Forumspiel "Alleinerziehend" Aufgaben The_Slayer

  • Ich führe hiermit die Geschichte der Familie aus dem letzten Forumspiel fort, deshalb bitte ich den kurzen Ausflug in die Vergangenheit zu entschuldigen, ich möchte versuchen die Handlung für frühere Leser ebenfalls plausibel erscheinen zu lassen. Wer wissen will worum es ging findet die Geschichte hier



    Familie Wildcat
    An diesem Dienstag Morgen herrschte das gleiche geordnete Chaos wie üblich in meiner Küche. Ranjid, mein Mann war wie immer früher aufgestanden und hatte seine Frühstücksutensilien quer über der Arbeitsplatte verteilt, die beiden Katzen fegten drüber hinweg und zwischendurch und Ashanti saß in ihrem Hochstuhl und beobachtete uns und meine Versuche dem Herr zu werden mit vergnügtem Quietschen und ließ darüber ihren Griesbrei kalt werden.


    Sie war mit ihren 4 Jahren zwar alt genug um auf einem der normalen Stühle zu sitzen, aber irgendwie sagte mir eine leise, aber sehr eindringliche Stimme immer wieder daß das meinen Versuchen Ordnung in diesen Trubel zu bringen nicht gerade zuträglich wäre. Um ehrlich zu sein kamen zu der Stimme noch einige sehr lebhafte Bilder vor meinem geistigen Auge dazu, auf denen Ashanti auf einer Katze durch die Küche ritt, die Breischale als Helm auf dem Kopf der Katze....


    Heute war es jedoch noch nicht so weit und nach einigen Anläufen waren sowohl Mann als auch Kind fertig um frisch und satt in den Tag zu starten. Ich hob Ashanti aus ihrem Hochstuhl und setzte sie vor ihren Maltisch im Wohnzimmer.


    Der Kindergarten hatte seit letztem Freitag Sommerferien, somit verbrachten wir unsere Tage im Moment zusammen. Zumindest meistens. Genauso wir Ranjid war auch ich nicht wieder zur Polizei zurückgekehrt sondern hatte als Ashanti groß genug war einen Halbtagsjob bei einer Sicherheitsfirma angenommen. Dadurch daß meine Stelle keine permanente Anwesenheit erforderte konnte ich an Tagen wie diesen zu Hause arbeiten und selbst auf mein Kind aufpassen.


    Während Ashanti schon völlig in ihr neuestes Kunstwerk vertieft war verabschiedete ich mich mit einem Kuss von Ranjid. Er war etwas spät dran, aber seine Studenten würden es ihm verzeihen. Wie schon erwähnt, auch er arbeitete nicht mehr bei der Polizei sondern war an der nahegelegenen National Forensic Academy als Leiter für die Abteilung Ballistik angetreten.


    Es war eine meiner Bedingungen gewesen, als er mich zurückholte. Daß wir beide nicht mehr dorthin zurückkehrten. Er hatte mich eine Woche nachdem ich von unserer Hochzeit geflohen war in dem Strandhaus von Bekannten aufgespürt. Die sieben Tage waren zwar kurz, aber ausreichend um mir darüber klar zu werden daß ich bereits schwanger war. Und Ranjid weigerte sich, mich so gehen zu lassen. Irgendwann gab ich nach, wohl eher aus Resignation und Verzweiflung als aus Liebe und zog wieder mit ihm in mein kleines Haus.


    Hört sich unrealistisch an? Ja? Naja, ich habe nicht gesagt wir wären glücklich gewesen. Ich hasste ihn immer noch für das was er getan hatte und meine völlig durcheinander gewürfelten Schwangerschaftshormone machten es nicht besser. Ich machte ihm jeden Tag zur Hölle und stritt mich wo ich nur konnte, obwohl er fast übermenschliche Anstrengungen unternahm mich wieder für sich zu gewinnen. Wenn er sich um mich sorgte weil ich wieder zu hohe Schuhe und zu enge Kleider trug schrie ich ihn an er solle sich doch um seinen eigenen Scheiß kümmern und bei seiner Geliebten hätte er es ja auch toll gefunden und er solle mich doch endlich in Frieden lassen. Ließ er mich in Frieden und versuchte mich möglichst nicht aufzuregen, schrie ich ihn an und warf ihm an den Kopf er würde sich nicht um mich kümmern, er sei ein duckmäuserischer Drückeberger ohne Rückrad und solle zur Hölle fahren.


    Und wieso sitzen wir dann heute als wirklich glückliche Familie jeden Morgen zusammen am Frühstückstisch und lachen herzlich über das Chaos, das um uns herrscht?
    Weil es kam wie es kommen musste. Ich hatte meinen schwangeren Körper derart unter Stress gesetzt daß ich während einer dieser Streits kollabierte. Ich brach zusammen, verbrachte 3 Nächte im Krankenhaus und wurde mir dabei über eines klar: Entweder, ich versuchte zumindest Ranjid zu verzeihen und wir ließen es beide hinter uns und zogen die Sache durch, oder ich würde mich und mein Kind irgendwann aufgearbeitet haben. Selbst wenn ich mir egal war, Ashanti war es nicht. Und Ranjid war zur Stelle, wenn ich ihn brauchte. Er zog sich nicht einfach aus der Affäre, auf ihn war verlass und er kämpfte sowohl um mich als auch um unsere Tochter.
    Und als mich die Erkenntnis getroffen hatte, war es wieder gut. Ich wurde normaler, ruhiger, ich begann Ranjid zu verzeihen und mein Leben mit mehr Frieden zu füllen.


    Frieden.... ja, wieso war es eigentlich so still im Haus?
    Ich hatte den ganzen Nachmittag im Büro im obersten Stockwerk gearbeitet und hatte über die Arbeit und den Ausflug in die Vergangenheit überhaupt nicht bemerkt, wie die leise gebrabbelten Geräusche von Ashanti im Kinderzimmer verstummt waren.


    Ich ging die Treppe hinunter zum Kinderzimmer und sah Ranjid, der offensichtlich eben nach Hause gekommen war und Ashanti ins Bett brachte, sie zudeckte und ihr einen Kuss auf den Scheitel drückte.


    Er drehte sich zu mir um.
    „Hey, Sandy Schatz. Ich wollte zu dir hoch und hab sie hier gefunden, sie hat auf dem Boden gelegen und mit Skrolla gekuschelt, war total erschlagen.“
    Skrolla war meine Katze, die mich schon mein halbes Leben begleitete. Sie war mitterweile relativ alt und sie und Ashanti waren ein Herz und eine Seele.
    „Ja, sie hat den ganzen Nachmittag ganz vertieft gespielt, ich hab garnix von ihr gehört. Du bist früh zuhause! Bin noch nichtmal zum kochen gekommen.“
    „Ja, es war kaum Verkehr und ich dachte mir, wir könnten mal wieder was vom Inder kommen lassen und uns zusammen auf die Terrasse setzen. Es ist ein so schöner, warmer Abend.“
    „Hm, Inder?“ entgegnete ich. „Hast du Heimweh?“
    Ranjid war zwar hier geboren, hatte aber eine traditionelle Indische Familie zu der wir leider kaum Kontakt hatten. Naja, „leider“ - sie hassten mich aus tiefsten Herzen. Aber für ihn tat es mir wirklich leid.
    „Aber eigentlich ist Indisch wirklich eine gute Idee“ fuhr ich fort. „Ich muss auch unbedingt raus, ich bin den halben Tag im Büro vorm Bildschirm gesessen. Was hältst du davon, du bestellst uns was und ich geh raus und deck auf?“


    Und nachdem ich Besteck und Geschirr auf dem Terrassentisch verteilt hatte, nahm ich mir ein Glas Wein, setzte mich damit an den Pool und wartete auf Ranjid und den Bringdienst.


    Er hatte Recht gehabt, die Luft war ganz weich und warm.
    Die Sonne war gerade dabei unterzugehen und die Grillen begannen leise ihr zirpendes Lied anzustimmen. Ich lehnte mich zurück, sah in den Sonnenuntergang und dachte so bei mir „Welch schönes Leben habe ich doch!“


  • Anmerkung:
    Sowohl das ATF als auch die National Forensic Academy sind authentische Institutionen.


    Die Wildcats - Teil 2


    „Maaaaan! Wo bleibt er nur?!“ dachte ich mir und sah zum zehnten mal innerhalb von zehn Minuten aus dem Küchenfenster zur Auffahrt hinunter.
    Ich stand in der Küche inmitten von unzähligen Teller und Gläsern die darauf warteten, mit den dazwischen stehenden Platten voll Grillgut und Desserts, Obst, Karaffen mit frischem Fruchtsaft und Weinflaschen in den Garten getragen und davon befüllt zu werden.
    Denn in zwei Stunden würden unsere Gäste eintreffen, voll Erwartung auf ein rauschendes Gartenfest wie wir es jeden Sommer mit unserem engsten Freundeskreis veranstalteten.


    „Schatz! Da bin ich! Wow – das sieht ja schon richtig toll aus! Tut mir leid, im Supermarkt war die Hölle los.“ Ranjid durchquerte den Eingangsbereich und balancierte den vollen Einkaufskorb vorsichtig auf einen Stuhl, der einzig freien Fläche. „Hmmm... süß siehst du aus, so verschwitzt und voller Mehl auf der Hose.“ Er stellte sich hinter mich an die Arbeitsfläche, zog mich an sich und strich mir sanft die aufgelösten Haare aus dem Nacken und begann neckisch daran zu knabbern.
    Ich wehrte mich halbherzig: „Hey! Ranjid, Schatz, ich muss hier noch...“
    „Komm, hier sieht doch alles wunderbar aus. Und alles hast du ganz alleine gemacht, kleine Superfrau!“ Er nutze die Gelegenheit als ich ihn überrascht anstrahlte, drehte mich zu sich um und drückte mich gegen die Küchenanrichte. „Und Ashanti liegt auch oben in ihrem Bettchen und hält ihren Mittagsschlaf.“


    Sacht begann er mein Schlüsselbein zu küssen, weiter zum Hals und endete schließlich in einem leidenschaftlichen Kuss als er an meinen Lippen angekommen war. Mit seinem Oberschenkel drückte er mich fester an die Anrichte, zog mich fester in seine Arme wo ich mich in meinem verschwitzen Sommertop an seinen muskulösen Oberkörper schmiegte.


    Ich hatte schon völlig vergessen, daß ich für solche Spielchen eigentlich keine Zeit hatte, als mir bei einer weiteren Bewegung der Griff des Teigausrollers hinter mir schmerzhaft in die Nierengegend stach.
    „Aaahh!“ Oh, ja, der Kuchen! Der Kuchen, ja, da war was. Das wäre zumindest die Erklärung für die umherliegenden Backzutaten. Ich schob Ranjid sanft von mir weg und versuchte wieder etwas klarer im Kopf zu werden.
    „Hör zu, ich muss hier fertig werden. Aber heute Nacht, da bin ich ganz dein!“
    Bevor er mich wieder freiließ strich er mir meine jetzt noch aufgelösteren Haare aus dem Gesicht, küsste mich auf die Stirn und flüsterte: „Ich freu' mich“


    „Ja, ich freue mich auch.“... „freuen“ schon fast untertrieben.... dachte ich still bei mir, als ich mich wieder mit einem großen Grinsen im Gesicht meinem Kuchen zuwand.


    Drei Stunden später war die Party in vollem Gange. Die Kinder planschten im Pool und spielten im Garten, Ranjid stand mit Rebus, dem Mann meiner Kollegin Calendula vor dem Grill und beratschlagte darüber wie man die Kohle jetzt am besten anheizt und alle anderen waren quer über das Grundstück verteilt, lagen in den zahlreichen Liegestühlen und unterhielten sich mit einem Glas Weißwein in der Hand oder saßen auf den Handtüchern um den Pool herum und beaufsichtigten ihre Kinder. Es lag der Duft von Grillkohle, Sonnenmilch und warmen Gras in der Luft, die immer wieder Gesprächsfetzen und das Lachen unserer Sprösslinge zu uns herüber trug. Von irgendwo in der Ferne war ein Motorrad zu hören. Wir waren alle sehr zufrieden und glücklich.


    Sowohl der Kuchen als auch alles andere war rechtzeitig fertig geworden. Ich hatte mich noch von meinen Arbeitsklamotten befreit und war in ein hübsches Sommerkleid mit Blumendruck geschlüpft und stand jetzt ebenfalls auf dem Rasen und unterhielt mich mit meiner Freundin Alina
    darüber, daß der Kindergarten auch jedes Jahr früher in die Sommerferien ging, als ich bemerkte, daß das Motorradgeräusch immer lauter geworden war und es jetzt fast unmittelbar vor unserem Haus sein musste. Ich war noch halb im Gespräch mit Alina versunken und wollte mich deshalb zu Ranjid umdrehen, als laufende Schritte in unsere Richtung, sowie die Schreie einer Frau drangen an mein Ohr.


    „Glaubst du, du kannst mir das antun?! Glaubst du, ich lass dich einfach so davonkommen, Miststück?!“
    Ich hörte einen Schuss, zwei und einen Schrei in der Ferne. Ich kannte die Stimme, es war mein Schrei. Ich sah Alina noch verwundert an, staunte über die versprenkelten Blutspritzer auf ihrer Bluse, sah überrascht in ihr entsetztes Gesicht. Dann wurde vor meinen Augen alles rot.




    Es war schrecklich heiß, so heiß.... und ich wollte trinken.... ich lief den Gang entlang, immer weiter und weiter... dieses Piepsen im Kopf und die Stimmen die um mich herum waren, die ich nicht verstehen konnte. Um mich, in meinem Kopf, in meiner Brust, die Stimmen, das Piepsen.... und dieser schreckliche Durst. Wenn es nur nicht so heiß wäre. Wenn die Stimmen weg wären, dann könnte ich auch auf hören zu laufen.

    Sie wurden immer lauter und lauter, so wie das Piepsen... ich hörte wie sie mich riefen. Ich wollte mich doch nur kurz hinsetzen, in den Schatten, wo es nicht so heiß wäre, wo ich nicht so durstig wäre, nur kurz ausruhen. Doch sie ließen mich nicht, sie drangen immer näher an mein Ohr, waren in meinem Kopf, schrien so laut, daß er fast zerbarst und das Licht wurde immer heller, so hell daß meine Augen tränten...




    Ich schlug die Augen auf.


    Mein Atem ging unregelmäßig, ich blinzelte mehrmals, versuchte mich umzusehen und fand mich in einem Krankenzimmer wieder. Möglicherweise auch ein Zimmer einer Intensivstation, um mich herum befanden sich mehrere Monitore, deren Piepsen jetzt nur noch ein leises Nebengeräusch war, sowie einige wichtig aussehende Apparate. Ich versuchte zu schlucken, doch mein Hals war trocken und fühlte sich sehr rauh an.


    Ranjid saß auf einem grünen, hart aussehenden Plastikstuhl vor meinem Bett und war aufgestanden, als er sah daß ich aufgewacht war. Er beugte sich über mich. „Sandy, Schatz. Du bist wach, endlich.“ Er flüsterte.


    „W... wa...“ mein Hals, mein Mund, waren zu trocken und zu wund, als daß ich sprechen konnte.
    „Pssst... nicht sprechen. Du tust dir nur weh, das waren die Beatmungsschläuche. Nur nicken, ja?“ er flüsterte immer noch, strich mit mit dem Handrücken über die heiße Wange. „Was passiert ist?“
    Ich nickte, dabei begann es in meinem Kopf laut und schmerzhaft zu dröhnen.


    Er seufzte. „Katharina ist zurückgekommen. Sie.... sie wollte Rache an dir nehmen, an uns, dafür daß du mich zurückgenommen hast und ich zu dir gestanden bin. Sie hat dich angeschossen...“ er pausierte kurz, sah mich an und nahm meine Hand „es stand ziemlich kritisch um dich, du hattest einen Bauchschuss.“
    Ich begann erneut zu krächzen, doch er unterbrach mich „Keine Angst, Ashanti geht es gut. Allen anderen ebenfalls.“ Ich verstand nur nicht warum er dann so schrecklich traurig wirkte. Ich verstand nichts in dieser Geschichte. Das war vier Jahre her.... ich begriff nichts.


    „Sandy, ich muss dir etwas erklären. Katharina war nicht nur Sekretärin im Präsidium. Katharina ist Mitglied einer gefährlichen Untergrundgruppierung, sie war dort um uns auszuspionieren. Deshalb die Freundschaft mit dir, die Affäre mit mir, sie hatte Zugang zu allem. Sie hat letztendlich nicht nur ihre zwei wichtigsten Informanten verloren als wir uns zusammengerauft haben, sondern kurz darauf ist auch ihre Tarnung im Präsidium aufgeflogen. Ihre Organisation dürfte davon nicht sehr begeistert gewesen sein, ich denke sie musste einiges einstecken. Jedenfalls, sie ist seit 4 Jahren untergetaucht, wir suchen sie seitdem.“


    Wir?! Wieso sprach er von wir?! Woher wusste er diese Dinge?
    Ich sah in zweifeln an und versuchte ihn dazu zu bewegen weiter zu sprechen, doch ich sah wie schwer es ihm fiel. Er griff fester nach meiner Hand und atmete tief durch.


    „Wir. Damit meine ich meine Einsatzeinheit vom ATF. Sandy, ich war nie wirklich Dozent an der National Forensic Academy, genauso wenig wie ich in der Ballistikabteilung unserer Polizei gearbeitet habe. Das war sozusagen meine Geheimidentität, falls du es so ausdrücken willst.
    Sandy.... meine Einheit... Katharina.... wir müssen sie finden. Sie und ihre Komplizen.“


    Er klammerte sich an mein Hand, so fest daß seine Knöchel weiß hervortraten. Mit der anderen strich er mir wieder und wieder über das Gesicht, ich sah wie sich leise eine Träne aus seinem Augenwinkel stahl.



    „Sandy, ich muss gehen.“ Er flüsterte heiser, kniete neben meinem Bett. „Ich muss dich verlassen. Dich und Ashanti. Es tut mir so leid. Oh Sandy, es tut mir so unendlich leid. Ich wünschte....“ er brach ab und legte den Kopf auf meine Bettdecke und begann zu weinen. Ich strich im über seine schwarzen Haare, die denen unserer Tochter so ähnlich sahen, die seit Jahren jeden Tag neben mir auf dem Kopfkissen lagen.
    „Kommst du wieder?“ krächze ich leise.
    Er hob den Kopf und schüttelte ihn. „Nein, ich kann nicht...“
    „Wann....?“ dann brach meine Stimme wieder ab.
    „Jetzt. Ich habe drei Tagen gewartet bis du aufwachst. Ich kann nicht länger warten. Sandy, wenn ich aus dieser Tür gehe, werde ich nicht mehr wiederkommen.“

    Er nahm mich in den Arm, wir lagen uns minutenlang in den Armen, ich klammerte mich mit aller Kraft die ich aufbringen konnte an ihn. Versuchte mir einzuprägen wie er sich anfühlte, wie er roch, wie es war wenn er mich küsste. Jede Sekunde festzuhalten. Nichts zu vergessen. Nicht sein letztes „Ich liebe dich“, nicht wie er mir ein letztes mal in diesem Leben durch die Haare strich und mich auf die Stirn küsste. Ich musste alles behalten, durfte nichts vergessen. Ich musste es in eine kleine Kiste sperren und sie in meinem Herzen verschließen, damit er nie ganz gehen würde.


    Als die Tür hinter ihm ins Schloss fiel, blieb ich liegen wie ich war und drehte meinen Kopf zu Seite. Ich starrte das Webmuster des Kopfkissenüberzuges an, jeden einzelnen Faden, unfähig zu begreifen was geschehen war. Und ich fühlte, wie sich meine Seele langsam an ihren Enden einrollte und zu sterben begann.


  • Die Wildcats - Teil 3


    Langsam ließ ich den SUV in die dunkle Einfahrt rollen, schaltete den Motor ab und ließ mich für einen Augenblick in den weichen Ledersitz sinken. Dann begann ich in der großen Einkaufstüte auf dem Beifahersitz neben mir nach meinem Schmerztabletten zu suchen.



    Meine Finger kramten durch welken Salat der die Raumluft mit seinem Aroma bereicherte und stachen durch einen Aluminiumdeckel eines umgekippten Joghurts, bevor sie endlich das kleine Röhrchen umschlossen und zu Tage beförderten. Natürlich waren mir die kurzen Haare wieder ins Gesicht gefallen und ich schob sie gewohnheitsmäßig hinter die Ohren und schmierte mir dabei fauligen Joghurt ins Gesicht. Ich stöhnte laut auf, kaute die zwei Tabletten ohne Wasser und schwang mich mit zuviel Schwung aus dem Lexus, denn ich hatte ohnehin schon zuviel Zeit hier vertrödelt. Als ich mit den Füßen auf dem Boden aufkam überrollte mich eine weiß glühende Welle des Schmerzes die sich von meiner Schusswunde im Bauch ausbreitete und langsam in meinem schwindenden Bewusstsein verebbte. Ich versuchte mit tiefen Atemzügen die kühle Nachtluft zu inhalieren, weg von dem stinkenden Salat und dem zerdrückten Pfirsich um die Übelkeit und den kalten Schweiß wegzukämpfen.


    Kalt, ja... es war kalt. Und viel zu spät. Ich war schon wieder stehen geblieben, obwohl ich doch endlich weiter musste. Denn wenn es das nicht war, dann saß ich verdammt tief in der Scheiße.
    Mit schnellen Schritten lief ich den Weg zu dem großen Haus hinauf.


    Und dabei hatte der Tag nicht mal so schlimm angefangen.
    Wenn man den Maßstab bei „Meteor schlägt auf Erde ein, Erde explodiert und trifft Sonne, Sonne zerschmettert und vernichtet Galaxie, Galaxie detoniert und vernichtet Universum“ als schlimm ansetzte. Denn eigentlich war jeder Tag nur noch schrecklich, seit er weg war. Und eigentlich hatte es am Abend einige Tage zuvor begonnen. Als ich nach Hause kam und zum vierten mal in dieser Woche meine Mutter dabei vorfand, wie sie im Wohnzimmer irgendwelche Ausscheidungen einer der beiden Katzen aufwischte, die völlig durchgedrehten seit wir umgezogen waren.



    Und als Ashanti wieder apathisch in der Ecke saß und ohne ein Wort zu sagen aus dem Zimmer stapfte, als ich auf sie zuging.


    An diesem Tag nämlich eröffnete mir meine Mutter während ich wie jeden Abend an dem von ihr schön gedeckten Tisch daß und die volle Suppenschüssel ignorierte, es wäre ein Brief samt „Einladung“ vom Jugendamt gekommen.
    Ich wusste sofort wer das veranlasst hatte.



    Kurze Zeit vorher war ich mit Ashanti beim Kinderarzt gewesen. Sie war wie ausgetauscht seit diese Sache geschehen war und ihr Verhalten war annähernd katatonisch – sie aß kaum noch, sprach mit niemanden mehr und war komplett zurückgezogen. Der Arzt ließ seine gesamte Kompetenz spielen – er kontrollierte Hals und Herzschlag, informierte mich darüber daß ihre nächste Polio-Impfung fällig war und schenkte ihr zum Abschluss einen Lutscher. Dann drückte er mir eine Broschüre über Kinderernährung in die Hand und schärfte mir ein ich müsse ihr nahrhaftere Speisen kochen. Mein Argument das Kind sei depressiv und spreche nicht und wolle nicht essen wischte er beiseite mit „Kinder haben solche Phasen“ und ich müsste meinen eigenen Lebensstil meinem Kind anpassen, das würde sich alles auswirken und drückte mir noch eine Broschüre über Ernährung, Drogenentzug und eine psychiatrische Klinik in die Hand.


    Ich wusste daß ich schrecklich aussah. Ich tat es immer noch. Ich hatte extrem abgenommen, meine Wangen waren eingefallen und die Beine steckten wie Zahnstocher in ihren Jeans, die Schatten unter den Augen wollten nicht mehr weggehen und das einzig liebliche, die hüftlangen blonden Locken waren einem harten A-Linie Bob gewichen. Trotzdem wollte ich mich nicht als magersüchtige, drogenabhängige Irre abstempeln lassen die ihr Kind nicht richtig versorgen kann. Ich warf ihm an den Kopf ein starrsinniger Idiot zu sein, packte Ashanti ein und fuhr wieder nach Hause.



    Und bekam jetzt die Quittung. Der Herr hatte seine Sorge an das Jugendamt weitergegeben.


    „Meine Güte Sandy!“ herrschte mich meine Mutte an. „Ich kann ja verstehen daß du durch den Wind bist. Aber du kannst dich nicht völlig auf mich verlassen! Wie lang lag das jetzt im Briefkasten?! Sicher eine Woche. Hätte ich ihn nicht heute geleert wäre dein Termin morgen verstrichen und hätte was-weiß-ich für Konsequenzen nach sich gezogen! Du kümmerst dich zu wenig um deine Angelegenheiten. Du warst nicht mal heute einkaufen, obwohl seit Tagen der Kühlschrank leer ist.
    Himmel, ich möchte vielleicht auch einmal wieder zu meinem Mann nach Hause, so gern ich euch beide mag. Ich kann nicht jeden Tag damit verbringen deinen Katzen hinterherzuwischen, auf dein Kind einzureden das dringend therapeutische Hilfe braucht und deinen Haushalt schmeißen!“


    Sie hatte ja Recht. Ich wusste nur nicht, wie ich es alleine schaffen sollte. Ich verbrachte Tag und Nacht im Büro um die laufenden Kosten zu decken und die Wochenenden damit die restlichen Sachen aus unserem alten Haus zu schaffen.
    Und jetzt kam zu dem Kummer mit Ashanti auch noch Ärger mit den Ämtern dazu....


    Also packte ich mich heute morgen in ein Kostüm in dem ich möglichst seriös und weniger dünn wirkte, trug viel Rouge in einem gefälligen Pfirsichton auf, steckte Ashanti in ein besonders hübsches und sauberes Kleid und fuhr vor meinem Termin im Jugendamt noch im Supermarkt vorbei und kaufte sogar Pfirsiche für Ashantis Lieblingskuchen. Super-Sandy-Mama-Actionfigur. Wesentlich besser als die verbrauchte Sandy-Bauchschuss-Mann-ist-weg-Actionfigur.
    Die Tschacka-wir-schaffen-das-wir-sind-die-Top-Kleinfamilie Tour hielt sogar ziemlich lang.


    Im Amt angekommen empfing mich meine zuständige Beraterin. Sie war schrecklich nett – und ich meine schrecklich im wahrsten Wortsinn. Ihr troff die falsche Süßlichkeit aus den Poren wie dickflüssiges Natreen. Sie schielte wie eine sehgestörte Kröte über den Brillenrand auf Ashanti und meinte es wäre doch viel besser wenn „wir uns erstmal ohne das Kleine unterhalten und sie solange in unserer schööööönen Spielecke bei unserer liiiiieben Praktikantin blieb“. Das Kleine – war meine Tochter etwa sowas wie ein Sofakissen oder Portionsbutter?!
    Die Spielecke war neben der Warteeecke und ungefähr so einladend und gemütlich wie ein Dixiklo auf einer Großbaustelle und die Praktikantin sah in etwa aus wie Pocahontas-Barbie mit fünf und ermutigte mich mit ihrem grenzdebilen Gegrinse zu sehr viel – jedoch nicht dazu ihr mein Kind zu überlassen.



    Ich ergab mich trotzdem wider besseren Wissens, schließlich will man ja einen guten Eindruck machen, und folgte der Kröte in ihr grünes Reich. Denn das Büro gab dem Ausdrück „grüne Hölle“ eine ganz neue Bedeutung. Auf jedem einzelnen freien Platz stand eine Grünpflanze, ich kam mir vor wie in einem verdammten Gartencenter. Dazwischen waren einzelne Ordner in Pastellfarben zu finden – offensichtlich entsprach diese Dame nicht dem üblichen Bild des überarbeiteten Sozialarbeiters.



    Wahrscheinlich nahmen ihre Pflanzen den Großteil ihrer kostbaren Arbeitszeit ein.
    Sie begann auf mich einzureden, süßlich und verständnisvoll, erklärte mir dieses und jenes und ließ mich meine Situation erläutern, doch ich war nur halb bei der Sache. Denn der Rockbund begann wieder in die Bauchwunde zu stechen, es wurde immer wärmer im Raum und die Pflanzen wurden irgendwie auch immer mehr und ich wollte ganz dringend endlich meine Tochter nicht mehr auf diesem Gang wissen.


    Und als ich mich endlich verabschiedet hatte, wusste ich warum.



    Denn die Spielecke war leer. Und Ashanti weg.


    Ich verbrachte den Tag damit hysterisch alle Freunde, Verwandte und meine ehemaligen Kollegen bei der Polizei anzurufen. Fuhr alle Spielplätze ab, die Umgebung des Amtes und die Umgebung unserer neuen Wohnung und stand jetzt vor meinem alten Haus.


    Wir waren bereits vor einigen Wochen ausgezogen, ich hatte Haus verkauft und war mit Ashanti und den Katzen in eine Mietwohnung ans andere Ende der Stadt gezogen.
    Das große Haus war für Ashanti und mich zu groß, zu teuer und zu bedrückend geworden. Oder, zumindest für mich. Was früher mein schönes, helles Zuhause war, war jetzt nur noch ein großer, kalter Kasten. Das Lachen und die Liebe, die gemeinsamen Stunden die dieses Haus früher gefüllt hatten, waren für immer verschwunden und an ihre Stelle waren Leere und Stille sowie das immerwährende Wiederhallen von Katharinas Schüssen getreten. Jeder einzelne Gegenstand schien zu rufen „Wo ist er hin??!“. Noch bedrohlicher wurde das Haus durch die Unsummen das es jeden Monat verschlang, die für mich alleine nicht mehr zu tragen waren.


    Und jetzt stand ich davor und es war meine letzte Hoffnung sie noch wieder zu finden.


    Ich kramte meinen alten Ersatzschlüssel raus und trat ein. Und fand sie.
    Sie saß mit einem Teddy im Arm auf dem Podest, auf dem früher unser Wohnzimmer stand, neben ihr eine offene Umzugskiste. Als sie mich sah blickte sie mich mit großen Augen an und sagte „Duni war ganz alleine. Er hat mir erzählt, er musste in der dunklen Kiste sitzen. Und alles war plötzlich so anders. Und niemand war da der ihn lieb hatte, denn alle waren gegangen oder sind anders geworden. Und da ist er so traurig geworden, daß er nicht mehr da sein wollte. Deshalb musste ich ihn holen“



    Ich strich ihr über den Kopf und zog sie zu mir her, ich nahm den Geruch von Staub und Prinzessin Zauberfee Shampoo wahr. „Gehts Duni denn jetzt besser?“
    Sie nickte heftig.
    „Glaubst du, wir können Duni jetzt mit heim nehmen und mit ihm Pfirsichkuchen essen? Denn hier ist ja jetzt nichts mehr, außer Staub.“
    Sie nickte wieder.
    „Ja, ich glaube, Duni würde gerne Pfirsichkuchen haben.“

  • Die Wildcats - Teil vier


    Das Leben in Am-Wassersee-12 war dabei, sich wieder auf den Normalzustand
    einzupendeln.



    Es würde zwar nie mehr wieder so werden wie früher, aber es wurde wieder.
    Wenn ich in den Spiegel sah, sah mir wieder jemand entgegen, der meinem früheren Ich etwas ähnlich war, und dessen Augen nicht mehr ganz so eingefallen waren.



    Ashanti wurde wieder lebendiger, aß normal, und bis auf den Umstand, daß sie ihren Duni-Hasen immer mit sich rumschleppen musste, war sie ein normales kleines Mädchen. Auch auf mich war sie nicht mehr böse, was auch daran liegen konnte, daß ich mich bemühte, soviel Zeit wie möglich
    mit ihr zu verbringen. Ich versuchte, die Abende mit ihr mit Basteln, Puppenspielen und ähnlichem Zeitvertreib zu gestalten. Doch genauso, wie während dessen die Tage langsam kürzer wurden, wurde auch unsere Barschaft immer weniger.


    Dadurch, daß ich mehr Zeit mit Ashanti verbrachte, musste ich bei den Überstunden zurückschalten. Das war es mir zwar wert, zu wissen, daß mein Kind ohne weitere Schäden aus dieser Sache herausgehen würde und ich nicht sämtliche wichtige Momente einem Kindermädchen oder meiner Mutter überlassen musste. Doch mein Job war ohnehin nicht besonders gut bezahlt, und ohne bezahlte Überstunden saß ich Nacht für Nacht vor meinem Online-Banking-Programm und
    zermarterte mir den Kopf, wie ich weiter unsere Rechnungen bezahlen konnte.



    Welche Buchung ich noch rauszögern könnte, welche nicht, und wo ich vielleicht noch sparen könnte. Und wenn ich danach wieder schlaflos im Bett lag und mich hin und her wälzte und vor Sorge ganz krank wurde, wie wir den nächsten Monat überstehen sollten, stand ich irgendwann wieder auf, setzte mich nochmal an den Rechner und begann heimlich, das zu tun,
    was ich mir den ganzen Tag verkniff, verbot:



    Ich durchkämmte das Internet und alle Seiten der einschlägigen Institutionen nach Ranjid, klickte mich durch Newsticker und Nachrichtenmeldungen und hoffte, auch nur irgendwo verborgen ein Fitzel an Information zu finden, einen kleinen Nebensatz, der sagen würde, daß es ihm gut geht, oder ein Stück eines bekannten Haarschopfes im Hintergrund auf einem Foto, was zeigen würde, daß er wenigstens noch am Leben war.


    Es war ein empfindlich kühler Oktoberabend, der das verändern sollte.Ich war mit Ashanti in der Küche, um die ersten Plätzchen des Jahres zu backen, nachdem wir ausgekühlt vom Spielplatz zurück gekommen waren, als ich in meinem Zimmer das Handy klingeln hörte.



    Ich hob Ashanti flugs von der Küchentheke und setzte sie ins Wohnzimmer, damit sie in der Küche keinen weiteren Unfug anstellen konnte, und sprintete dann zu meinem Schreibtisch, wo mein Handy dabei war, langsam in Richtung Tischkante zu vibrieren. Das Display zeigte die Nummer
    meines alten Chefs bei der hiesigen Polizei, wo ich gearbeitet hatte, bis mein Mann begann, mich mit meiner dortigen Freundin zu betrügen, die uns später alle umbringen wollte, und ich schwanger wurde. Hach ja... das Leben war schon etwas turbulent. Ich drückte auf "Gespräch annehmen".




    Am Apparat war mein Ex-Chef, wie vermutet. Er war mittlerweile nicht nurAbteilungsleiter, sondern ein ganz hohes Tier, und rief mich in einer dringenden Sache an. Zu meinen damaligen Zeiten dort hatte ich eine Gruppe von Investoren unserer japanischen Partnerstadt Izumi betreut,
    was zwar nicht ganz mein Aufgabenbereich war, aber ich war eben die ideale Besetzung. Wie es der Zufall so wollte, erläuterte er mir, war ich auch jetzt die ideale Besetzung für die Rolle, die jetzt im
    Laientheater unserer Exekutive frei war: Unsere Freunde aus Japan hatten anscheinend gelogen, betrogen und Gelder der Stadt unterschlagen. Und da ja Betrug mein früheres Aufgabengebiet war und ich mich damals intensiv um unsere Partner gekümmert hatte.... Ob ich nicht wohl für ein paar
    Monate aushelfen konnte?


    Mir fiel fast der Hörer aus der Hand und die Kinnlade auf den Boden. Seit langem durchforstete ich die Internet-Stellenbörsen und die Zeitungsanzeigen nach einem besseren Job, und dann klopfte er einfach an der Tür!


    Offensichtlich hatte er mein überwältigtes Schweigen missverstanden, denn er fuhr fort:
    "Hm, naja, ich weiß daß das schwer für dich ist, du hast Familie und bist jetzt in der privaten Branche tätig, da hast du natürlich ganz andere Konditionen. Hör mal, ich kann noch nichts genau sagen, aber wir würden dich wirklich dringend brauchen, und ich habe da Kontakte zur Personalabteilung....also, so nur zwischen uns beiden und ohne jegliche Gewähr, aber was hältst du von...."


    Und dann nannte er einen Betrag, der mein derzeitiges Einkommen weit überstieg.


    Als ich ein paar Tage später sah, wie der Postbote ein großes Kuvert in den Briefkasten vor dem Haus stopfte -- danke an meine Freunde in Gelb an dieser Stelle -- sprintete ich wie ich war mit dem Handtuch auf dem nassen Kopf und im Schlafanzug und einem kribbelnden Bienenschwarm im Bauch aus dem Haus und riss den großen Umschlag an mich.


    Voller Vorfreude und mit zitternden Händen zog ich die Bögen mit meinem Arbeitsvertrag raus und fing dann an, wie wild um den Briefkasten zu tanzen. Es war egal, daß ich mit tropfnassen Haaren und Hässchenpantoffeln mitten auf der Straße stand und jauchzte – denn jetzt würden die ewig quälenden Sorgen ein Ende haben und unser Leben nicht länger vom Kampf um Mahnungen und unbezahlte Stromrechnungen bestimmt werden.



    Ich drückte meinen Vertrag an mich und lief pfeifend die 3 Stockwerke hoch, um Ashanti zu wecken.

  • Die Bäume und Gebäude der Allee, die die Landstraße in den nächsten Ort säumten, rauschten geräuschlos an mir vorbei.


    Ich hatte gerade Ashanti an der Schule abgesetzt und war jetzt wie jeden Morgen auf dem Weg in mein Stamm-Café, das sich auf dem Weg zwischen meiner Arbeit bei einer Sicherheitsfirma einige Kilometer von Blauseidigheide entfernt und Ashantis Schule befand.



    Das Café war meine eigene, persönliche Oase der Ruhe. Nicht dass es auch nur entfernt an eine Oase erinnert hätte, die Einrichtung erinnerte mehr an einen typisch amerikanischen Truckstop, aber der Kaffee war ausgezeichnet, und sie hatten köstliche Rühreier. Vor allem gab es mir Gelegenheit, mich vor Arbeitsantritt nochmal zu sammeln. Ashanti war in den letzten 6 Jahren nicht nur groß geworden sondern auch.... nun ja... "Ashanti geworden" trifft es wohl am besten und auch am wenigsten zugleich.


    Sie war kein kleines Mädchen mehr, obwohl sie immer noch ein Kind war. Und damit meine ich nicht den Zustand zwischen Kindheit und Pubertät, davon war sie noch ein Stück entfernt, sondern dass sie zwar klein war, aber eine unglaublich faszinierende, komplexe Persönlichkeit, wie man sie bei Kindern dieses Alters wohl selten vorfindet.



    Sie war sehr quirlig und an allem interessiert, was man ihr zum lernen gab. Sie nahm alles mit großer Begeisterung auf und war irgendwie wie ein mit Ahoi-Brause gefüllter Schwamm, verlor sich jedoch schnell in Details und schaffte es selten, ihre Energie zu bündeln.


    Oft fand ich sie, wenn ich spät nach Hause kam, in Klamotten eingeschlafen vor, umgeben von ihren Malsachen und offenen Büchern, teils für die Schule, teils Romane oder irgendwelche Sachbücher, die sie stapelweise aus der Bücherei heim trug. Oder das Haus war noch voll mit einem halben Dutzend ihrer Freundinnen, die rumtobten.



    Und mir.... ich weiß nicht wie ich beschreiben soll, was aus mir geworden ist. Vor geraumer Zeit habe ich durch Zufall einen Satz gelesen, über den ich seitdem in diesem Zusammenhang grübelte. "Life isn't about finding yourself, It's about creating yourself".


    Ich frage mich seitdem oft, ob ich wirklich diejenige bin, die ich werden wollte. Ranghohe Mitarbeiterin eines privaten Unternehmens, alleinerziehende Mutter, in schicken Wildseidenkostümen und mit einer dieser "praktischen" Kurzhaarfrisuren, die man jeden Tag eine halbe Stunde fönen muss, um die Locken raus zu kriegen. Männer, die mit mir im Bett waren, waren meist erstaunt, als sie zuerst die Tätowierungen unter den Kleidern entdeckten, danach die Schusswunde und etwas später dann den Satz "Ich muss heim, meine Tochter wartet". Es kam mir fast so vor, als würde Stück für Stück mein echtes Ich enthüllt werden, nur um später wieder sorgfältig versteckt zu werden. Vielleicht ging es nicht darum, sich nach seinem eigenen Willen zu formen, sondern mehr darum sich soweit zu verändern, um möglichst schmerzfrei in den Schuhen laufen zu können, die einem das Leben hinstellt. Auch wenn die eine oder andere Blase dabei vorkommt.


    Sie waren übrigens sorgfältig ausgewählt. (Die Männer, nicht die Schuhe.) Nah genug, um für kurze Zeit so etwas wie Vertrautheit zu erzeugen, aber fern genug, dass es nicht weh tat aufzustehen und zu gehen. Ich hatte die Scherben oft genug zusammen gekehrt und meine Seele einmal zuviel wieder mühsam zusammengesetzt. Ashanti hat keinen von ihnen je gesehen.


    Ich stellte den Wagen vor dem Café ab und betrat den Laden.



    Es war alles wie immer, Anni stand an der Theke und ordnete Gebäckteile, im Hintergrund dudelte ein lokaler Radiosender, und es roch wundervoll nach frischem Kaffee und heißer Milch. Und dennoch war irgendetwas völlig anders, was mich kurz innehalten ließ, bevor ich mich an meinen Stammplatz setzte. In der Ecke saß ein Mann, den ich hier noch nie gesehen hatte. Er war jedoch nicht nur in der Ecke, er war .... überall. Er schien den ganzen Raum einzunehmen, seine Präsenz drang bis in jede Ritze, obwohl er nichts tat sondern nur still da saß.



    Ich eilte mit laut klappernden Absätzen zu meinem Platz und bemühte mich, nicht hinzusehen. Katharina hatte mir -- 4 Jahre bevor sie mir eine Kugel durch den Bauch jagte -- erzählt, sie habe sowas einmal erlebt, als sie bei einem Madonna-Konzert war. Sie sei auch so gewesen, und das würde sich wohl "Bühnenpräsenz" nennen, also war es wohl besser, nicht zu starren, denn abgesehen davon, dass es unhöflich ist und niemand gerne angesehen wird, hab ich nicht viel für Prominente über. Und sicher war er einer, denn er kam mir vage bekannt vor. Vielleicht ein "Star" einer der Seifenopern, die sich Ashanti immer heimlich ansah, wenn ich weg war.


    Ich versuchte also die nächsten 5 Minuten mich auf die Leuchtreklame des gegenüberliegenden Ladens zu konzentrieren, und starrte bemüht aus dem Fenster, als plötzlich jemand an meinen Tisch trat. "Darf ich?", und schon saß er mir gegenüber.



    Ich hätte pikiert sein können, weil er unhöflich war und meine Antwort nicht abwartete. Doch ich konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen, als ich in seine Augen sah.



    Die Augen, die mich jeden Tag aus dem Gesicht meiner Tochter ansahen. "Wie?! Wo?! Warum?!" hallte es durch meinen Kopf, aber die gesamte deutsche Sprache war mit einem Mal aus meinem Gehirn gefegt. Aber es war egal. Denn wir würden noch unser ganzes restliches Leben haben, um das zu klären. Und als mir das klar wurde, fühlte sich etwas in meinem Innersten, das ich sehr weit weg, in einer kleinen Schachtel weggepackt hatte, an, als würde eine längst vergessene Wüstenpflanze plötzlich von einem sanften Frühlingsregen geweckt. Dieses Gefühl durchströmte mich von Kopf bis Fuß, in jede einzelne Zelle meines Körpers und in jede Faser meiner Seele. Es war, als würde sich ein lange verloren geglaubtes Puzzle-Teil dort einfügen, wo es hingehörte.


    Ich war wieder ganz.