Langsam und unsicher packte ich meine restlichen Sachen in die Kartons. Ein letztes Mal sah ich mich in meinem alten Zimmer um und merkte, dass sich meine Sicht schon wieder verschleierte.
Wieso war es so weit gekommen? Eine Frage die ich mir schon so oft gestellt hatte, aber noch immer keine Antwort hatte. Dad meinte zwar, dass ich die Letzte wäre, die daran Schuld hätte, aber dennoch fragte ich mich, was passiert wäre, wenn wir uns alle anders verhalten hätten.
Verzweifelt wischte ich meine Tränen aus meinem Gesicht.

Der Tag an dem alles in Scherben zerbrochen war, hatte so normal angefangen. Morgens war ich aufgestanden und musste zu Fuß zur Schule gehen, da Dad diesen Morgen früher im Büro sein musste.
Ich ließ einen langweiligen Schulvormittag an mir vorbei ziehen und machte mich statt nach der 8. nach der 6. auf den Nachhauseweg, da zwei Lehrer fehlten. Zu meinem Glück. Physik und Mathe in den letzten Stunden waren sonst immer der pure Horror.
Auf dem Weg dachte ich schon an den Nachmittag, da Mom und ich uns einen netten Tag in der Stadt machen wollten.

Ob Mom das Shopping-Angebot, welches sie am Morgen noch gegeben hatte halten würde? Es war nicht gerade selten dass sie solche Aktionen schnell mal zurückzog. Ein Grund von vielen war ihr Arbeit. Doch heute hoffte ich, dass sie noch immer Lust und Zeit hatte.
Als ich nach dem mehr oder weniger langen Fußmarsch Zuhause ankam, sah ich ein fremdes Auto in unserer Einfahrt sehen. Genauer gesagt ein Mercedes und keiner den ich kannte fuhr so ein Gefährt. Unschlüssig blickte ich den Wagen an.

Nach einer kurzen Zeit entschloss ich mich ins Haus hineinzugehen, da mir dumm in der Gegend rum stehen auch nicht helfen würde. Ich stellte meine Schultasche im Flur ab und lugte um die Ecke wo die Küchenzeile stand.
Keine Mom da die das Mittagessen zubereitete. Verwirrt sah ich mich im Flur um und entdeckte Moms Schuhe, die neben der Haustür standen. Dann beschloss ich einfach oben nach ihr zu sehen und ging die Treppe hoch. Als ich bei der Mitte der Treppe angelangt war, drang mir Moms Lachen ins Ohr.

Irritiert blieb ich kurz stehen.
Irgendwas lief hier gewaltig schief. Das wusste ich und erinnerte mich an das fremde Auto und Moms Schuhe, denn wenn es eine geschäftliche Verabredung gewesen wäre, hätte sie wohl kaum ihre Schuhe unten hingestellt. Und dann wären sie garantiert auch nicht oben gewesen, denn dort befanden sich nur die zwei Schlafzimmer und ein Bad.
Zu diesem Zeitpunkt hatte ich noch gehofft, dass sich alles ganz harmlos auflösen würde. Doch als ich oben angekommen war und einen Blick ins Schlafzimmer riskierte, trag mich der Anblick wie ein Schlag ins Gesicht.

Als meine Mutter mich wie versteinert vor der Tür fand, fingen die ersten sinnlosen Besänftigungen und Entschuldigungen an. „Julia, Schatz. Es ist alles ganz anders als es aussieht“, sagte sie zu mir und versuchte mich in den Arm zu nehmen. Doch ich riss mich los und stürzte in mein Zimmer, zu perplex um zu weinen.
Ich setzte mich leblos in meinen Sessel und starrte vor mich hin. Würde ich es Dad erzählen müssen? Wie würde er reagieren?
Plötzlich bekam ich einen unglaublichen Hass auf meine Mutter. Jetzt erst erkannte ich, wer dieser Mann war. Er war ihr Chef. Wieso musste sie mit dem Chef rummachen, wo sie doch, wie sie immer sagte, die tollste Familie auf der Welt hatte?

Dad kam erst abends nach Hause und bis er dann kam, saß ich in meinem Zimmer, welches ich abgeschlossen hatte, nachdem Mom geklopft hatte. Ich dachte über alles nach, wie es jetzt weitergehen sollte, was Dad dazu sagen würde, wie Mom über alles dachte.
Wie sich später herausstellte, beichtete Mom alles meinem Dad und er kam zu mir in mein Zimmer, nachdem er und Mom sich lauthals gestritten hatten.
„Was ist jetzt Dad?“, fragte ich ihn während meine Sicht verschwamm. „Es wird alles Gut“, sagte er und drückte mich fest.

Es war so beruhigend. So hatten Dad und ich uns ewig nicht mehr umarmt, aber es spendete Trost und Geborgenheit. Dad setzte sich mir gegenüber auf den Boden und ich ließ mich wieder in meinen Sessel sinken.
„Mom und ich…werden uns wohl scheiden lassen“, sagte er und blickte mir dabei tief in die Augen. Erschrocken sah ich in an. „Könnt ihr es nicht noch einmal miteinander versuchen?“, fragte ich hoffnungsvoll.
Er antwortete mir erst nach einer kurzen Zeit. „Nein. Es ist nicht das erste Mal gewesen. Aber eine Frage hab ich noch. Möchtest du lieber zu Mom oder zu mir ziehen? Ich werde mir höchstwahrscheinlich irgendwo eine Wohnung oder ein kleines Häusschen mieten.“
„Mit zu dir, Dad“, antwortete ich ihm und guckte im ebenfalls in die Augen. Ein kleines Lächeln zog sich über sein Gesicht.
