Caroline unterdrückt das Schluchzen, das in ihrer Kehle aufsteigt, und rennt wie gehetzt zum Eingang am anderen Ende des Schulhofs.
„Hey, Cara, warte doch mal!“ Caroline fährt erschrocken zusammen, als jemand ihren Arm packt. „Warum hast du’s denn so eilig?“ fragt Maria lächelnd, als wäre dies ein ganz normaler Moment an einem ganz normalen Tag. „Du bist durch den Hof gewetzt, als wäre jemand hinter dir her. Wir haben noch fünf Minuten Pause, Kindchen!“
„Ja, ich weiß“, murmelt Caroline.
Maria wirft ihr einen forschenden Blick zu. „Cara, stimmt was nicht? Du bist so bleich, als hättest du ein Gespenst gesehen.“
„Nein, nein, alles in Ordnung“, behauptet Caroline, ohne der Freundin dabei in die Augen zu sehen.
„Cara, du hast doch was, das merke ich doch! Willst du nicht darüber reden? Vielleicht kann ich dir helfen.“
Caroline zögert, denn sie gehört nicht zu den Mädchen, die mit ihren Problemen hausieren gehen – schon gar nicht, wenn es so ein ernstes Problem ist.
„Ich glaube nicht, dass du mir helfen kannst, Maria“, sagt sie deshalb traurig, aber die Freundin lässt sich nicht abschütteln. „Versuchs doch wenigstens mal“, drängt sie. „Schließlich sind wir doch Freundinnen, oder? Du weißt doch, wie ich es mache, wenn ich mal ein Problem habe – Ich heule mich immer bei allen aus. Okay, du bist in der Beziehung vielleicht anders, aber manchmal hilft es echt, wenn man mit jemandem reden kann.“
„In diesem Fall kann mir keiner helfen“, sagt Caroline leise. „Damit muss ich selber klar kommen.“
„Womit?“ hakt Maria nach.
„Chrissy und Alex“, murmelt Caroline.
„Wieso? Was ist denn mit den beiden?“ fragt Maria überrascht.
„Du brauchst nicht so zu tun, als wüsstest du von nichts. Ich hab sie vorhin gesehen und sogar gehört, worüber sie geredet haben.“
„Was haben sie denn gesagt?“ fragt Maria so hastig, dass es Caroline auffällt.
„Dass sie froh sind, dass ich nichts gemerkt habe.“
„Oh!“ meint Maria, dann lächelt sie zufrieden. „Cara, du hast da bestimmt was in den falschen Hals gekriegt. Zwischen den beiden läuft nichts.“
„Nein, natürlich nicht!“ meint Caroline ironisch. „Ich hab sie gesehen, Maria!“
„Gut, du hast sie zusammen gesehen, aber daraus brauchst du ja nicht gleich zu schließen, dass sie sich demnächst verloben.“
„Aber sie haben so getan, als wären sie es“, sagt Caroline. „Wie konnten sie mir bloß so was antun, Maria? Meine Cousine und mein Freund!“
„Du irrst dich, Cara. Ich weiß, du bist im Moment unheimlich gestresst, und dann bildet man sich oft die unmöglichsten Sachen ein.“
„Willst du damit andeuten, ich wäre ein Fall für die Klapsmühle?“ meint Caroline mit einem schwachen Grinsen.
„Quatsch! Natürlich nicht! Ich sage nur, dass du dir was Falsches zusammen reimst. Hast du eigentlich gehört, dass sie deinen Namen erwähnt haben?“
„N-nein“, gibt Caroline zögernd zu.
„Also könnten sie auch über jemand anderen geredet haben, oder?“
„Kann sein.“
„Siehst du. Vielleicht haben sie gerade über eine Lehrerin gelacht, der sie einen Streich gespielt haben, oder so.“
„Vielleicht“, murmelt Caroline. Sie holt tief Luft und sieht Maria gerade in die Augen. „Wir sind schon so unheimlich lange Freundinnen, und du würdest es mir doch sagen, wenn hinter meinem Rücken irgendwas vorginge – oder?“
„Wenn da was wäre, worüber du dir Sorgen machen müsstest, würde ich es dir sagen. Aber es gibt nichts. Ich bin doch dauernd mit den beiden zusammen, Cara, und hätte es todsicher gemerkt.“ Sie legt Caroline eine Hand auf die Schulter.
„Denk doch mal an Alex, Cara. Er ist einer der nettesten Typen, die ich kenne. Der würde niemals was hinter deinem Rücken tun. Wenn er ein Mädchen fände, das er lieber mag, dann würde er zu dir kommen und es dir sagen und die Sache auf anständige Weise regeln, meinst du nicht?“
„Ja, ich glaube du hast recht“, gibt Caroline zu. „Alex würde mich bestimmt nicht betrügen. Der könnte keinem wehtun.“
„Also hör auf, dir Sorgen zu machen“, rät Maria. „Vergiss die ganze Geschichte am besten, bis die Ballett-Vorstellung vorbei ist. Dann wirst du schon merken, dass deine Sorgen überflüssig waren.“
In diesem Moment ertönt die Klingel. Caroline und Maria trennen sich und gehen in verschiedene Richtungen davon.
Caroline sitzt in ihrem Chemiekurs und ihre Gedanken wandern immer wieder hin und her zwischen dem, was sie gesehen hat, und dem, was Maria ihr gesagt hat. Sie erinnert sich noch an jedes Wort, das Chrissy und Alex gesprochen haben. Die Situation ist ihr so eindeutig vorgekommen, und doch haben weder Alex noch Chrissy irgendetwas gesagt, was einen Verdacht gerechtfertigt hätte.
Maria hat Recht, Alex würde so etwas nie mit mir machen, versucht Caroline sich einzureden. Wenn er Schluss machen wollte, würde er zu mir kommen und es mir sagen. Aber Maria hat nicht gesehen, was ich gesehen habe!
„Bist du eigentlich noch bei uns, Caroline Kirby?“ hört sie plötzlich die nicht gerade freundliche Stimme ihrer Chemielehrerin, die sie mit einem Ruck wieder in die Gegenwart befördert. Sie gehört sonst nicht zu den Schülern, auf denen die Lehrer herumhacken, weil sie in den Tag hineinträumen. Sie wird knallrot und versucht sich zu konzentrieren, aber ihre Gedanken machen sich schon bald wieder selbstständig.
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