EDIT:
Meiner Meinung nach sind diese Spiele nur ein "gefundenes Fressen" für Politiker, die keinen anderen Grund für Amokläufe wissen wollen.
Schöne Worte. Sehr gut erkannt.
EDIT ENDE
[hier ein Artikel von mir, den ich zum Thema mal im Internet sowie in der Schülerzeitung des Viktor-Klemperer-Kollegs (www.abi-vkk.de) veröffentlicht habe]
Ein Wort vorweg – ich möchte hier weder so genannte „Killerspiele“ belobigen, noch will ich der Meinung aller anderen entsprechen. Ich möchte lediglich meine eigene dazu sagen.
„Killerspiele“ - vor Gewaltexzessen nur so strotzende, blutige Spiele, bei denen Körperteile durch die Gegend fliegen, halbtote Gegner noch zucken, bevor man ihnen den Gnadenschuss gibt und bei denen man noch merkt, was Granaten so alles können. Hinter jeder Ecke lauert ein Feind, den es sofort und unter Anwendung aller zur Verfügung stehender Mittel zu töten gilt.
Da! Der Nächste!
Da! Noch Einer!
Ja!
Töten!
Töten! Töten! Töten!!!
Ihr merkt schon, dass das ganze so einfach nicht ist. Um dieses heiß umstrittene Thema bearbeiten zu können, gehen wir mal systematisch ran:
Grob lassen sich unsere „Killerspiele“ in drei Kategorien einteilen – Action-Shooter, Turnierspiele und realistische bzw. Taktik-Shooter. Hie und da sind die Grenzen selbstverständlich fließend.
Bei den actionlastigen Spielen (z.B. Serious Sam, Blood, Chrome) geht es zumeist darum, eine möglichst große Gegnerschar mit möglichst effektiven Waffen möglichst spektakulär aus dem Weg zu räumen. Diese Shooter entbehren zumeist jeglichem Realismus, die Feinde sind meist Außerirdische oder Fantasiekreaturen oder beides und die Waffen frei erfunden.
Die Turnierspiele (z.B. Unreal Tournament, Quake, Hired Team Trial) zielen auf den sportlichen Wettkampf ab, man kämpft im Netzwerk oder im Internet allein oder im Team gegen andere menschliche Spieler und versucht, sich zu messen, herauszufinden, wer die ruhigere Hand und die bessere Reaktion hat. Nahezu jeder Ego-Shooter bietet eine solche Mehrspielerfunktion.
Realistische Ego-Shooter und sog. Taktik-Shooter (z.B. Ghost Recon, SWAT, Splinter Cell) lassen den Spieler recht eindrucksvoll realistische Kampfsituationen nachempfinden, die man sonst nur aus Filmen kennt; rumrennen und drauf los ballern führt hier grundsätzlich zum vorzeitigen „Game Over“, vorsichtiges Vorgehen ist gefragt.
Bei den wenigsten dieser Spiele steht das Töten im Vordergrund, abgesehen von den Turniervarianten, die allerdings als Sportspiele anzusehen sind. Meist dient das Töten einem größeren Zweck, z.B. um bestimmte Ziele zu erreichen wie Gebäude besetzen oder Geiseln befreien oder mal wieder die Welt zu retten. Gewalt als Selbstzweck war schon immer eine verschwindend kleine Nische in der Welt der Computerspiele.
Wir dürfen an dieser Stelle nicht vergessen, dass PC-Spiele uns, genau wie Literatur und Filme, das Eintauchen in Welten, die wir sonst nicht erleben könnten, ermöglichen. Die PC-Spiele tun es eben auf sehr greifbare Art, da sie audiovisuell funktionieren und der Spieler selbst direkten Einfluss auf die Handlung bzw. das Geschehen hat. Das heißt, es geht nicht vorrangig um das Töten der Feinde, sondern um das Erfahren bestimmter Situationen. Jeder, der gern Romane liest, weiß, wovon ich rede.
Natürlich gibt es Spiele, bei denen die Programmierer bezüglich ausübbarer Gewalt übertrieben haben, so etwa „Postal“ (vgl. engl. Wort Postal), in dem man, ähnlich wie Michael Douglas in „Falling Down“ in alltäglichen Situationen einfach ausrastet und beginnt, unschuldige Passanten zu quälen und zu töten, einfach aus Langeweile oder Frust. Diese Art von Spielen ist allerdings kaum ernst zu nehmen, da sie satirisch gemeint sind und man das während des Spiels auch mehrfach merkt. Schließlich behauptet auch niemand, „Braindead“ von Peter Jackson sei ein ernst zu nehmender und gefährlicher Film.
Wer das Gegenteil behauptet, hat den Film nicht verstanden. (Wir sehen an dieser Stelle mal davon ab, dass sowohl der Film als auch „Postal“ auf dem Index jugendgefährdender Medien stehen).
Die öffentliche Diskussion wird immer wieder dann angeheizt, wenn irgendwo auf der Welt wieder einmal ein Schüler den Waffenschrank seines Vaters plündert und beginnt, Menschen zu erschießen. Besorgte Eltern schreien auf, diese „Killerspiele“ würden unsere Kinder emotional abstumpfen und sie an Gewalt gewöhnen, die Hemmschwelle zur Anwendung von Gewalt würde immer weiter sinken. Und immer wieder schüren die Massenmedien das Feuer, in dem sie so genannte „Experten“ einladen, die ihre unqualifizierte, oberflächliche Meinung in die Kamera halten und die Öffentlichkeit glauben machen, nur sie als „Experten“ wüssten, was auf unserer Welt passiere. Und das sehr gern, ohne je selbst ein solches Spiel ernsthaft gespielt zu haben.
Bei der Theorie der Verrohung ergeben sich zwei Schwierigkeiten. Die erste ist die am leichtesten nachvollziehbare: Wenn dem tatsächlich so ist, müsste auch ich ein im Großen und Ganzen gewaltbereiter Mensch sein, da ich seit nunmehr zwölf Jahren PC-Zocker bin, einschließlich eines Großteils meines Bekanntenkreises, der ebenfalls Erfahrungen mit Killerspielen hat. Auf den großen LAN-Partys (z.B. in Flugzeughangars, bei denen 500 Zocker mit-, für- und gegeneinander antreten) werden sehr viele Ego-Shooter gespielt, es kam noch nie zu Gewaltexzessen und bisher ist auch niemand von denen zum Amokläufer geworden, so sehr man auch danach sucht.
Der zweite Grund, der gegen die Abstumpfungstheorie spricht, ist für die meisten Menschen schwerer zu verstehen: Gewalt ist per Natur ein zentraler Bestandteil unseren Lebens. Das hat entwicklungstechnische Gründe, der Mensch muss zur Gewalt fähig sein, um sein Überleben zu sichern. Dabei ist es, gerade heute, wo Gewalt zumeist keinen gesellschaftlichen Stellenwert haben soll (vgl. frühere Zeiten, in denen es anerkannt war, kampfstark zu sein), nötig, in Kontakt mit ihr zu treten, um zu erfahren, wozu Gewalt führen kann und wozu sie manchmal auch nötig sein kann. Verwehre ich einem Menschen diese Erfahrung, ist es nicht abzusehen, wie dieser Mensch reagiert, wenn er dann zum ersten Mal mit Gewalt konfrontiert wird.
Die PC-Spiele ermöglichen dem Menschen die Simulation von Gewalt. Er kann Gewalt erfahren und ausführen und die Ergebnisse sehen, ohne dass irgendjemandem tatsächlich geschadet wird.
Selbst Grimm's Märchen, die alles in allem ziemlich brutal sind (verbrannte Hexen, aufgeschlitzte Bäuche), werden Kleinkindern erzählt, und kaum ein Elternteil scheint sie in irgendeiner Form für gefährlich zu halten. Sind sie auch nicht, da sie dem Kind bereits im frühen Alter einen emotionalen Umgang mit Gewalt ermöglichen, was der Entwicklung des Kindes eher hilft als schadet.
Merke: Gewalt übt meist nur der aus, der selbst Gewalt erfährt. In den Fällen der Amokläufer ist die Gewalt, die sie ihr Leben über erfahren haben, geistiger Natur. Ausgestoßen sein, nicht anerkannt werden und ignoranter Leistungsdruck sind starke Formen psychischer Gewalt. Oder hat sich schon mal jemand gefragt, warum es fast ausschließlich Schüler sind, die Massenmorde begehen? Oder warum sie nur in Schulen um sich schießen und nicht im Supermarkt?
Die Antwort liegt doch auf der Hand: Diese jungen Menschen finden keinen Weg, mit der Gewalt, die sie tagtäglich erfahren, umzugehen, sie fühlen sich von der Welt und den Menschen um sie herum in die Ecke gedrängt oder im Stich gelassen, vielleicht sogar beides, am Ende sehen sie dann nur noch den einen Ausweg, die Sache zu beenden und diejenigen mit ins Grab zu nehmen, die sie für die Schuldigen halten.
Natürlich fand man bei all den jungen Amokläufern „Killerspiele“ im Schrank und ein Aufschrei ging durch die Medien. Aber hey, solche Spiele findet man in jedem Schrank eines männlichen Zockers und in mehr Schränken von Zockerinnen, als man annehmen mag. Und dabei sind Frauen doch diejenigen, die viel seltener zur Gewalt neigen, oder?
Ich will auch nicht erklären, warum Amokläufer Amok laufen. Ich will lediglich klarmachen, dass PC-Spiele, insbesondere „Killerspiele“, nichts damit zu tun haben.
(c) Michael Kawell