Ich danke euch allen vielmals! Ein riesengroßes Dankeschön geht an keira, GinniW, Micha, Smeagol, Vanillagirl, Honigkuchen, miri und Laurent!
Caroline schleicht langsam und total erschöpft die Straße entlang. Ihre erste Samstagsprobe für die Ballettvorstellung ist so hart gewesen, dass sie kaum die Kraft hat, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Jeder Muskel tut ihr weh, und ihr Kopf brummt immer noch, weil Madame fast drei Stunden lang mit ihrem Stock den Takt auf den Boden geklopft und die Gruppe mit ihren Kommandos bombardierte.
Was Caroline am meisten bedrückt, ist die Tatsache, dass die anderen längst nicht so viele Probleme gehabt haben wie sie. Die Mädchen haben Madames barsche Anweisungen ruhig und präzise befolgt. Sie haben weder falsche Bewegungen gemacht, noch sind sie anderen in die Quere gekommen, so wie es Caroline einmal passiert ist. Und sogar Madames harte Kritik haben sie einfach so weggesteckt.
Wenn ich mich nicht bald daran gewöhne, werde ich nie eine richtige Ballerina, denkt Caroline. Ich darf einfach nicht so empfindlich sein. Eines Tages fange ich noch vor allen an zu heulen, und mache mich lächerlich.
Aber wenigstens hat sie die Probe überlebt, ohne zusammenzuklappen oder in Tränen auszubrechen, und jetzt freut sie sich auf einen langen, faulen Nachmittag in der Sonne. Es ist der erste richtige heiße Tag seit Wochen. Der Himmel ist tiefblau.
Hoffentlich hat Chrissy für den Nachmittag nicht schon was Anstrengendes geplant, denkt Caroline, als sie sich die Straße entlang quält. In den letzten Tagen ist ihre Cousine auffällig ruhig gewesen; zumindest ist sie nicht mehr im Feuerwehrauto nach Hause gekommen. Caroline findet es inzwischen richtig schön, dass abends jetzt immer jemand da ist. Ihre Elter gehen oft zu Konzerten oder Kunstausstellungen und lassen die Mädchen allein. Sogar das Fernsehen macht mehr Spaß, seit Chrissy da ist, und außerdem erklärt sie sich oft freiwillig bereit, Sandwiches zu schmieren oder Popcorn zu braten, wozu Caroline sich niemals aufgeschwungen hätte.
Ich glaube, ich gewöhne mich allmählich an sie, denkt Caroline. Inzwischen macht es ihr auch nichts mehr aus, wenn sie Chrissys Sachen im ganzen Zimmer verstreut vorfindet, und sie zuckt auch nicht mehr zusammen, wenn Chrissy durch die Wohnung brüllt: "Frühstück ist fertig!" Vielleicht wird es ja doch noch ein gutes Jahr werden.
In diesem Moment sieht Caroline ein Auto vor dem Haus stehen, und ihr Herz tut einen Sprung. Alex ist wieder da - früher als erwartet!
Sie rennt die Stufen zum Eingang hinauf, so schnell sie kann. Neben der Tür ist eine Veranda, die man von der Straße aus nicht einsehen kann und auf der sich die Mädchen manchmal sonnen. Caroline bleibt wie angewurzelt stehen, als sie sieht, wer dort einträchtig nebeneinander auf dem Boden der Veranda sitzt.
Alex hockt mit dem Rücken zu ihr auf einem Strandhandtuch und beugt sich gerade zu Chrissy hinüber, die den winzigsten Bikini trägt, den Caroline je gesehen hat. Das Gesicht von Alex kann Caroline nicht sehen, aber dafür sieht sie das von Chrissy, und die starrt Alex gerade mit einem Ausdruck hingerissener Bewunderung an.
Caroline steht da und kann sich nicht rühren. Ihr Herz hämmert so laut, dass sie Angst bekommt, die beiden würden es hören. Aber Alex und Chrissy scheinen so miteinander beschäftigt zu sein, dass sie für alles andere blind und taub sind.
Caroline sieht, wie Alex Chrissys Hand tätschelt, und dann hört sie ihn sagen: "Also gut, dann sind wir verabredet. Vergisst du es auch nicht?"
"Nein, bestimmt nicht...", fängt Chrissy an, und dann sieht sie plötzlich auf und bemerkt ihre Cousine. Alex wendet den Kopf und starrt Caroline verdutzt an.
"Hallo, Alex", sagt Caroline in einer Stimme, die ihr selber fremd vorkommt. "Das ist aber eine nette Überraschung. Ich hatte dich erst am Dienstag erwartet."
Alex steht langsam auf. "Hi, Cara", sagt er mit einem schiefen Grinsen. "Ich bin ein bisschen früher zurückgekommen. Wir haben drei Tage im Schneesturm gesessen, und dann hatten wir keine trockenen Klamotten mehr und nichts zu essen. Papa meinte, wir sollten die Tour abbrechen. Mensch, Cara, war das ein Gefühl, als die Zivilisation uns wieder hatte! Wir sind in eine Tankstelle reingewankt und haben erstmal literweise Cola getrunken. Heute morgen sind wir zurück gekommen. Ich hab nur schnell zu Hause geduscht und bin dann gleich losgefahren, weil ich dich überraschen wollte, aber du warst ja leider nicht da."
"Naja, du hast doch nette Gesellschaft gehabt", erwidert Caroline mit mühsam beherrschter Stimme und einem Seitenblick auf ihre Cousine. "Ich wollte euch beide sowieso miteinander bekannt machen, aber das ist jetzt wohl überflüssig."
"Alex hat zuerst gedacht, ich wäre du", erklärt Chrissy grinsend.
Ganz schön cool, nachdem ich sie gerade erwischt habe, denkt Caroline bitter. "Er ist von hinten an mich rangeschlichen, weil er mich erschrecken wollte, aber dann hat er einen Schrecken gekriegt, weil er mich mit dir verwechselt hat."
"Ich wusste gar nicht, dass wir uns so ähnlich sehen", meint Caroline trocken.
"Nur von hinten", beeilt Alex sich zu versichern. "Chrissys Haare sehen genauso aus wie deine. Außerdem hab ich auch gar nicht damit gerechnet, jemand anderen im Bikini auf eurer Veranda anzutreffen."
"Ich bin vor Angst fast gestorben", erzählt Chrissy weiter. "Ich hab ganz ruhig hier gesessen und gelesen, und plötzlich fiel jemand über mich her und meinte: 'Jetzt hab ich dich'. In dem Moment dachte ich nur an das, was du mir immer erzählst - ich meine, an irgendwelche gefährlichen Typen, die Mädchen überfallen. Aber als ich geschrien habe, ich würde die Polizei rufen, war er noch erschrockener als ich."
"Ich hab's mit der Angst bekommen", ruft Alex. "Ich sah mich schon im Gefängnis sitzen. Ein Glück, dass du nicht durchgedreht hast."
"Ja, und als das Missverständnis aufgeklärt war, haben wir uns richtig nett unterhalten", meint Chrissy unschuldig.