24. August 2006
Dear Mr. Diary,
gerade habe ich den letzten Eintrag vom Dezember gelesen – der letzte Satz (also das dort Geschriebene) hatte einige Auswirkungen, wie ich bald festgestellt habe... mein Sohn wurde wohl in dieser Nacht gezeugt, ob du's glaubst oder nicht! Noch hat er das Licht der Welt nicht erblickt, aber in weniger als fünf Wochen wird es wohl soweit sein. Kannst du dir meine Kreuzschmerzen vorstellen?!
Und noch eine Neuigkeit: seit geschlagenen vier Tagen trage ich nicht mehr meinen Mädchennamen! Chris hat es tatsächlich gewagt, mich trotz meiner walrossähnlichen Figur zu ehelichen, und er wollte es unbedingt an meinem Geburtstag tun. Ich bin soooo froh, dass Sheila mir geholfen hat, in mein Kleid zu kommen. Und dann hat sie mich auch noch total hübsch geschminkt! Das Ergebnis hat mich selbst am meisten überrascht! (Oh, und Sheila trug am Wochenende das erste Mal Kontaktlinsen! Sie hat blaugraue statt brauner Augen, ist mir vorher nie aufgefallen. Cool!)
Lionel hatte uns seinen Garten für die Hochzeit angeboten, und er war wirklich perfekt für diesen Tag! Und obwohl wir eine ganz kleine Hochzeit gefeiert haben, hätte die Menge bei Weitem nicht in seine Wohnung gepasst! (Meine hab ich schon vor drei Wochen gekündigt; ich werde nach meinem Mutterschaftsurlaub in Chicago eine Stelle suchen.) Unsere Eltern waren da, und natürlich Sheila und Lisa sowie Lionel und seine Familie.
Als Pfarrer durfte ja mein Vater uns trauen, sodass wir wirklich ganz unter uns waren und keine Fremden in das Geschehen mit einbeziehen mussten (schlimm genug, wie die Tante beim Standesamt andauernd auf meinen Bauch geschielt hat!). Wobei ich bei Chris' Anblick und seinen sanften Worten sowieso kaum etwas um mich herum wahrgenommen habe.
Als er mich dann unendlich zärtlich geküsst hat, ist tatsächlich alles um mich herum verschwommen.
Kann das alles wirklich wahr sein, Mr. Diary? Habe ich jetzt, mit dreißig Jahren, doch noch das große Glück gefunden? Ich hatte die Hoffnung ja schon aufgegeben... und nun bin ich gleich verheiratet! Was, wenn ich es doch überstürzt habe? Aber ein Leben ohne Chris ist für mich so schnell undenkbar geworden... ich bin sicher, dass ich mich richtig entschieden habe. Definitiv!
Zum Mittag gab es – halt dich fest! – echten Hummer aus Vermont!! Das muss soooo wahnsinnig teuer gewesen sein! Aber Chris' Eltern haben wohl ein kleines Vermögen, wenn ich das richtig mitbekommen habe. (Ja ja, da habe ich mir wohl echt einen "Prinzen" geangelt.) Und alle haben sie mit Champagner auf unser Glück angestoßen – zu blöd, dass ich nicht mittrinken durfte! Dafür hat Virginia wohl ganz schön tief ins Glas geschaut, denn sie war noch aufgedrehter als sonst!
Und es war schön, mal wieder mit meiner Familie zusammen zu sein, muss ich zugeben. Virginia hat mir alles von ihrem neuen Freund Derek berichtet und angedroht, dass es vielleicht bald wieder eine Hochzeit geben würde. Mama und ich glauben da nicht so dran, aber wir wollen ihr ja nicht die Hoffnung nehmen.
Während des Essens habe ich immer wieder mit Chris geschäkert, so glücklich war ich. Nebenbei hat seine Mutter mir ganz viele peinliche Anekdoten aus seiner Jugendzeit erzählt, bis er mir bei jeder fiesen Bemerkung meinerseits ein Stück Kartoffel oder Gemüse in den Mund geschoben hat, damit ich damit aufhörte. Hat mich natürlich noch viel mehr angestachelt...
Siehst du, Mr. Diary... selbst ein so langweiliges Leben wie meines kann so tolle Höhepunkte haben. Ich bin sicher, diesen Tag werde ich niemals vergessen!
Am Ende haben wir uns alle für ein Hochzeitsfoto versammeln, was gar nicht so einfach war, weil die meisten von uns (natürlich außer mir, hrmpf!) viel zu angeheitert waren. Beim einzigen halbwegs vernünftigen Foto, was am Ende rausgekommen ist, gucke [u]ich[/i] nun nicht in die Kamera! Aber na ja, ich habe ja noch die Brautfotos – und irgendwie mag ich das Gruppenbild total gerne. Ich klebe dir auch einen Abzug rein, Mr. Diary.
Vorne sind natürlich Chris und ich und unser Sohnemann in meinem Walrossbauch. Neben mir stehen Virginia (das heißt, sie schwankte eher!) und meine Eltern, und neben Chris seine. Hinten links sind Lisa und Sheila, und daneben Lionel und seine Familie (und der Hund, dessen Namen ich schon wieder vergessen habe).
Eine tolle Hochzeit, Mr. Diary!
*****
Tja... mehr Einträge hatte ich nicht mehr gemacht. Als Sam auf die Welt kam, war ich viel zu beschäftigt, um noch einen Gedanken an Mr. Diary zu verschwenden. Und jetzt habe ich ja Chris, dem ich alles erzählen kann.
Aber ich bereue es nicht, dass ich damals alles aufgeschrieben habe. Würde ich mich sonst wirklich noch an jedes Detail erinnern? So viele neue schöne Dinge sind seitdem passiert – ich glaube, da geht das ein oder andere schon mal unter. Deswegen habe ich ja auch angefangen, für Sam ein Scrapbook anzulegen, um keine Minute seines Lebens zu verpassen.
Nachdem ich Mr. Diary ins Regal zurückgestellt habe, nehme ich den nach mir schreienden Sam auf den Arm. Er hat es schon jetzt faustdick hinter den Ohren, und wenn er seinen Dackelblick aufsetzt, kann ich ihm genauso wenig abschlagen wie meinem Mann.
Lionel arbeitet nur noch drei Tage die Woche, sodass Sam zwei Tage die Woche allein mit ihm verbringt und sich allen möglichen Unsinn abschaut. Ich habe eine Stelle als Grundschullehrerin ganz in der Nähe gefunden und kann die meisten Nachmittage mit ihnen gemeinsam verbringen. Noch sieben Monate, dann werde ich erneut in den Mutterschaftsurlaub gehen.
Ich bin so unendlich glücklich...
~ Happy End ~