Forumspiel "Liebesgeschichte" Aufgaben The_Slayer (abgeschlossen)

  • EDIT2: Ich habe, nachdem mich jemand darum gebeten hat, eine "Druckversion" angehängt. Es handelt sich um den exakt selben Text, nur ohne Bilder. (Zum drucken jedoch in Word kopieren!)


    EDIT1: Ich weiß daß es viel zu lesen ist. Dennoch bitte ich euch nicht nur die Bilder anzusehen oder den Text lediglich zu überfliegen. Ich habe sehr viel Herzblut und sehr viel Zeit in diese Geschichte gesteckt, ich bitte euch es zu würdigen indem ihr nicht nur vorbeiscrollt.
    Wem das lesen im Forum zu anstrengend ist kann es ja mit der Druckversion versuchen.



    Liebes Tagebuch!

    Heute habe ich endlich meine neue Wohnung in Blauseidigheide bezogen! Ich bin sehr glücklich, die ewige Warterei hat sich also doch bezahlt gemacht. Ok, gut, es ist nicht nur die Warterei die sich bezahlt gemacht hat, ich bin jetzt auch so gut wie pleite. Unzählige Nippesteilchen, Blumen, Lampen, der offene Kamin, der hochglanzpolierte Boden... ja ja, es gibt durchaus Leute die mich „Dekofreak“ nenne. Aber sein wir doch mal ehrlich (und Ehrlichkeit mit sich selbst ist sehr wichtig!): Das sind alles nur ignorante Idioten, die mein kreatives Ich unterschätzen!


    Kurz nachdem ich mein neues Eigenheim bezogen habe, kamen auch schon die ersten Nachbarn an!
    Genau deshalb bin ich hier her gezogen: Der Nachbarschaft eilt ein sehr positiver Ruf voraus – ich hoffe die sind nicht so meschugge wie diese Freaks in Merkwürdighausen. Noch ein Tag länger dort und ich wäre selber grün geworden.
    Leider scheinen meine neuen Nachbarn nicht ganz so freundlich und normal wie ihr Ruf zu sein:


    Mein Versuch die perfekte Gastgeberin zu spielen während ich dekorativ im Raum stand und Sandwiches für alle schmierte (zugegeben: reiner Eigennutz! Ich hatte Hunger wie Sau und irgendwie muss ich ja die 14.000€ teure Designerküche vom Löchle mit Granitarbeitsplatte (all in) präsentieren) - jedenfalls, während ich da so gut aussehend und dennoch dynamisch wirkend schmiere, meinen doch diese zwei Schönlinge ihre Mannbarkeitsrituale direkt in meiner Küche austragen zu müssen!
    (Später erfuhr ich daß beide offenbar um die selbe Frau werben - arme Frau....)


    Als wäre das nicht schon genug, erwische ich Schönling Nr. 1 (der Typ mit der Damensonnenbrille) kurze Zeit später ein Stockwerk höher mit verklärtem Blick vor meinem Schrank. Abgesehen davon daß es ja wohl die allerletzte Frechheit ist sich einfach so in anderer Leute Schlafzimmer zu stehlen, würde es mich bei dem Gesichtsausdruck nicht wundern wenn er an meiner Unterwäsche geschnüffelt hätte.
    Uargh! Widerlich! (Aber mal ehrlich, was will man schon von jemanden erwarten der das Hemd bis zum Schamhaartoupet aufgeknöpft trägt?).
    Danach war's mir jedenfalls genug – ich hab sie alle kurzerhand rausgeworfen.


    Um mit dem angebrochenen Nachmittag noch was anzufangen habe ich mir Skrolla, meine Miezekatze geschnappt, bin in den Pickup geklettert und in die Stadt gefahren. Ja, ich weiß, ich seh nicht aus wie ein Pickup Mädel und für wesentlich weniger Geld gäbs niedrigere Autos – aber ich bin einfach kein Fan dieser Erdnuckel, genannt PKW.


    Wo war ich stehen geblieben? Ach ja, Klamotten! Nachdem mir schon die Reaktionen meiner Nachbarn auf mein semitransparentes (halb durchsichtig! Falls irgend so ein ungebildeter Trottel meint meine Tagebucheinträge lesen zu müssen!) Kleid aufgefallen ist und ich heute Nacht meinen neuen Job bei der Bullerei – Verzeihung, Polizei (sollte mich am Riemen reißen, jetzt wo ich bei dem Verein arbeite) – antrete sollte ich vielleicht noch etwas konservativeres in meinen Kleiderschrank mit aufnehmen. Immerhin ist es mein Lebenstraum Polizeipräsidentin zu werden, da muss ich gleich positiv auffallen. (Wird schwierig, mit dem vollgeinkten Körper)


    Wieder zu hause angekommen habe ich meine neue Haushälterin kennen gelernt – die komischer weise den gleichen Nachnamen hat wie Schönling Nr. 2 von heute Vormittag. Sollte sie wirklich seine Schwester sein sind wohl die guten Gene alle auf der weiblichen Seite gelandet – endlich ein normaler Mensch! Ich konnte mich wunderbar mit ihr über meine neuen Errungenschaften unterhalten und habe mich wirklich sehr gefreut so eine nette Person im Haus zu haben. Ich hoffe, wir können noch mehr Zeit miteinander verbringen und quatschen – und nicht darüber ob der Klostein gewechselt werden muss oder nicht!


    Nach diesem netten Zwischenspiel mit bin ich mit Skrolla hoch ins Bett, immerhin fängt mein Dienst um 23 Uhr an und ich möchte für meinen ersten Arbeitstag frisch und nicht halb am einschlafen sein.


    Als die Sonne gerade am untergehen war, sind wir aus unserem Körbchen gesprungen – nein, halt! Ich bin aus meinem Bett. (Ich sollte definitiv mehr unter Menschen und mich weniger mit meiner Katze identifizieren. Sonst werde ich innerhalb von kürzester Zeit so wie die Katzenlady bei den Simpsons! Nur nicht so gelb.) ....


    .... hab mir mein schickes neues Kostüm aus dem Schrank geholt .....


    .... Skrolla nochmal gefüttert ....


    .... und bin los!
    In eine Welt voller Verbrechen, Gefahr und Katzenpissekaffee – die nur auf mich gewartet hat! Sandy Wildcat – im Kampf für Gerechtigkeit und figurbetonte Uniformen!
    Auf daß mein erster Arbeitstag besser wird als mein erster Tag in meiner neuen Nachbarschaft.

  • So, hier meine 2. Aufgabe:


    Liebes Tagebuch!


    Nun sitze ich hier in dieser gottverdammten Gegend am Ende der Welt, in sengender Hitze und der Schweiß rinnt mir den Nacken hinunter und versickert in meinem hochgeschlossenem Kragen. Trotz der herrschenden Temperaturen saß ich heute 8 Stunden in einem tiefgekühlten Konferenzraum, umgeben von immer lächelnden Japanern. Obwohl ich der Sprache mächtig bin und einen Dolmetscher zur Verfügung hatte, hörte sich sämtliches Geplapper nach geraumer Zeit nur noch nach einer ewig quakenden Entenschar an.


    Vor einer Woche hatte dieser Alptraum seinen Lauf genommen.
    Nach meiner Beförderung hatte sich mein ranghöchster Vorgesetzter eines Tages mit einem rhythmischen Hüftschwung, der seine Bandscheibengevorfällten Wirbel Lambada tanzen lies auf meine Schreibtischecke geschwungen, bedeutungsschwanger meine Personalakte in der Hand wedelnd. „Säääändi Schätzchen“ kam es kaugummikauend unter seinem überdimensionalen Matlock-Schnurrbart hervor – wären wir in Amiland würde er Südstaatenslang sprechen. „Du alter Glückskeks!“ „Wie bitte?!“ erwiderte ich. „Sändi Schätzen“ war ja noch im Rahmen, aber Alter Glückskeks wurde dann langsam doch etwas suspekt. Er schmunzelte: „Naja, ich hab gesehen du sprichst Japanisch. Wir brauchen jemanden der kompetent ist und sich nächste Woche um unserer Japanischen Gäste kümmert. Führ' sie durch die Konferenz, die auf dem Messegelände außerhalb stattfindet, zeig ihnen die Stadt, geh mit ihnen Essen, leier ihnen nen Transrapid aus den Rippen – du weist was du zutun hast. Du die nötigen Softskills!!“ (je erwähnt daß er Anglizismen liebt? Nie? Wirklich?!)



    Nachdem sich meine Augen von Eulengröße wieder auf ihr Normalmaß begeben hatten erläuterte er mir noch weitere Details. Ich sollte eben 4 Tage für unsere Gäste der Polizei der Partnerstadt Tazzumi den Clown spielen. Helfen würde mir dabei ein neuer Mitarbeiter aus der Ballistikabteilung, den ich bis dahin noch nicht kannte.


    Natürlich verging die Woche wie im Flug, und jetzt sitze ich hier. 2 verdammte Tage liegen hinter mir, 2 verdammte Tage liegen vor mir. Am ***** der Welt, bzw. besser gesagt der Stadt in einer Betonwüste von momentan leeren Messegelände und jeden Tag in einem Tweed Kostüm, das good old Margy [Margarete Thatcher, A.d.Red.] alle Ehre gemacht hätte, da Tätowierungen in dem Land der aufgehenden Sonne immer noch verpönt sind. Trotz allem coolen exportierten J-Rock, in Badeanstalten existieren immer noch die netten „Betrunkene und tätowierte dürfen nicht hinein“-Schilder. Und in manchen Köpfen der offiziellen Organe auch.


    Mein Kollege – er heißt Ranjid und ist indischer Abstammung – und ich hatten es heute geschafft uns einen freien Mittag ohne japanische Gäste zu verschaffen. Diese waren mit unserem Chef und dem Polizeipräsidenten zum Essen aufgebrochen. Um zurück in die Stadt zu fahren war die Zeit zu knapp, deshalb verbrachten wir den Nachmittag auf der Terrasse eines Kaffees auf dem Messegelände.



    Ich lehnte mich in meinem Stuhl zurück, ließ die wehen Füße aus den Slingpumps gleiten und beobachtete Ranjid, der an der Theke Nachschub an kalten Getränken holte ....

    und ließ meinen Gedanken freien Lauf: „Hm... irgendwie hat er fast Ähnlichkeit mit Hrithik Roshan, diesem heißen Bollywood Schauspieler... zumindest dieser Hintern. Ja, der hat was. Und auch das Gesicht mit diesen feinen Zügen und den seidigen braunen Haaren... definitiv ziemlich hübsch und ziemlich sexy, dieser Mann. .... Ob er wohl genauso heiße Tanzszenen hinlegen könnte wie Roshan? Muskulös und sportlich genug wäre er ja.“ Ich begann zu schmunzeln, als ich mir Ranjid, der inzwischen zu unserem Tisch zurück gekehrt war, tanzend und singend in einer typischen Bollywoodkulisse vorstellte. „.... obwohl, ich könnte mir noch ganz andere Szenen mit den Attributen „muskulös und heiß“ vorstellen....“


    „Sandy?“ fragte er und stellte die Coladosen ab. „Hmmmm, ja?“ „Von was genau sprichst du da?“
    NEIIIIINNNN!!!
    Verdammt!!! Ich hatte den letzten Satz tatsächlich laut ausgesprochen! Oh Gott oh Gott oh Gott! Wie peinlich! „äh, ja, ich meine.... ich dachte gerade über Bollywoodfilme nach. Und darüber dass es heute schon sehr heiß ist. Ja, genau. Bollywood und heiß. Davon, äh, spreche ich. Oh! Ja, du hast Cola mitgebracht, gut. Ist ja auch so heiß heute, nicht wahr?“ spann ich hektisch meine Geschichte zusammen. Zum Glück schien es funktioniert zu haben, das Gespräch blieb für den Rest der Pause beim Thema Bollywood und verlief wieder in normalen Bahnen, die nicht von heißen, verschwitzten Fantasien meinerseits gestört wurden.


    Auf dem Rückweg zu unseren bereits wartenden japanischen Freunden hielt Ranjid plötzlich kurz vor der Glastür des Konferenzraums an und drehte sich zu mir um und sah mir mit diesen unheimlich attraktiven braunen Samtaugen direkt in die Augen „Sag mal, um nochmal auf dein „heiß“ von vorhin zurückzukommen,“ - mir schoss das Blut in den Kopf - „Was hältst du davon wenn wir heute Abend, wenn es etwas abgekühlt hat zusammen essen gehen?“

    Er schien mein darauf folgendes „äääh“ als ja zu werten, erwiderte „Ok, wunderbar!“ und betrat den Konferenzraum.
    Muss ich erwähnen, dass die Konzentration für diesen Nachmittag dahin war?



  • Liebes Tagebuch!
    Als ich nach dem Meeting Zu hause ankam verfiel ich selbstverständlich NICHT in das gleiche wahnsinnige Potzedere das jede Frau vor einem Date abzieht.
    Ich übertraf es noch! Während der Fahrt nach Hause war ich zu dem Entschluss gekommen daß Ranjid eigentlich mein absoluter Traummann ist und ich heute Abend einfach unglaublich umwerfend aussehen musste. So umwerfend, daß meine glorreiche Erscheinung den ganzen Mist verzeihen würde, den ich mit beängstigender Sicherheit jedes mal von mir gebe, wenn mich jemand derart fasziniert.


    Ich zog nicht nur meine Haushälterin und beste Freundin Katharina zu Rate, die Gott sei Dank gerade noch am putzen – Verzeihung, im Begriff Parkettkosmetische Maßnahmen zu ergreifen – war, sondern auch meine Katze Skrolla. Katharina entpuppte sich als eine Art lebendiges Compendium aus Glamour und Cosmopolitan und war der Ansicht mein Outfit müsste ausstrahlen daß ich interessiert und paarungsbereit war, aber gleichzeitig mein anziehendes Desinteresse und meine stählerne Weiblichkeit im inneren repräsentieren. Auch sollte ich zeigen daß ich unter der Tweed-Uniform der letzten Tage einen Körper besaß mit dem man sämtliche Spielarten des Kamasutras durchhecheln konnte, allerdings sollte es weder zu nuttig noch zu dominant wirken.


    Die Mieze war der Ansicht, das wäre alles Quatsch und ich sollte nur mit ihr kuscheln.
    Hm – auch ne Möglichkeit!
    Allerdings bringt mich das wieder dem Katzenladyschicksal von den Simpsons näher.... lieber doch nicht.


    Ich lege etwas mehr Augenmakeup und ein kräftigeres Lippgloss auf und entschloss mich dazu meine Haare offen zu tragen. Ich weiß ehrlich gesagt nicht mehr so genau warum überhaupt – ich glaube aber Katharina hatte auch dafür eine Theorie.


    Um dreiviertel Neun stand Ranjid vor meiner Tür – in einem umwerfenden hellbeigen Leinenanzug der seinen dunklen Teint sehr schmeichelte – genauso wie der ebenso umwerfende beige Lexus SUV, in dem er vorgefahren war. Ich konnte vor Begeisterung kaum noch stehen.


    Kurze Zeit später trafen wir in dem Restaurant ein, das er ausgesucht hatte. Es war perfekt! Das Bonsai&Botanik war nicht nur eines der exklusivsten sondern auch definitiv eines der romantischsten Restaurants der ganzen Stadt. Die Atmosphäre die das sanfte Plätschern der Wasserlandschaft, die leise zwischternden Vögel in den Baumkronen, der Geruch der frischen Blumen und die gedämpfte Kerzenbeleuchtung schufen war einfach sensationell. Mir ging das Herz auf als Ranjid zielstrebig auf den hinteren Teil des Restaurants zuging, in dem hinter dem Teich die abgelegenen Zweiertische standen.


    Ich folgte ihm völlig trunken vor Glück darüber nach diesen elenden einsamen Monaten so einen tollen Mann kennengelernt zu haben, der sich offensichtlich auch sehr für mich erwärmen konnte, immerhin führte er mich in dieses Restaurant – bis wir um die Ecke bogen und plötzlich vor einem Tisch für 8 Personen standen.


    An diesem Tisch saßen bereits mehrere Gäste. Auf den ersten Blick war zu sehen daß es sich ebenfalls um Inder handelte, auf den zweiten Blick hätte ich das festgestellt was Ranjid mir vorwegnahm. „Mama!“ rief er und umarmte eine äußerst hübsche Frau Mitte 50 in einem lila gemusterten Sari. „Sieh mal, ich habe jemanden mitgebracht!“ Er wandte sich strahlend zu mir um „Wir essen hier jeden Mittwoch, ich dachte du magst das Restaurant!“ Und schon war ich vorgestellt und kurzerhand und zwischen seine Teenagercousine und seine jüngere Schwester gequetscht worden.


    Ich weiß ja daß ich zu enthusiastisch war und mich zu schnell in dieses Abendessen reingesteigert hatte – aber musste man mich wirklich mit dem Vorschlaghammer aufwecken??!! Ein romantisches Abendessen, ausgehend von Flirts mit deutlichen Anspielungen – und ich finde mich in einem wöchentlichen Familientreffen wieder? Wollte der Mann mich vergraulen? War ich ihm zu schrecklich und zu aufdringlich gewesen? War das seine Art mir zu sagen „du wirst sowieso nie hier reinpassen“?
    Mein sämtliches Selbstbewusstsein, die coole Sandy die Verbrecher jagt und atemberaubende Highheels trägt war wie weggeblasen. Ich sah mich langsam um. Jede der Frauen war in einen Sari oder ein ähnliches Gewand aus wundervollen Stoffen gehüllt die die weiche, dunkle Haut sanft umspielten, lange, seidige schwarze Haare und genau solche Wimpern, die die im Kerzenschein samtig dunkelbraun schimmernden Augen umrahmten. Mir jedem Augenblick fühlte ich mich mehr unzulänglich. Die Haut zu hell, die Tätowierungen zu viel, zu bunt, das Kleid zu kurz, zu modern, das Makeup zu geschmacklos und überhaupt definitiv zu westlich.


    Und das war nicht nur meine Ansicht, sie wurde offensichtlich vom Großteil der Familie geteilt. Ich wurde den ganzen Abend lang so gut wie möglich ignoriert, während Ranjid permanent von seiner Großmutter in ein Gespräch verwickelt wurde in dem es entweder darum ging daß er immer noch nicht standesgemäß verheiratet war oder daß diverse Töchter befreundeter Familien jetzt doch mit 18 langsam ins heiratsfähige Alter kommen würden. Ich befand mich in einem lebenden Alptraum, an dem auch das wundervolle indische Essen nichts ändern konnte.


    Selbst Ranjid schien bemerkt zu haben daß ich mich äußerst unwohl fühlte, weshalb wir uns von der Runde sobald es die Höflichkeit erlaubte mit den üblichen Ausflüchten „wir müssen morgen früh raus, die Arbeit....“ verabschiedeten. Doch die Stimmung zwischen uns blieb auf dem Tiefpunkt. Ich war bei seiner Familie mit Pauken und Trompeten durchgefallen, er hatte unser Date versaut, es war einfach alles katastrophal gelaufen. Ich verbrachte die Fahrt nach Hause damit aus dem Fenster zu sehen um ihn nicht ansehen zu müssen, während wir uns gegenseitig anschwiegen.


    Vor meinem Haus angekommen wollte ich mich so schnell wie möglich verabschieden um mich in meinen eigenen vier Wänden ausgiebig selbst zu bemitleiden (oder auch Wahlweise den Kopf an die Wand zu schlagen), doch Ranjid lies mich nicht so schnell davonkommen.
    „Hey, also... mh...“ Er seufzte laut. „Also, die Idee war wohl doch nicht so das Wahre, oder?“
    Ach nein, da war aber jemand ganz fix! Langsam doch ziemlich genervt gab ich zurück:
    „Nein Ranjid, war es nicht. Ich dachte wir verbringen einen netten Abend miteinander. Um ehrlich zu sein habe ich das sogar für ein Date gehalten. Aber du führst mich – obwohl ich noch nicht mal DICH richtig kenne – deiner versammelten Familie vor, die mich behandelt wie ein störendes Insekt. Wenn du mir zeigen wolltest daß ich es mit den perfekten Frauen in deiner Familie nicht einmal annähernd aufnehmen kann und ich in deiner Nähe absolut unerwünscht bin – das hast du geschafft! Vielen Dank auch! Wenn du das nächste Mal nicht interessiert bist sag es der Frau einfach, aber erspar ihr diese Peinlichkeit. Es gibt angenehmeres als sich den ganzen Abend wie ein dressierter Truthahn kurz vor dem tranchieren zu fühlen!“


    „Das denkst du? Sandy, ich bitte dich! Ich wollte dich nicht brüskieren, wirklich, das ist das letzte was ich wollte. Ich weiß auch nicht was in mich gefahren ist, oder, in sie. Ich hätte nie gedacht daß sie dir gegenüber so kalt sein würden. Und falls du dich meiner Familie gegenüber unzulänglich fühlst tut mir das Leid, aber glaub mir: Für mich bist du alles andere als unzulänglich. Für mich bist du perfekt.“


    Als hätte das alleine nicht schon gereicht um mich schweben zu lassen, zog er mich sanft an sich und küsste mich.
    Und dann schwebte ich wirklich.

  • Liebes Tagebuch!



    Der erste Gedanke der mir an diesem Samstagmorgen ungefiltert durch den Kopf schoss war „Aua!“.
    Der zweite war die Frage, ob mir jemand während meines Nickerchens einen Kopfschuss verpasst hatte. Das anhaltende Klopfen, das mich geweckt hatte hörte endlich auf. Gott sei dank. Ich drehte mich auf die Seite und versuchte weiterzuschlafen und zu ignorieren daß sich die Welt bei meiner Drehung mehrmals um mich zu drehen begann.
    Zu früh gefreut. Das Geräusch von einem Hausschlüssel der in sein Schlüsselloch findet, gefolgt von dem trippeln hoher Absätze auf meinem Steinboden, wiederum gefolgt von einem vernehmlichen
    „Ach du Scheiße.“
    Ich hob wagemutig mein linkes Augenlid, was natürlich sofort mit einem aus stechendem Schmerz, reslutierend aus dem garstigen grellen Licht bestraft wurde.
    Dafür konnte ich sehen wie Katharina einen der umherliegenden Becher nahm und daran roch. „Whiskey?“ sie schnüffelte weiter. „Ja, eindeutig Whiskey-Cola. Und ein Müllhaufen der vermuten lässt du hast dir das halbe Sortiment an Schokolade und Chips von Wal-Mart reingezogen. Kannst du mir mal verraten was du hier getrieben hast?“


    „Verrat du mir lieber wieso du solchen Lärm machst, immerhin hast du einen Schlüssel, den du sonst jeden Tag benutzt.“
    „Meine liebe liebe Sandy! Vielleicht erinnerst du dich daran daß ich dich eigentlich zum shoppen abholen wollte und nicht zum arbeiten hier bin!“ entgegnete sie ungehalten.
    „Oh, shoppen. Sorry, voll verplant. Hm, du siehst ganz anders aus, wenn du nicht dein Französisches-Zimmermädchen Outfit trägst, das du Arbeitskleidung nennst. Sieht gut aus.“ „Und du siehst beschissen aus! Geh rauf und dusch dich und zieh dir frische Sachen an. Solange mach ich hier klar Schiff. Und danach erzählst du mir was überhaupt passiert ist. Und bitte – Atme mich nicht an wenn du an mir vorbei gehst!“


    Ich trottete wie befohlen die Treppe hinauf ins Bad. Dort nahm ich mir eine Kopfschmerztablette aus dem Badezimmerschrank und spülte sie mit einem Zahnputzbecher voll kaltem Leitungswasser runter. Danach stolperte ich ich die Dusche, drehte das Wasser auf lauwarm und blieb für die nächsten fünf Minuten regungslos stehen, während ich mich an den Amaturen festhielt und spürte wie mir das Wasser hart auf den Rücken prasselte.
    „Sandy, lebst du noch?“ Drang es aus dem Erdgeschoss hoch.
    „Jaja, alles ok. Ich komm gleich, gib mir noch zehn Minuten“.
    Ich versuchte mich zusammenzunehmen, die Erinnerungen an gestern Abend sowie die ganze Woche zuvor zu verdrängen. Eins nach dem anderen. Minzduschgel, Haarshampoo, abtrocknen mit dem Lieblingshandtuch mit den rosa Streifen, die Kokosbodylotion. Die alte Lieblingsjeans, ein kühles Viskose-Shirt, hohe Schuhe für das Selbstbewusstsein.


    Der Duft wunderbaren Spaghetti mit Tomaten, Basilikum und Fleischbällchen zog durchs Haus, als ich wieder sauber und duftend als neuer Mensch unten ankam.
    „Ich dachte mir du solltest deine Jack Daniels Reste im Magen vielleicht mit etwas Nahrung verdünnen.“ grinste mich Katharina an.


    Ich setzte mich an den Tisch und begann zu essen, nach einigen Bissen entfaltete sich ein wohlig warmes Gefühl in meinem geschundenen Magen. Katharina beobachtete mich interessiert. Ich wusste, sie war nicht nur darauf bedacht daß ich das essen behielt und lobte, sondern wollte jetzt auch endlich wissen was letzte Nacht passiert war. Und wie konnte ich es ihr verdenken, nachdem sie mich so jämmerlich aufgefunden hatte.


    Ich drehte bedächtig zwei Nudeln auf meine Gabel.
    „Also.... gestern Nacht....ich war aus. Weg. Im Pascha. Ich dachte mir, ich geh einfach raus, ich mach richtig einen drauf.“ Ich schob mir die Gabel in den Mund und begann zu kauen. Ja, zugegeben, essen ist eine sehr gute Verzögerungstaktik.
    „Ich hab mich also in mein unseriöses Paris-Hilton Outfit geworfen“- Katharina stöhnte laut auf - „und bin losgezogen. Ich habe zwei bunte Cocktails getrunken, mit 'ner Menge Kerle getanzt und getan was man eben so tut wenn man Spaß haben will.


    Und dann, dann bin ich deprimiert nach Hause gefahren, hab Schnulzmusik eingelegt, mich mit dem Schlafanzug aufs Sofa gelegt und mich an Schokolade und Alkohol vergangen.“
    Ich schob meinen Teller von mir weg und warf die Gabel klirrend hinterher.


    „Ich werde einfach bald wahnsinnig. Ich gehe aus, ich gehe zur Arbeit, aber egal was ich tue ich krieg ihn einfach nicht aus meinem Kopf! Ich will nicht mehr! Ich mag dieses nervige, liebeskranke Mädel nicht, das ich bin. Ich bin anders, ich bin tough. Also gehe ich aus, lach mir nen Kerl an und fahr dann doch wieder heim und heul mir die Augen aus dem Kopf.


    Ich lasse mich in der Arbeit einem schweren Fall zuteilen aber alles an was ich denke ist „wenn er mich doch jetzt sehen könnte. Dann würde er sicher sehen wie gut ich in meiner Arbeit bin und wie toll ich das manage und er würde merken daß ich auch ohne seine Anwesenheit großartig bin. Und dann würde er sich sofort melden, weil er begreift wie toll ich bin“. Das ist so krank!


    Selbst bei den banalsten Dingen denke ich so. Ich stehe in der Küche und schäle Kartoffeln und habe das Gefühl er würde mich irgendwie beobachten. Als ob er anrufen würde wenn er nur sieht wie selbständig ich bin.


    Oder neulich, als ich mit Bekannten beim Essen war. Die dachten schon ich habe eine Blasenentzündung, dabei bin ich nur alle halbe Stunde aufs Klo gelaufen um mit meinem Blackberry zu checken ob ich neue Nachrichten habe.


    Neulich hab ich sogar schon meinen Chef gefragt ob er weiß wo sich Ranjid aufhält, unter dem Vorwand ich brauche ihn für eine Nachbearbeitung der Akten von unserem Besuch vorletzte Woche, aber er konnte mir auch nicht weiterhelfen. Und ich glaube sogar er hat mir das nicht so ganz abgenommen. TOLL! Jetzt steh ich sogar noch vor meinem Chef da wie ein liebeskranker Esel! Und das obwohl ich wirklich Top-Arbeit leiste. Wirklich großartig!!“


    Ich verschränkte genervt meine Arme vor mir und sah Katharina an, was ich die letzten Minuten meines Monologs vermieden hatte.


    „Weißt du, bei Präsidium fällt mir ein... ich habe letztens ein Stellenangebot von deinem Verein gelesen. Keine Polizeiarbeit oder sowas, Schreibkram im Archiv. Ich will nicht ewig putzen und ich denke das könnte ich wirklich gut. Und wir könnten zusammen Mittag essen. Uns irgendwie im Park Salat mit Diätjoghurtdressing zwischen die Kiemen schieben, wie so neurotische NY-City-Tussen. Was hältst du davon?“


    Ich starrte sie entgeistert an. War ich zwischendurch vielleicht irgendwie eingepennt?!
    „Katharina, hab ich was verpasst? Ich schütte dir mein Herz aus und du erzählst mir von dem Job? Hä?! Abgesehen davon finde ich es gut, ich würde mich freuen.“


    „Nein, aber siehst du, das will ich dir damit sagen. Es tut dir weh und du wirst fast wahnsinnig. Aber du bist nicht die einzige auf der Welt. Tausende Menschen machen in dieser Minute das gleiche durch wie du. Millionen haben es vor dir durchgemacht und genauso viele werden noch nach dir kommen. Und die haben es auch geschafft! Also reiß dich zusammen! Du hilfst niemanden wenn du dich so reinsteigerst, die Situation ändert sich dadurch nicht.“
    Katharina hatte mit einer sehr sanften und verständnissvollen Stimme gesprochen, und irgendwie schien es sogar einleuchtend was sie sagte.


    „Hör mal, ich muss langsam wieder los. In deiner Verfassung brauchen wir sowieso nicht zum shoppen losziehen, nicht daß du noch auf nen Kleiderständer kotzt. Ich werd' zu hause nochmal meine Bewerbung überarbeiten, ich wünsche mir wirklich daß das klappt. Kann ich dir die Unterlagen später mailen, damit du sie dir durchsiehst?“


    „Ja, klar.“ Ich begleitete sie noch zur Tür. Sie umarmte mich fest und drückte mich. „Sandy, lass dich nicht hängen. Du bist ne tolle Frau. Wenn er sich nicht meldet, dann höchstens weil ihm das mit seiner Familie immer noch peinlich ist. Du packst das! Denk immer dran: Cuck Norris hätte dem Typen nen ordentlichen Roundhousekick in den A*sch verpasst.“


    Ich verabschiedete mich von ihr und ging grinsend wieder zurück ins Haus.


    Den restlichen Abend verbrachte ich mit abspülen und damit, mein Chaos wieder zu beseitigen. Ich sang während dem Putzen zu Nek der im CD-Player spielte und versuchte mir Katharinas Worte ins Gedächtnis zu rufen.
    Das klappte auch alles wunderbar.... nur gen Abend waren sämtliche Putzeimer wieder weggeräumt und es gab nichts mehr zu tun.



    Die CD war längst verstummt und das einzige Geräusch das durch die Stille hallte war das stetige Ticken der Uhr, das mit jedem mal eine weitere Sekunde einläutete in der er nicht anrief.

  • Liebes Tagebuch!


    „Was hältst du davon wenn wir nochmal ins Wasser gehen?“


    Ranjids Stimme drang in mein Bewusstsein, das gerade dabei war ins Reich der Träume abzudriften. Ich streckte und räkelte meinen verschwitzten Körper auf dem Liegestuhl und bohrte meine aufgeheizten Füße in den kühlen Sand. Am strahlend blauen Himmel zogen ein paar Möwen kreischend über die Küste hinweg.
    „Hmmm, ja, wär' schon 'ne Idee. Aber eigentlich ist es doch viel zu viel Aufwand aufzustehen und vor zu laufen.“
    „Ha! Nix da!“ rief er, zog mich hoch und schleifte mich ans Meer.
    Es folgte ein kurzer, spielerischer Kampf, bis wir dann beide in die kühlen Fluten sprangen und ein Stück hinaus schwammen.


    Wir waren schon fünf Tage hier und verbrachten unsere Ferien am Strand von - -. Das Haus gehörte Bekannten von mir, die es uns freundlicherweise überlassen hatten und somit waren wir völlig ungestört von irgendwelchen Touristen oder Hotelpersonal. Wir verbrachten unsere Zeit mit Sonnenbaden, Grillen, Wasserschlachten und Sandburgenbau, stundenlangen Gesprächen auf der wunderschönen Terrasse am Strand ....


    und hatten auch nach Sonnenuntergang noch viel Spaß.


    Ranjid hatte sich letztendlich doch gemeldet, vier Tage nach meinem letzten Tagebucheintrag. Er hatte sich wortreich entschuldigt, mir Rosen geschickt und mir bei einem wunderschönen Candellightdinner (diesmal wirklich alleine!) erklärt, daß er die Zeit gebraucht hatte um sich darüber klar zu werden, wie es mit seiner Beziehung zu mir und der zu seiner Familie weitergehen sollte. Denn diese hatte ihm noch einmal klar gemacht, was schon bei diesem katastrophalen Abendessen abzusehen war: Ich war als künftige Partnerin ihres Sohns absolut inaktzeptabel. Da er weder mit seiner Familie brechen noch den Kontakt zu mir abbrechen wollte, blieb uns nichts anderes übrig als unsere Beziehung mit viel Bedacht in den Alltag zu integrieren und vorsichtig um seine Familie herumzuarbeiten, ohne daß die etwas davon mitbekamen.


    Naja, komische Geschichte. Man sollte meinen es würde dem ganzen etwas verbotenes, verruchtes geben, als würde man sich wieder wie 16 fühlen, aber letztendlich war es auf Dauer doch nur sehr anstrengend.
    Anstrengend war auch, daß Katharina tatsächlich den Job im Archiv der Polizei bekommen hatte und wir jetzt alle drei den gleichen Arbeitsplatz hatten. Natürlich war es lustig miteinander die Mittagspause zu verbringen und spontan nach der Arbeit noch zusammen Abendessen zu gehen, aber zwischen Katharina und Ranjid schien sich keine richtige Freundschaft zu entwickeln. Ein ums andere Mal kam ich mir vor, wie die einzige Person in unserer kleinen Dreiergruppe, die sich um ein harmonisches Miteinander zu bemühen versuchte, während die anderen beiden sich immer mehr aus dem Weg gingen. Dabei hätte ich mir so sehr gewünscht, daß sich mein Freund und meine beste Freundin gut miteinander verstehen.


    Nach unseren Ausflug in die wilden Fluten war ich in die Küche geschlendert um etwas Obstsalat als leichtes Mittagessen zuzubereiten. Auf dem Weg zurück zur Terrasse sah ich im Vorbeigehen durch das Fenster Ranjid und stutzte.


    Das Bild das sich mir bot wollte nicht so in die Stimmung passen, die sich durch unsere Ferienwoche gezogen hatte. Ranjid saß grübelnd, die Stirn in Falten gelegt am Strand und blickte hinaus aufs Meer.


    Ich überlegte kurz, entschloss mich aber, nachdem er beim Essen wieder wie gewohnt war, ihn nicht darauf anzusprechen. Einerseits weil ich wusste daß er früher oder später sowieso damit zu mir kommen würde, andererseits weil ich respektierte, daß er jetzt nicht mit mir darüber sprechen wollte.



    Als wir jedoch am Abend wie immer im Wohnzimmer vor dem offenen Kamin auf der riesigen Sofalandschaft zusammengekuschelt lagen, überkam es mich doch. Der Gedanke hatte mich den ganzen Nachmittag nicht mehr losgelassen und auch jetzt wirkte er weniger ausgelassen und mehr abwesend als sonst. Ich kuschelte mich ein wenige tiefer in seine Armbeuge und zog die Beine an „Sag mal, Schatz, was war eigentlich heute Mittag? Ich hab dich durchs Küchenfenster bei deiner Grübel-Meditation beobachtet. Was ist mit dir los? Und sag jetzt nicht „nix“!“ Es verstrich einige Zeit, und ich wollte ihn schon fragen ob er mir überhaupt zugehört hatte da er immer noch ins Feuer sah, als er mir endlich antwortete:


    „Weißt du, Sandy“ begann er, ohne den Blick von den Flammen zu wenden „ich genieße diesen Urlaub...“
    „Ja, aber....“
    „Nein, lass mich ausreden. Ich genieße diesen Urlaub sehr. Die gemeinsame Zeit mit dir, den ganzen Tag zusammensein und so kleine Alltagsrituale wie zusammen kochen, einkaufen, abends nebeneinander sitzen und lesen.... das sind so einfache Dinge. Aber jede einzelne Minute davon macht mich glücklicher als es jedes Candellightdinner könnte. Ich bin dieses ewige Davonlaufen, diese ewigen Lügen vor meiner Familie so müde. Ich will mich nicht länger den Regeln einer Kultur beugen, die nicht meine ist. Mit der mich nicht mehr verbindet als meine Hautfarbe und mein Name. Das ist nicht mein Leben. Du bist es. Du bist das schönste in meinem Leben. Und das will ich nicht länger verstecken wie ein schmutziges Geheimnis.“


    Endlich sah er mich an, und ich sah das Feuer in seinen Augen glitzern.
    Und dann tat ich, was mich selbst überraschte:
    „Heirate mich. Heirate mich, Ranjid. Ich liebe dich so sehr, und ich will mehr als eine Woche Urlaub mit dir zusammen. Fünf Tage sind ein halbes Leben zu kurz.“



    Ihn hingegen schien es nicht überrascht zu haben, denn er kniete sich vor mich hin, zog einen wunderschönen Brilliantring aus seiner Tasche und sagte
    „Ja, Sandy, ich will dich heiraten!“


    Ich strahlte ihn und den Ring abwechselnd an, vollkommen paralysiert vor Glück und Überraschung. Doch ich erwachte schnell aus meiner Trance, als er mich zu sich hinabzog, sacht eine Strähne aus meinem Gesicht strich, über meine Wange und durch mein Haar strich und mich dann küsste, und küsste, und küsste und küsste .....

  • Weiter unten im Text wird das Lied "Out of this world" von Bush angesprochen. Wer möchte kann es sich hier http://www.youtube.com/ watch?v=yH9kyC79XC4 (ohne Leerzeichen) anhören. Das verlinkte Video hat nichts mit der Geschichte zutun, es geht nur um den Song!


    Liebes Tagebuch!


    Endlich war es soweit. Ein wunderschöner Sommertag, der Tag an dem ich Ranjids Frau werden sollte und Ranjid mein Mann, der schönste Tag in meinem Leben, so zumindest die Theorie.


    Die Praxis sah so aus, daß es bis hier her ein einziger Kampf war. Wie bereits erwartet hatte sich Ranjids Familie gegen die Hochzeit mit mir gestellt. Die Wochen vor der Hochzeit waren ein einziges Gerangel, ein ewiges hin und her, begleitet von nächtlichen Drohanrufen der Großmutter, tränenreichen Entschuldigungen von Ranjid und seiner Schwester Kajol, die neben ihrer jungen Tochter wohl die einzige der Familie war, die mir keine Seuchen und Wundfieber an den Hals wünschte.


    Und nicht nur seine Familie übte sich in Unmut, nein, auch meine Eltern, bzw. meine Mutter. Sie war äußerst ungehalten darüber, daß sie erst eine Woche vor der Hochzeit anreisen konnte und ich bereits mit Katharina mein Hochzeitskleid ausgesucht hatte.
    „Ein Hochzeitskleid das nicht von Vera Wang ist, verdient diese Bezeichnung eigentlich gar nicht!“ war ihre Ansicht.
    Außerdem bestand sie darauf daß ich einen bodenlangen Schleier trug („um die ganzen bunten Tätowierungen zu kaschieren“) und die Perlen meiner Großmutter an den Ohren. Für das Braut-make-up hatte sie sich mehrere Skizzen eines MAC-Make-up artists aus London schicken lassen.



    Und obwohl sie es schaffte, außer bei dem Kleid mir ihren gesammelten Vorschläge aufzudrängen, stand sie am Hochzeitsmorgen in meinem Schlafzimmer prüfend vor mir und schüttelte den Kopf.
    „Nein, also wirklich, wenigstens eine Schärpe. Oder Abendhandschuhe.“
    Sie seufzte. „Ich geh nach unten und hol die Manolos, die ich für dich besorgt habe. Wenigstens ein wenig Stil solltest du an deinem großen Tag haben.“


    Ich sah meinen Vater verzweifelt an, der auf einem Hocker hinter mir saß.
    „Ich krieg eh schon kalte Füße. Aber sie verwandelt sie zu Eisbein und reicht Sauerkraut dazu! Ich fühle mich schrecklich.“ Er lächelte mich aufmunternd an und klopfte mir auf die Schulter.
    „Du siehst wundervoll aus, mein Schatz. Denk dir nichts, du weißt wie Elaine ist.“


    Das war wahr. Ich wusste wieso meine Mutter so war.
    Elaine war die klassische Tochter reicher Großstädter. Privatschule, Perlenkette, Country Clubs, das war ihre Welt. Bis sie Pete kennenlernte und sich unsterblich in ihn verliebte.


    Mein Vater war und ist Tätowierer und hatte mit einer kleinen aber exklusiven Ladenkette, einem Großhandel für Piercingschmuck sowie revolutionären Fortschritten im Bereich Hygiene, Cuting und Implantaten den Namen „Wildcat“ zu einer unvergleichlichen Größe der Szene gemacht (www.wildcat.de) . Er zog mit ihr in die Wüste nach Merkwürdighausen und die ersten Jahre verliefen auch prächtig. Doch meine Mutter war eben tief in ihrem Inneren eine Großstadtpflanze und so wurde ihr immer noch schönes, klassisches Gesicht immer härter, während sie versuchte die Wüstenbewohner von Country Clubs und Lauchpastetchen zu überzeugen.


    Das waren meine Eltern. Der coole Pete, immer in Flip Flops, langhaarig und volltätowiert und die kühle, zugeknöpfte Elaine, die Pete dennoch abgöttisch liebte. Und so wurde aus mir ein Kind mit übermäßig vielen Tätowierungen, einem gesunden Interesse für Verbrechen und einer Vorliebe für viel zu teure Schuhe von Cloè.
    Ganz ehrlich: Meine Eltern waren zwar merkwürdig, aber sie waren es, die mir jeden Tag die Hoffnung gaben, dieses Drama durchzustehen.


    Die Trauung fand auf einer mit Blumen übersäten Wiese gegenüber meines Hauses statt. Es war wunderschön.
    Überall Blumen, ein kleiner Teich, die Stühle der Gäste waren mit einem weißen, fließenden Baldachin aus Gaze überspannt und der Hochzeitsbogen mit weißen Rosen stand auf einem erhöhten Podest unter einer alten Weide.


    Als ich von dort aus verstohlen während der Zeremonie die Gäste überblickte, meine Freunde, Kollegen und Verwandten, Katharina, meine Trauzeugin (die merkwürdigerweise ein doch sehr tief ausgeschnittenes Kleid trug) Ranjid, neben mir in einem tollen Leinenanzug.... endlich waren alle versammelt. Ich stand hier, in einem Wahnsinnskleid inmitten dieser Blumenpracht und die warme Sommersonne, die durch die Weide Lichterspiele auf meine nackten Schultern zauberte, neben mir der Mann den ich über alles liebte.... , nun wusste ich was das Wort „Glückseligkeit“ bedeutete.


    Ich war glücklich. So sehr, daß ich tanzen und lachen und dabei Ranjid an der Hand und in den Arm nehmen wollte. Endlich war alles so, wie es sein sollte. Endlich war alles gut.


    Nach der Trauung begann ein lockerer Umtrunk auf dem selben Gelände und ich wurde von so vielen Bekannten in Beschlag genommen, daß ich Ranjid irgendwann aus den Augen verloren hatte.


    Ich nahm mir vor ihn suchen zu gehen und mir vorher noch schnell ein Blasenpflaster aus dem Bad zu holen. Mamas Schuhe waren zwar toll, aber leider sehr unbequem. Ich hüpfte barfuß und leise singend die Holztreppe hoch und ging auf das Badezimmer im ersten Stock zu.


    Ich war fast an der Badezimmertür angelangt, als ich sie sah. Ich weiß noch, wie oft Ranjid die Glastür im Bad bemängelt hatte.... Meine Wahrnehmung war seltsam verzerrt. Zuerst dachte ich „oh, da ist er ja“.


    Und dann registrierte mein Bewusstsein, daß etwas an dieser Szene falsch war. Ranjid stand lachend im Bad und in seinen Armen war Katharina. Sie trug nichts als Unterwäsche und High-Heels. Ich weiß noch daß mein erster Gedanke absurderweise war „ich hoffe sie ist nicht in diesen Schuhen übers Parkett im Schlafzimmer gelaufen“. Das ganze dauerte nur zwei Sekunden, doch es kam mir vor wie eine Ewigkeit. Es war, als hätte jemand sämtliche Geräusche abgedreht und mich in ein Vakuum gesetzt, als wäre die Luft plötzlich viel dünner geworden. Ich versuchte mich zu bewegen, doch meine Beine wollten mir nicht mehr gehorchen.


    Ich musste all meine Kraft aufwenden um mich von der Glastür abzuwenden und stieg wie in Trance wieder die Treppe hinunter, Gänsehaut überzog meine Arme und meine Wangen. Plötzlich hatte ich einen sauren Geschmack im Mund. Ich rannte zur Haustür hinaus und erbrach mich direkt in der Einfahrt neben meinem Pickup. Ich zog mich hoch, auf den Fahrersitz und atmete tief durch. Mein Blick fiel auf den Schlüssel des Strandferienhauses, der immer noch in der Mittelkonsole lag. Ich musste hier weg, sofort. So weit wie möglich. Und dort würde mich so schnell niemand vermuten. Denn ich wollte niemanden sehen, ich wollte mit niemanden sprechen. Einfach weg, raus, denn vielleicht würden dann meine Hände aufhören zu zittern.


    Ich kam gegen fünf Uhr Abends am Strandhaus an. Mit Sicherheit war meine Abwesenheit mittlerweile bemerkt worden, aber ich hatte mein Handy und das Backberry ausgeschalten, ich wollte mit keinem sprechen. Ich fühlte mich im Augenblick so, als könnte ich überhaupt nie mehr mit jemanden sprechen.


    Ich trug immer noch das Brautkleid, nur den Kopfschmuck und den Schleier hatte ich unterwegs abgelegt. Die Vakuumblase bestand immer noch, mein Zeitgefühl war völlig verschwunden. Ich ging barfuß zum Strand und sah aufs Meer hinaus.


    Das Meer sollte ja immer eine beruhigende und heilende Wirkung haben, vielleicht würde es mir helfen. Der einzige Gedanke der immer und immer wieder, wie auf einer kaputten Schallplatte durch meinen Kopf ging war „Am Tag meiner Hochzeit vögelt er meine beste Freundin. Deshalb waren sie so distanziert. Denn mein Mann und meine beste Freundin haben eine Affäre. In meinem Haus. Vor meinen Augen.“


    Mir war bewusst daß ich weinen sollte, daß ich laut aller Liebesromane die ich je gelesen hatte, schluchzend zusammenbrechen sollte. Oder zumindest laut schreien und schimpfen.Vorallem da ich jetzt ungefähr an genau der Stelle stand, an der Ranjid saß als er beschloss mich zu heiraten. Doch ich fühlte mich nur leer, ich sah nur immer diese Szene vor mir und konnte einfach nicht begreifen. Und ich wusste nicht, ob ich es überhaupt wollte.


    Abends, als ich immer noch frierend und zitternd vor dem knisterndem Kamin saß, klingelte mehrfach das Festnetztelefon in die Stille hinein. Um das ewig monotone
    Geräusch zu übertönen ging ich an die Stereoanlage und schob eine beliebige CD in den Player. Und während Bushs Out of this World durch die Räume hallte, traf es mich. Die Erkenntnis kam und traf mich mit voller Wucht, als würde mir ein Baseballschläge mitten ins Gesicht geschlagen. Es war wirklich so. Es war wirklich da. Es würde nie jemand kommen und mir sagen, daß alles wieder gut werden könnte.


    Nichts auf der Welt konnte es jemals wieder gut machen.
    Mir liefen heiße Tränen über das Gesicht und den Hals, ich legte den Kopf in den Nacken und versuchte Luft zu bekommen und schluchze nur noch verzweifelter. Es war alles weg. Er meine Liebe zu ihm verraten, mir meine Freundin genommen. Mich vor jedem der mir etwas bedeutet hatte bloßgestellt. Mein Zuhause beschmutzt und es für mich unmöglich gemacht wieder an meinen Arbeitsplatz zurückzukehren. Ich hatte monatelang gekämpft. Um ihn, um Anerkennung, um mein Leben in dieser neuen Stadt. Ich hatte nichts mehr, absolut nichts. Nichts woran ich mich hätte festhalten könnte, irgendetwas, was mich daran hindern könnte zu fallen. Es war nichts mehr übrig, außer mir selbst.


    Und als die Musik aus war, hörte ich durch mein weinen hindurch ein Geräusch inmitten der Stille der Nacht. Es war sehr leise, und doch übertönte es alles. Es hörte sich an, als würde man sehr dünnes Eis zerbrechen. Es fühlte sich an, als würden feine Glassplitter in meinem Herzen stecken.
    Es war vorbei.

  • 1.Aufgabe
    Liebes Tagebuch!


    Heute habe ich endlich meine neue Wohnung in Blauseidigheide bezogen! Ich bin sehr glücklich, die ewige Warterei hat sich also doch bezahlt gemacht. Ok, gut, es ist nicht nur die Warterei die sich bezahlt gemacht hat, ich bin jetzt auch so gut wie pleite. Unzählige Nippesteilchen, Blumen, Lampen, der offene Kamin, der hochglanzpolierten... ja ja, es gibt durchaus Leute die mich „Dekofreak“ nenne. Aber sein wir doch mal ehrlich (und Ehrlichkeit mit sich selbst ist sehr wichtig!): Das sind alles nur ignorante Idioten, die mein kreatives Ich unterschätzen!


    Kurz nachdem ich mein neues Eigenheim bezogen habe, kamen auch schon die ersten Nachbarn an!
    Genau deshalb bin ich hier her gezogen: Der Nachbarschaft eilt ein sehr positiver Ruf voraus – ich hoffe die sind nicht so meschuge wie diese Freaks in Merkwürdighausen. Noch ein Tag länger und ich wäre selber grün geworden.
    Leider scheinen meine neuen Nachbar nicht ganz so freundlich und normal wie ihr Ruf zu sein:
    Mein Versuch die perfekte Gastgeberin zu spielen während ich dekorativ im Raum stand und Sandwichse für alle schmierte (zugegeben: reiner Eigennut: Ich hatte Hunger wie Sau und irgendwie muss ich ja die 40 000€ teure Designerküche vom Löchle mit Granitarbeitsplatte (all in) präsentieren) - jedenfalls, während ich da so gut aussehend und dennoch dynamisch wirkend schmiere, meinen doch diese zwei Schönlinge ihre Mannbarkeitsrituale direkt in meiner Küche austragen zu müssen!


    Als wäre das nicht schon genug, erwische ich Schönling Nr. 1 (der Typ mit der Damensonnenbrille) kurze Zeit später ein Stockwerk höher mit verklärtem Blick vor meinem Schrank. Abgesehen davon daß es ja wohl die allerletzte Frechheit ist sich einfach so in anderer Leute Schlafzimmer zu stehlen, würde es mich bei dem Gesichtsausdruck nicht wundern wenn er an meiner Unterwäsche geschnüffelt hätte. Uargh! Widerlich! (Aber mal ehrlich, was will man schon von jemanden erwarten der das Hemd bis zum Schamhaartoupet aufgeknöpft trägt?).
    Danach war's mir jedenfalls genug – ich hab sie alle kurzerhand rausgeworfen.


    Um mit dem angebrochenen Nachmittag noch was anzufangen habe ich mir Skrolla, meine Miezekatze geschnappt, bin in den Pickup geklettert und in die Stadt gefahren. Ja, ich weiß, ich seh nicht aus wie ein Pickup Mädel und für wesentlich weniger Geld gäbs niedrigere Autos – aber ich bin einfach kein Fan dieser Erdnuckel, genannt PKW.
    Wo war ich stehen geblieben? Ach ja, Klamotten! Nachdem mir schon die Reaktionen meiner Nachbarn auf mein semitransparentes (halb durchsichtig! Falls irgend so ein ungebildeter Trottel meint meine Tagebucheinträge lesen zu müssen!) Kleid aufgefallen ist und ich morgen meinen neuen Job bei der Bullerei – Verzeihung, Polizei (sollte mich am Riemen reißen, jetzt wo ich bei dem Verein arbeite) – antrete sollte ich vielleicht noch etwas konservativeres in meinen Kleiderschrank mit aufnehmen. Immerhin ist es mein Lebenstraum Polizeipräsidentin zu werden, da muss ich gleich positiv auffallen. (Wird schwierig, mit dem vollgeinkten Körper)


    Wieder Zu hause angekommen habe ich meine neue Haushälterin kennen gelernt – die komischer weise den gleichen Nachnamen hat wie Schönling Nr. 2 von heute Vormittag. Sollte sie wirklich seine Schwester sein sind wohl die guten Gene alle auf der weiblichen Seite gelandet – endlich ein normaler Mensch! Ich konnte mich wunderbar mit ihr über meine neuen Errungenschaften unterhalten und habe mich wirklich sehr gefreut so eine nette Person im Haus zu haben. Ich hoffe, wir können noch mehr Zeit miteinander verbringen und quatschen – und nicht darüber ob der Klostein gewechselt werden muss oder nicht!


    Nach diesem netten Zwischenspiel mit bin ich mit Skrolla hoch ins Bett, immerhin fängt mein Dienst um an und ich möchte für meinen ersten Arbeitstag frisch und nicht halb am einschlafen sein.
    Als die Sonne gerade am untergehen war, sind wir aus unserem Körbchen gesprungen – nein, halt! Ich bin aus meinem Bett. (Ich sollte definitiv mehr unter Menschen und mich weniger mit meiner Katze identifizieren. Sonst werde ich innerhalb von kürzester Zeit so wie die Katzenlady bei den Simpsons! Nur nicht so gelb.) ....


    .... hab mir mein schickes neues Kostüm aus dem Schrank geholt .....


    .... Skrolla nochmal gefüttert und bin los! In eine Welt voller Verbrechen, Gefahr und Katzenpissekaffee – die nur auf mich gewartet hat! Sandy Wildcat – im Kampf für Gerechtigkeit und figurbetonte Uniformen!


    2.Aufgabe
    Liebes Tagebuch!


    Nun sitze ich hier in dieser gottverdammten Gegend am Ende der Welt, in sengender Hitze und der Schweiß rinnt mir den Nacken hinunter und versickert in meinem hochgeschlossenem Kragen. Trotz der herrschenden Temperaturen saß ich heute 8 Stunden in einem tiefgekühlten Konferenzraum, umgeben von immer lächelnden Japanern. Obwohl ich der Sprache mächtig bin und einen Dolmetscher zur Verfügung hatte, hörte sich sämtliches Geplapper nach geraumer Zeit nur noch nach einer ewig quakenden Entenschar an.


    Vor einer Woche hatte dieser Alptraum seinen Lauf genommen.
    Nach meiner Beförderung hatte sich mein ranghöchster Vorgesetzter eines Tages mit einem rhythmischen Hüftschwung, der seine Bandscheibengevorfällten Wirbel Lambda tanzen lies auf meine Schreibtischecke geschwungen, bedeutungsschwanger meine Personalakte in der Hand wedelnd. „Säääändi Schätzchen“ kam es kaugummikauend unter seinem überdimensionalen Matlock-Schnurrbart hervor – wären wir in Amiland würde er Südstaatenslang sprechen. „Du alter Glückskeks!“ „Wie bitte?!“ erwiderte ich. „Sändi Schätzen“ war ja noch im Rahmen, aber Alter Glückskeks wurde dann langsam doch etwas suspekt. Er schmunzelte: „Naja, ich hab gesehen du sprichst Japanisch. Wir brauchen jemanden der kompetent ist und sich nächste Woche um unserer Japanischen Gäste kümmert. Führ' sie durch die Konferenz, die auf dem Messegelände außerhalb stattfindet, zeig ihnen die Stadt, geh mit ihnen Essen, leier ihnen nen Transrapid aus den Rippen – du weist was du zutun hast. Du die nötigen Softskills!!“ (je erwähnt daß er Anglizismen liebt? Nie? Wirklich?!)


    Nachdem sich meine Augen von Eulengröße wieder auf ihr Normalmaß begeben hatten erläuterte er mir noch weitere Details. Ich sollte eben 4 Tage für unsere Gäste der Polizei der Partnerstadt Tazzumi den Clown spielen. Helfen würde mir dabei ein neuer Mitarbeiter aus der Ballistikabteilung, den ich bis dahin noch nicht kannte.


    Natürlich verging die Woche wie im Flug, und jetzt sitze ich hier. 2 verdammte Tage liegen hinter mir, 2 verdammte Tage liegen vor mir. Am ***** der Welt, bzw. besser gesagt der Stadt in einer Betonwüste von momentan leeren Messegelände und jeden Tag in einem Tweed Kostüm, das good old Margy [Margarete Thatcher, A.d.Red.] alle Ehre gemacht hätte, da Tätowierungen in dem Land der aufgehenden Sonne immer noch verpönt sind. Trotz allem coolen exportierten J-Rock, in Badeanstalten existieren immer noch die netten „Betrunkene und tätowierte dürfen nicht hinein“-Schilder. Und in manchen Köpfen der offiziellen Organe auch.


    Mein Kollege – er heißt Ranjid und ist indischer Abstammung – und ich hatten es heute geschafft uns einen freien Mittag ohne japanische Gäste zu verschaffen. Diese waren mit unserem Chef und dem Polizeipräsidenten zum Essen aufgebrochen. Um zurück in die Stadt zu fahren war die Zeit zu knapp, deshalb verbrachten wir den Nachmittag auf der Terrasse eines Kaffees auf dem Messegelände.


    Ich lehnte mich in meinem Stuhl zurück, ließ die wehen Füße aus den Slingpumps gleiten und beobachtete Ranjid, der an der Theke Nachschub an kalten Getränken holte ....
    und ließ meinen Gedanken freien Lauf: „Hm... irgendwie hat er fast Ähnlichkeit mit Hrithik Roshan, diesem heißen Bollywood Schauspieler... zumindest dieser Hintern. Ja, der hat was. Und auch das Gesicht mit diesen feinen Zügen und den seidigen braunen Haaren... definitiv ziemlich hübsch und ziemlich sexy, dieser Mann. .... Ob er wohl genauso heiße Tanzszenen hinlegen könnte wie Roshan? Muskulös und sportlich genug wäre er ja.“ Ich begann zu schmunzeln, als ich mir Ranjid, der inzwischen zu unserem Tisch zurück gekehrt war, tanzend und singend in einer typischen Bollywoodkulisse vorstellte. „.... obwohl, ich könnte mir noch ganz andere Szenen mit den Attributen „muskulös und heiß“ vorstellen....“


    „Sandy?“ fragte er und stellte die Coladosen ab. „Hmmmm, ja?“ „Von was genau sprichst du da?“
    NEIIIIINNNN!!!
    Verdammt!!! Ich hatte den letzten Satz tatsächlich laut ausgesprochen! Oh Gott oh Gott oh Gott! Wie peinlich! „äh, ja, ich meine.... ich dachte gerade über Bollywoodfilme nach. Und darüber dass es heute schon sehr heiß ist. Ja, genau. Bollywood und heiß. Davon, äh, spreche ich. Oh! Ja, du hast Cola mitgebracht, gut. Ist ja auch so heiß heute, nicht wahr?“ spann ich hektisch meine Geschichte zusammen. Zum Glück schien es funktioniert zu haben, das Gespräch blieb für den Rest der Pause beim Thema Bollywood und verlief wieder in normalen Bahnen, die nicht von heißen, verschwitzten Fantasien meinerseits gestört wurden.


    Auf dem Rückweg zu unseren bereits wartenden japanischen Freunden hielt Ranjid plötzlich kurz vor der Glastür des Konferenzraums an und drehte sich zu mir um und sah mir mit diesen unheimlich attraktiven braunen Samtaugen direkt in die Augen „Sag mal, um nochmal auf dein „heiß“ von vorhin zurückzukommen,“ - mir schoss das Blut in den Kopf - „Was hältst du davon wenn wir heute Abend, wenn es etwas abgekühlt hat zusammen essen gehen?“


    Er schien mein darauf folgendes „äääh“ als ja zu werten, erwiderte „Ok, wunderbar!“ und betrat den Konferenzraum.
    Muss ich erwähnen, dass die Konzentration für diesen Nachmittag dahin war?


    3.Aufgabe
    Als ich nach dem Meeting Zu hause ankam verfiel ich selbstverständlich NICHT in das gleiche wahnsinnige Potzedere das jede Frau vor einem Date abzieht.
    Ich übertraf es noch! Während der Fahrt nach Hause war ich zu dem Entschluss gekommen daß Ranjid eigentlich mein absoluter Traummann ist und ich heute Abend einfach unglaublich umwerfend aussehen musste. So umwerfend, daß meine glorreiche Erscheinung den ganzen Mist verzeihen würde, den ich mit beängstigender Sicherheit jedes mal von mir gebe, wenn mich jemand derart fasziniert.


    Ich zog nicht nur meine Haushälterin und beste Freundin Katharina zu Rate, die Gott sei Dank gerade noch am putzen – Verzeihung, im Begriff Parkettkosmetische Maßnahmen zu ergreifen – war, sondern auch meine Katze Skrolla. Katharina entpuppte sich als eine Art lebendiges Compendium aus Glamour und Cosmopolitan und war der Ansicht mein Outfit müsste ausstrahlen daß ich interessiert und paarungsbereit war, aber gleichzeitig mein anziehendes Desinteresse und meine stählerne Weiblichkeit im inneren repräsentieren. Auch sollte ich zeigen daß ich unter der Tweed-Uniform der letzten Tage einen Körper besaß mit dem man sämtliche Spielarten des Kamasutras durchhecheln konnte, allerdings sollte es weder zu nuttig noch zu dominant wirken.


    Die Mieze war der Ansicht, das wäre alles Quatsch und ich sollte nur mit ihr kuscheln.
    Hm – auch ne Möglichkeit!
    Allerdings bringt mich das wieder dem Katzenladyschicksal von den Simpsons näher.... lieber doch nicht.


    Ich lege etwas mehr Augenmakeup und ein kräftigeres Lippgloss auf und entschloss mich dazu meine Haare offen zu tragen. Ich weiß ehrlich gesagt nicht mehr so genau warum überhaupt – ich glaube aber Katharina hatte auch dafür eine Theorie.


    Um dreiviertel Neun stand Ranjid vor meiner Tür – in einem umwerfenden hellbeigen Leinenanzug der seinen dunklen Teint sehr schmeichelte – genauso wie der ebenso umwerfende beige Lexus SUV, in dem er vorgefahren war. Ich konnte vor Begeisterung kaum noch stehen.


    Kurze Zeit später trafen wir in dem Restaurant ein, das er ausgesucht hatte. Es war perfekt! Das Bonsai&Botanik war nicht nur eines der exklusivsten sondern auch definitiv eines der romantischsten Restaurants der ganzen Stadt. Die Atmosphäre die das sanfte Plätschern der Wasserlandschaft, die leise zwischternden Vögel in den Baumkronen, der Geruch der frischen Blumen und die gedämpfte Kerzenbeleuchtung schufen war einfach sensationell. Mir ging das Herz auf als Ranjid zielstrebig auf den hinteren Teil des Restaurants zuging, in dem hinter dem Teich die abgelegenen Zweiertische standen.


    Ich folgte ihm völlig trunken vor Glück darüber nach diesen elenden einsamen Monaten so einen tollen Mann kennengelernt zu haben, der sich offensichtlich auch sehr für mich erwärmen konnte, immerhin führte er mich in dieses Restaurant – bis wir um die Ecke bogen und plötzlich vor einem Tisch für 8 Personen standen.


    An diesem Tisch saßen bereits mehrere Gäste. Auf den ersten Blick war zu sehen daß es sich ebenfalls um Inder handelte, auf den zweiten Blick hätte ich das festgestellt was Ranjid mir vorwegnahm. „Mama!“ rief er und umarmte eine äußerst hübsche Frau Mitte 50 in einem lila gemusterten Sari. „Sieh mal, ich habe jemanden mitgebracht!“ Er wandte sich strahlend zu mir um „Wir essen hier jeden Mittwoch, ich dachte du magst das Restaurant!“ Und schon war ich vorgestellt und kurzerhand und zwischen seine Teenagercousine und seine jüngere Schwester gequetscht worden.


    Ich weiß ja daß ich zu enthusiastisch war und mich zu schnell in dieses Abendessen reingesteigert hatte – aber musste man mich wirklich mit dem Vorschlaghammer aufwecken??!! Ein romantisches Abendessen, ausgehend von Flirts mit deutlichen Anspielungen – und ich finde mich in einem wöchentlichen Familientreffen wieder? Wollte der Mann mich vergraulen? War ich ihm zu schrecklich und zu aufdringlich gewesen? War das seine Art mir zu sagen „du wirst sowieso nie hier reinpassen“?
    Mein sämtliches Selbstbewusstsein, die coole Sandy die Verbrecher jagt und atemberaubende Highheels trägt war wie weggeblasen. Ich sah mich langsam um. Jede der Frauen war in einen Sari oder ein ähnliches Gewand aus wundervollen Stoffen gehüllt die die weiche, dunkle Haut sanft umspielten, lange, seidige schwarze Haare und genau solche Wimpern, die die im Kerzenschein samtig dunkelbraun schimmernden Augen umrahmten. Mir jedem Augenblick fühlte ich mich mehr unzulänglich. Die Haut zu hell, die Tätowierungen zu viel, zu bunt, das Kleid zu kurz, zu modern, das Makeup zu geschmacklos und überhaupt definitiv zu westlich.


    Und das war nicht nur meine Ansicht, sie wurde offensichtlich vom Großteil der Familie geteilt. Ich wurde den ganzen Abend lang so gut wie möglich ignoriert, während Ranjid permanent von seiner Großmutter in ein Gespräch verwickelt wurde in dem es entweder darum ging daß er immer noch nicht standesgemäß verheiratet war oder daß diverse Töchter befreundeter Familien jetzt doch mit 18 langsam ins heiratsfähige Alter kommen würden. Ich befand mich in einem lebenden Alptraum, an dem auch das wundervolle indische Essen nichts ändern konnte.


    Selbst Ranjid schien bemerkt zu haben daß ich mich äußerst unwohl fühlte, weshalb wir uns von der Runde sobald es die Höflichkeit erlaubte mit den üblichen Ausflüchten „wir müssen morgen früh raus, die Arbeit....“ verabschiedeten. Doch die Stimmung zwischen uns blieb auf dem Tiefpunkt. Ich war bei seiner Familie mit Pauken und Trompeten durchgefallen, er hatte unser Date versaut, es war einfach alles katastrophal gelaufen. Ich verbrachte die Fahrt nach Hause damit aus dem Fenster zu sehen um ihn nicht ansehen zu müssen, während wir uns gegenseitig anschwiegen.


    Vor meinem Haus angekommen wollte ich mich so schnell wie möglich verabschieden um mich in meinen eigenen vier Wänden ausgiebig selbst zu bemitleiden (oder auch Wahlweise den Kopf an die Wand zu schlagen), doch Ranjid lies mich nicht so schnell davonkommen.
    „Hey, also... mh...“ Er seufzte laut. „Also, die Idee war wohl doch nicht so das Wahre, oder?“
    Ach nein, da war aber jemand ganz fix! Langsam doch ziemlich genervt gab ich zurück:
    „Nein Ranjid, war es nicht. Ich dachte wir verbringen einen netten Abend miteinander. Um ehrlich zu sein habe ich das sogar für ein Date gehalten. Aber du führst mich – obwohl ich noch nicht mal DICH richtig kenne – deiner versammelten Familie vor, die mich behandelt wie ein störendes Insekt. Wenn du mir zeigen wolltest daß ich es mit den perfekten Frauen in deiner Familie nicht einmal annähernd aufnehmen kann und ich in deiner Nähe absolut unerwünscht bin – das hast du geschafft! Vielen Dank auch! Wenn du das nächste Mal nicht interessiert bist sag es der Frau einfach, aber erspar ihr diese Peinlichkeit. Es gibt angenehmeres als sich den ganzen Abend wie ein dressierter Truthahn kurz vor dem tranchieren zu fühlen!“


    „Das denkst du? Sandy, ich bitte dich! Ich wollte dich nicht brüskieren, wirklich, das ist das letzte was ich wollte. Ich weiß auch nicht was in mich gefahren ist, oder, in sie. Ich hätte nie gedacht daß sie dir gegenüber so kalt sein würden. Und falls du dich meiner Familie gegenüber unzulänglich fühlst tut mir das Leid, aber glaub mir: Für mich bist du alles andere als unzulänglich. Für mich bist du perfekt.“


    Als hätte das alleine nicht schon gereicht um mich schweben zu lassen, zog er mich sanft an sich und küsste mich.
    Und dann schwebte ich wirklich.


    Aufgabe 4
    Der erste Gedanke der mir an diesem Samstagmorgen ungefiltert durch den Kopf schoss war „Aua!“.
    Der zweite war die Frage, ob mir jemand während meines Nickerchens einen Kopfschuss verpasst hatte. Das anhaltende Klopfen, das mich geweckt hatte hörte endlich auf. Gott sei dank. Ich drehte mich auf die Seite und versuchte weiterzuschlafen und zu ignorieren daß sich die Welt bei meiner Drehung mehrmals um mich zu drehen begann.
    Zu früh gefreut. Das Geräusch von einem Hausschlüssel der in sein Schlüsselloch findet, gefolgt von dem trippeln hoher Absätze auf meinem Steinboden, wiederum gefolgt von einem vernehmlichen
    „Ach du Scheiße.“
    Ich hob wagemutig mein linkes Augenlid, was natürlich sofort mit einem aus stechendem Schmerz, reslutierend aus dem garstigen grellen Licht bestraft wurde.
    Dafür konnte ich sehen wie Katharina einen der umherliegenden Becher nahm und daran roch. „Whiskey?“ sie schnüffelte weiter. „Ja, eindeutig Whiskey-Cola. Und ein Müllhaufen der vermuten lässt du hast dir das halbe Sortiment an Schokolade und Chips von Wal-Mart reingezogen. Kannst du mir mal verraten was du hier getrieben hast?“


    „Verrat du mir lieber wieso du solchen Lärm machst, immerhin hast du einen Schlüssel, den du sonst jeden Tag benutzt.“
    „Meine liebe liebe Sandy! Vielleicht erinnerst du dich daran daß ich dich eigentlich zum shoppen abholen wollte und nicht zum arbeiten hier bin!“ entgegnete sie ungehalten.
    „Oh, shoppen. Sorry, voll verplant. Hm, du siehst ganz anders aus, wenn du nicht dein Französisches-Zimmermädchen Outfit trägst, das du Arbeitskleidung nennst. Sieht gut aus.“ „Und du siehst beschissen aus! Geh rauf und dusch dich und zieh dir frische Sachen an. Solange mach ich hier klar Schiff. Und danach erzählst du mir was überhaupt passiert ist. Und bitte – Atme mich nicht an wenn du an mir vorbei gehst!“


    Ich trottete wie befohlen die Treppe hinauf ins Bad. Dort nahm ich mir eine Kopfschmerztablette aus dem Badezimmerschrank und spülte sie mit einem Zahnputzbecher voll kaltem Leitungswasser runter. Danach stolperte ich ich die Dusche, drehte das Wasser auf lauwarm und blieb für die nächsten fünf Minuten regungslos stehen, während ich mich an den Amaturen festhielt und spürte wie mir das Wasser hart auf den Rücken prasselte.
    „Sandy, lebst du noch?“ Drang es aus dem Erdgeschoss hoch.
    „Jaja, alles ok. Ich komm gleich, gib mir noch zehn Minuten“.
    Ich versuchte mich zusammenzunehmen, die Erinnerungen an gestern Abend sowie die ganze Woche zuvor zu verdrängen. Eins nach dem anderen. Minzduschgel, Haarshampoo, abtrocknen mit dem Lieblingshandtuch mit den rosa Streifen, die Kokosbodylotion. Die alte Lieblingsjeans, ein kühles Viskose-Shirt, hohe Schuhe für das Selbstbewusstsein.


    Der Duft wunderbaren Spaghetti mit Tomaten, Basilikum und Fleischbällchen zog durchs Haus, als ich wieder sauber und duftend als neuer Mensch unten ankam.
    „Ich dachte mir du solltest deine Jack Daniels Reste im Magen vielleicht mit etwas Nahrung verdünnen.“ grinste mich Katharina an.


    Ich setzte mich an den Tisch und begann zu essen, nach einigen Bissen entfaltete sich ein wohling warmes Gefühl in meinem geschundenen Magen. Katharina beobachtete mich interessiert. Ich wusste, sie war nicht nur darauf bedacht daß ich das essen behielt und lobte, sondern wollte jetzt auch endlich wissen was letzte Nacht passiert war. Und wie konnte ich es ihr verdenken, nachdem sie mich so jämmerlich aufgefunden hatte.
    Ich drehte bedächtig zwei Nudeln auf meine Gabel.
    „Also.... gestern Nacht....ich war aus. Weg. Im Pascha. Ich dachte mir, ich geh einfach raus, ich mach richtig einen drauf.“ Ich schob mir die Gabel in den Mund und begann zu kauen. Ja, zugegeben, essen ist eine sehr gute Verzögerungstaktik.
    „Ich hab mich also in mein unseriöses Paris-Hilton Outfit geworfen“- Katharina stöhnte laut auf - „und bin losgezogen. Ich habe zwei bunte Cocktails getrunken, mit 'ner Menge Kerle getanzt und getan was man eben so tut wenn man Spaß haben will.
    Und dann, dann bin ich deprimiert nach Hause gefahren, hab Schnulzmusik eingelegt, mich mit dem Schlafanzug aufs Sofa gelegt und mich an Schokolade und Alkohol vergangen.“
    Ich schob meinen Teller von mir weg und warf die Gabel klirrend hinterher.


    „Ich werde einfach bald wahnsinnig. Ich gehe aus, ich gehe zur Arbeit, aber egal was ich tue ich krieg ihn einfach nicht aus meinem Kopf! Ich will nicht mehr! Ich mag dieses nervige, liebeskranke Mädel nicht, das ich bin. Ich bin anders, ich bin tough. Also gehe ich aus, lach mir nen Kerl an und fahr dann doch wieder heim und heul mir die Augen aus dem Kopf.


    Ich lasse mich in der Arbeit einem schweren Fall zuteilen aber alles an was ich denke ist „wenn er mich doch jetzt sehen könnte. Dann würde er sicher sehen wie gut ich in meiner Arbeit bin und wie toll ich das manage und er würde merken daß ich auch ohne seine Anwesenheit großartig bin. Und dann würde er sich sofort melden, weil er begreift wie toll ich bin“. Das ist so krank!


    Selbst bei den banalsten Dingen denke ich so. Ich stehe in der Küche und schäle Kartoffeln und habe das Gefühl er würde mich irgendwie beobachten. Als ob er anrufen würde wenn er nur sieht wie selbständig ich bin.


    Oder neulich, als ich mit Bekannten beim Essen war. Die dachten schon ich habe eine Blasenentzündung, dabei bin ich nur alle halbe Stunde aufs Klo gelaufen um mit meinem Blackberry zu checken ob ich neue Nachrichten habe.
    Neulich hab ich sogar schon meinen Chef gefragt ob er weiß wo sich Ranjid aufhält, unter dem Vorwand ich brauche ihn für eine Nachbearbeitung der Akten von unserem Besuch vorletzte Woche, aber er konnte mir auch nicht weiterhelfen. Und ich glaube sogar er hat mir das nicht so ganz abgenommen. TOLL! Jetzt steh ich sogar noch vor meinem Chef da wie ein liebeskranker Esel! Und das obwohl ich wirklich Top-Arbeit leiste. Wirklich großartig!!“


    Ich verschränkte genervt meine Arme vor mir und sah Katharina an, was ich die letzten Minuten meines Monologs vermieden hatte.


    „Weißt du, bei Präsidium fällt mir ein... ich habe letztens ein Stellenangebot von deinem Verein gelesen. Keine Polizeiarbeit oder sowas, Schreibkram im Archiv. Ich will nicht ewig putzen und ich denke das könnte ich wirklich gut. Und wir könnten zusammen Mittag essen. Uns irgendwie im Park Salat mit Diätjoghurtdressing zwischen die Kiemen schieben, wie so neurotische NY-City-Tussen. Was hältst du davon?“


    Ich starrte sie entgeistert an. War ich zwischendurch vielleicht irgendwie eingepennt?!
    „Katharina, hab ich was verpasst? Ich schütte dir mein Herz aus und du erzählst mir von dem Job? Hä?! Abgesehen davon finde ich es gut, ich würde mich freuen.“


    „Nein, aber siehst du, das will ich dir damit sagen. Es tut dir weh und du wirst fast wahnsinnig. Aber du bist nicht die einzige auf der Welt. Tausende Menschen machen in dieser Minute das gleiche durch wie du. Millionen haben es vor dir durchgemacht und genauso viele werden noch nach dir kommen. Und die haben es auch geschafft! Also reiß dich zusammen! Du hilfst niemanden wenn du dich so reinsteigerst, die Situation ändert sich dadurch nicht.“
    Katharina hatte mit einer sehr sanften und verständnissvollen Stimme gesprochen, und irgendwie schien es sogar einleuchtend was sie sagte.


    „Hör mal, ich muss langsam wieder los. In deiner Verfassung brauchen wir sowieso nicht zum shoppen losziehen, nicht daß du noch auf nen Kleiderständer kotzt. Ich werd' zu hause nochmal meine Bewerbung überarbeiten, ich wünsche mir wirklich daß das klappt. Kann ich dir die Unterlagen später mailen, damit du sie dir durchsiehst?“


    „Ja, klar.“ Ich begleitete sie noch zur Tür. Sie umarmte mich fest und drückte mich. „Sandy, lass dich nicht hängen. Du bist ne tolle Frau. Wenn er sich nicht meldet, dann höchstens weil ihm das mit seiner Familie immer noch peinlich ist. Du packst das! Denk immer dran: Cuck Norris hätte dem Typen nen ordentlichen Roundhousekick in den ***** verpasst.“


    Ich verabschiedete mich von ihr und ging grinsend wieder zurück ins Haus.


    Den restlichen Abend verbrachte ich mit abspülen und damit, mein Chaos wieder zu beseitigen. Ich sang während dem Putzen zu Nek der im CD-Player spielte und versuchte mir Katharinas Worte ins Gedächtnis zu rufen.
    Das klappte auch alles wunderbar.... nur gen Abend waren sämtliche Putzeimer wieder weggeräumt und es gab nichts mehr zu tun.
    Die CD war längst verstummt und das einzige Geräusch das durch die Stille hallte war das stetige Ticken der Uhr, das mit jedem mal eine weitere Sekunde einläutete in der er nicht anrief.


    Aufgabe 5
    „Was hältst du davon wenn wir nochmal ins Wasser gehen?“
    Ranjids Stimme drang in mein Bewusstsein, das gerade dabei war ins Reich der Träume abzudriften. Ich streckte und räkelte meinen verschwitzten Körper auf dem Liegestuhl und bohrte meine aufgeheizten Füße in den kühlen Sand. Am strahlend blauen Himmel zogen ein paar Möwen kreischend über die Küste hinweg.
    „Hmmm, ja, wär' schon 'ne Idee. Aber eigentlich ist es doch viel zu viel Aufwand aufzustehen und vor zu laufen.“
    „Ha! Nix da!“ rief er, zog mich hoch und schleifte mich ans Meer. Es folgte ein kurzer, spielerischer Kampf, bis wir dann beide in die kühlen Fluten sprangen und ein Stück hinaus schwammen.


    Wir waren schon fünf Tage hier und verbrachten unsere Ferien am Strand von - -. Das Haus gehörte Bekannten von mir, die es uns freundlicherweise überlassen hatten und somit waren wir völlig ungestört von irgendwelchen Touristen oder Hotelpersonal. Wir verbrachten unsere Zeit mit Sonnenbaden, Grillen, Wasserschlachten und Sandburgenbau, stundenlangen Gesprächen auf der wunderschönen Terrasse am Strand ....


    und hatten auch nach Sonnenuntergang noch viel Spaß.


    Ranjid hatte sich letztendlich doch gemeldet, vier Tage nach meinem letzten Tagebucheintrag. Er hatte sich wortreich entschuldigt, mir Rosen geschickt und mir bei einem wunderschönen Candellightdinner (diesmal wirklich alleine!) erklärt, daß er die Zeit gebraucht hatte um sich darüber klar zu werden, wie es mit seiner Beziehung zu mir und der zu seiner Familie weitergehen sollte. Denn diese hatte ihm noch einmal klar gemacht, was schon bei diesem katastrophalen Abendessen abzusehen war: Ich war als künftige Partnerin ihres Sohns absolut inaktzeptabel. Da er weder mit seiner Familie brechen noch den Kontakt zu mir abbrechen wollte, blieb uns nichts anderes übrig als unsere Beziehung mit viel Bedacht in den Alltag zu integrieren und vorsichtig um seine Familie herumzuarbeiten, ohne daß die etwas davon mitbekamen.


    Naja, komische Geschichte. Man sollte meinen es würde dem ganzen etwas verbotenes, verruchtes geben, als würde man sich wieder wie 16 fühlen, aber letztendlich war es auf Dauer doch nur sehr anstrengend.
    Anstrengend war auch, daß Katharina tatsächlich den Job im Archiv der Polizei bekommen hatte und wir jetzt alle drei den gleichen Arbeitsplatz hatten. Natürlich war es lustig miteinander die Mittagspause zu verbringen und spontan nach der Arbeit noch zusammen Abendessen zu gehen, aber zwischen Katharina und Ranjid schien sich keine richtige Freundschaft zu entwickeln. Ein ums andere Mal kam ich mir vor, wie die einzige Person in unserer kleinen Dreiergruppe, die sich um ein harmonisches Miteinander zu bemühen versuchte, während die anderen beiden sich immer mehr aus dem Weg gingen. Dabei hätte ich mir so sehr gewünscht, daß sich mein Freund und meine beste Freundin gut miteinander verstehen.


    Nach unseren Ausflug in die wilden Fluten war ich in die Küche geschlendert um etwas Obstsalat als leichtes Mittagessen zuzubereiten. Auf dem Weg zurück zur Terrasse sah ich im Vorbeigehen durch das Fenster Ranjid und stutzte.


    Das Bild das sich mir bot wollte nicht so in die Stimmung passen, die sich durch unsere Ferienwoche gezogen hatte. Ranjid saß grübelnd, die Stirn in Falten gelegt am Strand und blickte hinaus aufs Meer.
    http://img132.imageshack.us/my.php?image=nachdenkliches5.jpg


    Ich überlegte kurz, entschloss mich aber, nachdem er beim Essen wieder wie gewohnt war, ihn nicht darauf anzusprechen. Einerseits weil ich wusste daß er früher oder später sowieso damit zu mir kommen würde, andererseits weil ich respektierte, daß er jetzt nicht mit mir darüber sprechen wollte.


    Als wir jedoch am Abend wie immer im Wohnzimmer vor dem offenen Kamin auf der riesigen Sofalandschaft zusammengekuschelt lagen, überkam es mich doch. Der Gedanke hatte mich den ganzen Nachmittag nicht mehr losgelassen und auch jetzt wirkte er weniger ausgelassen und mehr abwesend als sonst. Ich kuschelte mich ein wenige tiefer in seine Armbeuge und zog die Beine an „Sag mal, Schatz, was war eigentlich heute Mittag? Ich hab dich durchs Küchenfenster bei deiner Grübel-Meditation beobachtet. Was ist mit dir los? Und sag jetzt nicht „nix“!“ Es verstrich einige Zeit, und ich wollte ihn schon fragen ob er mir überhaupt zugehört hatte da er immer noch ins Feuer sah, als er mir endlich antwortete: „Weißt du, Sandy“ begann er, ohne den Blick von den Flammen zu wenden „ich genieße diesen Urlaub...“ „Ja, aber....“ „Nein, lass mich ausreden. Ich genieße diesen Urlaub sehr. Die gemeinsame Zeit mit dir, den ganzen Tag zusammensein und so kleine Alltagsrituale wie zusammen kochen, einkaufen, abends nebeneinander sitzen und lesen.... das sind so einfache Dinge. Aber jede einzelne Minute davon macht mich glücklicher als es jedes Candellightdinner könnte. Ich bin dieses ewige Davonlaufen, diese ewigen Lügen vor meiner Familie so müde. Ich will mich nicht länger den Regeln einer Kultur beugen, die nicht meine ist. Mit der mich nicht mehr verbindet als meine Hautfarbe und mein Name. Das ist nicht mein Leben. Du bist es. Du bist das schönste in meinem Leben. Und das will ich nicht länger verstecken wie ein schmutziges Geheimnis.“


    Endlich sah er mich an, und ich sah das Feuer in seinen Augen glitzern.
    Und dann tat ich, was mich selbst überraschte:
    „Heirate mich. Heirate mich, Ranjid. Ich liebe dich so sehr, und ich will mehr als eine Woche Urlaub mit dir zusammen. Fünf Tage sind ein halbes Leben zu kurz.“


    Ihn hingegen schien es nicht überrascht zu haben, denn er kniete sich vor mich hin, zog einen wunderschönen Brilliantring aus seiner Tasche und sagte „Ja, Sandy, ich will dich heiraten!“
    Ich strahlte ihn und den Ring abwechselnd an, vollkommen paralysiert vor Glück und Überraschung. Doch ich erwachte schnell aus meiner Trance, als er mich zu sich hinabzog, sacht eine Strähne aus meinem Gesicht strich, über meine Wange und durch mein Haar strich und mich dann küsste, und küsste, und küsste und küsste .....


    Aufgabe 6
    Endlich war es soweit. Ein wunderschöner Sommertag, der Tag an dem ich Ranjids Frau werden sollte und Ranjid mein Mann, der schönste Tag in meinem Leben, so zumindest die Theorie.


    Die Praxis sah so aus, daß es bis hier her ein einziger Kampf war. Wie bereits erwartet hatte sich Ranjids Familie gegen die Hochzeit mit mir gestellt. Die Wochen vor der Hochzeit waren ein einziges Gerangel, ein ewiges hin und her, begleitet von nächtlichen Drohanrufen der Großmutter, tränenreichen Entschuldigungen von Ranjid und seiner Schwester Kajol, die neben ihrer jungen Tochter wohl die einzige der Familie war, die mir keine Seuchen und Wundfieber an den Hals wünschte.


    Und nicht nur seine Familie übte sich in Unmut, nein, auch meine Eltern, bzw. meine Mutter. Sie war äußerst ungehalten darüber, daß sie erst eine Woche vor der Hochzeit anreisen konnte und ich bereits mit Katharina mein Hochzeitskleid ausgesucht hatte. „Ein Hochzeitskleid das nicht von Vera Wang ist, verdient diese Bezeichnung eigentlich gar nicht!“ war ihre Ansicht. Außerdem bestand sie darauf daß ich einen bodenlangen Schleier trug („um die ganzen bunten Tätowierungen zu kaschieren“) und die Perlen meiner Großmutter an den Ohren. Für das Braut-make-up hatte sie sich mehrere Skizzen eines MAC-Make-up artists aus London schicken lassen.
    Und obwohl sie es schaffte, außer bei dem Kleid mir ihren gesammelten Vorschläge aufzudrängen, stand sie am Hochzeitsmorgen in meinem Schlafzimmer prüfend vor mir und schüttelte den Kopf.
    „Nein, also wirklich, wenigstens eine Schärpe. Oder Abendhandschuhe.“ Sie seufzte. „Ich geh nach unten und hol die Manolos, die ich für dich besorgt habe. Wenigstens ein wenig Stil solltest du an deinem großen Tag haben.“
    Ich sah meinen Vater verzweifelt an, der auf einem Hocker hinter mir saß. „Ich krieg eh schon kalte Füße. Aber sie verwandelt sie zu Eisbein und reicht Sauerkraut dazu! Ich fühle mich schrecklich.“ Er lächelte mich aufmunternd an und klopfte mir auf die Schulter. „Du siehst wundervoll aus, mein Schatz. Denk dir nichts, du weißt wie Elaine ist.“


    Das war wahr. Ich wusste wieso meine Mutter so war.
    Elaine war die klassische Tochter reicher Großstädter. Privatschule, Perlenkette, Country Clubs, das war ihre Welt. Bis sie Pete kennenlernte und sich unsterblich in ihn verliebte. Mein Vater war und ist Tätowierer und hatte mit einer kleinen aber exklusiven Ladenkette, einem Großhandel für Piercingschmuck sowie revolutionären Fortschritten im Bereich Hygiene, Cuting und Implantaten den Namen „Wildcat“ zu einer unvergleichlichen Größe der Szene gemacht (www.wildcat.de) . Er zog mit ihr in die Wüste nach Merkwürdighausen und die ersten Jahre verliefen auch prächtig. Doch meine Mutter war eben tief in ihrem Inneren eine Großstadtpflanze und so wurde ihr immer noch schönes, klassisches Gesicht immer härter, während sie versuchte die Wüstenbewohner von Country Clubs und Lauchpastetchen zu überzeugen.
    Das waren meine Eltern. Der coole Pete, immer in Flip Flops, langhaarig und volltätowiert und die kühle, zugeknöpfte Elaine, die Pete dennoch abgöttisch liebte. Und so wurde aus mir ein Kind mit übermäßig vielen Tätowierungen, einem gesunden Interesse für Verbrechen und einer Vorliebe für viel zu teure Schuhe von Cloè.
    Ganz ehrlich: Meine Eltern waren zwar merkwürdig, aber sie waren es, die mir jeden Tag die Hoffnung gaben, dieses Drama durchzustehen.


    Die Trauung fand auf einer mit Blumen übersäten Wiese gegenüber meines Hauses statt. Es war wunderschön.
    Überall Blumen, ein kleiner Teich, die Stühle der Gäste waren mit einem weißen, fließenden Baldachin aus Gaze überspannt und der Hochzeitsbogen mit weißen Rosen stand auf einem erhöhten Podest unter einer alten Weide.
    Als ich von dort aus verstohlen während der Zeremonie die Gäste überblickte, meine Freunde, Kollegen und Verwandten, Katharina, meine Trauzeugin (die merkwürdigerweise ein doch sehr tief ausgeschnittenes Kleid trug) Ranjid, neben mir in einem tollen Leinenanzug.... endlich waren alle versammelt. Ich stand hier, in einem Wahnsinnskleid inmitten dieser Blumenpracht und die warme Sommersonne, die durch die Weide Lichterspiele auf meine nackten Schultern zauberte, neben mir der Mann den ich über alles liebte.... , nun wusste ich was das Wort „Glückseligkeit“ bedeutete.
    Ich war glücklich. So sehr, daß ich tanzen und lachen und dabei Ranjid an der Hand und in den Arm nehmen wollte. Endlich war alles so, wie es sein sollte. Endlich war alles gut.


    Nach der Trauung begann ein lockerer Umtrunk auf dem selben Gelände und ich wurde von so vielen Bekannten in Beschlag genommen, daß ich Ranjid irgendwann aus den Augen verloren hatte. Ich nahm mir vor ihn suchen zu gehen und mir vorher noch schnell ein Blasenpflaster aus dem Bad zu holen. Mamas Schuhe waren zwar toll, aber leider sehr unbequem. Ich hüpfte barfuß und leise singend die Holztreppe hoch und ging auf das Badezimmer im ersten Stock zu.


    Ich war knapp vor der Tür, als ich sie sah. Ich weiß noch, wie oft Ranjid die Glastür im Bad bemängelt hatte.... Meine Wahrnehmung war seltsam verzerrt. Zuerst dachte ich „oh, da ist er ja“. Und dann registrierte mein Bewusstsein, daß etwas an dieser Szene falsch war. Ranjid stand lachend im Bad und in seinen Armen war Katharina. Sie trug nichts als Unterwäsche und High-Heels. Ich weiß noch daß mein erster Gedanke absurderweise war „ich hoffe sie ist nicht in diesen Schuhen übers Parkett im Schlafzimmer gelaufen“. Das ganze dauerte nur zwei Sekunden, doch es kam mir vor wie eine Ewigkeit. Es war, als hätte jemand sämtliche Geräusche abgedreht und mich in ein Vakuum gesetzt, als wäre die Luft plötzlich viel dünner geworden. Ich versuchte mich zu bewegen, doch meine Beine wollten mir nicht mehr gehorchen. Ich musste all meine Kraft aufwenden um mich von der Glastür abzuwenden und stieg wie in Trance wieder die Treppe hinunter, Gänsehaut überzog meine Arme und meine Wangen. Plötzlich hatte ich einen sauren Geschmack im Mund. Ich rannte zur Haustür hinaus und erbrach mich direkt in der Einfahrt neben meinem Pickup. Ich zog mich hoch, auf den Fahrersitz und atmete tief durch. Mein Blick fiel auf den Schlüssel des Strandferienhauses, der immer noch in der Mittelkonsole lag. Ich musste hier weg, sofort. So weit wie möglich. Und dort würde mich so schnell niemand vermuten. Denn ich wollte niemanden sehen, ich wollte mit niemanden sprechen. Einfach weg, raus, denn vielleicht würden dann meine Hände aufhören zu zittern.


    Ich kam gegen fünf Uhr Abends am Strandhaus an. Mit Sicherheit war meine Abwesenheit mittlerweile bemerkt worden, aber ich hatte mein Handy und das Backberry ausgeschalten, ich wollte mit keinem sprechen. Ich fühlte mich im Augenblick so, als könnte ich überhaupt nie mehr mit jemanden sprechen.
    Ich trug immer noch das Brautkleid, nur den Kopfschmuck und den Schleier hatte ich unterwegs abgelegt. Die Vakuumblase bestand immer noch, mein Zeitgefühl war völlig verschwunden. Ich ging barfuß zum Strand und sah aufs Meer hinaus. Das Meer sollte ja immer eine beruhigende und heilende Wirkung haben, vielleicht würde es mir helfen. Der einzige Gedanke der immer und immer wieder, wie auf einer kaputten Schallplatte durch meinen Kopf ging war „Am Tag meiner Hochzeit vögelt er meine beste Freundin. Deshalb waren sie so distanziert. Denn mein Mann und meine beste Freundin haben eine Affäre. In meinem Haus. Vor meinen Augen.“ Mir war bewusst daß ich weinen sollte, daß ich laut aller Liebesromane die ich je gelesen hatte, schluchzend zusammenbrechen sollte. Oder zumindest laut schreien und schimpfen.Vorallem da ich jetzt ungefähr an genau der Stelle stand, an der Ranjid saß als er beschloss mich zu heiraten. Doch ich fühlte mich nur leer, ich sah nur immer diese Szene vor mir und konnte einfach nicht begreifen. Und ich wusste nicht, ob ich es überhaupt wollte.


    Abends, als ich immer noch frierend und zitternd vor dem knisterndem Kamin saß, klingelte mehrfach das Festnetztelefon in die Stille hinein. Um das ewig monotone
    Geräusch zu übertönen ging ich an die Stereoanlage und schob eine beliebige CD in den Player. Und während Bushs Out of this World durch die Räume hallte, traf es mich. Die Erkenntnis kam und traf mich mit voller Wucht, als würde mir ein Baseballschläge mitten ins Gesicht geschlagen. Es war wirklich so. Es war wirklich da. Es würde nie jemand kommen und mir sagen, daß alles wieder gut werden könnte.
    Nichts auf der Welt konnte es jemals wieder gut machen.
    Mir liefen heiße Tränen über das Gesicht und den Hals, ich legte den Kopf in den Nacken und versuchte Luft zu bekommen und schluchze nur noch verzweifelter. Es war alles weg. Er meine Liebe zu ihm verraten, mir meine Freundin genommen. Mich vor jedem der mir etwas bedeutet hatte bloßgestellt. Mein Zuhause beschmutzt und es für mich unmöglich gemacht wieder an meinen Arbeitsplatz zurückzukehren. Ich hatte monatelang gekämpft. Um ihn, um Anerkennung, um mein Leben in dieser neuen Stadt. Ich hatte nichts mehr, absolut nichts. Nichts woran ich mich hätte festhalten könnte, irgendetwas, was mich daran hindern könnte zu fallen. Es war nichts mehr übrig, außer mir selbst.


    Und als die Musik aus war, hörte ich durch mein weinen hindurch ein Geräusch inmitten der Stille der Nacht. Es war sehr leise, und doch übertönte es alles. Es hörte sich an, als würde man sehr dünnes Eis zerbrechen. Es fühlte sich an, als würden feine Glassplitter in meinem Herzen stecken.
    Es war vorbei.