
An den Geruch von Lavendel erinnere ich mich am Deutlichsten. Und daran, wie er sich bei mir festgesetzt hat. Ich konnte an nichts anderes mehr denken. Er hat mich verfolgt in allem was ich tat. Und heute quält er mich am Meisten. Der Schmerz, den die Erinnerung daran hervorruft, ist unbeschreiblich. Niemals hätte ich gedacht, dass ich in der Lage wäre so zu fühlen, dass ich so menschlich sein kann. In meiner ganzen Existenz ist mir nichts Vergleichbares widerfahren.

Und doch kommen mir die Gefühle leicht bekannt vor, wie ein vergessener Traum. Doch ich träume nicht, wie auch da ich nicht schlafen muss. Trotzdem vergeht diese Vertrautheit nicht, aber ich kann mich nicht erinnern woher sie kommt.Doch genug davon. Nachdem ihr Duft mich umgehauen hatte, stand ich noch eine Weile am Ufer und versuchte meine mehr als verwirrten Gedanken zu ordnen. Und wieder blieb mir nur noch eines übrig: mich in meine Zuflucht zu flüchten. Ich hoffte, ich würde dem Sirenengesang ihres Duftes dort entkommen.

Doch auch da war er in der Luft. Ich spürte ihn um mich herum und es gab kein Entkommen für mich. Ich stand auf meinem Lieblingsplatz direkt am Wasser des Sees und sog den Hauch von Lavendel ein. Ich wusste, es gab in der näheren Umgebung keine dieser Pflanzen, aber ich roch ihn trotzdem. Er war einfach überall, weil ich ihn tief in mir drin wahrnehmen wollte. Ich war süchtig danach und wusste es nicht mal. Niemals wäre mir in den Sinn gekommen, dass ich nach nur einem Mal schon nicht mehr davon los käme. Es war für mich einfach unvorstellbar, dass etwas mich so fesseln konnte.

Ich begann unruhig umher zu wandern, versuchte alles aus dem Kopf zu kriegen. Ich wollte nicht mehr daran denken, aber es war nicht möglich zu entkommen. Seinen eigenen Gedanken kann man nicht davon laufen. Sie verfolgen einen und beißen sich fest. Sie lassen einem keinen Raum für etwas anderes und zwingen einen sich damit zu beschäftigen, ob man will oder nicht. Und doch versuchte ich mir einzureden, dass es nichts zu bedeuten hat und ich bald wieder den Kopf und die Nase frei davon haben werde. Ich habe mich geirrt.

Es hatte sehr wohl etwas zu bedeuten, nur wollte ich es nicht wahr haben. Ich war der Tod, verdammt noch mal und kein Muttersöhnchen, was sich von der erstbesten Frau betören ließ. Mit aller Willenskraft, die ich aufbringen konnte, zwang ich mich an etwas anderes zu denken und mich wieder meiner Arbeit zu widmen. Ich hoffte, dass sie mich genug ablenken würde, damit ich bald wieder Ruhe finden könnte. Ich verließ meine Zuflucht fast fluchtartig, so eilig hatte ich es plötzlich obwohl Zeit keine Bedeutung für mich spielte.

Mein erstes Opfer fand ich im Wald am Feuer sitzend. Er und sein Räuberkumpan kamen gerade von einem Raubzug aus dem nahe gelegenen Dorf am Rande des Waldes. Sie ahnten nichts von meiner Ankunft und sprachen darüber, wie erfolgreich sie doch gewesen waren. Sie genossen das Gefühl des Triumphes und suhlten sich in ihrer Selbstherrlichkeit. Ich nahm ihre Stimmung in mir auf, alles war besser als das, was ich vorher gefühlt hatte. Es würde mir ein Leichtes sein, die Seele mit zu nehmen. Als Werkzeug der Ordnung machte es mir besondere Freude, Diebe und sonstige Verbrecher heim zu führen. Ja, das war ein Auftrag nach meinem Geschmack, lenkte er mich doch ab.

Ich brachte mich in Position. Mein Opfer wusste noch nicht, dass es gleich sterben würde. Er ahnte noch nichts vom dem gleich folgenden Versagen seiner Organe. Er hatte das Gift, was ihm sein Mitstreiter unter sein Abendessen gemischt hatte, nicht bemerkt. Er wusste nichts, von dem Neid und der Missgunst seines Kollegen. Mir war es gleich, woran er sterben würde. Ich wollte nur seine Seele einfangen und der Ewigkeit übergeben. Ich hoffte, dass er dort Gerechtigkeit finden würde. Auch wenn es nicht an mir war, über ihn zu richten.

Ich nahm seine Essenz in mir auf und in dem Moment nahm ich noch etwas anders wahr. Es war der starke Geruch nach Lavendel. Und schon war alles wieder da in meinem Kopf. Ich spürte kaum, wie der Körper des Mannes vor mir zusammensackte, mit den Haaren im Feuer landete. Ich hörte nicht den Siegesschrei des anderen Räubers. Alles was ich sah, war der große Busch voller Blüten, der selbst in der Dunkelheit der Nacht noch seinen intensiven Geruch verströmte. Einen Augenblick später stand ich vor der Blume und lächelte, während der Dieb seinen verstorbenen Gefährten aus dem Feuer zog.

Auch beim nächsten Auftrag wurde ich vom Lavendel abgelenkt. Ich nahm gerade einer jungen Frau das Leben, als mir die getrockneten Zweige über dem Bett auffielen. Wie von selbst blieb mein Blick auf ihnen haften, während die Frau ihren letzten Atemzug tat. Noch tat ich es als Zufall ab, weil meine Gedanken fast nur darum kreisten. Ich war mir sicher, dass ich es nur bemerkte, weil ich ständig daran dachte. Ich hatte keine Ahnung, dass es nicht zufällig geschah. Ich hatte keine Ahnung, dass das Schicksal sich einen Streich mit mir erlaubte.

Als ich im strömenden Regen die nächste Sterbliche zu mir holte, nahm ich wieder den Duft, ihren Duft wahr. Ich schloss die Augen und sog ihn regelrecht ein. Durch die Nässe kam er mir erdiger vor, weniger wie ein vergessener Traum als wie eine gerade erst zurückliegende Erinnerung, die es ja auch war. Einen langen Moment genoss ich den Duft, ließ ihn ganz nah an mich ran. Ich hatte anscheinend sowieso keine Wahl, was das betraf. Also konnte ich es genauso gut genießen. Während die Frau neben mir ihr Leben aushauchte, war ich versunken in der Erinnerung an ihr Gesicht.

Als ich mein Werk beendet hatte, ging ich zu der Pflanze. Sie glänzte vor Nässe und der Regen bildeten kleine Tropfen an den Blüten. Ich wünschte mir, dass der Regen aufhörte und die Sonne scheinen möge, damit sie funkeln würden. Es war albern und ich wusste das. Es machte mich wahnsinnig, dass ich meine Gedanken nicht mehr steuern konnte. Dass sich immer wieder lächerliche Sehnsüchte darin festsetzten und mich zu einem regelrechten Trottel machten. Aber ich konnte mir nicht helfen. Es war stärker als ich und ich hatte keine Ahnung, was ich dagegen tun sollte. Es schien ja nichts zu wirken, wenn ich selbst bei meiner Arbeit immer an sie erinnert wurde.

Ich pflückte eine der Blüten, hielt sie in der Hand und starrte sie an. Wie konnte etwas so Kleines, Einfaches mich so aus der Fassung bringen? Die einzige Erklärung dafür gefiel mir nicht, also verwarf ich sie sofort wieder. Es musste einen Weg geben, dem Ganzen zu entkommen. Es musste einfach.Ich steckte die Blüte ein. Es wäre sinnlos gewesen sie weg zu werfen, sie hätte mich doch sowieso wieder gefunden. Und wenn nicht sie, dann eine andere. So nahm ich das winzige Ding an mich, versteckte sie unter meinem Gewand, damit ich sie nicht immer sehen musste. Es reichte mir schon zu wissen, dass sie da war.

Vorerst zufrieden mit meiner Arbeit und voller seltsamer Gedanken, kehrte ich in meine Zuflucht zurück. Dort überlegte ich, was ich tun könnte, was ich tun wollte. All meine Überlegungen führten zu nichts. Ich hatte keine Lösung für mein Dilemma parat. Es herrschte ein Chaos in mir. Ein Teil von mir wollte vergessen, ein Teil von mir wollte sie wiedersehen, ein Teil amüsierte sich darüber wie lächerlich ich doch war und ein Teil fragte sich welcher Teil am Ende gewinnen würde. Ich glaube heute, dass ich bis zum Augenblick als ich aufstand, nicht wusste was ich tun würde.

Aber heute weiß ich, dass ich keine Wahl hatte. Ich wollte sie wiedersehen und nichts in dieser Welt hätte mich davon abhalten können. Es war eine Sucht, sie einfach nur zu sehen. Ihr nahe zu sein, auch wenn sie nicht wusste, dass ich da war. Ich fand sie in ihrem Zuhause. Diesmal fiel es mir auch schon leichter, sie zu finden. Es schien als hätte sich mein Orientierungssinn bereits auf sie eingespielt. Sie saß auf einer Bank und war allein. Ich stand neben ihr und sah sie einfach nur an. Ich genoss das Gefühl ihr so nah zu sein. Sie machte wieder nicht den Eindruck, als könnte sie mich sehen. Einerseits fand ich es schade, aber andererseits war es auch eine Erleichterung, denn so brauchte ich mir keine Sorgen um die Folgen meiner Anwesenheit machen.

Nach einer Weile fand ich den Mut mich neben sie zu setzen. Ich konnte den Blick nicht von ihr abwenden, so schön, so zerbrechlich erschien sie mir. Und so traurig. Ich fragte mich, was sie dachte und warum sie so da saß, ohne sich zu regen. Sie hatte sich nicht ein Stück bewegt und starrte ins Nichts. Es beruhigte mich so dicht bei ihr zu sein. Ich konnte ihren ruhigen Atem und ihren regelmäßigen Herzschlag hören.
„Woran denkst du?“ flüsterte ich leise und ohne eine Antwort zu erwarten.
*Fortsetzung folgt*