine reichlich wacklige Angelegenheit. Die Früchte waren prall und rot. Ihr Duft umhüllte mich wie ein Parfüm. …
Zu Hause stellte ich die Erdbeeren in der Küche ab und ging wieder auf die Terrasse hinaus. Der kleine Ausflug hatte mir gut getan. Meine Zehen in den Sandalen fühlten sich warm und staubig an. Mein Körper war wie voll gesogen mit sonne. ]
Mein Lieblings Absatz in diesem Buch. Ich muss meiner Schwester andauernd davon erzählen und kriege Gänsehaut und hab Tränen in den Augen wenn ich es ihr erzähle. Diese Situation, die sie beschreibt, kann ich richtig mitfühlen. Der leckere Duft der Erdbeeren, der Staub, die Früchte… Hach ich liebe diese Textstelle.
Sie hatten nicht nur einen Tod zu verkraften. Sie mussten mit einem Mord fertig werden. Das war ein himmelweiter Unterschied.
>> Kann man jemanden lieben, vor dem man Angst hat?<<, fragte ich.
>> Du kannst Angst vor jemanden haben, den du liebst<<, antwortete Merle.
Dann, ganz plötzlich, ging ein ruck durch Georg Taban. Er sah Bert an. Seine Augen wurden kalt. >> Ich bin kein Mörder, Herr Kommissar<<, sagte er. Kurz und abgehackt. Ich. Bin. Kein. Mörder.
Bert wurde das Gefühl nicht los, dass dieser Mann log.
ABEND
Dunkelheit
Vorm Fenster
Auf schwarzem Glas
Mein Gesicht
Blass und fern
Haut einer andern
FREUNDIN
Gegenüber
Still
Neben mir
Nah
Nicht Worte unbedingt
Hände vielleicht
SCHMERZEN
Und manchmal
Brauch ich
Mehr
Als das bisschen
Leben
Manchmal
Brauch ich
Das Feuer
Unter
Der Haut
Um zu wissen
Ich bin
Noch
Da
FRAGEN
Versprichst mir
Dein Leben
Und verrätst
Doch nichts
Dabei weißt du
Alles
Über mich
DU
Wer bist du
Lauter
Ungefragte Fragen
Lauter
Lieder
Nicht gesungen
Neun
Ungelebte leben
Auf deinem Mund
Ein schrecklich rotes
Süßes Lächeln