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Am nächsten Abend. Die Stimmung im Hause Blandfort war auf dem Nullpunkt angekommen. Bella, die inzwischen eingeweiht worden war, hatte sich nach einem ausgewachsenen Schreikrampf den ganzen Tag in ihrem Zimmer verkrochen und von dort aus missmutig die Vorbereitungen für den Tanz unterm Sternenhimmel nach dem Essen mit angesehen. Von Nick war weit und breit keine Spur. Erst durch Lucy, die zur Hilfe herübergekommen war, erfuhr sie, dass er den ganzen Tag in der Klinik gewesen war.
Konfliktvermeidung durch „Mutter aus dem Weg gehen“, nannte er das. Trotzdem half es alles nichts. Unerbittlich rückten die Zeiger der Uhr vor und sie mussten zu dieser verfluchten Party.

„Du wolltest mich sprechen, Mamà?“ Eingezwängt in Gwens neue Kreation, betrat Bella mit einer Bitterleidensmiene das Schlafzimmer ihrer Mutter und fand sie ebenfalls fertig vor dem Spiegel. „Wolltest du nicht ein anderes Kleid tragen?“ fragte sie verwundert. Catherine nickte.
„Wollte ich. Aber das rote wäre heute Abend unpassend.“
„Wieso das denn? Ich denke, du magst das rote?“
„Ja, natürlich, dennoch geht es nicht anders. Immerhin haben wir einen Trauerfall in der Familie.“
„Familie? Ha, über wie viel Ecken?“ schnaubte das Mädchen. „Sollen wir jetzt vielleicht auch noch Schwarz tragen?“
Catherine beachtete es nicht. „Offiziell müssten wir sogar die ganze Gesellschaft absagen.“ belehrte sie stattdessen ihre Tochter, die sofort ein begeistertes Gesicht zog.
„Nichts dagegen! Kann ich mich wieder umziehen?“
„Arabella Frances!“ rief Catherine sie streng zur Ordnung. „Darüber reißt man keine Witze.“
[FONT="]„Nein!“ maulte Bella. „Darüber singt man Trauerlieder!“ Gefasst auf einen neuen Rüffel zog sie sofort den Kopf ein, doch diesmal beließ es die Mutter mit einem missbilligenden Blick.

[/FONT] „Wieso müssen wir eigentlich?“ fragte sie nach einer kleinen Weile und Catherine wusste sofort, dass ihre Tochter nicht von der Party sprach. Na wenigstens redet sie überhaupt wieder mit mir, dachte Catherine. „Kannst du denn nicht einfach ‚Nein’ sagen, Mum?“
„Das ist nicht so einfach, Liebling.“ Ihre Stimme wurde ganz weich, bat um Verständnis.. „Sieh mal, Bella, es geht doch nicht einfach nur darum, dass ich einen Titel, ein bisschen Geld und ein paar Juwelen von diesem Mann geerbt habe. Da sind die Güter, die zwei Industriegesellschaften, die ihren Hauptsitz nun mal beide in England haben, ganz zu schweigen von den Häusern. Da dreht es sich nicht nur um Geld, sondern um die Menschen, die dort leben und arbeiten. Ich bin jetzt für sie verantwortlich, genauso wie Nicolas es sein wird, wenn der Titel nach meinem Tod an ihn übergeht. Von Amerika aus kann ich das alles nicht managen, jedenfalls nicht in der ersten Zeit, wenn sich alle erst an die neue Situation gewöhnen müssen. Ich bin schon froh, dass ich nicht auch noch seinen Parlamentssitz geerbt hab. Vor ein paar Jahren wär’ das noch so gewesen.“
„Parlament?“
[FONT="]„Oberhaus, Liebling!“ Bella verstand kein Wort und ihre Mutter lächelte nur, verkniff sich aber jeden Kommentar über ihr Schulwissen.

[/FONT] Sie wandte sich um und ging zur Kommode an der gegenüberliegenden Wand. Bella folgte ihr mit den Augen.
„Wenn du unbedingt nach England musst, warum kann ich dann nicht hier bleiben, bei Nick, oder willst du den auch mitschleifen?“ Catherine zuckte zusammen, und Arabella entschuldigte sich sofort.
„Ich habe dich nicht allein zu ihm gelassen, als nur ein paar Straßen zwischen uns lagen, denkst du, ich ändere meine Meinung bei einem ganzen Ozean?“
„Aber...!“
„Bella, Nicolas ist Arzt. Seine Arbeitszeiten sind gelinde gesagt unregelmäßig. Er kann sich nicht um dich kümmern. Wie könnte ich als deine Mutter dich guten Gewissens hier mit ihm allein lassen, sag mir das?“
„Aber hier sind alle meine Freunde!“ protestierte Bella noch einmal heftig, wohl wissend, dass es sowieso keinen Sinn machte.
[FONT="]„Du wirst in England neue finden!“ versicherte ihre Mutter denn auch schon, holte etwas aus ihrer Schatulle und schloss die Kommode wieder.

[/FONT] Sie zog das widerstrebende Mädchen zum Spiegel und befestigte vorsichtig zwei Ohrgehänge an ihren Ohren.
„Mum?“ flüsterte Bella ergriffen. „Die sind doch von deiner Mutter!“
„Und die hatte sie von ihrer, die sie von ihrer Schwiegermutter bekommen hat usw. Sie stammen noch aus Cressidas Privatbesitz, deshalb gingen sie nicht an die Familie nach England zurück. Ich glaube, du bist jetzt alt genug, um sie zu tragen. Tu es mit Stolz, Lady Arabella Blandfort!“
„An die Lady werd' ich mich nie gewöhnen, fürchte ich!“ seufzte Bella, während sie noch immer ehrfürchtig die filigranen Ohrringe anstarrte, deren kleine blitzende Diamanten mit dem matten Glanz der Perlen ihrer Mutter wetteiferten. Schon als kleines Kind hatte sie die bewundert.
„Warten wir es ab, mein Kind!“ antwortete Catherine, während sie voller Stolz das Bild ihrer Tochter im Spiegel betrachtete. „Warten wir’s ab!“
„Und jetzt werde ich sehen, wo dein Bruder bleibt.“
[FONT="]„Oh, oh!“ murmelte Bella leise vor sich hin. „Ärger im Anmarsch.“

[/FONT] Sie ging hinüber zu seinem Schlafzimmer, klopfte und betrat den Raum. Keine Spur von ihm. Aber aus dem Badezimmer hörte sie das Wasser rauschen.
Sie blieb vor der Tür stehen und rief seinen Namen.
„Nicolas?“ Keine Antwort. Auch das Wasser verstummte. „Nicolas bitte, es wird Zeit, die Vandermeres werden bald eintreffen, ich kann sie doch nicht allein empfangen.“
„Wieso nicht?“ kam es schnippisch aus dem Bad. „Und wenn du schon dabei bist, kannst du deine Party dann auch gleich allein weiterfeiern. Statistenrollen kann man ja leicht umbesetzen. Oder besser noch, streichen!“
„Du redest Unsinn, Nicolas.“ schalt Catherine leicht genervt. „Und jetzt komm endlich raus, oder willst du dich den ganzen Abend hier verstecken?“
„Wenn’s nach mir geht, ja!“
[FONT="]„Nicolas!“ Catherine stampfte mit dem Fuß auf, als sie wieder keine Antwort bekam. „Nicolas!“

[/FONT] „Also das reicht mir jetzt!“ Entschlossen riss sie die Tür auf. „Du benimmst dich wie ein bockiges kleines Kind, Nicolas, und nicht wie ein erwachsener Mann!“
„Wann ist dir denn aufgefallen, dass ich erwachsen bin, bevor oder nachdem du dich entschieden hast, mein Leben auf den Kopf zu stellen und mir nichts davon zu sagen?“
Er stand ihr genau gegenüber, die Haare noch leicht feucht, neben sich das Rasierzeug. Doch er schenkte ihr nicht einmal einen Blick durch den Spiegel.
„Ich hab’s dir doch gesagt“ erwiderte Catherine, die sich zum ersten Mal gezwungen sah, ihre Handlungsweise gegenüber ihren Kindern zu rechtfertigen. „Außerdem wurde doch nicht DEIN Leben auf den Kopf gestellt.“
„Ach nein?“ Er knallte den Rasierer mit solcher Wucht auf die Marmorplatte, dass er zerbrach. „Wie verdammt noch mal würdest du das denn sonst nennen, wenn du einfach mit allem verschwindest, was nach Dad’s Tod von meiner Familie übrig ist, und ich nicht mal gefragt werde?“
[FONT="]„England ist schließlich nicht aus der Welt. Nicolas, bitte!“ machte sie einen neuen Versuch, das unerfreuliche Thema zu beenden. „Dies ist nicht die Zeit für Diskussionen über die Zukunft. Darüber können wir morgen immer noch reden. Jetzt haben wir eine Verpflichtung.“

[/FONT] „Du wolltest wohl sagen, DU hast eine Verpflichtung. Hast du es so eilig, vor den anderen anzugeben?“
Catherine zuckte zusammen, schon zum zweitenmal heute Abend. „Du bist ungerecht.“ sagte sie leise.
Er drehte sich um und griff nach dem Handtuch. „Mag sein, Mutter, das muss ich dann wohl von dir haben. Und jetzt, falls du wirklich Wert auf meine Anwesenheit legst, wäre ich dir sehr verbunden, wenn du mich allein lassen könntest. Andernfalls schaffe ich es vermutlich nicht mehr rechtzeitig in meinen Anzug.“
Catherine stand noch zwei Minuten stumm in der Tür und beobachtete ihn, wie er sich das Gesicht trocknete, die Haare kämmte, seine Sachen wegräumte. Wortlos, als wäre sie gar nicht da. Dann drehte sie sich um und verließ das Zimmer. Als sich die Tür hinter ihr geschlossen hatte, warf Nicolas in einem Anfall von wütender Verzweiflung die Haarbürste gegen die Wand.
Ja, nach diesem Tag versprach der Abend das reinste Vergnügen zu werden.
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