
Celia durchschritt Saal für Saal, Korridor für Korridor, sich neugierig umsehend, ohne zu wissen, wo sie eigentlich hin ging. Dennoch zog es sie, ganz ohne ihr eigenes Zutun in eine bestimmte Richtung, als hätte sie jemand unsichtbar an die Hand genommen. Überall herrschte die gleiche unheimliche Stille, die gleiche alles durchdringende Kälte, die sie am ganzen Leibe zittern lassen sollte, ihr aber dennoch nichts anhaben konnte.
Nachdem sie endlich den Ausgang gefunden hatte und in die Nacht hinausgegangen war, fand sie eine Erklärung zumindest für die Kälte. Der Boden war mit Schnee bedeckt, in dem ihre Füße augenblicklich einsanken, weicher, flockiger Schnee, blendend weiß, als wäre er gerade erst gefallen.
Die Wände ringsumher bestanden aus riesigen tonnenschweren Eisplatten, die mit einer unbegreiflichen Leichtigkeit zu einer Art Gebäude zusammengefügt worden waren. Und dieses Eis schien völlig unempfindlich gegen Wärme zu sein. Überall brannten Kerzen unmittelbar an und neben den Platten, doch es schmolz nicht.
[FONT="]‚Erstaunlich, höchst erstaunlich!’ dachte Celia, während sie ihre Erkundungstour fortsetzte, nicht ahnend, dass sie dabei beobachtet wurde.

[/FONT] ‚Sie ist also aufgewacht, nur wieso so früh und ganz von allein?’ wunderte sich Varik, als er sie direkt unter sich mit dem neugierigen, staunenden Blick eines Kindes durch den Schnee laufen sah. Und war sie nicht auch wie ein Kind, gerade neugeboren, bereit, sich formen und lenken zu lassen, in welche Richtung ER es wollte, vorausgesetzt, es gelang ihm, sie von all dem Ballast zu befreien, den man ihr seit ihrer Geburt aufgehalst hatte, Dinge wie die Loyalität zu ihrem eigenen Volk, Verantwortung, ....Liebe. Er zweifelte nicht an seinem Erfolg, selbst wenn er den Prozess jetzt wiederholen musste, weil sie sich unverständlicherweise von selbst aus dem künstlichen Schlaf geholt hatte.
[FONT="]Der Kristallsaal war mehr als nur ein Ort der Ruhe, sehr viel mehr. Er erinnerte sich noch genau an Melynnes entsetztes Gesicht, als sie damals herausgefunden hatte, dass es ihm tatsächlich gelungen war, den heiligen Schrein der Großen Mutter nachzubauen, in dem jeder Elo-i auf die Amtsübertragung vorbereitet wurde. Ohne diese Vorbereitung, eine Art Reinigung und Aktivierung ihrer Aufnahmefähigkeit, konnte eine vollständige Übertragung der Kräfte eines der mächtigen Elo-i den Empfänger vernichten. Daher durfte nur die Herrscherin selbst eine solche Übertragung veranlassen.

[/FONT] Er hatte sich darüber hinweggesetzt und einen neuen Schrein gebaut, um sich selbst in die Lage zu versetzen, die Kräfte seiner Gemahlin zu erlangen, doch es war noch zu früh gewesen, und das in doppelter Hinsicht.
Einmal hätte er warten sollen, bis Melynne ihre Herrschaftsgewalt an ihre Nichte übergeben hätte, dann hätte man keinen von ihnen mehr stoppen können. Zum andern hätte ihre Gefühle auslöschen müssen, ganz gleich, was er dadurch verlor. Denn Liebe hatte sie in seine Arme geführt, aber Liebe hatte sie ihm schließlich auch wieder entrissen.
[FONT="]Mit ihrer Nachfolgerin durfte ihm das nicht passieren. Mit dem Tod von Keylas menschlichem Nachkommen hatte er zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Wie geplant, begab sich dessen schöne Cousine vertrauensvoll und mit aufgestautem Zorn in seine Hände, eine Zeitbombe, deren zerstörerische Kraft er jederzeit entfesseln konnte und mit dem gleichen Coup sorgte er dafür, dass man sie ihm nicht mehr nehmen konnte, denn der Einzige, der dazu in der Lage wäre, war nun tot. Und wie er Reshanne einschätzte, würde die Ahnungslose dafür sorgen, dass die Seele dieses ach so reinen Herzens auf der Stelle hinübergeleitet wurde. Rückkehr ausgeschlossen! Gefahr gebannt!

[/FONT] Sie hatte ihn entdeckt, also schwang er sich über die Brüstung und ließ sich langsam zu ihr herabsinken.
„Guten Morgen!“ begrüßte er sie mit einem freundlichen Lächeln. „Oder sollte ich besser Guten Abend sagen?“
„Wer bist du?“ platzte sie heraus, ohne seine Frage zu beantworten. Sein Lächeln vertiefte sich.
„Hast du meinen Namen schon wieder vergessen?“ Eine unwirsche Handbewegung unterbrach ihn.
„Deine Name spielt für mich keine Rolle. Ich möchte wissen, wer du wirklich bist, was die anderen gegen dich haben, wo wir hier sind? Was passiert mit mir und warum?“
„Halt, halt, nicht so stürmisch!“ wehrte er die Flut ihrer Fragen ab, die auf ihn herabprasselten und erntete prompt ein unwilliges Stirnrunzeln.
„Ich muss es aber wissen!“ Unter ihm grollte der Boden, die spiegelnde Wasseroberfläche gleich neben ihnen begann zu zittern.
[FONT="]„Ich verstehe schon, dass du viele Fragen hast!“ beschwichtigte er sie, obwohl er innerlich frohlockte. „Und du bekommst auf jede eine Antwort, das versprech’ ich dir. Aber alles zu seiner Zeit. Nein....“ er schüttelte den Kopf, als sie ihn schon wieder unterbrechen wollte. „Jetzt werde ich dich erst mal ein wenig herum führen in deinem neuen Zuhause.“

[/FONT] Und das tat er dann auch. Natürlich bekam sie nicht alles zu sehen, soweit vertraute er ihr noch nicht. Erst wenn sie die Transformation durchlaufen hatte und vollständig ihm gehörte, würde er sie in die Tiefe mitnehmen, wo die mächtigen Feuer loderten, deren Flammen ihrem Willen gehorchend, die Erde verbrennen konnten und vielleicht, wenn ihm der Sinn danach stand, auch würden.
[FONT="]Doch jetzt zeigte er ihr erst einmal jene Räumlichkeiten, die er für sie vorbereitet hatte. Es schien sie sehr zu berühren, zu sehen, wie viel Mühe er sich ihretwegen machte, und er hütete sich, sie mit der Erklärung zu korrigieren, dass er dies seinen Dienern überlassen hatte. Sogar an eine ausreichende neue Garderobe hatten sie gedacht, und er beobachtete amüsiert, wie sie die Sachen nacheinander anprobierte. Weibliche Eitelkeit schien nicht allein nur eine menschliche Schwäche zu sein!

[/FONT] „Das steht dir ausgezeichnet!“ meinte er, als sie sich, zufrieden mit ihrer Wahl, im Spiegel betrachtete. „Aber da fehlt noch etwas!“ Er schob den Arm über ihre Schulter und legte ihr eine kurze, mehrfach gedrehte Goldkette um den Hals, an der ein edelsteinbesetzter Schmetterling funkelte.
„Du kannst den alten Anhänger deiner Großmutter nicht mehr tragen. Er ist angefüllt mit den Energien deiner Feinde und würde dich, uns, in Gefahr bringen. Aber auch dieser gehörte einmal ihr. Ich denke, sie hätte bestimmt nichts dagegen, wenn ich ihn dir schenke.“
Ein schüchternes Lächeln legte sich auf ihre Lippen, während sie ihn andächtig betastete.
Beinahe hätte er es bedauert, dass er so etwas in Zukunft wohl nicht wieder zu Gesicht bekommen würde. Nach der Transformation würde es kein Lächeln, keine Tränen mehr geben, nur noch eisige Kälte, die das Wasser ringsum gefrieren lassen würde, wenn sie nur an ihm vorüberging.
[FONT="]„Warum tust du das alles für mich?“ verlangte sie zu wissen und drehte sich zu ihm um. „Und was hast du mit meiner Großmutter zu schaffen?“

[/FONT] Er strich ihr sacht über die Wange
„Vielleicht weil du meine Tochter hättest sein können, denn Keyla,.....das ist der wahre Name deiner Großmutter,.....sie war einmal meine Frau.“
„DEINE Frau?“ Fassungslose Überraschung stand ihr ins Gesicht geschrieben. „Aber du bist kein Mensch, und sie....“
„War auch keiner.“ vollendete er ihren Satz. „Nur der Mann, den sie nach mir ehelichte, war einer. Und darum kam auch dein Vater als Mensch zur Welt.“
„Aber wenn sie deine Frau war, wie .... ich meine, ..... hat sie dich verlassen?“
„Ja, aber nicht freiwillig.“ bestätigte er verbittert. „Sie wurde dazu gezwungen.“
„Wieso? Und von wem?“ fragte sie leise, als fürchte sie sich regelrecht vor seiner Antwort und er schluckte schwer.
Auf diesen Gesprächsverlauf war er genauso wenig vorbereitet, wie auf den mitfühlenden traurigen Blick ihrer Augen, Keylas Augen. Ihre Gestalt, ihr Gang, die Art, wie sie den Kopf leicht schräg neigte, wenn sie ihn unter den gesenkten Lidern ansah, wie sie sich immer wieder ihr Haar hinters Ohr steckte, nur mit dem Mittelfinger, all das erinnerte ihn an sie, das einzige Wesen, dem es je gelungen war, sein Herz zu berühren.
„Von ihrer Tante, der damaligen Herrscherin.“ stieß er schließlich hervor und wandte sich ab. „Verzeih mir! Bitte lass uns später darüber reden, im Augenblick ist es....etwas schwierig.“
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und zu Teil 3