Währenddessen:

Bella hatte mit Genuss das dicke Spezialsandwich verspeist, das Nick ihr aufs Zimmer gebracht hatte und sich den Computer angeschalten. Den ganzen Tag im Bett zu verbringen, war eine absolut öde Vorstellung! Wie konnte Nick nur so etwas von ihr verlangen. Er war doch sonst ein so gutmütiger Kerl, den sie, wenn sie es wollte, um den kleinen Finger wickeln konnte, nur in dieser Sache schien er absolut keinen Spaß zu verstehen. Wenn sie also wollte, dass er weiterhin auf ihrer Seite stand, würde ihr wohl nichts weiter übrig bleiben, als sich an seine Anweisungen zu halten, so gut es eben ging. Nur warum unbedingt im Bett? Was sollte sie da machen?
Der Türknauf drehte sich. Auch das noch. Bella klappte den Bildschirm runter, sprang ins Bett, schnappte sich das Buch auf ihrem Nachttisch und schlug es wahllos auf irgendeiner Seite auf. Gerade noch rechtzeitig, bevor ihre Mutter das Zimmer betrat.
[FONT="]„Guten Morgen, Arabella!“

[/FONT] „Wie geht es dir, mein Schatz?“ fragte sie, während sie sich zu ihr hinunter beugte, um ihr die Stirn zu befühlen.
„Gut, Mum! Ich habe kein Fieber.“ antwortete sie leicht genervt, ohne den Blick vom Buch zu heben. Sollte Ihre Mutter ruhig merken, dass sie immer noch sauer auf sie war. Statt ihr nun aber eine Strafpredigt über den unangemessenen Ton zu halten, wie sie es sonst zu tun pflegte, beugte sich Catherine noch weiter nach vorn und betrachtete interessiert den Einband des Buches.
„Was liest du denn da?“ fragte sie und zog gleichzeitig die Bettdecke unter Bella glatt. Sie wusste genau, was ihrer Tochter auf der Seele lag und vielleicht hatte Nicolas recht. Sie würde mit ihm darüber reden müssen. Mein Gott, wo war die Zeit geblieben, das Kind wurde erwachsen, viel zu schnell für ihren Geschmack.
„Jane Austen, Mum!“ Bella verzog das Gesicht. „Hast du mir doch selber in die Hand gedrückt.“
„Und? Ist es interessant?“
[FONT="]„Geht so.“

[/FONT] Catherine unterdrückte nur mit Mühe ein Schmunzeln.
„Ah ja,“ sagte sie dann „und wo bist du gerade?“
„Mum!“ Stöhnend sah Bella von dem Buch auf. „Reicht es nicht, dass ich es lese, muss ich dir jetzt auch noch eine Beschreibung abliefern?“
„Aber nein, ganz und gar nicht.“ Catherine strich ihrer Tochter sacht eine Strähne aus dem Gesicht, bevor sie sich aufrichtete. „Ich dachte nur gerade, wie schwer es doch sein muss, die Buchstaben auf dem Kopf zu lesen. Bestimmt wäre es einfacher, wenn du das Buch richtig rum hältst.“
Bella schluckte. „So ein Mist!“ Wieso musste sie immer so genau hinsehen. Dabei hatte sie gehofft, es würde ihr nicht auffallen. Seltsamerweise schimpfte sie noch immer nicht.
[FONT="]„Benutz das Haustelefon, wenn du etwas brauchst, mein Schatz.“ sagte Catherine stattdessen und verließ lachend das Zimmer.

[/FONT]Noch immer lachend betrat sie den großen Saal des Hauses. Nun, ja, Saal wäre vielleicht zuviel gesagt, doch es war unzweifelhaft der größte Raum, der sich mit seinen Nischen über die gesamte Grundfläche des Hauses erstreckte. Normalerweise mied sie diesen Raum, obwohl er für sie nur mit Erinnerungen der schönsten Art angefüllt war. Doch eben deshalb schmerzte es sie auch so. Hier hatten ihre Eltern, zähneknirschend, auf ihren Wunsch hin, das große Bankett ausgerichtet anlässlich ihrer Hochzeit mit Frances. Die ganze Nacht hatten sie durchtanzt, selbst als die anderen Gäste alle längst verschwunden waren. Wie sehr hatte sie es genossen, in seinen Armen durch den Raum zu wirbeln. Frances war ein fantastischer Tänzer gewesen. Wenn sie in sich hinein hörte, konnte sie noch immer die Klänge ihres Brautwalzers vernehmen. [FONT="]Wie glücklich war sie doch einmal gewesen. Nein, sie durfte nicht ungerecht sein, sie war es immer noch.

[/FONT] Und deshalb hatte sie entschieden, diese für ihre Familie so wichtige Dinnerparty hier stattfinden zu lassen. Sie hoffte, die Atmosphäre und der Zauber, den dieser Raum einst auf sie ausgeübt hatte, würden auch bei ihrem Sohn ihre Wirkung nicht verfehlen.
Sie hatte Tische und Stühle von Blandfort Manor herbringen lassen und persönlich die Arrangements überwacht. Jetzt musste sie sich nur noch einmal abschließend über die Sitzordnung Gedanken machen. Nicks seltsame Anwandlung, diesen unbekannten Niemand einzuladen, brachte ihr sorgsam zusammengestelltes Gefüge vollkommen durcheinander. Wo sollte sie diese Person nur platzieren, wenn es ihr nicht in letzter Minute gelang, es Nick auszureden? Sie konnte doch unmöglich einen ihrer alten Freunde ihretwegen vor den Kopf stoßen.
[FONT="]Hmh, was für eine verzwickte Angelegenheit! Wenn sie sich doch nur besser konzentrieren könnte!

[/FONT][FONT="]Aber an diesem Morgen war das leichter gesagt als getan. Der Schock der vergangenen Nacht saß ihr noch immer in den Gliedern. Wenn sie vom Fenster aus in den Garten blickte, hinunter zum Pool, lief es ihr immer wieder kalt den Rücken herunter. Dieser verfluchte Pool! Schon das zweite Mal, dass er versuchte, ihr eines ihrer Kinder zu nehmen. Und immer dann, wenn sie nicht anwesend war. Seit ihrer Rückkehr nach Blandfort Manor hatte sie die Erinnerung an Nicks Unfall erfolgreich verdrängt. Jetzt sah sie das Bild wieder vor sich. Wie sie nach Hause gekommen war und Frances ihr tropfnass und totenbleich entgegenhastete, auf dem Arm ihren bewusstlosen Sohn. Die bangen Stunden im Krankenhaus, vor dem OP, Frances, der immer wieder aufsprang, hin und herlief und sich die wildesten Vorwürfe machte und ihre eiserne Ruhe nicht verstand. Dabei waren es nur blankes Entsetzen und furchtbare Angst gewesen, die sie regelrecht auf ihren Stuhl klebten, ihre anerzogene Selbstbeherrschung, die sie nicht den Verstand verlieren ließ, auch nicht während der drei grausamen Wochen, die ihr Sohn im Koma gelegen hatte.

[/FONT] Nicht im Traum wäre ihr in den Sinn gekommen, ihren Mann für Nicks Unfall verantwortlich zu machen. Der Junge war ein ziemlich wildes Kind gewesen, unruhig und unbelehrbar. Kein Risiko schien ihm zu hoch zu sein. Daran konnte nicht einmal der Unfall etwas ändern. Nachdem sie ihn trotz des Verbotes wieder im Pool erwischt hatte (wollte dieser Dummkopf doch tatsächlich einen Kopfsprung vom Brett ausführen, weil sein Vater stolz auf ihn sein sollte!), da war ihr nichts anderes übrig geblieben, als ihn fortzubringen. Zu eindeutig waren die Warnungen der Ärzte gewesen. Gott, diese endlosen Diskussionen mit Frances, der nicht begreifen wollte, dass es an ihnen war, den Jungen vor sich selbst zu schützen!
[FONT="]Erst der so unerwartet frühe Tod seines Vaters hatten Nick verändert, ruhig werden lassen, zu ruhig vielleicht. Sein ganzes weiteres Leben war nur noch geprägt von selbstgewählter Verantwortung und Pflicht, ihr und Bella gegenüber und für seine Arbeit. War ihr Junge glücklich? Cressida sagte, nein.

[/FONT] Catherine zuckte zusammen und spähte erneut zum Fenster hinaus. Was war denn das?
Sie schon wieder, dachte sie, nachdem sie das Mädchen erkannt hatte, das ihr Sohn dort am Pool erst in seine Arme nahm und dann küsste. Hatte sie ihre Ahnung also gestern nicht getrogen, Nick war tatsächlich verliebt. Verliebt in diese Frau. Arme Caroline. Wie hatte sie sich nur in seinen Gefühlen so täuschen können. Catherine konnte sich nicht daran erinnern, jemals eine ähnliche Situation zwischen Nick und ihrer Wunschschwiegertochter beobachtet zu haben. Selbst Bella gegenüber benahm er sich unbefangener und zärtlicher.
Catherine zog sich vom Fenster zurück und eilte die Treppe hinunter.
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