Beiträge von Nikita


    Susan konnte kaum glauben, was sie da hörte. Sagte er das wirklich? Und glaubte er tatsächlich, dass sie – oder sonst jemand – es glauben würde?
    Das Lächeln, das in seinen Augen aufblitzte, beantwortete ihre Frage.
    „Werfen Sie mich raus?“
    „Nein.“ Er streckte die Hand aus und griff nach einem Mont-Blanc-Füller, den er dann zwischen den Fingern umdrehte. „Ich bin ein netter Kerl, Susan. Ich werde Ihnen noch eine Chance geben.“



    „Was soll das heißen?“
    „Das heißt, ich setze Sie auf Bewährung.“
    „Auf Bewährung?“
    „Ich denke, Sie brauchen jetzt ein wenig Zeit, sich das Ganze zu überlegen, zu entscheiden, wie viel Ihnen Ihr Job wirklich bedeutet, ob Sie ihm mit voller Konzentration nachgehen und sozusagen teamfähiger werden können.“
    Sozusagen, wiederholte Susan stumm. „Das können Sie nicht machen“, sagte sie laut.
    „Und ob ich das kann“, sagte er und entließ sie mit einem frischen, fröhlichen Zwitschern. „Das wäre dann alles, Susan. Und machen Sie die Tür hinter sich zu.“



    Das passiert nicht wirklich, dachte Susan, als sie zu ihrem Schreibtisch marschierte. „Wie kannst du es wagen!“, murmelte sie leise. „Wie kannst du es wagen, du Schwein!“
    Was zum Teufel mache ich jetzt?, fragte sie sich, als sie, weder links noch rechts blickend, an der langen Reihe der abgeteilten Büros entlangschritt und auch Carries fragenden Blick ignorierte.



    Sie ließ sich laut auf ihren Stuhl fallen, wobei sie aus Versehen die Papiere neben ihrem Computer anstieß und zusah, wie sie durch die Luft segelten und auf den Boden fielen, als suchten sie Deckung. „Verflucht seist du, Peter Bassett.“ Was sollte sie jetzt tun? Ihre Arbeit war in Ordnung, das wussten sie beide. Es ging nicht um ihre Arbeit, ihre Arbeit war nebensächlich. Es ging darum, dass sie seine Avancen zurückgewiesen hatte. Seine Avancen zurückgewiesen! Wer war sie – eine schöne junge Heldin in einem altmodischen Mantel- und Degenfilm? Nein, sie war eine jämmerliche, übergewichtige Frau mittleren Alters, die sich von den Aufmerksamkeiten eines Bürocasanovas derart hatte einwickeln lassen, dass sie beinahe etwas unglaublich Dummes getan hätte, und jetzt Gefahr lief, deshalb ihren Job zu verlieren.



    Vicki hatte völlig Recht gehabt. In jeder Beziehung.
    Susan nahm den Hörer zur Hand und tippte ihre Nummer. „Ich muss Mrs. Latimer sprechen“, erklärte sie Vickis Sekretärin.
    „Die ist im Moment in einer Besprechung. Kann ich ihr etwas ausrichten?“
    „Es ist dringend. Können Sie ihr sagen, dass ihre Freundin Susan Norman sie sofort sprechen muss? Ich warte so lange, wie es sein muss.“



    Eine halbe Minute später war Vicki in der Leitung. „Susan, wo bist du? Was ist los?“
    „Ich bin bei der Arbeit. Erinnerst du dich noch daran, worüber wir im vergangenen Monat gesprochen haben?“
    „Verdammt“, sagte Vicki langsam. „Du hast doch da geschissen, wo du isst.“


    Das nächste Mal gehts mit Barbara weiter. Ich hoffe, ihr könnt euch noch an sie erinnern ;)
    Liebste Grüße
    Eure Nikita

    Hallo,
    heute geht es weiter. Ein ganz großes Dankeschön an meine Leser :-)
    Thiara - Yepp, ich finde auch, dass sie 100%ig die richtige Entscheidung getroffen hat. Susan ist einfach nicht der Mensch danach, Affären zu haben.
    Sunnivah - Das Wort "sexuelle Belästigung" fällt auf jeden Fall noch. Und das Kompliment würde Susan sicher freuen ;-)
    Bayern Girl - Chaos? Das Wort sagt alles aus... Chaos im Beruf, mit ihrer Tochter Ariel, mit ihrer Mutter... Ich möchte nicht mit Susan tauschen.



    Drei Wochen später klingelte das Telefon auf Susans Schreibtisch.
    „Ich möchte Sie umgehend in meinem Büro sehen“, sagte Peter Bassett. „Bringen Sie den Artikel über Hormonersatztherapie mit, an dem Sie gearbeitet haben.“



    Artikel? Welcher Artikel?, fragte Susan sich und durchwühlte die Papiere auf ihrem Tisch. Er hatte sie die ganzen Wochen über so beschäftigt gehalten, dass sie keine Zeit gehabt hatte, an dem Artikel zu arbeiten. Sie konnte ihm höchstens ein paar erste Notizen zeigen, bestenfalls ein Exposé. Wo waren die Sachen bloß?



    Das Telefon klingelte erneut.
    „Wenn ich sage umgehend“, knurrte Peter Bassett, „meine ich nicht, wann immer es Ihnen passt.“
    „Ich bin schon unterwegs.“ Susan hustete nervös in ihre Hand.
    „Sie werden doch nicht schon wieder krank, oder?“
    „Krank?“ Schon wieder? Wann war sie zum letzten Mal krank gewesen?
    „Bringen Sie mir einfach den Artikel.“



    Schließlich fand Susan unter einem Stapel anderer Zettel ein einzelnes Blatt mit Notizen, die sie noch einmal kurz überflog, bevor sie sich auf den Weg zu Peter Bassett machte.
    „Lassen Sie mal sehen, was Sie haben“, sagte der ungeduldig, als sie sein Büro betrat.
    Seinen Blick sorgsam meidend, reichte Susan ihm das einzelne Blatt. Jedes Mal wenn sie ihn ansah, wurde ihr richtig übel. War sie völlig von Sinnen gewesen?



    „Was zum Teufel ist das?“, fragte Peter so laut, dass man ihn in der näheren Nachbarschaft problemlos verstehen konnte.
    Susan spürte ein warmes Kribbeln, das wie eine Ameisenarmee von ihrem Hals an aufwärts wanderte. „Das ist alles, was ich im Moment habe.“
    „Nennen Sie das eine zufrieden stellende Arbeit?“
    „Ich nenne es ein Exposé, erste Notizen…“
    „Ist Ihnen bewusst, dass der Artikel Ende der Woche fällig ist?“



    „Was? Nein, natürlich nicht. Wir haben nie über einen Abgabetermin gesprochen.“
    „Ich möchte, dass der Artikel bis Freitagmorgen fertig auf meinem Schreibtisch liegt.“
    „Aber das ist unmöglich. Sie haben mir bereits die Redaktion für drei andere Stücke übertragen.“
    „Wollen Sie sagen, Sie schaffen Ihren Job nicht?“
    „Natürlich schaffe ich meinen Job, aber…“



    Peter Bassett lehnte sich lächelnd auf seinem Stuhl zurück. „Hören Sie, Susan, ich habe versucht, geduldig zu sein.“
    „Was?“ Wovon redete er?
    „Ich weiß, dass Sie es zu Hause nicht leicht haben, mit Ihrer Mutter, Ihrer Tochter und was weiß ich noch. Vielleicht ist dieser Job einfach zu viel für Sie.“
    „Was?“
    „Chemotherapie fordert seinen Tribut von jedem. Schauen Sie sich an. Sie sehen gar nicht gut aus. Sie lassen sich gehen, haben wieder zugenommen.“



    Die Worte trafen sie wie eine Ohrfeige. „Was?“ Wie oft hatte sie das jetzt schon gefragt?
    „Ich kann Ihnen nicht unbegrenzt viele Chancen geben.“
    „Wovon reden Sie überhaupt?“
    „Ich weiß, dass Sie Ihren Job lieben. Ihr Enthusiasmus ist bewundernswert. Und ich habe mich wirklich bemüht, Ihnen Ihre Unerfahrenheit nachzusehen.“ Er schüttelte den Kopf. „Aber ich weiß nicht, ob ich Sie weiterhin decken kann.“
    „Mich decken?“
    „Ihre Arbeit entspricht einfach nicht dem Standard unserer Zeitschrift.“


    Sofort gehts weiter..


    „Scharwenzeln an meinem Schreibtisch vorbei. Klimpern mit den Wimpern, wenn Sie außer der Reihe freihaben wollen. Beugen sich über meinen Schreibtisch…“
    „Ich habe mich nicht…“ Oder doch?
    „Spielen die kleine Miss Hilflos, die kleine Miss Deprimiert. Machen sich Sorgen wegen Ihrer Mutter…“
    „Ich mache mir Sorgen wegen meiner Mutter.“
    „Machen Sie sich lieber Sorgen wegen Ihres Jobs.“
    „Was?“



    „Ich mag es nicht, wenn man mit mir spielt.“
    „Ich habe nicht mit Ihnen gespielt.“ Wie war das Ganze auf einmal Ihre Schuld geworden?
    „Ich dachte, Sie mögen mich“, sagte er mit einem leisen Flehen. „Ich dachte, Sie wollten es auch.“
    Susan hörte Getuschel vor der Tür des Konferenzzimmers. „Es tut mir schrecklich Leid“, wiederholte sie.



    Peter riss sich zusammen, ordnete seine Kleidung und strich seine Krawatte glatt. Er betrachtete die Papiere, die bei ihrem Gerangel vom Tisch gefallen waren und jetzt auf dem Boden verstreut lagen. „Heben Sie diesen Mist auf“, sagte er, öffnete die Tür, rauschte davon und ließ sie allein, um das Durcheinander aufzuräumen.


    Soo, das wars fürs Erste.
    Würde mich über viele Kommentare von euch freuen :)
    Ganz liebe Grüße
    Eure
    Nikita


    Susan legte die Papiere wie angewiesen auf dem Tisch aus, als sie hörte, wie hinter ihr die Tür zugezogen und abgeschlossen wurde.
    „Was machen Sie da?“
    „Ich dachte, Sie wollten…“



    „Du weißt, was ich will.“ Er stand plötzlich schwer atmend direkt hinter ihr. Susan spürte, wie sich sein Atem langsam um sie schlang und unsichtbare Samtbänder ihre Arme an den Körper fesselten. „Entspann dich“, flüsterte er, und seine Daumen fanden mit fachmännischem Griff die weichen Muskeln unter ihren Schulterblättern. „Versuch, dich zu entspannen.“ Seine Hände tasteten sich vor und legten sich auf ihre Brüste. Bevor sie protestieren konnte, waren sie bereits zu ihren Schenkeln weitergewandert und zerrten an ihrem Rock. Wollte er wirklich gleich hier mitten im Büro mit ihr schlafen? Und wollte sie das wirklich mitmachen?
    Tu’s nicht, hallte Vickis Stimme in ihrem Ohr.



    „Nicht“, hörte sie sich selbst flüstern, doch es klang selbst in ihren eigenen Ohren wenig überzeugend.
    „Ich möchte dich küssen“, sagte er, drehte sie um, während er mit den Händen weiter unter ihren Rock tastete und an ihrer Strumpfhose zerrte. Sein Mund fand ihren, und seine Zunge drängte sich zwischen ihre Lippen. „Ich möchte dich am ganzen Körper küssen.“
    Oh Scheiße, dachte Susan.
    Sei ein braves Mädchen, ermahnte Vicki sie.
    „Entspann dich“, sagte Peter heiser und nestelte am Reißverschluss seiner Hose.
    Geh nach Hause zu Owen.



    Owen, dachte Susan, und hörte seine Stimme am Telefon, die unschuldig Pläne für Freitagabend machten. Owen, den sie seit ihrer Schulzeit geliebt hatte. Ihre erste Liebe. Ihre einzige Liebe. Der gute, nette, aufmerksame Owen, der sie nie so betrügen würde wie sie in diesem Moment ihn. Hatte sie Männer, die ihre Frauen betrogen, nicht immer verachtet? Denk an Ron, erinnerte sie sich. Denk an die Hölle, die er Barbara zugemutet hat. Wollte sie das für ihre eigene Ehe? Vicki hatte Recht. Sie würde sich am nächsten Morgen hassen. Verdammt, sie hasste sich jetzt schon.



    „Nein“, hörte sie sich sagen. „Nein. Hören Sie auf.“ Susan wollte ihr Gesicht abwenden, doch Peter hing mit seinen Lippen störrisch an ihren. „Aufhören“, wiederholte sie und spuckte das Wort förmlich aus den Mundwinkel, weil es sonst keinen Raum hatte zu entweichen, doch er hörte noch immer nicht auf. Sie packte seine Hände und versuchte, sie wegzustoßen, doch er hielt sie fest. Wollte er sie zwingen zu schreien, bis er aufhörte?



    „Nein, hören Sie auf“, flehte Susan, schaffte es, sich loszureißen und ihn auf eine Armlänge Abstand zu halten.
    „Was ist los?“ Er sah sie verwirrt an und verzog den Mund.
    „Ich kann das nicht.“
    „Klar, kannst du.“ Wieder waren seine Hände überall, in ihren Haaren, auf ihren Brüsten und am Saum ihres Rockes. „Niemand wird reinkommen.“
    „Darum geht es nicht.“
    „Worum denn?“
    „Ich kann es einfach nicht.“ Susan stieß ihn mit solcher Wucht zurück, dass Peter das Gleichgewicht verlor und gegen die Tischkante knallte.



    Er starrte sie aus eiskalten Augen an. „Was für ein verdammtes Spiel spielen Sie, meine Dame?“
    „Es tut mir so Leid“, entschuldigte Susan sich und versuchte hektisch, ihre Kleidung zu ordnen. „Ich wollte nicht, dass es so weit kommt. Können wir nicht einfach vergessen, dass das Ganze passiert ist?“
    „Vergessen? Seit Monaten führen Sie mich an der Nase herum, und jetzt wollen Sie plötzlich alles vergessen?“
    „Es tut mir Leid.“


    Geht noch weiter..


    Nun hatte sie also einen Universitätsabschluss. Na toll. Konnte der etwa den unbarmherzig fortschreitenden Krebs ihrer Mutter aufhalten? Konnte er ihre ältere Tochter dazu bewegen, sie zu lieben? Konnte er sie davor bewahren, den größten Fehler ihres Lebens zu machen? Schade, dass an der Uni kein gesunder Menschenverstand gelehrt wurde, dachte sie, als das Telefon klingelte.



    „Hallo, Schatz“, hörte sie Owen sagen. „Erwische ich dich zu einem schlechten Zeitpunkt?“
    „Ist alles in Ordnung?“
    „Alles in Ordnung.“ Susan konnte sich sein gütiges Lächeln vorstellen. „Ed Frysinger hat gerade angerufen und gefragt, ob wir am Freitagabend Zeit haben, zum Essen zu kommen. Ich habe gesagt, ich würde dich fragen und mich wieder melden.“
    „Freitag klingt gut.“



    „Super. Dann sage ich ihm Bescheid.“
    „Okay, also bis später.“
    „Ich liebe dich.“
    „Ich liebe dich auch.“ Susan legte auf und vergrub den Kopf in den Händen.
    Das Telefon klingelte erneut.
    „Ich muss Sie sprechen“, knurrte Peter Bassett ihr ins Ohr. „Sofort“, fügte er hinzu, und dann war die Leitung tot.



    Susan stand zögernd auf und warf Carrie im Vorbeigehen ein dünnes Lächeln zu. Bevor sie das Ende des schmalen Korridors erreichte, zog sie den Stoff vom Ausschnitt etwas höher. Dann atmete sie erneut tief ein – das hatte sie mittlerweile so oft getan, dass ihr regelrecht schwindelig war -, straffte die Schultern und schritt auf Peter Bassetts Büro zu.



    Die Tür stand schon offen. Peter saß an seinem Schreibtisch und war scheinbar in irgendeine Lektüre vertieft. „Machen Sie die Tür zu“, wies er sie an, ohne aufzublicken, als hätte er keine Zeit für lange Vorreden.
    Susan räusperte sich, schloss die Tür und spürte, wie ihr Herz schneller schlug. Sei nicht albern, ermahnte sie sich und zwang sich, ihren Vorgesetzten direkt anzusehen, obwohl der sie weiterhin ignorierte. Es gab keinen Grund zur Sorge. Nichts würde passieren. Nicht mitten am helllichten Nachmittag in einem von neugierigen Kollegen umringten Büro mit Glaswänden.



    „Sie machen mich verrückt, wissen Sie das?“, fragte er, sah sie jedoch weiterhin nicht an.
    Susans Atem stockte. Oh Gott, dachte sie und spürte das mittlerweile vertraute Kribbeln zwischen den Beinen.
    „Ich sitze hier schon den ganzen Tag und versuche zu arbeiten und kriege nichts erledigt, weil ich ständig an Sie denken muss.“ Er hob den Kopf und sah sie direkt an.
    Er ist nicht einmal besonders attraktiv, versuchte Susan sich einzureden. Er ist zu dünn und irgendwie vogelartig. Owen sieht eigentlich viel besser, freundlicher aus.



    Aber wann hatte Owen sie zum letzten Mal mit derart nackter Lust angesehen? Nackt, wiederholte Susan stumm und verfluchte ihren hyperaktiven Verstand.
    Peter Bassett sprang unvermittelt auf und drückte ihr einen Stapel Papiere in die Hand. „Folgen Sie mir“, befahl er und war aus der Tür, bevor sie fragen konnte, warum.



    Sie wusste, wohin sie gingen, noch bevor er ins Konferenzzimmer abbog. Bitte lass es besetzt sein, betete sie und wartete, während Peter anklopfte und die Tür öffnete. „Die Luft ist rein“, flüsterte er lachend und sagte dann so laut, dass alle in der Nähe es hören konnten: „Breiten Sie die Papiere einfach auf dem Tisch aus.“


    Sofort geht's weiter..

    Hallo meine Lieben :-)
    Sorry, sorry, sorry, dass ich sooo lange nicht weitergemacht habe. War mitten im Abschluss, den ich jetzt aber mit einem Schnitt von 2,0 in der Tasche hab.
    Ein ganz rieeeeeesengroßes Dankeschön geht an alle meine Leser und Kommentierer. Daselbe geht auch an alle, die mir PN's geschrieben und Karma gespendet haben. Danke! Hab mich wirklich sehr darüber gefreut.
    Und jetzt gehts auch endlich weiter und ich hab mir gedacht, diesen Teil widme ich Sunnivah, weil sie mich duch ihre PN wieder ermuntert hat, weiterzuschreiben.
    Es geht weiter mit Susan



    „Susan, ich hätte Sie gern in meinem Büro gesprochen, wenn Sie eine Minute Zeit haben“, sagte Peter Bassett, als er an ihrem Schreibtisch vorbeischlenderte.
    Susan nickte stumm, obwohl er bereits weg war. Er erwartet, dass du ihm folgst, dachte sie, unfähig, sich zu rühren. Sie hatte ihn die ganze Woche gemieden und darauf geachtet, dass sie nie allein waren, dass sie um neun ins Büro kam und um Punkt fünf wieder ging und in dieser Zeit immer unglaublich beschäftigt war. Keine Zeit für Mittagessen, Kaffeepausen oder heimliche Küsse in abgeschlossenen Konferenzzimmern. Oh Gott, was war bloß mit ihr los? Sie musste diese Gedanken verdrängen.



    Susan wand sich auf ihrem Stuhl hin und her und starrte auf die Arbeit, die sich auf ihrem Schreibtisch stapelte. Wann hatte sie zuletzt seine zerkratzte Eichenholzplatte gesehen? Er sah schon fast aus wie der Fußboden in Ariels Zimmer. Es war einfach zu viel Kram und kein Platz, ihn zu verstauen, genau wie Ariel regelmäßig – und lautstark – behauptete. Vielleicht war sie ihrer älteren Tochter gegenüber zu unnachgiebig gewesen. Vielleicht sollte sie genauer darauf achten, was sie sagte. Brüllte, korrigierte Susan sich sofort und dachte, dass Peter die ganze Zeit auf sie wartete, sie möglicherweise sogar aus seinem Büro am Ende des Flures beobachtete.



    Vielleicht schreit Ariel dauernd, weil sie denkt, dass ich sie nicht höre, erkannte Susan.
    Vielleicht hat sie sogar Recht.
    Susan verdrehte die Augen, und ihr Blick fiel auf eine Spinne, die langsam über den oberen Rand des Raumteilers krabbelte, der ihren Arbeitsplatz von dem nächsten trennte. Es war eines jener täuschend zierlich aussehenden Exemplare, die Beine wie feine Silberfäden, die in abenteuerlichen Winkeln aus ihrem schwarzen, punktgroßen Körper ragten. Wie kommt es, dass sie nicht einfach einknicken?, fragte Susan sich, als sie den müßigen Weg des Insekts über die Trennwand verfolgte und sich vorstellte, wie eine Reihe winziger Muskeln die Spinne antrieben. Hatten Spinnen Gehirne, Gedanken und Gefühle?



    „Du entwickelst dich langsam auf den Bewusstseinsstand einer pubertierenden Schülerin zurück“, murmelte sie, während die Spinne auf der anderen Seite der Trennwand verschwand. Susan erkannte, dass sie versuchte, Zeit zu schinden. Was saß sie hier rum und sinnierte über das geheime Leben der Spinnen, während sie längst auf dem Weg in Peter Bassetts Büro sein sollte? „Kommen Sie in mein Büro, sagte die Spinne zu der Fliege“, murmelte sie.



    „Verzeihung“, ertönte eine Stimme vom Nachbarschreibtisch. „Hast du etwas gesagt?“
    Susan schüttelte den Kopf, bevor ihr klar wurde, dass Carrie sie nicht sehen konnte. „Nein. Tut mir Leid.“
    Carrie steckte ihren Kopf um die Ecke. Sie war fünfundzwanzig, bereits zweimal geschieden, und sah wegen eines Augenfehlers aus, als würde sie leicht schielen. „Alles in Ordnung?
    „Ja.“
    „Der große Mann auf dem Kriegspfad?“



    „Nichts, womit ich nicht umgehen könnte“, sagte Susan und fragte sich, ob das stimmte. „Achte auf die Spinne“, warnte sie, als Carrie sich an den Raumteiler lehnte.
    Ohne ihre Haltung zu ändern, hob Carrie den Arm und schlug mit der flachen Hand auf die Trennwand, sodass sie heftig hin und her schwankte. Dann öffnete sie stolz ihre Hand, deren Innenseiten von den Überresten der Spinne verziert war wie von einer Tätowierung. „Du auch“, sagte sie und war verschwunden.



    Susan atmete tief ein und versuchte, ein irrationales Gefühl der Empörung zu unterdrücken. Eben hatte das arme Vieh noch gelebt, und eine Sekunde später war es tot, bis zur Unkenntlichkeit zerquetscht, dachte Susan melodramatisch und staunte über die Achtlosigkeit der Jugend. Haben sie denn keine Ahnung, wie kostbar das Leben ist? Hatte sie selbst in Carries Alter eine Ahnung davon gehabt?
    Außerdem brachte es Unglück, eine Spinne zu töten. Wenn man eine Spinne tötete, gab es Regen, hatte ihre Mutter immer gesagt.



    Susan blickte zu der Wand mit Fenstern, sah die schweren, dunklen Wolken, die sich auf einer Seite des Himmels zusammengeballt hatten, und spürte bereits, wie sie dräuend näher kamen. Die Natur als Spiegel des menschlichen Bewusstseins, fiel Susan eine Phrase aus einem ihrer Literaturseminare ein. Vermenschlichung der Natur, lautete der Fachbegriff, wenn sie sich recht erinnerte. Ihre Jahre an der Universität begannen bereits zu verschwimmen und ineinander zu fließen. Sie hatte schon so vieles vergessen. Und sie begann sich zu fragen: Welchen Sinn hatte es gehabt?


    Geht sofort weiter..


    „Ich wollte dich nicht beleidigen.“
    „Mich beleidigen? Wer hat irgendwas von beleidigen gesagt? Ich fühle mich geschmeichelt, verdammt noch mal.“
    „Ich brauche bloß einen Rat.“
    „Ich glaube, du willst mehr.“
    „Was?“
    „Ich glaube, du willst eine Erlaubnis.“
    „Eine Erlaubnis?“
    „Und ich werde sie dir nicht geben“, erklärte Vicki mit fester Stimme. „Du kannst keine Affäre haben. Okay? Geh nach Hause zu Owen. Sei ein braves Mädchen.“


    „Verdammt!“, rief Susan und sprang auf. „Verdammt. Ich habe es satt, ein braves Mädchen zu sein. Ich bin mein ganzes Leben lang ein braves Mädchen gewesen.“
    „Deswegen ist es auch zu spät, jetzt noch etwas daran zu ändern. Glaub mir, du willst das lieber sein lassen.“
    „Will ich das?“



    „Ja. Du sehnst dich nach einer kleinen Romanze wie auf der High-School. Du möchtest Händchen halten, lange Spaziergänge machen und vielleicht in einem geparkten Auto ein bisschen rumfummeln, bevor du dich verabschiedest. Ich kenne dich, Susan. Du möchtest weiche Küsse, keine harten Schwänze. Es würde dir beschissen dabei gehen. Du würdest dich am nächsten Morgen hassen. Und du wärst dermaßen von Schuldgefühlen gepeinigt, dass du deinem Mann wahrscheinlich alles gestehen würdest, was das Ende deiner Ehe bedeuten könnte, dabei ist es einer der guten, weshalb ich nicht zulassen werde, dass du irgendwas machst, was sie ruiniert.“



    Susan schüttelte lächelnd den Kopf. Was gab es sonst noch zu sagen? Vicki hatte Recht. Sie wussten es beide. „Manchmal verblüffst du mich wirklich.“
    „Manchmal verblüffe ich mich selbst. Und jetzt raus hier, damit ich die Leute verblüffen kann, die mich dafür bezahlen. Und mach keine Dummheiten“, fügte sie noch hinzu, als Susan die Bürotür erreicht hatte. „Du bist meine Heldin. Vergiss das nicht.“
    Susan blieb stehen und drehte sich um. In ihren Augen standen Tränen der Dankbarkeit. „Und du meine.“


    Bin gespannt auf eure Kommentare, die hoffentlich zahlreich erscheinen werden :)
    Liebste Grüße
    Eure Nikita


    „Nein. Natürlich nicht“, erwiderte Susan rasch.
    „Natürlich nicht“, wiederholte Vicki in dem Bemühen, sich durch die Schwindel erregenden Wendungen des Gespräches zu navigieren. Susan saß jetzt seit zehn Minuten in ihrem Büro, und sie hatte noch immer keine Ahnung, warum sie hier war und wovon sie redete. „Das verstehe ich nicht.“
    „Ich brauche einen Rat.“
    „Ich brauche ein paar Informationen.“
    „Tut mir Leid. Das alles ist sehr schwierig für mich.“



    „Lass dir Zeit“, sagte Vicki und warf erneut einen verstohlenen Blick auf ihre Uhr. Um Viertel vor neun erwartete sie einen Mandanten, aber das hier war einfach zu gut. Notfalls musste ihr Mandant eben warten.
    „Es gibt also diesen Mann…“
    „Bei der Arbeit?“
    „Nein!“
    „Gut“, sagte Vicki, nicht restlos überzeugt. Susans Dementi war ein wenig zu schnell und einen Hauch zu emphatisch gekommen. „Es ist nie gut, wenn man scheißt, wo man isst.“
    „Verzeihung?“



    „Jeremy sagt immer: ‚Man soll nie da scheißen, wo man isst’“, sagte Vicki und verdrängte Gedanken an den nackten Michael Rose. „Es bedeutet -“
    „Dienst und Vergnügen passen nicht zusammen.“
    „Genau. Also, wo hast du diesen Mann getroffen?“
    Susan zögerte. „Ist das wichtig?“
    „Ich glaube nicht.“
    „Okay. Was ist dann wichtig?“
    „Ich weiß nicht, was du meinst.“



    Vicki warf verzweifelt die Hände in die Luft. „Susan, irgendwann musst du mir irgendwas erzählen.“
    „Es gibt einen Mann, zu dem ich mich sehr hingezogen fühle.“
    „Okay.“
    „Und ich weiß nicht, was ich deswegen machen soll.“
    „Was willst du denn machen?“
    „Ich weiß es nicht.“
    „Ich glaube, das weißt du wohl.“



    Susan verschränkte ihre Hände auf ihrem Schoß. „Ich liebe meinen Mann.“
    „Das hat nichts mit deinem Mann zu tun.“
    „Nicht?“
    „Es sei denn, du bist in diesen anderen Mann verliebt. Bist du in ihn verliebt?“
    „Gütiger Gott, nein! Ich bin mir nicht einmal sicher, ob ich ihn mag.“



    Vicki hätte beinahe gelacht. Manchmal konnte Susan wirklich naiv sein. „Okay, du hast also einen Typen getroffen, zu dem du dich hingezogen fühlst. Du willst mit ihm schlafen. Ist es das?“
    „Ich weiß nicht, ob ich mit ihm schlafen will. Ich weiß nicht, was ich will. Es ist bloß…“
    „Du bist schon sehr lange verheiratet“, sagte Vicki, Susans Satz für sie beendend.“
    „Ja.“
    „Und es ist nicht mehr so aufregend wie früher.“
    „Nicht, dass Owen sich keine Mühe geben würde.“



    „Aber dieser Typ gibt dir ein besonderes Gefühl. Er hängt an deinen Lippen, und wenn er dich ansieht, kriegst du weiche Knie.“
    „So hat mich noch nie jemand angesehen.“
    „Tu’s nicht“, sagte Vicki und überraschte sich damit selbst noch mehr als Susan. Eigentlich hatte sie ihrer Freundin raten wollen, es zu machen, einfach loszulassen und ein bisschen Spaß zu haben. Sich dem Club anzuschließen. Doch stattdessen hatte sie das genaue Gegenteil gesagt.
    „Was?“
    „Tu’s nicht.“ Mein Gott, sie hatte es noch einmal gesagt. Was war mit ihr los?
    „Warum? Ich habe gedacht, du würdest mir erklären…“
    „Dass es okay ist? Das ist es auch. Für manche Menschen.“
    „Aber nicht für mich?“
    „Nicht für dich.“



    Susan sah aus, als wüsste sie nicht, ob sie lachen oder weinen sollte. Also tat sie beides.
    „Guck dich doch an. Du weinst schon, obwohl du noch gar nichts gemacht hast. Oder?“, fragte Vicki nur zur Sicherheit nach.
    „Wir haben uns geküsst.“
    „Das ist alles? Bist du ganz sicher?“
    Susan nickte.
    „Okay, du hast also einen Typen geküsst, der nicht Owen ist, und du hast so ein kribbeliges Gefühl am ganzen Körper bekommen und darüber nachgedacht, dass du vielleicht mehr machen möchtest, also bist du zu der führenden Expertin für ehebrecherische Beziehungen gekommen…“


    Noch ein Teil...

    Huhu, heute gehts weiter :-)
    Sunnivah - Ui, ich liebe deine langen Kommentare *smile* Ich denke, der Grund warum sie das alles über sich ergehen lässt, ist der, dass sie sich bestätigt fühlen will. Worin auch immer...
    DawnAngel - Du hast in allen Punkten Recht ;-)
    Bayern Girl - *gg* Na so schlecht ist dieser Fang auch wieder nicht. Immerhin ein Assistent des Chefstaatsanwalts. Auch wenn der Charakter mies ist, Geld hat er bestimmt *lol*



    „Okay, wo liegt das Problem?“ Vicki setzte sich, einen Becher heißen Kaffee in der Hand, hinter ihren Schreibtisch und sah ihre Freundin, die frisch nachgezogenen Brauen fragend hochgezogen, direkt an. Sie hatte sich gerade noch schminken können, bevor Susan zehn Minuten zu früh in der Kanzlei eingetroffen war. Susan lächelte, wirkte jedoch äußerst verlegen, was für Susan, die sich in ihrer Haut stets wohl zu fühlen schien, ungewöhnlich war. Sie rutschte unruhig auf ihrem Stuhl hin und her, blickte vom Fenster in ihren Schoß und zurück zum Fenster, ohne den Kaffee zu beachten, der vor ihr auf dem Schreibtisch stand. Es fiel ihr offensichtlich schwer auszusprechen, weswegen sie hergekommen war.



    Ihr Haar fiel in sanften Wellen in ihr Gesicht. Das ist einer der Vorteile, wenn man übergewichtig ist, dachte Vicki. Das Gesicht wirkte voller, und um Augen und Mund sammelten sich weniger verräterische Fältchen. Vicki bemerkte, dass in Susans Augen ein untypisches Funkeln lag. Verblüfft stellte Vicki fest, dass ihre Freundin förmlich strahlte. „Du bist doch nicht etwa schwanger, oder?“, platzte sie heraus.
    „Bist du verrückt?“, erwiderte Susan atemlos.



    Vicki lachte erleichtert. „Also, was ist los? Wo liegt das Problem?“
    „Im Grunde gibt es gar kein Problem.“
    „Deswegen musstest du mich auch gleich als Erstes am Morgen in meiner Kanzlei treffen.“
    „Ich dachte, so hätten wir ein wenig mehr Privatsphäre.“
    „Und die brauchen wir, weil…?“
    „Ich weiß nicht so recht, wo ich anfangen soll.“



    Es sah Susan gar nicht ähnlich, so ausweichend zu sein. Normalerweise kam sie direkt auf den Punkt, was eine der Eigenschaften war, die Vicki am meisten an ihr mochte. Im Gegensatz zu Chris, die immer zu schüchtern gewesen war, ihre Meinung gegen die anderen durchzusetzen, oder Barbara, deren großer Charme darin bestand, dass sie sich nie ganz sicher war, was sie eigentlich meinte, war Susan einer der seltenen Menschen, die frei heraus sagten, was sie meinten, und meinten, was sie sagten. „Wie geht es den Mädchen?“, fragte Vicki, um Susan eine Gelegenheit zu geben, ihre Gedanken zu ordnen.



    „Gut.“
    Okay, also nicht die Mädchen. „Und Owen?“
    „Gut.“
    Noch mal gut, dachte Vicki. „Und deiner Mutter?“
    „Keine Veränderung.“
    „Das tut mir Leid.“ Ihre Mutter also auch nicht. „Macht dir dein Job noch Spaß?“
    „Ich liebe meinen Job.“
    Vicki zuckte die Achseln, als wollte sie sagen, langsam gehen mir die Möglichkeiten aus. „Hast du wieder Drohanrufe von Tony bekommen?“



    „In letzter Zeit nicht. Du?“
    „Nein. Seit ihm das Gericht das vorläufige Sorgerecht zugesprochen hat, scheint er sich wieder beruhigt zu haben.“
    Beide Frauen schüttelten ungläubig den Kopf.
    „Wie ist das passiert? Kannst du mir das erklären?“
    „Also, da bin ich komplett überfragt“, antwortete Vicki ehrlich und immer noch wütend über die Entscheidung des Richters. „Vermutlich hat die Tatsache, dass die Kinder erklärt haben, dass sie bei ihrem Vater bleiben wollten, die Sache mehr oder weniger besiegelt.“



    „Arsc*loch“, murmelte Susan.
    „Ein beschissenes, dreckiges Arsc*loch“, präzisierte Vicki. „Aber deswegen bist du nicht hier“, sagte sie freundlich zu Susan.
    „Nein.“
    „Willst du es mir erzählen oder muss ich weiter raten?“
    Susan atmete tief ein und blickte zum Fenster. „Da ist ein Mann.“
    Vicki folgte Susans Blick und fragte sich, wie Susan von dort irgendwas sehen konnte. „Ein Mann? Wo?“
    Susan senkte den Kopf und lachte leise. „Nein, ich meine…“



    „Oh“, sagte Vicki, von ihrer Freundin komplett überrumpelt. Konnte Susan wirklich meinen, was Vicki vermutete? „Du meinst ein Mann?
    Susans Wangen erblühten in natürlicher Röte.
    „Ein Mann, der nicht Owen ist?“, fragte Vicki, sorgsam darauf bedacht, keine falschen Schlüsse zu ziehen.
    „Ein Mann, der nicht Owen ist“, bestätigte Susan und schlug die Hand vor den Mund, als wollte sie ihre Worte wieder in den Mund zurückdrängen.
    „Du hast eine Affäre?“ Vicki versuchte vergeblich, sich ihr Erstaunen nicht anmerken zu lassen.


    Geht weiter...

    *mich auch mal wieder zu Wort melde*
    Oha, ich sehe einen Zickenterror auf uns zukommen. Selbst wenn Michelle Bridget glaubt, dann geht es Jenna an den Kragen. Und wenn nicht, dann ist Bridget eben die Leidtragende.
    Auch die Mütter der beiden sind sich ja im Moment spinnefeind. Doch wenigstens Justin hat die Sache im Griff *gg* Bin schon mal neugierig, ob er Michelle dazu bringen kann, Bridget Glauben zu schenken.
    Tolle Fortsetzung!
    LG
    Nikita


    „Ich muss jetzt los“, sagte sie.
    „Jetzt? Ich dachte, wir bestellen uns ein Frühstück aufs Zimmer.“
    „Keine Zeit.“ Vicki zupfte ihren Rock zurecht, sodass die Nähte korrekt über ihren Hüften lagen.
    „Es ist noch früh.“ Michael Rose blickte auf sein nacktes Handgelenk.



    Vicki strengte sich an, die Frage in seinem Blick zu übersehen, die aufkeimende Verletzung in seiner Stimme zu überhören. „Um acht Uhr kommt eine Mandantin.“ Sie fuhr sich eilig mit dem Kamm durch ihre nassen Haare.
    „Wie wär’s dann mit heute Abend? Essen im Dee-Felice-Café?“
    „Ich kann nicht.“
    „Ich dachte, dein Mann wäre bis Ende der Woche verreist.“ Zwischen die Silben der einzelnen Worte schob sich ein unschöner schmollender Unterton.



    „Das ist er auch. Aber ich habe auch noch zwei Kinder, wenn du dich erinnerst.“
    „Denen erzählst du halt, dass du noch arbeiten musst.“
    „Ich kann nicht.“
    „Vicki…“
    „Michael…“
    Er lachte, doch in diesem Lachen schwang schon ein Unterton der Niederlage mit. „Wie wär’s dann mit morgen?“



    „Michael…“
    „Vicki…“
    Nun war es an ihr zu lachen, und in ihrem Lachen klang bereits die Drohung schlechter Neuigkeiten durch. „Ich denke, wir sollten vielleicht eine Pause einlegen.“
    „Eine Pause einlegen?“ Verblüffung, Besorgnis und schließlich Unglaube zeichneten sich auf seinem Gesicht ab. „Was? Wir beide?“



    „Es gibt kein Wir, Michael.“ Vicki hatte ihre Kleidung zu ihrer Befriedigung zurechtgezupft und sah ihn zum ersten Mal seit dem Aufwachen direkt an. „Ich habe einen Mann. Und du haste eine Frau.“
    „Und?“
    „Und…“ Vicki warf die Hände in die Luft, als wollte sie fragen, ob das nicht Erklärung genug sei.
    „Das hat uns bis jetzt doch auch nicht abgehalten.“ Sein Unglaube verwandelte sich rasch in Wut.



    Vicki hatte das Gefühl, als ob ihr die Luft abgeschnürt wurde, so als würde sie jemand zu heftig drücken. „Es tut mir Leid. Ich wollte dir nicht wehtun.“
    „Wie ich mich fühle, kümmert dich doch einen Dreck.“
    „Michael, bitte. Ist das notwendig?“
    Michael sah sich hilflos in dem Zimmer um. „Ich dachte, das mit uns sei etwas Besonderes.“
    „Das war es auch.“ Schluss, aus, raus, dachte sie. „Es hat nichts mit dir zu tun, Michael.“



    „Du willst meine Intelligenz doch nicht mit der abgelutschten ‚Es hat nichts mit dir zu tun’-Rede beleidigen, oder?
    „Nein, natürlich nicht“, log Vicki. „Also, wie gesagt, es tut mir wirklich Leid.“
    „Ich verstehe bloß nicht, wie sich die Rollen verkehrt haben“, sagte er nach einer Pause und strich sich ungläubig durchs Haar, während Vicki zur Tür strebte. „Ich meine, eigentlich sollte ich derjenige sein, der zur Arbeit eilt. Und du müsstest nackt in Unterwäsche dastehen und mich anflehen, noch zu bleiben.“



    Darum ging es in dieser kleinen Szene also, stellte Vicki erstaunt fest. Nicht um Liebe oder auch nur Lust. Nicht um Enttäusch und Kummer, sondern nur um verletzte Eitelkeit, darum, als Erster gehen zu wollen. „Tut mir Leid, Michael“, sagte Vicki noch einmal, obwohl sie es immer weniger bedauerte. Und weil sie es einfach nicht lassen konnte, fügte sie noch hinzu: „Ich nehme an, wir sehen uns vor Gericht.“


    Ich hoffe, euch hat der Teil ein wenig gefallen :-)
    Ganz liebe Grüße
    Eure Nikita


    „Du bist eine Nummer für sich“, flüsterte er in ihr Ohr.
    Warum mussten Männer immer reden? Vor allem wenn sie im Grunde nichts zu sagen hatten? Du bist eine Nummer für sich. Was zum Teufel sollte das bedeuten? Vicki grunzte scheinbar geschmeichelt, obwohl sie sich in Wahrheit gar nicht so fühlte. Was macht sie schon groß Preisverdächtiges? Sie stand einfach da und klammerte sich verzweifelt fest. Nicht gerade Raketenphysik, wie ihr Sohn Josh vielleicht bemerken würde. Mein Gott, was der Junge wohl sagen würde, wenn er seine Mutter jetzt sehen könnte?
    Und Kirsten?



    „Das verstehe ich nicht. Warum kommst du heute Abend nicht nach Hause“, hatte ihre Tochter empört gefragt, als Vicki sie darüber informiert hatte, dass sie auswärts übernachten wollte.
    „Ich habe es dir doch erklärt. Ein Mandant aus New York fliegt ein, und wir treffen und am Flughafen. Die Besprechung dauert wahrscheinlich bis spät in die Nacht, und dann ist es leichter, wenn ich einfach dort übernachte.“



    „Ich verstehe das nicht“, sagte Kirsten noch einmal, obwohl sie es vielleicht sehr wohl verstand, dachte Vicki. Vielleicht begriff sie es nur zu gut, schließlich war sie mittlerweile fünfzehn. Vicki stellte sich ihre Tochter vor, eine exakte Kopie ihrer selbst in dem Alter, nichts als Haut und Knochen, kleine knospende Brüste und ein flacher Bauch. Nur Kirstens rotes Haar war ein Tick dunkler als das ihrer Mutter und fiel ihr lang über den Rücken und in die Stirn, wo es ein eher interessant als hübsch zu nennendes Gesicht verbarg, das sein volles Potenzial noch herausbilden musste. Wahrscheinlich wünschte sie sich größere Augen und eine kleinere Nase, dachte Vicki, genau wie sie selbst in dem Alter.



    Hatte ihre Mutter dasselbe gewünscht? Mit einem Kopfschütteln vertrieb Vicki den Eindringling in ihre Tagträume. Sie hatte seit Monaten nicht mehr an ihre Mutter gedacht, hatte dem Privatdetektiv nach Jahren endlich erklärt, dass seine Dienste nicht mehr von Nöten waren. Genug war genug. Sie hatte für dieses endlose Katz-und-Maus-Spiel keine Zeit und keine Geduld mehr. Wenn ihre Mutter irgendein Interesse hatte, sie wieder zu sehen, dann war sie jetzt an der Reihe, etwas dafür zu tun. Vicki zog ihre Truppen zurück und schwenkte die weiße Fahne. Du hast gewonnen, hieß das. Ich gebe auf.



    Vicki schüttelte bei dem Gedanken an ihre Mutter unwillig den Kopf, so heftig, dass ihr ganzer Körper bebte. Michael Rose missdeutete das als Anzeichen ihres nahenden Orgasmus und beschleunigte seine Stöße, rammte seinen Körper so heftig gegen ihren, dass sie dicht an die Wand der Dusche gepresst wurde und kaum atmen konnte. Sie hörte, wie Michael stöhnend zum Höhepunkt kam, und spürte seine Lippen über ihre Schulter streifen, als er sich aus ihr zurückzog.



    „Du bist eine Nummer für sich“, sagte er noch einmal.
    Fiel ihm denn gar nichts anderes ein?, fragte Vicki sich, nahm die Seife und wusch seine Spuren zwischen ihren Beinen ab. Kein Wunder, dass seine Plädoyers immer zu wünschen übrig ließen. Kein Wunder, dass sie nie Probleme gehabt hatte, ihn vor Gericht zu schlagen. Du bist eine Nummer für sich, wiederholte sie stumm und verdrehte die Augen in Richtung des Duschstrahls.



    Und ob ich eine Nummer für sich bin, dachte sie und stellte sich vor, wie Jeremy in seinem Bett im Brazilian Court in Palm Beach schlief. Sie hätte mitkommen sollen. Ein paar Tage in Florida hätten ihr gut getan. Sie brauchte eine Pause, und in der Kanzlei wäre man bestimmt auch ohne sie zurechtgekommen. Allerdings hätte sie dann auch Susans Anruf verpasst, und was immer sie zu besprechen hatte, schien keinen Aufschub zu dulden. Sie wollte gleich um acht in ihr Büro kommen, noch vor der Arbeit. Vicki drehte das Wasser ab und drückte sich an dem stellvertretenden Chefstaatsanwalt Michael Rose vorbei aus der Duschkabine. Was war bloß so verdammt wichtig, dass Susan nicht warten konnte?



    Vicki war schon fertig angezogen, als Michael aus dem Bad kam, das feuchte dunkle Haar in der Stirn und nur mit Boxershorts bekleidet. Groß, dunkel und auf eine konventionelle Art attraktiv, dachte Vicki, ohne ihn genau anzusehen, weil ihr der Typus lieber war als das einzelne Exemplar und sie sich wie stets nicht zu sehr in Details verlieren wollte. So war es leichter, seine Distanz zu wahren. Und sich zu verabschieden.


    Sofort gehts weiter..

    Hallihallo, endlich habe ich mal wieder die Zeit gefunden um weiterzumachen.
    Erstnoch vielen Dank an BayernGirl, Annka1990, Zimtsternchen, Sunnivah, Glossy, DawnAngel, Simplayer_w und Moorvampana(Natürlich kenn ich dich noch *smile*) und dann geht es auch schon mit Vicki weiter.



    Ein klingelndes Telefon weckte Vicki aus einem Traum, in dem sie eine gesichtslose Frau eine unbekannte Straße entlang verfolgte. Als die Frau gerade stehen blieb und sich umdrehte, rannte Vicki mit Karacho gegen die sprichwörtliche Mauer. Sie sah Sternchen, hörte Glocken, begriff, dass es das Telefon war, und wachte widerwillig auf.



    „Hallo?“, flüsterte sie in den Hörer und rieb sich die Stirn, um einen beginnenden Kopfschmerz zu vertreiben. Zu viel Rotwein, dachte sie und versuchte sich zu erinnern, wie viele Flaschen sie geleert hatten.
    „Guten Morgen. Es ist jetzt sechs Uhr dreißig.“
    Vicki blickte automatisch auf die Uhr. Punkt halb sieben. Genau wie bestellt. Wer hatte behauptet, dass das Holiday Inn keinen Viersterneservice bot? „Danke.“



    Sie legte den Hörer auf die Gabel und setzte sich aufs Bett. Wie konnte es schon halb sieben sein? Waren sie nicht gerade erst ins Bett gegangen? „Hey, du Schlafmütze“, sagte sie zu dem nackten Mann neben sich. „Aufstehen, Darling. Zeit, den Tag anzugehen.“
    „Wer sagt das?“ Die Stimme des Mannes klang wie ein tiefes, schlaftrunkenes Schnurren, als hätte er mit Kieseln gegurgelt.
    „Ich.“ Vicki sprang aus dem Bett und ging ins Bad.



    Okay, es ist vielleicht nicht direkt das Ritz, dachte sie, als sie in der Dusche unter dem tröpfelnden Rinnsal und den Wechselbädern von zu heißem und zu kaltem Wasser langsam aufwachte. Sie stöhnte, seifte sich mit der teuren Chanel-Seife ein, die sie von zu Hause mitgebracht hatte, legte ihren Kopf in den Nacken und rollte ihn sanft hin und her, während das Wasser über ihre Kehle glitt wie die Zunge eines Liebhabers.



    Sie hörte ein Geräusch, spürte einen kühlen Luftzug, als die Badezimmertür aufging, sah einen Schatten auf sich zukommen, der den Vorhang zurückzog und sich in einen nackten Mann verwandelte, der zu ihr unter die Dusche stieg und ihr die Seife aus der Hand nahm. „Lass mich das machen“, sagte er.
    Jeremy liebt mich immer gern unter der dusche, dachte Vicki lächelnd. Er sagte, es würde ihn an ihre Flitterwochen in Hawaii erinnern, wo sie in der Nähe des Hotels einen kleinen Wasserfall entdeckt und jede Nacht unter den Sternen miteinander geschlafen hatten.
    Nur dass sie nicht in Hawaii waren.
    Und der Mann nicht Jeremy war.



    Vicki seufzte, als die seifigen Hände sie umfassten und sich auf ihre Brüste legten. Jeremy verhandelte in Florida mit einigen lokalen TV-Sendern über eine Beteiligung, während sie im Holiday Inn am Flughafen von Cincinnati war, zusammen mit Assistant District Attorney Michael Rose, dem Stellvertreter des obersten Staatsanwaltes von Ohio, mit dem sie seit drei Monaten eine heiße Affäre hatte. Wahrscheinlich ist es Zeit, sie zu beenden, beschloss Vicki, als er von hinten in sie eindrang und mit den Fingern nach dem winzigen Gänseblümchen tastete, das sie sich vor kurzen auf die Innenseite des Schenkels hatte tätowieren lassen. Ihr Liebhaber stieß sie mit derart frühmorgendlichem Elan, dass sie ausrutschte und sich mit beiden Händen abstützen musste, um nicht zu fallen.



    Das hätte mir gerade noch gefehlt, dachte sie und passte sich dem Tempo seiner Stöße an. Wie hätte sie das erklären sollen? Wahrscheinlich hätte Jeremy gar nicht nach einer Erklärung gefragt. Stell mir keine Fragen, und ich erzähl dir keine Lügen. War das nicht ihre stillschweigende Vereinbarung? Sie bezweifelte, dass ihr Mann viele der Nächte, die er getrennt von ihr gewesen war, allein verbracht hatte, obwohl er es in jüngster Zeit ein bisschen langsamer angehen ließ. Vielleicht war ihm Sex einfach nicht mehr wichtig.



    „Das fühlt sich gut an“, hörte sie sich sagen und war froh, dass er sie von hinten nahm. So musste sie ihn nicht ansehen und so tun, als ob er mehr wäre, als er war. Es reichte, dass er jung war, mindestens fünf Jahre jünger als sie, und dass man ihn nicht erst mit Schmeicheleien in Fahrt bringen musste. Vicki liebte ihren Mann, aber manchmal machte er wirklich verdammt viel Arbeit. Sie hockte zwanzig Minuten auf den Knien, und wofür? Eine 30-Sekunden-Belohnung. Männer wie Michael Rose waren ihre Art, dieses Missverhältnis auszugleichen.


    Geht sofort weiter....


    „Ich weiß einfach nicht, was in Ihnen vorgeht.“
    „Nicht?“
    „Wie lange arbeiten wir jetzt schon zusammen? Fast zwei Jahre? Und sie faszinieren mich noch immer.“
    „Ich fasziniere Sie?“, wiederholte Susan wie hypnotisiert von seiner Wortwahl. Sie war dreiundvierzig Jahre alt und hatte in ihrem ganzen Leben noch niemanden fasziniert.
    „Sie sind eine wirklich bezaubernde Frau.“



    Rätselhaft, faszinierend und jetzt bezaubernd, dachte Susan. Kein Zweifel – Peter Bassett flirtete mit ihr, und sie wusste es, und das Ganze war so offensichtlich und albern, dass Susan die Augen verdreht und ihm ins Gesicht gelacht hätte, wenn sie sich nicht mit aller Kraft davon hätte abhalten müssen, auf ihn zu springen und ihre Schenkel um seine Hüften zu schlingen. Mein Gott, was war bloß mit ihr los?
    „Ich würde Sie jetzt wirklich gerne küssen“, flüsterte Peter.



    Susan sagte nichts. Ein Geräusch wie schwerer Atem drang an ihr Ohr, und sie wusste, dass ihr eigener Körper sie verriet. Peter beugte sich noch näher, bis sie seinen Atem beinahe auf ihrer Zungenspitze schmecken konnte. Seine Wimpern flatterten gegen ihre, seine Lippen streiften die ihren. Sie spürte einen Funken wie ein aufflammendes Streichhold, der ihre Haut brennen ließ. Was mache ich hier?, fragte sie sich, als er seine Lippen fest auf ihre drückte und mit seiner Zunge sanft ihren Mund ertastete.



    Für so etwas bin ich zu intelligent, dachte sie und schien wie außerhalb ihrer selbst zu beobachten, wie seine Arme sie noch fester an ihn zogen. Wer ist diese Frau? Bestimmt nicht die prinzipientreue, praktische, übergewichtige Susan Norman, die Gattin des guten Doktors? Hatte sie Vicki nicht einmal erklärt, dass sie nie im Leben auch nur daran denken würde, ihren Mann zu betrügen?
    Man soll niemals nie sagen, hatte Vicki sie gewarnt.



    Ein Klopfen an der Tür riss sie unvermittelt auseinander.
    „Ja?“, fragte Peter, der sofort von Susan weggetreten war und die Situation völlig im Griff hatte.
    „Jason Elliott wartet in Ihrem Büro“, hörte Susan die Sekretärin sagen.
    „Ich komme sofort.“ Er drehte sich zu Susan um, die, unfähig, sich zu rühren, noch immer auf derselben Stelle stand. „Später“, sagte er.


    Sodale, das war's.
    Das nächste Mal geht's mit Vicki weiter.
    Ich wünsch euch jetzt schon mal einen guten Rutsch ins neue Jahr ;)
    LG
    Eure
    Nikita


    „Nun, ich hatte gehofft, dass wir etwas über diese neue Hormonersatztherapie machen können, die die medizinische Fachwelt so in Aufregung versetzt. Eigentlich gibt es sie schon ziemlich lange, aber plötzlich ist es der letzte Schrei. Ich weiß, dass es unsere jüngeren Leserinnen vielleicht nicht unbedingt anspricht, aber –„
    „Können Sie es sexy klingen lassen?“, unterbrach Peter sie.
    „Was?“



    „Sexy. Wie Ihre Schuhe.“ Er zwinkerte ihr erneut zu.
    Susan spürte, wie ihre Wangen rot brannten. Gut, dass sie ihren lila Pulli nicht anhatte, dachte sie. Das hätte sich farblich total gebissen. „Nun, wir können der Geschichte vielleicht einen sexy Titel geben“, stotterte sie und versuchte, sich auf ihre Idee zu konzentrieren. „Irgendwas in der Richtung ‚Hormonersatztherapie – der neue Jungbrunnen?’“
    Peter legte den Kopf zur Seite, als würde er versuchen, sich die Titelzeile vorzustellen. „Ich denke, da könnte was draus werden.“
    „Wirklich?“



    „Unbedingt.“ Peter Bassett stand auf und setzte sich neben Susan. Sein Knie streifte dabei ihres, doch er schien es gar nicht bemerkt zu haben.
    Susan hingegen empfand eine Schockwelle wie heute Morgen, als sie sich die Finger in der Schublade geklemmt hatte, nur dass diesmal die Innenseiten ihrer Schenkel brannten.
    „Wollen Sie es nicht einmal selbst versuchen?“
    „Was?“
    „Es ist Ihre Idee. Warum setzen Sie sie nicht selbst um?“
    „Wirklich?“
    "Ich kann natürlich nichts versprechen."



    „Natürlich:“ Susan stand auf. „Ich fange sofort an.“
    „Wozu die Eile?“
    Sie lachte, ein albernes Schulmädchenlachen, dessen Klang sie selbst hasste.
    „Habe ich etwas Komisches gesagt?“
    Susan schüttelte den Kopf während er ebenfalls aufstand und sich ganz nah zu ihr beugte. Mein Gott würde er sie küssen?



    „Sie haben da was unter ihrem Auge“, sagte er und befeuchtete seinen Finger. „Halten Sie still.“ Er beugte sich noch weiter vor, bis ihre Lippen nur noch Zentimeter voneinander entfernt waren, fasste mit der linken Hand ihr Kinn und wischte mit dem feuchten Mittelfinger der rechten unter ihrem linken Auge entlang. Ihr war, als ob ihre Haut unter seiner Berührung schmelzen und ihr restlicher Körper sich zu Lava verflüssigen würde. Wann hatte Owens Berührung sie zum letzten Mal so elektrisiert? „So“, sagte er. „Das ist besser.“
    Würde er sie küssen?
    Und was würde sie dann tun?



    Er ging lächelnd einen Schritt zurück. Mein Gott, was war bloß mit ihr los? Natürlich würde er sie nicht küssen. Er war ihr Chef und konnte jede Frau haben, die er wollte. Und Gerüchten zufolge hatte er schon mehrere gehabt. Nicht übergewichtige Mütter zweier großer Töchter, Ehefrauen mittleren Alters, die beigefarbene Kleider trugen, in denen sie aussahen, als würden sie zum Mobilar gehören, maßregelte Susan sich selbst, sondern attraktive junge Frauen wie Rosa Leoni und Judi Butler, die beide nicht mehr für die Zeitschrift arbeiteten. Nicht, dass Susan den Bürotratsch geglaubt hätte.



    Sie konnte nachvollziehen, dass Judis häufige Mittagessen und privaten Treffen mit ihrem Boss ausschließlich beruflich begründet gewesen waren. Trotzdem hatte sie sowohl Rosa Leoni als auch Judi Butler nicht ungern gehen sehen. Nicht, dass sie eifersüchtig gewesen wäre. Sie war eine verheiratete Frau, Herrgott noch mal. Eine glücklich verheiratete Frau, wie Susan sich nachdrücklich erinnerte, während sie züchtig ihre Hände faltete. Himmel, was war bloß mit ihr los? Wo kamen all diese seltsamen Gedanken her?



    „Erzählen Sie mir etwas Persönliches über sich“, sagte Peter Bassett.
    Susan zögerte, unsicher, worauf er hinauswollte. „Ich glaube, ich weiß nicht genau, was sie meinen. Was würden Sie denn gern wissen?“
    „Egal. Jede Information, die Sie für mich erübrigen können. Sie sind eine Frau voller Rätsel, Susan Norman.“
    Hätte sie sich nicht so absurd geschmeichelt gefühlt, hätte Susan vielleicht gelacht. „Wohl kaum.“


    Es kommt noch ein Teil...

    Nein, ich habe euch nicht vergessen :-)
    Nach langer, langer Zeit geht es heute weiter. Ich hoffe, ihr könnt mir verzeihen *knuddel* Vielen Dank an alle heimlichen Leser und natürlich an alle Commi-Schreiber!



    „Susan, kann ich Sie noch kurz sprechen?“, fragte Peter Bassett, als sie nach der morgendlichen Redaktionssitzung den Konferenzraum verlassen wollte.
    „Selbstverständlich.“ Susan bewegte ihre Zehen in den Schuhen, die den ganzen Vormittag gekniffen hatten, und beobachtete, wie die anderen Redakteure samt ihren Assistenten den Raum verließen.
    „Schließen Sie doch bitte die Tür!“



    Sofort schloss sie die Tür des Raumes, einer von insgesamt nur zwei Räumen, die nicht komplett verglast waren. Peter hielt die Konferenzen lieber hier ab, weil es weniger Ablenkung gab. In einem Eck stand nur ein Kaffeeautomat mit einem Teller unangerührten Muffins.
    Den ganzen Vormittag lang hatte Susan gegen den Drang angekämpft, einen davon zu nehmen, doch sie war zehn Minuten zu spät gekommen, als die Konferenz schon im vollen Gange war, und keiner der um den Tisch Versammelten hatte etwas gegessen. Diese ganzen verdammten Bohnenstangen, fluchte sie still und dachte, dass sie sich schon anhörte wie Barbara. Wann hatte sie angefangen, sich über so etwas Sorgen zu machen? „Tut mir Leid, dass ich so spät war“, sagte sie, bevor ihr Chef sie dafür tadeln konnte.



    „Alles in Ordnung?“
    Susan zuckte die Achseln. Derselbe alte Kram, sagte ihr Schulterzucken.
    „Macht Ihre Tochter immer noch Probleme?“
    Susan lächelte. „Ich sollte es nicht so an mich ranlassen.“
    „Das ist manchmal sehr schwer. Glauben Sie mir, ich weiß, wovon ich rede.“



    „Es ist trotzdem keine Entschuldigung für meine Verspätung.“ Sollte nicht er all diese Dinge sagen?, fragte Susan sich.
    „Vergessen Sie’s“, erwiderte er stattdessen. „Davon geht die Welt nicht unter. Wie geht es Ihrer Mutter?“
    „Nicht so toll.“
    „Das tut mir Leid.“



    „Danke.“ Sie kehrte zu ihrem Stuhl zurück und fragte sich, warum sie hier war. Sie hatte angenommen, dass Peter sie für ihre Verspätung rüffeln und daran erinnern wollte, dass sie bei allem Verständnis für ihre familiäre Situation eine Zeitschrift produzieren müssten und ihre persönlichen Probleme ihre Arbeit nicht beeinträchtigen dürften. Hatte Judi Butler nicht vor einigen Monaten aus diesem Grund ihre Entlassungspapiere bekommen? Doch stattdessen erklärte ihr Boss ihr, sie solle sich keine Sorgen machen. Und er sah sie nicht knurrig an, sondern lächelte sie an. „Wollten Sie etwas mit mir besprechen?“, fragte sie vorsichtig.



    „Ich wollte Ihnen einen Zwischenbericht über die bisherigen Fortschritte geben.“
    „Einen Zwischenbericht? Über die bisherigen Fortschritte?“ Wovon redete er?
    „Sie dachten doch nicht etwa, dass ich Ihre Verbesserungsvorschläge für unsere Zeitschrift vergessen habe, oder?“
    Susan brauchte eine Weile, bis sie begriff, worauf Peter Bassett sich bezog. Ihr erstes Gespräch lang so lange zurück, dass sie sich nicht einmal genau daran erinnern konnte, was sie eigentlich vorgeschlagen hatte.



    „Im Zeitschriftengeschäft bewegen sich die Dinge sehr langsam. Die Verantwortlichen mögen es nicht, wenn man an einer erfolgreichen Formel herumexperimentiert, selbst wenn diese Formel schon ziemlich verbracht ist. Ich habe Schwierigkeiten, die allmächtigen Vorstände davon zu überzeugen, die angepeilte Zielgruppe zu verändern, vor allem im Licht der steigenden Verkaufszahlen. Das Management meint, dass sich die Auflage nur steigern lässt, wenn Victoria weiter glatt, nett und vor allem seicht daherkommt.“ Er schüttelte den Kopf. Das ist unser gemeinsamer Kampf, sagte die Geste. „Aber ich möchte, dass Sie wissen, dass ich noch nicht aufgegeben habe, sondern weiter auf Verbesserungen dränge. Außerdem bin ich entschlossener denn je, ein paar gehaltvolle Artikel einzuschmuggeln.“



    „Wie soll das gehen?“
    „Ganz vorsichtig“, sagte er zwinkernd. „Hier eine Seite, dort eine Seite mit mehr Hintergrund, mehr Kontext, mehr Tiefe. Wer weiß, vielleicht schaffen wir es irgendwann, einen ernsthaften Artikel in voller Länge zu bringen.“
    „Das wäre super. Ich hätte auch schon einen Haufen Ideen.“
    „Zum Beispiel?“


    Geht sofort weiter...


    Und dabei entdeckte sie ihn – zu einem kleinen Knubbel zusammengeknüllt in der hintersten Ecke des zweiten Regals: ihren violetten Kaschmirpulli, nach dem sie die ganze Zeit gesucht hatte. Der Pulli, von dem Ariel angeblich nichts wusste und den sie zu der Sitzung heute Morgen hatte tragen wollen, weil Peter einmal gesagt hatte, dass er das Violett ihrer Augen betonte.



    „Ich bringe sie um“, flüsterte Susan, als sie einen weiteren ihrer Pullover entdeckte, einen weißen Rollkragenpulli aus Angorawolle, den sie seit Wochen nicht gesehen hatte und der unter einem Stapel zerknitterter T-Shirts hervorlugte.



    Sie nahm die Pullover und kehrte in ihr Zimmer zurück, obwohl sie wusste, dass sie zu schmutzig waren und zu sehr nach Parfüm und Zigarettenqualm stanken, um sie in näherer Zukunft zu tragen. Positiv denken, ermahnte sie sich. Vielleicht bedeutete es, dass Ariels Geschmack besser würde. „Sie hat mich angelogen“, sagte Susan laut, blieb wie angewurzelt stehen, das Echo der Stimme ihrer Tochter im Ohr.
    Woher soll ich wissen, wo dein blöder Pulli ist?



    Versuchen Sie, es nicht persönlich zu nehmen, hörte sie Dr. Slotnicks Rat.
    „Sie können mich mal“, erklärte Susan dem guten Doktor, kehrte zu ihrem Kleiderschrank zurück und schlüpfte in ein paar neue Pumps, deren Absätze ein Stück höher waren als sie sie normalerweise bequem tragen konnte. Doch ein wenig Erhebung kann ich jetzt wirklich brauchen, entschied sie.
    Irgendwas brauche ich jedenfalls, das steht fest, dachte sie.


    Das wars :)
    Ich freu mich schon auf eure Kommentare.
    Ganz liebe Grüße und noch einen schönen Montag,
    Eure Nikita


    Die Frage war von verblüffender Einfachheit. Wen kümmert es, wenn du schrecklich aussiehst?, besagte sie. Wer sieht dich überhaupt an? Wer nimmt dich wahr? Du bist eine Frau mittleren Alters. Weißt du nicht, dass du unsichtbar bist?
    „Deshalb musst du, fürchte ich, allein zur Schule kommen.“
    „Und zu spät zu einem Test.“
    „Das hättest du dir vielleicht vor einer halben Stunde überlegen sollen.“
    „Und du kannst mich vielleicht mal“, kam Ariels ätzende Antwort.



    „Einen Moment mal, junge Dame“, setzte Susan an, doch Ariel war bereits in einer Wolke selbstgerechten Zorns verschwunden und trampelte lautstark die Treppe hinunter. Die Haustür wurde geöffnet und knallend wieder zugeschlagen, und ihr Poltern hallte unangenehm im ganzen Haus wider, während Susan in Ariels Zimmer rannte und ans Fenster zur Straße stürzte.



    „Sie hat nicht einmal einen Schirm mitgenommen“, murmelte sie frustriert und beobachtete, wie ihre Tochter eine Schachtel Zigaretten aus der Gesäßtasche zog, sich eine anzündete und träge in Richtung Straßenecke schlenderte, als würde sie den Regen, der auf ihren Kopf prasselte, gar nicht spüren. „Es gießt in Strömen, und sie merkt es nicht einmal.“



    Sie hätte Ariel zur Schule fahren sollen. Noch einmal. Eine Zigarette weniger. Es regnete schließlich. Jetzt würde ihre Tochter nicht nur zu spät kommen und den Test nicht bestehen, sondern sich obendrein wahrscheinlich auch noch eine Lungenentzündung zuziehen. Susan stand mitten in Ariels Zimmer, das aussah, als wäre gerade ein tropischer Sturm hindurchgefegt, und hätte beinahe geweint. Was für ein absolutes Chaos! Das Bett, der Schreibtisch, der Boden, jede verfügbare Oberfläche war mit Kleidung, Make-up und Kassetten übersät. Vergessene Pennys lagen wie eine Spur von Brotkrümeln auf dem Teppich verstreut.



    Eine benutzte Einführhilfe für Tampons stand aufrecht vor dem Fußende des Bettes. Susan schloss die Augen und betete, dass sie nicht auch noch den benutzten Rest finden würde, als sie sich bückte, um sie aufzuheben und in den Papierkorb zu werfen, der vermutlich das einzige Behältnis in dem Zimmer war, das nicht überquoll. „Mein Gott, wie kann sie so leben?“ Automatisch begann Susan diverse Kleidungsstücke aufzuheben, auszuschütteln und ordentlich zu falten. Sie öffnete die Kleiderschranktür, schob ein paar vergessene und verdreckte Klamotten beiseite, um Platz zu schaffen.


    Noch ein kleiner Teil...


    „Führst du wieder Selbstgespräche?“, fragte Ariel trocken und steckte ihren Kopf herein. Ihre frisch mit Gel gehärteten schwarzblauen Haare standen von ihrem Kopf ab wie Stacheln.
    Susan fuhr zusammen wie neuerdings jedes Mal, wenn sie ihre ältere Tochter sah, den kleinen zarten Engel, den sie an ihrer Brust genährt und dessen weiches goldenes Haar so wundervoll kindlich und verheißungsvoll geduftet hatte. Verheißung worauf?, fragte Susan sich in dem Bemühen, Dr. Slotnicks Rat zu befolgen und positiv zu denken.



    Also gut: Ariel hatte wunderschöne Augen, auch wenn sie darauf bestand, ihre Lider mit etwas zu beschmieren, das aussah wie mehrere Schichten schwarzer Ruß; sie hatte eine wunderbar sanfte Haut, auch wenn das unter all dem weißen Puder bisweilen schwer zu erkennen war; sie hatte eine tolle Figur, obwohl die Lumpen in Übergröße, die sie mit Vorliebe trug, alles andere als kleidsam waren. Außerdem hatte sie einen scharfen Verstand.
    Und eine noch spitzere Zunge.
    Positiv denken. Positiv denken.
    Sie hatte einen eigenen Willen.
    War das positiv?
    „Wo hast du denn das Kleid her?“, fragte Ariel mit einem leicht vorwurfsvollen Unterton.



    Aus demselben Laden, in dem ich auch meinen violetten Pulli gekauft habe, dachte Susan, fragte jedoch stattdessen: „Solltest du nicht längst in der Schule sein?“ Sofort verfluchte sie sich still. Das war auf jeden Fall ein denkbar ungeeignetes Thema, wenn sie eine Konfrontation vermeiden wollten. Hatte Dr. Slotnick ihr nicht gesagt, dass es Sache der Schule war, sich mit Ariels chronischer Unpünktlichkeit zu befassen? Das ist deren Thema, nicht Ihres, hatte der Therapeut mit dem schütteren Haar erklärt.



    Sie erinnerte sich an den Tag, an dem Peter Bassett sie zum ersten Mal in sein Büro gerufen hatte. Er hatte mit der Schule seiner Tochter telefoniert und über das gleiche Problem gesprochen. Kein Wunder, dass er sie so gut zu verstehen schien. Wir haben vieles gemeinsam, dachte Susan lächelnd.



    Ariel lächelte überraschenderweise ebenfalls, was ihre ausgeprägten Grübchen trotz des weißen Puders zum Vorschein brachte, das ihr Gesicht bedeckte, jedoch am Hals aufhörte, sodass sie aussah wie das Opfer einer schleichenden Hautkrankheit. „Ja“, gab sie zu, während sie mit den Fingern der rechten Hand die Knöchel ihrer linken Hand knacken ließ und Susan versuchte, nicht das Gesicht zu verziehen. „Ich bin zu spät, und in der ersten Stunde schreiben wir einen wichtigen Mathe-Test.“



    „Dann solltest du dich schleunigst auf den Weg machen.“ Susan sah auf ihre Uhr und vergewisserte sich, dass sie die Zeit auch richtig abgelesen hatte. Fast neun Uhr. Wenn Ariel in dieser Sekunde aufbrechen würde, hätte sie vielleicht noch eine Chance, pünktlich zur Schule zu kommen. Aber sie war noch nicht einmal angezogen. Oder vielleicht doch? Susan versuchte, nicht allzu offensichtlich auf das verdreckte Oberteil und die zu weite, zerrissene Jeans zu starren, die ihre Tochter anhatte.
    „Stimmt irgendwas nicht?“ Schon Ariels Ton war eine Herausforderung.
    Susan schüttelte den Kopf und starrte auf ihre Zehen. Wer nicht beißt, kann nicht kämpfen.



    „Ich hatte gehofft, du bringst mich.“
    „Ich soll dich bringen?“
    „Zur Schule. Damit ich meinen Test nicht verpasse.“
    Susan hielt den Atem an, zählte leise bis zehn, machte den Mund auf und wieder zu und zählte noch einmal bis zehn. Wie oft hatten sie das schon durchdiskutiert? „Das haben wir doch schon besprochen.“
    „Komm schon, Mom. Ein Mal…“
    Sie wird nie etwas lernen, wenn Sie sie jedes Mal retten, hatte Dr. Slotnick gewarnt. Sie müssen sie die Konsequenzen ihres Handelns spüren lassen. „Ich kann nicht“, hörte Susan sich sagen.



    „Was soll das heißen, du kannst nicht?“
    „Ariel, ich habe um neun Uhr eine wichtige Sitzung. Ich habe keine Zeit, dich zu bringen.“
    „Es dauert doch nur eine Minute.“
    „Ich kann nicht.“
    „Du kannst nicht oder du willst nicht?“
    „Ich muss mich anziehen.“
    „Du bist angezogen.“
    „Ich sehe schrecklich aus.“
    „Na und?“


    Geht noch weiter...


    „Es tut weh.“ Kannst du es nicht wenigstens mit einem Kuss besser machen?, hätte sie beinahe gesagt. Sie war der flüchtigen Pflichtküsse überdrüssig, die sich durch ihren Tag tupften: einen am Frühstückstisch, einen vor dem Aufbruch zur Arbeit, einen zur Begrüßung bei der Heimkehr, einen zur guten Nacht, wenn sie beide erschöpft ins Bett sanken. Küsse als Satzzeichen des Alltags, dachte Susan und fragte sich, wann in ihrer Ehe höfliche Langeweile die heiße Leidenschaft verdrängt hatte, wann ihr Sex so routiniert geworden war, etwas, was man tat, weil es von einem erwartet wurde.



    Sie konnten sich nach wie vor gegenseitig befriedigen, hatten es jedoch verlernt, sich zu überraschen. Wann hatten sie zum letzten Mal eine neue Stellung oder Technik ausprobiert? Wann hatten sie zum letzten Mal morgens miteinander geschlafen? Warum nicht jetzt gleich zum Beispiel, dachte Susan und machte einen Schritt auf ihren Mann zu. Vielleicht kann ich ihn überrumpeln, sein frisch gewaschenes Hemd aufknöpfen und seinen glänzenden Ledergürtel lösen.



    „Solltest du dich nicht langsam anziehen?“, fragte Owen.
    Susan erstarrte, blickte auf den BH und den Slip, den sie trug, und kam sich vor wie mit einem Eimer kaltem Wasser begossen.
    „Alles in Ordnung?“, fragte ihr Mann.
    „Ja, alles okay.“
    „Du bist ein bisschen spät dran, oder?“



    „Verdammt“, sagte Susan, als ihr die Uhrzeit wieder einfiel, rannte zu ihrem Kleiderschrank, mühte sich mit einer Strumpfhose ab, zerrte ein Seidenkleid vom Bügel und über ihren Kopf und zupfte es oberflächlich über der Hüfte zurecht.



    Sie marschierte ins Bad, fuhr sich mit einer Bürste durch ihr widerspenstiges Haar und betrachtete mürrisch ihr Spiegelbild. Sie hatte wieder zugenommen. Kein Wunder, dass Owen das Interesse verlor. Nicht, dass er selbst in einer so tollen Verfassung wäre, im Gegensatz zu Peter Bassett, der dreimal pro Woche im Fitnessstudio hart daran arbeitete, seinen Körper in Form zu halten.
    „Sie sollten irgendwann mal mitkommen“, hatte er letzte Woche vorgeschlagen, und sie hatte gelacht, ohne genau zu wissen warum, und gesagt, sie würde es sich überlegen.



    Was gab es da noch zu überlegen? Sie würde sich Peter Bassett auf gar keinen Fall in ihrer wenig schmeichelhaften Jogginghose oder schlimmer noch in einem Trikot präsentieren. Sie war dermaßen außer Form, dass sie wahrscheinlich keine zehn Minuten auf dem Laufband durchhalten würde. Sie war seit Urzeiten nicht mehr im Fitnessstudio gewesen.



    Nicht besonders schlau von ihr, denn regelmäßiger Sport würde ihr nicht nur helfen, die überschüssigen Pfunde loszuwerden, sondern sie auch auf andere Gedanken bringen. Alles in allem verbrachte sie zu viel Zeit damit, sich Sorgen über ihre Mutter zu machen, mit ihrer Tochter zu streiten und alles zu essen, was ihr in die Quere kam. „Ich sehe schrecklich aus“, sagte sie laut.



    „Du siehst okay aus“, sagte Owen, der hinter ihr aufgetaucht war, und küsste sie auf die Wange.
    „Danke“, erwiderte Susan matt. Okay war nicht direkt eine enthusiastische Bestärkung.
    „Schönen Tag“, sagte er auf dem Weg aus der Tür.
    Eine Minute später hörte Susan das Garagentor klappern. „Dir auch“, murmelte sie.


    Sofort geht's weiter..