Umsetzung der 1. Aufgabe von Heldin
Als ich endlich an meinem neuen Haus ankam, strengte sich die Sonne gerade an, ihre Strahlen noch so weit wie möglich zu verteilen, bevor sie von der Dunkelheit besiegt werden würde. Wie oft hatte ich mich verfahren? Dreimal? Viermal? Aber was soll's, jetzt war ich da, und das Haus sah toll aus. Nichts Besonderes, nicht zu groß, für mich gerade richtig – Extravaganz ist nicht meine Sache. Anscheinend ganz im Gegensatz zu meinen Nachbarn, links und rechts von meinem Grundstück befanden sich Villen – rechts eine unpassend mediterran angehauchte mit einem schneeweißen Ferrari in der Einfahrt, und rechts (als "netter" Gegensatz) eine dunkle, viktorianische Burg mit eindrucksvollem Friedhof. Da lobe ich mir doch mein gemütliches Heim! (Zumindest von außen gemütlich, muss ich ja bisher noch einschränken.) Aber ich bin sicher, ich werde mich mit meinen Nachbarn trotz allem gut verstehen.
Doch zurück zu meiner Situation – um meine Ungeduld und Vorfreude noch zu steigern, ging ich erst einmal um das Haus herum und nahm den Garten, meinen Lieblingsort, in Augenschein. Wenn es in unseren Breiten nicht zu kalt wäre, verbrächte ich mein ganzes Leben draußen – oder wenigstens drinnen mit großen Fenstern.
Ich hatte das Haus nun seit dem Rohbau nicht mehr gesehen (der Weg war für ständiges Hin-und-her-fahren wirklich zu lang), und den Garten auch nur auf Skizzen – und er wirkte so anders als auf dem Papier, aber genau richtig, so hatte ich es mir vorgestellt. Die Möglichkeit der Überquerung des Bachs, der munter vor sich hin sprudelte, wurde in Form einer niedlichen Brücke gegeben – von einem Bach im eigenen Garten hatte ich immer geträumt. Hoffentlich bleibt er sauber und gesund, aber bei meinem Glück... Nein, Linda, dein neues Leben beginnt jetzt und hier, immer optimistisch bleiben!
Direkt im Hausschatten standen Stühle und eine Bank für ein nettes Zusammensein auch im heißen Sommer, und ein Kiesweg führte zu einer Holzbank, gesäumt von Büschen und einem hübschen kleinen Brunnen. Ich genoss die letzten Sonnenstrahlen in diesem wunderbaren Garten und begab mich nun wieder zur Haustür.
Ich schaute mir die Front des Hauses genau an und beschloss, ein Spielchen zu spielen: Ich würde so tun, als wäre ich ein Gast und würde versuchen, jedes Zimmer neu zu erleben; unabhängig vom Wissen über Raumform und –größe und auch unabhängig davon, dass ich die Möbel allesamt selbst gekauft und theoretisch auch arrangiert hatte - wobei das Arrangement tatsächlich überraschen könnte, wenn die Möbelpackerfirma doch nicht so perfekt ist, wie Marina mir vorgeschwärmt hat.
Die Haustür und die Pflänzchen davor (einen Vorgarten kann man dies ja kaum nennen) sahen süß und passend aus, nicht zu protzig, aber auch nicht zu langweilig. Beinahe wollte ich schon klingeln, doch da würde mein Spiel es zu weit treiben – ich könnte ja lange darauf warten, dass mir jemand aufmacht. So betrat ich also mein neues Haus ...
... und wurde von einem warm eingerichteten Wohnzimmer begrüßt. Ich setze mich auf das Sofa, das dem Fernseher gegenüberstand und merkte das erste Mal, dass ich von der Fahrt tatsächlich erschöpft war. Draußen hielt mich der Wind und die frische Luft auf Trab, aber hier, im angenehm temperierten Wohnzimmer auf dem weichen Kanapee mit dem Wissen, endlich zu Hause zu sein... Beinahe schlief ich ein, doch irgendwann kam mir der beunruhigende Gedanke, dass ich schließlich noch überhaupt nicht wusste, wie sehr dieses Haus auch mein Zuhause werden würde. Waren denn alle Räume so schön wie dieses Wohnzimmer? Als ich mich noch einmal umsah, lächelte ich erfreut beim Anblick des kleinen Wasserbeckens in der Mitte des Raums. Zwar ist, wie bereits erwähnt, Extravaganz nicht mein Stil, doch irgendwie erschien mir das Zimmer zu leer und zu langweilig – und das Wasser gab ihm einfach den letzten Schliff.
Ich erhob mich mühsam (der kleine Teufel auf meiner Schulter schrie: "Nein! Bleib sitzen, mach den Fernseher an und iss Chips! Das wird dir gut tun...") und betrat die Küche.
Wow! Sie gefiel mir noch besser als das Wohnzimmer, allein wegen der schönen Farben. Strahlend gelbe Wände, nicht zu grell, sondern sehr sonnig, und bunte, in Erdtönen gehaltene Terrakottafliesen. Sehr, sehr schön. Auch die Einrichtung hatte ich, wie ich zu meiner Zufriedenheit feststellen konnte, sehr gut ausgewählt. Kein großer Tisch, an dem ich mich sowieso einsam fühlen würde, sondern eine lange Theke mit Barhockern davor. Die Sonnenblume in der Ecke erinnerte an vergangene Sommer, und die Kräuter in dem kleinen Topf neben dem Kühlschrank warteten nur darauf, dass ich mit ihnen leckere Gerichte koche.
Apropos Gerichte – ich war wegen der Autofahrt schon länger nicht mehr im Badezimmer gewesen, und ich plante, dies schnell nachzuholen.
Das Badezimmer war meinen Wünschen entsprechend limonengrün/weiß eingerichtet und gefliest, Badewanne, Dusche, Klo, Waschbecken – alles vorhanden. Von diesem Raum war ich nun nicht so begeistert, zwar alles ganz nett, aber Badezimmer sind allgemein nicht sehr interessant für mich. Hauptsache sauber, Einrichtung ist eigentlich egal.
Wasser lief, Strom war auch schon da – zufrieden über diese Selbstverständlichkeiten wandte ich mich nun dem Schlafzimmer zu ...
... wenn auch Schlafzimmer vielleicht nicht der richtige Begriff dafür ist. Denn Schlafen war längst nicht alles, was ich hier tun wollte¹ – dieses Zimmer war gleichzeitig mein Arbeitszimmer (PC- und Schachbrett-Standort) und meine Entfaltungsecke (Staffelei und Bücherregal). Das Parkett, die kleine Abtrennungswand und die Tapete gefielen mir (wie so vieles) sehr gut. Die Möbel waren alle in Brauntönen gehalten, wozu das Blau einen netten, weichen Kontrast bildete. Das Bild über dem sehr gemütlich aussehenden Sofa liebte ich – normalerweise stehe ich nicht sehr auf moderne Kunst, aber dieses fand ich, warum auch immer, ziemlich ansprechend. Ich wusste intuitiv, dass in diesem Zimmer immer eine wohltuende Atmosphäre herrschen würde – selbst wenn draußen die Welt untergeht, würde ich mich hier geborgen fühlen.
Doch um die Sache nicht zu vergessen, nach der dieses Zimmer benannt war – natürlich gab es hier auch ein schönes, großes, breites, weiches, tolles Bett. Mit Vorhängen wie aus einem orientalischen Märchen. Und einem großen Kleiderschrank direkt daneben. Mein letzter Gedanke war „Den zu füllen ist auch noch eine ganz schöne Aufgabe²“, bevor ich in die Kissen sank und der Wirklichkeit entschlummerte.
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¹ no pun intended
² pun intended