Kapitel 33: Begegnung im Garten
Völlig verängstigt nach der Begegnung mit der Priester huschte Lina durch die Gänge um irgendwo ein Plätzchen zu finden, wo sie ungestört war. Der Zusammenstoß und die darauf folgende Ausfragerei hatten an ihren eh schon dünnen Nerven gezerrt und sie fühlte sich, als wenn sie jeden Augenblick in Tränen ausbrechen würde. Sie verstand nicht so recht, warum sie so heftig reagierte. Der Priester konnte ja bis her noch nichts über sie wissen, oder erkannte er ihren "Makel" auch so, wie einige der Kammerfrauen vermuteten?
Und auch jemand Anderes war auf der Suche nach einem Platz zum Nachdenken. Fürst William kam gerade von einer sehr ermüdenden Besprechung mit seinen Beratern. Schon seit Monaten vertraute er ihnen nicht mehr so ganz vorbehaltlos wie noch vor einem Jahr. Er hatte immer mehr das Gefühl, dass seine Berater ein falsches Spiel mit ihm spielten, aber er hatte keine Beweise. Und dank seines Vaters, der den Beratern des Fürsten fast mehr Rechte als dem Fürsten selbst gegeben hatte, konnte er sich meistens noch nicht mal mehr wehren, wenn sie ihm seines Erachtens unsinnige Vorschläge machten. Er wusste, dass er etwas gegen die zugegebenermaßen von ihm selbst, erlassenen Gesetze machen müsste, aber er sah einfach keinen Weg und im Grunde seines Herzens, war es ihm auch gleich. Sicher als Herrscher von Tularea sollte er sich mehr um seine Untertanen kümmern, aber er hatte nicht mehr wirklich die Energie und den Mut, um einen anderen Weg einzuschlagen. Eigentlich hatte er schon lange keine Energie mehr für die Belange seines Volkes. Er war träge geworden und das war nicht gut, auch das wusste er im Grunde seines Herzens.
Auf seiner Suche nach einem ungestörten Plätzchen, wanderte er gedankenverloren durch die Gänge und ihm fiel nur ein einziger Platz ein, der um diese Zeit ruhig war: der Rosengarten seiner Gattin. Sie war wahrscheinlich in ihren Gemächern und würde auch nicht mehr in den Garten gehen, denn es wurde schon so langsam dunkel. William fand den Weg mit Leichtigkeit, wenn auch mit Schwermut im Herzen. Dort hatte er sie immer getroffen, seine einzige Liebe in seinen Leben. Ja, er hatte Affären, genauso wie seine Gattin, aber sie waren alle ohne Gefühl, denn sein Herz gehörte nur einer Frau und das war nicht Eliza.
Er atmete die frische Luft ein und der Geruch der vom letzten Regenschauer nassen Rosen war genauso lieblich, wie er ihn in Erinnerung hatte. Seufzend wischte er die Bank trocken und ließ sich darauf nieder. Er dachte nicht gerne an das letzte Treffen mit Sarah, denn es war ihr Abschied. Er sollte die damals noch blutjunge Eliza heiraten und um das Verlöbnis nicht zu gefährden hatte sein Vater beschlossen, dass Sarah gehen musste. Er erinnerte sich noch an die erbitterten Auseinandersetzungen mit seinem schwer kranken Vater, aber um seines Vaters Willen bereute er nicht eingelenkt zu haben, denn der alte Mann starb kurz nach Williams Hochzeit mit Eliza. Allerdings hatte es William das Herz gebrochen und er konnte es nie verwinden Sarah zu verlieren. Manchmal, wenn er neben seiner schlafenden Ehefrau lag, vermeinte er noch Sarahs Lippen auf seinen zu spüren.
Lina hatte sich inzwischen nach draußen geschlichen, aber selbst dort hörte sie Stimmen aus dem Gebäude durch die Fenster nach außen dringen. Gibt es hier nicht einen einzigen Ort, wo es ruhig ist? dachte sie und kämpfte sich durch die Büsche, die zwischen Mauer und Gebäude lagen. Ihr Herzschlag hatte sich beruhigt, aber ihre Gedanken kreisten immer noch um die Begegnung mit Elias. Sie brauchte Ruhe und sehnte sich schrecklich nach dem Wald und der dort herrschenden Stille, die nur von Waldgeräuschen durchbrochen wurde.
In der Hoffnung endlich etwas Ruhe zu finden, quetschte sich Lina durch die hohen Hecken und landete in einem Blütenmeer voll Rosen. Erschrocken stand sie einen Moment still und genoss den starken Duft der Blüten. Gedankenverloren trat sie näher an die Rosen und strich sanft über die Blätter. Es kam ihr wie Ewigkeiten vor, dass sie etwas grünes, lebendiges in der Hand gehabt hatte und ihre Sehnsucht nach dem Wald wurde durch die Berührung gelindert. Sie hatte aber nicht bedacht, dass Rosen auch immer Dornen haben und so stach sie sich in den Finger. Lina sog scharf die Luft ein und steckte sich den blutenden Finger in Mund.
Fürst William beobachtete Lina mit einem Schmunzeln. Sie hatte offensichtlich noch nicht bemerkt, dass sie nicht alleine im Garten war und er genoss es, ihr zuzusehen. Und als sie sich in den Finger stach, konnte er das Lachen nicht verkneifen. Sie wirbelte auf dem Absatz um und starrte ihn mit vor Schreck geweiteten Augen an. In dem Moment wo sich ihre Blicke trafen verstummte sein Lachen und er wurde bleich. Es waren Sarahs Augen, die ihn dort anstarrten! Dessen war er sich sicher, nie würde ihre Augen vergessen, das dunkle Blau mit weißen Tupfen drin, ganz so wie der Mitternachtshimmel.
Die junge Frau schien ihn zu erkennen, denn sie verneigte sich unbeholfen und schneller als ihm lieb war, verschwand sie wieder dort, wo sie hergekommen war. William starrte ihr noch lange nach, obwohl sich die Zweige der Hecken schon längst wieder an ihren üblichen Platz begeben hatten und nichts mehr von dem Mädchen zu sehen war.
*geht gleich noch weiter*