Oxana - Wege des Gewissens

  • Kapitel 48: Schwesterlicher Rat



    In der Nacht bekam ich kaum ein Auge zu. Erst gegen Morgen fiel ich in einen unruhigen Schlaf, der mir kaum Erholung brachte. Ich war immer noch genauso verwirrt, wie am gestrigen Tag. Ich brauchte jemanden, der mich führte und mir sagte, was ich tun sollte. Oder wenigstens jemanden, dem ich alles anvertrauen konnte. Doch in Sierra Simlone Stadt gab es niemanden, dem ich so sehr vertraute, um ihm zu offenbaren, was passiert war. Nicht einmal Roland. Aber es gab jemanden in SimCity, zu dem seit meiner Geburt ein unzertrennliches Band bestand. Ich nahm mein Handy und wählte die Nummer. "Joa, ich bin schwanger", begann ich das Gespräch mit meiner Zwillingsschwester.




    Joanna hört einfach nur zu, während ich ihr alles erzählte und unterbrach mich kein einziges Mal. "Und jetzt weiß ich nicht, was ich tun soll", endete ich mit meiner Geschichte. Joanna überlegte eine Weile, bis sie mir antwortete. "Hast du schon daran gedacht, das Baby...abtreiben zu lasse?" Dem Klang ihrer Stimme konnte ich anhören, dass ihr dieser Vorschlag nicht leicht fiel, aber er war ernst gemeint. Und tatsächlich hatte ich schon selbst daran gedacht. "Das kann ich nicht machen", antwortete ich schließlich. "Ich kann eine Sünde nicht durch eine zweite wieder wett machen. Ich habe gegen das 6. Gebot verstoßen. Soll ich etwa noch das 5. brechen. Nein, ich kann dieses unschuldige Baby nicht für meine Fehler büßen lassen." Ich spürte, dass Joanna das etwas anders sah, aber sie versuchte nicht weiter auf mich einzureden. Stattdessen sucht sie nach weiteren Lösungsmöglichkeiten. "Und du kannst es dem Vater des Kindes nicht sagen, diesem Albert? Vielleicht kann er dir zur Seite stehen."




    "Nein", erwiderte ich schwach. "Albert darf es nie erfahren. Ich könnte es nicht ertragen, wenn wegen mir seine Ehe auseinanderbricht. Das kann ich Gerda und seinen Kindern nicht antun. Du weiß doch selber, wie das ist, wenn man erfährt, dass der eigene Vater fremd gegangen ist. Ich wünschte, ich hätte das nie erfahren". Ich musste tief Schlucken, da die Erinnerungen aus meiner Kindheit mich härter trafen als erwartet. Aber Joanna verstand mich nur zu gut. "Die Leute werden anfangen zu reden, Oxana", erinnerte sie mich an eine Tatsache, die mir selbst schmerzlich bewusst war. Gerade in einer Kleinstadt wie Sierra Simlone Stadt redeten die Leute viel, das hatte ich schon zu genüge erfahren müssen. "Du hast also zwei Möglichkeiten, Schwesterherz. Du kannst von dort weggehen, wo auch immer du bist und noch einmal von vorne Anfangen. Du könntest zurück nach Hause kommen". Ich hörte heraus, wie sehr sie sich wünschte, dass ich genau dies tat, doch ihr war ebenso wie mir klar, dass ich das nicht könnte. Dad würde mir nie verzeihen und ich ihm genauso wenig. Also blieb mir nur ihr zweiter Vorschlag.







    Als ich mein Haus verließ, war ich noch wild entschlossen. Doch mit jedem Schritt, der mich näher an das türkis verklinkerte Haus auf der gegenüberliegenden Straßenseite brachte, wurde ich unsicherer. Vielleicht wäre ich sogar wieder umgekehrt, wenn Dominik mich nicht durch die Glastür hindurch bemerkt hätte und sie öffnete. "Brodlowska? Du hier?" Er wirkte tatsächlich überrascht, mich zu sehen, allerdings auf seine typische schelmische Art. Nervös ballte ich meine Fäuste zusammen und hohle tief Luft. Jetzt gab es kein Zurück mehr.




    "Bist du allein?", fragte ich und mein Herz raste. Dominik sah mich noch immer neugierig an. "Ja. Warum?". Doch eine Antwort erhielt er von mir nicht. Zumindest keine gesprochene. Stattdessen warf ich mich ihm und den Hals und begann ihn zu küssen. Dominik taumelte einige Schritte nach hinten, aber seine Hände hielten mich umklammert und zogen mich mit. Und auch wenn ihn meine Aktion sichtlich überrumpelt hatte, dauerte es nur den Bruchteil einer Sekunde, bis er realisierte, was gerade geschah und er meinen Kuss genau so intensiv erwiderte.




    Dominik wollte irgendetwas sagen, doch das ließ ich gar nicht erst zu und brachte ihn mit meinen Küssen zum Schweigen. Und dann griff ich sein Shirt und schob es hoch. Dominik verstand sofort, was ich wollte und zog es hastig über seinen Kopf und warf es achtlos auf den Boden nur um mich weiter küssen zu können. "Die Couch", flüsterte ich ihm ins Ohr und eng umschlungen stolperten wir in diese Richtung.




    Unterwegs riss er mir bereits mein Oberteil vom Körper und mit meinen Blicken gab ich ihm zu verstehen, dass ich ihn wollte. Hier und jetzt. Ich bremste das Tempo, küsste ihn jetzt langsamer, dafür aber umso inniger. Dann trat ich einen kleinen Schritt zurück und öffnete langsam den Reißverschluss meines Rockes. Er glitt an meinen Beinen hinunter zum Boden. Jetzt stand ich nur noch in Unterwäsche und meinen Stiefeln vor Dominik und ich konnte das Funkeln in seinen Augen sehen, als er seinen Blick über meinen Körper schweifen ließ. Ich lehnte mich vor und küsste ihn sanft. Dabei öffnete ich mit meinen Fingern den Knopf seiner Hose. Und während Dominik sich daraufhin seiner Schuhe und seines Beinkleides entledigte, stieg ich aus meinen Stiefeln und legte mich auf das Sofa. Und dann schliefen wir miteinander.




    Hinterher lagen wir auf dem Sofa. Dominik auf dem Rücken und ich lehnte mit meinen Kopf auf seiner Brust, die sich bei jedem seiner Atemzüge hob und wieder senkte. Er hielt mich noch immer fest umschlossen, als ob er befürchtete, dass ich jeden Moment aufstehen und verschwinden könnte. Wir lagen eine ganze Weile so, bis Dominik sich aufrichtete und mich auf seinen Schoß zog. Er wirkte so zufrieden, als er mich ansah und seine Nase verspielt an meine rieb. "Warum jetzt, Brodlowska?", fragte er schließlich. "Warum bist du ausgerechnet heute zu mir gekommen?" "Weil du unwiderstehlich bist, Nick. Das hast du doch selbst immer gesagt."







    An diesem Tag schlief ich noch mehrmals mit Dominik. Da wir bei ihm zu Hause nicht ungestört bleiben konnten, gingen wir schließlich rüber zu mir. Ich war froh, als Dominik endlich einschlief. Ich selbst konnte an Schlaf nicht einmal denken. Dazu fühlte ich mich viel zu dreckig. Ich hatte mit einem Mann geschlafen, den ich nicht liebte, den ich sogar nicht wirklich mochte. Und das aus purer Berechnung. Ja, ich war eine Hure. Aber es war immer noch besser eine Hure zu sein, als eine Ehe und eine Familie zu zerstören.




    Die Jungs staunten nicht schlecht, als ich am nächsten Abend Hand in Hand mit Dominik ins Esszimmer spaziert und ihn als meinen neuen Freund vorstellte. Tristan war natürlich sofort begeistert, dass ich wieder einen Freund hatte. Er hatte mir schon länger damit in den Ohren gelegen, dass der Männerwelt abzuschwören, ganz sicher kein richtiger Weg war, egal was man damit erreichen wollte.




    Rolands Begeisterung hielt sich dagegen stark in Grenzen. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass er genau wusste, dass etwas nicht stimmte. Aber wenn ich meinen Plan durchziehen wollte, dann wusste ich überzeugend sein. Niemand durfte auch nur ahnen, dass meine Gefühle für Dominik reine Show waren. Also warf ich Dominik den ganzen Abend verliebte Blicke zu, lächelte ihn an. Doch selbst als ich während des Essens ständig Dominiks Hand hielt und deshalb kaum zum Essen kam, blieb Rolands Blick skeptisch.




    Es fiel mir schwer, meine Freunde zu belügen. Doch ich tröstete mich mit dem Gedanken, dass ich sie mit dieser Lüge nicht verletzte. Anders sah das bei Dominik aus. Ich versuchte mir zwar einzureden, dass ich auch ihm nicht schadete. Immerhin hatte er mehr als einmal ganz offensichtlich sein Interesse an mir bekundet und jetzt hatte er mich. Das war doch genau das, was er wollte. Aber ich wusste, dass es ein Selbstbetrug war. Ich gab vor, ihn zu lieben, doch in Wirklichkeit nutze ich ihn aus. Allein die Tatsache, dass ein Kind in meinem Bauch heranwuchs, hielt mich davon ab, dieser ganzen Scharade sofort ein Ende zu setzen.


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  • Kapitel 49: Schwangerschaft




    Und langsam begann ich auch, die Schwangerschaft zu spüren. Wenn ich morgens aufstand überkam mich ein Übelkeitsgefühl, als ob ich gerade aus dem Elektrodancer gestiegen wäre. Glücklicherweise musste ich mich kein Mal wirklich übergeben.




    Ich traf mich regelmäßig mit Dominik. Im Grunde sahen wir uns jeden Tag und gingen auch oft gemeinsam aus. Dabei wurde mir klar, dass Dominik noch viel durchgeknallter war, als ich es mir hätte vorstellen können. Denn welcher 27 jährige Mann nimmt schon eine Packung Waschpulver mit, wenn er seine Freundin in einen Club ausführt?




    Er konnte sich gar nicht mehr einkriegen vor Lachen, als das Waschpulver im Springbrunnen zu schäumen begann und der Schaum langsam über den Rand des Brunnens quellte. Ich stand nur daneben und schüttelte fassungslos den Kopf, wobei ein klitzekleines Lächeln schon über meine Lippen huschte.







    Vier Wochen lang traf ich mich mit Dominik, ging mit ihm aus, gab vor, verliebt zu sein. Vier Wochen lang ließ ich ihn Nacht für Nacht bei mir schlafen...mit mir schlafen. Doch dann war es so weit, die nächste Phase meines Plans einzuleiten. Ausnahmsweise hatte Dominik nicht bei mir übernachtet. Also bereitete ich am Morgen ein Frühstück vor und lud ihn ein, sobald Roland und Tristan das Haus verlassen hatten. Ich zitterte vor Aufregung, als ich ihm die Tür öffnete, denn mir war klar, dass meine gesamte Zukunft vom Ausgang dieses Essens abhängen würde.




    Dominik setzte sich gegenüber von mir hin und begann zu essen. Er sprach nicht viel, aber das war nicht ungewöhnlich für ihn. Wenn er aß, dann aß er halt. Trotzdem warf er mir immer wieder einen verliebten Blick zu. Nur war ich sonst diejenige, die beim Essen redete, und dass ich heute schwieg, entging Dominik nicht. "Hey, Brodlowska, was ist denn los? Du bist ja heute stumm wie ein Fisch. Hab ich dir etwa dermaßen die Sprache verschlagen? Ich weiß, es liegt an meinem neuen Haarschnitt, stimmt’s. Ich sehe scharf damit aus." Er zog eine Augenbraue hoch und grinste mich breit an, doch dann wurde er ernster, als er merkte, dass ich nervös in meinem Omelett herumstocherte. Er griff nach meiner Gabel, legte sie zur Seite und nah meine nun frei Hand. "Rück schon damit raus, Brodlowska, was stimmt nicht?" Ich atmete tief durch und sah ihm dann direkt in die Augen. "Ich bin schwanger, Dominik. Wir bekommen ein Baby."




    Stille. Dominiks Gesichtszüge erstarrten und er ließ abrupt meine Hand los, die er eben noch gestreichelt hatte. Ich sah ihn an und konnte seinen Blick nicht deuten. War er einfach nur sprachlos? Oder war es Entsetzen, was ich dort in seinem Gesicht erblickte? Tausend Gedanken rasten durch meinen Kopf. Was, wenn er das Kind nicht haben wollte? Was wenn er mir nicht glauben würde, dass es von ihm sei? Was wenn er mich zur Abtreibung drängen würde? "Schwanger?", entfuhr es schließlich seinen Lippen. Ich nickte ängstlich.




    Als er langsam aufstand, rechnete ich mit allem, nur nicht damit, dass er zu mir herüberkam, mir die Hand reichte und mich aus dem Sessel hob. Ohne ein Wort zu sagen zog er mich zu sich herauf und drückte mich an sich. Ich wusste immer noch nicht, was das zu bedeuten hatte. War das ein Abschied? "Wir bekommen ein Baby", flüsterte er schließlich in mein Ohr und plötzlich begann er zu lachen. "Wir bekommen ein Baby, Brodlowska. Ich werde Vater!"




    Ab diesem Moment interessierte ihn nur noch mein Bauch. Mit seiner großen Hand strich er über meinen immer noch flachen Bauch. "Hallo kleiner Kerl", sprach er ihn dann sogar an. "Hier ist dein Papa." Ich musste lachen. Und es war ein Lachen der Erleichterung. Tränen schossen aus meinen Augen und dieser Gefühlsausbruch überwältigte mich total. Ich war so überrascht davon, wie froh ich darüber war, dass Dominik zu mir hielt. Und zu dem Baby. Zu seinem Baby, denn genau das würde es werden.


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    Als er die Tränen in meinen Augen sah, wischte er sie sofort mit seiner Daumen fort. "Hey, Brodlowska, kein Grund in Tränen auszubrechen. Ich werde schon gut für dich und den kleinen Wurm sorgen." Doch dadurch, dass er so lieb zu mir war, war mir noch mehr zum Heulen zumute. Und dass ich ihn belog, machte es nicht leichter. "Seit wann weißt du es?", fragte er mich, nachdem ich mich wieder einigermaßen gefasst hatte. "Seit gestern", log ich ihn an und schniefte. "Ich war gestern bei der Landschwester und sie hat es mir bestätigt. Ich bin jetzt fast in der vierten Woche, also muss es gleich am Anfang passiert sein." Dominik drückte mich und gab mir einen Kuss auf die Stirn. Und ich begann erneut zu weinen, denn schon wieder musste ich ihn anlügen. Ich war bereits in der sechsten Woche und er nicht der Vater des Kindes. Es war einfach nur furchtbar.







    Doch es gab kein Zurück mehr. Mit jeder Woche wurde mein Bauch runder und runder und bald war es nicht mehr zu übersehen, dass ich schwanger war. Irgendwann zog dann auch Dominik bei mir ein. Er freute sich so sehr auf das Kind und gerade das tat mir weh. Ich wollte ihn nicht anlügen, aber ich wusste sonst keinen Ausweg und jetzt war es zu spät, viel zu spät. Wenigstens konnte ich jetzt Dominiks körperliche Annährungsversuche zurückweisen und einfach die Schwangerschaft als Grund vorschieben. Nicht mehr mit ihm schlafen zu müssen, machte es mir leichter, allerdings nicht viel leichter.




    Glücklicherweise drängte Dominik mich auch zu nichts. Stattdessen steckte er seine Energie in den Ausbau des Hauses, denn ohne ein zusätzliches Kinderzimmer wäre es eng geworden. Er packte viel selbst mit an und so stand der Anbau in weniger als drei Wochen. Neben dem Kinderzimmer wurden auch Rolands Zimmer und ein zweites Bad in den neuen Hausteil untergebracht. Rolands altes Zimmer wurde dabei zu einer Leseecke mit Kamin umfunktioniert.




    Bei einer Ultraschaluntersuchung, für die ich extra bis nach Seda Azul in Rolands Klinik fahren musste, stellte sich heraus, dass ich ein Mädchen erwartete. Ich wollte es eigentlich gar nicht wissen, denn mit dem Geschlecht des Kindes, wurde die bevorstehende Geburt auf einmal noch viel realer. Als Dominik erfuhr, dass er eine Tochter bekommen würde, war er enttäuscht...aber nur für den Bruchteil einer Sekunde. "Einen zweiten so gutaussehenden Kerl wie mich würde die Welt ohnehin nicht verkraften", war sein Kommentar und dann machte er sich mit Tristan, der nur darauf gewartet hatte, dass Geschlecht des Kindes zu erfahren, daran, das Kinderzimmer einzurichten.




    Mich interessierte das Ganze nicht. Es war mir egal, ob das Baby ein Junge oder Mädchen wurde und es war mir auch egal, wie sein Zimmer eingerichtet wurde. Oft saß ich nachts allein im Garten und starte meinen Bauch an. Ich wartete darauf, dass mich endlich ein Gefühl der Liebe und Zuneigung für dieses Wesen übermannte, doch das einzige was ich spürte, war ein unstillbarer Hunger. Also wärmte ich mir drei Portionen Spaghetti vom Mittagessen auf und setzte mich damit wieder in die kühlere Nachtluft. "Hier steckst du also jede Nacht", stellte Dominik fest, als er aus der Dunkelheit zu mir an den Tisch kam. "Alles in Ordnung bei dir?", fragte er leicht besorgt, doch als ich nickte gab er sich damit zufrieden und verschwand wieder im Bett.




    Doch mir ging es gar nicht gut. Nur konnte ich mit ihm nicht darüber reden. Ich konnte mit niemandem darüber reden. Durch ihren Job als Flugbegleiterin war meine Schwester Joanna fast nie zu erreichen und über das Telefon konnte ich ohnehin nicht wirklich mit ihr reden. Ich konnte ihr aber auch nicht meinen Aufenthaltsort verraten. Noch nicht. So war es nicht verwunderlich, dass ich irgendwann einfach vor dem Haus zusammenklappte.




    So fand mich dann Dominik, hysterisch, halb lachend, halb weinend vor der Veranda im Dreck hockend. Er hob mich einfach hoch, und trug mich ins Bett und wachte so lange über mich, bis ich endlich eingeschlafen war. Am nächsten Morgen wollte ich diesen Vorfall einfach ignorieren und so tun, als ob nichts geschehen wäre, doch Dominik ließ das nicht zu. Für den Rest der Schwangerschaft übernahm er mit Roland die Arbeit, die auf dem Feld und bei den Rindern anfiel und verwöhnte mich auch sonst bei jeder Möglichkeit. Ich glaube, ich verbrauchte mehr Zeit mit Schaumbädern in der Wanne als jemals in meinem Leben zuvor. Doch die Schuld und Leere, die ich empfand, konnte das nicht lindern.


    PS: Da ich für einige Tage in den Urlaub entschwinde, gab es das Upadte diesmal früher als üblich. Das nächste Update folgt dann wie gewohnt wieder am 24./25. Juni :)

  • Kapitel 50: Kinga




    Als ich an diesem Morgen aufwachte, plagte mich allerdings nicht mein Gewissen, sondern Krämpfe in meinem Unterleib, die sich schon die ganze Nacht hinzogen. Ich richtete mich schwerfällig auch und sah, dass der Platz neben mir im Bett leer war. Ein Blick auf den Wecker sagte mir, dass es sechs Uhr morgens und Dominik sicher längst bei den Rindern war.




    Also stand ich auf und watschelte in die Küche, um mir einen Tee gegen die Krämpfe zu brühen. Die Sandwiches von gestern standen noch auf der Küchentheke und eine Horde Fliegen hatte sich bereits auf ihnen versammelt. Bevor eines dieser Biester noch in meinen Tee flog, wollte ich sie lieber wegräumen. Doch gerade als ich den Teller ergriff, durchfuhr mich ein so heftiger Schmerz, wie ich ihn noch nie erlebt hatte. Ich schrie auf und krümmte mich zusammen. Oh Gott, das sollte aufhören! Doch stattdessen folgte nur ein weiterer, noch schlimmerer Krampf.




    Das konnten doch noch nicht die Wehen sein! Dafür war es noch eine Woche zu früh! Doch dann spürte ich schon, wie das Fruchtwasser an meinen Beinen herunterfloss. Und wieder ein Krampf, der mich zu Boden gehen ließ und dann wurde alles schwarz.







    Als ich meine Augen wieder öffnete, war ich nicht mehr in der Simlane. Es dauerte eine Weile, bis ich realisierte, dass ich in einem Krankenhausbett lag. Die Tür ging auf und Roland betrat das Zimmer in seinem Arztkittel. "Du hast uns aber einen Schrecken eingejagt, Oxana". Verwirrt starrte ich ihn an. "Als Dominik vom Feld nach Hause kam, lagst du bewusstlos auf dem Boden. Er hat dich sofort ins Krankenhaus nach Seda Azul gefahren. Du kannst von Glück reden, dass er dich rechtzeitig gefunden hat sonst..." Instinktiv griff ich an meinen Bauch und stellte fest, dass er ganz flach war. Roland deutete meine Bewegung richtig. "Keine Angst, Oxana, mit der Kleinen ist alles in Ordnung."




    Und da trat auch schon Dominik mit einem Neugeborenen auf dem Arm an mein Krankenbett. "Guck mal, kleine Kinga, da ist deine Mama." Er strahlte über das ganze Gesicht, als er sich zu mir herunterbeugte und mir zum ersten Mal meine Tochter zeigte.




    Ich setzte mich auf die Bettkante und stand auf. Ich war zwar wacklig auf den Beinen, aber ich konnte mich halten. "Gib sie mir", flüsterte ich heiser zu Dominik und er legte mir vorsichtig das zerbrechliche Wesen in meinen Arm. Sie fühlte sich ganz warm und weich an und kniff immer wieder ihre müden Äugelein zusammen.




    Ich drückte sie vorsichtig an meine Brust und wartete. Wartet, dass die Muttergefühle mich endlich überwältigten. Doch es geschah nichts. Ich sah dieses Kind und sah die Sünde vor mir, die ich begangen hatte. Tränen liefen über mein Gesicht und ich drückte das Kind fester an mich, sodass es begann, sich leicht zu winden. Dominik lachte leise. "Hat die kleine Kinga die Mama etwa zu weinen gebracht?" Er legte seinen Arm um mich, küsste mich auf die Stirn und strich seiner Tochter behutsam über das kleine Köpfchen. Bei mir bewirkte dies allerdings nur, dass ich noch stärker weinen musste.







    Zwei Tage musste ich noch in der Klinik bleiben, doch dann durfte ich nach Hause. Doch wirklich freuen konnte ich mich darüber nicht. Ich sah Kinga an und wusste, dass sie meine Tochter war, dass ich sie lieben sollte. Doch da war nichts. Ich kümmerte mich um sie, zweifellos. Ich wechselte ihre dreckigen Windeln...




    ...und gab ihr das Fläschchen, wenn sie Hunger hatte. Ich konnte sie selbst nicht stillen und ganz insgeheim war ich froh darüber. Und dafür schämte ich mich. Ich schämte mich dafür, dass ich meine eigene Tochter nicht liebte.




    Insbesondere, wenn ich sah, wie liebevoll die anderen Menschen in meinem Umfeld mit meiner Tochter umgingen. Ich wünschte, ich könnte das auch. Ich wünschte mir es so sehr. Aber ich konnte einfach nicht. Ich hasste Kinga nicht, aber ich mochte sie nur so, wie man einen flauschiegen Pullover mag, nicht wie man eine Tochter lieben sollte.




    Bei Dominik sah das ganz anders aus. Er liebte dieses Kind abgöttisch. Und dabei war es nicht einmal sein eigenes. Aber das musste er niemals erfahren. Wenn ich ihn zusammen mit Kinga sah, wie er sie knuddelte, an ihrem Bäuchlein kitzelte und mit ihr Flugzeug spielte und die Kleine einfach nur glücklich gluckste, dann wusste ich, dass ich mir keinen besseren Ersatzvater für sie hätte suchen können. Nein, Kinga würde keine Kappe und auch keine Brodlowska sein. Sie würde eine Blech werden.




    Gleich nach der Geburt begann ich wieder mich selbst um die Farm zu kümmern. Roland und Dominik hatten das zwar ganz gut gemacht, aber irgendwie lenkte die Arbeit mich ab und ich war froh, eine Möglichkeit zu haben, Dominik und auch Kinga aus dem Weg zu gehen. Inzwischen war der Mais vom letzten Jahr bereits abgeerntet. Die Dürre hat zwar einen erheblichen Teil der Ernte beschädigt, aber immerhin konnten wir einen kleinen Gewinn damit erwirtschaften und zumindest die Saat für dieses Jahr zu kaufen. Und 18 meiner 20 Rinder waren trächtig und würden in Kürze kalben. Ja, zumindest die Farm lief gut.




    Neun Monate lang war es mir gelungen, Albert und Gerda so gut es ging aus dem Weg zu gehen. Doch Sierra Simlone Stadt war ein kleines Nest, in dem man unweigerlich aufeinander traf. Ich wollte nur einen Happen im alten Stadtkern Essen, bevor ich zurück auf die Weide fuhr, als Gerda mir aufgeregt zuwinkte. "Oxana! Oxana, hier sind wir!" Albert saß mit ihr an einem Tisch und beide warteten scheinbar auf ihre Bestellung. "Setz dich doch zu uns", bot sie mir an und ich konnte schwer ablehnen. "Du musst unbedingt mal wieder bei uns vorbeikommen, Oxana", plauderte sie drauf los. "Ich bin ja so gespannt auf die kleine Kinga. Und vielleicht kannst du dir ja ein paar alte Babysachen von mir abholen. Elvira wächst so schnell. Sie hat viele ihrer Sachen nicht mehr als zwei Mal getragen. Und..." Gerda plauderte immer weiter. Währenddessen las ich zum fünften Mal die Karte, die ich krampfhaft mit meinen Händen umschloss, nur um Albert nicht ansehen zu müssen.




    Ich war mir sicher, dass jeder in der Bar mir ansehen konnte, dass ich mit ihm geschlafen hatte. Und auch Gerda konnte ich nicht in die Augen sehen. Ich hatte mich ein paar Mal mit ihr sonntags nach dem Gottesdienst unterhalten und sie hatte auch mehrmals bei mir angerufen und sich wegen meiner Schwangerschaft erkundigt. Doch jetzt saß Albert direkt vor mir! Er sprach während des Essens kaum ein Wort, während ich versuchte, mich so unauffällig wie möglich zu geben und auf Gerdas Unterhaltung einzugehen. Immer wieder schweifte mein Blick zu ihm ab und ich musste mich an unsere gemeinsame Nacht erinnern. An das Gefühl, ihm ganz nah zu sein und ihn zu spüren. Und das ein oder andere Mal erwischte ich ihn dabei, wie auch er mich ansah, obwohl er seine Blicke unter der Hutkrempe verstecken wollte.




    Ich schlang das Brathähnchen mehr herunter, als dass ich es aß. Doch ich wollte schnell weg, denn ich ertrug es nicht, Gerda die gute Freundin vorzuspielen, während ich am liebsten an Ort und Stelle Albert um den Hals gefallen wäre. "Du musst aber ganz sicher vorbeikommen, Oxana", bat Gerda mich inständig, als ich aufstand. "Wenn ich Zeit habe, dann besuche ich euch sofort, Gerda. Aber zur Zeit ist einfach so viel los." Und schon wieder eine Lüge. Ich lächelte Gerda freundlich zu und verließ anschließend das Lokal.




    In dieser Nacht bekam ich kein Auge zu, weil meine Gedanken immer wieder zu Albert schweiften. Dominik lag neben mir und sein gleichmäßiges Atmen verriet mir, dass er fest schlief. Ich schlich in Kingas Zimmer. Die Kleine schlief nicht, sondern lag mit weit aufgerissenen Augen in ihrem Bettchen. Ich hob sie vorsichtig aus dem Kinderbett und sah sie genau an. Ich versuchte eine Ähnlichkeit zu Alber zu erkennen, doch da war nichts. Sie hatte graue Augen, wie ich und ihre Augenbrauen waren eindeutig braun. Und auch ihre Lippen und Nase erinnerten mich nur an mich. Ich erkannte nicht den geringsten Hinweis, dass sie Alberts Tochter sein könnte. Und seltsamerweise stimmte es mich traurig.







    Ich ertrug es nicht, ständig lügen zu müssen und dieses Geheimnis in meinem Herzen zu bewahren. Ich musste es einfach beichten. "Vater, ich habe gesündigt. Meine letzte Beichte liegt drei Wochen zurück. Doch meine Sünde ist schon viel älter. Ich habe mit einem verheirateten Mann geschlafen. Mit Albert Kappe. Meine Tochter Kinga ist seine Tochter, nicht die von Dominik. Ich habe so getan, als ob ich Dominik lieben würde und ihm das Kind eines anderen untergeschoben. Und Albert ahnt nicht einmal, dass er der Vater ist. Und jetzt lebe ich Tag für Tag mit dieser Sünde. Vater, vergib mir."




    Doch niemand hörte mich. Ich saß vollkommen allein in der Kappel des Klosters St. Ansbald. Als ich diese verließ, lief ich Pfarrer Erding in die Arme. "Guten Tag, Oxana", begrüßte er mich freundlich. "Wollten Sie etwa zur Beichte? Die Beichtgelegenheit beginnt erst in einer halben Stunde. Aber wenn Sie möchten, können wir auch jetzt miteinander reden." Ich schüttelte mit dem Kopf. "Nein, Pfarrer Erding, ich wollte nur ungestört in der Kapelle beten. Hier im Kloster ist es immer so friedlich." "Ich wünschte, es gebe noch mehr so gottesfürchtige junge Christen wie Sie, Oxana." Er lächelte mir zu und verschwand dann im Inneren der Kapelle. Ich blieb noch im Hof des Klosters und lauschte dem Plätschern des Brunnen. Dieses Geheimnis musste ich in meinen Inneren bewahren. Und es zu beichten hätte wenig Sinn gehabt, denn wenn ich noch einmal entscheiden müsste, ich würde nichts anders machen.


    Gedanken:
    Innerhalb etwa eines Jahres arbeitete sich Roland bis zum Klinikleiter in der Klinik von Seda Azul hoch. Es war zwar nur eine kleine Klinik, aber immerhin war der Job gut bezahlt. Da nimmt man es auch schon mal in Kauf, dass man über eine Stunde für eine Fahrt zur Arbeit braucht.
    Und auch Tristan war erfolgreich. Vom Postraum-Techniker arbeitete er sich schrittweise hoch. Und jetzt war er für drei Bohrtürme in der Umgebung von Sierra Simlone Stadt verantwortlich und es schien so, als ob er diese Beschäftigung mögen würde.


    Ich selbst wusste aber wirklich nicht, wie es weitergehen sollte. Ich lebe mit einem Mann zusammen, den ich nicht liebte. Es war nicht so, dass ich Dominik absolut nicht mögen würde, aber er war kein Mensch, dem ich mich anvertrauen oder bei dem ich Trost suchen würde. Im Laufe der Monate war schon so etwas wie Freundschaft zwischen uns entstanden, aber ich fühlte mich nach wie vor unwohl, wenn er mich berührte. Doch ich tat das alles für meine Tochter, für Gerda, für Albert und für seine vier Kinder. Ich hatte einen schrecklichen Fehler begangen und musste jetzt mit den Konsequenzen leben. Und wenn ich sah, wie glücklich Dominik und Kinga zusammen waren, wusste ich, dass es den Preis wert war, den ich zahlen musste. Dominik gab der Kleinen die Liebe, die sie von mir wahrscheinlich nicht erhalten hätte. Und trotzdem sehnte ich mich danach, auch jemanden lieben zu können. Doch der Mann, den ich wollte, war für mich unerreichbar.


  • @Seliii
    Vielen Dank für dein Lob.
    Kinga ist ein Name, der in Polen in den 70er sehr beliebt war. Auch heute werden noch viele Mädchen in Polen so genannt. Ich habe den namen in einer Fersehserie gehört und fand ihn sehr schön. Und da Oxana polnische Wurzeln hat, passt das auch sehr gut, wie ich finde.

  • Kapitel 51: Simtropolis calling




    Ein lautes Schreien riss mich aus meinen Träumen. Es dauerte einige Sekunden bis ich realisierte, dass ich in meinem Bett und nicht am Strand einer karibischen Insel lag und Kinga diesen ohrenbetäubenden Lärm von sich gab. "Wie spät ist es", fragte Dominik noch immer im Halbschlaf. Ich drehte mich zur Seite und schaute auf die grüne Digitalanzeige meines Weckers. "Es ist halb fünf." Dominik entfuhr ein tiefer Seufzer. "Kann dieses Kind denn nicht eine Nacht durchschlafen? In zwei Stunden hätte ich eh aufstehen müssen. Hätte sie nicht warten können?"




    Diese Woche war er dran mit dem nächtlichen Aufstehen und er wollte auch schon raus aus dem Bett, als ich ihn zurückhielt. "Bleib ruhig liegen, ich sehe schon nach unserer Tochter. Ich müsste ohnehin in einer halben Stunde aufstehen und raus auf die Weide fahren. Da lohnt es sich fast nicht mehr, noch einmal einzuschlafen." Und schon war ich unter den Federn hervorgekrochen und bereit mich um den Schreihals im Nebenzimmer zu kümmern. "Ich liebe dich, Oxana", murmelte Dominik und schlief sofort wieder ein.




    Bei seinen Worten verkrampften sich unweigerlich meine Finger, die die Bettdecke glattstrichen. Auch nach all den Monaten war es nicht einfacher geworden zu hören, dass er mich liebte. Kinga hörte sofort auf zu schreien, als ich an ihr Bettchen trat und sie heraushob. Ein markanter Geruch verriet mir sofort wo der Schuh drückte. Ich konnte nur hoffen, dass sie gleich noch einmal einschlief, wenn ich ihre Windeln gewechselt hatte. Zumindest bis zum Sonnenaufgang.




    Als ich einige Stunden später wieder von der Weide zurückkam, war Dominik schon auf der Arbeit. Ein Blick in Kingas Kinderzimmer verriet mir, dass die Kleine immer noch schlief. Roland hatte heute seinen freien Tag und passte auf sie auf, solange ich nicht da war, aber scheinbar war er heute nicht einmal nötig gewesen. Da ich endlich etwas Zeit für mich hatte, entledigte ich mich meiner Arbeitskleidung und sprang unter die Dusche. Als der Dreck abgewaschen war, setzte ich einen Kaffee auf und schnappte mir das Fotoalbum. Meine Großmutter wollte endlich neue Babyfotos von ihrer ersten Urenkelin sehen.




    Es war unglaublich, wie schnell Kinga groß geworden war. Erst vor wenigen Monaten war sie ein kleines hilfloses Würmchen gewesen, bei dem man Angst haben musste, dass sofort etwas abbrechen könnte, wenn man nur zu fest drückte.




    Und ihr erster Geburtstag war auch schon fast neun Monate her. Bald würde sie zwei werden. Ich nahm die zwei Fotos aus dem Album und steckte sie in einen Briefumschlag, in dem auch schon ein Brief an meine Großeltern lag. Ich schrieb ihnen fast jeden Monat, schickte den Brief dann aber ohne Absender los. Über Joanna erfuhr ich dann immer, wie es den beiden ging. Noch immer wusste niemand aus meiner Familie, wo ich eigentlich war und ich wollte, dass das auch so blieb. Ich wollte auf keinen Fall riskieren, dass eines Tages Dad vor meiner Tür stand und mein ganzes Leben erneut auf den Kopf stellte.




    Das Telefon riss mich aus meinen Gedanken. "Hier bei Blech, Brodlowska, Linse und Reichardt", meldete ich mich mit der inzwischen doch sehr lang gewordenen Ansage. Am anderen Ende der Leitung antwortete eine Frau: "Hier ist das Jugend- und Familienamt von Simtropolis. Wohnt ein gewisser Herr Roland Reichardt bei ihnen?"




    "Roland, Telefon für dich!", schrie ich durch die Esszimmertür in Richtung Rolands Zimmer. Roland kam auch sofort. "Schrei doch nicht so, sonst weckst du noch Kinga", tadelte er mich und ich zuckte erschrocken zusammen, weil ich gar nicht daran gedacht hatte. Aber scheinbar war ich noch einmal davongekommen, denn es blieb ruhig. "Irgendwer von Jugendamt aus Simtropolis", gab ich den Hörer weiter und zuckte mit den Schultern. "Roland Reichardt am Apparat, mit wem spreche ich?" Ich hörte gar nicht weiter zu, sondern ging in die Küche und bereitete ein paar Pfannkuchen zu. Ich hatte heute noch gar nichts gegessen.




    Roland war leichenblass, als er sich zu mir an den Tisch setzte. "Was ist denn passiert", murmelte ich erschrocken, noch mit der Gabel im Mund. Roland sah wirklich so aus, als ob er gerade einen Geist gesehen hätte. "Die Frau am Telefon hat gesagt, ich wäre Vater einer zweijährigen Tochter. Noch heute Nachmittag würde jemand aus Simtropolis mit dem Kind hier vorbeikommen."




    "Das ist doch wohl ein schlechter Scherz", platzte ich heraus. "Wenn du Vater wärst, dann wüsstest du das doch. Welche Frau würde denn dem Kindsvater so etwas Wichtiges vorenthalten?" Noch während ich sprach, wurde mir klar, was für einen Blödsinn ich da gerade von mir gab. Ich selbst war solch eine Frau. Und würde Albert jemals von seinem Kind erfahren, dann wäre er genauso fertig, wie Roland es gerad war. Glücklicherweise bemerkte Roland mein Stocken nicht. "Hast du denn eine Ahnung, wer die Mutter des Kindes sein könnte?", fragte ich vorsichtig nach.




    Roland zuckte hilflos mit den Schultern. "Rein theoretisch gebe es da schon die ein oder andere Frau, die in Frage käme". Rolands Antwort überraschte mich etwas. Ich hatte nie mitbekommen, dass es da irgendwelche Frauen gab. Außer bei einem Mal! Und ich sah in Rolands Augen, dass er an genau dieses eine Mal dachte. "Glaubst du etwa, "sie" ist es?". Roland seufzte schwer. "Ich hab mit ihr geschlafen. Und sie ist die einzige Frau in Simtropolis, die ich kenne."

  • Kapitel 52: Der Gnom




    Roland konnte kaum einen Moment ruhig sitzen bleiben. Ständig ging er von Zimmer zu Zimmer, setzte sich mal auf den einen, dann auf einen anderen Sessel, begann eine Zeitschrift zu lesen, nur um sie im nächsten Moment wieder beiseite zu legen. Und mit seiner Nervosität steckte er mich nur an, sodass ich mich genauso wie er verhielt und selbst keine ruhige Minute fand. Unsere Blicke wanderten immer wieder zur Straße und bei jedem vorbeifahrenden Auto sprang Roland auf, nur um zu beobachten, wie der Waagen einfach an unserem Haus vorbeifuhr. Die Minuten vergingen wie Stunden.
    Und dann geschah es doch. Ein hellblauer Kombi hielt an der Straße und eine Frau im schwarzen Kostüm und streng zusammengebundenen Haaren stieg aus dem Wagen. Und auf der Rückbank des Autos konnten wir beide ein kleines Kind erkennen.




    Roland stürmte sofort auf die Frau zu, die offenbar für das Jugendamt von Simtropolis arbeitete. "Sie sind dann wohl Herr Roland Reichardt?", begrüßte sie ihm kurzangebunden mit dem Kind auf dem Arm, das seinen Vater mit weit aufgerissenen Augen anstarrte. Roland nickte nur. "Dann ist das hier ihre Tochter Constance". Und damit legte sie das Kind in Roland Arme. "Die Polizei brachte uns das Kind vor wenigen Tagen, nach der Stürmung eines Bordells in Simtropolis. Die Mutter des Kindes scheint dort wohl angestellt gewesen zu sein." Bei diesen Worten musterte sie Roland abfällig. "Wie dem auch sei, von der Mutter fehlt jede Spur und in der Geburtsurkunde, die wir fanden, sind sie als Vater eingetragen. Für weitere Fragen wenden Sie sich bitte an das Jugendamt der Sierra Simlone." Und mit diesen Worten drehte sie sich um ging zu ihrem Wagen. Wortlos beobachtete Roland, wie es in der Ferne verschwand.




    Roland blieb wie angewurzelt im Garten stehen und regte sich kein bisschen. Besorgt ging ich auf ihn zu. Sein Blick schaute einfach nur ins Leere. Er schien nicht einmal zu bemerken, dass das Kind auf seinem Arm anfing zu schreien. "Roland, alles okay mit dir?", fragte ich vorsichtig nach. Eigentlich sah ich, dass dem nicht so war, aber ich wusste nicht, wie ich ihn sonst aus seiner Teilnahmslosigkeit reißen sollte.




    "Sie musste im Bordell arbeiten." Roland sprach so leise, dass ich ihn kaum verstehen konnte. "Kannst du dir das vorstellen? Wie weit unten muss Letizia gewesen sein, dass sie keinen anderen Ausweg sah? Ich hätte ihr doch geholfen! Aber ich wusste es nicht, Oxana. Ich wusste wirklich nichts von dem Kind." Ich dachte, Roland würde jeden Moment in Tränen ausbrechen. Ich konnte deutlich erkennen, welche Vorwürfe er sich gerade machte. Ich hatte Letizia nie gemocht, aber solch ein Schicksal wünschte ich nicht einmal ihr.




    Ich nahm ihm das kleine Mädchen ab und trug es ins Haus. Roland folgte mir, wobei er sich die ganze Zeit selbst Vorwürfe machte. Constanze hatte aufgehört zu weinen, ihre Augen waren aber so weit aufgerissen, dass ich jeden Moment mit einer weiteren Heulattacke rechnete. Ich konnte die Kleine natürlich verstehen. Sie war seit Tagen von ihrer Mutter getrennt und wurde sicherlich von einem Ort zum nächsten gebracht, ohne auch nur die Chance zu haben, sich an irgendwen zu gewöhnen. Glücklicherweise beruhigte Constanze sich schnell wieder und zeigte reges Interesse an einer von Kingas Puppen, die im Wohnzimmer herumlag und so hatten Roland und ich ein paar ruhige Minuten. "Ich bin Vater", sagte er ungläubig, als ob er erst jetzt zu realisieren begann. Danach schwiegen wir erneut und betrachteten das kleine Mädchen auf dem Boden, das die gleichen roten Augen und die gleiche seltsame aschgraue Haut aufwies, die wir nur all zugut kannten.




    Dominik war der Erste, der Rolands Tochter entdeckte. "Komm und verwöhn deinen Mann", forderte er mich grinsend auf, als er kurz vor Abend aus der Arbeit erschien. Doch dann sah er das Kleinkind auf dem Teppich sitzen, das aufgeregt mit der Puppe spielte. "Oh Gott, was ist denn das für ein hässlicher, glatzköpfiger Gnom?" Er konnte sich nicht einmal zurückhalten und begann laut zu lachen. Trotzdem beugte er sich zu der Kleinen herunter und lächelte sie an, woraufhin Constanze ihre Puppe zur Seite legte und den unbekannten Mann, mit ihren roten Augen anstarrte. "Oh, Mann, die Eltern dieses Kindes tun mir echt leid. So etwas Hässliches hab ich in meinem Leben noch nie gesehen. Wo hab ihr zwei bloß dieses Ding aufgetrieben?" Mein gesamtes Blut wich aus meinem Gesicht, als ich Dominiks Worte hörte und ich wünschte mir, auf der Stelle vom Sofa verschluckt zu werden. Stattdessen beobachtete ich entsetzt, wie sich Rolands Gesicht gefährlich rötete.




    Noch bevor ich reagieren konnte, erhob Roland sich und starte Dominik finster an. "Dieser 'hässliche Gnom' ist meine Tochter!" Seine Stimme bebte vor Zorn, doch irgendwie schien Dominik das zu entgehen. Oder es kümmerte ihn einfach nicht. "Ach, Reichardt, das hätte ich mir eigentlich denken können. Solch eine Grausamkeit der Natur kann nur mit dir verwandt sein." Dominik konnte sich kaum noch zurückhalten, um nicht in offenes Gelächter auszubrechen, doch der Anblick von Constance war einfach zu viel. "Ich will gar nicht erst wissen, wie die Mutter ausgesehen hat", prustete er los. "Du musst entweder blind oder total verzweifelt gewesen sein, wobei ich bei dir eher auf letzteres tippe."




    Das war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. "Wag es nicht, so über Letizia zu sprechen!", schrie er Dominik an. "Du eingebildeter Schnösel hast doch überhaupt keine Ahnung! Du kennst sie nicht einmal und beleidigst sie. Und selbst vor diesem kleinen unschuldigen Kind machst du keinen Halt. Ich verstehe nicht, was Oxana in dir sieht. Wahrscheinlich gar nichts! Du bist einfach nur ein arrogantes, oberflächliches *********, das seinen Schwanz nicht lang genug in der Hose behalten konnte und jetzt ist Oxana mit dir gestraft. Du widerst mich an!"




    Dass Dominik das nicht auf sich sitzen ließ, verstand sich von selbst. Schlagartig verstummte sein Lachen. "Endlich zeigst du dein wahres Gesicht, Reichardt. Ich hab seit dem ersten Tag nicht verstanden, was Oxana in DIR sieht! Du bist eine verweichlichte Memme, die uns ständig am Rockzipfel hängt. Und wenn du es nicht mal schaffst eine kleine, im Spaß gemeinte Stichelei zu ertragen, dann hast du noch weniger Grips in der Birne, als ich gedacht hatte. Leg dich nicht mit mir an Reichardt. Ich warne dich, leg dich nicht mit mir an!"




    Dominiks Hände ballten sich zu Fäusten und voller Panik sah ich, dass es Roland genauso erging. Jede Sekunde würden die beiden aufeinander losgehen. Ohne nachzudenken stellte ich mich zwischen sie und versuchte die Streithähne zu trennen, indem ich Dominik wegdrängte. "Dominik, bitte beruhig dich wieder", redete ich auf ihn ein und langsam entspannte er sich und wendete seinen Blick von Roland ab, der ihm immer noch trotzig gegenüberstand. Als sein zorniger Blick meinen traf, zuckte ich innerlich zusammen, so sehr erschreckte es mich. Denn in diesem Moment war es so, als ob Dad vor mir stehen würde. "Dominik, lass es jetzt gut sein, bitte", flehte ich weiter bis er schließlich kaum merkbar nickte.




    Ich legte meinen Arm um Dominik und führte ihn aus dem Wohnzimmer. Es war wohl das Beste, so viel Abstand zwischen die beiden zu bringen, wie es ging. Wir hatten den Raum fast schon verlassen, als ein leises "*********" aus Rolands Richtung zu hören war. Ich könnte spüren, wie Dominiks ganzer Körper sich versteifte. Er löste sich von mir und ich hatte einfach zu viel Angst vor seiner Reaktion um ihn aufzuhalten. Doch die anfängliche Wut war einem kalten Zorn gewichen. "Vergiss nicht, unter wessen Dach du lebst, Reichardt", drohte er ihm. Von Roland kam keine Reaktion.




    Daraufhin ließ Dominik sich ohne weiteren Widerstand ins Schlafzimmer führen. Roland blieb allein im Wohnzimmer und vor Wut begannen sich seine Augen mit Tränen zu füllen. Dann fiel im Constance wieder ein. Er dreht sich um und entdeckte die Kleine an genau der gleichen Stelle, an der sie zu Anfang des Streits gesessen hatte. Sie war noch immer in das Spiel mit der Puppe vertieft. Roland konnte nicht sagen, ob sie irgendetwas von dem Streit mitbekommen hatte, wobei er kaum glaubte, dass sie es nicht hatte. Wahrscheinlich hatte die Kleine früh gelernt, sich bei genau solchen Situationen in ihre eigene Welt zurückzuziehen. Aber was bleibt einem Kind auch übrig, wenn es im Bordell aufwuchst. Doch jetzt würde sich alles ändern. Er wischte sich die Tränen aus den Augen. Dominik war egal, jetzt zählte nur noch seine Tochter.

  • Kapitel 53: Vater, Mutter, Kind?




    Den Rest des Tages sprach Dominik kein Wort mehr. Er setzte sich einfach stumm vor den PC und schrieb an irgendwelchen Berichten für die Arbeit. Erst spät in der Nacht bemerkte ich, wie er zu mir ins Bett kam und er schlief lange Zeit nicht ein. Doch am nächsten Morgen fing er mich ab, noch bevor ich ins Badezimmer konnte, um mich für den Tag fertig zu machen. Sanft nahm er meine Hände. "Ich wollte mich für gestern entschuldigen. Ich hätte nicht so ausrasten dürfen. Ich hab gemerkt, wie erschrocken du warst, mich so zu sehen und das tut mir leid, Brodlowska. Ich wollte dir keine Angst machen". Ich wusste, dass er es ernst meinte. "Du solltest dich auch bei Roland entschuldigen", fügte ich leicht unsicher hinzu, da ich befürchtete, damit unsere Versöhnung wieder zunichte zu machen. Doch Dominik nickte zustimmend.




    Plötzlich hörten wir ein Geräusch, das immer lauter zu werden schien. Schließlich war es so laut, dass Dominik und ich uns kaum noch verstehen konnten. Verwirrt traten wir in die Wüste hinaus und entdeckten Tristan, der mit einem Aktenkoffer bewaffnet am Straßenrand stand und sich mit einer Hand das Ohr zudrückte. Mit zugehaltenen Ohren gingen wir eilig auf ihn zu und ein Blick in den Himmel offenbarte uns den Grund für diesen ohrendbetäubenden Lärm. Ein Helikopter war gerade dabei vor unserem Haus zu landen!




    Tristan blickte uns hilflos an. "Als die von der Ölfirma sagten, dass ich mit dem Hubschrauber nach SimVegas geflogen werde, habe ich eigentlich angenommen, dass ich vom Firmensitz abgeholt werde. Ich hatte ja keine Ahnung, dass die direkt vor der Haustür landen". Er musste schreien, damit wir auch nur ansatzweise verstanden, was er sagen wollte. "Ich bin dann in zwei Tagen wieder zurück", brüllte er zum Abschied und stieg in das Lärm erzeugende Ungetüm. Kaum war die Tür eingerastet, hob der Helikopter auch schon langsam vom Boden ab.




    Der Wind der von den Rotoren erzeugt wurde, wirbelte den ganzen Sand und Staub auf, sodass ich kaum noch atmen konnte. Doch das Fluggerät gewann schnell an Höhe. Ein wenig beneidete ich Tristan, denn aus dem Hubschrauber musste man eine tolle Aussicht über unser Haus und Sierra Simlone Stadt gehabt haben. Vielleicht konnte er ja demnächst einen Rundflug für uns organisieren?




    Doch kaum war der Lärm des Hubschraubers verflogen, erwartete uns der Nächste. Kinga und Constance waren beide von den Geräuschen des Helikopters wach geworden und verständlicherweise verschreckt. Schließlich erlebte man so etwas nicht alle Tage. Dominik nahm Kinga in den Arm, was die Kleine auch sofort beruhigte. Aber so war es immer. Sie musste Dominik nur sehen und schon strahlte sie über das ganze Gesicht.




    Ich kümmerte mich derweil um Constance. Roland war früh am Morgen schon losgefahren, um die benötigten Sachen für seine unerwartete Tochter zu besorgen. Doch Constance ließ sich nicht so leicht beruhigen wie Kinga. Sie schrie wie am Spieß und als ich an ihr Bettchen trat, wich sie verängstigt zurück. Ich fühlte mich ratlos.




    Doch als ich sie schließlich im Arm hatte, beruhigte sie sich ein wenig. Ein Blick auf die Windel verriet mir dann auch, dass diese dringend gewechselt werden musste. Doch auch diese Prozedur gefiel Constance überhaupt nicht. Während ich sie sauber machte und puderte sah sich mich an, als ob ich ihr das schlimmste Leid auf der Welt zufügen würde. Aber immerhin weinte sie nicht mehr.




    Erst als Roland von seinem Einkauf zurückkehrte, schien Constanze sich zu entspannen. Es war fast so, als ob sie spüren könnte, dass dieser Mann mehr war, als nur noch ein weiterer Fremder. Auch ihm gegenüber verhielt sie sich zurückhaltend, aber in Gegenwart von Roland schien sie sich sicher zu fühlen. Als ich sie in seine Arme legte, wirkten ihre kleinen roten Augen plötzlich nicht mehr ganz so verängstigt und traurig.







    Als die Sonne hinter dem staubigen Horizont verschwand, schloss auch Constance ihre müden Äugelein. Ebenfalls erschöpft schlurfte Roland zur Sitzecke und ließ sich seufzend in einen der bequemen Sessel fallen. Ich ließ den Abwasch einfach liegen und gesellte mich zu ihm. Ich hatte das Gefühl, dass er jetzt jemanden zum Reden brauchte. "Ich kann das noch immer nicht richtig begreifen", begann er nach einem kurzen Moment der Stille. "Bis gestern wusste ich noch nichts von meiner Tochter und jetzt schläft sie schon im Zimmer nebenan. Warum hat Letizia bloß nichts gesagt?" Er sah mich fragend an. Ich holte Luft, um zu einer Antwort anzusetzen, aber mir fiel einfach nichts Passendes ein. Denn ich hatte selbst keine Ahnung, warum sie Roland nichts von ihrem gemeinsamen Kind gesagt hatte. Sie wird ihre Gründe gehabt haben. Gerade ich wusste, dass es manchmal einfach nötig war, solche Dinge für sich zu behalten. Doch diese Einsicht hätte Roland nicht weiter geholfen und ich glaubte kaum, dass er es verstanden hätte.




    "Du darfst dir keine Vorwürfe machen, Roland. Letizia hat sich für den Weg entschieden, der ihr der Richtige erschien. Du kannst nicht ändern, was passiert ist. Was zählt ist, dass du jetzt für deine Tochter da bist. Und das wirst du, das weiß ich. Du...du warst immer für mich da, wenn ich dich gebraucht habe. Und wenn du auf eine wandelnde Katastrophe wie mich aufpassen kannst, dann wirst du die Erziehung von Constance mit Links schaffen." Roland begann zu lächeln. Und zum ersten Mal an diesem Tag war sein Lächeln nicht von tiefem Kummer getrübt. "Und du bist nicht allein, Roland. Tristan, ich und auch Dominik werden dich immer unterstützen, das weißt du doch."




    "Was Dominik angeht, bin ich mir nicht so sicher". Sein Gesichtsausdruck verfinsterte sich schlagartig wieder. "Dein Mann hat ja heute Morgen sehr deutlich gemacht, was er von mir hält", schnaubte Roland verächtlich. Er wendete seinen Blick von mir ab und starte wütend ins Leere. "Er ist nicht mein Mann", erwiderte ich hastig. "Und was er heute Morgen gesagt, hat, hätte er wirklich nicht sagen dürfen. Dafür entschuldige ich mich bei dir. Aber du kennst ihn doch. Er zieht die Leute gerne auf. Das darfst du nicht so ernst nehmen."




    "Hey, Oxana, zerbrech dir darüber nicht den Kopf". Ich muss ihn so flehend angeblickt haben, dass Roland nicht anders könnte als meine Entschuldigung anzunehmen und mich fest zu drücken. Erst jetzt merkte ich, dass meine Augen wirklich ganz feucht waren. Der Streit zwischen Dominik und Roland hatte mich doch stärker getroffen, als ich gedacht hatte. Und jetzt musste Roland mich trösten. Dabei war er doch derjenige, der jetzt wirklich Unterstützung brauchte. "Ich weiß doch, dass ich immer auf dich und Tristan zählen kann. Und Dominik...Kinder scheint er ja zu mögen, also wird das auch irgendwie gehen. Und außerdem habe ich ja noch Brandi. Mit ihr an meiner Seite mache ich mir keine Sorgen."





    "Und wann hattest du vor mir davon zu erzählen! Etwa wenn ich selber schwanger wäre und keine Chance mehr hätte zu entkommen?!" Brandis aufgebrachte Stimme schrillte durch das ganze Haus. Ich wollte ganz sicher nicht lauschen, aber bei dieser Lautstärke blieb mir gar nichts anderes übrig. Das Gespräch zwischen Roland und Brandi verlief eindeutig nicht so, wie er es sich erhofft hatte. Er hatte seine Freundin eingeladen und ihr das Kind gezeigt und zunächst schien sie es auch noch ganz niedlich zu finden. Ungewöhnlich, aber niedlich. Bis sie schließlich erfahren hatte, dass dieses ungewöhnliche Kind die Tochter ihres Freundes war.




    "Beruhigen? Ich will mich nicht beruhigen, Roland", schmetterte sie seine Versuche ab, sie wieder zur Besinnung zu bringen. "Und erzähl mir nicht noch einmal diesen Scheiß von wegen, du hättest nichts davon gewusst! Das glaube ich dir einfach nicht!" Roland wusste einfach nicht, was er ihr noch sagen sollte. Er hat es ihr immer und immer wieder erklärt, doch Brandi wollte einfach nicht hören. "Hast du etwa gedacht, du zeigst mir die Kleine und dann spielen wie Vater, Mutter, Kind?", schrie Brandi in weiterhin an. "Aber da hast du dir die Falsche ausgesucht. Mit mir kannst du so etwas nicht machen. Du mieses *****!"




    Bei den letzten Worten veränderte sich der Klang ihrer Stimme. "Mit mir nicht!", schluchzte sie und rannte an ihm vorbei zur Tür. Kurz bevor sie rausging drehte sie sich noch einmal um und begann hysterisch zu lachen. "Und ich blöde Kuh hab geglaubt, dass du mich wirklich liebst. Wie konnte ich nur so blöd sein?" "Brandi, ich liebe dich doch", startete Roland einen letzten verzweifelten Versuch, doch sie winkte bloß ab. "Ich bin gerade 21! Wie kannst du da erwarten, dass ich Ersatzmama für das Kind von irgendeiner deiner Frauen spiele?" In diesem Moment löste sie sich komplett in Tränen auf. Ich versuchte bloß keine Aufmerksamkeit auf mich zu lenken. Vielleicht würde ich dann unsichtbar werden und dieser höchst unangenehmen Situation entkommen können. Doch natürlich passierte nichts in der Art und ich musste diesen unschönen Moment hautnah mitverfolgen. "Ich will dich nie wiedersehen!", brüllte Brandie ihn an, bevor sie die Tür hinter sich zuknallte. Dann wurde es ganz still im Raum.




    Roland starrte eine Zeitlang wortlos auf die Tür. Dann sah er betrübt zu mir herüber. "Was soll ich denn jetzt machen?", fragte er hilflos. "Ich will Brandi nicht verlieren." Er war den Tränen nahe. Ich versuchte aufmunternd zu lächeln, aber eine Antwort hatte ich nicht. Vielleicht würde Brandi sich wieder beruhigen? Allerdings hatte sie so enttäuscht geklungen, dass ich nicht unbedingt darauf bauen würde. "Ich...ich möchte einen Moment alleine sein", sagte er schließlich. "Kannst du bitte so lange auf Constance achtgeben?"


  • Kapitel 54: Dad




    Natürlich konnte ich das. Wozu hat man sonst gute Freunde. Und auf eine seltsame Weise verzauberte mich dieses Kind. Obwohl sie sich wehrte, wenn ich sie auf den Arm nehmen wollte, obwohl sie nie lächelte, wenn ich sie ansah, konnte ich nicht anders, als dieses kleine Wesen zu lieben. Das Gefühl, das ich bei Kinga bis heute vermisste, überkam mich bei Constance in dem Moment, als ich sie zum ersten Mal im Arm hielt. Und dieses Gefühl war so überwältigend, dass ich es kaum beschreiben konnte.




    In den nachfolgenden Tagen verbrachte ich viel Zeit damit, auf die Kinder aufzupassen. Es machte mir Spaß, mich einfach zu den Kleinen auf den Boden zu setzen und sie beim Spielen zu beobachten. Besonders Constance faszinierte mich. Ich konnte mich daran kaum satt sehen, wenn sie das Wackelkaninchen in ihre unbeholfenen Hände nahm und an den Ohren herumriss. Sobald Constance ein Spielzeug in die Hände hielt, versank sie in eine Phantasiewelt, die nur sie kannte und wenn man genau hinschaute, konnte man die Andeutung, aber nur die Andeutung, eines Lachens erkennen.




    Ich hoffte, dass sich diese Gefühle, die ich für Constanze empfand, auch auf Kinga übertragen würden. Doch das taten sie nicht. Kinga war für mich nach wie vor wie das Kind einer Fremden. Ich wollte sie lieben. Ich wollte es so sehr, doch ich konnte einfach nicht. Zumindest nicht so stark, wie ich sie hätte lieben müssen. Wenn sie schlief, ging ich an ihr Bettchen und streichelte ihr sanft über den Kopf. Und leise betete ich zur Heiligen Mutter, dass ich meiner Tochter endlich die Liebe schenken konnte, die sie verdiente. Denn ich verfügte über diese Liebe. Die wenigen Tage mit Constance haben mir das deutlich gezeigt und umso schwerer wog meine Schuld Kinga gegenüber.




    Und umso erleichterter war ich, dass meine Kleine ihren "Dada" hatte. Wenn Dominik nachmittags von der Arbeit kam, begrüßte er als erstes seine kleine Prinzessin. Und jedes Mal freute sie sich wie eine Schneekönigin. Och, ich hatte riesige Zweifel, ob meine Entscheidung richtig gewesen war, Dominik meine Liebe vorzutäuschen und ihm das Kind eines anderen unterzuschieben. Aber wenn ich ihn zusammen mit Kinga sah, dann wusste ich, dass ich mir für sie keinen besseren Vater hätte aussuchen können. Gemeinsam mit ihm lernte Kinga das Töpfchen zu benutzen.




    Und gemeinsam mit ihm machte sie ihre ersten wackligen Schritte auf zwei Beinen. Wenn "Dada" bei ihr war, dann schien alles zu funktionieren, selbst die Dinge, die ihr alleine noch völlig unmöglich schienen. So glücklich wie mit Kinga, hatte ich Dominik nur selten erlebt und genau dieser Anblick nahm mir ein wenig von der Schuld, die auf meiner Seele lastete.




    Und dann schlichen sich Gedanken in meinen Kopf, wie schön es doch wäre, wenn alles nicht bloß eine große Lüge wäre. Wenn er tatsächlich Kingas Vater wäre, wenn ich nicht nur so tun würde, als ob ich ihn liebe, sondern es auch tatsächlich täte, wenn ich endlich meine Tochter so lieben könnte, wie sie es verdiente. Wenn ich die beiden zusammen sah, war es mir fast unbegreiflich, warum ich es nicht tat. Doch mein Herz hörte nicht darauf, was das Beste wäre. Es schlug nun mal nur für einen Mann. Nur für Albert.







    Die Wochen vergingen und Constance lebte sich gut bei uns ein. Ihr Bettchen haben wir einfach in Kingas Zimmer hinzu gestellt. Das entpuppte sich teilweise als etwas unklug, da so beide Kinder sich gegenseitig weckten, aber das war nun mal die einfachste und kostengünstigste Lösung.
    Roland versuchte immer wieder, bei Brandi anzurufen und sie um Verzeihung zu bitten. Doch sie ließ nicht mit sich reden. Meistens legte sie direkt auf oder hob erst gar nicht ab. Roland tat mir wirklich leid. Ich hatte immer noch die Hoffnung, dass Brandi sich mit ihm aussprechen würde, wenn erst einmal etwas Zeit vergangen war. Aber für Roland war diese Situation unerträglich. Langsam begriff ich, wie Benny sich gefühlt haben musste, als ich ihn damals scheinbar ohne Grund verlassen hatte. Mir war nie bewusst gewesen, wie sehr ich ihn dadurch verletzt hatte.




    "Ich sollte mich bei Gelegenheit wirklich bei Benny entschuldigen", murmelte ich vor mir her als ich das Haus verließ um mit dem Kleintransporter raus zur Herde zu fahren. Roland hatte gerade wieder einmal ohne Ergebnis versucht, Brandi zu erreichen. Plötzlich klingelte mein Handy. Ich strahlte über das ganze Gesicht, als ich den Namen meiner Schwester im Display sah. Wir hatten schon lange nicht mehr miteinander telefoniert. "Hi, Jojo. Na, wie geht’s den meiner Lieblings-Zwillingsschwester?", rief ich fröhlich in den Hörer.




    "Bitte leg nicht auf." Beim Klang dieser Stimme erstarrte ich zu einer Salzsäule. "Oxana? Bist du noch dran?". Ich weiß nicht, wie lange ich schon reglos dastand, aber es kam mir wie eine Ewigkeit vor. Was sollte ich bloß tun? Auflegen? Anfangen loszuschreien? Weinen? Ich wusste es nicht. Auf diesen Moment war ich einfach nicht vorbereitet. Langsam wich der Schock und meine Muskeln entspannten sich wieder. Ich schluckte tief und begann dann zu sprechen. "Ja, ich bin noch dran." Meine Stimme war vollkommen heiser. "Was willst du, Dad?"




    "Ich will nur mit dir sprechen, Oxana. Sonst nichts." Das war schwer zu glauben. Als wir uns das letzte Mal begegnet sind, hatte er mich angeschrien und mich von der Beerdigung meines Vaters vertrieben. Und jetzt wollte er nur sprechen? Nach all der Zeit? "Ich habe gehört, dass ich Großvater geworden bin. Tu nicht so überrascht", warf er ein, als er meine heftiges Atmen hörte. "Stasia konnte es nicht für sich behalten, sei deiner Großmutter nicht böse. Aber deswegen rufe ich nicht an, Oxana. Ich habe Fehler gemacht. Ich...ich würde dich gerne sehen. Bitte, gib mir diese Chance...auch wenn ich sie vielleicht nicht verdient habe."




    Ich war sprachlos. Anders konnte man es nicht beschreiben. Im Grunde hatten wir seit viereinhalb Jahren kein Wort mehr miteinander gewechselt und plötzlich rief Dad mich an um...um sich zu entschuldigen? Ich verstand die Welt nicht mehr. "Ich werde am Samstag in Simtropolis sein. Ich werde gegen Mittag im Café Simnational warten. Ich...ich hoffe, dass du kommen wirst". Dann legte er auf, ohne auch nur meine Antwort abzuwarten. Vielleicht war es auch besser so, denn ich hätte nicht gewusst, wie ich reagieren sollte.




    Immer noch verwirrt stolperte ich zurück ins Haus und lief Dominik genau in die Arme. "Brodlowska, was ist los? Du siehst aus, als ob du einen Geist gesehen hättest." Seine Stimme klang merklich besorgt. Anscheinend sah ich tatsächlich mitgenommen aus. Er nahm vorsichtig meine Hand und streichelte sie. "Mein...mein Dad hat mich gerade angerufen. Er will mich sehen", erklärte ich benommen. Dominiks Griff wurde fester und er sah mir tief in die Augen. "Dann solltest du sein Angebot annehmen, Brodlowska. Und wenn du es nicht für ihn tun willst, dann tue es für dich. Du weißt, dass du sonst nie mit der Vergangenheit abschließen kannst."




    Dominik hatte Recht, das wusste ich. Trotzdem kostete es mich viel Überwindung ins Auto zu steigen und nach Simtropolis zu fahren. Bereits als ich aus dem Wagen stieg, begann ich zu zittern. Das lag sicherlich nicht nur an dem kühlen Wetter, das, im Gegensatz zur heißen Sierra Simlone, in dieser Gegend der SimNation herrschte. Ich hatte Angst. Ich hatte Angst Dad gegenüberzutreten, weil ich nicht wusste, was mich erwarten würde. Hier in Simtropolis hatte meine Reise damals vor vier Jahren, nachdem Dad mich aus dem Haus geworfen hatte, angefangen. Diese Stadt war damals der einzige Anhaltspunkt gewesen, um meine Mutter zu finden. Und in eben dieser Stadt sollte es wieder zur Versöhnung kommen?




    Und dann sah ich ihn. Er saß alleine auf der Terrasse des Café Simnational. Die anderen Gäste tranken ihren Kaffee im Inneren des Lokals, was an diesem kühlen Herbstnachmittag verständlich war. Doch Dad saß draußen und schaute von Zeit zu Zeit ungeduldig auf die Uhr und blickte zur Straße. Rasch versteckte ich mich hinter der Ecke des Gebäudes, so dass er mich nicht sofort erkannte. Denn ich brauchte noch etwas Zeit zum Nachdenken. Ich wusste noch immer nicht, wie ich ihm gegenüber treten sollte. Es war einfach so viel zwischen uns vorgefallen.




    Ich war fast so weit, endlich Dad gegenüberzutreten, als plötzlich ein unbekannter Mann zu ihm herüber trat. Dad begann ihn zu mustern und scheinbar gefiel ihm, was er sah, denn er lächelte diesen Mann interessiert an. Sie begannen sich zu unterhalten, wobei ich kaum etwas verstehen konnte. Doch immer wieder konnte ich die beiden lachen hören.




    Und dann musste ich mit ansehen, wie sie sich gegenseitig anzügliche Blicke zuwarfen, immer wieder kurzen Köperkontakt herstellten. Bis Dad dann wieder auf die Uhr sah. Er schien sich bei dem anderen Typen zu entschuldigen, doch dann holte er einen Zettel raus und schrieb etwas darauf. Ich konnte nur vermuten, dass es seine Handynummer war, die er dem Typen dann in die Brusttasche seines Hemdes steckte. Dad sah dem Unbekannten noch eine Weile hinterher, als dieser das Café verließ und grinste vor sich hin. Dann setzte er sich wieder an den Tisch und beobachtete erneut die Straße.




    Die Szene, die ich gerade mitverfolgen musste, schockte mich zutiefst. Ich hatte nicht erwartet, dass Dad nach Paps Tod zum Eremiten werden würde. Aber ihn beim Flirten mit einem anderen Mann zu sehen, traf mich unvorbereitet. Und plötzlich kamen alle die Gefühle wieder hoch. Dieser tiefe Hass, den ich Dad gegenüber empfand. Lief es etwa so die ganzen zwanzig Jahre in denen er mit meinem Vater verheiratet war? Hatte er etwa in jeder Stadt, in die er kam, sofort den nächsten Liebhaber bereit gehabt?




    Ich wollte nur noch weg. Nein, Dad hatte es nicht verdient, dass ich ihm verzieh! Doch wenn ich einfach nicht zu unserem Treffen auftauchte, dann würde er sich wahrscheinlich wieder bei mir melden. Und das wollte ich erst recht nicht. Also rief ich ihn an. "Dad, ich werde es leider nicht schaffen", erklärte ich knapp. "Kinga ist krank geworden und ich kann jetzt unmöglich hier weg. Ich werde mich bei dir melden." "Ok", überraschenderweise klang Dads Stimme hörbar enttäusch. "Ich werde auf einen Anruf von dir warten, Oxana. Ich freue mich schon." Einen Moment zweifelte ich, ob ich das richtige tat. Doch als ich einen letzten Blick auf Dad warf, wusste ich, dass ich ihm einfach nicht verzeihen konnte.


  • Hallo!


    Ich wollte mich auch mal wieder melden. Mir gefällt wie die Story sich entwickelt, sie wird immer spannender. Immer komplexer.
    Find ich gut! ;)
    lg

    [SIZE=4]Für Shakespeare ist die Liebe eine Krankheit, die oft genug zum Tode führt. Je länger ich lebe, desto mehr bin ich geneigt ihm zu glauben... [/SIZE]

  • Kapitel 55: Ein perfekter Moment



    Ich meldete mich nicht bei Dad. Wochen vergingen und Dad versuchte kein einziges Mal, noch einmal Kontakt mit mir aufzunehmen. Scheinbar hatte er verstanden, dass ich ihm nichts zu sagen hatte. Die Mädchen wuchsen in dieser Zeit unheimlich schnell heran. Man konnte fast dabei zusehen, wie sie größer wurden und Tag für Tag neue Dinge lernten. Seitdem sie laufen konnten, folgten sie uns überall hin. Constance lachte immer noch nicht, sie suchte auch nicht die körperliche Nähe, wie Kinga es insbesondere bei Dominik tat. Aber trotzdem beobachtet sie immer aufmerksam, ob jemand von uns in der Nähe war. Nur dann konnte sie sich wirklich in ihr Spiel vertiefen. Das Verhältnis zwischen Dominik und Roland blieb weiterhin angespannt. Die beiden gingen sich zwar nicht mehr in die Haare, aber mehr als das Allernötigste sprachen sie auch nicht miteinander.




    "Ist unsere Kleine nicht ein wirklicher Engel?" Dominik war unbemerkt ins Kinderzimmer getreten und beobachtete mich dabei, wie ich Kinga ins Bettchen brachte. "Ja, das ist sie", musste ich ihm zustimmen. Kinga war wirklich eines der ruhigsten und liebsten Kinder, die ich jemals erlebt hatte. Inzwischen schlief sie problemlos die ganze Nacht durch und wenn man sie einmal alleine ließ, dann beschäftigte sie sich mit sich selbst. Selbst wenn Constance anfing zu schreien, blieb sie einfach ganz ruhig in ihrem Bettchen liegen.




    "Sie ist das Beste, was mir in meinem Leben passiert ist", erklärte Dominik stolz. "Du hast mich so glücklich gemacht, Brodlowska. Ich hätte das nie für möglich gehalten." Er legte seine Hände auf meine Schultern und küsste sanft meinen Nacken. Es war schön, diese Worte zu hören. Und trotzdem, ich wünschte, Albert würde jetzt hinter mir stehen und gemeinsam mit mir unser Kind betrachten. Es wäre so schön.




    Dominik drehte mich zu sich herum und sah mir tief in die Augen. Das schelmische Grinsen auf seinem Gesicht war einem ernsten Ausdruck gewichen, den ich sonst bei ihm nicht kannte. "Ich liebe unsere Tochter, Brodlowska. Und ich liebe dich. Gleich am ersten Tag als ich dich sah, wusste ich, dass du die einzige Frau für mich bist." Ich starrte ihn verwundert an, weil mich diese Worte überraschten. Ich hatte nicht gewusst, dass ich ihm so viel bedeutete. Das hatte ich wirklich nicht. Doch als er plötzlich auf die Knie sank, blieb mir fast die Luft weg. Ich wusste ganz genau, was jetzt folgen würde und ich war wie gelähmt.




    Dominik holte ein kleines dunkles Schmuckkästchen hervor und öffnete es langsam. Es war ein perfekter Moment. Der Schein des Vollmondes strahlte durch das Fenster des Kinderzimmers und ließ den Diamantring im inneren der Schatulle in funkelnden Glanz erstrahlen. "Oxana, ich will, dass die ganze Welt weiß, wie sehr ich dich liebe und wie glücklich du mich machst. Bitte werde meine Frau." Es war der perfekte Moment, es waren die perfekten Worte. Doch er war der falsche Mann. Ich sah den glänzenden Ring und ich sah Dominiks Augen, die vor Erwartung funkelten. Aber ich konnte ihn nicht heiraten. Ich liebte einen anderen. Aber wie sollte ich ihm das erklären? Wie konnte ich jetzt bloß "Nein" sagen, ohne dass mein Geheimnis unwiderruflich ans Tageslicht käme?

  • star of the Night
    Vielen Dank für deinen Kommentar! Die Geschichte wird in den kommenden Updates noch um einige weitere Handlungsstränge erwitert. Es freut mich zu hören, dass die Geschichte dir gut gefällt.

  • Kapiel 56: Die weise Nonne




    Ein Zucken an meinem Oberschenkel ließ mich aufschrecken und befreite mich aus meiner Erstarrung. Dem Vibrationsalarm meines Handys folgte sogleich der Klingelton. "Ich muss rangehen, die Kinder werden sonst wach", redete ich mich hastig heraus und holte das Handy aus meiner Tasche. Ich sah die Enttäuschung in Dominiks Gesicht, als er sich langsam wieder aufrichtete. Es war Joanna die anrief. Sie sprach so hastig, dass ich kaum etwas verstehen konnte. "Es tut mir leid", flüsterte ich Dominik entschuldigend zu, der das Schmuckkästchen in seinen Händen langsam schloss und richtete meine volle Aufmerksamkeit auf meine Schwester.




    "Noch einmal ganz langsam, Jojo. Ich kann dich kaum verstehen. Was ist passiert?" Meine Schwester schluchzte mehrmals heftig, bevor sie weitersprach. "Dad ist tot, Xana. Er ist tot." Sie brach komplett in Tränen aus und schluchzte bitterlich. In meinem Kopf begann sich alles zu drehen. "Wie?", hauchte ich benommen. "Er...er ist mit der Yacht rausgefahren." Joannas Stimme zitterte so sehr, dass ich Schwierigkeiten hatte, alles zu verstehen. "Dad hatte wieder einmal getrunken. Dann ist er hinüber zum Hafen. Er wusste, dass ein Sturm im Anmarsch war. Und trotzdem ist er rausgefahren. Die Küstenwache hat drei Tage nach ihm gesucht. Und heute haben sie die Trümmer des Botes gefunden. Etwa hundert Kilometer von Festland entfernt. Er hatte keine Chance."




    Ich stand da und wusste nicht, wie ich reagieren sollte. Ich hätte Joanna so gerne getröstet, doch ich wusste nicht wie. Ich...ich musste erst einmal selber damit fertig werden. Dad lebte nicht mehr? Und plötzlich spürte ich, wie sich in meinem Herzen ein tiefer Schmerz ausbreitete. "Oxana, ich glaube, er wollte sterben", flüsterte Joanna, nachdem sie sich wieder einigermaßen beruhigt hatte. "Warum sonst hätte er in den Sturm rausfahren sollen?" Ich schwieg. "Ich muss noch so viel Organisieren, Xana. Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Die...die Beerdigung muss geplant werde. Ich muss einen Bestatter anrufen und die Gäste einladen. Und die Blumen! Was für Blumen soll ich bloß bestellen?" Joanna wurde wieder hysterisch. "Du schaffst das schon, Jojo", versuchte ich sie aufzumuntern. "Du wirst doch kommen, Xana? Du wirst zu Dads Beerdigung komme?" Ich schluckte tief, denn die Antwort fiel mir nicht leicht. "Du solltest lieber nicht mit mir rechnen, Jojo. Verzeih mir."




    Was folgte, war ein gemeinsames Weinen mit meiner Schwester am Telefon. Erst nach zwei Stunden legte Joanna auf. Am Ende hatte sie akzeptiert, dass ich nicht zu Dads Beerdigung kommen würde. Aber ich wusste, dass sie es nicht verstand. Sie hatte Dad schon immer vergöttert und ihm alles verziehen. Ich konnte das nicht. Erschöpft legte ich mich ins Bett. Dominik schlief schon. Dann fiel mir der Antrag wieder ein. Ich schaute mich hastig um, doch der Ring war nirgends zu entdecken. Ich wusste nicht, ob es die Erleichterung war oder doch die Trauer, aber ich schloss meine Augen und begann heftig zu schluchzen.




    Mein Weinen musste wohl Dominik geweckt haben. Er richtete sich auf und kam dicht zu mir herüber. "Brodlowska, du musst nicht weinen, nur weil ich schon eingeschlafen bin", scherzte er herum. "Du brauchst mich nur zu wecken, dann mache ich dich sofort glücklich." "Warum bist du nur so lieb zu mir?", fragte ich schluchzend. "Weil du es verdienst." Dann küsste er mich und ich küsste ihn zurück. Und als seine Hände meinen Körper streichelten und immer fordernder wurden, ließ ich ihn gewähren. Und zum ersten Mal seit langer Zeit, ließ ich ihn meine Leidenschaft spüren, die sonst so oft fehlte, wenn wir miteinander schliefen. Denn das war das mindeste, was er verdient hatte.







    Diese Nacht mit Dominik war...war wirklich schön gewesen. Und dennoch fühlte ich mich am nächsten Morgen schuldig und dreckig. Denn ich hatte Dominik wieder einmal nur benutzt. Er war da gewesen, um mir den Kummer von der Seele zu nehmen, als ich Halt brauchte und nur deshalb hatte ich mich ihm so hingegeben. Noch bevor er aufgestanden war, verließ ich das Haus und ging in das Kloster St. Ansbald. Dieser Ort war so angenehm und beruhigend und trotzdem konnte ich die Unruhe in meiner Seele nicht besänftigen.
    Das falsche Spiel, das ich mit Dominik trieb, wuchs mir allmählich über den Kopf und ich wusste einfach nicht, wie ich aus dieser Situation entkommen konnte. Eins stand für mich fest: Ich konnte Dominik auf keinen Fall heiraten.




    Und dann war da noch Dad. Erst hier in der Stille des Klosters begriff ich, dass er wirklich tot war, dass ich ihn nie wieder sehen würde. Ich würde ihm nie mehr verzeihen können. Diese Erkenntnis traf mich sehr. Er war ein Schwein gewesen, oh ja, dass war er wirklich! Aber er war auch mein Vater. Er hatte mich aufgezogen, mich zum Kindergarten gebracht, mich von der Schule abgeholt. Und so sehr ich ihn später auch verachtet hatte, im Hinterkopf hatte ich immer gewusst, dass ich ihm eines Tages verzeihen würde. Es wäre dann so, wie vor der Zeit, als er mich aus dem Haus geworfen hatte. Und er wollte auf mich zugehen. Er wollte sich in Simtropolis entschuldigen, aber ich habe ihn weggestoßen, weil ich zu stolz war, ihm zu verzeihen. Und jetzt war es zu spät. Was ist, wenn er meinetwegen sterben wollte? Dieser Gedanke ließ mich nicht mehr los und grub sich tief in mein Herz. Dad ist gestorben, weil ich ihm nicht verzeihen wollte.




    Eine alte Nonne trat zu mir herüber. "Kind, warum weinst du denn? Ich sehe dich so oft bei uns im Kloster am Brunnen sitzen und jedes Mal wirkst du so traurig." Ich stand auf und versuchte mir die Tränen aus den Augen zu wischen, doch es wollte mir nicht gelingen. Also gab die Alte mir einen Rat. "Manchmal mag es so erscheinen, als ob es keinen Ausweg mehr gäbe. Es sieht so aus, als ob Gott dich verlassen hätte, mein Kind. Aber du musst vertrauen. Unser Gott ist ein guter und gütiger Vater. Was immer auch auf deiner Seele lasten mag, er wird dich leiten. Er verlässt seine Kinder nicht. Glaube nur fest daran und alles wird sich zum Guten wenden."





    Und ich hörte auf den Rat der Nonne. Ich vertraute darauf, dass Gott mich leiten und dass sich am Ende alles zum Guten wenden würde. Und so vergingen die Jahre. Ich versuchte mir keine Schuld an Dads Tod zu geben und mit den Jahren wurde es immer einfacher. Und das Thema Heirat kam nie wieder auf. Dennoch versuchte ich meinem Kind eine gute Mutter und Dominik eine gute Partnerin zu sein. Und es schien mir zu gelingen. An Kingas fünften Geburtstag wirkten wir wie eine kleine glückliche Familie.




    Es war nur eine kleine Feier im Kreis unserer ungewöhnlichen Wohngemeinschaft, die nun beinah schon sechs Jahre bestand. Lediglich Dominiks Vater Anan ließ es sich nicht nehmen selbst dabei zu sein, wenn seine Enkeltochter ihre Ehrentag feierte. "Mama, Opa guckt mal!", schrie sie aufgeregt. "Onkel Tristan hat ein Feuerwerk für mich angezündet!" Kinga hüpfte aufgeregt auf und ab und ihre Augen strahlten. Das Feuerwerk war wirklich hübsch anzuschauen und ich hatte selber nicht gewusst, dass Tristan eins geplant hatte.




    Und Geschenke durften natürlich auch nicht fehlen. "So viel Geschenke!", staunte Constance. "Sind die wirklich alle für mich?", fragte Kinga mit großen Augen. "Hhm, lass mich mal überlegen", antwortete Tristan. "Wie viele Geburtstagskinder gibt es denn hier? Also ich sehe nur eins. Also würde ich vermuten, dass die wirklich alle für dich sind." Kinga kreischte vor Freude und ich beobachtete die Szene lächelnd aus dem Hintergrund. "Hilf mir alles nach drinnen zu tragen", forderte Kinga Constance auf. "Dann können wir gleich alles auspacken." Und schon waren die beiden Mädchen mit voll beladenen Armen im Haus verschwunden.




    Und während Constance und Kinga sich im Haus vergnügten, feierten wir Erwachsenen unsere eigene Party draußen im Garten weiter, mit reichlich zu essen und selbstverständlich auch zu trinken. Nach ein paar Gläschen zog Roland mich dann zur Seite. "Brandi und ich werden diesen Sommer heiraten", kicherte er mir ins Ohr. "Du darfst es aber noch keinem verraten. Sie will es nämlich bei ihrem Geburtstag in zwei Wochen verkünden." Im ersten Moment war ich baff, doch dann freute ich mich unheimlich für Roland und umarmte meinen besten Freund. Wer hätte gedacht, dass die beiden noch heiraten würden. Nachdem Brandi von Constance erfuhr, hatten die beiden fast zwei Jahre nicht miteinander gesprochen und jetzt wollten sie heiraten. Diese Geburtstagsparty war für alle ein voller Erfolg. Die Kinder hatten ihren Spaß und wir Erwachsenen auch. Und ich kannte jetzt ein kleines süßes Geheimnis, welches wirklich ein Grund zur Freude war.

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  • Kapitel 57: Solang ich dich hab




    "Und komm schnell wieder zurück. Kinga und ich vermissen dich jetzt schon." Dominik drückte mir zum Abschied einen dicken Kuss auf die Lippen. "Ich bin doch nur für ein paar Tage weg", entgegnete ich. "Außerdem ist das Seminar über Rinderzucht gleich in Ganado Alegro. Ich bin doch fast gar nicht von Zuhause weg." Dominik hob meinen Koffer auf die Ladefläche des Wagens während ich einstieg. "Wunder dich aber nicht, wenn bei deiner Rückkehr eine Horde wilder Frauen auf der Veranda lauert. So einen heißen Typ wie mich sollte man einfach nicht alleine lassen." Durch das geöffnete Fenster küsste ich ihn noch einmal zum Abschied und fuhr dann los.





    Langsam wurde ich wach. Es war früher Morgen. Die Sonne war gerade erst aufgegangen und die ersten Sonnenstrahlen fielen durch das Fenster in das Motelzimmer und kitzelten mein Gesicht. Draußen hörte man noch nichts von dem geschäftigen Treiben, das gestern Abend herrschte. Das einzige Geräusch war das monotone Brummen der Klimaanlage, die dieses ansonsten eher schäbige Motel deutlich aufwertete. Ich hätte am liebsten weiter geschlafen, doch dann spürte ich, wie eine Hand verspielt meinen Rücken kitzelte.




    "Guten Morgen, mein wildes Cowgirl", lächelte Albert mich an und ich lächelte überglücklich zurück. "Ich hoffe, du hast genauso gut geschlafen wie ich. Auch wenn die Nacht eher kurz war, aber daran bist du nicht ganz unschuldig." Ich nahm seine Hand und hielt sie fest umschlossen, denn ich hatte Angst, dass alles nur ein Träum war. Ich würde aufwachen und Albert würde nicht mehr neben mir liegen. Doch es war kein Traum, Albert Lag tatsächlich neben mir im Bett und drückte meine Hand.




    "Halt mich einfach ganz fest. So sehr, dass es weh tut. Nur damit ich glauben kann, dass du wirklich hier bist", flüsterte ich Albert zu und schob mich sofort in seine starken Arme. "Ich wünschte, dieser Morgen könnte ewig dauern." Glücklich seufzte ich und auch Albert tat es mir gleich. "Ich weiß nicht, ob ich vollkommen wahnsinnig bin, mich hier mit dir zu treffen, oder ob es die weiseste Entscheidung meines Lebens ist, Oxana. Aber seitdem ich dich kenne, sehe ich die Welt durch ganz andere Augen. Du hast mich verzaubert mit deinem Charme."




    Und er hatte mich verzaubert. Als er mich zurück auf das Bett sinken ließ und sich über mich beugte, konnte ich es kaum erwarten, ihn noch einmal zu lieben. Mir war klar, dass wir niemals ein Paar werden würden. Oder zumindest hätte es mir klar sein müssen. Aber es war mir auch vollkommen egal. Solange er bei mir war, war ich glücklich. Ich wollte einfach nur diesen Moment genießen und nicht an morgen denken.




    "Lass uns einfach den ganzen Tag im Bett bleiben", schlug ich vor, nachdem wir uns wieder erholt hatten. "Wen interessiert schon so ein Seminar über Rinderzucht?" "Nichts lieber als das", antwortete Albert lachend. "Nur halte ich dieses Seminar. Ich glaube es würde auffallen, wenn ich fehle." Nachdem er gegangen war, sprang ich unter die Dusche und schon jetzt vermisste ich ihn. Wir sahen uns so selten. Vielleicht alle zwei Monate, wenn wir Glück hatten öfter und das erst seit etwa einem Jahr. Aber wir nutzten jede Gelegenheit, um uns zu sehen, jede Viehauktion, jeden Lehrgang, jedes Seminar. Und dieses Seminar würde noch zwei wundervolle Tage dauern.




    Doch die Tage vergingen viel zu schnell. An unserem letzten Abend saßen wir im Schnellrestaurant des Motels und genossen unsere letzten Minuten zu zweit. Albert schien besonders bedrückt zu sein. Aber ich verstand das nur zu gut, denn bald würden wir wieder für eine unbestimmte Zeit getrennt sein. Er nahm meine Hand und streichelte sie. "Oxana", blickte er mich fragend an, "was würdest du davon halten, wenn…", er stockte, "...wenn ich Gerda verlasse?"




    Ich sah in erstaunt an. Darüber hatten wir noch nie miteinander gesprochen. Ich hätte nicht einmal in Erwägung gezogen, dass er Gerda verlassen könnte. Und trotzdem war ich tief im Inneren überglücklick. Und Albert sah mir das deutlich an. "Oxana, du bist die einzige Frau für mich. Es hätte keinen Sinn mehr, weiterhin bei Gerda zu bleiben und etwas vorzugaukeln. Ich liebe nur dich." Jetzt strahlte ich über das ganze Gesicht. "Und du bist dir wirklich ganz sicher?" Diese Frage musste ich stellen, denn wenn er auch nur den kleinsten Zweifel hegte, dann würde ich es nicht zulassen. Doch er hatte keinen Zweifel. "Ich werde mit Gerda sprechen, sobald ich wieder in Sierra Simlone Stadt bin. Es hat keinen Sinn, es noch länger hinauszuzögern." "Und ich werde mit Dominik reden. Dann hat dieses Versteckspiel endlich ein Ende."







    Ich blieb noch einige Tage länger in Ganado Alegro. Einerseits hatte ich noch einige Dinge, welche die Farm betrafen, zu erledigen. Andererseits brauchte ich etwas Zeit, um richtig zu begreifen, was Albert da vorgeschlagen hatte. Endlich hatten wir beide eine Chance zusammen glücklich zu werden. Ich wusste, dass es für Gerda und Alberts Kinder, aber auch für Kinga und Dominik schwer werden würde. Aber sie würden es überstehen, so wie ich es überstanden hatte, so viele Jahre getrennt von Albert zu leben. Als ich Zuhause ankam, sah ich Kinga und Constance vor dem Haus spielen. Als Kinga mich sah, stürmte sie sofort auf mich zu und sprang mir um den Hals. "Wo ist Papa?", fragte ich, nachdem ich sie mit einem Kuss auf die Stirn begrüßt hatte. "Er ist hinter dem Haus und er hat dich gaaanz doll vermisst."




    Wie Kinga gesagt hatte war Dominik hinterm Haus und trainierte. Er hatte sich vor einiger Zeit dieses Laufband gekauft und überraschenderweise benutze er es auch regelmäßig. Für seine Arbeit als Wachmann war es hilfreich, einen durchtrainierten Körper zu besitzen. Aber Dominik legte ohnehin großen Wert auf seinen Körper und sein Aussehen im Allgemeinen. Als er mich kommen sah, drückte er sich sofort vom Laufband ab, um es anzuhalten und zu mir zu kommen.




    Noch bevor ich etwas sagen konnte. Zog er mich an seinen schweißnassen Körper und küsste mich. "Da bist du ja endlich wieder, Brodlowska. Ich hoffe, du hast deinen wundervollen Mann genauso vermisst, wie ich dich vermisst habe." Warum machte er es mir bloß so schwer? Konnte er nicht fies und gemein sein, so wie er sich zum Beispiel Roland gegenüber verhielt? Dann könnte ich ihm viel leichter das sagen, was ich ihm sagen musste.




    Ich wusste, dass dieser Moment und dieser Ort nicht unbedingt die geeignetsten waren, um Dominik mitzuteilen, dass ich ihn verlassen würde. Aber gab es dafür überhaupt einen passenden Moment? Ich wollte es einfach nur so schnell wie möglich hinter mich bringen. Auf der Fahr von Ganado Alegro hatte ich mir eine wunderbare Rede überlegt, doch jetzt war mein Kopf wie leergefegt. "Dominik, ich hatte bei dem Seminar Gelegenheit, über einige Dinge nachzudenken", begann ich zu stottern. "Über uns beide nachzudenken. Und manchmal, da passiert es einfach, dass die Gefühle, von denen man glaubte, dass sie für immer seinen, sich plötzlich ändern. Und dann ist es notwendig, dass man sich selbst verändert."




    Oh, Gott, was für einen Blödsinn gab ich denn da von mir? An Dominiks Gesichtsausdruck konnte ich erkennen, dass er nicht im geringsten Begriff, wovon ich da überhaupt sprach. Also musste ich es einfach geradeheraus sagen. "Dominik, ich werde mich von dir tr..." Plötzlich kam Kinga mit dem Telefon in der Hand aus dem Haus gelaufen. "Mama, Mama, komm bitte schnell. Hier ist eine Miranda Kappe am Telefon und sie hört gar nicht auf zu weinen. Komm schnell!"


    Gedanken:
    Es war so weit. Nach fast sechs Jahren des endlosen Lügens und Vortäuschens würde ich endlich zu Albert finden, dem einzigen Mann, den ich wirklich liebte. Ich wusste, dass es Dominik hart treffen würde, aber ich konnte nicht mehr länger bei ihm bleiben. Allerdings würde ich ihm nicht alles erzählen. Ich würde verschweigen, dass ich ihn nie geliebt hatte. Das musste er nicht wissen. Genauso wie Albert nie erfahren musste, dass Kinga seine und nicht Dominiks Tochter war. Denn Kinga war Dominiks Tochter, da änderten auch biologische Tatsachen nichts, und was immer ich auch für Albert empfand, das tiefe Band zwischen Dominik und Kinga wollte ich auf keinen Fall zerstören.


    Obwohl ich immer noch ein schwieriges Verhältnis zu Kinga hatte, ließ ich sie das nicht spüren. Zumindest versuchte ich es und seitdem ich mich mit Albert traf, fiel mir der Umgang mit ihr deutlich leichter. Und alles was ich ihr an Liebe nicht geben konnte, erhielt sie doppelt und dreifach von Dominik. Ich war mir sehr sicher, dass sie bis jetzt eine sehr glückliche Kindheit gehabt hatte.


    Bei Constance verhielt es sich leider anders. Roland gab sein Bestes, um seiner Tochter einen guten Start ins Leben zu ermöglichen, doch die traumatischen Erlebnisse in ihren ersten beiden Lebensjahren konnte sie nie wirklich überwinden. Noch heute war sie sehr zurückhaltend und misstrauisch. Selbst nach den drei Jahren, die sie bei uns lebte, schien sie keinem von uns völlig zu vertrauen.


    Nach Dads Tod konnte ich meiner Familie endlich meinen Aufenthaltsort verraten. Endlich mit meinen Großeltern sprechen zu können war eine riesige Erleichterung für mich und als sie mich das erste Mal nach Jahren Besuchten und ihre Urenkelin zum ersten Mal sahen, sind wir alle in Tränen ausgebrochen. Leider verschlechterte sich mein Verhältnis zu Joanna merklich. Wir telefonierten immer noch regelmäßig, aber ich spürte, dass es nicht mehr so war, wie früher. Ich glaube, sie hat mir nie verziehen, dass ich nicht zu Dads Beerdigung gekommen bin. Und was meinen Bruder anging, so hatte ich nie mehr wirklich Anschluss zu ihm gefunden. Ich hatte einfach zu viele entscheidende Jahre seines Lebens verpasst. Aber mit viel Arbeit ließ sich da sicherlich noch etwas machen.

  • Kapitel 58: Spurlos verschwunden


    Was bisher geschah:
    (Zusammenfassung aller bisherigen Kapitel)


    Ich war gerade 18 als ich mit ansah, wie mein Dad meinen Vater im Suff verprügelte. Ich ertrug es nicht mehr, wie dieses Schwein meinen Vater behandelte und rief die Polizei. Doch anstatt sich bei mir zu bedanken, holte meine Vater seinen Ehemann aus dem Gefängnis und ließ zu, dass Dad mich von Zuhause raus warf.


    Ich wusste nicht, wo ich hin sollte. Zunächst kam ich bei meinen Pateneltern in SimCity unter. Danach machte ich mich auf die Suche nach meiner Mutter, die ich noch nie im Leben gesehen hatte. Ich fand sie schließlich in Simbirien, hatte aber nicht den Mut ihr zu sagen, wer ich war, da sie kein Interesse an ihren Kindern zu haben schien. Am Boden zerstört floh ich zu meinen Großeltern nach Warschau, die mir für das nächste Jahr ein sicheres, geborgenes Zuhause gaben.


    Ich hatte nur noch Kontakt zu meiner Zwillingsschwester Joanna, die bei meinen Eltern in SimCity geblieben war. Und dennoch holten meine beiden Väter mich immer wieder ein und der einzige Ausweg den ich sah, war es zu verschwinden und komplett den Kontakt zu meiner Familie abzubrechen, selbst zu meinen geliebten Großeltern.


    Und so kam ich in die Sierra Simlone. Im Rahmen eines Besiedlungsprojekts in der Wüste fand ich ein neues Zuhause in dieser kargen Landschaft. In Roland fand ich einen treuen Mitbewohner und meinen besten Freund, in Benny meine erste große Liebe. Doch es stellte sich heraus, dass Roland in mich verliebt war und diese Erkenntnis veränderte unsere Beziehung unweigerlich.
    Der überraschende Tod meines Vaters stürzte mich in eine tiefe seelische Krise. Und als Reaktion darauf, trennte ich mich von Benny, den mein Entschluss vollkommen unvorbereitet traf. In Gerda Kappe fand ich eine treue Freundin, doch leider zeigte ich ein zu starkes Interesse an ihrem Ehemann Albert. Auf einer Feier des Bauernvereins kam es zu einer innigen Umarmung zwischen uns beiden und als Gerda kurz darauf ein ernstes Gespräch mit mir führen wollte, zog ich voreilige Schlüsse. Und obwohl sie nichts von der Umarmung zwischen Albert und mir mitbekommen hatte, stimmte ich zu, ihre Cousine Letizia bei mir einziehen zu lassen.


    Letizia entpuppte sich als ein wahres Monster. Und wir waren alle froh, als sie unser Haus wieder verließ. Wir, das waren Roland und ich und unser neuster Mitbewohner Tristan. Tristan stieß zu uns, als seine drei Mitbewohner herausfanden, dass er homosexuell war und er daraufhin seine bisherige Wohngemeinschaft verlassen musste.


    Fast verlor ich mein neues Leben in der Sierra Simlone wieder, als ein Brief ins Haus flatterte, der mir mitteilte, dass zu meinem Haus auch ein landwirtschaftlicher Betrieb gehöre, den ich bewirtschaften müsse. Zusammen mit Roland und Tristan entschloss ich mich, diese Herausforderung zu meistern und wurde zu einer der vielen Farmerinnen der Sierra Simlone.
    Doch lange hielten meine beiden Jungs nicht zu mir. Roland wurde eine Stelle als Arzt in einer nah gelegenen Klinik angeboten und Tristan stieg rasant in der Ölindustrie auf. Die Zukunft der beiden lag einfach nicht in der Landwirtschaft. Meine dagegen schon, auch wenn ich dabei Unterstützung nötig hatte. Und die erhielt ich von Albert.


    Es war unausweichlich, dass wir uns bei unserer engen Zusammenarbeit näher kamen und an einem besonders heißen Sommertag konnte ich ihm nicht mehr widerstehen. Wir liebten uns, auch wenn uns beiden klar war, dass es bei diesem einen Mal bleiben würde. Und damit hätte die Geschichte beendet sein können, wäre diese eine Nacht nicht ohne Folgen geblieben.
    Als ich erkannte, dass ich schwanger war, schob ich in Panik das Kind einem anderen Mann unter, der bereits zuvor auf unverschämte Art und Weise um mich geworben hatte. Ich konnte es nicht ertragen, dass Gerda von Alberts Betrug erfuhr und ich mit meiner Tat womöglich eine ganze Familie zerstört hätte. Zu behaupten, Dominik sei der Vater meines Kindes, schien die einfachste Lösung. Doch ich ahnte nicht, wie sehr Dominik seine Tochter und auch mich lieben würde. Mir dagegen wurde schnell klar, dass Albert der einzige Mann war, den ich liebte.
    Und dennoch blieb ich mehr als fünf Jahre bei Dominik und teilte Tisch und Bett mit ihm, immer in dem Bewusstsein, dass ich einen anderen liebte. Dies führte sogar dazu, dass ich meiner eigenen Tochter nicht die Liebe schenken konnte, die sie verdient hätte. Ich sah in ihr viel zu sehr die Sünde, die ich begangen hatte. Die Situation spitzte sich für mich noch weiter zu, als das Jugendamt Letizias Baby bei uns absetzte. Wie sich rausstellte, hatten sie und Roland eine kurze Affäre, aus der eine Tochter hervorgegangen war, Constance.


    Anders als bei meiner eigenen Tochter, empfand ich gegenüber diesem Kind so viel Liebe, dass es mir den Umgang mit meiner Tochter noch weiter erschwerte. Und immer noch kreisten meine Gedanken um Albert. Dominik merkte davon allerdings nichts und machte mir sogar einen Heiratsantrag. Nur dem Tod meines Dads hatte ich es zu verdanken, dass ich mich aus dieser Situation noch einmal herauswinden konnte.
    Und dann ließ ich mich auf eine Affäre mit Albert ein. Ich konnte es nicht mehr ohne ihn aushalten und bei vielen geheimen Treffen genossen wir unsere Liebe. Und bei unserem letzten Treffen gestand Albert mir dann, dass er seine Frau verlassen würde, dass er nur mich lieben würde. Ich konnte mein Glück kaum fassen. Entschlossen fuhr ich vom Motel in die Simlane um Dominik zu verlassen. Ich hatte die Worte fast schon über die Lippen gebracht, als plötzlich meine kleine Tochter mit dem Telefon auf uns zugerannt kam...


    "Mama, Mama, komm bitte schnell. Hier ist eine Miranda Kappe am Telefon und sie hört sich ganz aufgeregt an. Mach schnell!"





    Kinga hopste die vier Treppenstufen herunter und streckte mir den Telefonhörer entgegen. Unsicher schaute ich erst zu ihr und wand meinen Blick dann wieder Dominik zu. Er sagte zwar nichts, aber ich spürte genau, wie er mich misstrauisch musterte. Ich hatte zwar noch nicht zu Ende gesprochen, aber irgendwie hatte ich das Gefühl, als ob er ahnte, was ich sagen wollte. Aber jetzt war es ohnehin egal. Direkt vor Kingas Augen konnte ich mich schließlich nicht von ihrem Vater trennen.




    Kinga drückte mir einfach den Telefonhörer in die Hand, sodass mir gar keine andere Wahl blieb, als mit Miranda zu sprechen. Warum musste sie auch ausgerechnet jetzt anrufen? "Hallo, Miranda? Hier ist Oxana. Kinga sagte es wäre dringend?" "Oxana, kannst du bitte sofort vorbeikommen?", meldet sich Miranda so hastig, dass sich ihre Stimme fast überschlug. "Ich weiß nicht, was ich tun soll! Mama und Papa...ich weiß nicht was ich Hans und den anderen erzählen soll. Ich weiß nicht was ich machen soll." Ich konnte ihrem wirren Gebrabbel kaum etwas entnehmen, aber Miranda klang wirklich verzweifelt. "Ok, Miranda, versuch dich zu beruhigen", redete ich auf sie ein. "Ich komme gleich bei euch vorbei."




    "Was wollte denn die junge Kappe von dir?", fragte Dominik und sah mich immer noch misstrauisch an. "Sie...sie klang ziemlich aufgebracht. Ich soll sofort zu ihr kommen." Erst jetzt wurde mir bewusst, dass sie von Albert und Gerda gesprochen hatte. Hatte Albert Gerda und den Kindern etwa schon gesagt, dass er sie verlassen würde? Wollte Miranda etwa darüber mit mir sprechen. Dominik muss mir meine plötzliche Verwirrung angemerkt haben. "Alles in Ordnung bei dir?" Sofort verschwand dieser prüfende Blick und er berührte beruhigend meinen Arm. "Ja...ja es geht mir gut. Aber ich muss sofort zu den Kappes."




    Ich gab den Telefonhörer an Kinga zurück und machte mich sofort auf den Weg zum Haus von Albert und Gerda. Mit jedem Schritt, der mich dem Haus näher brachte stieg auch meine Anspannung. Was konnte Miranda bloß von mir wollen? Ich könnte mich noch lebhaft daran erinnern, wie sie mich vor vielen Jahren beschuldigt hatte, ihren Vater zu verführen. Zu dem damaligen Zeitpunkt trafen ihre Vorwürfe nicht zu, aber jetzt hatte sich die Situation geändert. Ich liebte ihren Vater und er liebte mich. Ich wollte gar nicht wissen, wie sie reagieren würde, wenn sie von uns beiden wusste. Als das Haus in Sichtweite kam, könnte ich Miranda bereits auf der Veranda stehen sehen und beobachten, wie sie unruhig hin und her lief und sich immer wieder mit beiden Händen an den Kopf fasste.




    Als sie mich erblickte, hastete sie die Treppe hinunter und kam auf mich zugerannt. "Gott sei Dank bist du hier, Oxana. Gott sei Dank! Ich weiß nicht mehr was ich machen soll!", plapperte sie hysterisch drauf los. Ich konnte spüren, dass sie den Tränen nahe war. "Miranda, beruhig dich doch", versuchte ich auf sie einzureden. Doch sie redete immer weiter, wurde immer panischer und ich verstand nichts von dem, was sie mir sagen wollte.




    "Miranda. Miranda!", meine laute Stimme ließ sie zusammenzucken, aber immerhin beruhigte sie sich dadurch. "Was ist passiert?", fragte ich mit ruhiger und eindringlicher Stimme. Doch Miranda starte nur hilflos auf den Boden. "Miranda!", ermahnte ich sie ein weiteres Mal und endlich rückte sie mit der Sprache heraus. "Meine Eltern sind verschwunden, Oxana". Ihre Stimme zitterte. "Sie sind vor zwei Tagen weggefahren um ein gemeinsames Wochenende zu verbringen. Papa hatte irgendeine Überraschung für Mama. Zumindest glaube ich das, denn er hatte sich ihr gegenüber ganz seltsam verhalten. Die beiden wollten in einen kleines Bergdorf nördlich von SimVegas. Da waren sie schon öfters gewesen. Doch sie sind dort nie angekommen."




    "Was soll das heißen, sie sind dort nie angekommen?", hakte ich mit wachsender Besorgnis nach. Miranda konnte ihre Tränen kaum noch zurückhalten, als sie weiter sprach. "Mama hat gesagt, dass sie noch am gleichen Abend anruft, sobald sie angekommen sind. Doch sie rief nicht an. Ich machte mir erst gar keine Gedanken. Sie würde bestimmt am nächsten Morgen anrufen. Doch das tat sie auch nicht. Ich habe versucht, die beiden auf ihrem Handy zu erreichen, doch es meldet sich niemand. Und am Abend habe ich schließlich in dem Hotel angerufen, wo die beiden hin wollten. Doch der Mann an der Rezeption sagte mir nur, dass die beiden nie angekommen wären."




    Um ihre Geschwister nicht zu beunruhigen hatte Miranda versucht ihre Ängste tief in ihrem Inneren zu verbergen. Doch jetzt kamen sie mit voller Wucht zu Tage. "Was soll ich jetzt bloß machen, Oxana?", schluchzte sie bitterlich. Doch eine Antwort hatte ich nicht parat. Dazu war ich selber viel zu verwirrt. Ich konnte sie lediglich in den Arm schließen um sie auf diese Weise zu trösten. Und trotz ihrer fast 19 Jahre weinte sie sich wie ein kleines Kind an meiner Schulter aus.




    Bereits nach einem kurzen Augenblick hatte sie sich wieder gefasst, aber die Hilflosigkeit stand ihr noch immer ins Gesicht geschrieben. Ihr Blick war so flehend, dass ich einfach etwas unternehmen musste. Schließlich ging es doch um Albert. "Wir sollten die Polizei anrufen", war der einzige Einfall, der mir spontan kam und das tat ich auch. "Wir werden einen Streifenwaagen losschicken, der die Strecke von Sierra Simlone Stadt zu dem Bergdorf abfährt", versicherte mir die Polizeibeamtin, nachdem ich ihr die Situation geschildert hatte. Mehr konnten sie zurzeit leider nicht tun. Ich versuchte weiterhin gelassen zu bleiben, aber langsam stieg auch in mir die Panik auf.




    Miranda bat mich, bei ihr zu bleiben. Sie wollte jetzt nicht alleine sein und vor allem wollte sie nicht alleine sein, wenn ihre Geschwister in wenigen Stunden nach Hause kämen. "Wahrscheinlich sind sie einfach nur mit dem Wagen liegen geblieben und stecken in einem Funkloch. Wir brauchen uns gar keine Sorgen zu machen", versuchte ich sie zu beruhigen, doch ich merkte selbst, wie mit jedem Wort meine Stimme schriller wurde. Selbst ich glaubte meinen eigenen Beschwichtigungen nicht. Wir versuchten ein wenig zu plaudern, doch die Situation blieb angespannt und mit jeder Stunde die verging, wurde die Anspannung größer.







    Etwa gegen vier Uhr nachmittags kamen Mirandas jüngere Geschwister Hans und Desdemona von der Schule zurück. "Hallo, Oxana", begrüßte mich Hans noch bevor er richtig durch die Tür getreten war und kam, von Desdemona begleitet, auf mich und Miranda zu. Doch er bemerkte sofort, dass etwas nicht stimmte. Mirandas und mein Gesichtsausdruck sprachen wohl Bände. "Ist irgendetwas passiert?", fragte er allarmiert.




    Augenblicklich schossen Miranda die Tränen in die Augen und sie verließ fluchtartig den Wohnraum und lief in ihr eigenes Zimmer. "Ist etwa irgendetwas mit Elvira?", folgte panisch die nächste Frage von Hans. Desdemona versteifte sich merklich und blickte ängstlich abwechselnd von Hans zu mir. "Nein, mit Elvira ist alles in Ordnung", konnte ich ihn beruhigen. "Aber...vielleicht stimmt etwas mit euren Eltern nicht."




    Hans starte mich entsetzt an und Desdemona umklammerte ängstlich ihrer Brust. "Was ist passiert?", fragte Hans atemlos. "Wir wissen noch nichts genaues", versuchte ich die beiden Jugendlichen zu beruhigen. "Eure Eltern haben sich seit zwei Tagen nicht mehr gemeldet. Sie gehen nicht an ihre Handys und im Hotel in dem Bergdorf bei SimVegas sind sie auch nicht angekommen. Sie scheinen einfach verschwunden zu sein. Ich habe bereits die Polizei benachrichtigt und sie suchen Eure Eltern. Das ist alles, was ich euch im Moment sagen kann."




    Obwohl ich versuchte, so besonnen und unbesorgt wie möglich zu klingen, gelang es mir nicht die beiden zu beruhigen. Hans fing an mich immer weiter auszufragen, doch ich wusste keine Antworten. Desdemona lief dagegen ihrer Schwester hinterher und warf sich ihr weinend um den Hals. "Wo sind Mama und Papa? Wo sind unsere Eltern?", fragte sie ihre große Schwester immer und immer wieder und erhielt doch keine Antwort.

  • Kapitel 59: Vorahnung




    Ich war mit der Situation überfordert. Die Kinder zu trösten oder ihnen die Sorge um ihre Eltern abzunehmen schien mir unmöglich. Und da war auch meine eigene tiefe Sorge um Albert. Was konnte bloß passiert sein? Hans verzog sich stumm vor den Fernseher und ich konnte nur erahnen, was in diesem Moment in seinem Kopf vor sich ging. Die einzige Unterstützung die ich den Kindern geben konnte war, sie in dieser Zeit der Ungewissheit nicht allein zu lassen und mich zumindest um ihr leibliches Wohl zu kümmern.




    Beim Abendessen herrschte eine betroffene Stimmung. Desdemona sprach kein Wort und rührte auch ihren Toast nicht an. Ebenso erging es Miranda, die den Eindruck machte, als ob sie jeden Augenblick in Tränen ausbrechen würde. Alberts Kinder taten mir so schrecklich leid. Lediglich Hans unterhielt sich in gedämpften Tonfall mit mir. Es ging um nichts wichtiges, nur um die Arbeit, die auf Norman, Alberts Farm, noch anstanden und um die er sich in der Abwesenheit seiner Eltern kümmern sollte. Es war immerhin eine kleine Ablenkung, für ihn und für mich.




    Dann kam auch schon Elvira ins Haus gehüpft. "Hallo, Tante Oxana", begrüßte sie mich freundlich und kletterte gleich auf den freien Stuhl an meiner Seite und biss von ihrem Brot ab. Am Tisch wurde es ganz still und das entging Elvira keinesfalls. Sie ist mit drei Geschwistern aufgewachsen und ein Essen ohne ein lautes Durcheinander war etwas, dass sie einfach nicht kannte. "Was ist denn los?", fragte sie deshalb vorsichtig. "Ihr seid alle so leise. Hab ich etwa irgendetwas ausgefressen?" Desdemona sah mit weit aufgerissenen Augen an und auch Hans und Miranda schauten unsicher zu mir herüber. Aber wie sollte ich Elvira die Situation erklären?




    Am besten gar nicht, entschied ich mich. Wir wussten doch selber nicht genau, was mit Albert und Gerda passiert war, und es machte doch keinen Sinn die Kleine zu verunsichern. Ich konnte mich noch genau daran erinnern, wie Dad meinen Paps, meine Schwester und mich verlassen hatte, als ich gerade sieben war. Dieses Gefühl war einfach nur schrecklich, insbesondere, da es mich damals so unvorbereitet getroffen hatte. Das wollte ich Elvira ersparen solange ich es konnte. "Wir haben nur ein Überraschung für dich und sind deshalb so still", flunkerte ich. Elviras Augen begannen erwartungsvoll zu leuchten, während Alberts drei andere Kinder mich neugierig musterten. "Ich werde für ein paar Tage bei Euch bleiben und Kinga kommt auch mit. Dann könnt ihr beide den ganzen Tag zusammen spielen."




    "Kinga kommt wirklich hierher!", kreischte Elvira und sprang von ihrem Stuhl. "Dann können wir ja ganz viele Sachen zusammen machen. Oh, dass wir so toll. Dürfen wir auch lange aufbleiben, Tante Oxana? Und dürfen wir uns Popcorn machen? Dürfen wir, dürfen wir?" Die Kleine freute sich wirklich riesig und mir fiel ein Felsbrocken vom Herzen. Und auch Hans zufriedener Gesichtsausdruck zeigte mir, dass er mit meiner Idee einverstanden war. Und Elviras fröhliche Art ließ uns zumindest für eine Weile unsere Sorgen vergessen.







    Ich rief auch gleich bei Dominik an und bat ihn, Kinga zu den Kappes zu bringen. "Ich erkläre dir alles, wenn du hier bist", versicherte ich ihm und eine viertel Stunde später standen meine Tochter und Dominik vor Alberts Haus. Elvira kam laut schreiend auf Kinga zugelaufen, als sie sie erblickte und die beiden Mädchen schlossen sich überschwänglich in die Arme. Dabei störte es King auch nicht im Geringsten, dass Elvira noch den Ferkeln im Schweinestall Gute Nacht sagen musste und auch dementsprechend roch, weil jedes Ferkelchen eine liebevolle Umarmung von der Jungbäuerin brauchte.




    "Und jetzt sag schon, Brodlowska, was ist hier eigentlich los?", verlangte Dominik eine Erklärung. "Du hast dich heute Morgen...seltsam verhalten, wenn ich das so ausdrücken darf. Und dann bist du so überstürzt zu den Kappes gefahren. Und jetzt soll ich auch noch Kinga hierher bringen. Ich will ein paar Antworten". Und die gab ich ihm, zumindest auf einige seiner Fragen. Ich erzählte ihm, dass Albert und Gerda verschwunden waren und dass ich die Kinder nicht alleine lassen konnte. Auch wenn Miranda auf dem Papier schon erwachsen war, so war sie in dieser Situation genauso sehr ein Kind wie ihre übrigen Geschwister.




    "Ich mache mir furchtbare Sorgen um Albert...und Gerda", fügte ich hastig hinzu und hoffte, dass Dominik meinen Versprecher nicht bemerkt hatte. "Was, wenn den beiden wirklich etwas passiert ist?" "Mach dir keine Sorgen über deine Freundin, Brodlowska", tröstete er mich und schloss mich in seine starken Arme ein. "Gerda geht es sicher gut. Diesen dürren Kaktus kriegt so schnell nichts klein und Albert muss auch ein zäher Bursche sein, wenn er es so lange mit ihr aushält. Wahrscheinlich hatte die beiden einfach genug von ihren vier Nervensägen zuhause und tauchen in ein paar Tagen wieder auf." Das war so typisch Dominik. Selbst in einer so ernsten Lage schaffte er es, aus allem einen Scherz zu machen und auch noch seine wenig schmeichelhafte Meinung über Gerda loszuwerden. Aber über die Jahre hatte ich mich so an seine Art gewohnt, sodass ich in seinen Worten tatsächlich Trost fand.




    Dominik blieb noch eine ganze Weile und wir saßen auf der Treppe der Veranda und unterhielten uns. Ich fühlte mich bei ihm geborgen. Geborgen wie bei einem älteren Bruder, der seine kleine Schwester tröstet und genau da lag das Problem. Denn er sah in mir nicht seine kleine Schwester, sondern die Frau an seiner Seite. Doch für mich war Albert der Mann an meiner Seite. Und der Gedanke ihn zu verlieren hielt mich bis tief in die Nacht wach. Doch schließlich fiel ich doch in einem unruhigen Schlaf.








    Ein Song spielt im Radio, Dolly Parton mit "I will always love you". Der Schotter knistert unter den Reifen des Wagens. Die beiden Insassen unterhalten sich. Über das Wetter, die Arbeit, den gemeinsamen Ausflug. Dann ein Knall. Das Auto gerät ins Taumeln. Die Frau schreit, der Mann versucht den Wagen wieder unter Kontrolle zu bringen. Doch er schafft es nicht. Das Auto schießt über den Abgrund hinaus und fällt und fällt und fällt…







    Schweißgebadet schreckte ich aus meinem Traum hoch. Mein Herz raste und ich hatte Probleme, wieder ruhig zu atmen. Es dauerte eine Weile, bis ich realisierte, dass es nur ein Traum war. Aber dieser Traum war so realistisch. Ich konnte alles genau sehen, hören, ja sogar die Hitze im Auto spüren. Nach einigen Minuten sackte ich wieder auf das Kopfkissen zurück. Meine Augen schloss ich aber nicht mehr, aus Angst, erneut zu träumen.


    PS: Entschuldigt die schlechte Qualität der Bilder in diesem Update. Ich hab leider zu spät gemerkt, dass ich im Spiel die Qualität der Bilder versehentlich von hoch auf mittel verändert habe.

  • Kapitel 60: Rettung




    "Angel, verdammt, du hast gerade meinen letzten Donut aufgegessen." "Konzentrier dich lieber aufs fahren, Ramoz. Außerdem siehst du schon selber wie ein Donut aus. Was sagt den deine Juanita dazu?" " Halt lieber deine Klappe Junge und halt Ausschau nach diesem vermissten Auto. Deswegen sind wir schließlich hier." "Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass das vermisste Paar die alte Piste hier genommen hat. Die sind bestimmt über die neue Schnellstraße nach SimVegas gefahren. Wir verschwenden hier bloß unsere Zeit."




    "Moment mal, siehst du die Reifenspuren dort drüben, Angel?" "Verdammt, halt mal an, Ramoz. Die Spuren führen direkt auf die Schlucht zu." Das Polizeiauto hatte noch nicht vollständig gestoppt, als der jüngere der beiden Polizisten bereits die Tür aufriss und hinaus sprang. Er hatte sich zwar immer mehr Aufregung in seinem Beruf gewünscht, doch jetzt erschreckte ihn der Gedanke, dass es so weit sein könnte.




    Er lief auf die Klippe zu und sah sofort den stark beschädigten hellblauen Pickup, der etwa 30 Meter tiefer im seicht dahin fließenden Rio Seco lag. Er erkannte ihn sofort als den vermissten Wagen, nach dem er mit seinem Partner Ausschau halten sollte. "Ramoz, ruf sofort einen Bergungsteam und vordere einen Hubschrauber an", rief er seinem Kollegen zu und suchte sofort einen Weg herunter zu dem Wrack.




    Doch die Schlucht war einfach zu steil. Ohne entsprechende Ausrüstung konnte er den Pickup einfach nicht erreichen. Und Ramoz hatte auch keine guten Nachrichten. "Die können uns keinen Hubschrauber schicken. In SimVegas gibt es einen Casino-Großbrand und die brauchen dort jeden Mann. Wir müssen auf den Rettungswagen warten." Die beiden Polizisten mussten hilflos warten und das angeforderte Rettungsteam erreichte sie erst nach endlosen 45 Minuten. Doch dann ging alles relativ schnell.




    Die beiden Rettungssanitäter waren für genau solche Notfälle ausgebildet und ausgerüstete. Innerhalb weniger Minuten hatten sie sich zum Grund der Schlucht abgeseilt und auch dem jüngeren Polizisten heruntergeholfen, denn wahrscheinlich würden sie jede helfende Hand brauchen. Die junge Sanitäterin sicherte sich eilig am Ufer des Rio Seco und stieg in das warme, trübe Wasser.




    Ein Blick durch das Fenster zeigte ihr sofort das Ausmaß dieses Unfalls. Der Pickup war ein Totalschaden und im Inneren war überall Blut. So viel Blut. "Da sind zwei Menschen drin. Eine Frau und ein Mann. Beide um die 40. Wir müssen die beiden sofort da heraus holen!", schrie sie ihrem Kollegen zu und versuchte mit aller Kraft die eingedrückte Tür des Wagens zu öffnen.




    Ihr Zerren an der Autotür brachte nichts, aber mit dem entsprechenden Werkzeug schafften die drei es, die beiden verletzten aus dem Auto zu holen. Beide lebten, waren aber nicht bei Bewusstsein. Sie mussten so schnell wie möglich in ein Krankenhaus, aber ohne Helikopter würde es schwer sein, die beiden überhaupt aus der Schlucht zu bekommen. Jede Minute die sie hier unten vertrödelten, konnte die letzte für diese beiden Unfallopfer bedeuten.




    Irgendwie schafften sie es, die beiden Verletzten nach oben zur Straße zu transportieren. Doch der Weg zum Krankenhaus war noch weit. Am nächste war die Klinik in Seda Azul, aber auch sie lag etwa eine Stunde entfernt. Die Klinikleitung in Seda Azul wurde umgehend informiert und machte sich auf die Ankunft der beiden Unfallopfer bereit und als schließlich der Krankenwagen mit Blaulicht in die Einfahrt der Notaufnahme raste, eilte sofort eine Arzt und ein Schwester herbei.




    "Oh mein Gott", entfuhr es Roland, als er erkannte, wer da gerade in sein Krankenhaus eingeliefert wurde. "Beide sind stark unterkühlt", informierte ihn die Sanitäterin. "Der Puls ist sehr schwach. Der Mann hat auf der Fahr immer wieder das Bewusstsein erlangt. Die Frau reagiert nicht." Roland betrachtete einen Moment lang Gerdas entstelltes Gesicht. Es fiel ihm immer schwer, wenn der Patient kein namensloses Wesen blieb, sonder jemand war, den er wirklich kannte. Dann begann er umgehend mit der Untersuchung. "Schwester Julia, bereiten sie sofort OP 3 vor", wies er die Krankenschwester an, die mit ihm in die Notaufnahme geeilt war. "Der Bauch der Patientin ist ganz hart. Verdacht auf innere Blutungen. Wir müssen sofort operieren!"




    Dann lief er zu der zweiten Trage. Gerade in diesem Moment öffnete Albert erneut seine Augen und schaute Roland verwirrt an. "Albert, scheu mich an, Albert!", forderte Roland ihn auf und leuchtete mit einer kleinen Leuchte in sein Auge. Doch kurz darauf verlor Albert erneut das Bewusstsein. Ansonsten schien er stabil zu sein. Sein Puls war gleichmäßig und bis auf ein paar oberflächliche Platzwunden konnte Roland nichts entdecken. "Der Mann kommt umgehend auf die Intensivstation", wies er dennoch die Schwester an. "Und bereiten sie ihn für das Röntgen und den CT vor."

  • Kapitel 61: Dr. Reichardt




    Irgendwann muss ich doch eingeschlafen sein, denn das Klingeln des Telefons riss mich aus einem unruhigen Traum. Ich war von einer Sekunde auf die andere hellwach und eilte zum Telefon. Gerade als ich den Hörer abnahm, stürmten auch Alberts drei ältere Kinder herbei und sahen mich aus besorgt neugierigen Augen an. "Hier bei Kappe", meldete ich mich vorsichtig und war nicht wenig überrascht, als Roland sich meldete. "Oxana, Gerda und Albert wurden bei mir ins Krankenhaus eingeliefert, komm sofort mit den Kappe Kindern her."




    Der Weg nach Seda Azul zog sich endlos hin. Die Geschwindigkeitsbegrenzungen waren mir in diesem Moment egal. Ich wollte nur so schnell wie möglich ins Krankenhaus um zu erfahren, was mit Albert passiert war. Auch die Kinder waren furchtbar aufgeregt und nun konnten wir auch Elvira nicht mehr verheimlichen, dass mit ihren Eltern etwas nicht stimmte. "Wo finde ich Albert und Gerda Kappe", überfiel ich die Schwester im Empfang, die sichtlich verunsichert guckte, als sie den Haufen verängstigter Kinder bemerkte.




    Sie wollte gerade Antworten, als das "Pling" des Fahrstuhls erklang und Roland den Lift verließ. Ich vergaß die Schwester und rannte sofort auf ihn zu. "Roland, was ist passiert", redete ich wild drauf los. "Wie geht es Albert? Geht es ihm gut? Was ist mit Gerda?"




    Rolands Gesicht wirkte besorgt. "Sie wurden heute Morgen im Rio Seco gefunden. Scheinbar hat Albert die Kontrolle über das Fahrzeug verloren und sie sind fast dreißig Meter in die Schlucht gestürzt". Als Miranda das hörte, schrie sie entsetzt auf und wendete sich weinend von uns ab. Die restlichen Kinder und ich starten Roland nur schockiert an. "Wie geht es ihnen", fragte Desdemona, voller Angst vor der Antwort.




    "Albert ist stabil", erklärte Roland was mich hörbar aufatmen ließ. "Er ist zwar stark unterkühl, schließlich haben die beiden fast zwei Tage im Wasser gelegen. Er verliert immer wieder das Bewusstsein, aber ich denke, dass er bald wieder zu sich kommen wird." Dann wurde Rolands Stimme aber deutlich ernster und Desdemona und die kleine Elvira lauschten voller Angst seinen weiteren Worten. "Gerdas Zustand ist kritisch. Sie hatte starke innere Blutungen und wir mussten ihre Milz entfernen. Sie hat nicht einmal ihr Bewusstsein wiedererlangt, seitdem sie gefunden wurde. Wir haben alles getan, was in unserer Macht stand und können jetzt nur hoffen, dass sie einen starken Willen hat."




    Hans drehte sich gedankenverloren weg und erlaubte es niemandem, seine wahren Gefühle zu ergründen. Ich konnte nur erahnen, was er in diesem Moment fühlte. Elvira hatte noch nicht gelernt ihre Gefühle zu unterdrücken und fiel ihrer älteren Schwester weinend um den Hals. "Ich will zu meiner Mama!", weinte sie bitterlich und Desdemona konnte sie nur fest an sich drücken und ebenfalls ihren Tränen an Elviras Schulter freien Lauf lassen. "Können die Kinder zu ihrer Mutter?", hakte ich bei Roland nach und er nickte voller Mitgefühl.







    Der Anblick ihrer Mutter traf die Kinder hart. Insbesondere die beiden Jüngsten begannen entsetzlich zu weinen, als sie ihre Mutter mit all den Schrammen und Narben im Gesicht sahen. Gerda lag regungslos in ihrem Bett und nur ein sehr flaches Atmen verriet, dass sie noch unter den Lebenden weilte. Aber ihr Leben hing an einem seidenen Faden, zumindest war dies mein erster Gedanke, als ich ihr blasses Gesicht sah. "Wach bitte auf, Mami, bitte!", flehte Elvira ihre Mutter an und hätte sich fast auf Gerda gestürzt, wenn Hans sie nicht zurückgehalten hätte. "Mama braucht jetzt ruhe, Küken", sagte er in seinem mildesten Tonfall, aber mit deutlichem Zittern in der Stimme. Und Elvira begriff, dass sie jetzt besser auf ihren Bruder hören sollte.







    Ich zog mich mit Roland in eine Ecke des Zimmers zurück, um in Ruhe mit ihm reden zu können. "Sag mir die Wahrheit, Roland. Wird Gerda es schaffe?" Rolands zögern war mir Antwort genug. "Hätte man sie sofort gefunden, dann hätte ich viel mehr für sie tun können. Sie hat so viel Blut verloren. Und da ist auch noch…" Roland zögert. "Sag es mir, Roland, bitte. Sie ist doch meine beste Freundin!", flehte ich ihn an und das überzeugte Roland scheinbar. "Selbst wenn Gerda wieder aufwacht, wird sie nie wieder laufen können. Ihr Rückenmark wurde zu stark beschädigt."




    Ich hätte losheulen können. Warum musste dieser schrecklich Unfall bloß passieren? Das hatten die Kinder nicht verdient und auch Gerda nicht. Sie war immer so nett zu mir gewesen seit ich nach Sierra Simlone Stadt gezogen war und jetzt würde sie ihr Leben lang gelähmt bleiben. "Kann ich zu Albert?", bat ich Roland. Er nickte und führte mich aus Gerdas Krankenzimmer. Die Kinder blieben bei ihrer Mutter.




    Wir waren fast an Alberts Zimmer angekommen, als plötzlich eine Schwester aus der Tür gestürmt kam. "Dr. Reichardt, kommen sie schnell. Der Patient ist soeben kollabiert." "Warte hier Oxana", wies er mich an und rannte in das Zimmer, in dem mein geliebter Albert lag.




    Ich stand da und wusste nicht, was im Inneren des Zimmers vor sich ging. Ich hörte nur immer wieder Roland etwas brüllen, aber ich konnte nichts Genaues verstehen. Ich hatte Angst um Albert, so furchtbare Angst. Ich liebte ihn doch so sehr und der Gedanke ihn zu verlieren war unerträglich. Wir hatten doch gerade erst zueinander gefunden und jetzt sollte alles wieder vorbei sein? In meiner Verzweiflung brach ich in Tränen aus. Ich hatte nicht mehr die Kraft, länger stark zu bleiben.




    Plötzlich stand Kinga neben mir. "Mami, warum weinst du denn?", fragte sie in ihrer kindlichen Art. Bei ihrem Anblick fing ich nur noch heftiger an zu schluchzen und drückte sie fest an mich. "Es wir alles gut werden, Mami. Tante Gerda und Onkel Albert werden ganz sicher wieder gesund." Onkel Albert? Diese Worte aus ihrem Mund führten zu einem weiteren Heulkrampf. "Soll ich Papa anrufen?", fragte Kinga weiter und die Sorge in ihrer Stimme rührte mich auf unbekannte Weise. Wenn ich ihr doch nur alles erzählen könnte! Wenn ich ihr bloß sagen könnte, dass ihr Papa gerade hier im Krankenhaus lag und mit dem Tod rang! Wenn ich diese ständige Lügerei endlich beenden könnte!




    Plötzlich wurde die Tür des Zimmers aufgestoßen und das Krankenbett, mit Albert darauf, von der Schwester heraus geschoben. Roland folge ihre hastig und beide nahmen keine Notiz von mir. Albert lag regungslos auf der Liege. Es sah beinah so aus als ob..."Was ist mit ihm", schrei ich panisch und lief Roland und der Schwester hinterher. "Wahrscheinlich ein Hirn- Aneurysma", erklärte Roland kurz angebunden und damit beschäftigt, Albert zu versorgen. "Wir müssen sofort operieren."




    Ich sah nur noch, wie Albert in den Operationssaal geschoben wurde. Niemand erklärte mir etwas. Ich wusste nicht, was vor sich ging. Ein Hirn-Aneurysma? Was sollte das sein? Was bedeutete es für Albert? Er durfte nicht sterben. Er durfte einfach nicht! Ich liebte ihn doch so sehr.