Entsetzt schloss das Mädchen seine Augen. Wollte sich verschließen, sich verstecken, nicht gesehen werden. Genauso wie das alte Kinderspiel.
Wer nichts sehen kann, wird auch nicht gesehen, von niemandem, ist unsichtbar.
Doch dies wollte für Saiori nicht wahr werden.
Bitter öffnete sie zuerst ganz leicht, dann entschlossen die Augen, als plötzlich eine Kälte an ihr emporkroch. Immer schneller, genauso wie die Farben aus ihrer Welt verschwanden, der Dunkelheit ergeben den Platz gaben.
Es ist...wie damals. An diesen einen Abend, als „es“ passierte...
„Damals, als der Junge zu euch, zu dir kam, ist es nicht so, Mädchen?“
Wer?!
Saiori wirbelte vor Schreck herum. Oder war es eher diese unheimliche Macht, die sie dazu bewegte?
Diese unheimliche Macht, die gerade erst alles tot und unwirklich hatte erscheinen lassen und nun auch von ihrem Körper Besitz ergreifen zu schien. Doch diese Kraft hatte ein Gesicht, rot, blutrot, umrahmt von schwarzem, widerspenstigen Haar, welches Saiori nun mit einem süffisanten Lächeln musterte.
Aber dies war noch nicht das Unheimlichste an dieser ganzen Situation.
Das schlangengelbe Glimmen in den Augen dieses Wesens schien Saiori geradezu in seinen Bann zu ziehen, je länger sie in diese Augen starrte.
Jedoch kam dem Mädchen dieses Funkeln bekannt vor.
Es musste es schon einmal gesehen haben, sonst käme ihr diese Dunkelheit nicht so vertraut vor.
„Na, komm schon, so dumm bist du doch nicht. Oder stellst du dich gerade nur dumm?“, sprach das Wesen in einem Singsang, der zunächst noch ziemlich friedfertig klang, während sie langsam auf Saiori zuging.
„Oder hast du es etwa schon wieder vergessen...Saiori?“
Ihr Name klang mit dieser Zunge gesprochen wie etwas Falsches, etwas längst Vergessenes, was nie mehr das Tageslicht erblicken sollte.
„Wer...was bist du überhaupt?“, stotterte das Mädchen stattdessen, als das Wesen nun immer näher auf es zukam.
Doch nicht nur das Wesen kam näher auf Saiori zu.
Das Verderben schien mit ihm einher zu schreiten, nahm mit jedem Schritt mehr und mehr die Hoffnung Saiori’s.
Und dann...
„Was...?!“, keuchte Saiori schwer, als sie plötzlich mit aller Kraft auf den Boden gedrückt wurde und sich all ihrer eigenen Kraft beraubt fühlte.
Mit der Wange gegen den Holzboden gepresst versuchte sie, einen Blick auf das Wesen vor ihr zu erhaschen, doch das war schon nicht mehr nötig. Denn wie von Zauberhand schwebte Saiori kurz in der Luft, knapp überhalb des farblosen Bodens, den sie auch sofort wieder unter ihren Fingern spürte, als sie wie erstarrt auf die schwarze, wabernde Masse ihr gegenüber blickte.
Eine schwarze Materie, die sich zwar in der Handfläche des unheimlichen Wesens befand, dennoch aber nicht an der Hand haftete, sondern mit leichten, pulsierenden Bewegungen hin- und herzuckte, wie ein lebendes und atmendes Wesen.
„Waoku...so ist mein Name. Merke ihn dir, Mädchen“, antwortete ihr das Wesen vor ihr mit einem gehässigen Grinsen. Es hätte nicht gedacht, dass dieses Mädchen doch so schwach war und sich schon von simpler Magie in die Knie bringen lies.
„Saiori! Wo bleibst du denn?“, rief Takeo ungeduldig die Treppe hinauf.
Zuerst hatten Hana, er und die anderen noch auf Saiori auf der anderen Seite des Flusses gewartet, doch nach nun nunmehr fünf Minuten hatte sich Takeo dazu bereit erklärt, nach Saiori zu schauen, während der Rest schon mal vorgehen würde.
Missmutig stand er nun da und wartete auf eine Antwort, doch es kam keine. Und nicht nur das, auch all die anderen, üblichen Geräusche schienen verschwunden zu sein, denn Takeo konnte weder von draußen noch von oben einen Laut hören.
„Saiori...? Was machst du denn noch da oben?“
Doch statt erneut auf eine Antwort zu warten, nahm der Junge nun selbst die Initiative in die Hand und ging die Treppe hinauf.
Das Geländer...ist so...kalt, ging es ihm durch den Kopf, als er ruckartig die Hand wieder vom selbigen nahm.
Aber nicht nur das Geländer schien kälter zu werden. Allmählich verschwand auch die Wärme der Umgebung und der der Farben aus seinem Sinnesfeld, je höher er ging.
„Saiori? Ich bin es nur, Take-“
Doch die letzte Silbe blieb ihm unverhofft im Halse stecken und er zog scharf die Luft ein, als er am Ende der Wendeltreppe ankam. Trotz festen Bodens schien Takeo zu wanken und drohte, den Halt zu verlieren, jedoch bekam er erneut das Treppengeländer zu fassen und zog sich wieder nach vorne.
„Du...!“, hauchte Takeo nun fassungslos, als er das fremdartige Gesicht erblickte, welches ihn mit unverhoffter Glückseligkeit musterte, so, als ob es etwas längst Verlorenes wiedergefunden hatte.
„Takeo, bitte, verschwinde!“, rief Saiori, immer noch geschwächt von der unbekannten Macht, dem Jungen zu.
„Warum sollte er denn, Mädchen? Er ist es doch, den ich wirklich gesucht habe...und nun läuft dieser dumme Junge mir doch glatt von selbst in die Hände!“, fauchte Waoku mit Drohgebärden in den Raum, der leicht zu erzittern schien, als die lauten Klänge verhallten.
„Er ist nicht...dumm“, stellte Saiori mit noch gefasster Stimme fest, „ und er gehört auch nicht dir. Er wird es nie tun!!!“
Erschrocken wich die Feuerelbin zurück, als erneut fremde Mächte pulsierten. Doch dieses Mal waren es nicht ihre eigenen, sondern die von dem Mädchen ihr gegenüber, welches plötzlich innerlich zu wachsen schien.
„Verschwinde einfach, wer oder was auch immer du bist! Du gehörst hier nicht hin!“
„Du bist nicht nur naiv, nein, du bist außerdem noch dumm. Dumm genug, nicht zu glauben, dass weder du noch er dort hierhin gehören“, setzte dem Mädchen Waoku entgegen.
Zum zweiten Mal hob Waoku nun ihre Hand, ließ erneut einen Bruchteil ihrer Macht aufflackern.
„Das wirst du nicht tun!“
Takeo wusste nicht mehr, was er da genau tat und was es für Konsequenzen haben würde, als er sich schützend vor Saiori stellte, doch konnte er nicht Unschuldige mit in diese Angelegenheit ziehen. Er war es schließlich, den dieses Wesen aus purer Dunkelheit wollte, nicht das Mädchen hinter ihm.
Doch die Feuerelbin grinste nur maliziös und mit einem Wink galt ihre Magie nun Takeo, der plötzlich vom Boden gerissen und mit voller Wucht gegen die Wand hinter ihm geschleudert wurde.
Der Aufprall ließ Takeo schmerzerfüllt aufstöhnen, raubte ihm kurzzeitig die Sinne und ließ ihn auf dem Bett unter ihm zusammensacken.
Ein Schrei und ein erschütterndes Lachen war das Nächste, was der Junge hörte.