Oxana - Wege des Gewissens

  • Kapitel 74: Wer?




    Diesmal ließ Dominik nicht mehr mit sich reden. "Wir fahren jetzt sofort zu Arzt!" Als ich widersprechen wollte packte er mich unsanft am Arm und zerrte mich zum Auto. Er sprach während der kurzen Fahrt kein Wort, aber sein aggressiver Fahrstil verriet, dass er wütend auf mich war. Seine Besorgnis entging mir dabei völlig. "Steig aus!", ordnete er an, als wir die Praxis der Landschwester erreichten.




    Schwester Mphenikohl wartete bereits im Inneren auf uns, denn Dominik hatte sie vorher angerufen. "Guten Tag, Frau Brodlowska", begrüßte sie mich freundlich. "Ihr Lebensgefährte schien sehr besorgt am Telefon. Und nach Ihrem kürzlichen Zusammenbruch kann ich dies auch gut nachvollziehen. Kommen Sie doch bitte in das Behandlungszimmer. Und Sie, Herr Blech, können hier im Wartezimmer Platz nehmen." Sie deutete auf die Sessel in der Nähe des Eingangs. Dominik war zwar nicht begeistert, dass er nicht mit hinein durfte, aber er folgte ihrer Anweisung.




    Ich dagegen musste mich förmlich in das Behandlungszimmer ziehen lassen. Ich sah nicht ein, was ich hier sollte. Ein Arzt konnte mir nicht helfen. Das konnte niemand. Ich brauchte nur Zeit, um mit der Situation fertig zu werden. Aber das schien keiner zu begreifen. Also ließ ich den Wortschwall der teilnahmslos Landschwester über mich ergehen. "Herr Blech erklärte mir bereits, dass Sie über Schwindelgefühl und Übelkeit klagen. Und ich behandle Sie schon seit Jahren, Oxana. Die tiefen Schatten um Ihre Augen sind aber erst seit kurzem in ihrem Gesicht. Haben Sie noch weitere Beschwerden?" Ob ich noch weitere Beschwerden hatte? Meine große Liebe war tot! Das fehlte mir! Aber natürlich sagte ich das nicht, sondern schüttelte nur mit dem Kopf.




    Schwester Mphenikohl bat mich, auf der Untersuchungsliege Platz zu nehmen. Sie überprüfte meine Reflexe und testete meine Reaktionen. Sie stellte mir lauter blödsinnige Fragen, wie etwa nach dem heutigen Datum oder nach dem momentanen Regenten. Fragen, die ich lustlos, aber richtig beantwortete. Danach musste ich eine Urinprobe abgeben und die Landschwester nahm mir Blut ab. Ich ließ alles über mich ergehen. Vielleicht würde man mich dann zufrieden lassen.




    "Reagieren Sie zurzeit ungewöhnlich auf bestimmte Gerüche? Tritt ihre Übelkeit vielleicht besonders beim Geruch von Essen auf?" Was sollte diese Frage? Natürlich wurde mir nur schlecht, wenn Essen in der Nähe war, aber das war ja auch völlig normal. Trotzdem bejahte ich die Frage. "Wann hatten Sie zum letzten Mal ihre Regel, Oxana?" Meine Regel? Ich versuchte mich zu erinnern. Ja, vor zwei Wochen musste es gewesen sein. Seitdem ich die Pille nahm, kamen meine Tage immer exakt zur Monatsmitte. "Und Sie sind sich sicher, dass Sie sie bekommen haben?" Erst nickte ich, doch dann begann ich zu zögern. Seit Alberts Beerdigung hab ich nicht mehr wirklich darauf geachtet. Und erst jetzt fiel mir auf, dass ich die Pille schon seit mehreren Wochen nicht mehr genommen hatte. Seit Alberts Verschwinden nicht mehr.




    Schwester Mphenikohl fragte immer weiter. Dann begann sie mich weiter zu untersuchen. Zwischenzeitlich war sie mit einigen Tests beschäftigt, während sie ein EKG von mir aufnahm. Insgesamt dauerte die Untersuchung beinah eine Stunde. "Sie haben einen akuten Eisen- und Vitaminmangel, Oxana. Und Sie sind auch noch weiterhin Dehydriert. Sie müssen unbedingt mehr trinken. Und Sie sollten auch etwas an Gewicht zulegen. Sie sind sehr dünn und demnächst werden Sie Energie für zwei brauchen. Sie sind schwanger, Oxana."




    Ja, ja, Vitaminmangel. Sollte sie mir doch ein paar Tabletten verschreiben. Und mehr trinken konnte ich auch. Aber das Essen kam doch eh wieder hoch. Und wenn sie Albert nicht zurück bringen konnte, dann würde das auch nicht besser werden. Doch dann drangen ihre letzten Worte zu mir durch. "Schwanger?", entfuhr es mir. "Aber ich...ich kann nicht schwanger sein. Ich nehme doch die Pille und ich hatte keinen Sex mehr seit…seit mindestens fünf Wochen. Ich kann nicht schwanger sein."




    Ich erhob mich hastig aus meinem Stuhl und sofort überkam mich erneut ein Schwindelgefühl. "Sie sollten sich wieder setzten, Oxana", riet mir die Landschwester. Doch ich wollte nicht. "Wer ist der Vater?", platzte ich heraus, ohne über meine Worte nachzudenken. Schwester Mphenikohl schien von diesen Worten sichtlich überrascht. "Nun, dem Hormonspiegel zufolge sind Sie etwa in der fünften oder sechsten Woche", erklärte sie verlegen. "Wer in diesem Bereich als Vater in Frage kommt, müssen Sie selber wissen. In diesem Zeitraum waren Sie auch bei mir wegen einer kleinen Infektion und ich habe Ihnen ein Antibiotikum verschrieben. Es ist möglich, dass dieses Medikament die Wirkung der Pille beeinträchtigt hat."




    Sie holte einige Vitamin- und Eisenpräparate aus dem Medikamentenschrank und gab sie mir. "Nehmen Sie die dreimal am Tag. Und wie gesagt, trinken Sie viel und achten Sie auf ihre Ernährung. Ansonsten sollten Sie spätestens in vier Wochen zur nächsten Untersuchung kommen." Als ich in der Praxis eintraf, war mein Kopf wie leergefegt gewesen. Jetzt überschlug sich alles darin. Ich ignorierte Dominik und ging einfach zum Auto. "Was fehlt ihr?", wand sich Dominik deshalb an Schwester Mphenikohl. "Körperlich ist sie in Ordnung, nur etwas ausgelaugt. Aber ich fürchte, ihre Lebensgefährtin hat ein psychisches Problem. Vielleicht ist es gut, wenn sie Hilfe bei einem Spezialisten suchen." Die Schwangerschaft erwähnte sie aber nicht. Sie hatte schon genug Schwangere behandelt um zu wissen, dass diese selbst entscheiden mussten, wann und ob sie sich ihren Lebensgefährten mitteilten.




    Kaum war ich in die heiße Mittagssonne hinausgetreten, überkam mich erneut eine Welle der Übelkeit und ich musste mich auf dem Parkplatz übergeben. "Soll ich die Landschwester holen?", fragte Dominik, der inzwischen auch hinausgekommen war. Ich schüttelte den Kopf. "Fahr mich einfach nur nach Hause", bat ich ihn und stieg, der Verzweiflung nahe, in das Auto.

  • Kapitel 75: Abschied





    Ich sprach auf der Rückfahrt kein Wort mit Dominik. Er versuchte zwar mich mit albernen Witzen aufzuheitern, doch ich nahm ihn kaum wahr. Am liebsten hätte ich mich sofort in mein Bett verkrochen, doch als wir in der Simlane vorfuhren, wartete bereits ein Grillabendessen auf uns. Roland ließ mir auch keine große Wahlmöglichkeit, sondern pflanzte mich auf den nächsten freien Stuhl unter unserem Sonnendach. "Ich habe ein Ankündigung zu machen", erklärte er schließlich, nachdem die ersten Hot Dogs bereits verspeist waren. "Ihr wisst alle, dass Brandi und ich in wenigen Monaten heiraten werden. Und es ist mehr als überfällig, dass wir beide zusammen ziehen. Die Simlane ist zwar ein schöner Ort, aber es wird Zeit, dass ich mir mit meiner zukünftigen Frau etwas Eigenes aufbaue. Und deshalb werden Constance und ich nächstes Wochenende ausziehen." Tristan klappte bei diesen Worten regelrecht die Kinnlade herunter. "Was? Du kannst doch nicht...warum hast du mir nichts erzählt?", stotterte er.




    Der Einzige, der sich über diese Neuigkeit freute, war wohl Dominik. "Wird aber auch langsam mal Zeit, dass du das Nest verlässt, Reichardt. Du bist meinem Mädchen und mir schließlich lang genug auf den Wecker gegangen. Aber ein bisschen werde ich deine Visage schon vermissen. So etwas...Außergewöhnliches sieht man schließlich nicht alle Tage". Ich sah die Prügelei schon deutlich vor meinen Augen, doch Roland hatte genügend Selbstbeherrschung, um es nicht so weit kommen zu lassen. "Du wirst mir auch fehlen", war seine trockene Erwiderung.




    Diese Neuigkeit war natürlich nicht neu für mich. Ich wusste, dass Roland weg wollte. Aber dass es so schnell passieren würde, traf mich doch unvorbereitet. So viele Jahre waren wir durch dick und dünn gegangen und jetzt würde Roland einfach so ausziehen. Mir war zum Heulen zumute. Und während Kinga, Tristan und Dominik Roland mit Fragen zum neuen Haus überhäuften, betrachtete ich wehmütig Roland, der überglücklich schien. Ich beneidete ihn so sehr dafür, dass er seine Traumfrau gefunden hatte und mit ihr glücklich werden würde. Meine Hoffnung auf Glück war am Tag von Alberts Beerdigung mit ihm begraben worden.




    Doch noch jemand schien wenig glücklich über den Auszug zu sein. Constance sah ihren Vater mit traurigen Augen an. Man konnte deutlich sehen, dass sie nicht ausziehen wollte. Roland war zwar ihr Vater, aber irgendwie gehörten wir alle zu ihrer Familie. Dominik, Tristan, Kinga und ganz besonders ich. Wir waren die einzige Familie, die sie je kennengelernt hatte. Und Brandi war bloß eine Fremde für sie.




    Constance verzog sich in ihr Zimmer und hockte sich unter den Schreibtisch. Sie wollte, dass ihr Papa glücklich war. Nur deshalb hatte sie nichts gesagt, als er ihr von den Auszugsplänen erzählte. Sie wollte nicht mit Brandi zusammen wohnen. Die Verlobte ihres Vaters war zwar nett zu ihr, aber dennoch beschlich das kleine Mädchen unweigerlich das Gefühl, dass diese Frau sie nicht wirklich wollte. Für sie war sie lediglich ein lästiges Anhängsel, das an ihrem Verlobten hängte. Und diese Frau sollte ihre neue Mutter werden?




    Früher wäre mir aufgefallen, wie unwohl Constance sich fühlte. Doch ich hatte eigene Probleme, die mich blind für alles andere machten. Der Schock über Rolands Auszugserklärung ließ mich Albert und die Schwangerschaft fast vergessen. Allerdings nur für wenige Minuten, denn im nächsten Augenblick musste ich zur Toilette rennen und die wenigen Bissen des Hot Dogs, die ich runter gewürgt hatte, wieder an die Oberfläche befördern.




    Ich konnte Constance nicht aufheitern. Dafür konnte Kinga es umso mehr. Die beiden waren seit ihrer frühsten Kindheit wie Schwestern aufgewachsen. Und keine der beiden wollte daran denken, dass sie sich bald trennen mussten. Also verbrachten sie so viel Zeit miteinander, wie es nur ging. In den frühen Morgenstunden ließ es sich wunderbar hinterm Haus spielen. Und ein "Cowboy und Indianer" Spiel war in einer echten Wüste doppelt so lustig.




    Und wenn die Sonne am Mittag erbarmungslos auf die Erde hernieder brannte, konnte man auch im Haus eine Menge Spaß haben. Zwar war es auch hier meist heiß und stickig, doch ein halbwegs kühles Zimmer ließ sich immer finden. Und eine wilde Kissenschlacht im Schlafzimmer des Vaters war gleich doppelt aufregend, weil der kleine Hauch von etwas Verbotenem mitschwang.




    Und da beide wussten, dass ihnen nicht mehr viel gemeinsame Tage blieben, nutzten sie die Zeit bis tief in die Nacht. Mehr als einmal musste Dominik die beiden fast vom Puppenhaus wegzerren. Doch den beiden viel immer wieder eine neues Abenteuer ein, welches ihre kleinen Puppen erleben konnten. Mal wurde eine Party gefeiert, mal musste die Feuerwehr das Kind vom Dach retten und manchmal bedrohte sogar ein Monsterteddy die mutigen Puppenhausbewohner.







    Auch Roland und Tristan entdeckten ihren Spieltrieb auf ein Neues. Mit den Jahren waren wir alle älter und vernünftiger geworden, doch die beiden erinnerten sich wieder an die Anfangstage unserer Dreier-WG, in denen wir bis tief in die Nacht Schlambada in Unterwäsche tanzten oder wilde Kissenschlachten quer durch das ganze Haus veranstalteten.




    Natürlich würde Roland nicht aus der Welt verschwinden, nur weil er ein paar Straßen weiter zog. Aber beiden war klar, dass sich ihre Freundschaft ändern würde, wenn Roland nicht mehr in der Simlane lebte. Also nutzten auch Tristan und er noch die letzten gemeinsamen Tage. Wie früher zogen die beiden los und machten die Clubs der Umgebung unsicher. Bei leckeren Cocktails schwelgten sie in Erinnerungen.




    Und hinterher machten sie die Tanzfläche unsicher. Tanzen konnten beide. Es machte Spaß ihnen zuzusehen und auch die DJane fuhr zu Höchstleistungen auf, als sie die beiden in Aktion erlebte.




    Verschwitzt aber glücklich faste Tristan Roland an den Schultern und führte ihn in einer Mini-Polonaise mit zwei Teilnehmern zur nächsten Fotokabine. "Los, rein mit dir. Wir brauchen eine Erinnerung an diesen Abend. Dann können wir unseren Kindern später beweisen, was für wilde Kerle wir doch waren", lachte Tristan und schob Roland in die Kabine. Und kurze Zeit später schob sich das frisch gedruckte Foto aus dem Automaten. Als Roland das Foto sah, machte er große Augen und deutete auf das Bild links oben. "Wann hast du dich denn kopfüber gestellt?", fragte er irritiert. "Und wie zum Teufel hast du das überhaupt angestellt." "Das mein Freund", erwiderte Tristan grinsend, "wird wohl mein kleines Geheimnis bleiben."




    "Oh, sieh mal", rief Tristan aufgeregt. "Die alte Blubberblasen-Maschine ist auch noch da. Los, lass sie uns ausprobieren." Mehr brauchte es nicht, um Roland zu überreden. "Hier haben wir uns damals kennengelernt", erinnerte er sich. "Du trugst damals diesen lustigen Anglerhut." "Und du deine schwarze Kappe. Du sahst damit zum Anbeißen aus. Aber du hattest nur Augen für Oxana. Ich dachte schon, ich müsste nackt vor dir tanzen, nur um bemerkt zu werden." Roland sah Tristan schief an und brach dann in schallendes Gelächter aus. "Gott sei Dank hast du das gelassen. So schüchtern wie ich damals war, wäre ich wahrscheinlich in Ohnmacht gefallen."




    Die beiden blubberten noch eine ganze Weile vor sich hin, machten schließlich aber Platz für die anderen Gäste, die auch ein paar Bläschen machen wollten. Da beide aber noch keine Lust hatten in die Simlane zurückzukehren, entschieden sie sich für eine Karaoke-Einlage. Bei Liedern von Madonna und Gloria Estefan trieben sie ihre Stimmen bis ans Äußerste und fingen sich mehr als einen verwunderten Blick von den anderen Clubgästen ein. Doch den beiden war es egal. Erlaubt war, was Spaß machte, und ihr Gesangsduett machte auf alle Fälle Spaß.




    Mit trockener Kehle fanden sie dann erneut den Weg zur Bar, wo der Abend auch schon begonnen hatte. "Zwei Zombies", bestellte Roland hechelnd und ließ sich auf den Barhocker plumpsen. "Wo schaust du denn hin?", fragte er, als er Tristans hypnotisierenden Blick bemerkte. Seiner Blickrichtung folgend entdeckte er auch den jungen Mann, der Tristans Interesse geweckt haben musste. "Ja, der sieht nicht mal schlecht aus", gab er seinen Kommentar ab. "Nicht schlecht ist ja wohl etwas untertrieben", erwiderte Tristan. "Und hast du schon seine äußerst knappen Shorts bemerkt? Heiß, kann ich da nur sagen."




    Und ehe Roland es sich versah, stand Clark, so hier der scharfe Unbekannte, neben ihnen und Tristan flirtete, was das Zeug hielt. Und Clark schien alles andere als abgeneigt, wie Roland und insbesondere Tristan erfreut feststellen mussten. "Macht es dir was aus, wenn du gleich alleine nach Hause fährst?", fragte er Roland schließlich unauffällig ohne Clark dabei aus den Augen zu verlieren. "Dann lass ich euch zwei Hübschen mal lieber allein", grinste Roland zur Antwort, leerte sein Glas in einem Zug und machte sich lachend auf den Heimweg.







    Auch ich versuchte noch so viel Zeit wie möglich mit Roland zu verbringen, bevor er die Simlane verließ. In seiner Nähe fühlte ich mich einfach wohl und geborgen und für einen kurzen Augenblick konnte ich bei ihm meine ganzen Probleme vergessen. Wir unterhielten uns viel oder benutzten mal wieder die alte Dartsscheibe, die schon in diesem Haus hing, als ich vor sieben Jahren hierher zog. Doch leider war Roland nicht ganz so aufgeschlossen mir gegenüber, wie er es früher gewesen war. Meine Bettaktion von vor einigen Nächten war nicht spurlos an unserer Freundschaft vorbei gegangen.




    Und dann war es soweit. Das neue Haus von Roland, Constance und Brandi war bezugsfertig. Constance war ganz traurig, als sie in das Taxi steigen musste, das sie in ihr neues Zuhause am anderen Ende von Sierra Simlone Stadt bringen würde. Tristan winkte den beiden noch so lange zum Abschied, bis das Auto in der Dunkelheit verschwunden war. Kinga hatte sich gleich unter ihre Bettdecke verkrochen und hoffte, dass es gleich Morgen würde und sie Constance in der Vorschule traf. Ich beobachtete alles durch das Fenster. Einen Abschied konnte ich jetzt auf keinen Fall überstehen.


  • Kapitel 76: Etwas Dummes




    Am nächsten Morgen ging ich ganz unbewusst in Roland Zimmer. Das Bett war ordentlich gemacht und die Morgensonne schien durch die Fenster hinein. Alles sah noch aus wie immer, aber irgendwie fühlte der Raum sich plötzlich leblos an. Als ob er spüren würde, dass hier nun niemand mehr wohnte.




    Roland hatte mich einfach allein gelassen! Und plötzlich, nach all den Wochen brach ich in Tränen aus. Ich heulte laut drauf los und konnte gar nicht mehr aufhören. Warum war die Welt bloß so ungerecht zu mir? Ich hörte nicht, wie hinter mir die Tür geöffnet wurde und Roland das Zimmer betrat. Als er mich so aufgelöst vorfand, wusste er nicht, wie er reagieren sollte. "Oxana, alles okay bei dir?", fragte er deshalb unsicher. Überrascht drehte ich mich in seine Richtung und für einen Moment verstummte mein Weinen. "Ich wollte bloß noch ein paar Sachen abholen", erklärte er wie zur Entschuldigung, dass er mich in dieser Verfassung überrascht hatte.




    Und sofort fing ich wieder laut an zu weinen. "Oxana, es ist schon gut. Es ist alles gut", redete er tröstend auf mich ein und drückte mich fest an seinen Körper. In dieser Position verharrten wir einige Minuten. Immer wieder sprach Roland tröstende Worte und strich mir beruhigend über den Rücken. Doch ich konnte nicht aufhören zu weinen und schließlich war Rolands Hemd im Bereich der Schulter völlig durchtränkt von meinen Tränen.




    Es tat mir gut von einem Menschen im Arm gehalten zu werden, dem ich vollkommen vertraute. Und obwohl er nichts Besonderes tat oder sagte, versiegten meine Tränen. Langsam schob ich mich von ihm zurück. Seine Hand umfasste noch immer meine Taille und meinen Nacken und ganz unabsichtlich trafen sich unsere Blicke.




    Und dann tat ich etwas Dummes. Ganz vorsichtig führte ich meine Lippen an Rolands Mund und küsste ihn. Ganz sanft und langsam bewegte ich meine Lippen und plötzlich spürte ich, wie er meinen Kuss zögerlich erwiderte.




    Doch dann zog er sich zurück. Schwer atmend sah er mir in die Augen. Keiner sagte ein Wort. Wir ließen einander nicht aus den Augen, als ob wir erahnen wollten, was unser Gegenüber dachte.




    Und dann zog er mich wild an sich heran und küsste mich voller Leidenschaft. Es dauert nur den Bruchteil einer Sekunde, bis ich seinen Kuss erwiderte und mich der Leidenschaft hingab. Wir ließen uns auf das Sofa in der Fensternische fallen und Rolands Küsse und Hände erforschten meinen gesamten Körper, so wie meine es bei seinem taten.




    Hastig entledigten wir uns unserer Kleider und taumelten eng umschlungen ohne unsere Lippen voneinander zu lösen zum Bett. Er fragte nicht, ob ich es wollte, denn mein Verhalten sprach eine eindeutige Sprache. Und dann schliefen wir miteinander.




    Unser Liebesakt war kurz und intensiv. Aber so schnell wie die plötzliche Leidenschaft über uns hereingebrochen war, flaute sie auch wieder ab. Und plötzlich wurde mir klar, dass ich mit meinem besten Freund geschlafen hatte. Hastig suchte ich meine Unterwäsche zusammen und kroch unter der Bettdecke hervor. Wieder schossen mir die Tränen in die Augen und ich begann leise zu schluchzen. Doch diesmal versuchte Roland mich nicht zu trösten.




    Er suchte seine Kleider zusammen und zog sich hastig an. Er ignorierte mich einfach und tat so, als ob nichts vorgefallen wäre. Er war schon fast aus der Tür raus, als er sich noch einmal zu mir umdrehte und in meine verheultes Gesicht sah. "Es tut mir leid, Oxana. Das war gerade ein riesiger Fehler. Ich hätte es nie so weit kommen lassen dürfen. Ich liebe Brandi. Verstehst du jetzt, warum ich von hier weg musste?" Schluchzend blieb ich allein in dem Zimmer zurück.







    Ich konnte mich nicht mehr daran erinnern, wann ich meine Kleider angezogen hatte. Die Sonne war längst untergegangen und ich saß noch immer schluchzend in Rolands Zimmer. "Hier bist du also." Ich hatte Tristan nicht in das Zimmer kommen sehen. Ich hatte nicht einmal bemerkt, dass er das Licht angeschaltet hatte. "Wir haben uns Sorgen gemacht, als wir dich nicht finden konnten. Dominik sieht ziemlich fertig aus, weiß du das überhaupt?" Ich starrte Tristan an und ich hörte auch jedes einzelne Wort, doch irgendwie erreichte mich keines davon. Traurig senkte ich meinen Blick und strich mit den Fingern über den Stoff meiner Jeans.




    "Oxana, lass dir doch helfen. Wir machen uns alle Sorgen um dich." Tristan hockte sich zu mir hinunter und griff nach meiner Hand. "Wir wollen doch nur dein Bestes." "Mein Bestes?!", fuhr ich Tristan völlig unvorbereitet an, sodass er nach hinten taumelte und sich wieder aufrichteten musste um nicht umzufallen. "Ihr wisst doch gar nicht, was das Beste für mich ist! Ihr habt doch alle gar keine Ahnung, wie ich mich fühle...was ich verloren habe." Augenblicklich legte sich meine Wut und erneut wimmerte ich leise vor mich hin.




    Doch Tristan ließ sich nicht so leicht von mir abschrecken. Er kniete sich erneut vor mich hin und griff meine Hand. "Dann sag uns doch, was dir fehlt. Bitte, Oxana", seine Stimme klang so voller Mitgefühl und tiefer Sorge, dass es plötzlich aus mir heraus brach. "Ich habe Roland aus dem Haus getrieben", schluchzte ich los. "Und heute Morgen hab ich unsere Freundschaft völlig zerstört, als ich mit ihm geschlafen habe. Und Gerda wird nie wieder laufen können und das ist alles meine Schuld!" Ich warf mich Tristan um den Hals. Ich krallte mich regelrecht in seinen Rücken, doch er beschwerte sich nicht. "Und dann ist da noch Dominik. Ich liebe ihn nicht. Ich liebe ihn einfach nicht. Und Kinga liebe ich auch nicht. Ich bin eine furchtbare Mutter. Was für eine Mutter liebt ihr Kind nicht? Und jetzt bin ich schon wieder schwanger!" Ein Weinkrampf folgte dem nächsten und ich brachte kein vernünftiges Wort mehr heraus.




    Tristan hielt mich so lange fest, bis ich mich wieder einigermaßen beruhigt hatte. Er ließ mich auf dem Sofa Platz nehmen und setzte sich dann neben mich. Für einen Moment herrschte Schweigen. "Du bist keine schlechte Mutter, Oxana. Und es stimmt auch nicht, dass du Kinga nicht liebst", durchbrach Tristan schließlich die Stille, was aber nur dazu führte, dass meine Augen sich mit Tränen füllten. "Wenn du sie nicht lieben würdest, dann hättest du nicht so lange durchgehalten. Du wärst dann nicht all die Jahre mit Dominik zusammen geblieben, sondern wärst schon längst zu Albert gegangen. Aber du wolltest deinem Kind nicht den Vater nehmen."




    "Du weißt von Albert", keuchte ich überrascht. Meine Augen waren weit aufgerissen und ich dachte, dass mein Herz gleich aussetzten würde. "Seit wann? Woher?" Tristan schaute verlegen auf den Boden. "Frank und ich haben Albert und dich vor etwa sieben Monaten in Seda Azul gesehen. Wir waren auf dem Gay Beach Festival und am Abend wollten wir...alleine sein. Hinter den Dünen erschien uns ein nettes Plätzchen, aber...nun ja, dieses Plätzchen war leider schon besetzt...von Albert und dir, du verstehst." Tristan war an sich kein verklemmter Mensch, doch im Moment glühte sein Kopf hoch rot. "Ihr wart nicht gerade leise und die Situation war eindeutig."




    "Warum hast du nie etwas gesagt?", fragte ich tief beschämt. "Es ging mich nichts an, Oxana. Du bist eine erwachsene Frau und ich finde nicht, dass ich mich ungefragt in dein Liebesleben einmischen sollte." "Es war so schwer, mit niemandem darüber reden zu können. Oh, Tristan, ich habe Albert so sehr geliebt. Aber ich konnte doch nicht seine Ehe mit Gerda zerstören. Und ich konnte Kinga doch nicht den Vater nehmen. Ich habe erst versucht, meine Gefühle zu ignorieren, doch irgendwann konnte ich nicht mehr. Mit jedem unserer heimlichen Treffen wusste ich, dass ich ihn mehr als alles andere auf dieser Welt liebte. Wir wollten sogar heiraten." Bis jetzt war ich relativ ruhig geblieben, doch jetzt flossen wieder die Tränen.




    "Und jetzt ist er tot, Tristan. Und ich konnte mit niemandem darüber sprechen. Ich dachte fast, ich würde durchdrehen und etwas Dummes machen." Bei diesen Worten keuchte Tristan erschrocken auf. "Dass Dominik sie so um mich bemüht, macht es nur noch viel schlimmer. Jedes Mal wenn ich ihn sehe, werde ich daran erinnert, was ich mit Albert hätte haben können. Und jetzt bin ich auch noch schwanger." "Und du weißt nicht, wer der Vater ist." Tristans Feststellung traf es auf den Punkt. "Beide könnten der Vater sein", schluchzte ich. "Und ich weiß nicht, was schlimmer wäre, ein Kind von Albert, das mich jeden Tag schmerzhaft an ihn erinnert, oder noch ein Kind von einem Mann, den ich nicht liebe."




    Darauf wusste Tristan natürlich auch keine Antwort, aber die hatte ich auch nicht erwartet. Und erstaunlicherweise fühlte ich mich plötzlich viel besser. Es tat so gut, sich nicht mehr verstellen zu müssen. "Und jetzt zeig dich den Kindern und Dominik, damit sie sich nicht weiter um dich sorgen", forderte Tristan mich auf und zog mich vom Sofa hoch. "Danke für deine Hilfe, Tristan", bedankte ich mich bei ihm. "Dafür sind Freunde doch da." Eigentlich war damit alles geklärt, doch ich trat unruhig von einem Bein auf das andere, sodass Tristan gleich merkte, das mir noch etwas auf der Seele brannte. "Darf ich heute bei dir im Bett übernachten?", fragte ich unsicher, als er wissen wollte, was los war. Sein fröhliches Lachen überwältigte mich. "Und ich dachte, du hättest noch eine weitere Bombe im Gepäck."




    Ich blieb so lange wach, bis Dominik alleine ins Bett ging. Ich wartete noch eine Weile und ging dann rüber in Tristans Zimmer und legte mich zu ihm. Doch einschlafen konnte ich nicht. "Schläfst du?", fragte ich deshalb leise mitten in der Nacht. "So wie du dich herumwälzt würdest du selbst einen Komapatienten aufwecken", grummelte er verschlafen. Ich wusste noch immer nicht, was ich wegen des Kindes unternehmen sollte, das langsam in meinem Bauch heran wuchs. "Vielleicht solltest du einfach mal Abstand von all dem hier nehmen und wegfahren. Mit all den Menschen und Erinnerungen hier wirst du nie eine vernünftige Entscheidung treffen können. Aber jetzt lass mich bitte schlafen, Süße." Damit drehte er sich auf die andere Seite und schlief sofort wieder ein.

  • Kapitel 77: Wie weggewischt




    Tristan hatte Recht. Ich musste die Simlane und die Sierra Simlone verlassen, wenn ich wieder einen klaren Kopf bekommen wollte. Als Dominik und Tristan bei der Arbeit und Kinga in der Vorschule waren, packte ich ein paar Sachen in meinen Koffer. Ich schrieb einen kurzen Abschiedsbrief, in dem ich meiner Tochter, Dominik und Tristan mitteilte, dass es mir gut ginge und sie sich keine Sorgen machen sollten. Diesen Brief legte ich gut sichtbar im Wohnzimmer hin. Dann schrieb ich aber noch einen weiteren an Tristan, den nur er sehen sollte. Ich hoffte, dass Tristan damit Recht behielt, dass ein wenig Abstand mir gut täte.




    Ich stieg aus der Straßenbahn, die nur wenige Meter von dem bröckeligen Plattenbau hielt, der mein Ziel darstellte. Mit meinem Koffer in der Hand ging ich auf den Eingang zu, als eine alte Frau mit einer Schüssel voller Essensreste aus der Eingangstür kam und sie den streunenden Hunden vor dem Haus hinstellte. "Babciu", rief ich erfreut aus und lief auf die alte Frau zu, die niemand anderes als meine Großmutter war. Verwirrt drehte sie sich zu mir um und riss ihre Arme hoch, als sie mich erkannt. "O, moja kochana Oxanka“, rief sie in Polnisch, „Komm zu deiner alten Großmutter."




    Die Überraschung war mir eindeutig gelungen. Mit dem alten Fahrstuhl fuhren wir in den 9 Stock des Hochhauses. Ich sah mich kurz in der Wohnung um, aber es hatte sich nichts verändert, seitdem ich meine Großeltern vor sieben Jahren verlassen hatte. Alles war hier so wie immer. Alles war einfach, aber man fühlte sich gleich geborgen und geliebt. Es war nur zu schade, dass mein Großvater, Gott hab ihn selig, nicht mehr unter uns war. Er war vor zwei Jahren abends einfach schlafen gegangen und ist morgens nicht mehr aufgewacht. Es hatte uns alle unerwartet getroffen, aber mein Großvater hatte 73 glückliche Jahre gelebt. "Du hast doch bestimmt Hunger, Kindchen. Soll ich dir Rührei machen? Und ein paar Brühwürste? Reichen dir vier Butterstullen dazu?" Ja, das war meine Oma.




    Vor dem Essen konnte ich mich dann auch nicht drücken, obwohl ich noch im Flugzeug gefrühstückt hatte. "Oxanka, du bist ja ganz abgemagert", war ihr erster Kommentar nach unserer Begrüßung. "Gibt es in der SimNation denn nicht genügend zu essen?" Ganz Unrecht hatte sie natürlich nicht. Ich war tatsächlich dünn geworden. Aber meine Oma würde schon dafür sorgen, dass ich an Gewicht zulegte. "Babciu, darf ich für ein Weile bei dir bleiben?", fragte ich sie. "Ach, Töchterchen, ich freue mich doch immer, wenn meine Enkel mich besuchen. Bleib solange wie du willst."




    "Wo hast du denn meine kleine Urenkelin gelassen? Und wo ist mein hübscher Schwiegerenkel?" Das waren natürlich gleich die ersten Fragen meiner Großmutter. Aber darauf war ich vorbereitet und konnte ihr versichern, dass es allen gut ginge, sie gerne mitgekommen wären, aber Dominik arbeiten und Kinga zur Schule gehen müsse. Trotzdem kam ich nicht umhin, ihr jede Einzelheit aus Kingas Leben zu erzählen. Schließlich war sie die einzige Urenkelin meiner babcia und sie war unheimlich stolz auf die Kleine.




    Meine Oma rief natürlich gleich bei meiner Tante Kasia an, um ihr von meinem Überraschungsbesuch zu erzählen. Daraufhin wurde ich gleich zum Abendessen zu ihr eingeladen. Oma kam selbstverständlich mit und mit Kazik, dem Mann meiner Tante, waren wir vier Leute, die einen schönen Familienabend mit einer Menge Essen und auch Trinken verbrachten. Bei dem Trinken hielt ich mich aber bewusst zurück, schließlich musste ich auf ein ungeborenes Kind Acht geben.




    Es war schön wieder bei meiner Familie zu sein und ich erinnerte mich sofort, wie glücklich ich in dem Jahr hier in Warschau gewesen war. Wir blieben bis tief in die Nacht bei meiner Tante, die mich in so vielen Dingen an Paps erinnerte. Glücklicherweise wohnte sie nur zwei Wohnblocks entfernt, denn irgendwann wurde ich doch sehr müde. So ein Flug schlaucht einen einfach. Mein altes Bett stand immer noch an seinem Platz. Mir wurde immer ganz komisch, wenn ich daran dachte, dass bereits Paps als Junge in diesem Bett geschlafen hatte. Und kaum lag ich unter der Decke, übermannte mich ein tiefer, erholsamer Schlaf.




    Die nächste Woche verlief wirklich toll. Meine Probleme schienen wie weggewischt. Zumindest bereiteten sie mir keine schlaflosen Nächte mehr. Ich unterhielt mich viel mit meiner Großmutter und half ihr bei der Hausarbeit. In ihrem Alter konnte sie nicht mehr alles so gut machen, wie es früher einmal ging. Und seitdem mein Großvater gestorben war, fühlte sie sich oft einsam, auch wenn sie es nie zugeben würde.




    Ich besuchte mit ihr auch das Grab meines Großvaters. Seltsamerweise erinnerte mich sein Grab nicht an Alberts Tod. Ich schien Sierra Simlone ganz aus meinen Gedanken gestrichen zu haben. Beim Pflegen des Grabes konnte ich sogar richtig gut entspannen und meine babcia war froh, dass ihr jemand diese Arbeit abnahm.




    Und dann gab es noch den kleinen Sonnenschein, meine Cousine Katharina. Nach all den Jahren, in denen meine Tante versuchte schwanger zu werden, hatte es nie geklappt. Und als sie und ihr Mann die Hoffnung schon aufgegeben hatten, wurde Tante Kasia plötzlich schwanger. Und die Kleine war ein süßer Fratz. Das Warten hatte sich eindeutig gelohnt.








    "Und du weißt wirklich nicht, wo sie sein könnte, Joanna? Sie ist jetzt schon seit einer Woche weg und hat sich nicht gemeldet...Nein, bei eurer Großmutter ist sie nicht, dort hat Tristan gleich am Anfang angerufen. Stasia meldet sich, wenn Oxana bei ihr auftauchen sollte. Trotzdem danke, Joanna. Und ruf mich sofort an, wenn deine Schwester bei dir auftauchen sollte." Tristan hatte nur zufällig den letzten Teil des Gesprächs mitbekommen und sofort überkam ihn ein schlechtes Gewissen. So ganz stimmte es ja nicht, was Dominik da berichtet hatte.




    "Hey, Nick, mach doch nicht so ein Gesicht", versuchte er deshalb seinen Mitbewohner aufzuheitern. "Ich bin mir sicher Oxana geht es gut." Dominik seufzte schwer. "Ja, dass erzählst du mir jetzt schon seit Tagen. Aber wie kann ich mir keine Sorgen machen, wenn meine Freundin einfach so verschwindet und nur einen blöden Zettel hinterlässt? Und dann hat sie sich die letzten Wochen auch noch so komisch verhalten und körperlich war sie auch nicht fit. Ich dreh hier gleich durch, Tristan!"




    "Diese Frau bringt mich noch um den Verstand! Was soll ich den Kinga sagen, warum sie abgehauen ist? Hat sie überhaupt an die Kleine gedacht?" Dominik war nicht mehr nur frustriert, langsam aber sicher mischte sich auch Wut unter seine Gefühle. "Ich liebe Oxana. Und wie ich sie liebe. Doch manchmal möchte ich diese Frau am liebsten in der Luft zerreißen! Dabei will ich doch nur, dass sie glücklich ist, verdammt!"




    "Dann, dann solltest du ihr das auch sagen, Nick." Tristan strich sich verlegen durch das Haar und biss sich auf die Lippe. "Ich hab geschwindelt, als ich sagte, dass Oxana nicht bei ihrer Großmutter ist. Sie hatte es mir mitgeteilt, aber sie wollte nicht, dass ihr jemand folgt. Aber du solltest zu ihr Dominik. Ich glaube, sie könnte dich gerade brauchen."

  • Kapitel 78: Nach Hause




    Ich warf einen weiteren Würfel Zucker in meinen schwarzen Tee und drückte die Zitronenscheibe am Glasboden aus. Im Fernsehen lief gerade eine Folge "Wirrungen der Begierde" in der polnischen Synchronisation und meine Oma verschlang gierig jede Folge davon. Immerhin hatte ihr Sohn für einige Zeit eine Hauptrolle in dieser Serie gespielt. Als wir ein Klopfen an der Wohnungstür hörten, stand meine Oma auf und ging zur Tür. Es gab gerade ohnehin eine Werbeunterbrechung und ich war mit meinem Tee beschäftigt. "Oxanka", rief sie mir aufgeregt zu, den Blick durch den Türspion gerichtet, "da steht dein Mann vor der Tür."




    Ich verschluckte mich fast an meinem Tee, als ich das hörte. Sofort lief ich ihn den Flur und flehte meine Oma an: "Sag ihm nicht, dass ich hier bin, baciu. Ich möchte ihn nicht sehen. Bitte!" Meine Oma sah mich sichtlich verwirrt an. Aber meinem flehenden Gesichtsausdruck konnte sie nicht widerstehen und gab nach. Und während sie zur Tür ging, versteckte ich mich in der Küche, wo ich jedes Wort aus dem Treppenhaus hören konnte.




    "Hallo, Stasia", begrüßte Dominik meine Großmutter, als sie ihm die Tür öffnete. "Ich Möchte Zu Oxana", sprach er bemüht langsam und deutlich, da meine Oma kein Wort Simlisch und er kein Wort Polnisch sprach. "Ist Oxana Hier?" Es fiel meiner babcia schwer zu lügen, aber mir zuliebe tat sie es. "Oxana Nix Hierr", antwortet sie in gebrochenem Simlisch. "Aber ich weiß, dass sie bei dir ist. Stasia, Bitte Lass Mich Zu Oxana." "Nix Hierr Oxana", antwortete meine Großmutter noch einmal bestimmt und stellte sich so in die Tür, dass Dominik nicht einfach hineinstürmen konnte. Dennoch schmerzte Dominiks enttäuschter Blick sie sehr.




    Deshalb folgte sie ihm auch, als er sich zögerlich von der Tür abwand. Aus der Tasche ihres Kittels holte sie einen Zettel und einen Bleistift und schrieb die Adresse von Tante Kasia auf. "Hierr Warrten", deutete sie auf den Zettel und konnte nur hoffen, dass Dominik verstand, was sie wollte. "Danke, Stasia". Dominik nahm die Hand meiner Großmutter und küsste sie galant, was meiner Oma die Röte in die Wangen trieb und ihr ein schüchternes Kichern entlockte. Mit der Adresse in der Hand eilte Dominik beschwingt die Treppe des Hochhauses hinunter.




    "Töchterchen, was ist den bloß los? Warum willst du deinen Mann nicht sehen und zwingst mich dazu, ihn anzulügen?", fragte meine Oma sofort, nachdem sie wieder in die Wohnung gekommen war. Ich wusste nicht, was ich ihr antworten sollte. Doch mein Schweigen ließ meine Oma nicht gelten. "Oxanka, du wirst mir jetzt sofort sagen, was los ist. Ich bin zwar alt, aber nicht dumm. Ich merke doch genau, dass hier etwas nicht stimmt. Du wirst dich jetzt mit mir ins Wohnzimmer setzen und mir alles bei einem starken Tee erzählen. Dann sehen wir weiter."




    Sie ließ mir keine andere Wahl. Also setzte ich mich zu ihr und begann zu erzählen. Ich erzählte ihr von Albert. Wie sehr ich ihn geliebt hatte und immer noch liebe und dass ich für Dominik nichts empfand. Meine Oma hörte aufmerksam zu. Und entgegen meiner Erwartung wirkte sie nicht entsetzt. "Ich bin schwanger, babciu", schloss ich meine Geschichte. "Ich trage ein Kind unter meinem Herzen. Und entweder ist es von einem Mann, der bereits tot ist oder von einem Mann, den ich nicht liebe. Verstehst du jetzt, warum ich von allem weg wollte? Ich weiß einfach nicht, wie ich mich verhalten soll".




    "Es ist doch ganz klar, was du machen wirst, Töchterchen!", antwortete meine Großmutter ohne lange zu überlegen. "Du wirst zurück nach Sierra Simlone Stadt gehen. Mit Dominik. Und gemeinsam werdet ihr dieses Kind großziehen." Ich schaute meine Oma entsetzt an, denn für sie schien es gar keine Alternative zu geben. Ich wollte ihr schon widersprechen, doch sie schnitt mir rigoros das Wort ab. "Komm mir jetzt nicht damit, dass du Dominik nicht liebst, Oxana. Das ist doch kein Argument. Du hast schon ein Kind von diesem Mann und jetzt erwartest du ein zweites. Du kannst nicht gehen. Und wenn du es tust, dann machst du dich nur unglücklich. Willst du deine Kinder etwa alleine großziehen, ohne Vater?"




    "Heirate Dominik, Oxanka. Er ist ein guter Mann und er liebt dich. Er ist extra den weiten Weg hergekommen um dich zu Suchen. Und ich hab in seinen Augen gesehen, wie sehr er sich gewünscht hat, dich in seine Arme zu schließen. Aus Liebe zu heiraten ist ein guter Grund, aber es ist nicht der Einzige. Dominik hat in den letzten sechs Jahren bewiesen, dass er sich um dich und euer Kind kümmern kann. Er war immer gut zu dir und ich habe euch zusammen gesehen, Oxanka. Du hast für diesen Mann sehr viel übrig. Vielleicht liebst du ihn noch nicht, aber Liebe ist etwas, was wachsen kann. Der Samen ist bei euch beiden bereits vorhanden. Und selbst wenn du ihn nicht lieben kannst, so kannst du ihn doch respektieren und in ihm einen treuen Vertrauten finden. Das kann manchmal viel wichtiger sein, als Liebe, Oxanka".




    "Hättest du Opa geheiratet, wenn ihr Euch nicht geliebt hättet", fragte ich etwas zu respektlos gegenüber meiner Großmutter und bereute die Frage auch schon im nächsten Moment. Doch zu meinem Erstaunen beantwortete Oma einfach meine Frage. "Als ich deinen Großvater geheiratet habe, war ich ein kleines, dummes Mädchen, gerade einmal 20 geworden. Ich lebte in einem winzigen Dorf mit sechs jüngeren Geschwistern. Das einzige, was ich wollte, war von Zuhause weg zu kommen. Und als dein Großvater mir anbot ihn zu heiraten und mit ihm in die Stadt zu kommen, habe ich nicht lange überlegt. Versteh mich nicht falsch Oxanka. Ich hatte mich durchaus verguckt in diesen großen, schlanken, gutaussehenden Mann. Aber was mich anzog, waren seine Versprechen. Von wahrer Liebe konnte man damals nicht sprechen."




    "Und früh genug musste ich dann feststellen, dass diese Versprechen Versprechen blieben. Gut, ich war in der Stadt, aber von dem Luxus und dem schönen Leben das dein Großvater mir versprochen hatte, war nichts zu sehen. Wir kamen in eine Stadt, die noch immer vom Krieg zerstört war. Und die feuchte Kellerwohnung, in die wir ziehen mussten, war nicht das Zuhause, was ich mir erhofft hatte. Zum Glück fanden wir schnell eine Bleibe bei Bekannten deines Opas. Aber uns blieb nur ein Schlafsofa in der winzigen Küche. Von Privatsphäre konnte man da kaum sprechen. Es ist fast schon ein Wunder, dass ich bei den wenigen intimen Momenten mit deinem Vater schwanger wurde. Aber Dariuszs Geburt machte es nur noch schlimmer. Wir hatten keinen Platz, das Kind schrie ununterbrochen, das Geld war knapp und deine Tante Kasia kündigte sich bereits an. Da hatte ich einfach genug. Ich packte meine wenigen Sachen, nahm deinen Vater und setzte mich in den Zug zurück zu meinen Eltern."




    "Dein Großvater versuchte drei Monate lang mich zur Rückkehr zu bewegen. Doch ich blieb stur und wies ihn ab. Bis deine Tante Kasia auf die Welt kam. Plötzlich saß ich da, mit zwei kleinen Kindern und ohne Mann. Doch ich schämte mich zu sehr, um zu deinem Großvater zu gehen. Es war damals meine Großmutter, Gott hab sie selig, die mich am Kragen packte und mir eine Ohrfeige verpasste, als ich vor Verzweiflung nicht mehr weiter wusste. 'Du dummes Gör', schrie sie mich an, 'geh zurück zu deinem Mann'. Und das tat ich dann auch. Dein Großvater machte mir keinen Vorwurf, sondern schloss mich einfach in seinen Arm und versprach mir, dass er alles dafür tun würde, dass ich nie wieder einen Grund hätte ihn zu verlassen. Da erkannte ich, wie sehr er mich liebte und das auch ich ihn lieben könnte, wenn ich es nur zuließ. Und wir wurden glücklich, Oxanka, das weißt du ganz genau."




    Bei ihren letzten Worten begannen ihre Augen verräterisch zu glitzern. Doch meine Oma wischte die Tränen schnell beiseite, bevor sie jemand sehen konnte. "Gib Dominik eine Chance, Oxanka. Gib ihm eine echte Chance und er wird dich nicht enttäusche". "Danke, babciu". Ich ging zu ihr hinüber und drückte ihr einen Kuss auf die Wange. "Er ist bei deiner Tante, Töchterchen. Geh zu ihm und kehrt gemeinsam zurück in euer Heim. Ich möchte dass meine Enkel und Urenkel glücklich werden."




    "Brodlowska, da bist du ja. Gott sei Dank". Dominik sprang vom Sofa auf, gleich als ich das Wohnzimmer in Tante Kasias Wohnung betrat und ein schüchternes "Hallo" hauchte. Dominik hätte mich am liebsten fest an sich gedrückt, doch mein Verhalten der letzten Tage und Wochen hatte ihn vorsichtig gemacht. Als ergriff diesmal ich die Initiative und umfasst seine Hand. "Lass uns wieder nach Hause gehen, Dominik". Das brauchte ich ihm nicht ein zweites Mal zu sagen.

  • Kapitel 79: Meine Antwort ist Ja




    Dominik und ich blieben noch über Nacht in Warschau. Doch gleich am nächsten Morgen verabschiedeten wir uns von meiner babcia, Tante Kasia und Onkel Kazik und buchten einen Flug nach SimVegas. Spät am Abend trafen wir dann endlich in der Simlane ein. Kinga kam sofort auf uns zugestürmt, als sie den Wagen vorfahren sah. "Papa, Mami! Da seid ihr ja wieder. Hast du dich in der Kur gut erholt Mami?" Kur? Ich sah Dominik fragend an, doch der zuckte nur entschuldigend mit den Achseln. "Irgendetwas musste ich ihr doch erzählen, wo ihre Mami abgeblieben ist".




    Nachdem ich auch noch Tristan begrüßt hatte, der sich hundertmal dafür entschuldigte, dass er Dominik meinen Aufenthaltsort verraten hatte, ging ich hinaus in den Zitronenhein. Ich musste einfach sehen, wie es den Bäumen ging. Aber alles war in bester Ordnung. Ich schnitt zwar hier und dort ein paar Zweige ab, aber ansonsten hatte Dominik sich wunderbar um alles gekümmert. Und das tat er nun schon seit so vielen Jahren. Babcia hatte Recht, Dominik war wirklich ein Mann, auf den man sich verlassen konnte.




    Also faste ich einen Entschluss. Ich warf die Laubschere auf den Boden und lief ins Haus. Dominik stand in der Küche und verstaute die zahlreichen Würste, die meine Großmutter uns mitgegeben hatte. "Kommst du mal bitte mit?", bat ich ihn und führte ihn Hand in Hand in Rolands altes Zimmer. "Was wollen wir den hier?", fragte Dominik verwundert als wir in dem dunklen, nun vollkommen leeren Raum standen. "Ja, Dominik. Meine Antwort ist Ja".




    Dominik zog verwirrt die Augenbrauen hoch. "Ja? Ja wozu?". Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. "Vor etwa vier Jahren hast du mir hier eine Frage gestellte, Dominik. Damals war das noch Kingas Babyzimmer gewesen und wir standen zusammen an ihrer Wiege. Und du hast mir eine Frage gestellt. Ich habe nie geantwortet. Bis heute und meine Antwort ist Ja". Ich konnte die Zahnräder, die ihn Dominiks Gehirn arbeiteten, förmlich sehen. Und plötzlich riss er die Augen auf, als er verstand, auf welches Ereignis in diesem Zimmer ich anspielte.




    Ohne Vorwarnung lief er davon und ließ mich verwirrt stehen. Aber nur für einen kurzen Augenblick, denn er kam sofort völlig außer Puste zurück und fiel vor mir auf die Knie. "Der letzte Antrag ist schon so lange her", hechelte er, "dass ich lieber noch einen zweiten mache. Lass mir nur fünf Sekunden, um wieder Luft zu schnappen. Na gut, sagen wir zehn." Ich ließ ihm so viel Zeit, wie er wollte. Schließlich hatte er auch lange genug auf mich warten müssen.




    Und dann streckte er seine Hand vor und präsentierte den wunderschönen Ring mit dem glitzernden Diamanten, den ich schon vor vier Jahren hätte annehmen sollen. "Oxana Brodlowska, willst du diesen schönen und teuren Ring und mich als unwiderstehlich gut aussehenden Mann gleich dazu?". Ich nahm den Ring und steckte ihn mir an den linken Mittelfinger. Er passte perfekt. "Ja, ich will", antwortete ich schließlich ohne lang zu überlegen. "Ich will euch beide, den Ring und dich".




    Dominik küsste mich zärtlich und umarmte mich dann. "Ich hatte schon befürchtet, dass ich diesen Ring völlig umsonst gekauft hätte", gab er zu und ich hörte deutlich, wie ernst er es damit meinte. "Ich liebe dich, Brodlowska. Und ich werde dir ein guter Ehemann sein und Kinga ein noch besserer Vater, als ich es bisher war ".




    "Nicht nur Kinga, sondern auch deiner anderen Tochter; oder deinem Sohn, so genau weiß ich das noch nicht". Und erneut an diesem Abend schaffte ich es, Dominik sprachlos zu machen. "Du meinst, du bist schwanger?", fragte er überglücklich. "Wir bekommen noch ein Kind?". "Ich weiß es seit dem Arztbesuch bei Schwester Mphenikohl. Ich bin etwa in der achten Woche", bestätigte ich und Dominik brach in Jubel aus. "Dann ist es ja auch nicht verwunderlich, dass du dich in den letzten Wochen so seltsam verhalten hast. Junge, Junge, Frauen sind während der Schwangerschaft echt unberechenbar. Und du ganz besonders, Brodlowska".




    Wir machten uns umgehend an die Planung. Ich wollte so schnell wie möglich heiraten. Zum einen wollte ich nicht, dass man mir die Schwangerschaft bei der Hochzeit ansah. Irgendwie würde ich mich sehr unwohl fühlen, wenn man mir direkt ansah, dass ich nicht mehr jungfräulich in die Ehe ging, auch wenn das natürlich total bescheuert war. Zum anderen hatte ich Angst, meine Entscheidung Dominik zu heiraten doch noch zu bereuen und alles abzublasen. Und viel war ja nicht zu organisieren. Ein Partyservice war schnell gefunden und die Einladungen an unsere Familien konnten unproblematisch über das Telefon abgewickelt werden.




    "Und du bist dir wirklich sicher, dass du nicht in der Kirche heiraten willst?", fragte Dominik, als ich die Anmeldung im Standesamt über das Internet abgewickelt hatte. "Ich weiß doch, wie wichtig dir die Kirche und so ein Kram sind". "Und ich weiß ganz genau, wie wenig du von diesen Dingen hältst, Dominik. Ich will nicht, dass du nur mir zuliebe vor Gott ein Gelübde ablegst, das dir nichts bedeutet." Damit schien Dominik einverstanden zu sein. "Aber wenn du es dir anders überlegen solltest, Brodlowska", fügte er hinzu, "dann sag mir einfach bescheid. Für dich würde ich sogar gläubig werden".




    Es war nicht die volle Wahrheit, die ich Dominik gerade erzählt hatte. Natürlich hätte ich gerne in der Kirche geheiratet. Aber ich konnte nicht vor Gott treten und ein Gelübde über ewige Liebe abgeben, wenn ich Dominik nicht liebte. Und das tat ich einfach nicht. Noch nicht. Aber ich vertraute darauf, dass sich das mit der Zeit entwickeln würde.








    Und dann ging alles furchtbar schnell. Die Wochen verflogen und der Hochzeitstermin stand schon vor der Tür. Und zwei Tage vor der Hochzeit trafen mein Bruder Orion, meine Schwester Joanna und mein Schwager Tobias aus SimCity ein. Mein Großmutter und Tante Kasia und Onkel Kazik würden erst gegen Abend in SimVegas landen.




    Auch meine Schwester hatte ich schon lange gewartet. Als Kinder hatten wir immer von einer pompösen Doppelthochzeit geträumt, doch dieser Wunsch ist nie in Erfüllung gegangen. Aber ich wollte immerhin, dass sie mir bei meiner Hochzeit zur Seite stand. Und ein passendes Brautkleid konnte ich nur gemeinsam mit ihr aussuchen. "Dieses grässliche Teil ist ja wohl nicht dein Ernst, Xana", protestierte sie aufs heftigste, als ich ein Kleid vom Ständer der Mode-Boutique nahm. "Lass mich lieber aussuchen, Schwesterherz. Das bäuerliche Leben scheint deinen Modegeschmack verwirrt zu haben".




    Sie suchte eine Weile herum und kam schließlich mit einem langen, weißen Kleid auf dem Arm zu mir und schob mich damit in die Umkleidekabine. "Du wirst damit umwerfend aussehen", versicherte sie mir. Ich probierte das Kleid an und es sah tatsächlich wunderschön aus. "Und gefällt es dir?", fragte Joanna. Es gefiel mir sogar sehr, aber irgendwie konnte ich mir nicht vorstellen, in diesem Kleid übermorgen zu heiraten. Es wirkte einfach zu sehr nach Traumhochzeit. Ich wollte etwas schlichteres, etwas, was einer einfachen standesamtlichen Trauung im eigenen Garten eher entsprach.




    "Ich denke, dann hab ich genau das Richtige für dich". Joanna verschwand für ein paar Minuten zwischen den Kleiderständern, während ich mir nur in Unterwäsche bekleidet in der Umkleidekabine etwas verloren vorkam. Aber dann kam sie wieder mit einem Outfit, das meine volle Zustimmung fand. Ich brauchte nicht lange zu überlegen und ging damit sofort zur Kasse. Und da wir gerade ohnehin in SimVegas waren, konnten wir anschließend unsere babcia samt Anhang vom Flughafen abholen.




    Den Tag vor der Hochzeit verbrachten meine Schwester und ich damit, die richtige Frisur für mich zu finden. Ich wollte meine Haare am liebsten einfach nur zu einem Pferdeschwanz zusammen binden, aber da protestierte Joanna. "Du musst auch an unsere polnische Familie denken, Oxana. Zurückhaltung mag hier in der SimNation als vornehm gelten, doch in Polen muss man protzen, sonst enttäuscht man seine Gäste. Also müssen wir schon etwas Ausgefallenes auf deinen Kopf zaubern." Und als die Frisurenfrage geklärt war, beschäftigten wir uns mit dem passenden MakeUp. Ich hätte ja einfach mein alltägliches Aufgetragen, aber Joanne wäre fast in Ohnmacht gefallen, als ich ihr das vorschlug.




    Die Jungs waren währenddessen damit beschäftigt, den Garten für die morgige Zeremonie herzurichten. Auch Roland kam zur Unterstützung vorbei. Der Partyservice hatte alles notwendig bereits geliefert und es musste nur noch aufgebaut und an den richtigen Platz gestellt werden. Warum die Jungs dabei aber ihre gute Abendgarderobe trugen, verschloss sich meinem Verständnis.




    Am Abend kam dann Glinda, Dominiks Mutter, vorbei um ihren Sohn für die Nacht zu sich nach Hause zu holen. Dominik sollte mich vor der Hochzeit schließlich nicht mehr sehen. Aber so wie Glinda nun mal war, konnte sie ihren Mund nicht halten. "Und du willst dieses Mädchen wirklich heiraten, Nicky? Ich weiß, dass du sie magst, aber sie ist einfach nicht die Richtige für dich. Sie kann dich nicht so sehr lieben, wie du es verdient hast. Mach keinen Fehler Nicky. Die kleine Ingrid, deine Freundin während der Schulzeit, war so ein gutes Mädchen. Ich verstehe bis heute nicht, warum du sie verlassen hast. Aber ich habe gehört, dass sie immer noch alleine ist. Sie würde dich bestimmt mit offenen Armen zurück nehmen".




    "Mutter, hör doch endlich auf damit. Ich heirate morgen. Oxana wird deine Schwiegertochter und du kannst nichts daran ändern. Kannst du dich nicht für mich freuen? Oxana ist die Frau, mit der ich den Rest meines Lebens verbringen möchte und nichts was du sagst, wird daran etwas ändern. Und wenn du in diesem Haus weiterhin willkommen sein möchtest, dann solltest du das akzeptieren". Dominiks Worte klangen so entschlossen, dass Glinda dem nichts entgegen zu setzen wusste. "Ach, Nicky, ich will doch nur, dass du glücklich wirst". "Und das werde ich auch, Mutter, das werde ich".

  • Kapitel 80: Frau Dominik Blech




    Und dann war es soweit. Joanne weckte mich früh am Morgen um mich für diesen großen Tag schön zu machen. Am Abend zuvor hatten wir meinen Junggesellenabschied mit etwas Sekt gefeiert. Es war zwar nicht viel, aber ein starker Kaffee tat mir dennoch gut. Und nachdem ich fertig gestylt war, konnte auch meine Schwester sich fertig machen. Die Trauung war für zwölf Uhr angesetzt und da alle Gäste entweder direkt bei uns, oder bei Dominiks Eltern übernachtet hatten, kam auch keiner zu spät.




    Den Papierkram hatten wir bereits eine viertel Stunde zuvor mit dem Standesbeamten abgewickelt. Zwei Unterschriften genügten und Dominik und ich waren Mann und Frau. Aber es war die eigentliche Zeremonie, die zählte und nicht irgendwelche Dokumente. Unsere Gäste schauten uns erwartungsvoll an und jubelten uns zu, als wir Hand in Hand, begleitet von romantischer Musik aus dem CD-Player, zum Hochzeitsbogen schritten.




    "Und du bis dir auch ganz sicher, dass wir das durchziehen wollen, Brodlowska? Verzeihung, ich meine natürlich Frau Blech?" Ich legte meinen Arm liebevoll um seine Schulter. "Ich bin mir ganz sicher. Und wie du es gerade richtig bemerkt hast, wir haben es doch schon längst durchgezogen."




    Dominik lachte. "Nun gut. Brodlowska, willst du dann noch mal vor unsere Familie und unseren Freunden bestätigen, dass du mich wirklich heiraten willst?" "Ja, ich will". Ich strahlte und fühlte mich wirklich glücklich, als Dominik den goldenen Ehering aus seiner Tasche zog und ihn an meinen Finger steckte.




    "Und willst du, Dominik, mich heiraten, obwohl ich manchmal seltsam und durchgedreht bin und dich an den Rand des Wahnsinns treibe?" "Ja, das will ich. Und glaub mir, du wirst es niemals schaffen, mich wahnsinnig zu machen. Höchstens wahnsinnig nach dir." Lachend steckte ich ihm seinen Ring an den Finger.




    Dann zog er mich zu sich heran und verpasste mir einen langen, innigen Kuss. "Frau Dominik Blech! Ich hab dir doch prophezeit, dass ich dich heiraten würde, Brodlowska, gleich bei unserem ersten Treffen." Und er hatte Recht behalten. Ich musste es wohl oder übel zugeben. Aber inzwischen fand ich diesen Gedanken gar nicht mehr so unangenehm.




    Unsere Freunde und Verwandten jubelten, als wir unser Ehegelübde mit einem Kuss besiegelten. Auch Kinga klatschte erfreut in die Hände. "Jetzt sind Mami und Papa verheiratet wie richtige Eltern", erklärte sie dem steifen Standesbeamten erfreut. „Und jetzt werde ich es der doofen Bärbel heimzahlen, dass sie mich deswegen immer geärgert hat.“




    Als erstes ging ich dann zu dem Standesbeamten und bedankte mich für sein Kommen und die unkomplizierte Abwicklung des Papierkrams. Dominik war inzwischen damit beschäftigt, die herzlichen Glückwünsche der Hochzeitsgäste entgegen zu nehmen und auch hinter mir bildete sich bereits eine Schlange, die nur darauf wartete, dass ich ebenfalls zur Verfügung stand.




    Meine babcia war so gerührt von der Trauung, dass ihr die Tränen die Wange hinunter liefen. "Ach, du dumme alte Frau", schimpfte sie mit sich selbst. "Jetzt brichst du auch noch in Tränen aus. Freuen solltest du dich und nicht weinen." Natürlich brachte dieses Gerede nicht das Geringste. Und ich fand es richtig schön, dass sie sich so für mich freute.




    Dominik konnte sich gar nicht losreißen von all den Gästen, die ihn beglückwünschten. "Herzlichen Glückwunsch, großer Bruder". Siana drückte ihren Bruder und verpasste ihm ein Küsschen auf jede Wange. "Wer hätte gedacht, dass du durchgeknallter Kerl eine so hübsche Ehefrau abbekommst. Ich wünsche euch nur das Beste für eure gemeinsame Zukunft". Erfreut stellte ich aber auch fest, dass unsere beiden Familien sich prächtig miteinander Verstanden. Dominiks Mutter unterhielt sich angeregt mit meiner Schwester, von der sie nebenbei bemerkt sehr viel mehr angetan schien, als von mir. Und selbst Onkel Kazik schien die Sprachbarriere leicht überwinden zu können.




    Und auf einmal begann es zu regnen. Innerhalb von Minuten zogen dunkle Wolken auf und entließen ihre nasse Fracht über Sierra Simlone Stadt. Für diese Jahreszeit war ein solcher Regenschauer absolut ungewöhnlich. Aber die Regentropfen verdunsteten, noch bevor sie den heißen Wüstenboden erreichen konnten. Es war dennoch eine willkommene Abkühlung und ich wertet diesen Schauer als ein gutes Zeichen für die Zukunft.




    Unbeirrt fuhren wir im Programm fort und eröffneten den Tanz mit einem schönen Langsamen Walzer. Und schon bald gesellten sich Roland und meine Schwester, sowie Tristan und Glinda zu uns auf die Tanzfläche, bis schließlich alle am Tanzen waren.




    Da sich aber auch langsam mein Magen meldete, zog ich Dominik von der Tanzfläche, um die Hochzeitstorte anzuschneiden und damit offiziell das Buffet zu eröffnen. Dominik schnitte ein großes Stück der Torte heraus und legte es auch einen Teller.




    "Augen zu und Mund auf, Frau Blech", forderte er mich auf. Ich sah in skeptisch an, schloss dann aber artig meine Augen und öffnete meinen Mund. Ich war auf alles gefasst, doch am Ende fand doch ein Stück der Torte ordentlich auf einer Gabel seinen Weg in meinen Mund statt sich über mein ganzes Gesicht zu verteilen. "Damit hast du nicht gerechnet, Brodlowska, hab ich Recht?" Dominik grinste. "Ich bin halt immer für eine Überraschung gut".




    Schnell folgten die anderen Gäste, um ebenfalls ein Stück des Kuchens abzubekommen. Tante Kasia sorgte dafür, dass alles in geordneten Bahnen verlief. Die vorher mühevoll ausgeklügelte Sitzordnung wurde plötzlich wertlos, da sich jeder hinsetzte, wo er wollte. Ob Orion so glücklich war, in der Kinderecke bei Kinga und Constance zu landen kann ich nicht beurteilen. Aber immerhin entschädigte ihn die charmante Gesellschaft von Siana für so einiges.




    "Kinder, Kinder, was ist denn das für eine Hochzeit!" Meine Oma schüttelte verständnislos den Kopf, ging zur Sektflasche hinüber und ließ den Sektkorken knallen. "Es geht doch nicht, dass hier alle ohne Glas in der Hand rumlaufen. Oxana, du bis Polin, also benimm dich auch so. Und dein Dominik ist jetzt auch Pole, also sollte er gleich lernen mit seiner neuen Familie beim Trinken mithalten zu können." Dominik verstand zwar kein Wort, aber ich brach neben ihm in Gelächter aus. Und meine Oma mit der Flasche in der Hand und dem tadelnden Blick war einfach ein Bild für sich.




    Als dann alle ihre Gläser in der Hand hatten, räusperte mein Bruder Orion sich und lenkte die Aufmerksamkeit der übrigen Gäste auf sich. "Xana, da unsere Väter leider nicht mit uns feiern können, liegt es an mir, als männliches Oberhaupt der Familie, einen Toast auch dich und deinen Mann auszusprechen. Ich habe noch keine Ahnung, was Liebe wirklich ist, aber ihr zwei seid nun schon lange genug zusammen, um zu wissen, was ihr einander bedeutet. Ich wünsche Euch eine glückliche gemeinsame Zukunft. Und Dominik, wenn ich höre, dass du meine Schwester schlecht behandelst, dann kriegst du es mit mir zu tun." Dominik begann theatralisch zu zittern und alle lachten. "Ein dreifaches Hoch auf das Brautpaar", endete Orion seine Ansprache und gemeinsam stießen wir an.




    Das Buffet stand bereit und jeder konnte sich bedienen, wie er wollte und Großmutter sorgte schon dafür, dass niemand zu wenig trank. Dank meiner Schwangerschaft konnte ich mich immerhin meistens herausreden. Dominiks kleiner Bruder Dennis nahm dagegen gerne jedes Glas an, das ihm angeboten wurde und so war es nicht verwunderlich, dass er auf der Tanzfläche zu Höchstleistungen auffuhr und mit seinen eigenwilligen Tanzeinlagen alle zum Lachen brachte.




    Wir tanzten, aßen und tranken und alle hatten ihren Spaß. Dann fuhr eine schwarze Limousine vor. "Hier ist eure Hochzeitsüberraschung", rief meine Schwester und zog mich und Dominik zu dem wartenden Auto. "Zwei Wochen erholsamen Urlaub in Ägypten. Nilkreuzfahrt, Palmen, Strand, Meer und niemand der euch stört. Ihr braucht nur noch einzusteigen. Alles andere ist erledigt". Ich fiel Joanna überglücklich um den Hals. "Viel Dank für diese Überraschung." Wir verabschiedeten uns nur noch von allen Gästen und von unserer Tochter und stiegen dann in die Limousine, die uns zum Flughafen nach SimVegas brachte, von wo aus wir in unsere Flitterwochen und in den Begin eines neuen Lebensabschnittes starteten.



    Gedanken:

    Frau Oxana Blech. Dieser Name klang immer noch fremd in meinen Ohren, aber ich würde mich an den Klang gewöhnen. Ich war also verheiratet. Verheiratet mit Dominik. Noch vor wenigen Wochen hätte ich es nicht für möglich gehalten, doch jetzt war es wahr. Nur drei Monate nach Alberts Tod heiratete ich einen anderen Mann. Aber es erschien mir richtig. Ich liebte Dominik nicht, aber ich habe bereits sechs Jahr mit diesem Mann verbracht. Und es hat auch ohne Liebe funktioniert. Es war manchmal schwer, aber im Großen und Ganzen hat es funktioniert. Ich war mir sicher, dass es auch weiterhin funktionieren würde. In den Jahren zuvor, war Albert immer ein unsichtbarer Konkurrent gewesen, gegen den Dominik nicht ankämpfen konnte. Doch jetzt gab es diesen Konkurrenten nicht mehr. Und vielleicht würde ich auf diese Weise zu Dominik finden und ihn lieben lernen. Er war Kingas Vater und bald würde er der Vater meines zweiten Kindes werden. Es spielte dabei keine Rolle, ob er auch wirklich der Erzeuger war. Doch diesmal hatte ich das Gefühl, dass dieses Kind wirklich seines war. Ich würde ihm also nicht noch ein Kuckucksei unterschieben.


    Unser Konto war gut gefüllt. Finanzielle Probleme hatten wir also nicht zu erwarten. Der Ertrag aus der Farm war konstant und zufriedenstellen. Die Zitronen- und Orangenplantage hatte zwar viel Geld in der Anschaffung gekostet, doch ich war mir sicher, dass sich diese Investition bald auszahlen würde. Mir Rolandas Auszug haben wir natürlich einen wichtige Einnahmequelle verloren. Sein Job als Klinikleiter füllte unsere Kassen immer sehr gut. Aber Tristan verdiente in seiner hohen Position bei der ansässigen Ölfirma auch sehr gut und auch Dominik stieg immer weiter auf. Er war jetzt Hauptkommissar bei seinem Wachdienst. Jetzt war er nicht mehr direkt mit der Bewachung der Ölförderanlagen beschäftigt, sondern organisierte die übrigen Wachleute bei ihren nächtlichen Einsätzen.

    Rolands Auszug tat mir noch immer weh. Es war ein Fehler gewesen, mit ihm zu schlafen. Es war ein Fehler, der sich ganz sicher nicht wiederholen würde. Es war verständlich, dass er bei seiner zukünftigen Frau leben wollte, aber ich hatte das ungute Gefühl, dass wir durch seinen Auszug nicht mehr in der Lage waren, unsere Freundschaft zu kitten. Bei der Hochzeitsfeier war er zwar anwesend, aber er mied mich. Glücklicherweise litt meine Laune darunter nicht all zu sehr. Insgesamt war die Hochzeitsfeier ein voller Erfolg. Alle hatten sich wunderbar amüsiert. Ich hoffte, dass meine Ehe mit Dominik sich ebenso vorsetzen würde, wie sie begonnen hatte. Und ich hatte ein gutes Gefühl, was dies anging.


  • Kapitel 81: Wahre Freundschaft


    Was bisher geschah:
    (Zusammenfassung der vorherigen Kapitel)



    Albert war tot. Der Mann, den ich über alles liebte und mit dem ich mir eine gemeinsame Zukunft erhoffte, war gestorben. Nach seinem Tod war ich wie gelähmt. Ich wusste nicht, wie ich ohne ihn weiter leben sollte. Also zog ich mich von allem zurück, von meinen Freunden, von meiner Tochter Kinga, die gleichzeitig auch Alberts Tochter war, und in aller erster Linie zog ich mich vor Dominik zurück. Ich konnte es nicht ertragen, von diesem Mann im Arm gehalten zu werden, wenn gerade meine einzig wahre Liebe gestorben war.


    Ich stürzte mich in die Arbeit auf der Farm Das alleine hielt mich noch aufrecht. Doch ich überforderte mich und meinen Körper und brach unter der glühenden Sonne der Sierra Simlone zusammen.


    Dominik brachte mich schleunigst zum Arzt und dort wurde festgestellt, dass ich erneut schwanger war. Doch wer war der Vater? War es mein geliebter Albert oder war es Dominiks Kind, das unter meinem Herzen heranwuchs.


    Ich wusste nicht mehr weiter. Mein bester Freud Roland schien mir einen Halt zu bieten, doch in meiner Schwäche ließ ich es zu, dass wir beide im Bett landeten. Das fügte unserer Freundschaft eine tiefen Riss zu, denn Roland würde in kürze Brandi heiraten. Und da er die Beziehung zu ihr auf keinen Fall gefährden wollte, zog er überstürzt aus.


    In dieser Situation erwies sich Tristan als wahrer Freund. Endlich fand ich einen Menschen, dem ich mich ganz anvertrauen konnte. Tristan wusste von mir und Albert und er verurteilte mich nicht. Stattdessen gab er mir den Rat, Abstand zu gewinnen und in Ruhe über alles nachzudenken.
    Ich fuhr also nach Warschau zu meiner Großmutter. Doch Dominik fand mich dort. Er konnte nicht verstehen, warum ich einfach verschwunden war ohne ein Wort zu sagen. Meine Großmutter erkannte, dass etwas mit mir nicht stimmt. Nachdem ich ihr mein Dilemma erklärt hatte, gab sie mir den Rat, Dominik eine Chance zu geben. Auch wenn ich ihn jetzt noch nicht liebte, es könnte sich Liebe entwickeln, wenn ich es nur zuließe. Und eine Ehe, die auf Verlässlichkeit und Respekt beruhte, stünde auf einem festen Fundament. Ich glaubte ihr.
    Ich wurde Dominiks Frau. Er würde auch meinem zweiten Kind ein verlässlicher Vater werden und tief in meinem Herzen wusste ich, dass dieses Kind von ihm war. Und wenn ich mich anstrengte, dann würde ich ihn lieben. Ich musste es nur wollen.



    "Mami! Papi! Ihr seid wieder da!" Der Motor unseres Pickups stand noch keinen Minute still, als Kinga laut schreiend aus dem Haus gestürmt kam. Dominik blieb gar nichts anderes übrig, als unseren Koffer, den er von der Ladefläche gehoben hatte, eilig auf den Boden abzustellen und seine Tochter lachend in die Luft zu heben. "Hallo Prinzessin! Hattest du viel Spaß so ganz allein mit Onkel Tristan?" Als ich diese herzliche Szene zwischen den beiden sah, musste ich lächeln und unweigerlich fuhr meine Hand zu meinem Bauch, der sich ganz allmählich zu wölben begann. Endlich wieder zu Hause!




    Auch ich gab Kinga einen Kuss auf die Stirn, doch sie war viel zu sehr damit beschäftigt, den Koffer auf der Stelle nach Geschenken zu durchwühlen, als dass sie von mir Notiz nahm. Sofort streifte mein Blick über mein Grundstück und zu meiner Zufriedenheit schien alles in bester Ordnung auf Grünspan. Und als ich sah, dass in den zwei Wochen, in denen Dominik und ich unsere Flitterwochen in Ägypten verbracht hatte, die Zitronen in der Plantage sichtlich gelb und reif geworden waren, musste ich zum Korb greifen und einige pflücken. Zwei Wochen ohne meinen Hof schienen doch eine sehr lange Zeit.




    Im Haus wurde ich dann noch einmal überschwänglich von Tristan empfangen, der über alles genau informiert werden wollte. "Wie war denn der Flug? Und das Hotel? Was habt ihr alles gesehen? Hat die Sphinx wirklich keine Nase?" Mit seinen Fragen schien er noch neugieriger als Kinga, die eher wissen wollte, ob der Hotelpool auch eine Rutsche hatte. Der Urlaub war rundum gelungen. Meine Zwillingsschwester Joanna hatte Dominik und mir kein schöneres Geschenk machen können. "Leider bin ich nicht ganz so braun geworden, wie ich es mir erhofft hatte", musste ich betrübt eingestehen. Aber das war auch das einzige, was es zu beklagen gab.




    "Das mit der fehlenden Bräune hat auch einen ganz einfachen Grund. Wir waren viel zu sehr mit...anderen Dingen beschäftigt, als das Brodlowska hätte in der Sonne brutzeln können." Dominik grinste breit und fasste meine Hand. "Dominik!", entfuhr es mir und ich spürte, wie mir das Blut in die Wangen schoss. Aber mein Lächeln verriet deutlich, dass mein Entsetzen eher gespielt war. Und ein Blick in Kingas verwirrtes Gesicht beruhigte mich endgültig. Die Kleine hatte die Anspielung glücklicherweise nicht verstanden.




    Kinga wurde das Gerede über Tempelbesichtigungen und Basarbesuche schnell zu langweilig und sie verzog sich mit ihren neuen Ramsespuppen und Sphinxstofftieren in ihr Zimmer. Dominik, Tristan und ich unterhielten uns noch bis tief in die Nacht, bis auch wir, erschöpft vom langen Flug, müde in unsere Betten fielen. Zum ersten Mal schliefen Dominik und ich gemeinsam als Mann und Frau in unserem Bett. Es war ein seltsames Gefühl für mich, aber ein seltsam angenehmes. Denn mir wurde bewusst, dass ich von jetzt an für den Rest meines Lebens einen starken und verlässlichen Partner an meiner Seite hatte.







    Aber was immer ich auch für Dominik empfand, es reichte bei weitem nicht an das heran, was ich mit Albert geteilt hatte. Seit meiner Rückkehr aus Warschau habe ich Alberts Grab nur ein einziges Mal besucht und nach meiner Hochzeit mit Dominik war ich noch nicht hier gewesen. Aber ich musste ihm einfach erklären, warum ich einen anderen Mann geheiratet hatte und das so kurz nach seinem Tod. Ich könnte es nicht ertragen, wenn Albert meine Entscheidung nicht gutheißen würde. Alberts Grab war in tadellosem Zustand und in der Vase standen frische Blumen. Scheinbar musste sich jemand darum kümmern. Wahrscheinlich eines seiner Kinder.




    "Hallo, Geliebter." Ich strich zärtlich über den Grabstein, der vom warmen Sommerregen ganz glitschig war. Ich wusste nicht genau, wie ich anfangen sollte, also entschied ich mich für den direkten Weg. "Ich musste Dominik heiraten, Albert. Ich musste es. Ich erwarte ein Kind von ihm. Und diesmal ist es wirklich sein Kind. Frag mich nicht, woher ich es weiß, aber ich spüre es einfach. Inzwischen weißt du sicherlich, dass Kinga deine Tochter ist. Verzeih mir Albert, aber ich konnte es dir nicht sagen. Damit hätte ich Dominik zu sehr verletzt. Und umso wichtiger ist es, dass er für sein leibliches Kind da sein kann. Und auch ich brauche einen Mann an meiner Seite, Albert. Ich wirke vielleicht unabhängig und stark, aber in Wahrheit brauche ich einen Partner an meiner Seite, der mich unterstützt."




    "Aber glaub mir Albert, ich könnte niemals so tief für einen anderen Mann empfinden, wie ich für dich empfunden habe. Ich liebe dich immer noch und in meinen Gedanken bist du immer bei mir. Und egal wie gut ich mich auch mit Dominik verstehe, daran wird sich nie etwas ändern. Ich hoffe, dass du meine Entscheidung verstehst, Albert. Ich glaube wirklich, dass es auf diese Weise am besten für alle wird. Für Dominik, für sein ungeborenes Kind, für deine Tochter und vielleicht auch irgendwann für mich. Aber du wirst immer in meinem Herzen bleiben."




    Ich stand noch einige Minuten schweigend vor dem Grab und beobachtete, wie der Regen den Staub von dem Grabstein wusch. Als ich mich zum gehen umdrehte, blickte ich in ein hageres Gesicht, das mich freundlich anlächelte. "Hallo, Oxana. Schön dich wieder zu sehen." Ich war wie erstarrt, als ich Gerda vor mir sah. Sie sah sehr dünn aus und sie saß nach wie vor im Rollstuhl. Aber die blauen Flecken am ganzen Körper und die Schürfwunden im Gesicht waren verschwunden.




    Ich wusste nicht, wie ich reagieren sollte. Plötzlich fühlte ich mich fehl am Platz. Albert war schließlich ihr Mann. Wie konnte ich als seine kleine Geliebte es wagen, an sein Grab zu kommen. Ich kam mir so dumm vor. Ich verschränkte unsicher die Arme vor meiner Brust, was aber dazu führte, dass mein Ehering mehr als deutlich zu Vorschein kam. Ich wollte ihn zwar noch hastig verstecken, aber es war schon zu spät. Gerda hatte ihn längst bemerkt.




    "Es stimmt also doch, du hast geheiratet, Oxana. Ich konnte es erst nicht glauben, als ich es gehört habe." Ich wusste immer noch nicht, wie ich reagieren sollte. Was sollte ich Gerda bloß sagen? Wir schwiegen und gegenseitig an. Es war Gerda, die dieses Schweigen durchbrach. "Herzlichen Glückwunsch, Oxana. Ich hoffe, du wirst mit Dominik glücklich. Das meine ich wirklich ehrlich." Und so klang sie auch. Sie wünschte mir Glück für mein zukünftiges Eheleben, so wie man es von einer guten Freundin erwarten würde.




    Ein Stein fiel von meinem Herzen. "Oh Gerda, ich hätte dich so gerne eingeladen, wirklich. Aber ich wusste einfach nicht, ob ich damit nicht zu weit gegangen wäre." Bei den nächsten Worten senkte ich meinen Kopf. Ich konnte ihr dabei nicht in die Augen schauen. "Immerhin habe ich mit deinem Mann geschlafen. Und nur wenige Wochen nach seinem Tod, heirate ich einen anderen Mann. Eine Einladung hätte dir doch wie ein Schlag ins Gesicht vorkommen müssen." "Ich war sehr überrascht, Oxana. Und ich bin es immer noch. Ich war mir sicher, dass du Albert lieben würdest....so wie er dich geliebt hat."




    "Oh, ich habe ihn geliebt, Gerda. Das musst du mir glauben. Und daran hat sich auch nichts geändert. Aber ich erwarte ein Kind und das braucht seinen Vater." Gerda sah mich forschend an und ich wusste, welche Frage ihr durch den Kopf ging. "Es ist Dominiks Kind", erklärte ich deshalb, allerdings bei weitem nicht so bestimmt, wie ich es geplant hatte. Und in Gerdas Augen konnte ich sehen, dass auch sie nicht völlig überzeugt schien, aber sie gab sich mit meiner Erklärung zufrieden. "Dann muss ich dir wohl auch noch zu deiner zweiten Schwangerschaft gratulieren. Glaub mir, spätestens bei der dritten wird es zur Routine." Gerd fing an zu lachen und dieses Lachen war so ansteckend, dass ich nicht anders konnte, als mit einzustimmen.




    Es war Gerda, die vorschlug, noch einen Kaffee trinken zu gehen. Erstaunlich geschickte legte sie auch selbstständig den kurzen Weg vom Friedhof zu dem Café im Stadtzentrum zurück. Der kurze Schauer hatte sich wieder verzogen und so konnten wir uns unter der Markise des Lokals vor der erbarmungslosen Sonne schützen. "Wirst du jetzt in Sierra Simlone Stadt bleiben?", fragte ich sie, nachdem die Kellnerin unsere Getränke serviert hatte. "Ja, das werde ich. Die Kinder kommen nach, sobald ich mich im Haus besser zurechtfinde."




    "Sie müssen nicht mit ansehen, wie ihre Mutter nicht einmal die einfachsten Dinge im Haus erledigen kann. In der Reha hab ich zwar gelernt, mit dem Rollstuhl zu leben, aber im eigenen Haus gestaltet sich das ganze dann doch anders, als im Krankenhaus. Aber ich schaffe das schon." Ich bewunderte Gerdas Mut und ihren Optimismus nicht zum ersten Mal. Es waren Eigenschaften, die mich schon bei unserem ersten Treffen an dieser Frau fasziniert hatten. "Und wie sieht es finanziell aus?", fragte ich vorsichtig nach und nippte dabei beschämt an meinem Kaffee. Geld war etwas, über das ich nur ungern sprach.




    "Wir fünf werden schon über die Runden kommen. Albert hatte eine Lebensversicherung. Sie war genau für solch einen Fall gedacht. Nur rechnet man nicht damit, dass er jemals eintreten könnte." Für einen Moment zeichnete sich der Schmerz über Alberts Tod deutlich in ihrem Gesicht ab, aber Gerda fing sich augenblicklich wieder und sprach weiter. "Ansonsten haben wir ja noch die Pachteinnahmen. Das wird für eine Weile reichen. Und in ein paar Jahren kann Hans dann vielleicht den Hof übernehmen. Ich will ihn zu nichts drängen, es ist seine Entscheidung, aber es würde mich glücklich machen, wenn ich wüsste, dass der Familienbetrieb weitergeführt wird. Albert hätte es sicherlich so gewollt."



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    "Aber genug Trübsal geblasen! Erzähl mir von deiner Hochzeit, Oxana. Wo habt ihr gefeiert? Waren viele Gäste da?" Zunächst fühlte ich mich unwohl, mit Gerda über meine Hochzeit mit Dominik zu sprechen. Aber je mehr ich erzählte und nur positive Rückmeldung von Gerda erhielt, desto redseliger wurde ich. Ich erzählte ihr von der Feier und von dem anschließenden Urlaub in Ägypten. Wir verbrachten einen wirklich schönen Tag zusammen. Ich spürte, dass Gerda immer noch meien Freundin war, trotz allem, was geschehen war, oder vielleicht gerade deswegen.

  • Kapitel 82: In Mamis Bauch




    Zuhause angekommen wurde es Zeit, mit Kinga über die Veränderungen zu reden, die bald anstehen würden. "Setz dich zu uns, Prinzessin", forderte Dominik seine Tochter auf. "Mami und ich müssen über etwas sehr wichtiges mit dir sprechen. Was würdest du davon halten, wenn du nicht länger das einzige Kind in unserem Haus wärst?"




    Augenblicklich begannen ihre Augen zu leuchten. "Zieht Constance wieder bei uns ein? Das ist ja ganz toll. Ich hab sie schon doll vermisst und ohne Constance ist mein Zimmer auch ganz leer. Kommt Onkel Roland dann auch wieder? Dann sind wir ja alle wieder zusammen. Das wird ganz toll werden!" Ihre Augen strahlten richtig und deshalb tat es mir umso mehr leid, sie enttäuschen zu müssen.




    "Nein, Schatz", erklärte ich deshalb sogleich. "Constance wird nicht wieder bei uns einziehen. Sie hat jetzt ein neues Zuhause. Was dein Papa und ich dir sagen wollten ist, dass du bald ein Geschwisterchen haben wirst. Du bekommst einen kleinen Bruder oder eine kleine Schwester." Bei dem Gedanken an unser zukünftiges Kind musste Dominik lächeln. Zumindest er freute sich schon wahnsinnig auf unser zweites Kind. Kinga war da noch ein wenig skeptisch. "Muss das denn sein? Kann nicht doch lieber Constance wieder herkommen. Ihr könnt das neue Kind ja gegen Constance bei Onkel Roland eintauschen." Dieser Vorschlag überrumpelte mich jetzt doch ein wenig.




    Dominik hingegen fand diese Situation äußerst amüsant. "Das geht nicht, Prinzessin. Und du wirst sehen, deine kleiner Bruder oder deine kleine Schwester wird dir viel besser gefallen als Constance." Kinga schüttelte daraufhin kräftig mit dem Kopf und widersprach energisch. Als sie aber merkte, dass das auch nicht weiterhalf, wollte sie mehr über dieses neue Kind in Erfahrung bringen, dass sich ungefragt in ihr Haus schleichen wollte. "Muss das neue Kind dann Kind bei mir im Zimmer schlafen? Wo ist es denn jetzt? Kann es nicht einfach dort bleiben?"




    "Das Baby ist noch ganz klein", erklärte Dominik geduldig. "Und im Moment wohnt es im Mamis Bauch". Ungläubig starte Kinga meinen Bauch an. "Da passt doch gar kein Kind rein", erklärte sie entschieden. Doch Dominik blieb bei seiner Behauptung. "Es ist ganz winzig, winzig." Mit seinen Fingern deutete er in etwa die Größe einer Legofigur an und Kinga tat es ihm gleich. "Das Baby ist in Mamis Bauch um zu wachsen, bis es groß genug ist, um heraus zu kommen. Du warst auch mal so klein und in Mamis Bauch."




    "Wie ist denn das Baby in Mamis Bauch reingekommen?" Es war eine ganz einfache Frage, doch ich versteifte mich augenblicklich und starte angestrengt auf die Bilder an der gegenüberliegenden Wand. Dieses Gespräch entwickelte sich heikler, als ich erwartet hatte. Über das Thema, wie Babys in den Bauch der Mütter kamen, wollte ich mit Kinga erst in ein paar Jahren besprechen. Bevor ich mir eine passende Antwort zurecht legen konnte, überrumpelte Dominik mich einfach mit der simplen Wahrheit. "Ich habe das neue Baby in Mamis Bauch gelegt. Das ist die Aufgabe von Papis." Kinga nickte zwar, aber ganz zufrieden schien sie noch nicht. "Und wo hast du das kleine Baby her bekommen?" "Der liebe Gott hat es mir geschenkt, damit ich es in den Bauch von Mami tun kann." Jetzt guckte Kinga zwar ziemlich zerknittert, aber sie stellte keine weiteren Fragen mehr. "Kann ich dann wieder spielen gehen?". Ich seufzte erleichtert auf. "Ja, Schatz, du kannst jetzt wieder spielen."




    "Gott hat es dir gegeben? Dominik, das war ein genialer Schachzug." Ich konnte sehen, wie Dominiks Brust vor Stolz anschwoll. "Zu irgendetwas muss es ja gut sein, dass du unserer Prinzessin immer wieder vom lieben Gott im Himmel erzählst. Ich wusste, dass sie dieses Argument ohne zu fragen akzeptieren würde." Ich hob gespielt drohend meinen Zeigefinger. "Probier diesen Trick aber nicht bei mir. Ich falle darauf sicher nicht herein." "Wer sagt denn, dass du es nicht schon längst bist, Brodlowska?" Selbst wenn ich in diesem Moment empört erscheinen wollte, Dominiks schelmisches Grinsen ließ mir gar keine andere Wahl, als zu lachen.





    Kinga würde in wenigen Wochen sechs werden und ihr erster Schultag stand bevor. Ich hab mich mit Dominik betraten und wir wollten ihr die best mögliche Schulbildung zukommen lassen, selbst, wenn es nicht ganz billig werden sollte. Etwas außerhalb von Sierra Simlone Stadt gab es eine kleine Privatschule. Es stellte sich heraus, dass her Jacoby, der Leiter des Internats in Seda Azul, auch der Direktor dieser Privatschule war. Und bei einem Treffen in der Simlane wollte er sich noch einmal persönlich von unserem Zuhause und Kingas Eignung für seine Institut überzeugen.




    Ich war dann auch erleichtert zu hören, dass es keine Gründe gab, warum Kinga die Privatschule nicht besuchen durfte, vorausgesetzt natürlich, Dominik und ich würden fleißig die horrenden Gebühren bezahlen. Aber ich war mir sicher, dass diese Investition sich auszahlen würde.







    Da nun auch Kingas Schulbildung vorerst gesichert schien, konnte ich meine Schwangerschaft ganz entspannt angehen. Für die Arbeit bei den Tieren und auf den Feldern musste ich wohl oder übel einen Hilfsarbeiter einstellen, weil Dominik mich nicht mehr den ganzen Tag unter der glühenden Sonne arbeiten lassen wollte. Nur die Arbeit auf der Plantage übernahm ich auch weiterhin selbst. Und so wuchs mein Bauch von Tag zu Tag. Inzwischen war es unübersehbar, dass ich bald Mutter werden würde. Und in der Nacht überkamen mich seltsame Hungergelüste. Ich wollte zwar keine sauren Gurken, dafür aber unbedingt ein Stück Torte. Und da kein anderes griffbereit war, verschlang ich einfach das Stück von der Hochzeitstorte, das im Tiefkühlfach aufbewahrt wurde und eigentlich für den ersten Hochzeitstag bestimmt war. Lecker!




    Der Sommer flog nur so dahin und schon stand Kingas erster Schultag an. Ich glaube, Dominik und ich waren aufgeregter, als Kinga. Sie fuhr immerhin bereits seit einem Jahr in die Vorschule in Sierra Simlone Stadt und kannte deshalb den Schulbus. Und eine neue Schule war für sie erst einmal nur aufregend. Zum Abschied versammelten wir uns alle vor dem Haus und Dominik drückte seine Prinzessin kräftig. "Stell mir bloß keinen Blödsinn an. und wenn dich einer deiner Schulkameraden ärgert, dann sag mir nur bescheid. Dann kriegt er es aber mit Dominik Blech zu tun!"




    In ihrer neuen Schuluniform sah Kinga wirklich hinreißend aus. Selbst ich merkte, wie mein Herz mit Stolz erfüllt wurde. Sie drückte Tristan und mir noch schnell einen Kuss auf die Wange und stieg dann fröhlich in den wartenden Schulbus.




    In der Schule lief soweit alles in Ordnung. Aber ich hatte das Gefühl, dass Kinga nicht wirklich gut mit meiner Schwangerschaft zurecht kam. Ich spürte, dass sie mir aus dem Weg ging. Also wollte ich sie dazu ermutigen, sich ein wenig mit dem Baby in meinem Bauch zu beschäftigen. Das hatte allerdings wenig erfolg. Als ich ihr anbot, ihre Hand auf meinen runden Bauch zu legen, um die Bewegungen des Babys zu spüren, zog sie ihre Hände zurück, als ob mein Bauch eine glühende Herdplatte wäre, und verschwand in ihr Zimmer.




    Dort nahm sie sich einen Teddy und begann wütend auf ihn einzuschlagen und ihn an den Ohren zu zerren, so dass diese fast abrissen. Als ich vorsichtig an ihre Zimmertür klopfte, rief sie mir lediglich ein "Geh weg!" zu und verkroch sich in die Lücke zwischen der Wand und ihrem Bett.




    Ich sprach Dominik auf das Problem an. Er hatte schon immer ein besseres Verhältnis zu Kinga und vielleicht würde er ja herausfinden, warum sie sich mir und dem Baby gegenüber so ablehnend verhielt. "Magst du das neue Baby nicht, Prinzessin?", versuchte er ihr deshalb bei einer Partie Dame mit Schachfiguren auf den Zahn zu fühlen. Doch Kinga tat so, als ob sie ihn nicht gehört hätte und spielte einfach weiter. "Du willst also nicht mit mir darüber reden? Gut, aber wenn was ist, dann sag mir bescheid."




    "So wie es aussieht, will sie nicht darüber reden, was sie bedrückt, Brodlowska". Ich lag mit Dominik auf dem Bett und er hielt mich in seinem Arm und streichelte abwechselnd mich und dann meinen hochschwangeren Bauch. "Ich bin mir sicher, dass ihr Verhalten sich wieder normalisiert, sobald das Baby auf der Welt ist und sie es sehen kann. Dann verliebt sie sich bestimmt augenblicklich in den kleinen Wurm." Ich wollte Dominik nur zu gerne glauben. Und in Momenten wie diesen glaubte ich, dass Dominik zu allem im Stande war.


  • Kapitel 83: ...vielleicht...irgendwann




    Vorerst änderte sich nichts an Kingas Verhalten. Sie wich mir im besten Fall einfach aus. Und wenn ich versuchte auf sie zuzugehen, dann wurde sie bockig. Aber ich merkte, dass es ihr nicht gut ging. Sie spielte meist allein bei sich im Zimmer. Selbst Constance konnte sie nicht wirklich aufheitern und kam nur noch selten vorbei. Oft saß sie da, machte ihre Hausaufgaben und blätterte lustlos in ihren Schulbüchern.




    Das konnte ich mir nicht lange ansehen und lud deshalb ein paar ihrer Schulfreunde zu uns ein. Bis auf Constance hatte Kinga kaum Freunde und ich war überzeugt, dass ein wenig Gesellschaft ihr gut tun würde. Doch leider ging mein Plan nicht auf. Anstatt mit Zeus und Sonja zu spielen, blätterte Kinga lieber in der Zeitung und las sogar die Artikel darin. Ihr verhalten entsprach nicht wirklich ihren sechs Jahren und so waren Sonja und Zeus auch schnell gelangweilt.




    Mit Kinga war für sie nichts anzufangen. Dafür spielte Frank, Tristans Freund, nur zu gerne mit den beiden an unserer Konsole im Wohnzimmer. Seit Rolands Auszug fielen die gemeinsamen Männer-Spieleabende meist aus, also nutze Frank die Gelegenheit, die sich ihm bot. So hatte ich mir das natürlich nicht vorgestellt.




    Kinga beschäftigte sich indes lieber mit Lara, einer Arbeitskollegin von Tristan, die für die Bohrtürme 6 bis 11 zuständig war. Lara war durchaus angetan von der wissbegierigen Kinga, mit der sie sich sogar über ernstere Themen, wie die momentane Wirtschaftslage im Erdölsektor unterhalten konnte. Aber ich glaubte immer noch, dass Kinga gleichaltrige Gesellschaft besser tun würde.





    Doch ich hatte keine Idee, wie ich das bewerkstelligen sollte. Mit ihr zu reden half nichts, weil sie weder zuhörte, noch mit mir sprach, noch konnten ihre Schulkameraden sie ablenken. Zudem kam hinzu, dass ich mich im Endstadium der Schwangerschaft nicht wirklich wohl fühlte. Alle fünf Minuten musste ich zum Klo rennen und ständig verspürte ich Hunger, denn ich nicht unter Kontrolle bekam. Ich war froh, dass es in wenigen Wochen vorbei sein würde. Wäre das Baby erst einmal da, dann könnte Dominik sich um das schreiende Bündel kümmern und ich könnte endlich entspannen.




    Und der Termin der Geburt kam früher als erwartet. Eigentlich hatte ich noch eineinhalb Wochen Zeit, als beim Abendessen unerwartet die Wehen einsetzten. Erst dachte ich noch, dass es gleich wieder vorbei sein würde, doch die Schmerzen blieben und kamen in immer kürzeren Abständen. Also war es kein blinder Alarm und die nächste Wehe war auch so heftig, dass ich sie nicht für mich behalten konnte und laut aufschrie. Da bemerkte auch Dominik, dass es ernst wurde.




    Und auch Tristan kam ins Esszimmer gestürmt. "Was ist los? Warum schreist du so laut Oxana?" Leider konnte ich ihm nicht antworten. Stattdessen schrei ich laut ein zweites Mal und merkte, wie warmes Wasser an meinem Bein herunter lief. In diesem Moment wurde auch Tristan klar, was hier ablief. "Oh nein, die Fruchtblase! Du musst schnell ins Krankenhaus! Das Baby wird jeden Moment kommen! Was sollen wir tun! Was sollen wir tun!" Er begann hysterisch in der Küche herumzurennen, bis Dominik ihn an den Schultern packte und ihm eine leichte Ohrfeige verpasste. "Wir werden jetzt ins Auto steigen und ins Krankenhaus fahren. Also hör auch dich wie eine Drama Queen aufzuführen, Linse!"







    Ins Krankenhaus schafften wir es nicht mehr. Dafür war Seda Azul einfach zu weit entfernt. Eigentlich hatte ich geplant, nächste Woche hinzufahren und im Krankenhaus auf die Wehen zu warten. Aber meine Pläne wurden schon zu oft durchkreuzt. Ich hätte es ahnen müssen. Dominik hatte mich schnell zu Schwester Mphenikohl gefahren und mit ihrer Hilfe entband ich eine gesunde Tochter. Am nächsten Morgen kam ein Arzt aus Seda Azul in die Praxis und untersuchte mich und die Kleine. Sie war zwar etwas kleiner und leichter als die meisten Neugeborenen, aber ansonsten fehlte ihr nichts. Und so konnten wir die Praxis der Landschwester noch am gleichen Tag verlassen. Ich musste nur versprechen, mich zu schonen.




    Dominik holte mich ab und fuhr mich zurück in die Simlane. Unsere Tochter hielt ich wohlbehütet in meinen Armen. "Prinzessin, komm her. Begrüß deine kleine Schwester Klaudia", forderte Dominik King auf. "Sie freut sich schon darauf, ihre große Schwester kennen zu lernen." Doch Kinga zeigte sich völlig desinteressiert. "Ich hab jetzt keine Zeit. Ich telefoniere mit Elvira. Das blöde Baby ist mir ganz egal." Ich musste gestehen, dass ich fast mit einer solchen Reaktion gerechnet hatte, aber Dominik wirkte plötzlich sichtlich eingeknickt.




    Dafür war Tristan sofort verliebt in die kleine Klaudia. Und sie wohl auch in ihn, denn sie starte ihn aufgeregt mit ihren großen grünen Augen an. Dieselben grünen Augen, in die ich schon so oft bei Dominik geblickt hatte. Und auch bei Albert....doch diesen Gedanken verbannte ich augenblicklich aus meinem Kopf. Klaudia war Dominiks Tochter. Daran bestand nicht der geringste Zweifel.




    "Brodlowska, komm mal zu mir!", rief Dominik. Ich folgte seiner Stimme in Kingas altes Babyzimmer, welches bis vor wenigen Monaten noch von Roland bewohnt wurde. Und ich staunte nicht schlecht, als ich sah, dass es wieder komplett als Babyzimmer für Klaudia hergerichtet war. "Wann hast du das denn geschafft?", fragte ich völlig überwältigt. "Da musst du dich hauptsächlich bei Tristan bedanken", antwortete Dominik. "Gleich nachdem wir mussten, dass es ein Mädchen ist, hat er angefangen alles herzurichten. Ich hab nur die Möbel reingeschleppt."




    "Ja, Klaudia, guck was der Papa und der Onkel Tristan extra für dich gemacht haben. Ein ganz wunderschönes Zimmer. Hier kannst du erst einmal ganz ruhig schlafen". Behutsam legte ich meine Tochter in das vorbereitete Bett und deckte sie sorgfältig ein, so dass sie auf keinen Fall frieren konnte. Dominik beugte sich ebenfalls zu seiner Tochter hinab und kam ihr einen sanften Kuss auf die Stirn. Und innerhalb von Minuten war Klaudia fest eingeschlafen. Die Aufregung der letzten Stunden hatte sie sicherlich ganz müde gemacht.




    "Sie ist wunderschön, Brodlowska. Genauso, wie ihr Mutter." Dominik sog mich wild zu sich heran und begann an meinem Hals zu knabbern. Ich musste lachen. "Die Landschwester hat gesagt, ich soll mich schonen, Dominik. Also schlag dir das aus dem Kopf. Dominik machte ein ganz zerknirschtes Gesicht. "Vielleicht hast du recht", stimmte er mir sogar zu. "Außerdem musst du da unten ja noch ganz ausgeleiert sein." Für diese Bemerkung fing er sich erst einmal eine Kopfnuss ein. "Aua!"




    "Bist du sehr enttäuscht, dass es kein Junge geworden ist?", fragte ich ihn leise, nachdem ich mich aus seiner Umarmung befreit hatte. Sein Blick verriet schon alles, also brauchte er es gar nicht zu leugnen. "Ich hätte mir schon gerne einen Sohn gewünscht, Brodlowska. Ich glaube, jeder Vater wünscht sich einen Sohn. Jemand, der den Namen weiter trägt und den Stammbaum fortführt. Aber glaub mir, ich könnte einen Sohn nicht mehr lieben, als ich Kinga und Klaudia liebe. Und dich natürlich, Brodlowska."




    In diesem Moment hätte ich mir nichts sehnlicher gewünscht, als zu sagen, dass auch ich ihn liebte. Aber ich konnte es nicht. Diese drei einfachen Worte brachte ich nicht über meine Lippen. Also schmiegte ich mich einfach an Dominiks starke Schulter und ließ mich von ihm halten. Wenn er mich nur lange genug hielt, dann könnte ich ihn vielleicht lieben….irgendwann....

  • Kapitel 84: Puppenhaus




    Dominik hatte gehofft, dass sich nach Klaudias Geburt Kingas Verhalten wieder normalisieren würde. Doch das traf leider nicht ein. Eher im Gegenteil. Der kleine Julio wusste gar nicht wie ihm geschah, als Kinga plötzlich anfing, auf ihn einzuschlagen. Weinend lief er aus unserem Haus und so schnell würden wir ihn hier nicht mehr wieder sehen. Kinga verzog sich daraufhin nur schmollend in ihr Zimmer.




    Und von ihrer kleinen Schwester wollte sie auch nichts wissen. Immer wieder versuchte ich, ihr Klaudia näher zu bringen. Doch Kinga reagierte immer abweisend. "Ich will dieses stickende Bündel nicht halten!", protestiert sie, als ich ihr Klaudia in die Arme legen wollte. "Ich will sie überhaupt nicht bei uns haben!"




    Ich wusste immer noch nicht, wie ich mit diesem Verhalten umgehen sollte. Sie auszuschimpfen führte zu nichts, da ich auch so sehen konnte, dass Kinga sich nicht wohl fühlte. Denn jedes Mal, wenn sie mit einem ihrer Schulkameraden zankte oder wieder einmal mir und Dominik gegenüber ausfallend wurde, verkroch sie sich in irgendeine Ecke und begann leise zu schluchzen. Aber ich wusste nicht, was ihr fehlt. Sie wollte mit niemandem über ihre Probleme reden.




    Ich konnte nur vermuten, dass sie sich vernachlässigt fühlte. Klaudia hielt uns ganz schön auf Trab. Gerade Dominik war wieder ganz vernarrt in das kleine Bündel. Es kam deshalb unweigerlich dazu, dass Kinga weniger Aufmerksamkeit erhielt. Aber irgendwie konnte ich nicht glauben, dass das der Grund für ihr rüdes Verhalten war. Denn sie ließ ja nicht einmal wirklich zu, dass man sich Zeit für sie nahm.




    Aber wenn ich Dominik mit seiner jüngsten Tochter sah, vergaß ich ganz schnell die Probleme, die wir mit Kinga hatten. Auch wenn er mitten in der Nacht aufstehen musste, war er doch immer gut gelaunt. Und seine gute Laune sprang auf die Kleine über, die fröhlich quiekte, wenn er sie in die Luft warf.




    Ich legte meine Arme um Dominiks Taille und schmiegte mich an seinen Rücken. "Leg Klaudia in ihr Bettchen und komm dann rüber in unseres", flüsterte ich ihm verführerisch ins Ohr. "Dort wartet dann eine Belohnung auf dich." Angespornt von diesem Angebot schaffte es Dominik in Rekordzeit unsere Tochter ins Bett zu bringen und sie zum einschlafen zu bewegen. Und im Schlafzimmer holte er sich dann die versprochene Belohnung ab.




    Nach vollbrachter Tat schlief Dominik augenblicklich ein. Ich nah es ihm nicht übel, schließlich war es mitten in der Nacht und er musste morgen früh raus. Im Schein der Nachttischlampe beobachtete ich ihn, wie er zufrieden schlummerte. Ich war selbst erstaunt darüber, was gerade passiert war. Ich schlief nicht oft mit Dominik und wenn, dann ging die Initiative immer von ihm aus. Irgendetwas in mir sträubte sich selbst nach sieben Jahren immer noch dagegen. Nach unseren Flitterwochen mied ich intime Kontakte zu ihm und die Schwangerschaft war mir ein willkommener Vorwand. Doch inzwischen war ich mir nicht mehr sicher, warum ich nicht mit meinem Ehemann schlafen wollte. Hielt ich es für falsch mit ihm zu schlafen, weil ich ihn nicht liebte, oder hatte ich Angst davor, dass es mir mehr und mehr gefallen könnte?





    Da Kingas verhalten uns und ihrer Schwester gegenüber langsam unhaltbar wurde, bat Dominik seine Mutter um Rat. Hätte er mich vorher gefragt, hätte ich ihn davon abgehalten und so kam es, wie es kommen musste. Glinda stürmte eines morgens einfach ins Haus und fing an über meine Erziehungsmethoden herzuziehen. Sinngemäß war ich die schlechteste Mutter überhaupt und die schlechteste Ehefrau obendrein.




    "Ich habe sechs Kinder aufgezogen und bei mir ist es nie zu solchen Ausschreitungen gekommen", erklärte sie hochmütig. "Ich habe meinen Kindern gleich gezeigt, wo es lang geht und sie davon abgehalten, mir auf der Nase herum zu tanzen. Aber es war ja klar, dass du mit der Erziehung der Kinder hoffnungslos überfordert sein würdest. Das sieht man ja schon alleine daran, wie du das Haus führst. Ich wäre fast über das Unkraut im Garten gestolpert und durch diese zugestaubten Fenster kann man ja kaum nach draußen sehen. Kein Wunder das ein Kind da aggressiv wird."




    Ich hätte in die Luft gehen können! Was fiel dieser Frau bloß ein so über mich herzuziehe? Und das auch noch in meinem Haus! Arrgh!!! Natürlich sagte ich wieder einmal nichts, um den Familienfrieden aufrecht zu erhalten. "Nimm dir Mutters Gerede nicht so zu Herzen, Brodlowska. Du weißt doch, wie sie ist", versuchte Dominik mich zu beruhigen. Ja, ich wusste, wie sie war, deshalb wurde es trotzdem nicht leichter, mit solch einer Schwiegermutter klar zu kommen.




    "Nicky, wo ist den mein süßes Enkelein?", fragte sie Dominik in der nächsten Sekunde, als ob nichts passiert wäre. Und auch Dominik schien vergessen zu haben, dass seine Mutter mich gerade noch zur Schnecke gemacht hatte. Denn er lief gleich ins Babyzimmer und präsentierte, stolz wie Oskar, seiner Mutter unsere kleine Tochter. "Sag hallo zur Oma, Prinzessin." Wenigstens schien Klaudia eine gute Menschenkenntnis zu besitzen und ignorierte ihre Oma. Geschah dieser Hexe ganz recht!







    Ich hätte diesen Anblick gerne noch länger genossen, aber aus dem Augenwinkel sah ich einen Schatten durchs Esszimmer flitzen und dann knallte laut eine Tür. Und plötzlich hörte ich, wie Kinga laut rumbrüllte und immer wieder war ein lautes Rumsen zu hören. Ich eilte zu ihrem Zimmer und konnte gerade noch sehen, wie sie auf ihr Puppenhaus einschlug, bevor es komplett in sich zusammen brach.




    Ich konnte erst gar nicht glauben, was ich da sah. "Kinga!", schrie ich sie deshalb an. "Was ist in dich gefahren? Du kannst doch nicht einfach dein Puppenhaus zerstören!" Ich konnte es wirklich nicht fassen. Doch anstatt mir zu antworten stemmte Kinga die Hände in ihre Hüften und starte trotzig die Wand an, als ob ich überhaupt nicht anwesen wäre.




    So, jetzt hatte ich die Faxen aber dicke. Ich hatte mich bemüht verständnisvoll zu sein, aber jetzt ging Kinga eindeutig zu weit. Verärgert ging ich auf sie zu, packte sie unsanft an der Schulter und drehte sie zu mir herum. "Jetzt hör mal zu, junge Dame! Du wirst dich nicht mehr wie eine Diva aufführen und hier allen deine Launen zur Schau stellen. Papa und ich haben endgültig die Nase voll von diesem Verhalten." Kinga wollte sich wegdrehen, doch ich riss sie erneut zu mir herum. "Du wirst mir jetzt zuhören, haben wir uns verstanden?"




    Kinga antwortete nicht. Stattdessen begannen ihre Augen sich mit Tränen zu füllen und ich merkte, dass ich sie fester an der Schulter umklammert hielt, als ich es gewollt hatte. Als ich meinen Griff lockerte entzog sie sich mir sofort, rieb ihre Schulter und begann zu weinen. Plötzlich tat sie mir leid, aber ich konnte ihr dieses Verhalten wirklich nicht durchgehen lassen. "Du wirst dieses Puppenhaus bezahlen, Kinga. Gleich morgen fährst du mit Papa in die Stadt und kaufst ein neues von dem Geld, was Oma und Opa dir zum Geburtstag gegeben haben. Und jetzt wirst du die Unordnung hier beseitigen. Haben wir uns verstanden?" Kinga sah mich zwar immer noch trotzig aus ihren verheulten Augen an, aber sie nickte zustimmend.




    Ich blieb so lange bei ihr im Zimmer, bis sie jeden Teil des kaputten Puppenhauses in einen Müllbeutel gepackt hatte. Sie sprach kein Wort mit mir, aber auch ich konnte stur sein. Ich begleitete sie bis zur Mülltonne vor dem Haus, wo sie den Beutel missmutig hineinwarf. Als sie wieder zurück ins Haus ging, warf sie mir einen bösen Blick zu, den ich aber mühelos erwiderte. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass dies ein langer Kampf werden könnte.




    Von da an hatte Kinga beschlossen, überhaupt nicht mehr mit mir zu reden. Ich hätte sie wieder anschreien können, aber irgendwie bezweifelte ich, dass sie dadurch zugänglicher wurde. Immerhin zertrümmerte sie keine Gegenstände mehr. Stattdessen summte sie den ganzen lieben langen Tag vor sich hin, schlenderte im Garten herum und goss die Blumen. Aber auf Dauer konnte das nicht so bleiben, nur wusste ich keinen Rat mehr. Und meine Schwiegermutter konnte auch nur an mir herummäkeln, aber hilfreiche Tipps hatte sie auch nicht parat.

  • Kapitel 85: Onkel Tristan




    "Was war denn gestern mit Kinga los?", fragte Tristan. Er hatte heute seinen freien Tag und erledigte gerade den Abwasch vom Frühstück, während ich Klaudia fütterte. Außer uns dreien war niemand im Haus. "Ich seufzte schwer, bevor ich antwortete. „Ich weiß selbst nicht, was sie hat. Sie redet ja nicht mit mir. Nicht einmal mit Dominik. Irgendetwas hat sie, sonst würde sie sich ja nicht so aufmüpfig benehmen." "Ich glaube, sie ist eifersüchtig auf Klaudia", erklärte Tristan. "Bevor sie gestern das Puppenhaus zerstört hat, hat Dominik Klaudia "Prinzessin" genannt. Sonst hat er nur Kinga so betitelt. Ich glaube, sie hat das nicht so gut aufgenommen."




    "Ist deine große Schwester eifersüchtig auf dich, Klaudeczka? Ist sie eifersüchtig?" Zur antwort schmatzte Klaudia nur genüsslich vor sich hin. "Du bist so ein süßes kleines Baby. Ganz ruhig und lieb. Warum mag deine Schwester dich bloß nicht? Aber keine Angst, Mami hat dich ganz schrecklich lieb." Die Kleine nuckelte noch immer seelenruhig an der Flasche. "Tristan, kannst du vielleicht mal mit Kinga reden? Vielleicht vertraut sie dir ja etwas an, was sie uns nicht sagen will." Ich sah meinen Mitbewohner mit flehenden Augen an. "Kein Problem, Oxana. Ich helfe dir doch gerne."







    Als Kinga am Nachmittag aus der Schule kam, setzte Tristan sie in meinen roten Pickup und fuhr mit ihr zum Spielzeugladen nach Seda Azul. Sie musste das Puppenhaus von ihrem eigenen Geld nachkaufen. Und ich wusste, dass diese Strafe sie traf, weil sie sich mit dem Geld eigentlich ein neues Computerspiel kaufen wollte, dass jetzt alle spielten. Natürlich reichte ihr angespartes Geld bei weitem nicht, für ein neues Puppenhaus, aber sie musste so viel selber zahlen, wie sie konnte.




    Die beiden wurden im Laden auch schnell fündig. In der Auslage stand ein Puppenhaus, was Kingas altem zum verwechseln glich. Kinga war alles andere als erfreut. Bis jetzt hatte sie noch gehofft, dass es in dem Geschäft gar kein Puppenhaus geben würde und sie vielleicht doch noch ihr Spiel bekam. So betrachtete sie erst einmal missmutig das doch vorhanden Puppenhaus.




    Und während Kinga kurz darauf zur Toilette verschwand, sah Tristan sich in dem Spielwarengeschäft um. Er entdeckte viel Spielsachen, die er bis dahin noch gar nicht kannte. Die bemalten Backsteine sahen sehr lustig aus. Und was war das für ein komisches Zwirbelwirbel? Er war sich sicher, dass Klaudia gefallen daran finden würde....sobald sie etwas gewachsen war, selbstverständlich. Und bis dahin, konnte er es ja vielleicht selbst benutzen?




    Tristan verwandelte sich regelrecht in ein kleines Kind und bestaunte jedes Spielzeug. Und ein Großteil davon landete auch in seiner Einkaufstasche. Am Ende nahm er viel mehr Spielzeug mit, als bloß das neue Puppenhaus für Kinga. Die trauerte derweil noch immer dem Spiel nach, was sie wohl nie besitzen würde. Dass es auch noch in Griffweite vor ihrer Nase stand, machte es ihr nicht einfacher. In dem Moment wusste sie nicht genau, auch wenn sie mehr böse sein sollte, auf sich selbst oder auf ihre Eltern. Doch sie tendierte stark dazu, ihren Eltern die Schuld zuzuschieben, insbesondere mir, ihrer bösen Mutter.




    Hinter dem Laden gab es einen kleinen Spielplatz. Bis auf eine Schaukel bot er zwar nicht viel, aber Kinga und Tristan ließen es sich nicht nehmen, die Schaukel auszuprobieren. Tristan sah damit auch seine Möglichkeit gekommen, Kinga ein wenig auf den Zahn zu fühlen. "Hat es Spaß gemacht, das Puppenhaus zu zertrümmern?", fragte er unschuldig. "Ich wollte so was auch immer mal machen, hab mich aber nie getraut." "Ja, war schon ganz lustig", antwortete Kinga. "Aber eigentlich war es doof von mir. Mit dem Puppenhaus spiele ich doch immer so gerne und jetzt hab ich auch noch das Spiel nicht." Mit den Füßen stoppte sie ihren Schwung ab und trat ein paar Steine fort, die vor ihr im Dreck lagen.




    Tristan hatte zwar Angst, bei Kinga auf Granit zu beißen, wenn er zu direkt fragte, aber er wollte herausfinden, was die Kleine belastete. "Warum hast du es dann gemacht?" Kinga holte wieder Schwung und schwieg dann eine Weile. "Weil Papa die doofe Klaudia viel lieber hat als mich." Also doch Eifersucht! Oder steckte noch mehr dahinter? "Und du kannst Klaudia nicht lieb haben? Sie ist doch deine kleine Schwester." "Ich will sie aber gar nicht lieb haben", protestieret Kinga "Und ich will auch nicht lieb sein, sonst schicken Mama und Papa mich weg!"




    "Wegschicken? Wie kommst du denn auf diese Idee?" Tristan stieg von seiner Schaukel herunter und hob auch Kinga aus ihrem Sitz um ihr direkt in die Augen schauen zu können. "Wenn ich böse bin, dann schicken Mama und Papa mich nicht weg! Constance war immer ganz lieb und sie musste gehen, obwohl ich immer viel mehr angestellt habe als sie. Und jetzt ist Klaudia da und sie schreit immer und stinkt und Mama und Papa haben sie viel mehr doll lieb als mich. Also wenn ich noch mehr schreie und böse bin, dann schicken sie sie wieder fort und behalten dafür mich. Und wenn ich Constance noch überrede mehr Unsinn zu machen, dann darf sie vielleicht auch wieder zurück und alles ist wieder so wie vorher."




    "Ach Spatz, deine Eltern wollen dich doch überhaupt nicht weg schicken. Egal wie lieb du bist!" Tristan musste sich zusammenreisen um nicht laut loszulachen. Kingas Logik war einfach so unglaublich, dass es nicht verwunderlich war, dass niemand darauf kam, was sie belastete. "Schau, Klaudia ist noch Klein und brauch einfach viel mehr Aufmerksamkeit. Du bist doch schon groß und schaffst das auch alleine. Und wenn du denkst, dass deine Eltern mal keine Zeit für dich haben, dann kannst du ja zu mir kommen. Wir können dann zu zweit etwas unternehmen. Und wenn du deine Schulfreunde nicht immer hauen würdet, dann könntest du auch mit denen was tolles machen." Diesen letzten Satz konnte Tristan sich einfach nicht verkneifen.







    Ich konnte es auch kaum glauben als Tristan mir berichtete, was Kinga bedrückte. Sie versuchte also tatsächlich böse und gemein zu sein, damit wir sie behielten und Klaudia wegschickten? Das war wirklich die Logik einer Sechsjährigen. Ich versicherte Kinga umgehend, dass wir sie nicht wegschicken würden. Sie war unsere Tochter und wir würden sie immer bei uns behalten, ob sie nun gemein war und ganz besonders wenn sie lieb war. Ich ermutigte sie sogar dazu, besonders nett zu uns und allen anderen zu sein. Scheinbar hatte niemand von uns bemerkt, wie sehr Constances Auszug Kinga mitgenommen hatte.




    "Ok, Mami, ich werde wieder brav sein", versprach sie mir. „Es hat sowieso keinen Spaß gemacht immer böse zu sein. Aber muss ich Klaudia unbedingt lieb haben? Die stinkt immer". Ich musste lachen. "Manchmal stinkt sie auch nicht, Schatz. Vielleicht versuchst du dann, sie lieb zu haben. Klaudia braucht doch ihre große Schwester, die sie beschützen kann."




    Kinga versprach mir, es immerhin zu versuchen. Mehr konnte ich nicht erwarten. Ich vermutete, Kinga würde noch oft Grund dazu haben, eifersüchtig auf ihre jüngere Schwester zu sein. Dominik und ich konnten uns nur bemühen, beide Kinder möglichst gleich zu behandeln. Gelingen würde es uns kaum. Besonders ich spürte Klaudia gegenüber eine tiefe Zuneigung, die ich Kinga gegenüber immer noch nicht aufbringen konnte, so sehr ich es auch wollte. "Papi, bin ich immer noch dein Prinzessin?", fragte Kinga. "Natürlich bist du das", bestätigte Dominik und hob sie auf den Arm. "Und das wirst du auch immer bleiben. Und sei nicht böse, wenn ich Klaudia auch Prinzessin nenne. Denk doch mal nach, die Schwester einer Prinzessin ist doch automatisch auch eine. Es bleibt mir also gar nichts anderes übrig, als Klaudia auch so zu nennen. Aber du bleibst immer meine große Prinzessin. Versprochen."




    Und in den nächsten Tagen und Wochen bemühte sich Kinga wirklich, ihrer Schwester näher zu kommen. Es ging natürlich nicht von heute auf morgen. Aber einmal beobachtete ich sie durch den Türspalt, wie sie an Klaudias Bettchen kam und ihr mein altes, rosa Hasi ins Bettchen legte.

  • Kapitel 86: Pummelchen




    Als nächstes stand noch ein freudiges Ereignis an. "Brodlowska, du bist schön genug. Ich erlaube dir sogar auf der Straße neben mir zu gehen und nicht drei Meter hinter mir wie sonst. Also komm jetzt." Ich konnte mich trotzdem nicht von Spiegel losreißen. Irgendwie waren diese Locken so ungewohnt und ich hatte ständig das Gefühl, dass sich meine Ohrringe darin verhingen. Plötzlich legten sich Dominiks Arme um meine Taille und er trug mich, meine Proteste ignorierend, einfach aus dem Haus. "Du willst doch nicht zu Rolands Hochzeit zu spät kommen, Brodlowska."




    Nein, das wollte ich wirklich nicht. Die Zeremonie fand wie schon bei mir und Dominik im Garten statt, diesmal aber in dem von Rolands neuem Zuhause. Unter einem rosengeschmückten Hochzeitsbogen gaben Roland und Brandi sich das Ja-Wort und tauschten die Ringe aus. Ich war froh, meinen besten Freund so glücklich zu sehen und unser gemeinsamer Seitensprung schien bereits in weite Ferne gerückt zu sein.




    Kinga und Constance hatten die Aufgabe bekommen, das Brautpaar mit Federn zu bewerfen. Aber irgendwie haben sie ihren Einsatz verpasst und bewarfen sich lieber gegenseitig mit den flauschigen Daunen. Der guten Stimmung tat dies keinen Abbruch.




    Kurz nach der Trauung versank die Abendsonne hinter dem Horizont und die eigentliche Hochzeitsfeier konnte beginnen. Tristan hielt eine kleine Ansprache auf das Wohl seines besten Freundes und auf das von Brandi. "Ich hoffe, ihr zwei werdet super glücklich miteinander. Für mich wäre ja eine Ehe absolut nicht das Richtige, aber ihr beiden, werdet euch ideal ergänzen und erst jetzt richtig feststellen, was Liebe eigentlich ist. Auf das Brautpaar!"




    Tristans Worte trafen mich mitten ins Herz und ich konnte nicht anders und musste weinen. Ich freute mich wirklich für Roland. Aber peinlich war die Situation trotzdem. Wenn ich ehrlich bin, waren es nicht nur Freudentränen, die da an meinen Wangen herab liefen. Ich sah, wie glücklich Roland und Brandi waren. Bei meiner eigenen Hochzeit war ich nicht so glücklich gewesen und das machte mich traurig. Und immer wieder drängten sich Bilder von mir und Albert in meinen Kopf, die ich kaum vertreiben konnte.




    Glücklicherweise merkte niemand der Anwesenden etwas. Nur Dominik kam zu mir und klopfte mir tröstend auf die Schultern. "Ich weiß, Brodlowska, es ist zu traurig. Wie kann eine so schöne und intelligente Frau wie Brandi bloß Reichardt heiraten? Ich könnte auch losheulen." Blöder Kerl, aber wenigstens konnte ich wieder lachen. Derweil schnitten Roland und Brandi gemeinsam die Hochzeitstorte an und Roland fütterte neckisch seine junge Braut.




    Es wurde ein sehr schöner Abend im Kreis von engen Freunden und Bekannten. Es wurde getanzt, gelacht, gegessen und natürlich auch getrunken. Ich wünschte Roland und Brandi wirklich nur das Beste für ihre gemeinsame Zukunft und gleichzeitig hoffte ich auch nur das Beste für meine Zukunft mit Dominik und unseren beiden Kindern.







    Und die wuchsen schneller, als man hinschauen konnte. Die Morgensonne strahlte in unser Schlafzimmerfenster und Dominik und ich lagen verträumt auf dem Bett. Es war Sonntag und noch relativ früh, wir konnten uns also Zeit lassen. Doch da krabbelte auch schon ein kleines Bündel durch die offene Kinderzimmertür, zupfte an der Bettdecke und machte sich lautstark bemerkbar.




    "Das war es wohl mit unserem ruhigen Sonntagmorgen im Bett", flüsterte ich Dominik zu und krabbelte aus dem Bett. Auch Dominik stand auf und hob seine Tochter auf den Arm, die schon ungeduldig die Ärmchen nach ihm ausstreckte. "Wie bist du denn aus deinem Bett gekommen, Pummelchen? ich glaub, wir müssen die Gitter ein wenig höher machen, für die Ausbrechmeisterin." "Dada", war das einzige was Klaudia darauf erwiderte und mit ihren ungeschickten Fingern versuchte sie, Dominik am Schnurbart zu ziehen.




    Pummelchen traf es im wahrsten Sinne des Wortes. Dominik trug den kleinen Racker in die Küche. Klaudia wusste schon genau, was jetzt kommen würde. Dada würde ihr ein leckeres Fläschchen Milch machen und sie begann sofort zu quengeln, als er sich nur ein bisschen mehr Zeit ließ. Und kaum hatte sie die Flasche in ihren Patschehändchen, begann sie gierig daran zu nuckeln. Im Essen war unsere Klaudia eine wahre Meisterin. Das zu geringe Geburtsgewicht hatte sie in den folgenden Monaten mehr als wett gemacht. Aber Dominik konnte ihr keinen Wunsch ausschlagen...und ich konnte das auch nicht.




    Zufrieden gab Klaudia ein Bäuerchen von sich und warf die leer Flasche ungeschickt von sich weg. Inzwischen kam auch Kinga aus ihrem Zimmer und hob ihre Schwester auf den Arm. "Ich nehme sie mit vors Haus, Papa, da kann sie im Sand spielen. Sie findet es ganz toll, wenn die Ameisen auf ihren Zehen rumkrabbeln. Du müsstest hören, wie sie dann gluckst." Das wollte Dominik nicht verpassen. Er schnappte mich an der Hand und zog mich mit in den Garten und auch Tristan gesellte sich zu uns. Und während Kinga ihrer Schwester Grimassen schnitt und dabei von Tristan kräftig unterstütz wurde, setzte ich mich mit meinem Mann in den Schatten und beobachtete zufrieden meine kleine Familie. "Bist du glücklich, Brodlowska", fragte Dominik mich und legte seinen Arm um mich. Ich seufzte zufrieden und lehnte meinen Kopf auf seine Schulter. "Ja, Dominik, ich bin glücklich".


    Gedanken:


    Ich war glücklich. Warum hätte ich es auch nicht sein sollen. Die Probleme mit Kinga hatten sich gelegt. Seitdem Tristan mit ihr gesprochen hatte, verhielt sie sich wieder lieb zu uns. Ich hatte sogar das Gefühl, dass sie noch netter war, als früher. Und sie war noch quirliger geworden, tobte herum mit ihrem Papa und mit ihrer Schwester und saß kaum still. Außer, wenn sie die Tageszeitung las. Besonders vom Wirtschaftsteil war sie kaum loszureißen. Aber das sollte mir recht sein. Lieber eine ernste, als eine aufmüpfige Tochter.
    Und auch Klaudia wuchs prächtig heran. Schon, als sie in meinem Bauch war, spürte ich, wie sehr ich dieses Kind liebte. Und als ich sie das erste Mal in meinen Armen hielt, hätte ich sie am liebsten nie wieder los gelassen. Dominik erging es nicht anders. Auch er liebte seine Tochter abgöttisch. Sein „Pummelchen“ konnte ihn mühelos um den Finger wickeln. Sie schien über unendliche Energiereserven zu verfügen und kaum hatte man sie für eine Minute nicht im Auge, krabbelte sie schon davon. Und immer war ein Lächeln auf ihren dicken Bäckchen zu sehen. Leider war sie ein wenig schüchtern, was fremde Menschen anging. So richtig vertrauen fasste sie nur zu ihrem Papa, ihrem Onkel Tristan, ihrer großen Schwester und natürlich zu mir. Aber sie war noch jung. Ihr Charakter konnte sich noch verändern.
    Meine Ehe mit Dominik gestaltete sich leichter, als ich es je für möglich gehalten hatte. In seiner Gegenwart fühlte ich mich sicher und beschützt. Zu gerne hätte ich ihm all die Liebe erwidert, die er mir schenkte. Aber dafür kreisten meine Gedanken noch viel zu oft um Albert.
    Finanziell sah es blendend aus. Endlich lief die Farm wirklich rund und warf Gewinne ab. Besonders die Zitrusfrüchte erwiesen sich als gute Einnahmequelle. Und inzwischen hätte ich ein recht gutes Händchen für diese anspruchsvollen Pflanzen. Tristan bestritt aber immer noch den Großteil unsere Einnahmen. Sein Lohn bei der Ölfirma war immer noch unübertroffen. Aber Dominik arbeitete sich immer weiter hoch, in der Wachfirma, in der er beschäftigt war. Inzwischen war er so etwas wie der Leiter der ganzen Truppe geworden. Wäre er bei der Polizei, dann hätte er jetzt wohl den Titel eines Polizeipräsidenten.

  • Kapitel 87: Übung mach den Meister


    Was bisher geschah:
    (Zusammenfassung der vorherigen Kapitel)


    Mit 18 warf mein Dad mich aus dem Haus, weil ich die Polizei rief, als er meinen Paps im Suff verprügelte. Ich kam für ein Jahr bei meinen Großeltern in Warschau unter, bevor ich in die Sierra Simlone kam.


    Ich lebte mich hier gut ein und mied jeden Kontakt zu meiner Familie. Doch dann starb erst mein Paps und einige Jahre darauf auch Dad. Kurz vor seinem Tod hatte er noch einmal versucht, mit mir in Kontakt zu treten und sich zu entschuldigen. Doch er hatte mich zu sehr verletzt. Und so erhielt ich keine Chance mehr, mich mit ihm auszusprechen, bevor er mit seiner Jacht auf den Atlantik hinaus fuhr und in einem Sturm kenterte.


    So schrecklich sein Tod war, so erlaubte er mir doch, mich wieder meiner Familie anzunähren und in engen Kontakt mit meiner Zwillingsschwester Joanna und meinem jüngeren Bruder Orion zu treten. Bei meiner Hochzeit mit Dominik waren wir drei dann auch endlich wieder vereint.


    Als ich Dominik heiratete, war ich schwanger. Tief im Inneren spürte ich, dass dieses Kind von ihm war. Allerdings gab es einen leisen Zweifel, denn als Vater kam auch Albert in Frage, der Mann, den ich über alles geliebt hatte und mit dem ich mein Leben verbringen wollte. Doch Albert starb und meine Großmutter gab mir den weisen Rat, Dominik zum Mann zu nehmen.


    Dieser Rat erwies sich als richtig. Ich liebte Dominik zwar nicht, aber ich fühlte mich eng mit ihm verbunden. Und er sorgte gut für mich und meine Kinder. Seine Kinder. Meine jüngste, Klaudia, war seine Tochter, das spürte ich einfach. Und Kinga, meine Älteste, war zwar nicht seien leibliche Tochter, doch er zog sie als solche auf und ich hatte schon vor langer Zeit entschieden, dass er nie erfahren sollte, dass er nicht Kingas leiblicher Vater war.


    Kinga kam nicht gut zurecht mit der Geburt ihrer kleinen Schwester und wurde aufmüpfig. Erst mein Mitbewohner Tristan fand heraus, dass sie Angst hatte, dass wir sie gegen Klaudia austauschen wollten. Glücklicherweise konnten wir sie vom Gegenteil überzeugen und ich bekam das harmonische Familienleben, das ich mir seit meiner Kindheit wünschte.





    Der Schweiß floss an meinem Gesicht herab. Obwohl der Raum gut klimatisiert war, glühte mein ganzer Körper. Das Laufband ächzte unter meinen Schritten, aber ich musste weiter. Ich hatte gerade einmal die Hälfte der Strecke hinter mir. Den Gutschein für das Fitnessstudio war ein Geschenk meiner Zwillingsschwester zum Geburtstag. „Du musst dich fit halten, Oxana“, hatte sie gesagt. „Nur weil du verheiratet bist und zwei Kinder hast, ist es kein Grund deinen Körper zu vernachlässigen.“ Sie hatte Recht und deshalb quälte ich mich jetzt auf diesem Laufband ab.




    „Wie lange noch, Oxana? Ich…ich kann kaum noch weiter.“ Brandi lief keuchend auf dem Band neben mir und auch an ihr lief der Schweiß herab. „Nur noch ein Stück. Halt einfach durch, Brandi.“ Sie biss die Zähne zusammen und machte weiter.




    Nach einer Zeit, die mir wie eine Ewigkeit erschien, stiegen wir vom Laufband, zufrieden mit uns, dass wir durchgehalten hatten. „Lass uns an der Bar etwas trinken“, schnaufte Brandi und stieg bereits die Treppe zum Erdgeschoss hinab, wo sich die Bar befand. Ich folgte ihr und setzte mich zu Brandi an den Tresen.



    .
    Wir bestellten zwei isotonische Getränke bei der Barfrau. „Und du kommst ernsthaft zwei mal in der Woche hier her? Wieso tust du dir das freiwillig an, Oxana?“ Brandi schüttelte verständnislos den Kopf und stützte sich mit dem Ellenbogen auf dem Tresen ab. Ich konnte sehen, dass sie immer noch völlig außer Atem war. Inzwischen war ich so weit trainiert, dass meine Atmung und mein Puls schnell wieder zum Normalzustand zurückkehrten.




    „Mit ein wenig Training macht es wirklich Spaß. Und glaub mir, Brandi, nach ein paar Wochen fühlst du dich wirklich besser.“ Brandi sah mich skeptisch an und ich konnte es ihr nicht einmal verübeln. Vor ein paar Monaten hätte ich es selbst nicht für möglich gehalten, dass dieses Fitnesstraining Spaß machen könnte. Aber ich wollte Joannas Geschenk nicht ungenutzt verfallen lassen, also probierte ich es aus….und blieb dabei.




    „Wollen wir dann weiter machen?“, fragte ich Brandi, nachdem wir beide unser Glas geleert hatten. Sie stöhnte laut, quälte sich aber vom Barhocker herunter. Ich musste lachen. „Komm, die nächste Übung wird dir Spaß machen. Und ich verspreche dir, dass du dich dabei auch nicht überanstrengen wirst.“








    „Du willst, dass ich Schießübungen mache?“, schrie Brandi und sah mich ungläubig an. Ich hatte genauso reagiert, als meine Schwester mir vor zwei Monaten wieder mal einen Gutschein schenkte, diesmal fürs Schießen. Der Trainer hatte Brandi und mich in den extra abgesperrten Bereich geschleust und holte nun die Ausrüstung aus den gesicherten Spezialschränken. „Du musst nur vergessen, dass es eine Waffe ist. Sieh es mehr als Geschicklichkeitsübung“, versuchte ich sie zu überzeugen. Am besten würde das gelingen, wenn ich es ihr einfach vormachte. Als nahm ich mir eine der Übungspistolen.




    Ich stellte mich in die Box und zielte auf die Pappscheibe an der hinteren Wand. Ich atmete aus, spannte meinen Körper an und drückte den Abzug. Brandi zuckte zusammen, sichtlich überrascht von der Lautstärke des Knalls. Ich hatte nicht die Mitte der Scheibe getroffen, aber immerhin hatte ich sie getroffen. Das hatte am Anfang noch ganz anders ausgesehen. Auch, weil ich mich dagegen gesträubt hatte, eine Waffe in die Hand zu nehmen. Nach zwei Unterrichtsstunden hatte ich mir sogar geschworen, nie wieder einen Fuß in diese Einrichtung zu setzen. Doch dann musste ich mit ansehen, wie zwei Wüstenhunde ein neugeborenes Kalb aus meiner Herde rissen. Ich konnte nur hilflos zusehen, obwohl ich ein Gewehr dabei hatte. Aber was nützt einem ein Gewehr, wenn man damit nicht umgehen kann? Also entschloss ich mich doch, weiter das Schießen zu üben.




    Als sie sah, dass es wohl tatsächlich ungefährlich war, faste Brandi doch Mut und ließ sich eine Pistole vom Trainer geben. Entschlossen stellte sie sich in die Box, zielte und drückte ab. Doch der Rückstoß der Pistole warf sie fast um. „Nee, das ist nix für mich, Oxana“, erklärte sie nach diesem Fehlversuch und versuchte die Waffe schnell wieder los zu werden.




    „Geben Sie sich einen Ruck, Frau Reichardt“, redete nun der Trainer auf sie ein. „Ich werde Ihnen auch helfen.“ Und als sich seine kräftigen Arme von hinten um ihre Hüfte legten, um ihr mehr Stabilität zu verleihen, änderte sie ihre Meinung schnell noch einmal. Schmunzelnd beobachtete ich die Szene aus dem Hintergrund. Wenn Roland das jetzt sehen könnte. Dann machte ich mich wieder an meine Übungen und probte weiter meine Zielgenauigkeit. Und nicht zum ersten Mal fragte ich mich dabei, wie Joanna bloß auf solch ein seltsames Geschenk gekommen war.








    "Aua, mir tut jeder einzelne Knochen weh", beschwerte sich Brandi, nachdem wir das Schießtraining beendet hatten. Inzwischen hatte sie sich umgezogen und war bereit aufzubrechen. "Roland, wird deinen Muskelkater mit einer Massage sicher ganz schnell weg zaubern können", versuchte ich sie aufzuheitern, doch Brandi war nicht ganz überzeugt. "Warum bist du denn noch nicht umgezogen?", fragte sie verwundert, als sie bemerkte, dass ich immer noch meinen Trainingsanzug trug und keine Anstallten machte, mich umzuziehen.





    "Sei mir nicht böse, Brandi, aber ich möchte noch ein wenig länger hier bleiben", entschuldigte ich mich bei meiner Freundin. "Ich weiß, dass ich versprochen hatte, dich nach Hause zu begleiten, aber ich will es ausnutzen, dass Dominik heute auf die Kinder aufpasst." Brandi sah mich an, als ob ich Chinesisch sprechen würde. Nicht etwa, weil sie böse war, dass ich nicht mitkam, sondern aus Unverständnis, dass ich freiwillig länger im Fitnessstudio bleiben wollte. Doch dann lachte sie. "Folter dich ruhig weiter, Oxana. Die paar Schritte kann ich auch alleine laufen." Wir verabschiedeten uns mit einer Umarmung und mit dem Versprechen, bald wieder etwas gemeinsam zu unternehmen, dann aber etwas weniger anstrengendes.








    "Los, los, Oxana! Schlag härter zu! Mit diesen laschen Schlägen wirst du nicht einmal einen greisen Mann umhauen." Charlie, der Fitnesstrainer, brüllte mich regelrecht an und spornte mich dazu an, immer weiter aus mir heraus zu kommen. Das Kampfsporttraining war meine jüngste Disziplin. Und erstaunlicherweise war es die Disziplin, die mir am meisten Spaß bereitete. Es war eine gute Möglichkeit, meinen Gefühlen, die ich leider viel zu oft unterdrückte, freien Lauf zu lassen.




    Na ja, und es machte Spaß, den Schlägen und Tritten des Gegners auszuweichen, seine Strategie voraus zu sehen. Und nebenher musste man noch selbst nach einer Schwachstelle in der Verteidigung des Gegners suchen, um ihn zu treffen, immer darauf bedacht, sich bloß keine Blöße in der eigenen Verteidigung zu geben. Ich war nach weit davon entfernt, eine ernste Gegnerin für Charlie zu sein, aber ich steigerte mich mit jeder Trainingseinheit. Irgendwann würde ich ihn schon schlagen.

  • Kapitel 88: Hilfe




    Nach Stunden des Trainings ging ich erschöpft aber zufrieden nach Hause. Als ich die Tür öffnete fand ich Dominik und Klaudia spielend auf dem Wohnzimmerboden. Irgendwas schien unserem Pummelchen mal wieder nicht zu passen und sie protestierte lautstark. „Habt ihr schon gegessen, Dominik?“, fragte ich beiläufig nachdem ich meine Sporttasche in einer Ecke verstaut hatte und Dominik einen Kuss gab. „Nee, noch nicht“, antwortete der, ohne aufzublicken, immer noch in das Spiel mit Klaudia vertieft.




    Also ging ich in die Küche und bereitet meinem Ehemann und meiner Tochter das Abendessen zu. Dominik setzte Klaudia in den Hochsitz und die Kleine wehrte sich zunächst, als ob der Hochsitz ein furchtbares Gefängnis wäre. "Dada, hier", rief sie immer wieder und versuchte sich an Dominiks T-Shirt fest zu klammern.




    Doch als er ihr ihren Brei gab, kehrte Ruhe ein. Klaudia matschte mit dem Finger in dem Schüsselchen herum und verteilte das Essen mehr auf sich und dem Stuhl, als das sie aß, aber immerhin war sie beschäftigt.




    So konnten Dominik und ich selbst in Ruhe essen. „Ich wollte heute mit ein paar Kollegen raus. Ist das in Ordnung für dich?“ „Ja“, antwortete ich gleich. „Ich wünsche Euch schon mal viel Spaß.“ Seit unserer Hochzeit hatte Dominik das Bedürfnis entwickelt, mich um Erlaubnis zu fragen, wenn er ausgehen wollte. Ich hatte ihm zwar schon öfter gesagt, dass er machen könne, was er wolle, doch es änderte nichts an seinem Verhalten.







    Als ich Klaudia gegen sieben ins Bett brachte, war Dominik bereits außer Hause. Und auch Tristan war nicht da. Er war bei Frank…glaubte ich. Und Kinga übernachtete heute bei Constance. Das hieß, ich hatte den ganzen Abend für mich. Klaudia streckte zwar ihre kleinen Händchen nach mir aus, als ich sie in ihr Bettchen legte, aber als die leise Musik des Mobiles über ihr ertönte, fielen ihre Augen wie ganz von selbst zu und sie glitt rasch in das Reich der Träume hinüber.




    Auf Zehnspitzen schlich ich mich in das Arbeitszimmer. Ich hatte mir schon ein gutes Buch und meine Lieblings-CD rausgesucht und ein paar Duftkerzen aufgestellt. Mit dem Roman in der Hand ließ ich mich in den weichen Sessel plumpsen und Schlug das Buch auf der Seite auf, die mit einem Lesezeichen markiert war. Ich wollte unbedingt wissen, ob der Zauberer Raistlin wirklich die Dunkle Königin, die Göttin des Bösen, herausfordern würde.




    Ich war schon in meinen Roman versunken, als die Türklingel mich wieder in die Realität zurück riss. Ich fragte mich, wer denn da klingeln konnte. Dominik und Tristan hatten einen Schlüssel und Besuch hatte sich eigentlich nicht angekündigt. Ich war nicht wenig erstaunt, als ich die Tür öffnete und in das lachende Gesicht meiner Schwester blickte. „Joanna, was machst du den hier? Du hättest doch was sagen können, dann hätte dich jemand vom Flughafen abgeholt.“ Ich bat meine Schwester ins Haus und schloss sie in den Arm. „Keine Sorge, Xana“, erwiderte sie, „das mit dem Flughafen war kein Problem. Mein Privatjet ist auf dem alten Flugplatz hier in Sierra Simlone Stadt gelandet. Ich musste also nicht weit fahren.“




    Privatjet, alles klar. Ich wollte schon anfangen zu lachen, als ich bemerkte, dass meine Schwester keineswegs einen Scherz gemacht hatte. „Privatjet?!“, fragte ich deshalb ungläubig. „Wo um Gottes Willen hast du denn einen Privatjet her? Bei deiner Arbeit wirst du doch wohl kaum so viel Geld verdienen, ganz abgesehen davon, dass du gar keine Privatjet brauchst.“ Joanna arbeitete bei der SimAir. Sie hatte dort als Flugbegleiterin angefangen, inzwischen kümmerte sie sich aber hauptsächlich um die Logistik im internationalen Flughafen von SimCity. Trotzdem war es undenkbar, dass ihr Gehalt einen Privatjet erlauben würde.




    „Xana, setz dich bitte“, forderte sie mich auf. In meinem Magen breitete sich ein ungutes Gefühl aus. Ich wusste, dass gleich eine Bombe platzen würde. Ich wollt es bloß noch nicht wahr haben. Wir gingen also hinüber zur Sitzgruppe im Esszimmer. Ich nahm Platz, so wie sie es gewollt hatte und schaute sie erwartungsvoll an. „Ich arbeite nicht für die SimAir, Xana. Ich kümmere mich weder um die Logistik am Flughafen, noch war ich jemals Flugbegleiterin.“ „Aber du bist doch ständig geflogen“, protestierte ich. „Wie kann das sein?“ Meine Verwirrung stand mir ins Gesicht geschrieben. Es gab doch so viel Fotos von ihr in der Uniform. Ich selbst bin schon mit meiner Schwester geflogen!




    „Dieser ganze Job ist nur eine Tarnung, Xana. Ja, es stimmt, ich war Flugbegleiterin. Aber das war nie meine eigentlich Aufgabe.“ „Was dann?“, flüsterte ich obwohl ich schon jetzt Angst vor der Antwort hatte. „Ich arbeite für eine Organisation, Xana. Es ist eine Organisation, die aus dem Untergrund arbeitet. Eine Organisation, die für den Untergrund arbeitet. Lass es mich so ausdrücken, Xana: Wenn jemand etwas will und bereit ist, dafür zu bezahlen, dann holen wir es ihm. Und manchmal wollen wir selber etwas haben, was jemand anderes nicht bereit ist heraus zu geben. In solch einem Fall holen wir es uns auch.“




    „Du bist eine Diebin? Eine Verbrecherin?“, keuchte ich. Es war so unglaublich, dass ich es nicht fassen konnte. Meine eigene Schwester war eine Kriminelle! „So könnte man es auffassen, Xana. Aber ich erwarte nicht, dass du es verstehst.“ „Warum erzählst du es mir dann? Gott, Jojo, warum konntest du nicht einfach schweigen und alles beim Alten belassen?“ „Weil ich deine Hilfe brauche, Xana. Deshalb!“

  • Kapitel 89: In der Hand meiner Schwester




    Meine Hilfe? Meine Schwester erzählte mir gerade, dass sie eine Verbrecherin war und erwartete auch noch Hilfe von mir. Ich konnte nicht mehr länger sitzen bleiben. Wenn sie nicht meine Schwester wäre, meine Zwillingsschwester, dann hätte ich umgehend die Polizei gerufen. Ich schüttelte entschieden denn Kopf. Ich würde ihr ganz sicher nicht helfen. „Ich versteh, dass es ein Schock für dich sein muss, Xana. Aber du musst mir helfen. Ich verlange es von dir und ein Nein werde ich nicht gelten lassen.“




    Langsam drehte ich mich um und sah sie ungläubig an. War diese Frau wirklich meine Schwester? Ich erkannte nichts von dem lebenslustigen, fröhlichen Mädchen, mit dem ich aufgewachsen war. Ihr Blick war so eindringlich, dass mir ein kalter Schauer den Rücken herunter lief. „Diese Organisation, Xana, das ist nicht irgendein belangloser Verein. Es ist ein Familienbetrieb. Und du gehörst auch zu dieser Familie, Xana. Du bist eine Brodlowska und als solche stehst du in deiner Pflicht. Unsere Großmutter, Justyna Brodlowska, hat diese Familienorganisation gegründet. Und Dad hat sie fortgeführt, genauso, wie ich es jetzt tue.“




    Mir wurde schwindelig. Ich musste träumen, eine andere Erklärung gab es nicht. „Aber Dad hat doch für ein Transportunternehmen gearbeitet“, flüsterte ich heiser. „Und unsere Großmutter Justyna ist seit Jahren verschwunden. Das ist doch alles nicht möglich.“ „Es ist möglich, Xana. Hast du dich nie gewundert, warum Dad nachts ständig fort war? Warum sollte er für eine Transportfirma ausgerechnet mitten in der Nacht arbeiten? Nein, Xana, Dad war ein geschickter Schmuggler und ein raffinierter Einbrecher, der sich einen Namen in der Unterwelt von SimCity gemacht hat. Und unsere Großmutter Justyna, Dads Mutter, hat die ganze Zeit über ihn gewacht und ihn in die richtige Richtung gelenkt. Ich kann dir ihre Tagebücher zeigen, Xana. Sie hat alles aufgeschrieben.“




    Ich wusste nicht warum, aber ich glaubte ihr. Auch wenn mir Joanna in diesem Moment wie eine Fremde erschien, so war sie meine Zwillingsschwester. Ich hätte es gespürt, wenn sie mich jetzt angelogen hätte. Trotzdem spürte ich, wie meine Beine nachzugeben drohten und setzte mich rasch wieder hin. „Ist Dad wirklich tot?“, schoss es aus mir heraus. Wenn alles, was ich über meine Familie zu wissen glaubte, eine Lüge war, dann war vielleicht Dad auch noch am Leben. „Ja, Xana, Dad ist tot.“ Ich sah den Schmerz in Joannas Augen und wusste, dass sie nicht log. Sie hatte Dad immer bewundert und geliebt, etwas, was ich nie verstanden hatte. „Er hat Paps Tod nie verkraftet. Und die Organisation hatte ihn überfordert. Ja, er ist tot. Genauso, wie unsere Großeltern Justyna und Don Carlos.“




    „Dads Eltern sind tot?“ Ich war entsetzt. Großmutter Justyna hatte ich nie wirklich kennen gelernt, aber abuelo Carlos hatte ich in mein Herz geschlossen. Mit Tränen erinnerte ich mich daran, wie er meine Schwester und mich zu unserem 18. Geburtstag mit wunderschönen Kleidern überrascht hatte. Ich bekam ein Rotes und Joanna ein Weißes, beide im kubanischen Stil, dem Heimatland von abuelo Carlos. „Wie?“, hauchte ich. Joanna fiel es schwer weiter zu sprechen. Also war doch noch die Schwester in ihr, die ich einmal gekannt hatte.




    „Abuelo Carlos hat unsere Großmutter erschossen. Kurz danach hat er sich eine Kugel in den Kopf gejagt.“ Ich sah meine Schwester entsetzt an. „Großmutter Justyna hatte zuvor versucht, Dad zu töten….dabei hatte sie aber mich statt ihm getroffen.“ Noch während sie sprach hob Joanna ihr Oberteil und enthüllte mir eine Narbe an der Seite ihres Bauches.




    „Das war an meinem Hochzeitstag, Xana. Kannst du dir vorstellen, was damals in mir vorging? Ich stand da in meinem weißen Kleid, mit einem Blutfleck, der immer größer wurde. Und vor mir lagen meine erschossenen Großeltern. Dad war nicht mehr in der Lage klar zu denken und Paps war vom Krebs schon zu geschwächt. Tante Ewa, Dads jüngere Schwester, weinte bloß hysterisch. Also musste ich handeln. Ich musste die Leichen beseitigen und die Trauung durchziehen, als ob nichts gewesen wäre. An diesem Tag habe ich mich endgültig der Organisation angeschlossen, mit Herz und Seele. An diesem Tag erkannte ich zum ersten Mal, welche Verantwortung auf meinen Schultern lastete.“ Ich war geschockt. Es war einfach zu viel für mich. Zu viele Informationen, die auf mich niederprasselten.




    „Hör auf, Jojo! Hör auf!“ Ich sprang vom Sessel auf und hielt mir die Ohren zu. Es war alles zu schrecklich. Doch sie hörte nicht auf. „Du, Xana, unser Bruder Orion und ich, wir sind jetzt für die Organisation verantwortlich. Wir müssen dafür sorgen, dass sie stark und auf Kurs bleibt, dass sie weiterhin so geführt wird, wie unsere Großmutter, Donna Justyna, es gewollt hat.“ „Nein, Jojo! Nein! Ich will nichts damit zu tun haben. Ich will nichts von dieser Organisation wissen.“




    Plötzlich verfinsterte sich der Blick meiner Schwester. „Es spielt keine Rolle, was du willst, Xana. Du bist eine Brodlowska und du wirst mir helfen. Bis jetzt habe ich dir deine Freiheit gelassen. Ich wusste, wenn es darauf ankommt, würdest du zur Familie halten. Ich will mich nicht in dir getäuscht haben.“ Die letzten Worte waren eine klare Drohung, die mich erzittern ließen. Doch ich blieb hart. „Ich will nichts mit deiner Organisation zu tun haben“, erklärte ich entschieden.




    Plötzlich zeigte sich ein bittersüßes Lächeln auf den Lippen meiner Schwester, welches ich noch nie zuvor an ihr gesehen hatte. Und dieses Lächeln jagte mir eine viel stärkere Angst ein, als es jede Drohung vermocht hätte. „Oh, du wirst mir helfen, Xana. Du willst doch nicht, dass dein Mann zufällig von der wahren Vaterschaft seiner Ältesten erfährt“. Joanna hätte einen Dolch in mein schlagendes Herz rammen können und mich doch nicht mehr verletzt. „Das würdest du nicht machen, Jojo. Wir sind doch Schwestern“. Ich weinte. Ich wollte es nicht, aber ich weinte.




    „Das liegt ganz in deiner Hand, Xana.“ Joanna lächelte immer noch. „Ich möchte deiner Familie doch nicht schaden, Schwesterherz. Ich weiß doch, wie wichtig sie dir ist. Du bist ein Familienmensch, Xana. Und deshalb wirst du doch einsehen, wie wichtig es ist, mir, deiner Schwester, zu helfen. Deine Familie zählt auf dich.“




    Ich wollte schreien. Ich wollte die Bilder von der Wand reisen und sie zertrümmern. Ich wollte die Vase neben mir schnappen und sie meiner Schwester ins Gesicht schleudern. Doch ich konnte nicht…ich durfte nicht. Nicht wenn ich Dominik nicht verlieren wollte. Nicht wenn ich einem Vater sein Kind und einer Tochter ihren Vater entreißen wollte. Joanna hatte mich in der Hand und das wusste sie. Ohne Hoffnung auf einen Ausweg sackte ich zusammen und gab nach. „Was soll ich für dich tun, Joanna?“