[FONT=&]Nachdem alle auf den für sie vorgesehenen Stühlen Platz genommen hatten, blieb nur Catherine am Kopfende der Tafel stehen und wartete. Den ganzen Tag schon hatte sie darüber nachgedacht, ob und wenn ja, wie sie ihre Gäste von den veränderten Lebensumständen informieren sollte. Es ging ihr nicht ums Angeben, wie Nicolas ihr ungerechterweise vorgeworfen hatte, dies waren ihre Freunde, selbst wenn sie nicht alle ihrer Ansichten teilte. Aber ohne sie hätte sie die einsamen Jahre nach Frances' Tod niemals überstanden.

[/FONT] Gott, was fehlte er ihr, gerade jetzt. Mit ihm an ihrer Seite hätte es diese fürchterliche Szene im Schlafzimmer nicht gegeben! Mit ihm an ihrer Seite wäre sie aber auch nicht so hart geworden, hätte sie nicht vergessen, was für ein rebellisches Mädchen sie selbst einmal gewesen war. Ein leichtes für die anderen undeutbares Lächeln umspielte ihre Lippen, als sie daran dachte, wie ihre Mutter buchstäblich in Ohnmacht gefallen war, als sie nach einem heimlichen nächtlichen Ausflug mit einem Tattoo wiedergekommen war, was sie selber aber nicht daran hinderte, es der eigenen Tochter kategorisch zu verbieten. Bloß gut, dass niemand von dem zweiten wusste.
Catherine straffte die Schultern. Lady Cressida hatte recht. Es wurde Zeit, dass sie herausfand, ob von der alten Catherine, der, die Frances so geliebt hatte, etwas tief im Innern überlebt hatte. Bestimmte Dinge konnte sie nicht ändern, aber sie würde nicht zulassen, dass der verdammte Stolz ihr den Sohn nahm. ‚Wart’s nur ab, mein Lieber, du wirst dich wundern!’ dachte sie im Stillen und schmunzelte dabei vergnügt vor sich hin, bevor sie sagte:
„Ich freue mich, dass Ihr unserer Einladung gefolgt seid und ich wünsche uns allen einen vergnüglichen Abend!“
[FONT=&]Sie gab der bereits wartenden Lucy ein Zeichen, die Vorspeise zu servieren und setzte sich.

[/FONT] Gleich darauf schien jeder der Anwesenden weniger mit dem Essen beschäftigt zu sein, als damit, sich mit seinem Nachbarn zu unterhalten. Und so wunderte sich Celia nicht wenig, wie schnell die Teller trotzdem geleert waren und der nächste Gang serviert wurde, ein rotes, reichlich hart aussehendes Etwas auf einem Bett aus Salat.
Beunruhigt beugte sie sich zu Justin hinüber. „Was ist das?“ flüsterte sie und hoffte, dass niemand außer ihm etwas von ihrer Verwirrung bemerkte.
Justin grinste und flüsterte zurück: „Das ist Hummer! Nicht so ganz mein Fall, aber keine Sorge, er ist genießbar. Die meisten mögen ihn sogar sehr.“
„Ah ja!“ Celia nickte, musterte aber dennoch zweifelnd Teller und Besteck. Wie um alles in der Welt sollte sie das essen?
Justin griff betont locker nach der Gabel, klirrte damit leise und wie versehentlich gegen den Teller, erregte aber so ihre Aufmerksamkeit. „Immer mir nach!“ formten seine Lippen, als sie ihn ansah, bevor er sich ans Werk machte.
[FONT=&]Und Celia tat es ihm gleich.

[/FONT] Sie war mehr als froh, diesen gutgelaunten, freundlichen Mann an ihrer Seite zu haben, denn Nick und Bella saßen beide weiter weg auf der gegenüberliegenden Seite der Tafel und konnten ihr nicht helfen. Ohne Justin hätte sie vermutlich während des gesamten Dinners schweigend dagesessen, ständig Gefahr laufend, die falsche Gabel zu benutzen.
[FONT=&]Was wusste sie denn schon von dem neuesten Gesellschaftsklatsch, den Carolines Mutter so genüsslich zum Besten gab, während ihr Mann mit sauertöpfischer Miene das Essen in sich hineinschaufelte und sich jeweils zwischen zwei Gabeln gemeinsam mit Mr Sutton über den letzten Abfall an der Börse ereiferte. Gab es denn für diese Menschen nichts anderes als Geld und die Skandale anderer Leute? Justin hatte recht, diese Leute waren langweilig. Um so mehr bewunderte sie Catherine, die in heiterer Gelassenheit zuhörte, als ginge es um Dinge höchster Wichtigkeit und dabei dennoch unmerklich die Unterhaltung in andere Bahnen lenkte. Celia kam das gestrige Gespräch mit ihr wieder in den Sinn. Welterfahren, charmant und souverän im Auftreten, so sollte, so musste Nicks zukünftige Gräfin sein, hatte Nicks Mutter erklärt. Und nun demonstrierte sie ihr, was sie damit meinte. Catherine Blandfort, der die Rolle der neuen Countess of Carver auf den Leib geschnitten schien, würde sie niemals auf ihrem Platz dulden. Anders wusste sie deren gelegentlichen Blicke nicht zu deuten.

[/FONT] Catherines wirkliche Gedanken ahnte sie nicht. Während die sich bemühte, Philip Suttons Eifer zu bremsen, alle am Tisch mit den neuesten Finanztipps zu versehen, und Abigail daran zu hindern, ihre berüchtigten, aber heute unliebsamen Fragen über den unbekannten Gast gleich hier am Tisch zu stellen, wanderte ihr Blick immer wieder von Celia zu Caroline und hinüber zu Nick, dessen leicht gequälte Miene nicht gerade auf ein unterhaltsames Gespräch mit seiner Tischdame schließen ließ.
[FONT=&]Ohne es zu tatsächlich zu wollen, begann sie, die beiden Frauen miteinander zu vergleichen und konnte nicht umhin zu bemerken, dass die bisher von ihr geschmähte und doch so elegant wirkende Celia dabei weitaus besser abschnitt, als die viel zu sehr herausgeputzte Caroline. Was hatte sie sich nur dabei gedacht, DIESES Kleid zu tragen, ausgerechnet heute? Wollte sie damit etwa ihren Sohn für sich gewinnen? Wenn ja, wäre sie ehrlich enttäuscht von ihr. Denn das sollte sie eigentlich besser wissen. Nicks Blick bei der Begrüßung jedenfalls hatte Bände gesprochen.

[/FONT] Catherine musste sich leicht zur Seite beugen, um an der Tischdekoration vorbei die beiden beobachten zu können. Philip Sutton freute sich, glaubte er doch, sie würde ihm ihre ungeteilte Aufmerksamkeit schenken, während sie ihm in Wirklichkeit nur mit halbem Ohr zuhörte, um hier und da eine unverbindliche Bemerkung einflechten zu können. Das bereitete ihr keine größeren Schwierigkeiten, denn das hatte man sie schon von frühester Jugend an gelehrt. Caroline als zweite Gastgeberin zu wählen, schien aber nicht zu ihren besten Einfällen zu zählen, angesichts dessen, wie sehr sie sich auf Nick fixierte.
Wie vertraulich sie sich immer wieder zu Nicolas neigte, und wie wenig er darauf reagierte! Selbst als sie mit ihm anstieß und ihn dabei unter den gesenkten Lidern hoffnungsvoll anklimperte, starrte er das Glas so konzentriert an, als befürchte er, es könne jeden Augenblick in seinen Händen zerspringen.
[FONT=&]Und wenn seiner Mutter das noch nicht genug zu denken gegeben hätte, dann aber jenes verdächtige Strahlen, welches in den Augen ihres Sohnes aufleuchtete, sobald er Celia über den Tisch hinweg ansah und das von ihr mit einem leichten Erröten erwidert wurde. Genauso hatte Frances sie immer angesehen, wenn er sie bei ähnlichen Anlässen verstohlen unter dem Tisch anstieß, und sie den Slipper vom Fuß gleiten ließ, um ....

[/FONT] Ganz unvermittelt wurde sie aus ihren Erinnerungen gerissen, als sämtliche Gespräche auf einen Schlag stockten und alles zu Caroline hinüber starrte. Und auch Catherine hielt den Atem an, ob deren Indiskretion.
„Amnesie muss etwas furchtbares sein! Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie man damit leben soll, nicht zu wissen, wer man ist!“ hatte sie gesagt, zwar zu Nick gewandt, aber laut genug, dass jeder es hören musste.
[FONT=&]Dennoch blickte die junge Frau jetzt mit genau der richtigen Mischung aus Entsetzen und Bedauern in die Runde, als wäre ihr das in der Tat völlig unabsichtlich herausgerutscht. Angesichts der offensichtlichen Spitze, die sie vorhin bei der Begrüßung ganz gezielt gegen die Rivalin gerichtet hatte, bezweifelte Catherine das allerdings stark. Zwar hielt sie sich selbst für eine Meisterin der sarkastischen Ironie, aber Caroline ging ihrer Meinung nach ganz entschieden zu weit damit.

[/FONT] „Sie haben ganz recht, Miss Vandermere!“ antwortete Celia gerade leise, doch mit fester Stimme. „Es IST furchtbar! Doch besser, man vergisst, wer man ist, als wer man sein sollte. Da stimmen Sie mir doch zu, oder?“ Carolines Blick wurde stahlhart und ihre Lippen pressten sich zusammen, als sie langsam nickte.
Catherine hingegen bemühte sich verzweifelt, ein Lachen zu unterdrücken, obwohl sie eigentlich schockiert sein sollte. Du liebe Güte, die Kleine hatte ja Haare auf den Zähnen! Ohne unhöflich zu werden, aber dennoch unmissverständlich hatte sie Caroline gerade vor aller Ohren vorgeworfen, sie habe, im Gegensatz zu Celia selbst, ihre Erziehung vergessen. Und jeder hier an der Tafel hatte das auch genauso verstanden. Das bewies das betretene Schweigen, welches sich nach Celias Antwort über den Raum legte.
Obwohl sie sich unsinnigerweise amüsiert fühlte, wie schon lange nicht mehr, Frances hätte sich vermutlich ausgeschüttet, schob Catherine schließlich, als es schon peinlich zu werden begann, energisch den Teller zurück und verkündete energisch: „Ich glaube, jetzt ist es Zeit für unser Dessert, oder Abigail?“
Die Frau griff das Thema dankbar auf und erinnerte Catherine sofort daran, dass sie ihr noch immer nicht wie versprochen das Rezept verraten hatte.
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zu Teil 2