Die Rolle des Opfers oder: Das Spiel mit der Maske
von Jan Marvin (Malakai Kabrinski)
Es war schon fast Mitternacht, als ich am Skyline ankam. Es war so eine dieser neumodischen Diskotheken, in denen die jungen Leute bei viel zu lauter Musik tanzten und sich sinn- und maßlos betranken. Die Lichteffekte tun in den Augen weh, aber man muss sich daran gewöhnen oder es soweit wie möglich ignorieren. Ich stand an der Laterne direkt gegenüber vom Eingang des Etablissements, nahe den Parkplätzen, von wo aus man einen guten Überblick über den Publikumsverkehr hat. Es war recht kühl an diesem Abend, trotz des Frühlings, der bereits eingesetzt hatte. Der Baum neben der Laterne trug aber noch keine Blätter, also erwartete ich auch nicht, dass sich das Wetter in absehbarer Zeit änderte, auch wenn ich sagen muss, dass die Wetterberichte von Jahr zu Jahr zuverlässiger wurden, und angesagt hatten sie, dass es nächste Woche bereits Sonne geben würde. Sonne... Wie auch immer, ich stand an der besagten Laterne und beobachtete die Jugendlichen, die größtenteils in der Diskothek ein- und ausgingen. Während ich Ausschau hielt, entdeckte ich in der Menge etwas auffälliges: Ein junges, brünettes Mädchen, intelligenter Blick, gute Figur und schöne, lange Haare, die bis über die Schultern fielen. Sie war eine von den wenigen, die kein Shirt oder Oberteil mit diesen seltsamen Sprüchen trug, die manche der Jugendlichen für witzig, ich jedoch für geschmacklos hielt, stattdessen war ihr Oberkörper in ein reizendes, weißes Top gehüllt, das mit Strasssteinen gespickt war. Als Beinkleid diente eine schwarze, enganliegende Hose, die ihre Formen außerordentlich gut betonte, auch wenn das vielleicht gar nicht beabsichtigt war. Die Hose war schlicht, aber stilvoll. Ihr Gesicht war nicht wie das von den meisten mit Schminke bedeckt, sie trug nur etwas Puder und einen sanften Lippenstift, ihre Wimpern waren gezupft, aber echt und nicht durch Farbe verstärkt. Gut, dann hätten wir also das Objekt der Nacht. Als sie am Türsteher vorbeigegangen war, ohne kontrolliert zu werden, setzte ich mich in Bewegung. Da ich Stammkunde war und der Türsteher wusste, wer ich bin, kam ich ohne weitere Behinderung ins Innere der Einrichtung, der fettleibige Kollege an der Kasse nickte mir noch freundlich zu, was ich ebenso freundlich erwiderte. Ich trug eine schwarze Lederhose, die an den Seiten mit Schnallen bedeckt war, wie sie bei den so genannten „Grufties“ sehr beliebt waren. Ich hasste diese Bezeichnung, aber sie Antichristen zu nennen, wäre eine Beleidigung gewesen. Zur Hose passend trug ich schwarze Stiefel aus Armeebeständen und einen farblich angepassten Trenchcoat. Meine Sonnenbrille, die mit den kreisrunden Gläsern, unverspiegelt, hing in der Brusttasche des Trenchcoats. Ich wollte mit diesem Outfit weniger bestimmte Reaktionen hervorrufen, als mich zu kleiden, wie es mir gefällt. Ich habe verschiedene Stile, mal elegant, mal aristokratisch, mal modern, mal rebellisch; je nach dem, wie meine Stimmung ist oder was der Anlass verlangt. Gesellschaftliche Verpflichtungen bleiben auch bei jemandem wie mir nicht aus. Ich ging also vorbei am Eingangsbereich und mischte mich unter die Leute, allerdings nicht, ohne vorher direkt die Toilette aufzusuchen. Auch die Toilettenwärterin kannte mich und grüßte mich, auch hier erwiderte ich mit einem kurzen, aber ehrlichen Lächeln. Der Toilettenraum war wie immer sehr sauber, bis auf die kleinen Schmierereien, die Jugendliche auf den Werbetafeln hinterlassen. Nun, ich denke anders über Kunst, aber das tut hier nichts zur Sache. Ich schloss mich in eine Nasszelle ein und setzte mich auf das geschlossene Toilettenbecken. Ich hielt meine Hände auf Augenhöhe und holte tief Luft, woraufhin meine kalt wirkenden Hände eine angenehmere Farbe annahmen. Ich fühlte noch einmal die Körpertemperatur und stellte zufrieden fest, dass sie für einen Menschen normal war. Ich spülte, verließ die kleine Zelle und warf der Wärterin noch ein Geldstück zu, als ich ging. Gut, das wäre geschafft. Ich begab mich direkt zu einer der zahlreichen, bunt beleuchteten Bars, bestellte ein Bier bei der kleinen, netten Bardame und ging mit dem Getränk durch den Tanzraum. Bier war nach meinem Geschmack eigentlich viel zu... billig, als dass es das wert wäre, von mir getrunken zu werden, aber in Unterhaltungsstätten wie diesen wäre es zu auffällig, mit einem Glas Rhein-Hessen Spätlese in der Hand gesehen zu werden. Und auffallen wollte ich ganz und gar nicht, das hätte mir Schwierigkeiten bereitet und ich wäre gezwungen gewesen, ein anderes Etablissement aufzusuchen und von neuem mit der Suche nach dem Objekt des Abends zu beginnen.
In der Mitte des Raumes befand sich die große Tanzfläche, wilde Lichter flackerten in allen erdenklichen Farben über die im Nebel tanzenden Menschen, ich konnte den Geruch ihres Schweißes bis zu mir riechen; unschön, aber noch zu ignorieren. Gespielt wurde Technomusik, und das so laut, dass man sein eigenes Wort kaum verstand. Den Leuten schien das wenig auszumachen, sie schrieen sich eben an, statt sich zu unterhalten, das war mir auch Recht so. Mit dem Gehör einer Katze war es für mich ein leichtes, einzelne Gespräche aus der Umgebung herauszufiltern. Die Themen waren jedoch völlig irrelevant, also setzte ich meine Suche fort. Um die Tanzfläche herum waren mehrere Stühle und kleine Tischchen aufgebaut, die bereits alle besetzt waren. Wer nicht saß, hatte zumindest einen Pullover oder eine Handtasche auf einen Stuhl gelegt, um unmissverständlich zu zeigen, dass dieser Stuhl nicht mehr frei war. An zwei weiteren, abgesetzten Bereichen der Diskothek befanden sich weitere Tische aus schwarzem Holz mit den modisch dazu passenden Stühlen, alle mit schwarzem Kunstleder bespannt, dazu in jedem dieser als „Chillout-Area“ bezeichneten Ecken noch eine einzelne Bar, an denen das Personal reichlich Arbeit hatte. Da entdeckte ich sie wieder. Sie stand allein über die Bar gelehnt und brüllte dem Kellner ihren Wunsch ins Ohr. Leider hatte ich mich nicht rechtzeitig auf sie konzentriert, sonst hätte ich erfahren, was sie wollte. Jedenfalls erhielt sie vom Kellner ein Glas mit einer klaren, sprudelnden Flüssigkeit, die sich im Schwarzlicht der Diskothek leicht blau färbte. Gin Tonic, nach meiner Erfahrung. Plötzlich fiel mir ein recht junger Herr auf, der sie sehr genau beobachtete. Ob er entdeckt werden wollte oder einfach nur neugierig war, konnte ich nicht erkennen. Er war nur etwas kleiner als ich, hatte schwarzes, kurzgeschorenes Haar und dunkle Haut und war in einen eleganten Anzug mit weißem Hemd, dunkler Krawatte und schwarzem Sakko gekleidet. Ich ging ohne groß zu überlegen zu ihm herüber und stellte mich provokant vor ihn hin. Er sah zu mir auf und ich erkannte ein Funkeln in seinen Augen, dass nur eines bedeuten konnte: Er war auf der Jagd. Genau wie ich. Für den Fall, dass ich mich irrte, beugte ich mich zu ihm und schrie „Kain sei mit dir, Fremder.“ in sein Gesicht. „Und mit dir.“, brüllte er zurück.
Also hatte ich Recht. „Darf ich fragen, wer du bist, dass du in meiner Domäne jagst, ohne mich um Erlaubnis zu bitten?“
„Ich bin Johannes Reuter vom Clan der Tremere. Ich wusste nicht, dass dies deine Domäne ist.“
„Das hätte der Prinz dir sagen müssen. Oder hast du dich noch nicht vorgestellt?“
„In der Tat, das habe ich nicht. Ich dachte nicht, dass er so erpicht darauf ist, alle seine Kinder sofort kennen zu lernen.“
„Dann verschwinde hier und mach dich zum Prinzen auf, er ist Toreador wie ich und befindet sich im City, einem Tanzlokal am anderen Ende der Stadt. Frag den Einlasser, wie du da hinkommst. Komm wieder, wenn du dich dem Prinzen vorgestellt hast.“
Ich konnte während des Gesprächs keine Gefühle seinerseits wahrnehmen, dazu war die Musik doch zu laut. Ich wusste also nicht, ob er frech war oder einsichtig, ob er versucht hat, mich zu ärgern oder verständnisvoll war. Was ich aber sicher wusste war, dass ich ihn beobachten lassen würde. Ein Tremere ist zwar kein wirklicher Feind, doch Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste, und ich traue diesen Leuten nicht über den Weg. Er stand wortlos auf, zupfte sich seinen Anzug und seine korrekt gebundene Krawatte zurecht und verschwand in der Menge. Als ich ihn nicht mehr sehen konnte, nahm ich mein Mobiltelefon hervor und schickte dem Einlasser eine Nachricht, er solle dem Mann den Ausgang weisen und ihn vorläufig nicht mehr hereinlassen. Sicher ist sicher. Das Mädchen war natürlich weg, so nutzte ich den Moment, um sicherzugehen, dass uns niemand schief ansah, nach diesem für andere doch eher sonderbaren Gespräch. Gut, niemand hatte uns zugehört, und wenn doch, hat es ihn nicht interessiert. Ich nahm einen tiefen Schluck Bier und machte mich erneut auf die Suche nach dem brünetten Mädchen. Ich entdeckte sie, nachdem ich den Hauptsaal noch ein Mal durchquerte. Sie saß, wieder allein, auf einem der freien Stühle mit dem Blick auf die Tanzfläche und wippte im Takt, während sie ab und an einen zögerlichen Schluck aus dem Glas nahm. Sie wirkte abwesend, als würde sie sich nur von etwas ablenken. Vielleicht wartete sie auf jemanden. Ihre Freundin oder ihren Freund. Nun, ein Mann würde die Sache nicht gerade erleichtern, also musste ich mich beeilen. Es war mittlerweile immer schwerer geworden, Frauen dazu zu bringen, einem zuzuhören, um sich anschließend verführen zu lassen. Vor zwanzig Jahren war das noch was anderes, die Menschen waren naiver, Fluch und Segen in einem. Das Problem ist, dass jede Frau sofort denkt, wenn ein Mann sie in einer Diskothek anspricht, dass er nur auf Geschlechtsverkehr aus ist. Leider haben sie meistens recht, und das macht meine Arbeit unheimlich schwer. Touché. Schließlich würde ich sie ungern dazu zwingen, mitzukommen. Jetzt kam es auf die richtige Taktik an, sie zu umgarnen. Ich setzte mich selbstbewusst neben sie und lächelte sie an.
„Hallo, ich bin Malakai, und wer bist du, schöne Frau?“
Sie reagierte kaum, sah mich abschätzig an, erwiderte meine Begrüßung jedoch nicht.
Jetzt legte ich meine ganze Konzentration auf ihren Geist und sprach „Du bist interessiert.“
Eine Veränderung in ihrem Gesicht machte sich bemerkbar. Der typische, abschätzige Blick einer Frau, die weiß, was jetzt kommt, veränderte sich in einem Sekundenbruchteil in einen Blick voller Erwartung und Interesse.
„Oh, ich bin Judith, danke für das Kompliment. Bist du öfter hier?“
„Ja, fast jeden Samstag, wenn ich nicht gerade Ausstellungen besuche und Geschäfte tätige.“
Ab jetzt war es nicht mehr nötig, ihren Geist zu beeinflussen, sie konnte nur noch auf das Gesprochene reagieren, da der Eisberg des Kennenlernens bereits gebrochen und war.
„Was für Geschäfte denn?“
„Ich handle mit Kunst. Bilder, Skulpturen, Literatur, alles was man will.“
„Das klingt gut, ich lese auch gern.“
„Gefällt mir. Ich mag Menschen, die dem Fernsehen noch nicht verfallen sind.“
„Komm, hör auf, Mal... Malakai? Ach ja, genau. Hör auf, die bringen doch nur Mist im Fernsehen, das is‘ doch nur was für Dumme Idioten.“
„...von denen es ja genug gibt.“, vervollständigte ich den Satz.
Wir hatten also einen gemeinsamen Nenner. Sehr gut. Wir vertieften das Gespräch noch etwas weiter, es kam aber nichts wirklich wichtiges mehr dabei heraus. Was ich jedoch durch ein wenig Manipulation ihres Geistes herausfand, war, dass sie ohne eine wirkliche leidenschaftliche Beziehung war, eine eigene Wohnung hatte und an einer Tankstelle arbeitete. Was für eine Verschwendung eines so klugen Menschen. Wir beschlossen, nach draußen zu gehen, um frische Luft zu schnappen. Wir unterhielten uns noch eine ganze Weile über dies und jenes, und ich fand heraus, dass sie eigentlich ein Date hatte, der Kerl sie aber versetzte und sich nun wahrscheinlich mit seinen Freunden in irgendeinem anderen Etablissement betrank. Reizend. Sie fragte mich, woher mein Name käme, und als ich ihr erzählte, er sei aus Rumänien, stieg ihr Interesse noch zusätzlich, da sie offensichtlich eine kleine Schwäche für osteuropäische Kulturen hatte. Ja, sie war fast perfekt. Interessiert an Kunst, Kultur, Geschichte, Wissenschaft und so weiter, dazu bildhübsch und sehr intelligent. Und offensichtlich auch spontan und leidenschaftlich, aber das sollte sich noch herausstellen. Sie lud mich jedenfalls augenscheinlich unmotiviert ein, mit zu ihr zu kommen, um „noch was zu trinken“... sie hatte keine Ahnung, dass ich genau das die ganze Zeit vorhatte. Sie wohnte nicht weit von der Diskothek entfernt, was auch erklärte, warum ich sie nie vorher gesehen hatte. Die meisten Menschen meiden Unterhaltungsmöglichkeiten in der Nähe, weil sie meistens schon Dutzende Male dort waren; und sei es nur, um jemand anderem diese Einrichtungen zu zeigen. Ihre Wohnung war eine typische Zweiraumwohnung in einem Hochhaus; klein, aber geschmackvoll eingerichtet. Ein brauner Flokati-Teppich, dazu ein gläserner Couchtisch und eine schwarze Velourscouch. Ihre Schrankwand hatte dieselbe Farbe wie der Teppich, eine Durchreiche ließ den Blick auf eine gut ausgestattete Küche zu. Hauptfarbe: Silber, matt. Mir gefiel alles, was ich sah, und ich fasste den Entschluss, mein Ziel an diesem Abend um ein kleines Detail zu erweitern.
„Was möchtest du trinken?“ fragte sie. „Bier hab‘ ich aber nicht.“
„Eigentlich hasse ich Bier, wenn du einen guten Wein hast, bin ich rundum zufrieden.“
Richtig geraten. Sie hatte noch eine angefangene Flasche Don Perignon im Kühlschrank. Nicht das Beste Zeug, aber annehmbar. Sie schenkte uns ein und setzte sich neben mich, ihre Beine angewinkelt auf dem Sofa. Ich sah ihr in die Augen, nahm ihre Hand und streichelte sie. Wir unterhielten uns noch eine Weile über sie, ich musste mehr über sie herausfinden. Sie erzählte mir – freiwillig –, dass sie ihr Elternhaus vor Jahren verlassen hatte, aus den typischen Gründen einer Jugendlichen. Ihr Leben bestand aus vergeblichen Versuchen, einen Partner für die Zukunft zu finden, den Leuten an der Tankstelle, vielen Büchern und Filmen, noch mehr Musik und Besuche von musikspielenden Lokalitäten innerhalb der Stadt. In meinen Augen recht langweilig, auf die Dauer gesehen, aber zumindest versuchte sie, ihre eigene kleine Welt Stück für Stück zu erweitern. Nun, ich konnte ihr dabei helfen. Nichts leichter als das.
Langsam begann das Gespräch, mich zu langweilen, also musste ich die Konversation in eine andere Richtung lenken.
„Du hast wundervolle Augen.“ schmeichelte ich.
Sie lächelte nur und rutschte näher. Der Wein war vergessen, ich mochte ihn ohnehin nicht. Ich strich ihr über das Gesicht, dann zog ich sie näher heran und massierte sanft ihren Rücken. Sie kam noch näher und drückte ihre Lippen auf meine. Das warme Gefühl hätte beinahe ein Schaudern bei mir auslösen können. Sie roch zart und lieblich, wie ein Roséwein eines guten Jahrgangs. Ihre Haut hatte die gleiche Farbe, und ihr Körper wurde wärmer. Ich legte sie auf den Rücken und liebkoste ihre Augen, die Nase, dann das Kinn und den Hals. Als ich auf ihren Hals sah, konnte ich genau sehen, wie das Blut an ihrer Halsschlagader durch ihren Körper schoss. Ich war am Ziel. Ganz vorsichtig näherte ich mich wieder ihrem Hals. Ein ganz leises Knacken wie von einer Obstschale, die durchtrennt wird, war zu hören, als ich meine Fänge in ihrem Hals vergrub. Sie keuchte kurz auf, nicht vor Schmerz, sondern vor Erregung, das spürte ich. Das warme Blut rann in meinen Mund, der süßlich-bittere Geschmack vernebelte meine Sinne und ich trank weiter und weiter, bis ihre Haut anfing, blass zu werden. Ich schwelgte in einem Gefühl der Ekstase, die kein Mensch je erreichen würde, dessen war ich mir sicher. Ihr schien es mindestens genauso zu gehen, denn sie schien kaum zu merken, wie die Kräfte sie verließen. Ich setzte ab und beugte mich nach oben, wischte mir das Blut von den Lippen. Ich durfte sie nicht töten. Nicht jetzt und nicht hier. Ich musste noch etwas erledigen. Ich tupfte ihren blutigen Hals mit ein paar Taschentüchern ab, die ich in ihrem – stilvoll eingerichteten – Bad fand und verließ die Wohnung. Ich wusste, sie würde nicht aufwachen. Zum einen, weil der Biss das sofortige Aufwachen verhindert, und zum anderen, weil sie wahrscheinlich bald bewusstlos werden würde. Ich musste mich also beeilen. Da fand ich auch schon ein passendes Ziel. Einer dieser Schlägertypen, wie sie in allen Großstädten verbreitet sind, kam auf mich zu und sah mich an. Wenn er zu der rechten Szene der Stadt gehörte, würde er auf mein Outfit reagieren.
„Hey, du Arschloch.“ rief er und blieb stehen.
Ich stoppte ebenso und sah ihn gelangweilt an. „Sie entschuldigen, ich gehe spazieren.“, erwiderte ich in beherrschtem, ruhigen Ton.
„Gib mir dein Kohle, du Arschloch, oder ich schlag dir die Fresse ein!“
Bingo, der will es nicht anders.
„Es tut mir leid, ich habe kein Geld dabei. Andererseits kannst du gern versuchen, eine Leibesvisitation an mir durchzuführen. Ich wäre hoch erfreut.“
Ich lächelte ihn sanft an. Jetzt hatte ich ihn. Ohne Vorwarnung zückte er ein Wurfmesser und warf es prompt auf mich. Ich blieb stur stehen, als das Messer von mir abprallte. Es blieb nicht stecken, weil er seinen Wurf verschätzt hatte. Er nahm ein zweites und warf erneut, diesmal mit mehr Erfolg. Es traf mich genau in der rechten Brusthälfte, ordentlich gezielt. Der Schmerz war erträglich, ich hatte bisher schon schlimmeres erlebt. Völlig schockiert stand der arme Junge da und starrte mich an, als hätte er einen Geist gesehen.
„Du blöder Hund, jetzt mach ich dich fertig!“ schrie er und zog eine Pistole aus seinem Schulterholster, das mir noch nicht aufgefallen war. Er zielte kurz, dann drückte er ab. Dieser Schmerz war schlimmer, als er meinen Bauch traf, aber ich musste die Theatralik aufrecht erhalten, also unterdrückte ich den Schmerzensschrei und lächelte ihn weiter sanft an, legte den Kopf schief und sah ihn durchdringend an.
„Oh, du wunderst dich, dass ich nicht tot bin, richtig? Obwohl ich jetzt auf dem Boden liegen und aus allen Löchern bluten müsste, richtig? Verzeih, dass ich dich enttäusche, junger Freund, aber es gibt Dinge, die du nicht weißt und auch nicht verstehst. Leider habe ich weder die Zeit noch die Motivation, dich über die Tragweite deiner neuesten Entdeckung aufzuklären, ich habe anderes mit dir vor.“
Einladend streckte ich beide Arme hervor.
Er sagte gar nichts. Er stand mit offenem Mund da und schien darauf zu warten, dass er endlich aufwachte. Jetzt drehte er sich um und wollte davonlaufen, jedoch hatte ich diesen Zug erwartet und nutzte meine antrainierten Kräfte, um ihm zuvorzukommen. Ich sprang auf ihn, ich muss fast drei Meter hoch gesprungen sein, drückte ihn hart auf den Boden und legte meinen Kopf von hinten an seinen.
„Du bist verwundert? Ja? Ich wäre es auch. Leider hast du keine Zeit mehr, dir darüber klar zu werden, warum du nicht aufwachst und Mama kein Frühstück ans Bett bringt.“
Mit diesem Satz nahm ich seinen Schädel zwischen die Hände und schlug ihn auf den Asphalt. Er war sofort bewusstlos. Auch eine Sache, die man übt. Ich trug den Kerl unbemerkt in Judiths Wohnung und legte ihn auf die andere Seite der Couch. Zeit, das Werk zu vollenden. Der Prinz wird sich freuen. Und ich erst. Ich nahm ihren Kopf und riss die oberflächlich verschlossenen Wunden wieder auf, um sie leer zu trinken. Als ihr Körper blutleer war, nahm ich mir ein Messer aus ihrer wundervollen Küche und ritzte mir in die Pulsschlagader am Unterarm; tief genug, um etwas Blut davon in ihren Mund fließen zu lassen. Als das Blut über ihre Lippen in ihren Mund lief, konzentrierte ich mich auf meine Wunden und holte tief Luft, woraufhin sie sich sofort schlossen. Eine neue Jacke war jetzt dringend nötig. Das Einschussloch und das Messer haben sie irreparabel beschädigt. Dann reagierte sie. Kain sei Dank, es funktioniert. Das tut es nämlich nicht immer. Ihr Körper war kreidebleich, sie fing an, zu zittern. Jetzt würde sie ebenso wie ich zum Geschöpf der Nacht werden, sodass ich mich noch lange an ihrer Schönheit laben konnte. Plötzlich riss sie die Augen auf und fing an, zu schreien. Ihr jetzt den Mund zuzuhalten wäre ein fataler Fehler, daher ließ ich das. Der Schläger wurde plötzlich auch wieder wach, aber das interessierte mich nicht weiter, er würde sicher ganz still dasitzen und warten, was als nächstes kommt. Ich drehte mich nur beiläufig zu ihm um und sah ihn mit eisigem Blick an. Er saß da, stumm und verängstigt und sah zu, wie sie starb. Es tat mir leid, zusehen zu müssen, wie sie sich dort quälte. Es ist ein unmenschliches Gefühl, bei vollem Bewusstsein zu spüren, wie jede einzelne Zelle des Körpers stirbt und sich eine mystische Dunkelheit breit macht. Erst hört das Herz auf, alle Körperteile zu durchbluten, der Körper wird noch kälter. Wenn dieser Schrecken vorbei ist und das Herz nur noch schwach arbeitet, setzt die Lunge ihre Funktion aus, man versucht unweigerlich, weiterzuatmen, aber es geht nicht. Nach diesem weiteren Schock stirbt alles Gewebe im Körper, und nur der Geist des Toten ermöglicht die Bewegung. Dann kommt der Durst. Ein unbändiger Durst, der so stark ist, dass man alles und jeden töten würde, um ihn zu stillen. Nun, dafür habe ich vorgesorgt. Ich ging aus der Wohnstube ins Bad, um meine Jacke ein wenig zu reinigen, als ich das Bersten von Glas und Schmerzensschreie von dem Jungen vernahm. Ich lächelte mich im Spiegel an. Ich war zufrieden. Der nächste Teil würde schon schwieriger werden. Jetzt musste ich ihr erklären, dass sie ein Vampir ist. Und ich auch.
Sie saß still da, versuchte zu keuchen, aber es funktionierte nicht. Sie hatte die Augen vor Schock noch immer weit aufgerissen und sah mich mit einer Mischung aus Angst, Verwunderung und Hass an.
„Was hast du mit mir gemacht?“
„Atme erst mal tief durch. Wie fühlst du dich?“
Ich konzentrierte mich wieder auf ihren Geist und sagte „Nicht aufregen.“
Dann wurde sie etwas ruhiger, aber ihr Blick war noch derselbe, wenn auch nicht mehr so stark.
„Wie es mir geht? Was hast du mit mir gemacht?“
„Hast du ihn ausgetrunken?“
„Ja! Er ist tot!“
„Bleib ganz ruhig. Hier, ich hab noch was für dich.“
Ich nahm eine kleine Plastikflasche aus der rechten Jackentasche und füllte den Inhalt in eines der heruntergefallenen Weingläser.
„Hier, trink. Es schmeckt nicht so gut, weil es kalt ist, aber es wird dir helfen, ruhig zu bleiben.“
Sir roch an dem Glas und schreckte zurück. „Das ist Blut!“, bellte sie.
„Sehr richtig. Das hast du gerade schon getrunken.. Wir nennen deinen vorherigen Zustand Raserei, eine Art Blutrausch, wenn du so willst. Ich habe dich dabei allein gelassen, um nicht zum Ziel deiner Wut zu werden. Du bist jetzt einer wie ich. Du bist ein Kind der Nacht. Trink.“, forderte ich sie erneut auf, diesmal gehorchte sie, auch ohne geistigen Zwang. Es zeigte Wirkung. Sie wurde weit ruhiger, ihre Haut nahm sofort menschliche Farbe an.
„Was ist das für Blut?“, fragte sie.
„Das ist Vitae von einem Vampir. Es ist weit stärker als Menschenblut, daher macht es dich ruhiger. Und keine Angst, es ist nicht mein Blut. Der, dem es vorher gehört hat, ist tot. Oder besser: vernichtet. Tot sind wir ja schon.“
„Warum hast du das getan? Warum hast du mich zu einem Vampir gemacht?“
„Weil ich nicht wollte, dass ein so einzigartiger Geist wie deiner verloren geht. Noch dazu die Schönheit, die du besitzt.“
„Das ist alles? Ich meine, dafür ruinierst du mein Leben? Meine Familie? Meine Zukunft?“
Sie hatte natürlich Recht. Sie musste sich schrecklich, alleingelassen und verraten vorkommen. Ich konnte es in ihren Augen sehen. Sie hatte mir vorher erzählt, dass sie vorhatte, eine eigene Familie zu haben, Kinder, Enkel, ein schönes Haus am Strand. Sie fing an zu weinen. Mit Blut gemischte Tränen liefen an ihren Wangen herunter; die letzten, die sie je weinen würde. Unter ihren Tränen eröffnete sie mir, dass sie bereits ein Haus in Aussicht hatte, dass sie in die Nähe ihrer Eltern zurückziehen wollte. Sie wollte Schriftstellerin werden. Schriftstellerin... Das verunsicherte mich ungemein, da ich Schriftsteller war, als ich zum Vampir gemacht wurde, damals in Rumänien. Ich schrieb einige Kriminalromane, habe mich auch mit minderem Erfolg an Science Fiction probiert. Dann platzte dieser Vampir in mein Leben, Vigo Obertanus, und meinte, mein Können sollte in der Ewigkeit weiterleben. Das Ergebnis ist nun ein Vampir, der seit seiner Verwandlung nur ein einziges Manuskript an einen Verlag verkaufen konnte, es gab nur eine Auflage. Als mir das alles durch den Kopf schoss, hatte ich das Gefühl, mich übergeben zu müssen. Nun, zu allem Überfluss erledigte sie das für mich. Ich wusste leider zu genau, wie sie sich fühlte, was sie da durchmachte, und nun fühlte ich mich gar nicht mehr gut. Ich fühlte mich schuldig an einem zerstörten Leben, und sie gab mir besten Grund, in Selbstzweifeln zu versinken, indem sie mir von Weiden, Pferden und kleinen Kätzchen erzählte. Kitschig, aber Träume. Zerstörte Träume. Tut mir Leid.
Ich versuchte, mit ihr zu reden, erklärte ihr, dass sie ihre Familie beobachten konnte, sie konnte ihre Freunde weiterhin sehen, abends mit ihnen etwas unternehmen, schließlich war sie ja nicht von der Bildfläche verschwunden. Ich erzählte noch mehr Dinge, die sie mit der Menschenwelt in Verbindung hielten, ich weiß selbst nicht mehr genau, was alles, aber nach und nach wurde sie ruhiger, gelassener, hörte mir soweit sie konnte zu. Als sie noch einen Schluck vom Vampirblut nahm, – ich verstehe bis heute nicht, warum sie das in diesem Moment tat – schien es ihr schon viel besser zu gehen, und mir damit auch.
Sie war plötzlich unglaublich ruhig, ihre Intelligenz schien die der anderen Menschen bei weitem zu übersteigen. Sie war sich sofort dessen bewusst, was sie war, auch wenn sie vielleicht noch nicht die gesamte Tragweite ihrer Verwandlung erkennen konnte. Aber sie war weit schneller als die meisten anderen, die in ihrer Situation waren, einschließlich mir. Respekt.
„Nun, ich sehe es als einen neuen Anfang mit neuen Möglichkeiten, nicht als Ruin oder zerstörtes Leben. Wirst du mir jetzt aufmerksam zuhören?“
Sie nickte.
„Gut. Wir werden jetzt in eine andere Diskothek gehen, vielleicht kennst du sie ja schon. Jetzt und auf dem Weg dorthin werde ich dir alles erzählen, was du wissen willst und musst. Zieh dir neue Sachen an, währenddessen erzähle ich. Einverstanden?“
„Okay.“
Dann stand sie auf und ging ins Schlafzimmer, um sich umzuziehen.
„Ach so, mach dir um deine Wohnung keine Sorgen, jemand wird sich darum kümmern. Oder besser, ich werde es persönlich in die Hand nehmen. Der Tisch hier ist ersetzbar, beim Teppich wird’s wohl etwas schwieriger, aber wir finden eine Lösung, mit der alle zufrieden sind.“
Ich erinnerte sie absichtlich nicht an das Ausmaß ihrer Verwandlung und der damit verbundenen Zerstörungskraft. Ich stellte mich an die verschlossene Schlafzimmertür und redete weiter.
„Du bist jetzt ein Vampir des Clans Toreador in der Sekte namens Camarilla, die Maskerade. Du wirst weitere Vampire kennen lernen, aber erst mal das Grundlegende. Mach dich von den alten Klischees frei, sonst machst du dich schnell lächerlich, und das will ich nicht. Knoblauch ist großer Humbug, fließendes Wasser auch, ich bade täglich. Sonnenlicht ist zwar tödlich, man stirbt aber nicht innerhalb einer Sekunde, das gleiche gilt für Feuer. Kruzifixe wirken nur, wenn der, der sie einsetzt, festen Glauben hat, und vertrau mir, davon gibt es nicht mehr so viele wie noch für dreißig Jahren.“
Die Tür öffnete sich und sie trat heraus. Ein wenig verschämt, ein wenig traurig sah sie aus, als sie einem dunkelblauen Abendkleid vor mir stand. Großzügiger Ausschnitt. Nicht aufdringlich, er machte eher Lust auf mehr, wenn ich das so sagen darf. Als sie die Wohnung abschließen wollte, nahm ich ihre Hand und blickte ihr in die Augen.
„Du hast in dieser Wohnung absolutes Vorrecht. Keiner von uns darf diesen Ort betreten, wenn du es nicht willst. Ich biete dir nur an, deine Wohnung zu säubern, dafür brauche ich den Schlüssel. Du kannst den Tag bei mir verbringen, eine Geste, die ich lange nicht jedem anbiete. Geht das in Ordnung?“
„Ich denke, das ist das mindeste, was du tun kannst, nachdem du mich zu einem Monster gemacht hast.“
Das Wort Monster beleidigte mich und meine Sicht auf die Vampire meines Clans, aber ich tat, als ignorierte ich es. „Ich danke dir, dass du mein Angebot annimmst. Alles wird in Ordnung sein, wenn du zurückkehrst, das versichere ich dir.“
Wir verließen die Wohnung etwa um halb drei, die Sonne würde sich noch etwa drei Stunden Zeit lassen, bis sie anfangen würde... unangenehm zu werden. Zeit genug, um auf Entdeckungstour zu gehen.
Ich nahm sie an die Hand und führte sie die Straßen entlang, die auf dem Weg lagen.
„Du bist jetzt mein Kind. Ich bin sozusagen dein Lehrer. Du musst tun, was ich sage und dich an die Regeln halten. Dann wird dir nichts geschehen. Ich büße für deine Fehler, also wage es nicht, dazwischen zu gehen, wenn ein Vampir von einem Menschen trinkt. Dann nämlich muss ich dich auf der Stelle töten, und das will ich nicht übers Herz bringen müssen. Ah, da vorn ist es. Siehst du den großen Kerl dort am Eingang? Der Einlasser? Das ist ein Ghul, er arbeitet für uns. Er ist ein Mensch, aber wir haben eine Art ‚Kontrakt‘, er kriegt Vampirblut dafür.“
„Aber wird er dann nicht zum Vampir?“
„Nein, dazu müsste man ihn erst leertrinken. Es ist eine Art Blutaustausch. Er hat zu viel Menschenblut im Körper, das Vampirblut reicht nicht aus, um es zu neutralisieren.“
„Verstehe. Gibt es drinnen noch mehr von deiner Sorte?“
„Du meinst unserer Sorte, Liebes. Ja, und ich werde sie dir zeigen.“
Wir kamen zum Einlasser, der uns zunickte. Er sah sie erst mürrisch an, dann ignorierte er uns wieder.
„Du musst wissen, ein Ghul hat zum Teil vampirische Kräfte, was ihn zu einem wichtigen Mitglied machen kann. Leg dich nur mit einem an, wenn du einen guten Grund hast oder sag seinem Meister Bescheid, wenn er einen Disput verursacht.“
An dem Abend war es recht ruhig im Lokal. Es war Jazz-Night, was bedeutete, dass viele entspannte Leute dort sein würden und es nicht halb so laut sein würde wie im Skyline. Sehr angenehm eben. Ich führte meine Begleitung zu einem unbesetzten Tisch, von dem man aus das Lokal gut im Blick hatte.
„Siehst du den Barmann? Der kleine, schmale mit der Fliege. Das ist Pierre, er ist auch ein Toreador, so wie wir beide. Die Dame, die gerade mit ihm redet, ist Nicola, sie gehört zum Clan der Tremere. Du hast vorhin schon einen gesehen, solltest du mich an der Bar im Skyline bemerkt haben. Ich habe dort auch mit einem geredet.“
Sie verneinte.
„Egal. Pass auf die auf, die können verdammt hinterhältig sein. Was aber ganz nett an ihnen ist, ist ihre Fähigkeit, Magie zu benutzen. Schau mich nicht so an, sie können tatsächlich zaubern. Magie ist eine feine Sache, wenn man damit umzugehen versteht. Der breite Kerl da drüben, nein, der andere, das ist Maurice, ein Ventrue. Machtbesessene Politikfanatiker, wenn du mich fragst, aber bild dir deine eigene Meinung, wenn du mal mit einem redest.“
„Was machen denn die Toreador?“, fragte sie, beinahe interessiert.
„Nun, wir behalten uns vor, große Künstler, Freidenker und Philosophen zu sein. Wir erkennen die Schönheit der Dinge eher als andere.“
„Und was macht uns dann so besonders, wenn es nur Kunst ist, die von Interesse ist?“
„Du verstehst da etwas falsch. Wir Toreadore leben für die Kultur als solches. Wir sind daran interessiert, mit den Menschen gleichberechtigt zu leben, sofern das möglich ist. Das ist nach meiner Meinung ein schönes Ziel, denn schließlich gibt es keinen Toreador, der die Menschen nicht mag. Und warum sollte man den Menschen allein auf Nahrung reduzieren, schließlich ist er doch unser aller Ursprung und kann so vieles, was uns verwehrt bleibt. So sehe ich das. Nimm dir die anderen Clans: Die Brujah sind Rebellen. Sie verachten jedes System und fühlen sich wohl, im Namen ihrer halbwertigen Unabhängigkeit anderen den Schädel einzuschlagen. Die Gangrel scheuen nicht, die Bestie, die in jedem von uns lauert, nach außen zu kehren und drehen anderen ebenfalls gern die Arme aus den Gelenken. Die Tremere... Gott weiß, was die eigentlich wollen. Hinterhältig wie Schlangen, das musst du wissen. Die Ventrue glauben, sie seien die allergrößten, weil sie die Begründer der Camarilla sind. Sie spielen sich als Wächter, Leiter und Lenker auf, obwohl ihre zweifelsfrei edlen Taten heute kaum noch Wirkung haben. Außerdem halten sie sich noch immer gern unter Menschen auf, aber verschwenden ihr Potential bei dem Versuch, dem Menschen ähnlich zu sein. Die Nosferatu bilden sich ein, alles zu wissen und jeden zu kennen und prostituieren sich damit. Im übrigen wirst du nie einen von denen auf der Straße sehen. Diese Kreaturen sehen so abscheulich aus, das kannst du keinem Menschen antun. Und die Malkavianer sind einfach nur geisteskrank. Wenn du dich mit denen unterhältst, mach dich auf Kopfschmerzen gefasst. Diese Individuen reden so viel wirres Zeug, dass es schon schmerzen kann..“
„Nette Auswahl.“, lächelte sie.
„Eben. Dann lieber mit einer Spur von Dekadenz das Unleben zu genießen. Das waren übrigens die Clans, die in der Camarilla größtenteils vertreten sind. Es gibt noch zwei Sabbatclans und einige Unabhängige, dazu aber später mehr. Jetzt das allerwichtigste von allem: Kein Mensch, nicht ein einziger, darf wissen, dass wir Vampire sind. Die Menschen sollen nicht wissen, dass es uns gibt, und bisher hat das ganz gut geklappt, es soll auch so bleiben. Das erleichtert die Arbeit, du verstehst. Die Camarilla ist ein Deckmantel, der die Menschen vor uns und uns vor den Menschen schützen soll.“
Ich erzählte immer weiter, stets bemüht, nicht zu laut zu reden, schließlich waren wir unter Menschen. Die Geschichte der Vampire war das nächste, was ich ihr nahe legte. Also führte ich aus, wie Kain, Adam und Evas Sohn, seinen Bruder Abel tötete und zur Strafe von Gott zu einem Vampir gemacht wurde. Er merkte, dass er Kinder zeugen konnte und konnte sich so von der Einsamkeit der Nächte befreien. Seine Kinder zeugten ebenso Kinder, die ihrerseits welche zeugten. Kain war erbost und verbat das Zeugen weiterer Vampire und verschwand. Nun, niemand hörte darauf, das Ergebnis bin ich und alle anderen Vampire, die heute auf Erden wandeln. Als nächstes waren die wichtigen Regeln und Traditionen an der Reihe, ich wollte ihr so viel wie möglich sofort erzählen, um zu verhindern, dass sie am Anfang bereits zu viele Fehler machte. Den Prinzen, das Oberhaupt der Vampire innerhalb einer Stadt, mussten wir so schnell wie möglich besuchen, da er erwartet, dass sich neue Vampire bei ihm vorstellen und um die Erlaubnis bitten, sich in der Stadt aufzuhalten und jagen zu dürfen. Daher rührte auch die Unterhaltung mit dem Tremere im Skyline. Ich wies sie auch darauf hin, dass es ein tödlicher Fehler ist, andere Vampire zu töten, ihr Blut zu trinken oder unerlaubt die Domäne eines anderen Vampirs zu betreten, geschweige denn, dort zu jagen. Auch ein Grund meiner Unterhaltung mit dem Sakkoträger aus dem Skyline. Ein kleiner Bereich der Stadt und mein Grundstück sind meine mir vom Prinzen zugesprochene Domäne. An diesen Orten dürfen sich nur Vampire aufhalten, die von mir die Erlaubnis bekommen haben. Selbst der Prinz muss theoretisch fragen, allerdings erließ ich ihm diese Pflicht, er ist erstens zweitausend Jahre älter als ich und zweitens mein Prinz. Zwei sehr gute Gründe, ihm seinen Willen zu lassen, denke ich. Solche Leute sollte man nicht reizen.
Sie hörte die ganze Zeit aufmerksam zu, nickte ab und zu, zog hier und da eine Augenbraue hoch oder kommentierte kurz, dann: „In Ordnung. Ich bin müde.“
„Das verstehe ich, aller Anfang ist schwer. Komm mit zu mir, dort kannst du dich ausruhen. Der Mann, der zu unserer Ankunft vor meiner Haustür sitzt, ist mein Ghul, also keine Fragen stellen. Er bewacht das Haus. Er stellt sicher, dass mich tagsüber niemand stört, er tut, als wäre er der Bewohner. Gleichzeitig trägt er Sorge, dass am Tage kein Sonnenstrahl ins Haus scheinen kann, das wäre ein furchtbarer Unfall.“
Und so fuhren wir heim zu meiner Zuflucht, einem Einfamilienhaus am Rande der Stadt, mit dem Taxi schnell zu erreichen. Sie sagte während der ganzen Fahrt kein Wort zu mir. Ich erzählte ihr noch ein paar wissenswerte Dinge über Blut und seine Fähigkeiten (Der Fahrer gehörte auch zu mir), aber sie schien es kaum wahrzunehmen. Sie schlief wie ein Kind nach einem Tag voller Herumtoben und Rumrennen auf dem Rummelplatz. Den wahren Rummel jedoch würde sie erst noch kennen lernen...