Kapitel 22: Der Abt

Lina spürte, wie der Abt sie sanft am Arm aus der Kapelle führte. Sie fragte sich kurz, ob sie es versuchen sollte sich loszureißen und über den Hof zu sprinten, aber in dem Moment sah sie noch mehr Mönche aus dem Kloster kommen. Sie seufzte lautlos und ließ sich widerstandslos vom Abt führen. Aus dem Augenwinkel sah sie, dass sich auch Richard und die Anderen nicht wehrten und mit den Mönchen mit gingen. Ob sie immer so friedlich sind, wenn sie geschnappt wurden? Oder ist es für sie auch das erste Mal? Oder sind sie nur wegen mir so?, schoss es ihr durch den Kopf.

Der Weg über den Hof war nur kurz, denn die Büßerzellen waren nicht, wie Lina angenommen hatte, im Keller sondern gleich neben der Kapelle. Einer der Mönche öffnete die linke Tür und ein anderer die Rechte. Ohne zu zögern führte der Abt Lina in die rechte Zelle und bevor er die Tür hinter ihr verschloss, konnte sie gerade noch sehen, wie Henry nebenan ziemlich unsanft hereingebracht wurde. Sie hoffte, dass den Männern nichts passierte, schließlich waren ihre Wärter ja religiöse Männer und die würden nicht zu Gewalt neigen. Was ihr Schicksal anbelangte hatte sie keine genaue Vorstellung, was jetzt passieren würde. Sie hatte nur gehört, dass Mönche nicht gerade Freunde von Frauen waren und schon gar nicht von Hexen. Also beschloss sie, dass sie vorerst nichts sagen würde was sie verraten könnte. Sie hoffte, dass die Räuber genauso reagieren würden und gleichzeitig wünschte sie sich, dass sie nicht von ihnen getrennt wäre. Es wäre viel einfacher, wenn sie ihnen das Reden überlassen könne, dann brauchte sie auch keine solche Angst haben.

Als die Tür zufiel, verriegelte der Abt sie von innen und bedeutete Lina sich doch auf das einzige Bett zu setzen. Ihr wurde klar, dass sie jetzt auf sich alleine gestellt war und sie durfte auf keinen Fall etwas ausplaudern, was ihr zum Verhängnis werden könnte. Mit einem Mal wurde ihr sehr mulmig zu Mute und sie sah den alten Mann ängstlich an. Der schaute sie allerdings nur gütig an und lächelte leicht. Trotzdem nahm er ihr damit nicht die Angst und sie verkrampfte sich noch mehr.
"Du brauchst keine Angst zu haben. Wir sind keine Unmenschen. Du bist noch sehr jung und machst für mich nicht Eindruck, als wäre das hier dein täglicher Tagesablauf." Er machte eine kleine Pause und nickte ihr aufmunternd zu, aber Lina schwieg.
"Also gut, darf ich dich denn wenigstens nach deinem Namen fragen? Ich unterhalte mich lieber mit Menschen, wenn ich ihren Namen kenne." Er zwinkerte ihr zu, aber Lina starrte nur auf den Fußboden.
"Hm, okay, wenn du mir deinen richtigen Namen nicht nennen willst, dann nenne mir einen Anderen mit dem ich dich ansprechen kann. Vielleicht hilft es dir, wenn du weißt das mein Name Leopold ist." Wieder versuchte er es mit einem Lächeln, aber wieder ließ Lina nicht erkennen, dass sie ihm zugehört hätte.
Geduldig wartete der Abt noch eine Weile und beobachtete Lina, wie sie nervös mit den Füßen scharrte. Sie hielt den Kopf weiter gesenkt und wagte keinen Blick zu Abt Leopold. Als ihr Magen laut knurrte, lächelte Leopold wieder verschmitzt.

"Du hast Hunger," sagte er und wandte sich zur Tür. "Ich werde dir etwas zu Essen besorgen und dann solltest du ein wenig schlafen. Es sei denn du möchtest doch noch mit mir reden?"
Wieder keine Reaktion von Lina, außer dass sie aufhörte mit den Füßen zu scharren. Der Abt entriegelte die Tür und trat hinaus in die Nacht. Bevor er dir Tür von Außen verschloss, wandte er sich noch mal an Lina. "Es ist gleich jemand da mit etwas zu essen. Ich wünsche dir schon mal eine gute Nacht und bis morgen."

Er drehte sich um, ging kurz zurück ins Kloster, gab dort einem Mönch den Auftrag Lina was zu essen zu bringen und machte sich dann auf den Weg zu den drei gefangenen Männern. Er wusste noch nicht, was er mit ihnen anfangen soll, aber er machte sich Sorgen um Lina, die so gar nicht zu der Truppe zu passen schien. Er hatte schon fast beschlossen, dass er die Kleine laufen ließ, wenn sie sich kooperativ zeigte. Natürlich würde er dafür sorgen, dass sie nicht weiter auf die schiefe Bahn geriet, schließlich waren sie ja ein hilfsbereiter Orden. Mit diesen Überlegungen entriegelte er die Tür, die zu den Männern führte. Mit einem leisen Seufzer, öffnete er die Tür und betrat den überfüllten Raum.

"Nun," begann er das Gespräch, gar nicht sicher, was er den drei Männer eigentlich sagen wollte. "Nun, was soll ich mit euch anfangen? Ehrlich gesagt, habe ich keine Ahnung."
"Lasst uns und das Mädchen gehen," kam es gleich von Henry, der die kleine entstandene Pause sofort nutzte.
Abt Leopold lächelte. "Das werde ich nicht tun, schließlich habt ihr versucht uns auszurauben. Ich bin mir nur noch nicht sicher, ob es lohnt dafür die Fürstenwache zu rufen oder ob es einfach reicht, euch etwas hier schmoren zu lassen." Er sah die Drei nachdenklich an. "Vielleicht könnt ihr mir bei der Entscheidungsfindung ja helfen, in dem ihr mir eure Namen nennt und den Namen des Mädchens, da sie wohl beschlossen hat zu schweigen."
*geht gleich weiter*