Beiträge von Divya

Voltaire

Neue Schule, neues Glück. Emily öffnete den Kleiderschrank und tastete darin herum, als wollte sie das perfekte Outfit herausziehen.
Perfektheit war nicht Emilys Stärke. An ihrer alten Schule kam sie nicht an. Weder bei den Schülern, noch bei den Lehrern.
Aber nur weil es dort nicht so gut ging, nur weil Emily gemobbt wurde, musste das hier nicht anders werden.
Es konnte sich ändern. Es musste sich ändern!

Zögerlich holte Emily eine Jeans und ein langes Oberteil aus dem Schrank. Sie probierte es an und blickte auf die Uhr.
Eine halbe Stunde Zeit. Zu viel Zeit. Sie würde wieder Panik kriegen, Emily wusste es. Wagemutig blickte sie in den grossen Spiegel und betrachtete sich.
Sie hatte eine dicke Nase. Man hatte es ihr jedenfalls immer gesagt.

Es war wichtig, gut aufzutreten. Der erste Eindruck blieb lange erhalten. Leider.
Schliesslich holte Emily eine einfache Hose und eine gestreifte Jacke heraus. In Windeseile, ohne dass sie wusste, warum sie sich so pressierte, schlüpfte sie in die Sachen und sah wieder auf die Uhr.
Fünfundzwanzig Minuten. Viel zu viel. Nervös trippelte Emily mit dem Fuss auf und ab, als Mamas Stimme im Flur ertönte.
Sie erschien im Zimmer ihrer Tochter. „Du hast dich ja schon bereitgemacht!“ lächelte sie.
Vergeblich versuchte Kathrin die Stimmung zu entspannen. Sie wusste, dass Emily immer bereit war. Und das viel zu früh. „Du hast dich ja auch ganz nett angezogen…“
Emilys angespannte Muskeln erschlafften sich und sie begann sich langsam zu beruhigen. Mama fand, sie sähe nett aus. Mama sah aus, als wolle sie noch etwas hinzufügen.
„Aber Emily… du weißt ja, es ist Montag.“
Montag. Emily zuckte unmerklich zusammen. Sie hat immer versucht, sich den Tag aus dem Gedächtnis zu radieren, ihn einfach zu löschen. Immer umsonst. Montag. Chemotherapietag. (*)
Emily wusste was das hiess. Es war nicht Emilys neuer Schultag. Es war Montag.
"Kein Problem Mama. Es gilt sicher auch als uncool, mit seiner Mutter gesichtet zu werden." Die Wörter kamen aus Emilys Mund, ohne dass sie es bewusst darauf anlegte. Sie kamen einfach. Mamas Mundfältchen zuckten verdächtig.
"Ja dann... beeil dich." Ohne ein weiteres Wort ging Mama aus dem Zimmer. Emily schaute ihr nach.

Früher hatte sie sich immer gefragt, wo sie gehen würde, wenn Mama starb. Sie hatte wenig Verwandten. Es gab nur Sabine und Opa. Sabine war Emilys Oma, aber sie wollte nicht so genannt werden. "Dann fühle ich mich so alt!" lachte sie immer. Beide waren nett, aber als Ersatz für Mama würden sie wohl scheitern.

Und sonst gab es noch Jana. Tante Jana. Sie war knappe fünfundzwanzig und studierte Literatur.
Also – sie sollte studieren. Ihr jetziges Berufsleben fiel flach. Party machen, einkaufen, für die Party vorbereiten waren nur einige ihrer zahlreichen Hobbys.
Mama sagt immer, Jana erlebe eine „zweite Pubertät“ und schüttelte dabei den Kopf, als würde sie das verstehen. Hörte Jana dies mit, gab es einen Riesenradau.
Kathrin solle sich nicht in Sachen einmischen, die sie nichts angehen, sie seihe nicht Jana, Jana hätte es schwer und so weiter.
Aber Jana hatte Emily schon früher zu einem besseren Ruf verholfen. Vor ein paar Jahren.
Als sie 18 und Emily 7 war. Wenn sie mit ihrem nagelneuen, durch einem Wettbewerb gewonnenen Cabrio vor der Schule fuhr und es beinahe schrottete. Sie hatte keinen Führerschein, wurde aber nie erwischt. Als sie Emily einmal regelrecht schwänzen liess.
Es hat Eindruck auf andere gemacht.

„Ach Emily.“
Sie hatte gar nicht bemerkt, dass Mama wieder im Zimmer war. „Du schaffst das, ja? Alles wird gut, meine Kleine.“ Kathrin drückte ihre Tochter an sich und Emily kam es vor, als würde ihre Jacke an einer Stelle etwas nass. Sie achtete nicht weiter darauf.
„Das schaffst du schon.“ Mama flüsterte beinahe, als sie die Worte aussprach.
Ja. Emily würde es schaffen. Alles würde anders werden. Ganz bestimmt.

Kurz gesagt: Unter Chemotherapie versteht man die Behandlung gegen Krebs. Alles wichtige ist hier nachzulesen.