
Und Keylas Tragödie beraubte ihn schließlich des kostbarsten Schatzes seines Lebens, seiner Frau.
Er würde diesen Tag nie vergessen, als er sie dort stehen sah, auf der unteren Terrasse, wo er sie schon so oft gefunden hatte, wenn sie ihren Gedanken freien Lauf lassen wollte. Doch an diesem Tag erloschen die blitzenden Feuer des Sternensees, ebenso wie das Feuer in ihren Augen. Fast blind starrte sie hinaus auf die Wasseroberfläche, während ihr die Tränen über die Wangen liefen. Und er konnte nichts tun als hilflos daneben zu stehen. In den vielen Jahrhunderten, die sie an seiner Seite verbrachte, hatte er sie niemals weinen sehen. Damals dachte er noch, sie würde um ihre Tochter weinen und um die Welt, die durch deren Schuld in größte Gefahr geraten war, doch heute wusste er es besser. Ihre Tränen galten ihm.
„Du warst immer gegen diese Hochzeit!“ sagte sie tonlos, als er neben sie trat. „Ich hätte auf dich hören sollen, anstatt Melynnes Wünschen zu folgen. Jetzt müssen wir alle für meine Dummheit büßen.“

„Nein! Das war nicht deine Schuld!“ Der Heftigkeit seines Widerspruchs gelang es, dass sie sich zu ihm umwandte und ihn ansah.
„Vielleicht bin ich nicht schuld, aber verantwortlich. Wir hätten längst erkenne müssen, wonach er strebt, aber wir wollten es nicht sehen. Kein Elo-i begehrt gegen die Ordnung der Großen Mutter auf, das durfte einfach nicht sein!“
„Wenn das so ist, dann trifft uns alle die Schuld, jeden einzelnen von uns, selbst Melynne, sie vor allem.“
Mardianne nickte nur.
„Gräme dich doch nicht, Liebste!“ hatte er versucht, sie zu trösten. „Noch ist nicht alles verloren, wir finden eine Lösung, ich finde eine, ich verspreche es dir. Ich werde nicht zulassen, dass dieser Verräter unsere Tochter ins Verderben stürzt.“
[FONT="]Ein sanftes Lächeln belohnte seine Absicht, doch sie wusste bereits damals von seiner Machtlosigkeit, ohne ihn das merken zu lassen.

[/FONT] „Ich weiß, dass du sie immer beschützen wirst!“ sagte sie stattdessen, als sie gemeinsam Hand in Hand durch den Garten wanderten. „Unsere beiden Töchter. Du warst immer ein guter Vater für sie und wirst es bleiben, egal was geschieht, nicht wahr?“
„Aber ja!“ antwortete er, ohne sich etwas dabei zu denken.
„Gut!“ Sie schien erleichtert. „Und du wirst Keyla auch nicht dafür verurteilen, was sie getan hat, ihr nicht die Schuld geben, für das, was geschieht.“
„Nein, natürlich nicht.“ Nun war er doch beunruhigt von ihren flehentlichen Worten. Er wusste sie zu jenem Zeitpunkt nicht zu deuten, doch sie waren ein Abschied, ihr Vermächtnis an ihn.
[FONT="]Alles was er in jenem Moment fühlte, war die tiefe innere Erregung seiner Frau, ihr Zittern, das sich nicht einmal in seinen Armen legte. Immer wieder streichelte er ihre Wange, bis auch die letzte Träne endlich versiegt war, und sie ihren Kopf auf seine Schulter legte.

[/FONT] Engumschlungen standen sie dort inmitten der umgestürzten Säulen, eine ganze Ewigkeit, so schien es ihm, und doch viel zu kurz war dieser eine letzte Moment, als sie ihm leise ins Ohr flüsterte:
„Ich liebe dich, von ganzem Herzen, vergiss das niemals. Und wenn die Zeit reif ist, wirst du es ihnen erklären, versprich es mir, erkläre ihnen, was geschehen ist, dass es sein musste, dass es keinen anderen Weg gab.“
Seine Frage, was sie denn damit meine, hatte sie nicht beantwortet, stattdessen auf dem Versprechen bestanden, und ihm, als er es, wenn auch widerwillig gegeben hatte, einen einzigen innigen Kuss gegeben, bevor sie aus seinen Armen verschwand.
[FONT="]Er sollte sie nie wiedersehen.

[/FONT] „Du wolltest mich sehen, Vater?“
Zardon erhob sich langsam und drehte sich zu seiner älteren Tochter um. Auf ihn wartete keine leichte Aufgabe, doch die Zeit drängte, und er fühlte sich einfach nicht mehr dazu in der Lage, die Entscheidung, vor der seine Familie nun schon zum zweitenmal stand, allein zu treffen. Doch außer Ranyia gab es niemanden, mit dem er sich hätte beraten können, selbst wenn er sie nur äußerst ungern mit in diese furchtbare Angelegenheit hineinzog.
„Was ist mit deinen Haaren passiert?“ fragte Ranyia erschrocken und zeigte auf seine nunmehr deutlich helleren Haare.
„Ich werde nicht jünger, mein Kind, aber der Kummer dafür größer. Wir sind sehr empfindliche Wesen, das weißt du doch.“
„Kummer? Weißt du denn überhaupt noch, was das ist, Vater? Hast du nicht in der Vergangenheit ohne zu zögern, alles und jeden geopfert, für das Wohl der andern, selbst deine eigene Tochter?“[FONT="]

[/FONT]„Du redest, wie du es verstehst, doch ohne die Wahrheit zu kennen!“ widersprach er mit sanftem Tadel und wies ihr den Weg. „Komm, ich glaube, es wird Zeit, dass du erfährst, was damals wirklich geschehen ist.“
„Auf einmal willst du alles erzählen?" begehrte sie auf, während sie vor ihm herging. "Noch vor kurzem war ich dir keine Erklärung wert, da musste ich nur schweigen, durfte niemandem sagen, dass ihr Keyla zu einem langsamen furchtbaren Tod in der Menschenwelt verurteilt habt, nur weil sie einem machtbesessenen Mann verfallen ist, dabei habt ihr das erst möglich gemacht. Was also soll ich hier? Und warum existiert dieser Tempel noch? Du hattest mir doch erzählt, er sei zerstört worden, damals im Kampf gegen Varik?“
Schon zum zweiten Mal heute musste Zardon wider Willen lächeln. Oh diese Ungeduld.
„Er wurde zerstört, in Schutt und Asche gelegt, von deiner Schwester, damals, als sie uns alle bekämpfte.“ bestätigte er, ohne sich von ihren Vorwürfen betroffen zu zeigen. „Ich habe ihn wiederaufgebaut, genauso wie Keyla ihn hinterlassen hat, als sie Varik heiratete.“[FONT="]

[/FONT]„Wieso?“ Ranyia schüttelte den Kopf. Niemals würde ihr Vater etwas so irrationales tun, etwas so gefühlsbetontes.
„Ich brauchte diesen Ort, weil niemand von ihm weiß, nicht einmal Reshanne. Ihr Spiegel kann ihn nicht aufspüren, und damit auch nichts von dem, was sich hier befindet.“
„Aber hier gibt es doch nichts, wovon Reshanne nichts wissen soll!“
„Oh doch einiges, und für die Existenz der Welt ist das von einiger Bedeutung. Darum bist du hier, darum werde ich das Versprechen erfüllen, dass ich deiner Mutter gegeben habe und dir erzählen, was damals geschehen ist.“
[FONT="]Er ließ sich von ihrem abweisenden Gesicht nicht aus der Ruhe bringen, sondern fuhr unbeirrt fort: „Deine Mutter starb nicht an gebrochenem Herzen, sie starb durch Keyla und für sie!“[/FONT]
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