„T-Takeo...“, wisperte das Mädchen, unsicher, ob sie zu dem Jungen eilen sollte und damit der Gegnerin eine geeignete Zielscheibe liefern würde oder aber, sich selbst so gut es eben möglich war vor den wahrscheinlich nicht lange auf sich wartenden Angriffen zu schützen.
Es entschied sich für die erste Möglichkeit. So oder so würde es unterliegen, doch wollte Saiori dabei nicht untätig und nutzlos sein. Doch Takeo rief ihr eine Warnung zu, als sich seine Sinne wieder regten, mahnte das Mädchen, sich nicht von der Stelle zu rühren, dass dies ganz allein eine Angelegenheit zwischen ihm und der in Fleisch und Blut dastehenden Finsternis war.
Hinterhältig lächelte eben dieses Wesen in sich hinein.
So so...dir liegt also mehr an diesem Mädchen als an dir selbst.
Langsam hob Waoku erneut ihre Hand und deutete unheildrohend in die Richtung des Jungen, der einer Ahnung folgend sofort in einem Reflex vom Bett sprang und mit federnden Gelenken auf den Angriff wartete.
Doch da erkannte er, wer da wirklich vor ihm stand.
„Du...! Du warst es, die mir in dem Wasserspiegel begegnet ist“, stellte Takeo verbittert fest.
„Und du bist diejenige, die nach meinem Leben trachtet. Du hast das Feuer gelegt!“
Zuerst schienen diese Anschuldigungen auf Waoku Wirkung zu zeigen, doch dann lächelte sie erneut, wobei der Teufel höchstpersönlich hätte aus ihr sprechen können.
„Anscheinend habe ich mich doch nicht in dir getäuscht, Junge. Das Erbe deiner Vorfahren fließt noch immer in dir...und damit meine ich nicht nur deine Intelligenz“, erwiderte ihm Waoku gehässig und beobachtete die Aura des Jungen, die allmählich eine Silhouette annahm, sich tiefrot färbte und diese Veränderung auch in Takeos Augen widerspiegelte.

„Genau...deswegen bin ich hier. Die Gaben deines Clans sind unbezahlbar und nicht weit verstreut. Genauer gesagt, bist du der Einzige mit diesen Augen und dein Bruder besitzt ebenfalls eine für mich unverzichtbare Kraft, allerdings ist diese hier von ganz anderer Natur als seine...“, sagte Waoku theatralisch, während sich in ihrer Hand erneut wabernde Energie sammelte und sich um eben diese drehte wie der Mond als Trabant die Erde.
„Und da du nun leider zu aufmüpfig bist, dich mir sofort zu beugen, muss ich da wohl leider ein wenig nachhelfen....Takeo!“
Noch während der Name nachhallte, stürzte sich Saiori aus dem Hintergrund auf das für sie fremde und doch auf seltsame Art vertraute Wesen.
Sie wusste nicht, warum sie es tat.
Vielleicht lag es in ihrer Natur.
Vielleicht wusste Saiori aber auch tief in ihrem Inneren, dass sie das Richtige tat.
Für sich. Und für Takeo.
Keuchend blieb Daichi hinter der Brücke stehen und stemmte sich auf seine Oberschenkel, während er den Schweiß von der heißen Stirn mit einer Hand fortwischte. Den schnellen, pochenden Pulsschlag im Ohr, lief er schließlich angsterfüllt weiter.
Jede Sekunde, die er mit einer Pause vergeudete, konnte die letzte sein, nicht für sich, aber für Takeo. Und Saiori.
Nach anscheinend ewiger Zeit erreichte er schwer atmend die Treppe zu der kleinen Veranda, neben der ein kleiner, alter und längst vergessener Schrein stand.
Wenn das hier alles glatt läuft, bekommst du auf jeden Fall einen neuen Anstrich...oder zumindest eine Staubwedelaktion.
Doch noch im Lauf musste Daichi lächeln, als er die frischen, rotorangen Blüten sah, die an einer Seite des kleinen Zauns standen.
Saiori...

„Saiori!!!“
In einem Sekundenbruchteil, der selbst für Takeos Augen nur kaum wahrzunehmen war, hatte Waoku die Energiemasse einmal um sich selbst gezogen und dann in Richtung Saiori geschleudert, die durch den riesigen Druck plötzlich herumgeschleudert wurde.
Wie ein Kometenschweif flog das Mädchen durch das Zimmer, fing sich dann jedoch trotz der geballten Kraft der Feuerelbin und setzte schlitternd am anderen Ende des Zimmers mit beiden Beinen und einer Hand auf.
Polternd fielen einige Bücher aus dem kleinen Regal hinter ihr, als Saiori mit dem Rücken dagegen stieß.
Doch trotz aller Schmerzen, unter anderem die, die von der Hand herrührten, die durch die starke Reibung am Boden nun zu glühen schien, richtete sich das angeschlagene Mädchen langsam wieder auf.

Draußen hatte es schon seit einiger Zeit angefangen zu regnen und Daichi war erleichtert, endlich die Tür hinter sich zumachen zu können, welches er bewusst leise tat. War wirklich der Feind im Haus, wie ihm Aiko erst noch über das Handy kurz vor Erreichen des Krankenhauses mitgeteilt hatte, so musste vorsichtig gehandelt werden.
Besonders, wenn „Sie“ es war.
Triefend vor Regennässe drehte sich Daichi langsam um und musterte die kleine Halle, jedoch ließen sich trotz der spürbaren Aura keine Schäden feststellen.
Seltsam. Ich dachte, sie hätte Saiori hier unten abgefangen...
Doch da konnte er auch schon das Poltern von überhalb hören, in das sich zu seinem Schrecken und entgegen seiner Hoffnung, dass Waoku doch nicht hier war, auch noch Geschrei mischte.
Und zum zweiten Mal eine mächtige, dunkle Aura.

Siehst du mich, hörst du mich,
was hab ich dir getan, warum zerstörst du mich?
Takeo konnte seinen Augen nicht trauen, konnte, nein, wollte nicht begreifen, was da geschah wie in Zeitraffer, nur ungemein schneller und grausamer.
Die Luft erzitterte, erst allmählich, dann mit gewaltiger Wucht, als das Mädchen, von dem er dachte, dass er es so gut kannte nach all den Jahren, sich langsam gänzlich aufrichtete und den Blick freiließ auf ihr Gesicht.
Erkennst du mich, verstehst du nicht,
warum bist du überhaupt noch hier, was willst du noch von mir?
Aus einigen tieferen Kratzern floss zäh das Blut in kleinen Rinnsalen an verschiedensten Stellen in dem Gesicht Saioris. Doch das war noch nicht das schlimmste. Ihre Augen glimmten milchigweiß und leer ins Zimmer, während sich die Aura des Mädchens langsam verdichtete.
Aber sie war nicht elfenbeinweiß. Schwarz wie die Nacht waberte sie um das Mädchen herum, wie ein Schatten ihrer Selbst.
Und das war sie nun im Grunde auch.
Ein Schatten, abgrundtief.

„Ich wusste es doch...dieses Mädchen ist infiziert!“, jubelte die Feuerelbin am anderen Ende des Raumes triumphierend, während Takeo noch immer fassungslos in die andere Richtung starrte und vor Schock zusammensackte.
„Steh auf!“, fluchte nun Waoku und fasste Takeo mit festem Griff, „Du wirst mir gehören“.
Doch plötzlich wirbelte sie herum. Nicht zu Saiori. Ein neuer Kontrahent stand am Treppenabsatz.
„Wage es dich...!“, rief Daichi zornentbrannt und seine Hand erstrahlte lodernd weiß wie ein Leuchtturm, der das Dunkel erhellte.
Und die Trance Saioris durchbrach.
„Ich hoffe, das war nicht zu spät...“, wisperten Takeo und Daichi wie aus einem Munde, während das Mädchen, verlassen von der unheimlichen Kraft, in sich zusammensackte.