Beiträge von Nikita


    Im nächsten Moment hatte sie den Telefonhörer in der Hand und tippte, ohne darüber nachzudenken, einen Zweifel zuzulassen oder innezuhalten, eine Folge von Zahlen ein. „Vicki Latimer, bitte“, sagte sie in den Hörer, überrascht, wie fest und stark ihre Stimme klang.
    „Tut mir Leid, Mrs. Latimer ist in einer Besprechung.“



    „Hier ist Chris Malarek. Ich bin eine Freundin von ihr. Es ist sehr wichtig, dass ich sie so bald wie möglich spreche.“ War es das? Was genau wollte sie Vicki eigentlich sagen? Hatte sie vor, sie um Rat zu fragen? Um ein Darlehen? Um den Namen eines guten Scheidungsanwalts? "Ich muss nur meine Möglichkeiten kennen“, sagte sie, ohne zu bemerken, dass sie laut sprach.
    „Ich werde es Mrs. Latimer ausrichten“, sagte Vickis Sekretärin.



    Nachdem die Sekretärin aufgelegt hatte, stand Chris immer noch bewegungslos da. Sie war sich nicht sicher, wie lange sie so verharrt hatte, mit hängenden Schultern, die Brüste auf ihrem Bauch, den Hörer ans Ohr gedrückt und blinden Auges zum Fenster starrend, während das Baby in ihrem Bauch überraschend still hielt. Sie war sich auch nicht sicher, wann genau ihr bewusst wurde, dass sie nicht allein war.



    Vielleicht sah sie aus dem Augenwinkel Tonys Spiegelbild in der Fensterscheibe oder hörte in ihrem Rücken das Geräusch seines Atems. Vielleicht war es eine Schwingung, die den normalen Luftstrom in dem Zimmer veränderte. Vielleicht roch sie ihn, so wie eine zum Tode verurteilte Gazelle den Hauch des hungrigen Tigers in dem Augenblick wittert, bevor er zuschlägt. Vielleicht hatte sie auch die ganze Zeit gewusst, dass er da war, und eine matte Gewissheit machte sich in ihrem Bauch breit, als das Baby sich bewegte, um den Eindringlich willkommen zu heißen.



    „Leg den Hörer auf, Chris“, hörte sie Tony sagen, und seine Stimme klang wie die Schneide eines Sägemessers.
    „Tony…“ Das Wort erstarb auf ihrer Zunge.
    „Leg den Hörer auf und dreh dich um.“
    Chris spürte, wie der Hörer von ihrer Schulter glitt und an der Schnur in der Luft baumelnd hängen blieb wie ein Mann am Galgen. Sie machte keine Anstalten, ihn aufzuheben und ihn in die Geborgenheit der Gabel zu betten, sondern beobachtete, wie er über dem Teppich hin und her baumelte wie das Pendel einer alten Standuhr, die die Augenblicke ihrer traurigen, dummen Existenz abzählte.
    „Dreh dich um“, sagte Tony noch einmal.



    Chris atmete tief ein, hielt schützend eine Hand über den Bauch und gehorchte dann langsam.
    „Sieht so aus, als hätte ich beschlossen, doch nicht wegzufahren.“ Tony lächelte. „Was ist los, Chris? Freust du dich nicht, deinen Mann zu sehen?“



    Chris beobachtete, wie sich sein Lächeln zu einem höhnischen Grinsen verzerrte, seine rechte Hand sich zur Faust ballte und mit einer Geschwindigkeit, die sie erstarren ließ, auf sie zusauste. Und dann zersplitterte die Welt in einem Blitz aus gleißendem Licht, und sie sah gar nichts mehr.


    Ich freu mich auf eure Kommentare.
    Eure Nikita

    Wie immer am Sonntag geht's heute wieder weiter. DawnAngel, Santine, ina, Sunnysim, Simplayer_w, Thiara und Sallyconny: Ihr seid einfach die Besten. An dieser Stelle möchte ich auch mal ein Dankeschön an meine stillen Leser geben, wenn es denn überhaupt welche geben sollte ;-)
    Aber jetzt gehts weiter mit einer Stelle, die mich sehr berührt hat (so komisch wie es klingt):



    Sie musste ihn verlassen.
    Schwanger oder nicht, so konnte sie nicht mehr weiterleben, sich ständig umschauen in Furcht vor dem eigenen Schatten. „Ich kann nicht so leben“, sagte Chris, als sie mit zitternden Händen versuchte, den Schlüssel ins Schloss der Haustür zu stecken. „Ich kann so nicht mehr weiterleben. In Angst, das Haus zu verlassen. Ohne eigenes Geld. Mit lauter Lügen gegenüber meinen Freundinnen. Und dann vor vollkommen fremden Menschen zusammenbrechen. Ich kann nicht mehr.“



    Chris blickte dem Taxi nach, das die Straße hinunterfuhr und um eine Ecke verschwand. Ich liebe diese Straße, dachte sie, als sie die Haustür öffnete. Vor allem jetzt, Anfang April, wenn die kühle feuchte Luft voller Verheißung war. Wie konnte sie diese Straße verlassen? Wie konnte sie ihre Freundinnen verlassen, die wunderbaren Frauen der Grand Avenue, die sie von ganzem Herzen liebte? Ihre allerbesten Freundinnen. Lächelnd sah Chris jedes ihrer Gesichter vor sich. Trotzdem würden ihre Freundinnen sie verstehen. Sie wussten seit Monaten, dass etwas nicht stimmte. Nur ihre große Scham hatte sie davon abgehalten, ihnen die Wahrheit zu erzählen.



    Sie würde packen, Wyatt bei Mrs. McGuinty und Montana von der Schule abholen, in einem Hotel übernachten und dann entscheiden, was als Nächstes zu tun war. Sie hatte schließlich immer noch ihre Kreditkarte, oder nicht? Vielleicht auch nicht. Nein. Tony hatte ihr die Kreditkarten abgenommen, weil sie ohnehin schon genug Schulden hatten und sie so achtlos mit Geld umging. Er hatte Recht. Das Geld zerrann ihr mit beunruhigender Leichtigkeit zwischen den Fingern. Deswegen hatte er ihr die Kreditkarten abnehmen und auch das wöchentliche Haushaltsgeld sperren müssen, um ihr stattdessen täglich nur einen kleinen Betrag zu geben, über den sie auf den Cent genau Rechenschaft ablegen musste.



    So schrecklich war das auch nicht. So musste sie sich wenigstens keine Sorgen machen, dass sie zu viel ausgeben könnte, und auch nicht zu weit im Voraus planen, was sie eh nie besonders gut gekonnt hatte, weil ihre Gedanken immer von einem zum anderen sprangen. Deswegen hatten sie auch beschlossen, dass sie nicht mehr fahren sollte, weil sie sich so leicht ablenken ließ, und sie wussten beide, dass sie es sich nie verzeihen würde, wenn sie einen Unfall hätte, vor allem wenn die Kinder betroffen wären. Wozu brauchte sie außerdem ein Auto, seit Tony den ganzen Tag zu Hause war und sie überallhin fahren konnte? Nein, der zweite Wagen war ein unnötiger Luxus gewesen, den sie sich schlicht nicht mehr leisten konnten. Wenn er nicht greifbar war, konnte sie zur Not immer ein Taxi nehmen.



    „Ein Taxi nehmen“, wiederholte Chris, als sie in den Hausflur trat. „Ein Taxi nehmen. Ein Taxi nehmen.“
    Einfach ein Taxi nehmen und losfahren. Aber wohin? Ich bin im achten Monat schwanger, Himmel noch mal. Wohin soll ich gehen? Nach Hause zu Mami? Was für ein Witz. Mami weilte mit ihrem designierten Ehemann Nummer drei in Kalifornien, während Daddy sich mit Ehefrau Nummer vier in Florida tummelte, obwohl sie bezweifelte, dass einer von ihnen glücklicher war als zu der Zeit, als sie noch zusammen waren. Nein, sie hatten die Familie zerstört, die Kinder entwurzelt, waren zu unbekannten Partnern in die Fremde aufgebrochen und hatten das Leben aller Beteiligten auf den Kopf gestellt, und wozu genau? Damit sie anderswo genauso unglücklich sein konnten. Hatte Chris ernsthaft vor, ihren Kindern das Gleiche anzutun? Und Tony? Und sich selbst?
    Konnte sie ihren Mann tatsächlich aus einer Laune heraus verlassen, weil sie einen Durchhänger hatte? Und mehr war es doch nicht.



    Sie war launisch, wie sie es in der Schwangerschaft immer war. Das war alles.
    Ihre Hormone machten sie so nervös, veranlassten sie, Tony Widerworte zu geben, jeden Satz, den er sagte, in Zweifel zu ziehen, sich gegen seine Sorgen und Aufmerksamkeit zu sträuben. Wollte er nicht nur ihr Bestes? Versuchte er nicht ständig, ihr zu helfen und sie zu schützen, manchmal zur Not auch vor sich selbst? „Du bist dein schlimmster eigener Feind“, erklärte er ihr, und er hatte Recht.
    Vielleicht sollte ich eine Therapie machen, entschied sie und schlich die Treppe zum Schlafzimmer hinauf, spürte wie ihre Füße in den abgetretenen Teppich sanken wie in Treibsand, während ihre Hand auf dem Holzgeländer heftig zitterte. Es müsste mal wieder abgestaubt werden, dachte sie müßig und schleppte sich mit vor Anstrengung verkrampften Muskeln die Stufen hinauf. Ich brauche keinen Therapeuten, ich brauche eine Putzfrau.



    Oder einen Anwalt, dachte Chris, als sie laut keuchend den oberen Absatz erreichte. „Einen Anwalt“, wiederholte sie laut und ließ sich das Wort auf der Zunge zergehen, während sie ins Schlafzimmer watschelte und sich auf einen Sessel fallen ließ. Sie fühlte sich unbeholfen wie ein gestrandeter Wal. Mit einem heftigen Tritt tat das Baby in ihrem Bauch sein Missfallen über ihre Gedanken kund. „Ist schon gut, Kleiner“, versuchte sie ihn zu beruhigen. „Ist schon gut.“



    Aber es war nicht gut, und das wusste Chris auch, als sie ihr Spiegelbild im Schlafzimmerfenster sah und die verlorene Seele, die zurückblickte, kaum erkannte. Sie blinzelte, doch je genauer sie hinsah, desto mehr verblasste sie, bis sie nach einer raschen Wendung des Kopfes ganz verschwunden war wie ein verirrter Sonnenstrahl. Was ist mit mir passiert?, fragte Chris sich. Was ist aus mir geworden?


    Noch eine FS...

    Oh, na bei dir hat sich ja viel getan.
    Finde die Piano-Bar superschön gestaltet. Auch der Garten und der Eingang sind wunderschön geworden.
    Ich kann dir nur mein allergrößtes Lob aussprechen. Du hast es einfach drauf, und ich beneide dich um dein Talent ;)
    Liebste Grüße
    Nikita

    Hey du,
    ich konnte leider nicht früher schreiben, denn mich hat's jetzt auch erwischt. War mit Grippe im Bett gelegen und hatte überhaupt keinen Geist dazu, an den Computer zu gehen.
    Nunja, jetzt geht es wieder einigermaßen und die Fortsetzungen hab ich verschlungen. Manman, das wird ja immer spannender und das mit der Narbe finde ich hart.
    Ich freu mich schon wahnsinnig darauf, wenn du weitermachst.
    LG
    Nikita


    In diesem Augenblick spürte sie eine Hand auf ihrem Rücken, vertraute Finger, die sich in die Muskeln unter ihrem Pullover gruben. Oh Gott, dachte sie, spannte die Schultern an und unterdrückte einen Schrei. Er hat mich gefunden. Wie töricht von mir zu glauben, dass er es nicht herausfinden würde, töricht zu glauben, dass er nicht wissen würde, wo er zu suchen hatte.
    „Sind Sie Chris Malarek?“, fragte eine Frauenstimme.
    Chris fuhr so abrupt herum, dass sie die mittelalte Frau beinahe umgerempelt hätte, und nickte heftig.



    „Mrs. Azinger ist zur OP gebracht worden“, erklärte die Krankenschwester. „Sie hat mich gebeten, Ihnen das hier zu geben und Ihnen auszurichten, dass sie Sie später anrufen wird.“ Mit diesen Worten drückte sie Chris fünf neue 20-Dollar-Scheine in die Hand.
    „Danke“, flüsterte Chris. „Vielen herzlichen Dank.“ Und im nächsten Moment schluchzte sie laut an der Schulter der fremden Frau.


    Freu mich schon auf eure Kommentare!
    Liebste Grüße
    :kiss Eure Nikita


    Sofort war Barbara neben ihr auf den Beinen. „Was ist los? Ist die Fruchtblase geplatzt?“
    Beide Frauen blickten auf den Boden, der zum Glück ebenso trocken war wie Chris’ Hüften und Beine. Was war mit ihr los? Hatte sie jede Selbstbeherrschung verloren? „Ich muss mal auf die Toilette.“
    „Möchtest du, dass ich mitkomme?“ Sorge verdüsterte Barbaras Augen.



    Das ist ja wirklich super, dachte Chris. Sie sorgt sich um mich, während ich eigentlich diejenige sein sollte, die sich um sie kümmert. Sie soll narkotisiert und aufgeschnitten werden, bevor man in ihr herumstochert und –popelt, während ich nur hier sitzen und ihr Gesellschaft leisten muss, bis sie an der Reihe ist, mehr nicht, und ich schaffe nicht einmal das. Ich bin ein absoluter Versager. Meine beste Freundin unterzieht sich dieser Tortur nur, weil sie sich ein zweites Kind wünscht, mehr als alles andere auf der Welt, und ich komme beinahe direkt vor ihren Augen nieder, mit Baby - sage und schreibe – Nummer drei. Wenn das nicht unsensibel war! Tony hatte Recht. Ich hätte nie herkommen dürfen.



    „Chris? Ist alles in Ordnung? Du siehst nicht besonders gut aus.“
    „Es geht mir gut“, log Chris.
    „Vielleicht solltest du besser nach Hause gehen.“ Barbara sah auf die Uhr. „Man wird mich jetzt jeden Moment hereinrufen, und bis ich aus dem Aufwachzimmer komme, ist Ron ganz bestimmt hier. Es gibt keinen Grund, dass du bleibst. Hier ist Geld für ein Taxi.“ Sie griff in ihre Handtasche, nahm zwei 20-Dollar-Scheine und drückte sie Chris in die Hand.
    Chris wurde vor Verlegenheit rot. Wie hatte Tony vergessen können, ihr Geld dazulassen? „Ich gehe nirgendwohin“, sagte sie entschlossen und stopfte das Geld wieder in Barbaras Handtasche. „Außer auf die Toilette. Ich bin gleich wieder da.“



    Chris ging unsicher einen Flur hinunter, der mit jedem Schritt länger zu werden schien. „Wo ist die Toilette?“, murmelte sie. „Es muss hier doch irgendwo eine Toilette geben, Himmel noch mal.“
    „Kann ich Ihnen helfen?“, fragte ein Mann irgendwo hinter ihr.
    Mit pochendem Herzen und Schweiß auf der Stirn wendete Chris den Blick in die Richtung, aus der die vertraute Stimme gekommen war. Er hat mich gefunden, dachte sie, schloss die Augen und machte sich auf den Wutanfall ihres Mannes gefasst. Sie war gegen seinen Willen hergekommen, hatte die erste sich bietende Gelegenheit genutzt, ihn zu täuschen und ihre Familie zu gefährden, indem sie ihr ungeborenes Baby potenziell tödlichen Bakterien aussetzte. Hatte Tony es ihr nicht verboten? Er hatte alles Recht, wütend zu sein.



    „Suchen Sie etwas Bestimmtes?“, fragte der Mann, als Chris sich zwang, die Augen wieder zu öffnen.
    Der Mann, den sie vor sich sah, sah kein bisschen aus wie Tony. Er klang auch vollkommen anders, wie sie jetzt hörte, als er ihr den Weg zur Toilette wies, die gleich rechts um die nächste Ecke war. „Danke“, sagte sie und erlaubte ihm, ihren Ellbogen zu fassen und sie ein Stück zu begleiten.



    „Danke“, sagte sie noch einmal, als sie die Tür der Toilette erreichte, obwohl der junge Mann schon verschwunden war. „Danke“, wiederholte sie ein drittes Mal, als sie vor dem Spiegel stand, sich die Wangen mit Wasser benetzte und zusah, wie die Tropfen ihren Hals hinunter auf den Kragen ihres Pullovers flossen.



    Ein paar Minuten später machte sich Chris mit entleerter Blase und beruhigten Nerven auf den Weg zurück in den Wartebereich, doch Barbara war verschwunden. Unschlüssig, was sie als Nächstes tun sollte, stand sie eine Weile mitten im Flur. Sollte sie warten, bis Barbara aus dem OP kam, oder sollte sie nach Hause fahren, wie ihre Freundin es vorgeschlagen hatte. Sie hatte bloß bis auf die zehn Dollar, die sie Mrs. McGuinty für das Aufpassen auf Wyatt geben musste, kein Geld. Sie hatte also gar keine andere Wahl, als auf Ron zu warten. Das war okay. Montana war in der Schule, Wyatt in guter Obhut. Hier war es friedlich und still. Niemand sagte ihr, wie sie was zu tun hatte, niemand erklärte ihr, dass sie faul, dumm oder egoistisch war.


    Noch eine klitzekleine Fs...


    Chris tätschelte gedankenverloren ihren Bauch und spürte, wie das Baby gegen ihre Handfläche trat, als wollte es sie auf Abstand halten, als hätte es ihre zwiespältigen Gefühle gespürt, sie schon im Voraus beurteilt und für mangelhaft befunden. Der Ultraschall hatte gezeigt, dass es ein Junge war. Tony hatte bereits einen Namen ausgewählt. Rowdy sollte er heißen, nach irgendeinem Cowboy, den Clint Eastwood mal im Fernsehen gespielt hatte. Was ist das für ein Name?, hatte sie sich gefragt, jedoch nicht ihn. Wozu auch? „Bist du sicher, dass dich das hier nicht zu sehr aufregt?“, fragte sie Barbara flüsternd. Beide Frauen blickten auf Chris’ Bauch.



    „Ist das ein Ernst? Es macht mir Hoffnung und erinnert mich daran, warum ich mich der Tortur unterziehe.“ Barbara streichelte über Chris’ Bauch und hoffte ganz offensichtlich, ihm ein Lebenszeichen zu entlocken. Doch das Baby in Chris hielt sofort still und weigerte sich, auch nur einen Finger zu rühren, bis Barbara sich schließlich geschlagen gab und ihre Hand zurückzog.
    Als ob er es wüsste, dachte Chris. Als ob er sich absichtlich nicht bewegt.
    Barbara klopfte auf ihren eigenen Bauch. „Meinst du, ich könnte sie auch zu einer kleinen Bauchdeckenstraffung überreden, wo ich schon hier bin?“
    Chris lachte. „Du siehst großartig aus.“



    „Ich weiß nicht. Irgendwie werde ich dieses Bäuchlein einfach nicht los. Du hast wenigstens eine Entschuldigung.“
    „Du siehst großartig aus“, wiederholte Chris, erstaunt, wie gefasst und aus dem Ei gepellt ihre Freundin weniger als eine Stunde vor dem Eingriff wirkte.
    Chris fasste sich unwillkürlich an die eigene Wange, auf der sie noch das Brennen von Tonys Handfläche spürte. Es war natürlich ein Unfall gewesen. Ja, er war wütend gewesen, hatte jedoch lediglich frustriert die Hand gehoben: Er hatte nicht erwartet, dass sie den Kopf wenden würde. Warum musste sie auch genau in diesem Moment ihren Kopf wenden?



    „Mein Gott, Baby, es tut mir so Leid“, hörte sie ihn rufen, und seine Stimme hallte in dem Krankenhauskorridor wider. „Alles in Ordnung? Du weißt doch, dass ich dir nicht wehtun wollte. Bitte verzeih mir. Du weißt doch, dass es ein Unfall war, oder nicht? Du weißt doch, wie sehr ich dich liebe. Bitte sag, dass du mir verzeihst, Baby. Ich verspreche dir, dass es nie wieder passieren wird.“
    „Irgendwas nicht in Ordnung?“, fragte Barbara.
    „Nicht in Ordnung? Wieso?“
    „Weil du dabei bist, die ein Loch in die Backe zu reiben.“



    Chris spürte, wie ihr Nacken heiß wurde und ihre Wangen rot anliefen. „Fühlt sich an, als würde ich einen Pickel bekommen“, log sie. Sie wurde richtig gut darin, ihre Freundinnen anzulügen.
    „Man sollte meinen, den Mist hätten wir hinter uns.“ Barbara rutschte näher und untersuchte Chris’ Wange mit geübtem Blick. „Ich sehe nichts.“
    „Es ist einer von denen, die unter der Haut liegen.“
    „Die sind die Schlimmsten.“ Barbara sah sich seufzend um. „In Momenten wie diesem wünsche ich mir manchmal, ich würde rauchen.“
    „Bist du nervös?“



    „Ein bisschen. Hast du in letzter Zeit irgendwelche guten Witze gehört?“
    „Was sagt eine Mauer zur anderen?“, fragte Chris schüchtern.
    „Wir treffen uns an der Ecke?“
    „Ziemlich lahm“, gab Chris zu, und beide Frauen lachten. „Das kommt davon, wenn man seine neuen Witze von einer Vierjährigen hat.“
    Barbara atmete vernehmlich aus. „Was, wenn sie feststellen, dass ich keine Kinder mehr haben kann?“
    Chris nahm die Hände ihrer Freundin. „Das wird nicht passieren.“
    „Und wenn doch?“



    „Dann gebe ich dir eins von meinen“, sagte Chris leise, als Barbara den Kopf auf ihre Schulter legte. Sofort spürte sie den Tritt des Babys in ihrem Leib, als hätte der Kleine sie gehört, als ob er nach all den Monaten der Belagerung ihres Körpers Einblick hatte in alles, was sie sagte, dachte und fühlte. Und er hasste sie wegen dieser Gedanken. Er hasste sie schon jetzt. Rowdy, wiederholte sie stumm und versuchte, sich an den Klang zu gewöhnen, als das Baby eine Reihe gut gezielter Tritte auf ihre Blase abgab. Ich habe es nicht so gemeint, versuchte Chris zu erklären. Es war bloß ein Witz. Du bist mein eigen Fleisch und Blut, ich würde dich nie verlassen. Und es ist auch nicht so, als ob ich dich nicht lieben werde und schon jetzt liebe. Es ist nur…



    Nur was? Nur das falsche Timing? Hast du deinen Freundinnen das nicht erzählt? Dass ein drittes Kind das Letzte ist, was du im Augenblick gebrauchen kannst? Weil du so viele andere, so viele bessere Dinge zu tun hast? Weil du lieber mit deinen Freundinnen als mit deiner Familie zusammen wärst, hörte sie das Baby in ihrem Leib in Tonys vorwurfsvollem Tonfall sagen.
    „Nein!“ Chris sprang auf.


    Fs folgt sofort...

    So, heute geht es wieder weiter!
    Dankeschön für all die lieben Kommentare!
    DawnAngel - Nun, jetzt hast du ja wieder Lesestoff ;-)
    @Santine + Lionimaus - Habt ganz ganz großen Dank ihr beiden :-)
    @Smeagol - *lach* Das kenn ich nur zu gut! Sogar wenn der freie Wille auf "aus" geschaltet ist, machen diese Leutchen was sie wollen. Das hat mir manchmal schon meinen letzten Nerv gekostet ;-)
    ina - yepp, da geb ich dir vollkommen recht. Man ist da schon sehr sensibel und empfänglich für solche Kommentare und nimmt es sich sehr zu Herzen. Wobei bei mir das eher umgekehrt ist. Ich wurde schon mal gefragt, ob ich magersüchtig bin. Tze.. *entschieden von mir zurückweis*
    Simplayer_w + Thiara - Nein, ich kann den Professor auch nicht leiden. Ihr habt meine vollste Zustimmung!
    @Sallyconny - Jetzt kommt die Nächste *gg* Und das Lob musst du der Frau geben, die so gut schreiben kann; nämlich Joy Fielding.
    Genug gequatscht, jetzt gehts weiter:



    „Und wie geht es dir?“
    „Ganz gut, glaube ich.“
    „Nervös?“
    „Ein bisschen.“
    Chris streckte den Arm aus und fasste Barbaras zitternde Hand. Dabei streifte sie über ihren riesigen Bauch und spürte, wie das Baby in ihr sich sofort vorbeugte und die Ohren gegen ihre inneren Hautfalten drückte, als wäre es in permanenter Alarmbereitschaft. Wer ist diese Frau?, fragte das Baby in Chris stumm, und ein heftiger Tritt ermahnte sie, ihr nicht zu nahe zu kommen. Die Frau ist ein Eindringling, keine Freundin, warnte der Tritt sie, jemand, der von dir verlangt, ihr unvernünftig viel Zeit zu opfern, und der dich von deiner Familie ablenkt, wo dein angestammter Platz ist. Du solltest gar nicht hier sein. Hat Daddy dir nicht gesagt, dass du nicht herkommen sollst? Ein weiterer Tritt, härter und heftiger als der erste. Was würde Daddy sagen, wenn er es wüsste?



    Chris wurde übel, und sie schluckte die Galle, die ihr in den Hals stieg, herunter. Oh bitte, dachte sie, während ihr Blick auf der Suche nach einem Notausgang panisch durch den langen Flur huschte. Du darfst dich nicht übergeben. Nicht hier. Nicht in einem Krankenhausflur, Herrgott noch mal. Obwohl es kaum einen besseren Ort gab. Dieser Gedanke ließ sie beinahe laut auflachen, wenn da nicht diese Angst wäre. Ich habe ständig Angst, dachte sie und kämpfte gegen den Würgereiz an, während sie ihre Furcht hinter einem Lächeln verbarg. Sie lächelte viel dieser Tage.



    „Es wird schon alles gut gehen“, sagte sie, ebenso sehr zu sich selbst wie zu ihrer besten Freundin. „Soweit ich weiß, werden diese Untersuchungen heutzutage dauernd gemacht.“ Sie fragte sich, ob das stimmte oder ob sie es sich ausgedacht hatte. Tony sagte, dass sie sich ständig Sachen ausdachte und irgendwelches Geschwätz als Tatsache hinstellte, um zu vertuschen, wie ungebildet sie war. Dabei ließe sich niemand täuschen, sagte er.



    „Ich weiß.“ Barbaras leicht aufgerissene Augen deuteten ein Lächeln an. „Keine große Sache. Ich hätte dich gar nicht fragen sollen, ob du mitkommst.“
    „Sei doch nicht albern. Ich bin gerne hier.“
    „Ron hat gesagt, er würde kommen, sobald seine Seminare vorbei sind.“
    „Ich bin wirklich froh, dass ich es noch geschafft habe.“
    „Danke.“ Barbara starrte in ihren Schoß. „Ich weiß, dass es wahrscheinlich nicht leicht für dich war, zu Hause wegzukommen.“
    „Leichter als du denkst.“ Chris warf einen weiteren verstohlenen Blick in den geschäftigen Krankenhausflur und suchte nach einem vertrauten Augenpaar über einer OP-Maske. „Tony hat geschäftlich außerhalb der Stadt zu tun.“
    „Geschäftlich? Hat er einen neuen Kunden?“



    „Ich weiß es nicht genau“, erwiderte Chris vage, verlegen, nicht weil sie nicht mehr darüber wusste, sondern weil sie so unendlich erleichtert gewesen war, als Tony ihr erklärt hatte, dass er für ein paar Tage verreisen müsste. Sie hatte ihn weder gefragt, wohin er fuhr, noch, was er dort zu tun hatte. Ihre Freude über seine unerwartete Ankündigung war derart groß gewesen, dass sie sich am Tisch hatte festhalten müssen, um nicht auf und ab zu springen.
    „Was ist denn los, Liebling?“, hatte Tony gefragt und sie in seine Arme gezogen. „Ich bin doch nicht lange weg. Du musst dir keine Sorgen machen.“



    Was ist mit mir los?, fragte Chris sich nun. Tony war ihr Mann, der Vater ihrer Kinder. Er arbeitete hart, um für all die Bequemlichkeiten zu sorgen, die sie für selbstverständlich hielt. „Wie konnte sie so undankbar, so hartherzig und egoistisch sein, dass sie ihn an einen anderen Ort als an ihrer Seite wünschte, dem einzigen Platz auf der Welt, an dem er sein wollte? Warum machte sie ihm das Leben immer so schwer? War es so schwierig, einfach still zu halten und zu tun, was er von ihr verlangte: das Haus in Schuss, die Kinder in Ordnung und ihre Freundinnen auf Distanz zu halten? Tony hatte Recht: Wenn sie sich nur halb so viele Gedanken um ihn machen würde wie um ihre kostbaren Freundinnen…



    Wenn ich einfach ein bisschen mehr Zeit für mich hätte, dachte Chris. Aber seit Tony zu Hause arbeitete, schien er bisweilen mehr mit ihrer als mit seiner Tagesplanung beschäftigt. Seit er vor sieben Monaten sein Zimmer zum Büro umgewandelt hatte, hatte er Chris’ Alltag komplett neu organisiert, und auch wenn sie widerwillig zugeben musste, dass der Haushalt seitdem besser funktionierte, klangen ein paar Tage, die sie ganz für sich allein haben sollte, unheimlich verlockend.



    Sie konnte sich entspannen, mit ihren Freundinnen telefonieren, ohne sich um Tonys angeknackstes Selbstwertgefühl zu sorgen, vielleicht sogar Susan und Vicki zum Mittagessen treffen, auf jeden Fall aber Barbara zu ihrer Bauchspiegelung ins Krankenhaus zu begleiten, ein Ansinnen, gegen das Tony von Anfang an sein Veto eingelegt hatte. „Na, das ist wirklich eine großartige Idee“, hatte er sie getadelt, als sie ihm vor ein paar Wochen erstmals von Barbaras Bitte berichtet hatte. „Du mit deinem Baby, das praktisch aus deinem Bauch platzt, begleitest eine Frau ins Krankenhaus, die sich untersuchen lässt, um herauszufinden, warum sie keine weiteren Kinder bekommen kann! Das ist wirklich sehr einfühlsam von dir.“


    FS kommt sofort..


    Wie ein knurrender Hund, dachte Susan und machte instinktiv einen Schritt zurück.
    „Wenn Sie mich entschuldigen“, sagte er.
    „Das werde ich nicht tun.“ Susan hatte die Worte ausgesprochen, bevor sie darüber nachdenken konnte.
    „Was?“
    „Ich werde nichts entschuldigen. Ich finde Ihre Bemerkungen ungeheuerlich. Ich finde, Sie schulden dem Seminar – und mir – eine Entschuldigung.“



    „Ich glaube, Sie sind diejenige, die sich ungeheuerlich aufführt, Mrs. Norman“, gab er zurück, ihren Namen förmlich ausspuckend. „Ich weiß, wir leben in den 80er-Jahren, und die Frauenbewegung hat den gesunden Menschenverstand fest im Würgegriff, aber wirklich, Susan, haben Sie denn gar keinen Humor?“
    „Jedenfalls nicht Ihren“, erwiderte sie knapp.
    Professor Currier schüttelte traurig den Kopf, als wäre er der Gekränkte. „Ich freue mich schon auf Ihr Essay“, sagte er und verließ hocherhobenen Hauptes den Raum.


    Das war's für heute.
    Schreibt mir nur fleißig. Ich freu mich drüber :kuss
    Liebe Grüße
    Eure Nikita


    „Ist irgendetwas, Mrs. Norman?“, bedrängte Ian Currier sie.
    Susan hob langsam den Blick und richtete ihn in die ungefähre Richtung des Professors, sorgfältig darauf bedacht, ihn nicht direkt anzusehen. Denn wenn sie ihn ansah, könnte sie vielleicht etwas sagen, was sie später bereuen würde. Schließlich war er ihr Professor, der Mann, der entschied, ob sie das Seminar bestand und den heiß begehrten Abschluss bekam.
    „Susan?“



    Jetzt ist mein Name an sich schon ein Problem geworden, dachte Susan und wollte weglaufen und sich verstecken, wie sie an jenem Nachmittag am See vor den gemeinen Hänseleien ihres Bruders geflohen war. Vermeidung – ihre spontane Reaktion auf Unannehmlichkeiten jedweder Art, gefolgt von einer versöhnlichen Geste. Wut war eine riesige Energieverschwendung. Die meisten Probleme ließen sich mit ein paar leisen, wohlgesetzten Worten aus dem Weg räumen. Und warum war sie überhaupt so aufgebracht?



    Wegen einer unschuldigen Bemerkung, die erkennbar witzig gemeint gewesen war, die niemand ernst und an der niemand sonst Anstoß genommen hatte. Sie machte, wie man so sagte, aus einer Mücke einen Elefanten, wahrscheinlich weil sie noch gekränkt war von Professor Curriers vorheriger Bemerkung über ihr Gewicht, die sie bestimmt auch falsch gedeutet hatte. Sie war viel zu empfindlich, was wahrscheinlich an ihrer Müdigkeit lag. Sie musste wirklich unbedingt mehr schlafen.



    Susan hörte Schritte, blickte auf und fand das Pult verlassen vor, während Professor Currier schon auf dem Weg zur Tür war. Soll er in Frieden gehen, dachte sie. „Professor Currier“, sagte sie laut.
    Als er seinen Namen hörte, blieb der Professor abrupt stehen und drehte sich um.



    Als sie ihn erreicht hatte, sah er sie direkt an. „Dachte ich mir doch, dass Sie noch etwas auf dem Herzen hatten“, sagte er abwartend.
    Er ist gar nicht so viel älter als ich, dachte Susan, strich ihr Haar hinter die Ohren und versuchte zu entscheiden, was sie eigentlich sagen wollte. „Ich fand Ihre Bemerkung ziemlich unangemessen“, begann sie und dachte: Verdammt, viel zu allgemein und vage.



    „Welche Bemerkung meinen Sie?“, fragte er erwartungsgemäß zurück und musterte sie mit einem herausfordernden Lächeln.
    „Ihre Bemerkung über Frauen.“
    „Über Frauen?“
    „Über Frauen mit großen Brüsten.“
    „Ah ja, die Frauen mit großen Brüsten“, wiederholte er, während seine Mundwinkel in offenkundiger Belustigung über ihre Verlegenheit amüsiert zuckten.
    „Das fand ich unangemessen.“
    „Sie finden Frauen mit großen Brüsten unangemessen?“



    Er spielt mit mir, dachte Susan, die aber nicht vorhatte, klein beizugeben, und deshalb kühner wurde. „Ich fand ihre Bemerkung, dass Frauen mit großen Brüsten die Prüfung automatisch bestanden haben, unangemessen.“
    Er nickte und ließ seinen Blick auf die Vorderseite ihres Pullovers sinken. „Ich glaube nicht, dass Sie sich irgendwelche Sorgen machen müssen, Mrs. Norman. Ihre Oberweite scheint mir mehr als hinreichend üppig, um das Seminar zu bestehen.“ Sein Lächeln wurde breiter, und er zeigte die Zähne.


    Und weils so schön ist, noch was Kurzes..


    Verfügt der Mann auch über einen Röntgenblick?, fragte Susan sich, während mehrere Studenten in ihrer Nähe nervös lachten, möglicherweise dankbar, dass nicht sie Gegenstand seines beißenden und gefürchteten Spotts geworden waren.



    „Man sollte meinen, dass gerade Sie mit den Gefahren des Essens zwischen den Mahlzeiten vertraut sind“, bemerkte der Professor, und sein Blick kehrte zu seinem Skript zurück, bevor sie das volle Ausmaß seiner Andeutung begreifen konnte. „In The Conversion of St. Paul“, sagte er, als ob der eine Gedanke logisch aus dem anderen folgen würde, „sehen wir die gewohnten Elemente kirchlicher Dramen aus dem zwölften Jahrhundert, darunter die Bekehrung eines Sünders und das knappe Entrinnen vor gefährlichen Feinden sowie einen andauernden Konflikt zwischen weltlicher Macht und der Kraft göttlicher Erlösung.“



    Susan spürte, wie ihre Haut unter ihrem Pulli brannte, ihr Hals rosa anlief und ihre Wangen dunkelrot leuchteten. Wie konnte er es wagen, so mit ihr zu sprechen! Wie konnte er es wagen, sich über ihr Gewicht lustig zu machen!
    Aber hatte er das wirklich getan, bremste sie sich sofort wieder. Oder war sie bloß überempfindlich? Vielleicht sollte seine Bemerkung lediglich ein leichter Tadel für ihre Störung der Vorlesung sein. Wahrscheinlich weiß er, dass er tödlich langweilig ist, und nutzt deshalb gewisse Situationen dankbar, um die Veranstaltung aufzulockern. In Zukunft würde se sorgfältig darauf achten, ihm keine derartige Gelegenheit mehr zu bieten. Sollten die anderen Studenten seine schlecht gelaunten Sticheleien erdulden. Sie konnten es ab. Sie waren härter und stärker und mindestens zehn Jahre jünger als sie.



    Wem will ich etwas vormachen?, dachte sie und sah sich verstohlen in dem überhitzten Raum um. Es waren kleine Kinder, Herrgott noch mal, die meisten noch Teenager, ihre Gesichter unfertige Leinwände, die darauf warteten, von den Pinselstrichen der Erfahrung vollendet zu werden. Was tat sie unter all diesen Menschen, zu denen sie ganz offensichtlich nicht gehörte? Was für eine Verrenkung ihres Egos hatte sie dazu getrieben, einen Universitätsabschluss anzustreben, der letztendlich nutzlos war? Ich werde eine abgeschlossene Ausbildung vorweisen können, erinnerte sie sich, und das Gefühl der Befriedigung genießen, eine Aufgabe gut erledigt zu haben.



    Und wer wollte wissen, ob sich ihr Examen in englischer Literatur nicht doch noch als nützlich erweisen sollte? Vicki drängte sie ständig, mit ihrem Mann über einen Job bei einer seiner Zeitschriften zu sprechen. Wenn sie ihr Diplom in der Tasche hatte und die Kinder irgendwann den ganzen Tag in der Schule waren, würde sie Jeremy Latimers wachsendem Imperium vielleicht doch noch einen Besuch abstatten.



    „Das wichtigste Ziel kirchlicher Dramen im zwölften Jahrhundert war nicht die Erziehung der Massen, sondern die Erschaffung erbaulicher Werke der Frömmigkeit und Weisheit. Die Verwendung verschiedener poetischer Formen und literarischer Genres sowie die klassischen Anspielungen deuten auf ein hohes Maß literarischer Verfeinerung hin.“ Professor Currier sah von seinen Notizen auf und ließ seinen Blick durch den Raum schweifen.



    „So weit, so gut. Bis zum nächsten Freitag schreiben Sie mir bitte einen Vergleich der Digby- mit der Fleury-Version von The Conversion of St. Paul, Länge 5000 Wörter. Ich werde keinerlei Aufschub gewähren, und die Benotung des Referats wird 25 Prozent ihrer Semesternote ausmachen. Frauen mit großen Brüsten“, fuhr er zwinkernd fort, „haben natürlich automatisch bestanden.“ Damit verstaute er seine Notizen in seiner abgewetzten Aktentasche und ließ die Schlösser zuschnappen. „Das war’s.“ Sein breites Lächeln schien seine Kahlköpfigkeit noch zu betonen. „Vorlesung beendet.“



    Ein paar Studenten lachten, andere kicherten nervös, während sie ihre Sachen einpackten und den Raum verließen. Nur Susan blieb sitzen, mühsam nach Luft schnappend und unfähig, sich zu rühren.
    „Probleme, Mrs. Norman?“, fragte Professor Currier.
    Susan schüttelte den Kopf, den Blick fest auf den Boden gerichtet. Tränen brannten in ihren Augenwinkeln, als wäre sie geohrfeigt worden. Was war bloß mit ihr? Warum stand sie nicht einfach auf und ging?


    Noch ein Teil...

    Hey ihr,
    heute geht es mal wieder weiter. Sorry, dass es so lange gedauert hat, aber die Schule hat wieder angefangen und mit ihr wieder zahlreiche Abfragen, Schulaufgaben, Tests, Referate usw.
    Noch ein DICKES Dankeschön an Smeagol, DawnAngel, Santine, ina und Simplayer_w und dann geht es auch schon weiter:



    „In unserem Überblick über die liturgischen Anfänge des Theaters“, erklärte Professor Ian Currier einem Kurs von etwa fünfundvierzig nicht unbedingt enthusiastischen Studenten, „haben wir über einige Stücke aus dem 12. Jahrhundert gesprochen, die durchaus von künstlerischem Wert sind, vor allem jene aus dem Dramenbuch von Fleury.“



    Susan rutschte auf ihrem harten Holzsitz hin und her und kämpfte dagegen an, dass ihr die Augen zufielen. Ich muss mehr schlafen, stellte sie fest, obwohl offen blieb, wie sie das schaffen sollte bei all den Seminaren, Essays und Referaten, der Vorbereitung auf Tests und Prüfungen, der Verantwortung für zwei kleine Töchter – Whitney war zum Glück in jeder Beziehung pflegeleichter als Ariel, was jene nur noch schwieriger machte – und einem Mann, der sich auf gar keinen Fall vernachlässigt fühlen sollte.



    Susan wusste, dass der Tag nur begrenzt viele Stunden hatte – oder genauer gesagt die Nacht, wenn sie sie am nötigsten brauchte. Sie richtete sich gerader auf, streckte ihren Rücken, unterdrückte ein Gähnen und wandte ihre Aufmerksamkeit wieder dem leise nölenden Tonfall von Professor Curriers Stimme zu, der seinen gelangweilten Lebensüberdruss für jedermann deutlich kundtat. Was machte sie hier? Was glaubte sie, welche Türen ihr ein Magister in Literatur öffnen würde?



    „Doch auch in Fleury waren die Stücke eng an den jeweiligen liturgischen Anlass gebunden, und sie wurden abschnittweise während des normalen Gottesdienstes gesungen“, fuhr Professor Currier fort. „Wie wir in The Conversion of St. Paul sehen werden, hält sich das Stück, das wahrscheinlich zum Fest der Bekehrung des heiligen Paulus am 25. Januar aufgeführt wurde, ziemlich eng an den biblischen Bericht seiner Bekehrung, wie er in der Apostelgeschichte erzählt wird.“



    Um sich herum hörte Susan das Geräusch von Stiften, die über Papier huschten wie winzige wilde Mäuse, und bemerkte, dass sie selbst seit Beginn der Vorlesung noch kein Wort notiert hatte. Sie klappte ihr Notizbuch auf und tastete in der großen Leinentasche vor ihren Füßen nach einem Stift. Sofort spürte sie, dass etwas an ihrem Finger klebte, wie ein Blutegel aus einem Süßwasserteich, und dieses Gefühl rief sofort eine unangenehme Erinnerung an ihre Kindheit wach, als ihre Eltern mit ihr, ihrem älteren Bruder und ihrer kleinen Schwester im Sommer in ein Ferienhaus gefahren waren und sie darauf bestanden hatte, gleich am ersten Nachmittag ins Wasser zu gehen, obwohl ihre Mutter sie vor Egeln gewarnt hatte.



    Doch sie war zu sehr damit beschäftigt gewesen, vor ihrer kleinen Schwester anzugeben, um auf die Ermahnungen ihrer Mutter zu hören, und mit mehreren hässlichen, schwarzen Klümpchen an Armen und Beinen wieder aus dem Wasser gekommen, die ihre Schwester nur in die Flucht gejagt hatten. Sie hatte vergeblich versucht, die Egel abzuziehen, und damit alles nur noch schlimmer gemacht, Blut sickerte in kleinen Zickzackrinnsalen an ihren Gliedmaßen herunter. Ihre Mutter erklärte, dass man die schrecklichen Viecher nicht abziehen konnte, ohne die darunter liegende Haut zu beschädigen, dass sie sich vielmehr nur mit einer großzügigen Portion Salz entfernen ließen.



    „Und danach musst du sie essen“, hatte ihr Bruder sie schadenfroh geneckt und sie kreischend und heulend über den Strand gejagt, bis ihre Mutter sie eingefangen und ihr versichert hatte, dass der Einzige, der die hässlichen Biester vielleicht essen müsste, ihr Bruder war.
    Susan zog erleichtert die Hand aus der Tasche, bemerkte jedoch gleichzeitig entsetzt den angelutschten orangefarbenen Lutscher, der an ihrem Zeigefinger klebte. „Na super“, murmelte sie lauter als beabsichtigt.



    „Verzeihung, Mrs. Norman“, sagte Professor Currier sofort, „wollten Sie dem Seminar etwas mitteilen?“
    Der Teufel sollte seine großen Ohren holen, dachte Susan kopfschüttelnd. Die mussten auch alles mitkriegen.
    „Verzeihung“, murmelte sie, zog heftiger als nötig an dem anstößigen Lutscher, sodass er zerbrach, mehrere Stücke zu Boden fielen und wie Scherben zersplitterten.
    „Ein kleiner Snack, Mrs. Norman?“, fragte Professor Currier, senkte das Kinn und sah sie über den Rand seiner Brille hinweg an.


    Fortsetzung folgt sofort...

    Na das waren ja wieder zwei herrliche Fortsetzungen *lach*
    Ich finde diesen Scratch superniedlich :luvlove
    Ich bin mir sicher, in deiner Geschichte passiert noch einiges, wo wir uns schlapplachen können ;)
    Mach schnellstens weiter, ich liebe deine Story :handkuss
    LG
    Nikita

    Na, das war ja wieder eine sehr gelungene Fortsetzung! Und dein Schreibstil ist einfach klasse! Mach nur weiter so, dann kann gar nichts mehr schief gehen ;)
    Nun, ich bin mal riesig gespannt ob Snake jetzt tot ist oder doch noch lebt. Deswegen musst du ganz, ganz schnell weiter machen. Ich freu mich drauf!
    Liebe Grüße :handkuss
    Nikita

    Uiuiui, also wenn ich nicht schnellstens erfahre, was jetzt mit Estelle und Jai eigentlich ist, platze ich wirklich noch vor Neugierde.
    Aber ich könnte nie so beherrscht und klar denkend sein wie Oli. Da hat sie echt Respekt verdient! Wie sie das alles so meistert, einfach sagenhaft!
    War natürlich wieder eine megaklasse Fortsetzung und ich freu mich wenn es weiter geht!
    LG
    Nikita

    *lach* Die Fortsetzung war ja wieder mordsmäßig genial.
    Ich könnte mich einfach königlich darüber amüsieren ;)
    Aber ich möchte zu gern etwas von "Schlumpfine" und dem Kind erfahren *lol*
    Mach ganz ganz schnell weiter :fee
    Liebe Grüße
    Nikita

    Oi, schaut ganz so aus, als ob Oli jetzt die Regie in dem Haus führen muss. Dabei hat sie doch selber ihre Probleme. Und die sind auch nicht gerade einfach zu bewältigen. Ich will aber auch endlich wissen, was da jetzt genau mit Jai und mit Estelle ist *ungeduldig bin* ;)
    War auf jeden Fall wieder eine supi Fortsetzung und ich hoffe, dass du bald weiter machst :fee
    Liebe Grüße
    Nikita


    Vielleicht bin ich bloß leichter zu befriedigen, dachte Susan jetzt, obwohl sie sich selbst nie für eine ausgesprochen erotische Frau gehalten hatte, jedenfalls ganz bestimmt nicht für sexy. Durchaus attraktiv, vor allem, wenn sie ein paar Pfund abspecken könnte, aber nicht annähernd so hübsch wie Barbara, Chris oder Vicki. Und wahrscheinlich würde sich keine Frau ein Bein ausreißen, ausgerechnet Owen ins Bett zu kriegen. Sie würde sich Barbaras Mann Ron aussuchen, weil er groß und gut aussehend war, oder auch Chris’ Mann Tony, weil er großspurig und draufgängerisch war. Und sie würden sich alle falsch entscheiden.



    Am Ende sind wir die Summe unserer Entscheidungen.
    „Wie geht’s dir?“, fragte ihr Mann jetzt.
    „Gut“, schnurrte Susan. „Sehr gut.“
    Sekunden später schlief sie in die Arme ihres Mannes gekuschelt friedlich ein.


    Das wars für heute. Jetzt geh ich noch ein bisschen an die Luft, die Sonne genießen :häppy
    Liebe Grüße
    Eure Nikita


    Susan drehte sich auf die linke Seite, spürte, wie Owen sich mit ihr drehte, sodass seine Hand auf ihrer ausladenden Hüfte zu liegen kam. Sie war nach wie vor ruhelos, weil der Zwischenfall mit Chris am Nachmittag sie mehr als beunruhigt hatte. Irgendetwas stimmte ganz offensichtlich nicht, irgendetwas, das Chris nicht sagen wollte, und es war mehr als die Aussicht auf ein weiteres Baby, wie schlecht das Timing auch sein mochte. Die Frauen hatten bei einer Tasse Kaffee in Vickis Haus noch darüber diskutiert und versucht, Strategien zu entwickeln, Chris aus der Reserve zu locken, bis sie schließlich beschlossen hatten, dass sie nur warten konnten, bis Chris bereit war, sich ihnen von sich aus anzuvertrauen. Welche Probleme Chris auch haben mochte, was immer sie ihnen verschwieg, es war ihre Angelegenheit. Sie konnten nur geduldig, verständnisvoll und vor allem still sein, sonst liefen sie Gefahr, sie ganz zu verlieren.



    Susan drehte sich auf den Rücken und versuchte sich zu erinnern, wann Chris’ Rückzug begonnen hatte. Hatte es einen ganz bestimmten Moment gegeben oder waren die Veränderungen in ihrer Beziehung zu den anderen Frauen schleichend passiert? War ihre Freundschaft langsam und unmerklich schal geworden wie eine langjährige Ehe im letzten Stadium der Zerrüttung?
    Was war das Problem? Susan drehte sich erneut um. Gab es Risse in Chris’ und Tonys Ehe? Chris hatte das abgestritten, aber wenn Tony ernsthaft darüber nachdachte, eine eigene Agentur zu gründen, würde das sehr teuer werden, und das Geld war offensichtlich jetzt schon knapp. Ihr drittes Baby…



    „Susan“, sagte Owen, „was ist los?“
    „Was los ist?“ Susan drehte sich auf den Rücken und sah Owens besorgtes Gesicht über sich schweben.
    „Seit ich wieder ins Bett gekommen bin, wälzt du dich ununterbrochen von einer Seite auf die andere.“
    „Tut mir Leid.“ Susan erinnerte sich an die Furcht in Chris’ Augen, als sie ihnen anvertraut hatte, dass sie vielleicht wieder schwanger war. Wovor genau hatte sie solche Angst? Er verfolgt ihren Zyklus!, dachte Susan wieder. „Irgendwie finde ich einfach keine bequeme Lage“, sagte sie.
    „Machst du dir immer noch Sorgen wegen Chris?“



    „Nein.“ Nach einer kurzen Pause gab Susan zu: „Ich versuche es jedenfalls.“ Welchen Sinn hatte es, sich zu verstellen? Sie hatte Owen nie täuschen können und es auch nie gewollt, und so war sie ein weiteres Mal froh, dass sie so viel Glück gehabt hatte.
    „Glück ist nur ein Teil der Gleichung“, hatte ihre Mutter einmal gesagt. „Du hast hart gearbeitet für das, was du hast. Und du warst so klug, eine gute Wahl zu treffen.“
    Wie hatte ihre Mutter gesagt: Am Ende sind wir die Summe unserer Entscheidungen.
    „Ich liebe dich“, erklärte Susan ihrem Mann noch einmal und fragte sich, ob sie es ihm oft genug sagte. Sie hob ihren Kopf und küsste ihn auf den Mund.



    „Ich liebe dich auch“, sagte er und erwiderte ihren Kuss überraschend leidenschaftlich. Ihre plötzliche Lust überraschte sie beide, baute sich jedoch so rasch auf, dass das, was als keusche Dankesbekundung gemeint gewesen war, sich zu etwas ganz anderem entwickelte. Susan spürte, wie ihr Körper unter der sanften Berührung ihres Mannes erwachte, wie ihre Sinne, die eben noch kurz vor dem völligen Zusammenbruch schienen, plötzlich geschärft und hellwach waren und jede neue Liebkosung begierig erwarteten.



    „Bist du so weit?“, fragte er kurz darauf, und sie nickte und schlang die Beine um seine Hüfte, als er in sie eindrang. Ihre Körper wiegten sich ruhig und harmonisch, bis Owen erneut fragte: „Bist du so weit?“ Als Susan nickte, stemmte Owen sich auf die Knie, seine Stöße wurden tiefer, bis sie ein Kribbeln am ganzen Körper spürte, das ihren Kopf schwirren und jede Faser ihres Seins vibrieren ließ. Darüber erfährt man im Biologieunterricht nie etwas, dachte sie, während ihr ganzer Körper zu explodieren bereit war.



    Dort wurden kalte klinische Worte wie Klimax oder Orgasmus benutzt. Ersteres bezeichnete für sie vor allem eine rhetorische Figur, Letzteres klang wie etwas, das die Mauern des Versuchslabors nie verlassen sollte. Beide trafen nicht einmal annähernd, was geschah, wenn zwei sich liebende Menschen miteinander schliefen: die totale und reine Freude völliger Hingabe.
    „Wer hat multiple Orgasmen?“ Susan erinnerte sich an die Frage, die Vicki an dem Super-Bowl-Sonntag vor acht Monaten gestellt hatte.



    „Ich hatte noch nie einen Orgasmus“, hatte Chris zugegeben, und Barbara hatte gestanden, ihre immer nur vorzutäuschen. Selbst Vicki hatte eingeräumt, dass sie nicht beim Geschlechtsverkehr zum Höhepunkt kam. Als die anderen sie bedrängt hatten, hatte Susan abgewehrt und die Küche unter einem Vorwand verlassen. Lieber schüchtern wirken als selbstzufrieden, hatte sie gedacht und den anderen nicht erzählt, dass sie geradezu beunruhigend regelmäßig einen Orgasmus hatte. Manchmal musste Owen nur einen bestimmten Punkt an der Seite ihres Halses berühren…


    Noch eine kleine FS...