Erstmal wieder ein riesengroßes DANKE an alle meine treuen und lieben Kommentarschreiber
Und jetzt geht es weiter:
Zwei Stewards kommen. Sie lachen und unterhalten sich lebhaft mit einem großen, auffallend hübschen Mädchen, das sie in die Mitte genommen haben.
„Ich hätte nie gedacht, dass Fliegen so viel Spaß macht“, hört Caroline die Fremde ziemlich laut sagen. „Ich fand es super!“
Das Mädchen bleibt stehen und blickt sich suchend um, dann stürzt sie mit einem Freudenschrei auf Carolines Mutter zu. „Tante Edith! Tante Edith!” Ein paar Passagiere weichen erschrocken zur Seite. „Bin ich froh, dich zu sehen, Tante Edith! Ich muss dir so viel erzählen! Der Flug war riesig, und ich hab irre viel Spaß gehabt. Alle waren so nett zu mir, und ich durfte sogar in die Pilotenkanzel...“
Ein eleganter grauhaariger Mann tippt Chrissy leicht auf die Schulter. „Ich wünsche dir eine schöne Zeit in San Francisco, Chrissy“, sagt er schmunzelnd. „Hat Spaß gemacht, sich mit dir zu unterhalten.“
„Danke!“ Chrissy lächelt den Mann an, dann dreht sie sich zu ihrer Tante um. „Dieser Herr hat neben mir gesessen und hat mir gezeigt, wie ich mich anschnallen muss, und als wir über die Stadt flogen, hat er mir alles erklärt“, schnattert sie aufgeregt.
„Tschüss, Chrissy!“ ruft einer der Stewards im Vorbeigehen. „Viel Spaß in San Francisco!“
“Ganz bestimmt!” ruft Chrissy zurück. „Vielleicht sehen wir uns wieder, wenn ich nächstes Jahr nach Hause fliege.“
Wieder wendet sie ihre Aufmerksamkeit ihrer Tante zu.
„Die Leute waren alle so unheimlich nett“, schwärmt sie begeistert. „Fliegen macht Spaß.“
Erst jetzt wandert ihr Blick zu Caroline hinüber, und Caroline sieht, wie Chrissys Augen aufleuchten. „Und du bist bestimmt Caroline!“ ruft sie. „Mensch, hab ich mich auf dich gefreut! Wenn man drei Brüder hat, wünscht man sich nichts sehnlicher als ein Mädchen, mit dem man reden kann.“ Sie schlingt Caroline die Arme um den Hals und drückt sie so fest, dass ihre Cousine fast die Luft wegbleibt.
Caroline ist die ganze Szene ein bisschen peinlich. „Schön, dass dir dein erster Flug so gut gefallen hat“, sagt sie ein bisschen steif. „Mama dachte, du würdest vielleicht Angst haben.“ Sie wirft ihrer Mutter über Chrissys Schulter hinweg einen vielsagenden Blick zu. Das war also das total verängstigte Mädchen vom Lande!
Chrissy lässt Caroline los und grinst. „Na ja, anfangs hatte ich ja ein bisschen Angst“, gibt sie zu. „Wahrscheinlich habe ich immer noch Angst, sonst würde ich nicht so laut reden. Wenn ich aufgeregt bin, werde ich immer furchtbar laut.“
Caroline kann sich ein Gefühl der Bewunderung nicht verkneifen. Sie hätte einem Fremden gegenüber nie zugegeben, dass sie Angst hatte. Wenn sie ängstlich ist, benimmt sie sich immer unheimlich schüchtern, was manche Leute mit Hochnäsigkeit verwechseln.
„Na ja, jetzt brauchst du keine Angst mehr haben“, meint Caroline. „Dir wird es hier bestimmt gefallen. In der Stadt kann man so viel unternehmen, und die Maxwell High...“
„Auf die freue ich mich schon riesig“, fällt Chrissy ihr ins Wort. „Mama hat gesagt, ich könnte mir die Kurse selber aussuchen. An meiner Schule gibt es nur zwei Extrakurse – Werken für die Jungen und Kochen für die Mädchen.“
„Mon Dieu“, ruft Caroline lachend. « Gegen so eine vorsintflutliche Aufteilung würden die Schüler an unserer Schule Sturm laufen. Wir haben nämlich Schülermitverwaltung.“
„Bei uns an der Schule beklagt sich nie einer“, erzählt Chrissy. „Da geht es noch zu wie im Mittelalter. Die Lehrer sagen, wo’s langgeht, und die Schüler gehorchen.“
Caroline lacht. „Na, dann wirst du auf der Maxwell noch dein blaues Wunder erleben! Bei uns sind die Schüler hellwach. Sie protestieren gegen Atomwaffen, Umweltverschmutzung, Stadtplanung. Letztes Jahr habe ich ein Komitee gegründet, das gegen den Abriss von ein paar Knusperhäuschen protestiert hat.“
Chrissy sieht Caroline ungläubig an. „Ach, du ziehst mich auf“, meint sie dann.
„Nein, ehrlich. Ich meine natürlich keine echten Knusperhäuschen. Wir haben in der Stadt ein paar unheimlich süße alte Holzhäuser, mit Schnitzereien und Türmchen und Schnörkeln und so. Sie wollten eine ganze Häuserzeile abreißen und einen riesigen Betonklotz dahinsetzen, aber dann hab ich in der Schule einen Protest organisiert, und wir haben gewonnen.“
„Hey, klingt ja super!“ Chrissy strahlt ihre Cousine an. „Dann bist du also genau so ein Kämpfertyp wie ich. Das muss in der Familie liegen.“
„Normalerweise bin ich das gar nicht“, gesteht Caroline. „Ich dränge mich nicht gern in den Vordergrund, aber ich bin froh, dass wir was für die alten Häuser tun konnten. Ich hab bei der Gelegenheit eine Menge netter Leute kennen gelernt, unter anderem auch meinen Freund.“
„Oh, du hast einen Freund? Ist er nett?“ will Chrissy wissen.
Caroline wird rot. “Ich glaube schon”, meint sie vage.
„Groß, dunkelhaarig, und sieht sehr gut aus?“
Caroline nickt zögernd.
„Das dachte ich mir doch!“ freut sich Chrissy. „Erzähl mir was von ihm!“
Carolines Miene verschließt sich. Sie hat dieses Mädchen doch eben erst kennen gelernt, und schon stellt es neugierige und unheimlich persönliche Fragen! „Du wirst ihn bestimmt bald kennen lernen“, sagt sie ausweichend.
„Hoffentlich ist er nicht so super-toll, dass ich mich in ihn verknalle“, meint Chrissy; und Caroline braucht eine Weile, um zu merken, dass Chrissy nur flachst.
„Hey, war doch nur Spaß“, sagt sie. „Von mir hast du überhaupt nichts zu befürchten, ich hab zu Hause selber einen Freund. Hat deine Mutter die schon von ihm erzählt? Er heißt Ben. Also, zuerst fallen die mal diese blonden Strähnen auf, die ihm dauernd ins Gesicht hängen. Dann stellst du fest, dass er sich praktisch nie von dem alten, roten Traktor trennt, den sein Vater ihm geschenkt hat. Ben ist echt klasse, und ich wollte gar nicht von ihm weg, aber sie haben mich breitgeschlagen.“
Chrissy lächelt noch immer, aber das fröhliche Funkeln ist aus ihren Augen verschwunden.
Caroline erinnert sich an das, was ihre Mutter ihr erzählt hat – dass die Sache mit Chrissy und ihrem Freund zu ernst geworden ist.
Inzwischen ist Herr Kirby zu der kleinen Gruppe gestoßen und hat Chrissy begrüßt. Beim Reden gehen sie langsam zur Gepäckausgabe hinüber, und beim Anblick des breiten Transportbandes, das unaufhörlich im Kreis läuft, lässt Chrissy einen Schrei los, bei dem Caroline sich am liebsten die Ohren zuhalten möchte. „Ist ja irre! Komm, wir fahren mit dem Ding rum, bis das Gepäck kommt!“
„Chrissy!“ flüstert Caroline entsetzt. Sie hält ihre Cousine am Arm zurück, bevor sie sich auf das Transportband schwingen kann. „Was sollen denn die Leute denken?“
„Sorry“, entschuldigt sich Chrissy sofort. „War doch nur Spaß. Ich wollte dich ganz bestimmt nicht erschrecken, aber nach dem langen Stillsitzen platze ich fast vor Energie.“
Caroline verkriecht sich hinter einer Säule, während ihre Eltern und Chrissy auf das Gepäck warten. Ihre Wangen brennen wie Feuer, und sie ist ganz sicher, dass alle Leute sie anstarren. Wie soll ich ein ganzes Jahr mit diesem Mädchen überleben, wenn wir es nicht mal schaffen, unauffällig aus einem Flughafengebäude rauszukommen? denkt sie verzweifelt. Wenn das mit Chrissy so weitergeht, stolpern wir von einer Peinlichkeit in die nächste.
Endlich erscheint Chrissys Gepäck, und Chrissy begrüßt es mit einem Freudenschrei. „Jippie! Da ist er ja! Das ist meiner!“ Zwischen all den schicken Gepäckstücken zieht sie einen uralten, gammeligen Koffer heraus, der mit einer Kordel zugebunden ist. „Den Koffer hat Papa schon bei seiner Hochzeitsreise benutzt“, verkündet sie stolz.
Caroline läuft hin, um ihr zu helfen und den Koffer so schnell wie möglich auf einem Gepäckkarren zu verstauen.
Endlich hat Chrissy all ihre Habseligkeiten zusammen. Caroline ist heilfroh, als sie endlich im Wagen sitzen und ihr Vater in Richtung Innenstadt losfährt.