Kapitel 24: Ein Wiedersehen
Jorim machte sich Sorgen, als ihn am frühen Morgen der Ruf vom Abt ereilte. Gerade erst vor zwei Tagen hatten sie die Räuber und das Mädchen geschnappt und nun hatte der Abt einen Auftrag für ihn. Er hatte nicht das Gefühl, dass es etwas mit dem Überfall zu tun hatte, weswegen der Abt ihn sehen wollte, denn bisher hatten sie noch nicht wirklich was aus den Gefangenen herausbekommen. Nein, er fürchtete, dass der Abt ihn wegen Elias sehen wollte. Die Nachrichten die vom Hof bis an ihr Kloster drangen klangen alle nicht gut und Jorim hatte die Befürchtung, dass Elias etwas damit zu tun hatte.
Vor der Tür bliebt Jorim noch einmal stehen und atmete tief durch. Er wusste, dass wenn es wirklich um Elias ging, dass er einen Teil der Schuld trug. Schließlich war es seine Aufgabe gewesen den Jungen richtig zu erziehen und er wusste, dass er in dem Punkt versagt hatte. Er hatte ihm einfach nicht klar machen können, dass auch Menschen wie Hexen nicht verdammungswürdig waren, sondern genauso wie jeder andere Mensch ein Recht auf Leben hatten. Aber Elias war so stur gewesen und Jorim hatte einfach nicht die richtigen Worte gefunden den Jungen wieder auf den rechten Weg zu führen.
Jorim seufzte leise und klopfte dann an. Abt Leopold legte die Schriftrolle beiseite, die er gerade studiert hatte und rief Jorim herein. Er bedeutete ihm sich doch zu setzen und sah ihn prüfend an. Jorim wirkte nicht mehr so unschuldig wie noch vor ein paar Jahren, gerade nachdem er vor kurzem vom Fürstenhof zurückgekommen war, machte sich diese Veränderung bemerkbar und Leopold hatte schon fast ein schlechtes Gewissen, dass er ihn jetzt wieder dahin zurück schicken musste.
"Vielleicht ahnst du schon, warum ich dich hab zu mir gebeten. Ich habe Nachrichten vom Fürstenhof bekommen und das waren keine Guten. Du weißt, ich hab deine Entscheidung den Jungen dort zurück zu lassen nicht in Frage gestellt. Ich weiß, dass er schwierig war und stur und das es nicht sehr leicht war mit ihm fertig zu werden. Ich mache dir also keine Vorwürfe. Du hast bestmöglich gehandelt und brauchst dir ebenfalls keine machen." Er nickte Jorim aufmunternd zu.
"Aber ich mache sie mir. Egal, was jetzt passiert ist, es ist zum Teil meine Schuld," sagte Jorim leise und senkte den Kopf.
"Unsinn, du bist nicht verantwortlich für die Taten des Jungen oder besser gesagt, des Mannes. Denn dieser scheint er geworden zu sein, wenn ich die Nachricht hier richtig deute. Darum habe ich auch eine Bitte an dich und es fällt mir nicht leicht, diese zu stellen."
"Ihr möchtet, dass ich noch einmal versuche mit Elias zu reden."
Abt Leopold nickte und war wieder mal überrascht, wie schnell Jorim begriff. "Ja, ich möchte das du noch einmal zum Hofe reist und versucht Elias von seinem Kurs abzubringen. Ich befürchte Schlimmes, wenn er so weitermacht und ich bin mir sicher, dass er wenn dann nur auf dich hört."
"Wann soll ich aufbrechen?"
"Am liebsten sofort. Je früher du mit Elias reden kannst umso besser. Es tut mir Leid, dass es so kurzfristig ist, aber ich mache mir ernsthaft Sorgen um ihn und um uns alle."
"Ich verstehe, ich werde meine Sachen packen und mich sofort auf den Weg machen." Jorim stand auf und verabschiedete sich vom Abt.
Zwei anstrengende Tage später stand er wieder einmal vor den Toren des Hofes und starrte auf die Mauern. Es kam ihm wie gestern vor, dass er den Hof verlassen hatte und er war sich keinesfalls sicher, dass es eine gute Idee war ihn jetzt wieder zu betreten. Er hatte sogar ein kleines bisschen Angst davor Elias entgegenzutreten. Er hatte im Dorf schon viel über ihn gehört und nichts davon überzeugte Jorim davon, dass es noch etwas nützen würde mit Elias zu reden. Nichts desto Trotz würde er alles was ihm möglich war versuchen, damit sein ehemaliger Schützling endlich zur Vernunft kommt.
Er betrat den Innenhof, denn die Wachen am Tor kannten ihn noch und ließen ihn so passieren. Vor der Eingangstür blieb er noch einmal stehen und zupfte nervös an seiner Robe herum. Dann klopfte er laut und wartete auf Einlass. Als niemand ihm die Tür öffnete klopfte er noch einmal lauter und dieses Mal ging die Tür auf. Er brachte sein Anliegen, Elias sprechen zu wollen, vor und der Diener hieß ihn an, in der Halle zu warten. Er werde dem jungen Herrn Bescheid geben.
Jorim wartete ungeduldig in der Halle und die Wartezeit zog sich dahin. Mit jeder verstreichenden Minute wurde er noch nervöser und keine Versicherung seinerseits, dass Elias sich bestimmt freuen würde ihn zu sehen, machte es leichter. Endlich öffnete sich eine der Türen und Elias trat hinaus. Er sah etwas verstimmt über die Störung aus, versuchte aber ein kleines Lächeln, als er Jorim erkannte.
"Jorim, was für eine Überraschung. Wie schön dich zu sehen," begrüßte er seinen alten Mentor, aber seine Stimme hatte nichts von der Freundlichkeit der Worte.
"Elias, gut siehst du aus. Wie ich sehe, bist du ganz schön gewachsen und du hast die Priesterrobe abgelegt." Jorim lächelte ihn herzlich an, trotz des kleinen Tadels.
"Nicht abgelegt, ich habe nur eine andere Robe bekommen. Aber lass uns das nicht hier besprechen. Sicher hast du irgendetwas auf dem Herzen, sonst wärst du ja nicht hier. Wie wäre es, wenn ich dir mein neues Gemach zeige." Er wartete die Antwort kaum ab, sondern wandte sich gleich zu der Tür, die dorthin führte. Jorim folgte ihm, ohne ihn darauf hinzuweisen, dass er unhöflich war. Schließlich war er so in Gedanken an das kommende Gespräch vertieft, dass es ihm fast nicht aufgefallen wäre.