Die einzigen schönen Momente im Hause Kedcin waren die Sonntage, an denen wir alle zusammen am Tisch saßen und zumindest alles so schien, als wären wir eine Familie. Ich wurde zwar nicht in die Tischgespräche miteingebunden, aber manchmal gab ich doch den ein oder anderen Kommentar ab, und Onkel Rino war sehr begeistert von mir.
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"Wie klug du doch bist, Mira. Wenn dein Vater dich reden hören würde, wäre er sehr stolz auf dich.", verkündete mein Onkel. Berta platzte dann fast vor Wut. Ich hörte sie danach immer mit Rino schimpfen. "Warum lobst du dieses dumme Kind immer? So kommt sie sich noch vor, als wäre sie etwas Besonderes!" Rino lachte dann meistens. "Ach, Berta, glaub mir, sie IST etwas Besonderes."
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Nach solchen Gesprächen konnte man den ganzen Tag nichts mehr mit Berta anfangen. Nur in der Nacht hörte man dann wieder ihre verzweifelten Versuche, Rino dazu zu bewegen, ihr endlich ein Kind zu machen, damit sie ihn auch rechtlich an sich binden konnte. Doch irgendwie wollte es einfach nicht klappen. Damals kannte ich ihre grausamen Pläne noch nicht, die sie in ihrem kranken Hirn austüftelte, doch glauben Sie mir, es ist unvorstellbar für jeden von uns. Dass ich ihr ihre Pläne durchkreuzte, leuchtete mir auch erst viel später ein.
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Eines schönen Tages zog mich Rino dann in die Küche. "Ich muss etwas mit dir besprechen, Miranda." Wieder einer, der meinen Namen aussprach. Auch diesmal sollte es nichts gutes verheißen. "Berta hat etwas geplant. Ich weiß nicht, ob du darüber erfreut sein wirst. Darum schildere ich es dir mal aus meiner Sicht: Du kennst doch das Gasthaus zur Linde, oder?" Ich nickte schnell. "Ja klar kenn ich das. Ist ja direkt neben uns."
Rino sprach weiter. "Berta hat bei der Wirtin gefragt, ob du dort eine Ausbildung zur Köchen machen könntest." Ich war geschockt. Das war das allerletzte, was ich wollte. "Wie kann sie nur so etwas tun? Sie weiß doch, dass ich kochen hasse!"
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Rino lächelte mich versöhnlich an. "Nimm es ihr nicht übel, sie hat es dir bestimmt nur gut gemeint. Ich habe ihr gesagt, wenn sie dich schon fortschicken will, dann will ich wenigstens, dass du eine eigene Wohnung bekommst. Du bist jetzt fünfzehn Jahre alt, und ich denke, dass du auf eigenen Beinen stehen kannst. Doch Berta war damit nicht einverstanden, darum hat sie die Wirtsleute gefragt, ob du nicht dort ein Zimmer nehmen könntest. Sie waren damit einverstanden. So hast du mehr Freiraum, kannst aber dennoch keine Jungs mit aufs Zimmer nehmen, um ähnliche Unfälle wie den deiner Schwester zu vermeiden." Wieder grinste er auf diese seltsame Art und Weise, als wollte er das eben gesagte entschuldigen.
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In diesem Moment kam Berta in den Raum und hantierte in der Küche herum. Sie wischte die Küchenzeile ab. Das hatte sie noch nie zuvor getan. Ich wusste genau, dass sie nur neugierig war, was Rino mir zu sagen hatte. Er ließ sich jedoch nicht aus der Ruhe bringen. "Nun, wie dem auch sein mag, du wirst wohl deine Sachen packen müssen. Im September fängt die Lehre an. Wir haben August, wie du weißt. Lange ist also nicht mehr hin. Deine Mutter weiß auch bescheid."
Meine Mutter... Was sollte ich von ihr noch halten, nach allem, was geschehen war? Sie hatte mich einfach links liegen lassen. Ich wollte gar nicht mehr an sie denken, so enttäuscht war ich. Die einzige, die sich noch um mich sorgte, war meine Schwester Maida. Sie rief ständig an und erkundigte sich, wie es mir ginge. Sie hatte mittlerweile eine eigene Wohnung, die sie sich mit meinem Bruder Jackie teilte. Auch ihre kleine Tochter war bei ihr. Aber dazu später mehr.