Unsicher schwebte der Finger über der Tastatur. Sie war schon so weit gekommen, jetzt fehlte nur noch diese letzte Schritt. Eine letzte Überwindung.
Der letzte Schritt. Danach war es geschehen. Bis jetzt hatte sie noch nichts wirklich verändert. Aber wenn sie jetzt die Taste drückte...
Der sauste Finger herab und traf die 'Enter'-Taste. Ein Balken wurde gelanden, dann änderte sich das Fenster.
'Nachricht wurde gesendet'
Lea starrte auf die Anzeige und ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken. Sie schloss das Fenster und sah dann den Computerdesktop.
Was hatte sie da gerade getan?
Wieso hatte sie es getan?
Konnte man eine E-Mail wieder von einem anderen Konto löschen?
Plötzlich löste sich die Erstarrung des Mädchens. Lea sprang schlagartig auf, rannte in ihr Zimmer und griff sich ihre Jacke.
"Ma, mir ist gerade was eingefallen, bin nochmal kurz draußen!" rief sie ins Wohnzimmer, während sie versuchte den zweiten Arm in den Jackenärmel zu stecken. Es war schlimm, gerade wenn man sich beeilt ist man irgendwie viel langsamer als gewöhnlich.
Sie zog noch schnell die Fäustlinge an, welche Lea in ihrer Jackentasche fand und stürmte dann aus dem Haus, wobei sie vor lauter Eile sogar vergaß die Tür wieder hinter sich zu schließen.
Sie rannte quer durch die Stadt, vorbei an Kleidungsgeschäften und Wohnhäusern. Die kalte Nachtluft brannte in ihrer Lunge, aber das Mädchen machte keine Pause. Sie rannte immer weiter, keine Straße überquerte sie an einer Ampel, da sie fürchtete dort Zeit zu verlieren.
Erst als sie fast ihr Ziel erreicht hatte, wurde Lea langsamer. Dunkel hob sich das Gebäude vom Nachthimmel ab.
Als sie das sah, war sie plötzlich unsicher, ob sie überhaupt weiter gehen sollte. Was wollte sie tun, was wollte sie sagen? Sie hatte extra darum gebeten, dass ihr Name nicht erwähnt wird. Er würde es zwar sehen, aber nicht wissen, dass sie dahinter steckte.
Außerdem war die Tür doch sowieso abgeschlossen. Sie kam doch sowieso nicht rein. Leas Hand legte sich trotzdem auf die Tür.
Sie konnte es ja mal probieren. Wenn die Tür offen war, dann ging sie rein und wenn nicht...
Die Tür war offen.
Langsam betrat Lea das Gebäude, welches ihr irgendwie noch größer, leerer und kälter schien, als das letzte Mal.
Das letzte Mal, da war Lex ihre Begleiterin gewesen und hatte sie in einen Raum geführt, in welchem sich nur Gegenstände befunden hatten. Heute war Lea alleine und in dem Raum würden wohl nicht nur Gegenstände sein.
Sie wollte es ihm eigentlich gar nicht mehr erzählen, aber... wieso lief sie dann immer weiter?
Dort war sie schon, die Holztür hinter der Theke. Solange sie diese nicht berührte, konnte sie noch immer umkehren.
Diese Erkenntnis half dem Mädchen ein Stück weiter. Der Zwiespalt in ihr wurde mit jedem Schritt stärker. Sie wollte mit ihm reden, hatte aber gleichzeitig Angst davor. Bei ihm kam sie sich immer so dumm vor. Er war so desinteressiert, aber auch überlegen. Und er hatte so viele Geheimnisse vor ihr, sie ist ihm nicht genug wert, um über alles Bescheid zu wissen.
Wieso sollte gerade sie etwas bewegen können? Wieso war sie nur so oft in ihrer Traumwelt?
Und wieso stand sie nun schon so nah an dieser Tür?
Sie sollte umkehren. Sie sollte wirklich umkehren, letztendlich würde sie sich doch sowieso nur zum Volltrottel machen. Was wollte sie denn sagen? Wie sollte sie es ihm denn erklären? Wie sollte sie ihm klar machen, wieso ihr das alles so wichtig war? Und wie konnte sie es vermeiden ihm zu sagen, dass diese ganzen Geheimnisse, in die er sie nicht einweihte, ihr weh taten?
Mit einem Anflug plötzlicher, unbedachter Entschlossenheit öffnete Lea die Tür, schloss sie hinter sich wieder und blickte in den Raum.
Da stand er. Er stand vor einer Leinwand, hielt Pinsel und Palette. Ein Kunstwerk entstand. Es roch nach frischer Farbe.
"Was willst du schon wieder? Setzt dich und sei ruhig oder geh wieder. Diese Diskussionen nerven langsam."
Was für eine nette Begrüßung. Er hatte Lea noch nicht einmal angeschaut.
~geht noch weiter~