Kapitel 178: Wege des Gewissens
                  Obwohl wir erst spät ins Bett gekommen waren, stand ich                    am nächsten Morgen früh auf. Ich brachte es dann doch                    nicht übers Herz, Christian mit dem Aufräumen ganz                    alleine zu lassen. Außerdem tat mir die frische Morgenluft                    ganz gut. Eigentlich war ich der Meinung, gestern nicht viel                    getrunken zu habe. Das Brummen in meinem Schädel ließ                    aber vermuten, dass ich mich an das ein oder andere Glas Sekt                    nicht mehr so recht erinnern konnte. Ich überprüfte                    gerade, ob im hinteren Bereich des Gartens noch dreckiges Geschirr                    zu finden war, als die Terrassentür aufgeschoben wurde,                    Tristan herauskam und mich mit einem Kapitänsgruß                    begrüßte.
                  "Bist du jetzt unter die Seefahrer gegangen", fragte                    ich meinen langjährigen Mitbewohner lachend und nahm ihn                    herzlich in den Arm. "Ich weiß auch nicht",                    entgegnete dieser. "Dieser Kanal hinter dem Haus hat mich                    einfach dazu verleitet." Er grinste. "Du warst gestern                    übrigens wunderschön, Oxana". Ich wurde rot bei                    seinem Komplimente. "Und ich fand es schön, dass du                    es zur Hochzeit geschafft hast. Ich hätte so gerne auch                    Roland, Brandi und so viele andere hier gehabt. Es war gut,                    dass wenigstens ein paar meiner engsten Freunde hier sein konnten."
                  Unweigerlich musste ich an Benny, Frau Jolowitz, und so viel                    andere denken, die den Tag meiner Hochzeit nicht einmal mehr                    erlebt hatten. Wieder wurde mir die Sinnlosigkeit dieses Krieges                    vor Augen geführt. "Es tut mir wahnsinnig leid, dass                    ich mit den Kindern verschwunden bin, ohne ein Wort zu sagen",                    entschuldigte ich mich bei Tristan aufrichtig. Diese Angelegenheit                    hatte mir schon seit Tagen auf der Seele gebrannt. "Ich                    hätte mich wenigstens bei dir verabschieden müssen."
                  Doch zum Glück war Tristan mir deswegen nicht böse.                    "Du hast nur getan, was du tun musstest, Oxana. Du musstest                    deine Kinder beschützen. Ich kann das sehr gut nachvollziehen.                    Und deine Flucht war riskant. Je weniger Leute davon wussten,                    desto besser. Wir haben ja alle gesehen, dass die Simnistrier                    nicht vor dem Töten zurückschrecken. Und ich weiß,                    dass es dir nicht leicht gefallen ist, deine Freunde in der                    Sierra Simlone zurückzulassen. Ich werde dir deswegen niemals                    einen Vorwurf machen." Mir fiel ein Stein vom Herzen.
                  Doch dann wurde er ernst und an seinem zerknirschten Gesichtsausdruck                    konnte ich erahnen, dass die Neuigkeit, die er mir mitteilen                    wollte, mich nicht erfreuen würde. "Auch ich hätte                    dir schon längst etwas sagen müssen", gestand                    er mir. "Aber ich wollte dir deinen großen Tag nicht                    verderben." Seine Stimme klang wirklich ernst und unweigerlich                    bekam ich eine Gänsehaut am ganzen Körper. "Es                    geht um Grünspan. Es hat da einen Vorfall gegeben..."
                  "Grünspan?", keuchte ich. "Stimmt etwas                    mit der Farm nicht?" Ich hatte bislang vermieden, an die                    Felder, die Plantage und die Rinderherde zu denken. Mir war                    klar, dass sie in den Wochen meiner Abwesenheit furchtbar gelitten                    haben mussten. Vermutlich musste ich in vielen Bereichen wieder                    völlig von Neuem beginnen. "Es geht nicht so sehr                    um die Farm", entgegnete Tristan. "Viel mehr geht                    es um das Haus. Du weiß ja, dass es von den Simnistriern                    als Hauptquartier genutzt wurde. Als es zu dem großen                    simnationalen Gegenschlag bei SimVegas kam, da wurde auch der                    Widerstand in Sierra Simlone Stadt geweckt. Niemand weiß                    so genau, wie es passierte, aber da gab es diese Explosion und...und                    das Haus..." Mir wurde schwindelig. Nein, das durfte nicht                    wahr sein. Nicht mein Haus, nicht Grünspan!
                  Am liebsten wäre ich sofort in die Sierra Simlone aufgebrochen,                    doch die politische Lage ließ dies noch nicht zu. Niemand                    durfte die von Simnistrien besetzten Gebiete betreten oder verlassen,                    solange die Friedensverhandlungen mit der SimNation noch im                    vollen Gange waren. Es dauerte zwei weitere Wochen, bis die                    Gespräche zu einem abschließenden Ergebnis kamen.                    Und die Bedingungen des Friedens waren für mich und alle                    Bewohner der Sierra Simlone ein Schock. Die gesamte Sierra,                    sowie die südlichen Gebiete der Provinzen Matosimhos und                    Las Marsimas wurden an Simnistrien abgetreten. Sie bildeten                    nun die Sierra Simnistria, ein Übersee-Département,                    das direkt der Regierung Simnistriens unterstand. Für die                    Bewohner dieser Region galt es nun eine Entscheidung zu treffen.                    Erklärten sie sich dazu bereit, der simnationalen Staatsbürgerschaft                    abzuschwören, konnten sie in ihre Heimat zurückkehren                    und Bürger Simnistriens werden. Waren sie dazu nicht bereit,                    dann blieb ihnen nur die Möglichkeit, sich von ihrer Heimat                    zu verabschieden und der Sierra Simlone für immer auf Wiedersehen                    zu sagen.
                  Auch Dominik und ich standen vor dieser Wahl. Doch bevor wir                    einen Entschluss fällen konnten, mussten wir selbst noch                    einmal nach Sierra Simlone Stadt reisen. Tristan hatte mich                    vorgewarnt und trotzdem hatte mich keines seiner Worte auf den                    Anblick vorbereitet, der sich mir bot, als ich die Simlane erblickte.                    Dominik musste mir aus dem Auto helfen und mich beim Gehen stützen.                    Andernfalls wäre ich direkt auf den staubigen Wüstenboden                    gefallen. Ich hatte keine Kraft mehr. Und selbst Dominik hatte                    es die Sprache verschlagen. Ich konnte deutlich spüren,                    dass er mich nicht nur stützte, sondern dass er auch mich                    als Stütze brauchte. Schweigend blickten wir unser Haus                    an.
                  Oder viel mehr das, was davon noch übrig geblieben war.                    Die Simlane war nur noch eine einzige Ruine. Von dem Anbau,                    in dem sich die Kinderzimmer befanden, war kaum noch etwas vorhanden.                    Der komplette Dachstuhl war zusammengestürzt und lediglich                    die Mauern meines ursprünglichen kleinen grünen Häuschens                    hielten mit Müh und Not stand. Es musste eine gewaltige                    Explosion gewesen sein, die die Aufständischen der Sierra                    Simlone gezündet hatten, um die simnistrischen Eroberer                    aus unserer Stadt zu vertreiben.
                  Mit wackligen Knien ging ich Schritt für Schritt auf das                    Haus zu und stieg langsam die Holztreppe zur Veranda hinauf,                    die unter meinem Gewicht gefährlich knarrte. Ich wollte                    das Haus betreten, doch Dominik hielt mit bestimmt zurück.                    "Es ist viel zu gefährlich, Brodlowska", flüsterte                    er mir zu. "Die Decke könnte jeden Moment einstürzen."                    Ich wusste, dass er Recht hatte. Alles, was ich mir aufgebaut                    hatte, lag in Trümern vor mir. Ich begann zu schluchzen                    und sank zu Boden. Mein Mann beugte sich zu mir herunter und                    küsste zärtlich meine Haare. Ich war so froh, dass                    er jetzt bei mir war. Andernfalls wüsste ich nicht, wie                    ich diesen Moment überstanden hätte.
                  Nach einem kurzen Moment wischte ich mir die Tränen aus                    dem Gesicht und Dominik half mir wieder auf. Er nahm mich an                    der Hand und gemeinsam gingen wir um das zerstörte Haus                    herum. Es war kaum vorstellbar, dass wir hier jahrelang gelebt                    hatten. Beim Blick in die zerstörte Küche kamen so                    viele Erinnerungen wieder hoch. An dieser Spüle hatte Letizia                    sich direkt vor Rolands Augen mit einem Schwamm gewaschen, an                    diesem Esstisch habe ich Dominik von meiner Schwangerschaft                    mit Kinga berichtet und dort hinten auf dem Sessel hatte ich                    gesessen, als meine Schwester mir von ihrer dunklen Doppeltleben                    berichtete.
                  Dieses Haus steckte voller Erinnerungen. Einige waren wundervoll                    und andere wiederum waren schmerzvoll. Doch ich wollte keine                    einzige missen, denn sie alle hatten mein Leben geformt und                    mich zu dem Menschen gemacht, der ich heute war. Da das Dach                    über den Kinderzimmern bereits vollständig eingestürzt                    war, wagte ich es, Skys und Klaudias Zimmer zu betreten. Überall                    erkannte ich ihre Sachen zwischen den Trümmern. Hier ein                    Pullover, dort ein Spielzeug. Und einem Stapel loser Bretter                    zog ich einen Teddybär von Klaudia hervor. So viele liebgewonnene                    Gegenstände waren unwiederbringlich zerstört, da wollte                    ich wenigstens ein paar Erinnerungsstücke retten.
                  Also begann ich die Gegenstände unter den Trümmern                    hervorzuziehen. Erst den einen Teddybären, dann den nächsten,                    dann ein Buch, ein Bild, eine CD... Ich steigerte mich immer                    weiter hinein und begann die Trümmer zur Seite zu räumen,                    bis Dominik mich von hinten fest an meinen Handgelenken faste.                    "Lass es gut sein, Brodlowska", sprach er beruhigend                    auf mich ein. "Das sind doch alles nur Gegenstände."                    Ich wollte ihn abschütteln, doch sein Griff war zu fest                    und schließlich ergab ich mich ihm und richtete mich langsam                    auf. "Dieses Haus war uns ein gutes Zuhause, Brodlowska.                    Aber nicht das Haus ist wichtig, sondern die Menschen, die darin                    wohnen. Wir haben immer noch uns, wir haben zwei, nein drei,                    wunderbare Kinder, Und wir werden uns ein neues Zuhause aufbauen."
                  Behutsam drehte Dominik mich zu sich um und strich mir durch                    das staubige Haar. "Wir können versuchen, dieses Haus                    wieder aufzubauen. Wenn es sein muss, dann werden wir eben Simnistrier.                    Wir können aber auch irgendwo anders ganz von vorne anfangen.                    Wichtig ist doch nur, dass wir uns haben. Zusammen können                    wir alles schaffen." Vor Rührung begannen meine Augen                    erneut feucht zu glänzen. "Ich liebe dich Dominik",                    flüsterte ich und küsste ihn. Und er schloss mich                    fest in seinen Arm und erwiderte diesen Kuss. Ja, solange wir                    nur zusammen waren, dann konnten wir alles schaffen. Alles.
Ende
Gedanken
Dominik und ich hatten eine schwere Wahl zu treffen. Ich liebte Grünspan. Ich liebte meine Farm, mein grünes Haus und natürlich all die Menschen, die gemeinsam mit mir in der Sierra Simlone lebten. Aber war ich auch bereit von nun an in Simnistrien zu leben? Konnte ich wirklich in einer Stadt, in einer Straße mit den Menschen leben, die erst vor kurzem gewaltsam in mein Land eingedrungen waren? Mein Haus lag in Trümmern. Dominik hatte Recht, wir konnten es wieder aufbauen. In den Jahren nach der verehrenden Wirtschaftskriese, hatte ich wieder einige Reserven auf meinem Konto anlegen können. Jetzt, zwanzig Jahren nachdem ich sie übernommen hatte, erwies sich die Farm als äußerst gewinnträchtig. Der Entschluss, in der Sierra Simlone zu bleiben, würde demnach nicht an unseren finanziellen Möglichkeiten scheitern.
                  Auf der anderen Seite waren so viel schlimme Dinge passiert,                    dass ich nicht sicher wusste, ob ich wirklich weiterhin auf                    Grünspan leben konnte. Die Zerstörungen in Sierra                    Simlone Stadt waren allgegenwärtig. Nicht nur ich hatte                    mein Haus verloren. Der Ortskern existierte praktisch nicht                    mehr und zahlreiche Häuser waren beim ersten Raketenangriff                    dem Feuer zum Opfer gefallen. Und so viele Menschen hatten ihr                    Leben verloren. Am meisten betrauerte ich den Tod von Benny.                    Es gab eine Zeit, wo er der wichtigste Mensch in meinem Leben                    war. Der Gedanke, dass ich ihn nie wiedersehen würde, schmerzte                    ungemein. 
Und viele weitere Freunde hatten sich bereits                    entschlossen, die Sierra Simlone zu verlassen. Roland und Brandi                    würden ein neues Leben in Simtropolis beginnen. Auch die                    meisten von Dominiks Geschwistern, darunter Dennis und sein                    Lebensgefährte Stev, hatten die Sierra Simlone bereits                    verlassen und sich in SimVegas niedergelassen. Doch Gerda und                    ihre Familie wollten ihre Heimat und ihr Land nicht verlassen.                    Norman war schon seit Generationen im Familienbesitz. Und für                    sie war es nicht wichtig, auf welchem Staatsgebiet sie nun lebten,                    solange sie nur weiterhin auf und von ihrem eigenen Land leben                    konnten. Auch Orion würde in der Sierra Simlone bleiben.                    Joanna brauchte ihn jetzt umso dringender als wachsames Auge                    im Süden. Die Entscheidung meiner Schwiegereltern hing                    davon ab, wie Dominik und ich uns entscheiden würden. Würden                    wir in der Sierra Simlone belieben, dann blieben auch sie. Ansonsten                    würden sie mit uns ziehen, wo auch immer es uns hin verschlagen                    mochte. Und meine Schwester hatte mir und Dominik bereits ein                    schönes Haus in SimCity in Aussicht gestellt. Wir mussten                    nur noch zusagen, doch ich konnte mich einfach noch zu keiner                    Entscheidung durchringen. Tristan und Frank hatten Sierra Simlone                    Stadt ebenfalls bereits verlassen. Allerdings blieben die beiden                    in der neuen Sierra Simnistria. Kasimir hatte seit Beginn des                    Krieges Kontakte zu der simnistrischen Führung geknüpft                    und konnte auf diese Weise ein gutes Wort für Tristan und                    Frank einlegen. Da beide jahrelange Erfahrung in der Ölindustrie                    hatten, wurden sie von den Simnistriern mit offenen Armen empfangen.                    Denn die Ölreichtümer der Sierra Simlone, die nun                    in simnistrischer Hand waren, sollten so schnell wie möglich                    ausgebeutet werden. Und so lebten Tristan und Frank jetzt in                    Oro Negro, einer Kleinstadt etwa 500 km westlich von Sierra                    Simlone Stadt, die sich in den letzten Jahren zum Zentrum der                    Ölförderung in der Sierra Simlone entwickelt hatte                    und nun zur neuen Hauptstadt der Sierra Simnistria ernannt wurde.                    
Trotz der Hitze, trotz des Staubes, ich                    liebte dieses Land. Ich liebte die raue Schönheit der Sierra                    Simlone. Aber am meisten hing mein Herz an den vielen Erinnerungen,                    die mit diesem Ort verknüpft waren. Hier hatte ich noch                    einmal neu beginnen können, nachdem ich aus SimCity vertrieben                    wurde. Hier hatte ich meine besten Freunde getroffen, hier hatte                    ich die erste Liebe durchlebt, hier hatte ich meine Kinder geboren                    und aufgezogen. Und hier wollte ich alt werden. Aber vor allem                    wollte ich mit Dominik, mit Klaudia, Sky und natürlich                    mit Kinga zusammen sein. Ich musste sie alle in meine Entscheidung                    einbeziehen. Dominik hatte von Angesicht zu Angesicht mit simnistrischen                    Soldaten gekämpft. Würde er seinen Hass auf sie jemals                    vergessen können? Und hatten meine Kinder, gebrandmarkt                    als SimNationale, eine Zukunft in diesem Land oder wäre                    ihnen jeder schulische und berufliche Erfolg aufgrund ihrer                    Herkunft automatisch verbaut? Ich wusste auf alle diese Fragen                    keine Antwort. Was war richtig? Richtig für mich und richtig                    für meine Familie? Ich wusste es nicht. Ich wusste nur,                    dass ich meinem Gewissen folgen musste. Sie waren oftmals steinig,                    doch führten sich mich mein Leben lang zum richtigen Ziel,                    meine 
Wege des Gewissens.
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Meine lieben Leser, nun ist es tatsächlich so weit: Nach gut 3 ½ Jahren ist meine Fotostory „Oxana –Wege des Gewissens“ zu ihrem Abschluss gekommen. Ich bedanke mich an dieser Stelle herzlich für eure Treue und für die vielen Kommentare, die ich über die Jahre erhalten habe. Ich hoffe, ihr hattet beim Lesen der Geschichte genau so viel Freude, wie ich beim Schreiben.
Wie es der Zufall will, ist heute noch ein anderer großer Tag, denn vor genau 10 Jahren habe ich, den ersten Teil meiner allerersten Fotostory „Die Brodlowski-Sage“ online gestellt. In der Story dreht sich alles um Oxanas Dad Arkadiusz Brodlowski und sie ist damals noch mit Sims1 umgesetzt worden. Schaut doch einfach mal vorbei, wenn ihr Lust habt:
www.brodlowski-saga.de.vu
  Die komplette Gesicht um Oxana findet ihr zusammengestellt auf einer eigenen Homepage:
www.oxana-brodlowska.de.vu
  Und auch Kingas Story ist als eigene, abgeschlossene Geschichte auf einer eigenen Homepage nachzulesen:
  :hallo: Vielen, vielen Dank! :hallo: