[B]Kapitel 26: Ein Plan wird geschmiedet[/B]
Lina lag auf ihrer Pritsche und starrte nachdenklich die Wand an. Wusste der Abt wirklich, dass sie eine Hexe war? Oder meinte er etwas ganz anderes? Vielleicht meinte er auch nur, dass sie eine Kriminelle war und deshalb aufpassen musste? Keine der Möglichkeiten erschien ihr sehr verlockend, aber sie würde das Letzte bevorzugen. Obwohl, bis jetzt war er sehr freundlich zu ihr gewesen und wenn er wirklich wusste, dass sie eine Hexe war, dann würde er ihr doch nichts tun.
Sie seufzte und drehte sich um, aber schlafen konnte sie nicht. Zu Viel ging ihr im Kopf rum und nichts davon war positiv. Aus der Nachbarzelle hörte sie ein lautes dreistimmiges Schnarchen und sie lächelte leicht. Wenigstens die können schlafen!
Als Lina endlich einschlief träumte sie von brennenden Scheiterhaufen und Frauen, die aufs grausamste gefoltert wurden. Sie wachte jedes mal schweißgebadet auf, aber ihre dunklen Träume zogen sie immer wieder zurück in den Schlaf. Als endlich der Morgen graute und die Glocke die Mönche zur Morgenmesse rief, stand Lina auf und wusch sich erst einmal das Gesicht. Danach wanderte sie nervös durch die viel zu kleine Zelle und wartete. Sie hatte zwar nicht viel Hoffnung, dass sie mit dem Abt sprechen würde, aber sie konnte einfach nicht still sitzen.
Die Morgenmesse ging vorbei und auch die Mittagsmesse verging, ohne das danach jemand zu ihr kam. Mittlerweile hatte sie schon angefangen vor lauter Nervosität an dem Kanten Brot vom Vortag zu knabbern, obwohl sie keinen Hunger verspürte, einfach nur um sich zu beschäftigen.
Dementsprechend überrascht war sie, als am frühen Nachmittag Abt Leopold in der Zellentür stand und sie bat doch mitzukommen. Er sah besorgt aus, als wäre er über Nacht um mindestens fünf Jahre gealtert. Nichts Gutes ahnend folgte Lina ihm über den Hof, hinein in den Klosterkomplex. Zum ersten Mal seit sie hier war, betrat sie den großen Speisesaal und für einen Moment lang genoss sie trotz ihrer Sorgen, die gemütliche Atmosphäre in dem Raum. Aber der Abt machte nicht halt und so folgte ihm Lina schließlich bis in seinen Arbeitsraum.
Dort wartete schon Jorim und musterte Lina beim Eintreten. Leopold nahm auf seinem Stuhl platz und deutete auf den anderen Hocker vor seinem Schreibtisch. Lina setzte sich leise, rutschte unbehaglich auf dem unbequemen Stuhl hin und her und fragte sich, warum sie wohl hier war.
„Gut, gut," begann der Abt und räusperte sich. "Ich will gar nicht lange über den heißen Brei herum reden. Wir müssen etwas tun und zwar schnell. Ich habe die ganze letzte Nacht darüber nachgedacht und bin zu dem Schluss gekommen, dass wir Elias aufgeben müssen, vorerst zumindest. Vielleicht kommt er noch zur Vernunft, aber zur Zeit halte ich das für unwahrscheinlich..." Er machte eine nachdenkliche Pause, die keiner der beiden anderen Anwesenden unterbrechen wollte. "Wie auch immer, wir müssen trotzdem was unternehmen. Ich habe da auch schon eine Idee und wollte die gerne mit euch Beiden besprechen. Mit dir Jorim, weil du schon am Hofe warst und mit dir Lina, weil du einen Teil des Plans ausmachst."
Eine weitere kleine Pause entstand, die keiner unterbrechen wollte. Allerdings hörte Lina auf herum zu rutschen und sah Leopold an. Er hatte sie doch neugierig gemacht.
"Wie eben schon gesagt, Elias ist vorerst verloren, aber wir müssen versuchen herauszufinden, was am Hof vor sich geht, damit wir handeln können. Wenn wir jetzt allerdings jemanden aus diesem Kloster zum Hofe schicken, den würde Elias sofort erkennen. Darum dachte ich, dass du Lina vielleicht dort als Kammerfrau verkleidet hingehen könntest." Er sah sie an und hob einen Finger, um zu zeigen, dass er noch nicht fertig war. "Sicher, es ist gefährlich gerade, weil du so wenig Erfahrung mit Menschen hast, aber niemand dort kennt dich und Kammerfrauen werden immer gesucht. Gerade wo der Hof diesen Umbruch erlebt, werden einige den Hof verlassen. Ich denke zwar nicht, dass du an den Fürsten oder die Fürstin direkt herankommst, aber du könntest doch wichtige Informationen aufschnappen. Ich will dich hier jetzt aber zu nichts überreden. Erst einmal möchte ich nur, dass du darüber nachdenkst..."
Für einen Moment sah sie den Abt erstaunt an, dann kamen ihr sofort zwei Fragen in den Sinn. "Was passiert mit meinen Freunden, wenn ich von hier weg bin? Und warum denkt Ihr, dass ich soviel Interesse daran habe Euch zu helfen?"
"Nun zu deiner zweiten Frage: Ganz einfach, für dich ist es genauso wichtig wie für mich und den Rest meines Ordens, dass das Land nicht von Grausamkeit überrollt wird. Im Moment geht es den Menschen hier verhältnismäßig gut. Sie wurden beschützt und niemand musste bisher Hunger leiden. Die Ernten waren gut in den letzten Jahren und die Überfälle auf Händler gering. Wenn jetzt die Angst unter den Leuten umgeht, wer als nächstes auf der Liste steht, dann werden die Menschen danach handeln. Viele werden ihre Chance ergreifen und unschuldige Menschen anschwärzen. Dazu kommt auch noch, dass durch solche Gesetze, die Grausamkeit in jeden von uns geweckt wird. Was ist schon so falsch daran selbst die Sache in die Hand zu nehmen, wenn der Nachbar unbequem wird?" Er sah sie eindringlich an und fuhr dann fort. "Natürlich wird nicht jeder so denken, aber die Angst wird umgehen und aus Angst machen die Menschen oft die falschen Dinge. Ich denke, dass du nicht möchtest, dass es soweit kommt oder? Und was deine erste Frage betrifft, deine Freunde sind hier gut aufgehoben. Wie du ja merkst, versorgen wir sie und auch dich gut."
"Wenn ich mitmache, dann möchte ich, dass ihr sie gehen lässt. Ich will nicht, dass sie hier eingesperrt in einer Zelle sitzen, wenn ich mein Leben riskiere." Lina klang bestimmt, aber nicht trotzig. Sie wusste, wie ernst die Lage war und sie hoffte, der Abt würde nicht wissen, wie sehr sie seinen ehemaligen Schüler fürchtete und warum.
"Hm, aber was sagt mir dann, dass du auch hierher zurückkommst? Verstehe mich nicht falsch, aber solange wie wir deine Freunde hier haben, wissen wir, dass du sie nicht im Stich lässt."
Lina sah ihm in die Augen. "Ihr müsst mir einfach vertrauen. Ich werde Euch nicht im Stich lassen."
"Jorim, du hast bisher noch nichts gesagt, was denkst du?" versuchte Leopold noch ein bisschen Zeit zum Nachdenken herauszuschinden.
*geht noch ein wenig weiter*