Die Stunden des folgenden Tages kamen Lea irgendwie kürzer als gewöhnlich vor. Sie stand sehr spät auf, dann gab es schon Mittag. Danach setzte sie sich kurz an den Computer, aß gegen drei ein Stück Kuchen, welchen ihre Mutter im Kühlschrank gebunkert hatte, schaute etwas fern und da gab es auch schon wieder Abendbrot. Wo war der Tag geblieben? Wieso musste er nur so schnell vergehen? In acht Stunden musste sie sich für die Schule fertig machen.
“Komm Schatz, geh jetzt ins Bett, sonst kommst du morgen früh wieder nicht aus den Federn.” forderte ihre Mutter sie gegen halb elf auf, als Lea noch immer im Wohnzimmer saß.
“Gleich Ma, ich muss hier nur noch was fertig machen.”
Leas Mutter nahm den dreckigen Teller ihrer Tochter, welchen diese auf den Sofatisch gestellte hatte, und schüttelte den Kopf.
“Du sitzt hier schon seit einer Stunde und hast nichts gemacht. Also kann das auch noch länger warten.”

Dieser Argumentation hatte das Mädchen nichts entgegen zu setzen und machte sich widerwillig auf den Weg ins Bett.
Es wurde eine unruhige Nacht mit wenig Schlaf und so war Lea in den ersten vier Schulstunden nicht wirklich ansprechbar. Zu ihrer großen Erleichterung beendete ihre Deutschlehrerin den Unterricht zehn Minuten eher, da es sich laut ihr in der kurzen Zeit nicht lohnte noch mit Franks Vortrag zu beginnen.
Zusammen mit Emelie ging Lea in die Cafeteria, wo schon Aron auf sie wartete. Ihre Biologielehrerin musste eher weg und sie sollten die restliche Zeit einen Film anschauen. Nach der Hälfte des Films haben sie nach vorne gespult, das Ende noch angesehen und dann hatte die gesamte Klasse das Zimmer verlassen und sich somit zwanzig Minuten zusätzliche Freizeit verschafft.
Leider waren auch Cassidy und Anhang in Arons Deutschkurs und in diesem Moment ebenfalls in der Cafeteria. Aber da Aron und Emelie beide ziemlich schlagfertig waren, gab das Schreckenstrio bald die nervigen Sticheleien auf und keiner ließ sich weiterhin vom Nebentisch großartig beeinflussen.

Und da bekam Cassidy endlich das, worauf sie die ganze Zeit eigentlich gewartet hatte: Ein neues Ziel für ihre Spöttelein. Simon hatte den Raum betreten und er war bekannt dafür, dass er bei Beleidigungen nie reagierte. Er widersprach nicht oder warf der Quelle schlagfertige Argumente entgegen. Das machte es immer einfach gut auf ihm herumzuhacken.
“Hey, du bist übrigens auf der falschen Schule, hier tragen wir blau!” rief Cassidy dem Jungen zu, welcher an diesem Tag aus unerfindlichen Gründen eine grüne Krawatte trug.
“Psst, vielleicht ist er ja farbenblind. Oder einfach nur zu blöd blau und grün zu unterscheiden.” zischte Manuela ihr zu. Jedoch natürlich laut genug, dass Simon es gar nicht überhören konnte.
Er wandte lediglich den Kopf, sagte jedoch wie immer nichts zu seiner Verteidigung.

Er nahm sich ein trockenes Brötchen und bezahlte dieses, während immer mehr Beleidigungen auf ihn einhagelten. Und es blieb nicht bei einem einfachen ‘Er ist zu dumm, um Farben zu erkennen.’, es steigerte sich immer mehr. Sogar Aron, welcher Simon noch nie sonderlich ausstehen konnte, bemerkte flüsternd, dass die drei Mädels an diesem Tag wirklich extrem fies waren. Aber der Typ sei selbst Schuld, wenn er so etwas so einfach zuließ. Als würde er die fiesen Worte gar nicht hören, ging Simon an dem Tisch vorbei Richtung Ausgang.

Das Gespräch neben ihm lief gegen seinen Charakter, sein Aussehen, seine Freunde...
Die Familie wurde wohl nur verschont, weil auch Chad dieser angehörte.
“Und dann habe ich noch gehört, dass die eine schreckliche Bedienung in unserem Café vorbestraft sein soll. Überrascht mich ja überhaupt nicht, das hab ich ja die ganze Zeit schon vermutet. Und dann...”
“Ach Cas, ich wollte dir ja noch etwas sagen.” unterbrach Simon das Mädchen, während er sich auf deren Stuhllehne stützte.

“Weißt du, nächstes Wochenende ist doch diese supercoole Party von Chad, wo du unbedingt hinwolltest. Erinnerst du dich, du hast drei Bettelbriefe geschrieben, bis er sich endlich erbarmt hat dich auch einzuladen.”
“Ich weiß zwar nicht, was dich das angeht, aber ja, von der Party nächstes Wochenende weiß ich. Und ich glaube du hast da etwas falsch verstanden, die Bettelbriefe kamen aus seiner Richtung zu mir.” kam es leicht wütend von Cassidy. Der Junge stand nun hinter ihr und legte den Kopf schief.
“Ach wirklich? Ich habe sie gelesen und war mir eigentlich sehr sicher Absender und Empfänger nicht verwechselt zu haben, aber egal. Ich wollte dir nur sagen, dass du wieder ausgeladen bist.”

“Ausgeladen? Was? Aber? Wieso?!” kam es entsetzt von Cassidy, deren Stimme sich fast überschlug.
Simon beendete nun seine kleine Umrundung an ihrer linken Seite, als sich Manuela mit unschuldigem Gesichtsausdruck an ihn richtete.
“Ich auch?” fragte sie vorsichtig.
“Würdest du echt auf eine Party gehen, wo ich nicht hin darf?” fuhr Cassidy ihre angebliche Freundin an.
“Naja, es ist immerhin Chads Party. Und angeblich die coolste des Jahres. Hast du die Gästeliste gesehen?” verteidigte Manuela ihre Frage.
“Ja, du auch. Und Nummer drei ebenfalls.” antwortete Simon auf ihre Frage.

“Und wieso?” ging Manuela ihn an.
“Was hast du deinem Bruder über uns erzählt?” fauchte Cassidy. Simon zuckte lediglich mit den Schultern.
“Nichts Besonderes. Vielleicht hatte er einfach nur euren Used-Look satt.” vermutete er und machte sich erneut daran den Raum zu verlassen.
“Used-Look?!” schrie Cassidy empört auf.
“Meine Klamotten sind immer allerneuste Ware! Die sehen doch nicht gebraucht aus!”
“So meinte ich das gar nicht. Und es bezog sich nicht nur auf die Kleidung.” bemerkte Simon noch und verließ dann die Cafeteria, bevor Cassidy die Beleidigung verstehen konnte. Er hatte dafür sehr viel Zeit.
Er wehrte sich selten, da sich dadurch kaum etwas zum Positiven veränderte. Im Gegenteil, es zog die ganze Angelegenheit meist nur unnötig in die Länge. Aber diesmal fand Simon, dass es die Sache wert gewesen war, egal wie das Nachspiel aussehen würde.
