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You're the voice, try and understand it
Make the noise and make it clear, oh, whoa
We're not gonna sit in silence
We're not gonna live with fear
(John Farnham – You're the Voice)
Es war getan. Der erste Schritt um ein noch größeres Unglück zu verhindern, als die schlimme Ehe mit dem royalen Mistkerl. Ich konnte wirklich nicht riskieren, dass ich Robert vor seiner Zeit holen muss. Natürlich wusste ich, dass auch Robert irgendwann sterben musste, aber der Zeitpunkt war noch in der Ferne.
Es tat mir weh, dass sie leiden musste und ich nichts tun konnte, um den ungeliebten Mann aus Annabelles Leben verschwinden zu lassen. Auf jeden Fall nicht endgültig.
Ich durfte auch nicht riskieren, dass Annabelle herausfand, wer ich wirklich bin. Es war mir klar, dass ich es nicht auf ewig verhindern konnte, dass sie mein Geheimnis herausfand, aber ich musste es so lange versuchen wie es ging.
Doch zuerst musste ich dafür sorgen, dass der Plan aufging. Ich fing Annabelle auf dem Weg in den Stall ab. Ich wusste ja, dass Robert noch auf dem Weg nach Hause war und wir so ein wenig Zeit hatten. Nicht viel, aber hoffentlich genug.
„Was machst du hier?“ Annabelle war nicht begeistert mich zu sehen, oder war es doch mehr Angst vorm dem Erwischt werden?
„Keine Sorge, dein Mann ist noch eine Weile unterwegs.“ Ich versuchte sie zu beruhigen.
„Woher weißt du das?“ Sie klang misstrauisch.
„Vertrau mir.“ Ich lächelte sie an. „Setzen wir uns einen Moment, dann hast du den Weg im Blick, sollte er doch früher hier sein, als ich denke.“
Wir setzten uns auf die Bank vor der Scheune und sofort stellte sich die Vertrautheit zwischen uns ein. Annabelles Anspannung legte sich und auch ich fühlte mich nicht mehr so unruhig.
„Wie läuft es bei dir? Hast du schon eine Idee, wie du den Hof retten kannst?“ Ich war mehr als neugierig, denn während ich Vorbereitungen getroffen hatte, war sie sicher nicht untätig gewesen.
„Nicht nur eine, sondern viele. Aber leider ist es nicht so einfach. Ich weiß noch nicht, wie ich es schaffen kann, dass die Gläubiger still halten. Es sind einfach so viele Schulden. Mein Vater hatte schon einen Haufen davon, aber seit Robert hier der Herr ist, sind sie geradezu explodiert. Er war ja noch nie sparsam, aber er wirft das Geld, was wir nicht haben, mit vollen Händen raus. Ich verstehe nicht, wo er das alles lässt, denn hier passiert einfach nichts. Das Stalltor fällt bald auseinander und das Dach ist auch undicht. Aber all das stört den Hausherrn ja nicht. Ich bin ja schuld, dass es kaputt ist, weil ich nicht besser auf die Sachen aufpasse.“ Sie seufzte und ich wollte nach ihrer Hand greifen, aber sie faltete die Hände und ich zog meine zurück.
„Aber egal. Es spielt keine Rolle, was er mit dem Geld macht. Es würde ja auch nicht nichts nützen, wenn er das Geld für etwas Sinnvolles ausgeben würde. Solange wie er immer mehr Schulden macht, wird es fast unmöglich sein den Hof zu retten.“
Ich sah sie an und hatte eine Idee. „Es hört sich vielleicht ein wenig abwegig an, aber was ist, wenn du den Hof aufgibst? Ich weiß, dass hört sich schlimm an, aber denk einmal darüber nach...“
Sie sah mich an und ich wusste, dass ich einen Fehler gemacht hatte. „Bitte, es war nur eine Idee. Sei mir nicht böse, dass ich es vorgeschlagen habe.“
„Nein, bin ich nicht. Ich habe selber schon daran gedacht. Aber ich kann mein Zuhause nicht aufgeben. Das kann ich einfach nicht. Ich liebe den Hof, die Tiere, den Garten, das Haus. Ohne das alles wäre ich nur noch ein halber Mensch.“ Sie sah mich eindringlich an.
„Das verstehe ich.“ Ich gab ihr die Bestätigung, die sie brauchte. Auch wenn ich so die mir am Besten erscheinende Idee wieder verwerfen musste.
„Hm“, machte ich dann. Ich musste ihr ja noch von dem Assassinen erzählen, doch die Worte waren schwer zu finden. Ich durfte jetzt keinen Fehler begehen. „Erinnerst du dich an den Tag, an dem du zum Turm gekommen bist um mich zu sehen?“
„Ja, aber ich sehe nicht, warum du mich das jetzt gerade fragst.“ Sie sah mich fragend an und ich wurde nervös.
„Nun ja, ich habe den Mann, den du da getroffen hast, ein wenig im Auge behalten. Schließlich hätte er eine Gefahr für dich sein können und womöglich Robert berichten können...“
Sie nickte. „Ja. Darüber habe ich mir auch schon Gedanken gemacht. Gut, dass du dich darum gekümmert hast.“
Mir wurde etwas leichter ums Herz. „Nun ja. Ich musste es einfach tun. Ich konnte ja nicht riskieren, dass du Ärger bekommst.“
„Den bekomme ich doch immer, aber trotzdem danke für deine Besorgnis.“ Sie lächelte ihr bezauberndes Lächeln, was wie ich inzwischen wusste nur mir gehörte.
„Es muss ein Ende haben.“ Ich sagte es mit fester Stimme, wohl wissend, dass ich im Moment nicht dazu beitrug.
„Das wird es! Aber was ist jetzt mit dem Mann aus dem Turm? Du wolltest mir doch etwas über ihn erzählen.“
„Stimmt, das wollte ich. Also hör zu...“, begann ich, aber dann wurde ich von Schritten unterbrochen. Gerade noch rechtzeitig warnte ich Annabelle vor ihrem Ehemann. Sie zuckte zusammen und tat nur eine Sekunde später so, als wäre sie allein.
Nur nütze ihr das Nichts. Roberts schlechte Laune war sofort spürbar, kaum das er um die Hausecke gebogen kam. Er ging auf Annabelle zu und baute sich vor ihr auf.
„Was treibst du hier draußen?“ Brüllte er sie an und sie nahm gleich eine Schutzhaltung ein.
Aber es nützte nichts. Robert packte sie am Arm. Gab ihr noch nicht einmal Zeit zu antworten. „Du wirst gefälligst nicht hier in der Dunkelheit sitzen und nichts tun.“ Gewaltsam riss er sie von der Bank und sie konnte sich nicht wehren.
„Ab ins Haus mit dir, du unnützes Stück.“ Wie eine Puppe schüttelte er sie und drängte sie in Richtung Haus. Annabelle stolperte über den Saum ihres Kleides und fiel zu Boden.
„Du dumme Kuh. Kannst du noch nicht mal gehen oder was.“ Robert fluchte und trat noch einmal nach ihr, während sie noch am Boden lag.
Hass wallte in mir auf, aber ich wusste, dass ich nicht eingreifen durfte. Ich konnte ihr nicht helfen.
Das Einzige, was ich tun konnte, war zu gehen. Ich teleportierte mich weg und ließ sie allein. Ich musste es tun, aber es brach mir wieder einmal das Herz.
Ich landete an einem einsamen Strand. Ich setzte mich in den klammen Sand und starrte auf das aufgewühlte Wasser. Die Brandung rauschte und das Wasser suchte sich seinen Weg über den Strand. Eine lange Weile tat ich nichts, als auf das Wasser zu sehen. Den Rhythmus der Wellen in mich aufzunehmen und meine Gedanken leer werden zu lassen. Ich durfte nicht darüber nachdenken, was ihr noch passieren würde, sonst würde ich verrückt werden.
Die Nacht schritt voran und ich musste überlegen, was ich tun konnte. Mir war an diesem Abend so klar geworden, dass es so nicht weiter gehen konnte. Ich konnte zwar verhindern, dass Robert starb, aber ich musste dafür sorgen, dass er Annabelle nicht mehr weh tun konnte.
Langsam formte sich eine Idee in meinem Kopf, aber dafür brauchte ich Hilfe. Ich selber konnte nichts tun, aber ich wusste, wenn ich fragen konnte.
Ich stand auf und klopfte mir den Sand von der Kleidung. Es war schon sehr spät geworden. Selbst der Mond hatte sich schon so weit hinter den Horizont verzogen, dass er schon gar nicht mehr zu sehen war. Ich überlegte kurz und spielte ein wenig mit der Zeit herum. Nicht viel, nur bis zu dem Zeitpunkt als ich Annabelle verlassen hatte. Es erschien mir genug, dass Hugh inzwischen zu Hause sein müsste.
Ich irrte mich nicht. Als ich seine Hütte betrat, war er gerade noch beschäftigt. Er hatte wohl selber ein wenig Wut im Bauch, so schnell wie er eine Liegestütz nach der anderen machte.
„Habe ich heute nicht schon genug für dich getan.“ Selbst um mich vorwurfsvoll an zu schnauzen, hatte er noch genug Luft.
„Es tut mir leid, aber wie du weißt, habe ich sonst niemanden an den ich mich wenden kann.“
„Oh, der arme Tod. Keiner will mit ihm spielen.“ Er stieß sich noch einmal vom Boden ab und stand dann auf. Ein paar Schweißperlen glitzerten auf seiner Stirn, sonst sah man ihm die Anstrengung nicht an. Ich war ein wenig beeindruckt und nahm ihm deshalb seinen spöttischen Ton nicht übel. Er hatte ja Recht.
„Na dann, schieße schon los. Was ist denn passiert, dass du mal wieder meine Hilfe brauchst?“ Verschwunden war der Spott von davor, verdrängt von Professionalität. Es wunderte mich ein wenig, wie schnell er bereit war mir Unterstützung anzubieten angesichts seines Berufes.
Schnell erklärte ich ihm, was noch an dem Abend vorgefallen war. Ich verschwieg allerdings, dass ich ein wenig mit der Zeit gespielt hatte. Es war zwar nichts Schlimmes, aber ich wollte nicht noch mehr aufzeigen, wie anders ich war.
„Ich habe ja Respekt vor dir, dass du dich so zurückhalten kannst, wenn es um deine Freundin geht. Ich könnte nicht einfach so dabeistehen, wenn ich an deiner Stelle wäre.“
„Ich habe keine andere Wahl. Ich kann nicht eingreifen, weil es ihr dann noch mehr schaden würde. Das habe ich dir doch erklärt.“
Er nickte. „Ja, ich habe es auch verstanden. Aber ganz ehrlich, mir wären alle Konsequenzen egal, wenn ich damit die Frau, die ich liebe, schützen kann.“
„Dann bist du ein mutigerer Mann als ich.“
Hugh lachte kurz auf und setze sich dann aufs Bett. Da er mich immer noch nicht sehen konnte, wusste er nicht immer in welche Richtung er schauen musste, wenn er mit mir sprach.
„Also, du willst solche Übergriffe verhindern und doch dafür sorgen, dass Schweinepriester Robert überlebt.“
Ich nickte. „Genauso habe ich es mir vorgestellt.“
„Und ich soll mir jetzt eine Lösung ausdenken?“
„Du hast mehr Erfahrung als ich in der Materie. Ich meine mit Menschen an sich. Ich existiere zwar schon sehr lange, aber ich kenne mich nur mit dem Tod aus und nicht mit dem Leben. In letzter Zeit habe ich mehr über sie gelernt als in den Jahrhunderten davor, aber ich weiß immer noch nicht genug über das tägliche Leben.“
„Ich verstehe.“ Hugh gähnte und schnalzte dann mit der Zunge. „Ich werde versuchen mir etwas auszudenken. Versprechen kann ich nichts, aber denke darüber nach. Aber jetzt brauche ich erst einmal Schlaf.“
Ich erkannte den Rauswurf und ließ den Assassinen alleine. Ich kehrte zum Turm zurück, weil ich mir dachte, dass Annabelle mich dort zuerst suchen würde. Ich hoffte, das mit ihr alles in Ordnung war und Robert die Grenzen nicht zu weit überschritten hatte.
Es war ein langer Tag, denn ich traute mich nicht zu ihr zu gehen. Aus reiner Angst, dass Robert uns erwischen würde. Um nichts in der Welt wollte ich noch mehr Leid in ihrem Leben verursachen.
Ich stand die ganze Zeit oben an den Zinnen und beobachtete den Weg. Mit jeder Minute, die verstrich, wurde ich nervöser. Mit jeder Stunde, die der Tag voranschritt, verschwand die Hoffnung immer mehr.
Mit der Zeit fing ich an nervös auf und ab zu gehen, immer ein Auge auf den Streifen Stein zwischen dem Grün.
Und als sie endlich den Weg entlang schritt, rannte ich ihr fast entgegen. Ich fasste sie zur Begrüßung nur leicht um die Hüften, vor Angst, dass ich ihr weh tun würde wenn ich sie zu fest umarmte. Sie spürte mein Zögern und lächelte ein schiefes Grinsen. „Es ist nicht so schlimm gewesen. Nachdem du gegangen bist, war es auch schon vorbei.“
Kein Vorwurf, keine Beschwerde. „Ich musste gehen. Ich konnte es nicht mit ansehen. Es tut mir Leid.“
Sie nickte. „Ich weiß. Ich kann nicht lange bleiben, ich wollte dich nur wissen lassen, dass ich in Ordnung bin.“
„Danke!“ Ich war ihr wirklich Dankbar.
„Und natürlich treibt mich die Neugier her. Du wolltest mir gestern doch noch was über den Mann erzählen, der hier war. Er ist doch jetzt nicht hier oder?“
„Nein, ist er nicht. Wir sind allein.“
Sie sah mich erwartungsvoll an und ich schluckte. „Dieser Mann heißt Hugh und er hat einen speziellen Beruf. Er ist ein bezahlter Mörder.“
Stille.
„Ich weiß, wie sich das anhört, aber ich bin mir sicher, dass er uns helfen kann.“
Annabelle starrte mich an, als hätte ich plötzlich zwei Köpfe und ich konnte ihre entsetzen Gedanken fast hören, so sehr spiegelten sie sich in ihrem Gesicht wider. Doch dann verhärtete sich ihr Blick und ein Feuer begann in ihren Augen zu lodern.
*Fortsetzung folgt*
Aber ich habe noch ein kleines Beruhigungsbildchen für Euch: