Beiträge von Innad

    Liebe Rivendell,


    toll waren die FS! Gerade in der letzten hast Du Ayleens traurige Stimmung so gut rübergebracht, finde ich. Auch so mit dem letzten Abendessen und so weiter. Ich bin gespannt, wie es für Venus auf der Uni sein und weitergehen wird. SO langsam wird es dann wohl stiller im Hause Lawson!


    Was Dein Problem mit den Sims angeht - ich würde mal ganz laifenhaft einfach das grundstück packen, also incl Sims, dann hast Du sie erstmal sicherer.

    Hallo liebe Nery!


    Jetzt komme ich auch endlich dazu, hier weiterzulesen! Und ich bin so begeistert, das ist sooo spannend! Und Deine Kulissen - atemberaubend!
    Nun verstehe ich also ein Stückweit, was der Fluch ist. Allerdings noch nicht, wieso er ausgelöst wurde.


    Ich könnte mir vorstellen, dass wir bald wieder einen zeitsprung zu erwarten haben! Ich hoffe ja immer noch sehr, dass Patrick nicht sterben muss :( Der arme Kerl kann doch absolut nichts für das, was geschehen ist vor hunderten ovn Jahren! :misstrau


    Ich bin sehr gespannt auf die Fortsetzungen!!!! Ganz großes Kino!

    Liebe Kiara,


    ich lese immer noch fleissig mit, nicht das Du denkst, ich sei verschollen ;) oder nicht mehr dabei.


    Ich finde das sehr faszinierend mit dem Übergang nach Merlaron, es tun sich immer mehr Handlungsstränge auf, Du machst das echt toll. Was für eine Fantasie Du hast! Ich bin gespannt, wie es weitergeht für Tina und Co.! :)

    Die Uhr zeigte inzwischen weit nach eins. Langsam wurde die Angst zur Sicherheit.
    Wo sollte er um diese Uhrzeit noch sein? Alle Bistros und Cafés hatten sicher schon lange geschlossen, es war Werktag.
    Die Tränen, die sie so lange zurück gedrängt hatten, stiegen unweigerlich nach oben.



    Sie wehrte sich nicht mehr dagegen.
    „Oh Jess!“, schluchzte sie aufgebracht. „Jess, das kannst du mir doch nicht wirklich antun! Komm zurück! Bitte… bitte!“
    Diffuse Bilder stiegen in ihr auf, während sie schluchzend wieder und wieder durch die Wohnung tigerte und schließlich im Bad auf dem heruntergelassenen Klodeckel sitzen blieb und vor sich hin weinte.






    Es war schon einmal so gewesen!
    Sie hatte gedacht, diese Angst nie wieder spüren zu müssen. Hilflosigkeit. Verlorenheit.
    Verzweiflung.
    „Nein, ich schaffe das nicht noch einmal“, schluchzte sie in die leere des Badezimmers.
    „Nicht noch einmal!“





    Sie stand auf, doch ihre Beine wollten sie nicht mehr tragen.
    „Jess“, wimmerte sie, als sie in die Knie ging und leblos sitzen blieb. „Bitte… bitte komm zurück!“
    Es wurde kalt um sie. Der Zeiger der Uhr rückte weiter vor sich hin, unerbittlich und desinteressiert.
    Die Nacht schien schwärzer und schwärzer zu werden, während sie mutterseelenallein und zitternd auf dem kalten Fliesenboden saß und gegen die Ängste in ihrer Brust zu kämpfen versuchte, die von Minute zu Minute zur Gewissheit wurden.




    Er hatte sie verlassen. Erneut.




    Fortsetzung folgt.....

    Sie starrte nervös aus dem Fenster. Der Nebel war dichter geworden und schien Jess geradezu vor ihr verstecken zu wollen. Sie spürte, wie ihr Herz hart gegen ihre Brust zu schlagen schien, als sie daran dachte, wohin er möglicherweise gegangen sein mochte…



    „Nein, nein!“, rief sie aus. „Ich darf gar nicht daran denken!“
    Er war nicht dorthin gegangen, sicher nicht. Sie ging wieder im Zimmer auf und ab, als lenke sie die Bewegung von ihren düsteren Gedanken ab. Sie spürte ihr Herz weiter so hart gegen ihre Brust schlagen, dass sie meinte, es wollte jeden Moment heraus springen.



    Unruhig ging sie in die Küche, versuchte sich abzulenken, indem sie sich einen Tee kochte, ließ diesen aber unberührt stehen, öffnete noch einmal die Balkontür und starrte die Straße hinab. Weit konnte man durch den Nebel nicht mehr sehen. Nach einer Weile fühlte sie sich kalt und feucht und ging wieder ins warme Zimmer.
    Sie zitterte und obwohl ihr allmählich wärmer wurde, wollte das Zittern nicht aufhören.
    Ihr Blick wanderte wieder zur Uhr. Es war bereits elf.
    „Ich werde noch verrückt, wenn ich darüber nachdenke“, sagte sie zu sich selbst. Sie ging ins Badezimmer und ließ sich eine Wanne ein.



    Für einen Moment spürte sie, wie das warme Wasser sie zu entspannen begannen und die Wärme ihre Muskeln endlich dazu brachte, nicht mehr zu zucken und zittern, als habe sie ihnen einen Stromschlag verpasst.
    Wo konnte Jess nur sein? Sie starrte gedankenverloren in die aufsteigenden Blasen.



    Alle möglichen Gedanken begannen ihr durch den Kopf zu schießen, und es fiel ihr immer schwerer, sie zur Seite zu schieben.
    Was war mit den Hellows? Was, wenn er ihnen begegnet war?
    Was, wenn er doch zurück gegangen war… wenn die Sucht sich nach all den Monaten seiner bemächtigt hatte, weil die momentane Situation ihm zu schwierig gewesen war?
    Tessas Kehle fühlte sich an wie zugeschnürt. Trotz der Wärme des Wassers fühlte sie sich mit einemmal eiskalt.
    Was war, wenn ihm etwas geschehen war? Was, wenn er rückfällig geworden war?
    Oder die Hellows ihn doch erwischt hatten? Wer wusste schon, ob sie wirklich das Interesse an ihm verloren hatten? Wer wusste, in welche Gegend ihn sein verzweifelter Spaziergang geführt hatte?
    Tessa hatte das Gefühl, in dem warmen Wasser kaum mehr atmen zu können und stieg hastig aus der Badewanne.
    Für einen Moment schien sie ihre Gedanken wieder in den Griff zu bekommen. Sie musste Jess vertrauen. Vielleicht saß er nur in irgendeinem Café und dachte nach.
    Sie hüllte sich in einen leichten Hausanzug und starrte in ihr Spiegelbild.



    Als sie zurück ins Wohnzimmer kam, empfand sie es plötzlich als leer und kahl. Das war ihr in den all den Jahren, in denen sie hier gewohnt hatte, nie so vorgekommen.
    Lustlos schaltete sie sich durch einige Fernsehkanäle. Doch die Angst schlich immer wieder in ihr hoch und schien sie in festem Würgegriff zu haben.
    Müdigkeit stieg in ihr auf, doch sie kämpfte dagegen an. Wie sollte sie jetzt schlafen, ohne zu wissen, wo Jess war?
    Wieder stand sie auf und tigerte unruhig durch den Raum.

    Tessa sah ihn ärgerlich an. „Hör auf damit, Jess! Es ist okay, dass du verletzt und wütend bist, aber lass es gefälligst nicht an mir aus! Ich kann nichts für mein Leben!“



    „Ich halte das hier nicht mehr aus!“, rief Jess aus. „Jedesmal, wenn ich uns Essen einkaufe, muss ich daran denken, dass das nicht ich bezahle – nicht einmal du, sondern deine Eltern! Ich komme mir vor ein Bettler, ein Nutznießer!“
    Tessa schnaubte aus. „Ich verstehe nicht, dass du das nicht endlich mal aus deinem Kopf bekommen kannst!“, rief sie aus. „Im Moment geht es einfach nicht anders, verstehst du! Das ist alles nicht dauerhaft! Aber Entwicklung braucht Zeit, begreifst du das denn nicht?“



    „Ach! Hör auf mit deinen geschwollenen Reden!“, rief Jess aus. „Das klingt höchst akademisch, aber es nutzt nichts! Es ist so nicht gut, wie es ist! Ich… ich halte es hier dirn nicht mehr aus! Du verstehst mich nicht, für dich ist immer alles so einfach, so geradlinig!“
    „Ist es nicht!“, rief Tessa aus. „Aber du siehst immer schwarz wie sonst was! Hab doch etwas Vertrauen! Lass uns etwas Zeit! Du bist gerade mal vier Wochen nicht mehr in der Reha-Klinik und erwartest geradezu Wunder!“
    Jess schnaubte aus. „Du bist nicht meine Therapeutin, klar?? Was verstehst du schon davon?“



    Tessa schnaubte nun ebenfalls aus.
    „Hör auf, mich so anzuschreien! Du bist nicht im Recht, so verletzend zu sein! Ich kann nichts für deine Lage!“
    „Dann ist es wohl besser, wenn wir uns aus dem Weg gehen, was?“, schnauzte Jess sie an. „Wenn ich dir doch ohnehin nur auf der Tasche hänge, dich verletze, dich nerve und von deiner Arbeit abhalte!“
    Er winkte ab, als sie etwas sagen wollte. „Ich muss hier raus!“, rief er, drehte sich um und verließ das Wohnzimmer.



    „Jess!“, rief Tessa ihm hinterher. „Jess, nun bleib doch bitte hier!“
    Doch da fiel auch schon die Haustür mit einem gewaltigen Knall ins Schloss, der Tessa zusammenzucken ließ.
    Tessa stand zusammengesunken da und wusste nicht recht, was sie tun sollte. Als sie die Haustür unten ins Schloss fallen hörte, durchzuckte es sie und mit einer plötzlich aufwallenden Panik riss sie die Balkontüre auf und rief Jess, der gerade im Begriff war, die Straße hinab zu gehen, hinterher: „Jess!“
    Er drehte sich kurz um. „Was ist?“, gab er gereizt zurück.



    „Wo willst du denn hin?“, rief Tessa aufgeregt.
    „Weg, nur weg!“, gab er ihr zur Antwort, drehte sich um und verschwand schnellen Schrittes. Nur wenige Sekunden später hatte ihn der neblige, dunkle Abend verschluckt.
    Tessa stand einen Moment unbeweglich auf dem Balkon, dann fröstelte sie in ihrem dünnen T-Shirt und schloss zitternd die Tür hinter sich.
    Sie ging zurück zum Tisch und betrachtete aufgewühlt das halb fertige Mahl. Dann drehte sie sich zur Tür, durch die Jess verschwunden war, fast als hoffe sie, er käme wieder hindurch. Verwirrt seufzte sie auf und ließ die Schultern hängen.



    Wo wollte Jess jetzt nur hin? So einen schlimmen Streit hatten sie in den letzten Wochen noch niemals gehabt. Aber vermutlich hatte er nur einen klaren Kopf gebraucht und wollte einige Schritte um die vier Ecken gehen. Tessa seufzte. Vielleicht war es besser so. Sein aufgeregtes, gereiztes Gemüt würde sich wieder beruhigen und mit etwas Glück konnte man nachher ruhig über alles reden. Auch ihr tat die Auszeit nun wohl ganz gut, auch wenn sie innerlich sehr aufgewühlt und nervös war. Um sich abzulenken und zu beruhigen, begann sie, die Essensreste zusammen zu schieben und den Tisch abzuräumen.



    Nachdem sie auch die Küche gesäubert hatte, warf sie einen Blick auf die Uhr. Es war bereits nach acht, aber Jess war erst vor etwa einer Stunde gegangen.
    Ein schlechtes Gewissen erfasste sie. Vielleicht war sie zu hart zu ihm gewesen, selbst zu überreizt durch die ungewohnte Situation, die alles andere als einfach war. Aber immer wieder seine stillen Vorwürfe wegen ihrer Lebenssituation – wo er von eben jener im Prinzip doch selbst profitierte! Sie konnte sie Probleme verstehen, die er damit hatte, auf Kosten ihrer Eltern zu leben – zumindest zum Teil, denn immerhin bekam er selbst auch etwas Geld vom Sozialamt – aber es war doch von vorneherein klar gewesen, dass die ersten Wochen nur so zu überstehen waren!
    Tessa seufzte und wischte sich die feuchten Hände an einem der rauen Küchentücher ab. Es machte keinen Sinn, sich den Kopf zu zerbrechen. Jess war oft launig, und das war wohl aufgrund der Situation auch normal. Es war nur eine Frage der Zeit gewesen, bis es richtig zwischen ihnen krachen würde. Sie beschloss, sich abzulenken und weiter an ihrem Referat zu arbeiten. Doch noch weniger als vorhin konnte sie zur echten Konzentration finden.



    Immer wieder schwenkte ihr Blick zur Uhr, und je später es wurde, desto nervöser wurde sie. Schließlich hielt sie es nicht mehr aus, fuhr ihr Notebook herunter und ging unruhig im Zimmer auf ab und. Die Uhr zeigte bereits nach zehn. Wo war Jess nur hin verschwunden? Er konnte sich unmöglich bei dieser Kälte drei Stunden lang die Beine vertreten.

    Du, Jess…“, begann sie vorsichtig. „Was ist denn los? Ist irgendetwas besonderes vorgefallen heute?“
    Jess sah sie verständnislos an. „Etwas Besonderes?“ Sarkastisch sagte er: „Naja, wenn du so willst, heute Mittag kamen ein paar Jugendliche vorbei und haben die Mülltonnen unten auf der Straße umgetreten. Das war schon sehr aufregend, ja.“


    Tessa schwieg und biss sich nervös auf der Unterlippe herum.
    „Bist… du sauer?“, fragte sie dann schließlich.
    Jess sah sie wieder fragend an. „Was meinst du?“
    „Naja, ich meine ja nur… du bist so… seltsam. Schlecht gelaunt. Ich… ich weiß auch nicht.“



    „Das kommt dir nur so vor“, murmelte Jess abweisend und widmete sich wieder seinem Essen.
    Tessa drehte unruhig eine Nudel auf ihre Gabel und ließ sie wieder von eben jener gleiten. Sie warf einen Blick aus dem Fenster, es war schon lange dunkel geworden und die Lichter der Hochhäuser blitzten durch das Fenster herein. Ob das Zusammenleben für andere Menschen auch manchmal so schwierig war? Oder lag es nur an Jess´ besonderer Situation?
    „Hör mal“, begann sie wieder vorsichtig. „War wirklich nichts? Du redest kein Wort und…“
    „Nein, es war nichts“, schnitt Jess ihr das Wort ab.


    Tessa biss sich erneut auf die Lippen. Sie fühlte sich mehr als unwohl in ihrer Haut. Instinktiv war ihr klar, dass Jess nicht reden wollte. Auf der anderen Seite konnten sie doch nicht den Rest des Abends hier sitzen und sich wie die Stockfische anstarren!
    „Jess“, setzte sie noch einmal an. „Ich… ich finde dich heute wirklich ziemlich schlecht gelaunt, kann das sein?“
    Jess zuckte mit den Schultern und langsam riss Tessa der Geduldsfaden.
    „Du, hör mal, ich würde dir ja wirklich gerne helfen“, rief sie ratlos. „Aber du musst mir schon die Möglichkeit dazu geben, weißt du.“


    Jess schnaubte verächtlich aus und sagte dann patzig: „Du kannst mir ohnehin nicht helfen, also lassen wir das Thema einfach!“
    „Was meinst du denn?“, rief Tessa aus. „Was ist denn los?“
    „Was los ist? Du kommst hier geschäftig von deinem ach-so-tollen Unitag zurück und wunderst dich, wenn ich schlecht gelaunt bin, nachdem mir hier mal wieder den ganzen Tag die Decke auf den Kopf gefallen ist!“, schnaubte Jess wütend.


    Tessa seufzte. „Ach, Jess, das Thema hatten wir doch schon. Ich kann doch nichts dafür, dass ich was zu tun habe im Gegensatz zu dir.“
    „Du weißt gar nicht, wie gut du es hast“, sagte Jess säuerlich. „Ich würde gerne mit dir tauschen.“
    „Aber Jess, das ist doch kein Dauerzustand“, erwiderte Tessa. „Bald hast du auch einen Job, und im Januar fängt die Abendschule an, dann hast du mehr als genug zu tun. Außerdem hältst du hier so toll sauber und ordentlich, so hat die Wohnung noch nie ausgesehen. Und du kochst so leckere Sachen wie das hier.“
    Jess wies verächtlich auf den leeren Teller.
    „Das findest du also eine tolle Beschäftigung?“



    „Nun, es ist zumindest eine“, erwiderte Tessa und merkte, wie sie allmählich selbst säuerlich wurde. „Hör mal, Jess, ich kann nichts dafür, dass es im Moment so ist, wie es ist. Du kannst mich nicht dafür verantwortlich machen, nur weil ich ein geordnetes Leben habe und du nicht.“


    Sie biss sich im selben Moment auf die Lippen, wie ihr die Worte entschlüpft waren.
    Jess schnaubte aus. „So siehst du das also!“, rief er und schob den Stuhl zurück. „Ich hab´s mir gedacht!“
    „Nein, so hab ich das nicht gemeint, das weißt du. Ich wollte damit nur sagen, dass… ich würde dich auch etwas wünschen, dass dich mehr fordert, aber es ist nicht richtig, dass du mir ein schlechtes Gewissen machst, weil ich das habe, was du dir wünschst… Hör mal, ich weiß, du hast heute sicher wieder keinen Job gefunden, aber du musst nur noch etwas Geduld haben. Du wirst schon etwas finden, da bin ich sicher“, sagte sie zuversichtlich und versöhnlich.
    Doch Jess schnaubte nur und trat zu ihrem Entsetzten wütend an den Stuhl, der bedenklich zu wackeln begann. Dann raufte er sich die Haare.
    „Das sagst du so einfach! Immer sagst du sowas, dabei hast du überhaupt keinen blassen Schimmer, wie es wirklich ist!“


    Tessa stand nun ebenfalls auf und ging auf ihn zu.
    „Hör auf, Jess“, sagte sie nun mit fester Stimme. „Du reagierst gerade völlig über! Krieg dich bitte wieder ein!“
    Jess jedoch blieb weiterhin wütend und ging aufgeregt im Zimmer auf und ab.
    „Du weißt gar nicht, wie das ist!“, stieß er hervor. „Immer wieder anzurufen, immer wieder diese Absagen zu erhalten, sobald die Frage nach dem Lebenslauf gestellt und von mir wahrheitsgemäß beantwortet wurde!“ Er drehte sich zu ihr herum.
    „Es ist, als sei ich lebendiges Gift!“, rief er aufgebracht. „Gift, verstehst du! Ich bin nach wie vor der Abschaum der Gesellschaft, ob clean oder nicht!“


    Tessa schluckte, sie wusste nicht recht, was sie erwidern sollte.
    „Ich kann mir vorstellen, wie schwer das sein muss…“, setzte sie schließlich an.
    Jess fuhr herum. „Ach ja? Woher willst du dir das vorstellen können? Du hast immer ein behütetes Leben gehabt, du weißt nicht, wie es ist, auf der untersten Stufe der Gesellschaft zu stehen!“

    Kapitel 90
    Eiskalte Angst


    Die ersten Wochen gemeinsam mit Jess verliefen ruhig und weniger problematisch als Tessa es je für möglich gehalten hätte. Die beiden genossen ihre Zweisamkeit in vollen Zügen. Zuerst war es etwas seltsam für Tessa gewesen, Jess ständig um sich zu haben – aber nie unangenehm oder gar störend, ganz im Gegenteil.
    Da sie selbst noch Semesterferien hatte, konnte sie jeden Tag von morgens bis abends mit Jess gemeinsam verbringen. Es war, als holten beide so vieles von dem, was sie in den letzten Jahren nie gehabt hatten, in Siebenmeilenschritten nach.
    Vor allem genossen sie es, jeden Abend nebeneinander einzuschlafen und am folgenden Morgen wieder eng aneinandergekuschelt aufzuwachen.



    Sie versuchten vorsichtig und behutsam, sich aneinander zu gewöhnen und sich die Vorlieben und Abneigungen des anderen bewusst zu machen. Bei Jess war dies nicht allzu schwierig – er war schon so lange von einem „normalen Alltagsleben“ entfernt gewesen, dass er kaum eigene Gewohnheiten hatte. Ab und an wurde er immer wieder einmal etwas missmutig und gereizt, doch die Launen hielten sich in Grenzen, denn auch er genoss es viel zu sehr, seinen Tag mit Tessa zu teilen und sie nicht ständig vermissen zu müssen.
    Doch dann holte beide schließlich doch der Alltag ein, als der Oktober sich dem Ende zuneigte, die Bäume ihre bunten Blätter zunehmend von sich warfen und für Tessa die Uni wieder anfing.


    Sie hatte noch einiges nachzuholen, denn in den Ferien hatte sie zuerst durch das Praktikum, dann durch ihre Bedenken und Unsicherheiten und später durch Jess viele Dinge nicht erledigen können und musste sich nun oft auf den Hosenboden setzen, um die Fristen für die noch zu erledigenden Referate und Hausarbeiten auf keinen Fall zu überziehen.
    Jess war nun fast den ganzen Tag allein in der Wohnung, denn auf Tessa wartete das letzte Semester vor den gefürchteten Zwischenprüfungen, und sie musste viel Zeit in Vorlesungen, Kolloquien und Seminare investieren – und nebenbei büffelte sie die meiste Zeit in der Bibliothek. Nicht nur, weil die Recherche so oft viel leichter fiel… sie musste zugeben, dass sie zu Haus nun kaum mehr die nötige Ruhe fand, wo Jess sich ebenfalls im Wohnzimmer aufhielt und sie durch seine Anwesenheit ablenkte, egal wie sehr er sich bemühte, es nicht zu tun.
    Jess derweil besuchte ein- bis zweimal die Woche seine Therapeutin, die ihre Praxis nicht weit von Tessas Wohnung hatte. Es schien ihm zwar gut zu tun, doch je weiter der Herbst fortschritt, desto frustrierter wurde er. Jeden Tag durchforstete er die Zeitungen nach Stellenangeboten und telefonierte sich die Finger wund – in der Regel ohne Erfolg. Selbst die einfachsten Nebenjobs schienen nicht „geeignet“ für ihn zu sein.
    So war es kein Wunder, dass Tessa an diesem frühen Novembernachmittag mit unwohlem Gefühl ins Wohnzimmer kam und Jess mal wieder mit der Zeitung in der Hand auf der Couch vorfand.


    „Hallo“, sagte sie behutsam. „Ich bin wieder zurück.“
    Jess sah auf und klappte die Zeitung zusammen. „Du bist recht früh“, stellte er mit einem Blick auf die Uhr fest. „Ist dein Seminar ausgefallen?“
    Tessa nickte. „Ja, der Dozent ist krank. Aber ich war noch ein bisschen in der Bibliothek, sonst wäre ich früher gewesen. Wie war dein Tag?“
    Jess sah sie mit gefährlicher Ruhe an und sagte dann scheinbar unbekümmert, die Zeitung immer noch in der Hand.
    „Ganz nett, vielen Dank.“


    Tessa schluckte und sah ihm nach, wie er die Zeitung fein säuberlich zusammenfaltete und in den Papierkorb warf, dann in die Küche ging und anfing, die Zutaten fürs Abendessen aus dem Kühlschrank zu nehmen.
    Mit stoischer Ruhe begann er, die Zwiebeln kleinzuhacken, während Tessa unschlüssig neben ihm stand und nicht recht wusste, was sie sagten sollte.
    „Ist alles okay?“, fragte sie schließlich kleinlaut und Jess brummte nur ein mehr oder weniger überzeugendes „Klar doch.“
    Da Tessa nicht recht wusste, was sie daraufhin sagen sollte, meinte sie vorsichtig: „Ich hab noch ein-zwei Dinge für die Uni zu erledigen. Stört es dich, wenn ich das mache, bis das Essen fertig ist?“
    „Nein, kein Ding“, erwiderte Jess nur knapp und beschäftigte sich weiter mit seiner Spaghettisauce.



    Unsicher öffnete Tessa die Tür und ging zurück ins Wohnzimmer, wo sie ihr Notebook anschaltete und die letzten Quellenverweise für eines ihrer Referate fertig zu stellen versuchte. Es fiel ihr jedoch nicht ganz leicht, sich auf ihre Arbeit zu konzentrieren. Nicht nur weil Jess in der Küche laut mit Töpfen und Pfannen klapperte, sondern weil sie das unschöne Gefühl im Bauch hatte, dass Streit in der Luft lag.


    Schließlich zog der verführerische Duft von Bolognese-Sauce durch die Wohnung und Tessa schnupperte hoffnungsvoll. Es war ihr Lieblingsessen, schon seit jeher, und Jess kochte einfach die beste Spaghettisauce der Welt, musste sie zugeben. Ohnehin hatte er in den letzten Wochen die kleine Küche tatsächlich regelrecht wach geküsst. Es kam beiden zugute, dass sich die Bewohner der Villa Sonnenschein ihr Essen hatten selbst zubereiten müssen und dass Jess in dieser Beschäftigung neben der Malerei ein echtes, weiteres Hobby gefunden hatte.
    Die Tür öffnete sich und Jess kam beladen mit Spaghetti und Sauce ins Zimmer und begann, Teller auf dem Tisch zu verteilen.


    Tessa speicherte ihre Arbeit ab und ging zum Tisch. Jess füllte schweigend beide Teller, murmelte „Guten Appetit“ und begann dann zu essen. Tessas Hoffnung, das gute Essen könnte die Stimmung bessern, sank minütlich, während sie beide schweigend aßen. Nach einer Weile legte sie die Gabel beiseite und sagte: „Es schmeckt mal wieder toll.“
    Jess nickte nur.

    @gotti: Wie schön, dass Du mitliest, leidest und fühlst und dass Dir alles so gut gefällt, das ist das schönste Lob! :) Vielen Dank für diesen tollen Kommi (und entschuldig meinen kurzen Re- ich bin schon so lange am PC...)


    @dragoon: Vielen Dank, dass Du auch noch mitliest, ich freue michs ehr, dass es Dir so gut gefällt! :)



    @Llyn: Ja, Jess ist wirklich weit gekommen, das stimmt. Danke auch für Deinen KOmmi!




    Entschuldigt meine kurzen Re- KOmmis, aber ich habe so lange an der kommenden FS getippt, sie ist auch echt lang. Und jetzt bin ich ziemlich k.o. ... mag sie euch aber noch reinstellen und bitte um ein dickes Sorry, dass dies auf Kosten der Kommi Beantwortung geht!

    Jess lächelte. „Ja, ich weiß.“
    „Nun, dann bleibt mir nur noch, Ihnen alles Gute zu wünschen“, sagte die Ärztin freundlich.


    Sie reichte auch Tessa noch einmal die Hand, dann winkte sie beiden kurz zu und verschwand wieder im Büro.
    Nun standen beide etwas unschlüssig voreinander.
    „Nun… dann … könnten wir eigentlich aufbrechen“, sagte Jess nach einer Weile langsam.
    Tessa nickte. „Ja, sieht so aus.“
    Sie lächelten einander an und spontan zogen sie sich fast gleichzeitig in die Arme.
    „Wir schaffen das schon“, flüsterte Jess.
    „Ganz sicher sogar“, sagte Tessa lächelnd.


    Langsam ließen sie voneinander ab, Jess griff nach seinem Koffer und gemeinsam verließen sie die Villa. Die Luft draußen war kühl, aber angenehm. Einen Moment blieben beide noch zögernd stehen, und Jess ließ seinen Blick wie abschiednehmend noch einmal durch den Garten und über die Fassade des Hauses streifen.


    Dann lächelte er Tessa zu, straffte den Rücken und gemeinsam gingen beide raschen Schrittes den Weg entlang, die Straße hinab und stiegen in Tessas kleines Auto.
    „Bereit?“, Tessa warf Jess einen fragenden Blick zu.
    „Bereit!“
    Sie nickte, drehte den Schlüssel im Zündschloss und gab Gas.
    Langsam entfernte sich das Motorengeräusch und verklang dann schließlich ganz.
    Es senkte sich wieder Stille über den Garten der Villa.
    Nur die bunten Blätter der Bäume rauschten leise im Wind, als wollten sie dem Paar alles Gute wünschen und es zugleich vor den Gefahren warnen, die sie noch erwarten sollten.




    Fortsetzung folgt.

    Kapitel 90
    Ein neues Leben


    Tessa betrat den Garten langsam und fast zögernd. Kurz hinter dem Zaun blieb sie stehen und sog für einen Moment die inzwischen schon deutlich kühlere, nach Herbst duftende Luft tief ein.
    Sie ließ ihren Blick langsam durch den ausladenden Garten schweifen. Die Blätter der Bäume hatten sich in den kalten Nächten der letzten zwei Wochen schnell bunt verfärbt. Hier und da lag trockenes Laub auf dem Boden verstreut und im sanften Windhauch segelte das ein oder andere angefärbte Blatte anmutig zu Boden.


    Tessa erinnerte sich an jenen Tag vor etwa sechs Monaten, als sie den Garten zum ersten Mal gemeinsam mit Jess betreten hatte. Die Bäume hatten ihre noch kahlen Äste in den Himmel gestreckt, doch an den Sträuchern waren erste Knospen entdecken zu gewesen. Nach der langen ersten Trennungsphase war der Garten allmählich zum Leben erwacht. Während ihrer ersten Besuche – die sie fast immer hier draußen verbracht hatten – waren sie umgeben gewesen von saftigen Büschen, deren Blüten betörenden Duft verströmt hatten.
    Als die Sommerhitze über das Land gekommen war, hatte man hier eine Oase der Ruhe gefunden. Unter den grünen Dächern der Blätter hatten sie oft Schatten gefunden und die Stille, sich miteinander zu unterhalten und sich zu berühren.
    Nun hatte der Garten sich wie zum Abschied gerüstet und sein buntestes Kleid angezogen. Tessa ging einige Schritte weiter und blieb dann einige Meter vor dem weißen Haus stehen. Lächelnd betrachtete sie die saubere Fassade.


    Wie sehr sich Jess in dieser Zeit verändert hatte. Er erinnerte schon rein äußerlich kaum noch an jenen jungen Mann, den sie damals kennen gelernt hatte – noch viel weniger an die ausgezehrte Gestalt, die sie seinerzeit vor ihrem Haus gefunden hatte, so schrecklich entstellt von den Angriffen seiner Feinde.
    Schaudernd dachte sie an jenen Abend zurück und wie nahe sie daran gewesen war, das Liebste auf Erden zu verlieren.


    Umso dankbarer war sie dafür, heute hier stehen zu können, an diesem wunderschönen Herbst Samstag Ende September. Wie lange hatten Jess und sie diesen Tag herbei gesehnt… und wie schnell war er dann eigentlich doch gekommen.
    Tessa ging nun entschlossenen Schrittes weiter und öffnete die großen Flügeltüren. In der Vorhalle der Villa war es ruhig und aufgeräumt, wie immer. Jess hatte gesagt, er wolle sie hier treffen, sobald er fertig gepackt hatte. Da er noch nicht zu sehen war, nahm Tessa in einem der gemütlichen Korbsessel Platz, um auf ihn zu warten.


    So saß sie dann in ihren Gedanken versunken da. So sehr sie sich natürlich freute, dass Jess und sie diesen Ort bald für immer verlassen und wirklich und wahrhaftig ein neues und ganz „normales“ Leben beginnen würden, so musste sie vor sich selbst eingestehen, dass es ihr bei dem Gefühl auch etwas mulmig war.
    Sie hatte die ganzen letzten zwei Tagen in freudiger Aufregung damit verbracht, die Wohnung auf Hochglanz zu polieren, einige ihrer alten Kleider aus den Schränken zu verbannen, um Jess´ Sachen direkt einen festen Platz zu geben. Sie hatte Farben für die Leinwand gekauft, damit Jess direkt mit dem Malen loslegen konnte, sofern er wollte – das war ihr „Einzugsgeschenk“ an ihn. Sie hatte den Kühlschrank mit leckeren Sachen gefüllt und hoffte insgeheim, dass Jess heute Abend vielleicht etwas schönes kochen würde – für sie war die Küche nach wie vor nur dafür gut, sich schnell eine Schale Müsli zu füllen, einen Kaffee zu kochen oder ein Brot zu schmieren.
    Sie war so sehr in ihre Gedanken versunken, dass sie die Schritte auf der Treppe kaum wahrnahm. Jess stellte seinen Koffer neben der Türe ab und kam dann lächelnd auf sie zu.


    Tessa derweil bemerkte ihn nicht und starrte weiter nachdenklich vor sich hin. Ob das Zusammenleben gut funktionieren würde? Sie lebten nun immerhin fast zwei Jahre alleine in der nicht allzu großen Wohnung und hatte keine Ahnung, wie es werden würde, sich dem Tagesablauf eines anderen anpassen zu müssen. Selbst zu Hause hatte sie das eigentlich nicht allzu sehr gemusst, ihre Eltern waren ja ohnehin meistens aus dem Haus gewesen, feste Essenszeiten oder Rituale hatte es allerhöchstens am Wochenende gegeben.
    „Sag mal, träumst du?“, riss sie Jess amüsierte Stimme aus ihren Gedanken. Er stand neben ihr und sah sie lächelnd an. „Wenn ja, dann doch hoffentlich nur von mir, mh?“




    Überrascht wandte Tessa sich ihm zu und lachte dann.
    „Immer und überall“, sagte sie zwinkernd. „Ich habe dich wirklich gar nicht kommen hören. Sicher hast du dich angeschlichen!“
    Jess lachte. „Nein, mein Schatz, mit Sicherheit nicht, mein Trampeln auf der Treppe hätte man auf hundert Kilometer Entfernung gehört.“
    Tessa lächelte. „Dann war ich wohl wirklich in Gedanken“, gab sie zu und sah ihn mit einemmal etwas befangen an. „Bist du denn fertig?“
    „Meine Sachen sind gepackt“, erwiderte Jess und wies auf seinen kleinen Koffer, der an der Türe stand. „Ich muss nun nur noch auf die Ärztin warten, damit ich meine Entlassungspapiere bekomme. Dann können wir sofort los. Wenn du magst…“


    „Sicher“, erwiderte Tessa und stand auf. „Wie fühlst du dich?“, fragte sie dann und sah ihn aufmerksam an.
    „Gut“, gab Jess zur Antwort. „Etwas aufgeregt, zugegebenermaßen. Und du?“
    „Genauso“, erwiderte sie lächelnd. „Wie schön, dass ich damit nicht alleine bin. Aber ich freue mich so sehr. Ich konnte heute Nacht kaum schlafen, ich musste ständig daran denken, dass dies die letzte Nacht ohne dich sein wird.“
    „Und? Hast du es noch mal so richtig genossen, dein Bett alleine zu haben, nicht von meinem Schnarchen geweckt zu werden?“, fragte er neckend und Tessa knuffte ihn in die Seite.
    „Sag so was nicht! Du schnarchst doch gar nicht!“
    Die beiden wurden in ihrer Neckerei unterbrochen, als Doktor Habsburg aus der Tür des Büros kam und beide freundlich grüßte.
    „Hallo Herr Berger, Frau Wagner. Ich habe hier die Entlassungspapiere!“
    Sie reichte Jess eine Mappe mit ordentlichen Papieren. Jess legte sie zu seinem Gepäck, dann schüttelte er der Ärztin die Hand.
    „Auf Wiedersehen, Doktor Habsburg“, sagte er freundlich. „Und danke für alles.“


    Die Ärztin lächelte.
    „Das meiste haben Sie selbst geschafft, Herr Berger“, erwiderte sie. „Wir haben nur ein bisschen Hilfe geleistet. Sie wissen ja, Sie können jederzeit anrufen, wenn etwas sein sollte. Aber Sie haben ja auch eine Liste von Therapeuten und Anlaufstellen in Ihrer Heimatstadt.“
    Jess nickte.
    „Ja, ich bin gut versorgt. Ich habe sogar schon einen Termin bei einem der Therapeuten, schon nächste Woche.“
    „Das ist gut, dann wird die Betreuung ohne Unterbrechung fort gesetzt“, lächelte Doktor Habsburg. „Die Anfänge werden nicht ganz einfach für sie beiden sein. Reden sie viel über das, was sie beschäftigt. Und nicht zuviel erwarten, dann sind Sie auf dem richtigen Weg.“

    @NinaLove: Ja, du hast recht. Tessa hat da noch einiges zu lernen, auch zu begreifen, dass ihre Beziehung nun ganz anders wird als vorher, wo sie ja immer in so einem recht seltsamen Zustand gelebt haben.
    Hihi, Jess hat tatsächlich trainiert (es gab doch einen Fitnessraum in der Villa!), aber ich glaube, in dem Fall ist das wohl doch "nur" der Mesh :D

    „Nun, das wirkt wohl etwas seltsam für dich“, fuhr sie fort. „Bin ich doch der Inbegriff eines Mädchens, das ein behütetes Leben hatte, mh?“ Ihre Stimme klang gegen ihren Willen etwas bitter. „In vielerlei Hinsicht mag das so sein. Ich hatte eigentlich immer alles, was ich brauchte. Kleider, Spielsachen, Essen, ein warmes Bett… mir hat es nie so wirklich an etwas gefehlt.“



    „Aber?“, fragte Jess vorsichtig. „Nahrung ist nicht alles, was ein Mensch braucht…“
    „Tja, das ist es wohl“, erwiderte Tessa. „Irgendwie… weißt du, Jess, es war nie jemand da. Außer Trudy vielleicht. Ich meine…. meine Eltern waren fast immer unterwegs und hatten nie Zeit und Nerven, sich mit mir zu beschäftigen. Mein Vater hat registriert, ob ich gute oder schlechte Noten hatte… ich hab dann immer recht fleissig gelernt, weil ich wusste, dass ich so seine Aufmerksamkeit bekomme. Aber irgendwann war das auch selbstverständlich. Ich meine…“, sie seufzte ,“ es ist nicht so, dass sie mich völlig vernachlässigt haben. Aber irgendwie… irgendwie hätte ich mir mehr gewünscht.“
    Sie schwieg einen Moment und die Erinnerungen an früher stiegen in ihr auf.
    „Wenn sich jemand um mich kümmerte, dann Tru“, sagte sie dann noch einmal. „Ich erinnere mich an manchen Sonntag, als mein Vater Zeitung las und seine Berichte studierte, meine Mutter vertiefte sich in ihrem Kosmetikbüchern und Tru setzte sich zu mir und las mir vor. Das waren seltene Glücksstunden, denn sie war ja nicht immer bei uns…“



    „Oder wie oft kam ich von der Schule nach Hause und musste alleine essen. Tru war zwar meistens da, aber ich hätte mir doch gewünscht, mit meinen Eltern zu essen. Gerade als ich ganz klein war, ich hätte gerne so wie die anderen in der Schule meinen Eltern erzählt, was passiert war in der Schule. Elternabende haben die beiden nie wahr genommen, und auch Elternsprechtage waren für sie nur interessant, wenn ich in einem Fach eben doch einmal nicht so gut war… was fast nie der Fall gewesen ist. Oder Schulausflüge. Ich habe die Kinder immer so beneidet, deren Eltern da freiwillig mitgekommen sind!“
    Tessa seufzte und starrte vor sich hin, während sie sich an jene Zeiten erinnerte.



    Sie zuckte mit den Schultern und sah Jess schließlich wieder an.
    „Das alles muss für dich ziemlich bescheuert wirken“, sagte sie dann. „Du hattest ja gar keine Eltern mehr und hättest dir sicher welche gewünscht, die nur ab und an da waren…“
    Doch Jess unterbrach sie. „He, Tessa! Du machst es schon wieder“, sagte er ernst und drückte ihre Hände. „Du wertest unsere Schicksale und Leben gegeneinander, aber so funktioniert das nicht.“ Er sah sie zärtlich an. „Ich finde, was du da erzählst, hört sich durchaus traurig und einsam an. Und es tut mir weh, mir vorzustellen, wie schwierig es für dich gewesen sein muss.“



    Tessa sah ihn verwirrt an. „Aber Jess… was du durchgemacht hast, war doch viel schlimmer…
    „Tessa!“, rief er. „Nun hör damit auf! Das sind deine Wertmaßstäbe, die sind nicht universal gültig. Jeder Mensch hat sein eigenes Schicksal. Wer kann mir sagen, dass ich unglücklicher war als du? Und wieso sollten wir das überhaupt werten? Fakt ist, du warst unglücklich. Du warst einsam, und deine Eltern waren oft nicht da, wenn du sie gebraucht hättest. Das ist traurig, das prägt. Und das solltest du nicht so wegreden und verdrängen.“
    Tessa starrte vor sich hin.
    „Du klingst schon wie ein Psychologe“, murmelte sie dann.



    Jess lächelte. „Nun ja, ich hatte einiges mit dieser Gattung zu tun in den letzten Monaten. Aber nun einmal ernsthaft. Ich denke wirklich, du solltest deine eigenen Gefühle und Probleme nicht so runterwerten, nur weil sie auf der offensichtlichen und gesellschaftlichen Scala wertloser und unbedeutender wirken als meine oder die eines anderen. Ich denke, so funktioniert das nicht. Selbst ich habe vermutlich noch ein tolles Leben, wenn ich mich mit einem Kind aus der dritten Welt vergleichen würde.“
    „Was ist das denn für ein unsinniger Vergleich“, schnaubte Tessa.
    „Das ist ein Vergleich, den man ziehen kann, wenn man sein eigenes Leid herunter werten möchte“, erklärte Jess. „Ich glaube nämlich, dass es immer jemanden gibt, dem es schlechter geht als einem selbst. Man sollte danach nicht werten oder suchen. Dir geht es in deiner ganz eigenen Situation schlecht, und damit sollte einfach alles gesagt sein. Und alles gleich gelten. Wir leben nun einmal unser eigenes Leben, nicht das eines anderen.“



    Tessa sah ihn nachdenklich an.
    „Das wirkt irgendwie befremdlich auf mich“, sagte sie dann. „Es ist doch so offensichtlich, dass es mir im Verhältnis zu anderen gut geht…“
    „Lass diese blöde Verhältnismäßigkeit aus dem Spiel“, erwiderte Jess. Er sah sie ernst an.
    „Hör mal, Tessa. Es mag sein, dass früher niemand danach gefragt hat, wie es dir geht. Was dich bewegt. Und dass du nach außen hin ein tolles Leben hattest. Aber ich sehe es anders. Du hattest schwere Zeiten, immer wieder. Und für mich zählt es, was du denkst und fühlst. Und ich kann dich auch beschützen, wenn es nötig ist. Ich kann dich stützen, so wie du mich stützen kannst. Wir sind gleichberechtigt, in jeder Beziehung. Und das ist wichtig für uns, sehr wichtig. Du musst versuchen, dir das begreiflich zu machen. Denkst du, das geht?“
    Tessa sah ihn lange an.
    „Es wirkt noch seltsam, sich das vorzustellen“, gab sie dann zu. „Aber du hast natürlich recht, es ist wichtig, dass wir in allen Punkten gleich berechtigt sind. Vor allem für dich.“



    „Aber genau das ist der Punkt“, rief Jess aus. „Es ist nicht nur für mich wichtig! Ich will nicht, dass du es dir begreiflich machst, weil es für MICH wichtig ist! Es ist für dich genauso wichtig! Verstehst du das nicht? Du brauchst auch Wärme und Liebe und Nähe und Geborgenheit. Oder etwa nicht?“
    Tessa schluckte. „Ja… das brauch ich“, stieß sie dann leise hervor. Jess drückte ihre Hand.
    „Na siehst du“, erwiderte er dann sanft. „Und ich kann dir all das geben. So wie du mir. Es ist nicht nur für mich wichtig, weißt du.“
    Tessa begriff allmählich, was er meinte.
    Die beiden saßen noch eine Weile zusammen, dann verabschiedeten sie sich voneinander.
    Nachdenklich verließ Tessa den Park.



    Ein warmes Gefühl durchströmte sie, als sie den Gedanken zuließ, sich bei Jess fallen lassen zu können. Doch im selben Moment erschien ihr das Gefühl absolut abstrus. Jess war doch noch so labil! Er wusste so wenig von dem, was da draußen auf ihn zukommen würde.
    Sie war es, die anfangs stark und optimistisch für ihn sein musste. Und doch regte sich tief in ihr das Bewusstsein, dass sie ihre Beschützerinstinkte allmählich zurück schrauben musste. Und die Vorstellung, selbst beschützt zu werden, erfüllte sie den ganzen Heimweg über mit verwirrender Verzückung. Auch wenn sie diesem Gedanken noch misstraute.



    Fortsetzung folgt.

    Kapitel 89
    Beschützerinstinkte



    Der Abend mit Monika war für Tessa eine echte Erfrischung gewesen. Zum ersten Mal seit Wochen hatte sie das Gefühl, es sei zwischen ihr und ihrer Freundin fast wieder wie in alten Zeiten. Sie berichtete Monika von ihren Zweifeln nach dem Praktikum, und auch diese sprach ihr Mut zu – sie solle sich durch diese eine Erfahrung nicht entmutigen lassen. Außerdem, so hatte Monika ihr gesagt, lege sie sich durch ihr Studium ja nicht zwingend auf diesen einen Beruf fest. Am folgenden Morgen fühlte Tessa sich erleichterter und machte sich freudig auf den Weg zu Jess. Sie traf ihn im Garten der Villa, wo er sie zur Begrüßung küsste und dann lächelnd ansah.
    „Du scheinst heute guter Laune zu sein“, bemerkte er. „Ist etwas passiert?“



    „Ich hatte gestern einen schönen Abend mit Moni“, erklärte diese und Jess lächelte verständnisvoll.
    „Das ist gut. Habt ihr euch wieder ein bisschen versöhnt?“
    Die beiden nahmen auf einer der Bänke im hinteren Teil des Gartens Platz. Es war wieder einmal recht still, nur ein oder zwei Bewohner der Villa verrichteten hier und da ihren Gartendienst und gossen die Blumen, ein paar wenige genossen auch den warmen Herbsttag und schwammen einige Runden im Pool.
    Tessa nickte und erzählte Jess in groben Zügen, was am Vortag vorgefallen war.
    „Das ist schön“, erklärte dieser, als sie geendet hatte. „Es wurde auch Zeit, dass ihr beiden euch aussprecht. Und ich habe auch gute Neuigkeiten für dich.“
    Er lächelte.


    „Was denn?“, Tessa sah ihn neugierig an.
    „Mein Entlassungstermin steht nun fest“, erwiderte er. „In zwei Wochen ist es soweit.“
    Tessa riss die Augen auf. „Jess! Das ist ja großartig! So bald schon!“
    Jess nickte. „Ja, wie unwirklich, nicht wahr? Wir werden uns nur noch ein einziges Wochenende hier treffen, dann… gehört das alles hier wohl der Vergangenheit an.“
    Er ließ seinen Blick halb wehmütig durch den Garten schweifen.
    Tessa griff nach seiner Hand. „Hast du immer noch solche Angst?“, fragte sie leise.
    Jess schüttelte zu ihrer Überraschung den Kopf. „Nein, nicht mehr. Ich habe diese Woche lange und oft mit meinen Therapeuten gesprochen, und die Angst ist nicht mehr so groß. Natürlich wird es nicht einfach werden, aber ich kann es schaffen, wenn ich will. Und ich hab ja auch noch dich.“
    Er sah sie liebevoll an. Tessa lächelte.


    „Ich bin mir nun auch klarer darüber, wie es danach weitergehen soll“, fuhr Jess fort. „Ich habe mich erkundigt, es gibt gute Abendkurse, ich könnte da sogar mein Abitur nachmachen, falls ich es will. Aber erstmal reicht mit der Realschulabschluss. Mein Therapeut sagt aber, ich soll erstmal ein-zwei Monate warten, damit nicht alles zu viel wird. Einen Job werde ich auch schon irgendwie finden… ich muss eben etwas Geduld haben. Aber es gehört wohl dazu, auch einmal Hilfe anzunehmen. Anders ist es nicht zu schaffen.“ Er sagte dies nicht ohne einen kleinen Seufzer.
    Tessa griff nach seiner Hand und drückte sie stolz.
    „Das ist toll, Jess. Genauso solltest du es sehen. Vielleicht wird ja alles einfacher gehen als wir beiden denken. Und wenn nicht, schaffen wir das auch. Und du hast ja sicher auch noch therapeutische Hilfe, wenn du nicht mehr hier bist, oder?“
    Jess nickte. „Natürlich, wir kümmern uns in den zwei Wochen jetzt darum, dass ich einen ambulanten Platz in einer Therapie bekomme.“



    „Das ist gut“, erwiderte Tessa. „Ganz ohne Hilfe wäre es sicher nicht machbar.“
    „Nein, das glaube ich auch nicht“, stimmte Jess ihr zu und sah sie an. „Hast du den Angst?“
    „Ich?“, sah Tessa ihn erstaunt an. „Wieso sollte ich Angst haben? Ich freue mich einfach wahnsinnig.“
    „Aber es wird auch für dich nicht ganz einfach werden. Wir werden dicht aufeinander leben. Ich habe mich manchmal gefragt, ob das so gut ist. Das hatten wir noch nie. Wir haben uns im vergangenen halben Jahr zwar sehr regelmäßig, aber doch nur ein- oder zweimal in der Woche gesehen. Und vorher fast ein Jahr lang gar nicht…“
    „Wir schaffen das schon“, wischte Tessa seine Bedenken weg. Als sie ihn skeptisch drein blicken sah, erwiderte sie hilflos: „Hör mal, Jess, ich bin eben einfach optimistisch. Was soll ich denn sonst sagen? Wir können uns im Moment nicht anders darauf vorbereiten… wir werden einfach schauen müssen, ob es klappt, wie es klappt… und dann reagieren…“



    Sie sah ihn unsicher an. „Oder denkst du das nicht?“
    Jess zuckte mit den Schultern. „Ich bin mir nicht sicher. Ich hoffe, du bist dir klar darüber, dass das alles nicht einfach werden wird…“
    „Hör mal, Jess, ich bin ja nicht blöd“, sagte Tessa leicht angesäuert. „Ich mache mir natürlich auch meine Gedanken. Und ja, ich bin mir absolut klar darüber, dass es nicht einfach werden wird. Aber es war nie einfach mit dir. Mit uns, meine ich…“
    Jess sah sie ernst an. „Du hast recht. Du hast sehr viel durch gemacht in all der Zeit.“
    Tessa winkte ab, doch Jess nahm ihre Hände und sagte ernst: „Tu das nicht so ab. Auch dein Leid ist wichtig. Wieso willst du das alles immer vor mir verstecken?“



    Tessa sah ihn verunsichert an. „Findest du, dass ich das tu?“
    Jess nickte. „Allemal. Du redest so selten über deine Gefühle.“ Er lachte leise. „Dabei bist du doch eine Frau!“
    Tessa lächelte ebenfalls.
    „Naja, du hast vielleicht recht…“, sagte sie und dachte daran, dass sie sich ihm vor einer Woche auch nicht anvertraut hatte. „Ich hatte gerade in den letzten Wochen einige Sorgen.“
    Jess wurde ernst. „Sorgen? Was für Sorgen? Wieso hast du nichts davon gesagt?“
    Tessa zuckte hilflos mit den Schultern. „Du hattest selbst so viel um die Ohren… ich wollte dich nicht noch zusätzlich belasten.“
    Jess seufzte, ließ ihre Hände los und fuhr sich durchs Haar. „Genau das meine ich, Tessa!“, sagte er dann und sah sie an. „Das geht so nicht! Verstehst du, du kannst mich nicht immer beschützen wollen. Das funktioniert nicht.“



    Tessa seufzte und wand sich auf der Bank hin und her.
    „Jess, das liegt nicht unbedingt in meinem Sinne. Ich meine… ich mach das nicht bewusst.“
    „Aber du tust es“, erwiderte er ernst. „Du musst endlich lernen, das ein wenig zurück zu schrauben. Zum einen bin ich ein Mann, und der hat nun einmal Beschützerinstinkte. Es gefällt mir nicht, dass du mich immer ein wenig bemuttern möchtest.“
    „Aber Jess… du warst immer derjenige von uns beiden, der mehr Hilfe brauchte“, sagte sie verteidigend.
    „Ich weiß nicht“, wandte Jess ein. „Das ist Ansichtssache. Du hast auch sehr, sehr viel mitgemacht. Gut, ich hätte dir in vielen Situationen nicht helfen können, weil ich zu sehr mit mir selbst beschäftigt war. Aber das ist es, was sich nun ändern soll und kann. Ich bin für dich da, Tessa. Begreif das endlich. Ich bin kein rohes Ei, das man schützen und verhätscheln muss.“



    Tessa seufzte. „Ich weiß, ich weiß es ja…“
    „Aber du hast es noch nicht begriffen“, erwiderte Jess sanfter. „Woher kommt das nur, dass du dich immer hinten anstellst, mh?“
    Tessa zuckte mit den Schultern. „Irgendwie bin ich es nicht gewöhnt, dass jemand für mich da ist“, sagte sie dann nach einer Weile schwerfällig. Sie sah Jess an, der etwas überrascht wirkte, sie aber dennoch aufmerksam betrachtete.

    Tabatha: Ja, Du siehst es richtig, Moni verhält sich wirklich toll und reif! Sie hat ein unheimlich gutes Einfühlungsvermögen, wie sich hier mal wieder zeigt!
    Danke für Deinen KommI!


    @Lllyna: Auch Dir muss ich zustimmen, ich finde auch, es war sehr nötig, dass alle sich ausgesprochen haben! :)
    Danke auch für Deinen KommI!

    Niklas seufzte. Er zuckte mit den Schultern. „Ich kann es dir nicht sagen, Tessa“, sagte er dann mit verblüffender Offenheit. „Heute würde ich es wohl anders machen. Ich wollte damit nichts zu tun habe, nehme ich an.“
    „Und wie ist es heute?“
    Die Frage kam nun von Monika. Niklas sah sie fest an.



    „Ich kann mir nicht ansatzweise vorstellen, was du und Tessa damals durchgemacht habt. Aber ich kenne euch, und ihr beiden seid mir wichtig. Auch du, Tessa. Du warst es schon immer. Ich weiß, dass ihr nicht jemanden lieben würdet und könntet, der es nicht verdient hat. Also ist für mich die Quintessenz des Ganzen, dass ich mich in diesen Menschen geirrt habe. Zu schnell geurteilt habe. Auch wenn ich nicht lügen möchte, und auch heute noch ein gewisses Misstrauen hätte. Es tut mir leid, euch das sagen zu müssen. Jeder kann eben nur ein Stückweit aus seiner Haut heraus.“
    Er sah Monika liebevoll an. „Was Kevin passiert ist, ist furchtbar. Es ist sicher ein Schicksal, das viele teilen, aber durch dich ist es eben nicht mehr nur ein Name oder ein Fall für mich. Ich sehe, wie es dich bewegt, über ihn zu sprechen. Ich weiß nicht, wie es sein muss, einen Menschen, den man liebt, zu verlieren. Ich will es mir nicht einmal vorstellen. Aber ich weiß durch deine Erzählung von Kevin, wie schnell es gehen kann, dass auch ein sozial gesicherter Mensch abrutscht. Es kann offenbar nahezu jeden treffen.“
    Er wandte sich nun Tessa zu. „Tessa, Jess ist für mich immer noch nur ein Name. Aber dass du so lange zu ihm gehalten ist, zeigt, dass er ein ganz besonderer und wertvoller Mensch sein muss. Dass er den Absprung geschafft hat, verdient dazu noch mal einen riesigen Respekt.“
    Er holte tief Luft. „Mehr kann ich dazu nicht sagen, ihr beiden. Ich würde Menschen, die Drogenprobleme haben, auch heute noch skeptisch gegenüber treten. Ich würde sie nicht mehr direkt als Looser oder Schwachmaten verurteilen, so wie ich es mit meinen jugendlichen zwanzig gemacht habe. So eintönig denke ich nicht mehr. Aber ich muss zugeben, dass ich immer noch Abstand halte, wenn ich die Jugendlichen am Bahnhof rumhängen sehe. Es ist eine Welt, die mir fremd ist. Und darum bin ich nicht unglücklich, das gebe ich offen zu.“
    Tessa und Monika sahen sich an und zum ersten Mal fühlte Tessa wieder das Band aus ähnlicher Erfahrung, das sie verband und immer verbinden würde.
    „Ich glaube dir, Niklas“, sagte Tessa schließlich und blinzelte in die untergehende Sonne.



    „Du musst es nicht verstehen können“, sagte nun auch Monika sanft. „Du sollst es nur nicht verurteilen. Toleranz, das ist es, was Tessa möchte. Und was für mich unerlässlich ist.“
    Niklas nickte. „Ich verstehe“, sagte er. „Ich toleriere Jess, Tessa. Wirklich. Und vieles, was ich damals gesagt und getan habe, tut mir sehr leid.“
    Tessa nickte. Sie fühlte sich verwirrt, aber etwas erleichtert.
    „Fühlst du dich jetzt besser?“, fragte Monika.
    „Ja“, erwiderte Tessa ehrlich. „Ich denke, es war gut, dass wir das geklärt haben.“
    „Darf ich dich fragen, wie es Jess zurzeit geht?“, fragte Monika vorsichtig.
    „Gut“, antwortete Tessa schnell und spürte, dass es ihr nun wirklich nicht mehr so große Mühe bereitete, vor Niklas über ihn zu sprechen. „Wir hoffen, dass er Ende des Monats entlassen wird.“
    „Das sind ja wunderschöne Neuigkeiten“, sagte Monika und lächelte. Auch Tessa lächelte.
    „Ja, ich freu mich schon wahnsinnig darauf. Auch wenn es nicht ganz einfach werden wird…“
    Die drei plauderten noch eine Weile über mehr oder minder Belangloses, dann bezahlten sie und standen auf.



    Monika ging zu Niklas und sagte dann: „Niklas, macht es dir etwas aus, wenn wir uns später noch mal treffen? Oder sogar erst morgen? Ich glaube, Tessa und ich hätten mal wieder ein bisschen was zu bequatschen.“
    Sie warf ihrer Freundin einen Blick zu und diese nickte dankbar. Monika hatte also gemerkt, dass sie einige Dinge aus Befangenheit nicht gesagt hatte.
    Niklas lächelte. „Aber natürlich, meine Damen.“ Er zwinkerte und beugte sich nach vorne, um Monika zu küssen.
    „Ich werde mit zu Tessa gehen, wenn´s dir recht ist“, sagte diese leise.
    „Klar, wir haben morgen ja noch den ganzen Tag“, sagte Niklas und sah sie zärtlich an.
    Tessa schluckte und hatte mit einemmal eine unsagbare Sehnsucht nach Jess.
    „Gut, dann gehen wir beiden jetzt mal und machen uns noch einen schönen Abend“, sagte Monika fröhlich und ging zu Tessa zurück.
    Diese winkte Niklas nur freundlich zu.



    „Mach´s gut, Niklas. Ich denke, man sieht sich.“
    „Bestimmt“, erwiderte dieser lächelnd. „Euch beiden einen schönen Abend, ja?“
    Er drehte sich um und schlenderte langsam die Straße hinab, während Monika und Tessa sich anlächelten und dann untergehakt zu Tessas Auto zurück gingen, um sich gemeinsam einen schönen Frauenabend zu machen.




    Fortsetzung folgt.

    Sie sah Niklas offen an. „Ich kann dich nicht durchschauen, Niklas. Du bist mir fremd geworden, schon damals, als das ganze mit mir und Jess anfing.“
    Nun war es Niklas, der seinen Blick abwandte.
    „Ich weiß nach wie vor nicht, wie du über das denkst, was du damals gesagt hast. Es ist wohl nach wie mehr eine Sache zwischen dir und mir, als zwischen uns dreien.“
    Niklas sah sie nun wieder an und nickte. „Das stimmt wohl.“


    Monika warf den beiden abwechselnd Blicke zu, schwieg aber. Ein Kellner trat an den Tisch heran und stellte die bestellten Essen ab. Schweigend begannen alle zu essen, doch nach einer Weile fuhr Tessa fort: „Ich glaube dir, dass du dich einfach in Moni verliebt hast. Man merkt euch beiden an, dass ihr euch sehr mögt. Und wieso sollte ich meiner Freundin oder auch dir ihr Glück nicht gönnen?“
    Monika lächelte sie dankbar an.
    Eine Weile schwiegen wieder alle, dann war es Monika, die das Wort ergriff.
    „Ich kann dich aber verstehen, Tessa“, sagte sie dann. „Und ich denke, es ist nötig, dass Niklas das, was damals vorgefallen ist, mit dir klärt. Sonst wird es ewig zwischen euch stehen. Und somit auch irgendwie zwischen uns…“


    Tessa nickte.
    „Einiges hab ich dir ja schon bei unserem Treffen zu erklären versucht“, sagte Niklas langsam.
    „Deine Aussagen damals waren aber recht schwammig“, erwiderte Tessa fest. „Gut, du hast zugeben, eine gewisse Eifersucht verspürt zu haben. Ich kann das zwar heute nicht mehr so ganz verstehen, aber in der damaligen Situation und bei unserem Verhältnis mag das durchaus möglich gewesen sein. Aber das hat für mich nichts mit deinem Hass gegenüber Menschen wie Jess zu tun. Menschen, zu denen übrigens auch der Mann gehörte, den deine jetzige Freundin einmal sehr geliebt hat.“
    Diesen Kommentar hatte sie sich beim besten Willen nicht verkneifen können und gespannt beobachtete Tessa Niklas´ Reaktion. Er schien einen Moment bestürzt und starrte schweigend auf sein Essen. Dann sagte er langsam: „Das weiß ich, Tessa.“
    „Niklas, wie soll ich dir je verzeihen, dass du damals zu meinen Eltern gegangen bist?“, sagte sie. „Oder … das kann ich vielleicht sogar. Es ist lange her. Wir alle haben uns verändert. Aber ich weiß nach wie vor nicht, wie du heute über alles denkst. Ich habe nicht den Eindruck gewonnen, dass du deine Meinung grundlegend geändert hast. Genau das ist es, was mir ein Problem bereitet.“


    Sie sah ihn fest an. „Jess gehört jetzt fest zu meinem Leben. Er wird bald ständig um mich sein. Wie soll ich unbefangen mit dir und damit in einem gewissen Rückschluss auch mit dir“, sie sah Monika an ,“umgehen können, wenn ich mir nicht sicher bin, ob du den Menschen an meiner Seite nicht ständig verurteilst? Und zwar mehr oder minder grundlos?“
    Einen Moment schwiegen alle drei, dann sagte Niklas langsam: „Ich verurteile Jess nicht. Ich kenne ihn ja nicht einmal, wie könnte ich ihn da verurteilen?“
    „Das hat dir früher kein Problem bereitet.“ Tessas Stimme klang nicht scharf und nicht anklagend, nur fest stellend.
    Niklas seufzte. „Das stimmt.“
    „Also, was denkst du heute?“
    Er sah Monika unsicher an, doch diese half ihm nicht weiter.
    „Ich… ich weiß nicht recht, was ich denken soll. Ich habe mit diesen Menschen nie etwas zu tun gehabt. Für mich… für mich war das immer eine völlig andere Welt. Ich konnte nicht verstehen, wie Menschen so abrutschen können.“


    „Du konntest nicht…“, sagte Tessa fest. „Gut, kann ich verstehen. Es ist schwer, sich da rein zu versetzen, wenn man es nur vom Hörensagen oder irgendwelchen Reportagen kennt. Aber nun bist du praktisch mit drin, Niklas. Das ist die Vergangenheit deiner Freundin. Das sind meine Vergangenheit, meine Gegenwart, meine Zukunft. Du musst dich dazu klar äußern. Wenn schon nicht für deine Freundin, dann doch für mich.“
    Monika sah sie an. „Sie hat recht, Niklas. Ich habe nicht sehr viel mit dir über Kevin gesprochen, aber er ist ein fester Bestandteil meines Lebens. Nach wie vor. Das weißt du. Ich werde ihn nie vergessen können. Und ein Teil von mir wird ihn wohl immer lieben. Das habe ich dir auch gesagt. Für mich ist es auch nicht unwichtig, ob du diesen Menschen, der so viel ausmacht von dem, was ich heute bin und was ich dir bin, verachten würdest oder nicht.“
    Erstaunt sah Tessa Monika an. Sie konnte es kaum fassen, dass diese Niklas diese Frage offenbar vorher noch nie in dieser Direktheit gestellt hatte.


    Niklas schwieg einen Moment und sagte dann: „Ihr müsst verstehen, dass es mir schwerfällt. Da sind viele festgefahrene Vorstellungen in mir. Und ich will nicht behaupten, dass sie gut sind. Ihr seid und ward mit dieser Welt in Kontakt. Ihr konntet hinter die Kulissen blicken, das konnte ich nicht. Und trotzdem weiß ich heute, Tessa, dass meine Reaktion damals falsch war. Ich hätte Jess nicht so verurteilen können. Natürlich hatte ich Angst um dich, und ich finde, das war auch verständlich. Es war wohl noch mal eine etwas andere Situation als bei dir, Moni. Du kanntest Kevin schon, bevor er wirklich süchtig wurde. Er stürzte sozial gesehen erst nach und nach ab. Aber Jess… war schon drogensüchtig, obdachlos und völlig aus der Gesellschaft ausgegliedert, als Tessa ihn kennen lernte.“
    Er sah Tessa fest an. „Auch wenn dir das nicht gefällt, Tessa, ich weiß, du warst damals naiv. Wir alle wussten das. Du warst diejenige in unserer Clique, die sich der Realität oft am längsten verschließen konnte. Wir haben von dir immer ein wenig als von unserer Träumerin gesprochen.“ Er lächelte. „Das war ja aber auch gerade das charmante an dir. Mag sein, dass es genau dieser Wesenszug war, der deinem Jess dann auch geholfen hat. Jemand anders hätte schon lange vorher aufgegeben, denke ich. Du hast an deinen Vorstellungen festgehalten. Aber du musst zugeben, dass das nicht ungefährlich war. Oder ist es wirklich, ganz ehrlich, so gewesen, dass du in dieser Zeit nicht ein einziges Mal in eine brenzlige Situation geraten bist?“
    Er sah sie ernst an.


    Tessa schluckte und kämpfte mit dem Willen, ihm zu widersprechen, ihn nicht Recht haben zu lassen und dem Wissen, dass er trotzdem im Recht war, zumindest zum Teil.
    Ohne dass sie sich dagegen wehren konnte, stiegen die Bilder aus jener Nacht in ihr auf. Diese Nacht im Ruinenhaus. Der Gestank dort, die Angst, die sie ergriffen hatte.
    Der fremde Mann, der mit rauer Stimme auf sie eingesprochen hatte. Die Schläge, die sie getroffen hatten, ungekannte Schmerzen von nicht zu ahnender Intensität durch ihren bis dahin noch so „unschuldigen“ Körper gejagt hatten.
    Sie merkte, wie es ihr trotz der warmen Spätsommersonne eiskalt wurde. Neben sich spürte sie Monikas Hand auf ihrem Unterarm. Sie schien seltsam warm auf ihrer kalten Haut, während ihr die Bilder immer wieder durch den Kopf schossen, als hätten Niklas´ Worte sie irgendwo aus ihrem Unterbewusstsein direkt in den warmen Spätsommernachmittag befördert.


    Sie schluckte schwer und drängte die Bilder krampfhaft wieder in ihr Unterbewusstsein zurück.
    „Ich will ehrlich sein“, sagte sie dann mit rauer Stimme. „Es gab manchmal brenzlige Situationen. Und du hast recht, ich war oft etwas zu naiv… ich habe vieles durch viel Schmerz und teilweise… schlimme Erfahrungen lernen müssen.“ Sie sah ihn fest an. „Ich kann verstehen, dass du diese Gefahr gesehen hast. Aber das hat nichts mit deiner Verachtung dieser Menschen zu tun.“ Sie spürte, wie sie sich langsam wieder fasste. „Ich habe dir damals mehrmals angeboten, mich zu begleiten. Wieso hast du es nicht getan?“

    Kapitel 88
    Klare Worte



    Nach dem Schwimmbadbesuch hatte Tessa einige Stunden des Abends damit verbracht, über Joshuas und Felis Aussagen bezüglich Monika und Niklas nachzudenken. Am meisten hatte sie dabei Joshuas Anmerkung getroffen, dass es für ihn und wohl auch für Feli zeitweise auch schwer war zu verstehen, wieso sie jemanden wie Jess liebte.
    Zum ersten Mal wurde Tessa mit aller Macht klar, dass es für ihre Freunde sicher nicht ganz einfach war, sie bei ihrer Liebe zu einem „Phantom“ und noch dazu einem Mann, der so offensichtlicht „nicht gerade das Beste“ für sie zu sein schien, all die Zeit zu unterstützen.
    War es da nicht eigensüchtig von ihr, gegenüber Monika immer nur ihren eigenen Zwist mit Niklas nach vorne zu stellen, sogar über die so zuverlässige Freundschaft, die Monika ihr all die Jahre entgegen gebracht hatte? Natürlich konnte sie ihr immer noch nur mit Mühe verzeihen, dass diese ihr die Beziehung verheimlicht hatte. Das war einfach ein Fehler gewesen, an dem es nach wie vor nichts schön zu reden gab. Aber auch eine Monika war eben nur ein Mensch. Also nahm Tessa sich ein Herz und bat Monika noch am selben Abend um ein Treffen – zu dritt.


    Monika zeigte sich am Telefon sichtlich erstaunt, aber aus ihrer Stimme klang unverhohlene Freude mit.
    „Ich frage Niklas direkt morgen, ob er am Samstag Zeit hat“, versprach sie.
    Am folgenden Abend klingelte Tessas Telefon erneut, und Monika sagte den Termin zu. Auch Niklas würde sich sehr freuen. Die beiden verabredeten sich für den späten Nachmittag in einem ihrer Lieblingscafés.
    Der September hatte noch einmal alle Kraft aufgebracht und es war ein warmer Spätsommernachmittag. Die Sonne hüllte die Terrasse des Cafés in warmes Licht, als Tessa zum verabredeten Zeitpunkt dort eintraf.
    Monika und Niklas standen schon auf dem Bürgersteig vor der Terrasse und winkten ihr zu.
    Sofort kam Monika auf sie zu und schloss sie in eine herzliche Umarmung.
    „Wie schön, dich zu sehen“, sagte sie lächelnd. „Geht´s dir gut?“


    „Ja, soweit schon“, nickte Tessa und lächelte ihrer Freundin zu. Niklas war in einigen Metern Abstand stehen geblieben und hatte die Szene zwischen beiden Frauen lächelnd beobachtet.
    Nun wandte Tessa sich ihm zu. Sie fühlte ein seltsames Unbehagen in sich aufsteigen. Es war das erste Mal, das sie einander wieder gegenüber standen, seit Niklas und Monika ein Paar geworden waren. Zum letzten Mal hatte sie Niklas an jenem Abend in Monikas Wohnung zu Gesicht bekommen, als die „Sache“ zwischen ihnen so unschön aufgeflogen war.
    Sie wusste nicht recht, wie sie sich ihm gegenüber verhalten sollte. Irgendwie wusste sie nicht einmal, wo sie diesen Menschen vor sich einordnen sollte. Aus dem ihr doch immer noch so vertrauten Gesicht blickten sie der Kinder- und Jugendfreund von eins, der Verräter ihrer schweren Zeit zum Beginn der Beziehung mit Jess und zudem ein völlig fremder Mann, der immerhin nun der Partner ihrer besten Freundin war, zugleich an. Das verwirrte sie, und sie wusste nicht recht, was sie sagen sollte, als sie voreinander standen.
    Niklas schien es einen Moment ähnlich zu gehen, doch er überwand seine Scheu schneller als Tessa, ging auf sie zu und streckte ihr kameradschaftlich die Hand entgegen.
    „Hallo, Tessa“, sagte er dabei freundlich, aber schlicht und lächelte sie so unbekümmert als möglich an.


    Tessa erwiderte den festen Druck seiner Hand, war aber doch recht froh, als er sie wieder losgelassen hatte.
    Einen Moment standen die drei etwas unsicher nebeneinander, dann schlug Niklas vor, das schöne Wetter auszunutzen und sich einen Platz auf der Terrasse zu suchen.
    Dankbar für diesen Vorschlag folgten ihm die beiden Frauen. Tessa fiel es bewusst auf, dass Monika sich nicht wie erwartet neben Niklas, sondern neben sie setzte. Fast als wolle sie betonen, dass auch Tessa noch einen wichtigen Platz in ihrem Leben innehatte – Niklas hin, Niklas her. Das tat Tessa wohl, und sie merkte, wie sie sich ein klein wenig entspannte.
    Schnell hatten sie Getränke und Essen bestellt und saßen dann eine Weile schweigend am Tisch und sahen sich verstohlen an.
    Schließlich erhob Monika das Wort und sagte: „Bist du mit deinem Praktikum fertig, Tessa? Wie war es? Ist es ein bisschen interessanter geworden als zum Anfang?“


    Tessa griff das Thema dankbar auf.
    „Nicht wirklich“, seufzte sie. „Es war ziemlich langweilig, und die Agentur hat sich sehr verändert. Ich bin offen gestanden einfach froh, dass ich es hinter mir habe.“ Sie zog eine kleine Grimasse.
    Eigentlich hätte sie gerne noch viel mehr gesagt. Über ihre Unsicherheit, ihre Zweifel, die Ängste und Sorgen, welche ihr die veränderte Situation in der letzten Woche gemacht hatten. Doch im Beisein von Niklas wollten ihr diese Dinge nicht über die Zunge kommen, darum schwieg sie wieder und wartet darauf, dass ihre Freundin etwas erwiderte.
    Monika nickte derweil. „Kann ich mir vorstellen. Praktika sind meistens langweilig.“
    „Woher weißt du das?“, fragte Tessa erstaunt. „Du hast doch direkt nach der Schule mit einer Ausbildung begonnen.“
    „Wir haben bei uns aber auch oft Praktikanten“, sagte Monika lächelnd. „Ich bemitleide sie immer, denn man kann ihnen eigentlich keine ernsten Sachen anvertrauen, dazu sind sie zu kurz da. Also sind die Armen oft total unterfordert.“
    Tessa nickte. „Ja, das hat mir Joshua auch so ähnlich gesagt.“


    Nun räusperte Niklas sich und sagte: „Falls es dich beruhigt, Tessa, ich bin bei meinem praktischen Vierteljahr auch fast täglich nur eingeschlafen und habe mich die meiste Zeit gelangweilt. Das gehört offenbar einfach dazu.“
    Tessa sah ihn einen Moment an, als müsse sie sich erst wieder in Erinnerung rufen, dass er nun auch dabei war und sich an ihren Gesprächen beteiligen konnte.
    Sie nickte nur stumm und wusste nicht recht, was sie antworten sollte.
    „Und, nun genießt du deine Ferien, was?“, fragte Monika nach einer Weile des Schweigens.
    Tessa zuckte mit den Schultern. „Ja, aber es gibt noch viel zu tun…“
    Sie wollte weitersprechen und erzählen, dass Jess vermutlich bald nach Hause kommen würde, doch sie brachte es nicht über sich, seinen Namen vor Niklas in den Mund zu nehmen. Zu unsicher war sie sich noch immer darüber, wie er inzwischen über ihn dachte. Und da war immer noch etwas in ihr, das wohl aus alten Zeiten resultierte und ihn automatisch vor diesem Menschen schützen wollte.
    Also schwieg sie wieder, bevor sie den Satz zu Ende gesprochen hatte, griff nach dem Glas, das der Kellner inzwischen vor ihr abgestellt hatte und beschäftigte sich mit ihrem Wasser.


    Monika blickte erst sie, dann Niklas ungemütlich an.
    „Hört mal“, sagte sie dann nach einer Weile. „Es bringt nichts, wenn wir nun den Rest des Abends hier sitzen und uns wie die Stockfische anschweigen. Es ist offensichtlich, dass das für uns eine etwas … seltsame Situation ist. Und ich finde, wir sollten darüber reden, wenn wir schon mal alle so beisammen sitzen.“
    Tessa sah ihre Freundin überrascht an und warf dann Niklas einen Blick zu, dessen Augen ruhig auf Monika ruhten.
    Etwas durchzuckte sie dabei. Er sah Monika in etwa so an, wie Jess manchmal sie selbst anblickte. In seinen Augen schwang unverhohlene Zuneigung, eine zärtliche Bewunderung und etwas, das Tessa rührte und sie weicher zu machen schien, als es ihr selbst in diesem Moment lieb war.



    Monika derweil erwiderte seinen Blick nur kurz und sah dann wieder Tessa an.
    „Meinst du nicht auch?“
    Tessa nickte langsam. „Ist schon richtig“, sagte sie dann verunsichert. Sie wusste nicht recht, wie dieses Gespräch ablaufen sollte.
    Zu ihrer Überraschung ergriff nun Niklas das Wort.
    „Tessa, hör mal… ich kann sehr gut verstehen, dass du mir misstraust“, sagte er. „Wir hätten dir das mit uns sagen sollen. Und vor allem fürchte ich, du denkst, ich hätte nur darum Kontakt zu dir aufgenommen, weil ich schon etwas für Monika empfunden habe.“
    „Ist es denn so?“, fragte Tessa geradeheraus und sah ihn zum ersten Mal an diesem Abend direkt an.
    „Nein“, erwiderte er ruhig und hielt ihrem Blick stand. „Ich habe schon damals im japanischen Garten zu dir gesagt, dass ich dich gerne anrufen möchte. Da habe ich Monika nicht einmal fünf Minuten gekannt und nicht im Traum daran gedacht, dass es mit uns soweit kommen könnte.“
    Die beiden warfen sich einen lächelnden Blick zu, von dem Tessa nicht wusste, ob sie ihn rührend oder beleidigend finden sollte, da er sie auf eine unschöne Weise aus einem Geheimnis auszuschließen schien, das nur den beiden zugänglich war.
    Sie schluckte und starrte einen Moment schweigend vor sich hin, überlegte, wie viel Glauben sie Niklas´ Worten schenken konnte.


    „Es ist wirklich einfach passiert“, betonte Monika noch einmal und warf Tessa einen angespannten Blick zu. „Ich dachte, du würdest das am ehesten verstehen…“
    Getroffen von diesen Worten blickte Tessa auf ihre Schuhspitzen. Dann seufzte sie und sagte: „Das tu ich auch. Wer weiß schon, wohin die Liebe fällt, nicht wahr?“
    Sie lächelte und dachte einen Moment an Jess. „Ich weiß, das ist nicht zu steuern“, fuhr sie dann fort. „Trotzdem habe ich ein Problem mit euch beiden. Erstmal natürlich, weil ihr mir nichts gesagt habt. Es ist schon nicht toll, einfach so in eine Szene rein zu platzen, mit der man in hunderttausend Jahren nicht rechnen würde.“
    Sie winkte ab, als Niklas Luft holte, um etwas zu ihrer Verteidigung anzubringen.
    „Schon gut, mir ist klar, dass ihr beide euch absolut bewusst darüber seid, dass das nicht gerade die schlauste Aktion war, die ihr je gestartet habt. Es ist ja aber nicht nur das.“

    Llynya: Danke noch für Deine Glückwünsche! :)
    Ich denke auch, Tessa hat noch viele andere Möglichkeiten. Nur erstmal ist so etwas eben immer ein Schock. Man stellt dann wohl gerne mal alles, was man bisher so gemacht, in Frage. Auch weil sich das alles ja dann "anders" und oft seltsam anfühlt.
    Was Jess angeht, so sieht er vielleicht wirklich ein wenig zu schwarz, aber er hat sicher auch einfach Angst vor dem normalen Leben. Wenn ich einfach mal dran denke, wie schwer man sich nach längerer "Pause" wieder ins Arbeitsleben eingliedert, sei´s nun Urlaub, Arbeitslosigkeit oder Krankheit. Da fällt es dann so schwer, sich wieder zu disziplinieren. Und Jess hängt ja schon seit etlichen Jahren nur "rum". Ich denke, er hat auch davor sicherlich Angst. Und vor den Vorurteilen, dem Hass der Außenwelt. Er war immer irgendwie abgeschirmt. Entweder durch die Drogen, dann das Krankenhaus, dann eben die Reha Klinik. Nun wird das bald vorbei sein. Und das macht sicher Angst.
    Was mit Moni passiert, erfährt man heute!
    Danke für Deinen schönen Kommi!




    Nina: Hihi, ich war aber auch mit den beiden letzten Kapitel schneller als sonst. Du hast auch recht, mit dem, was Du schreibst. Es ist bestimmt sehr schwer, wieder zur Schule zu gehen. Oder auch zu arbeiten, wie ich bei Llynya ja schon schrieb. Für Jess ist alles, was für uns "normal" ist, ja total abwegig und abstrakt gewesen all die Zeit. Klar, er hat n der Reha nun schon ein bischen wieder einen "normalen" Ablauf gelernt, so was Essen und Termine und so betraf. Ein strenger Zeitplan, der einzuhalten war, um eben wieder Struktur zu bekommen usw. Aber draußen muss er das alles selbst schaffen. Klar wird er noch Unterstützung durch Therapeuten usw. haben, aber letztlich ist er doch viel mehr als vorher auf sich gestellt. DAs ist natürlich eine sehr neue Situation für ihn.
    Was Tessa angeht, so sehe ich es auch so wie Du - vieles entwickelt sich erst. Das Studium ist für sie mit Sicherheit erst einmal eine gute Basis. Mal sehen, ob sie das dann auch letztlich so sehen wird.
    Was mit Moni und Niklas los ist, erfährt man heute.
    Danke für Deinen schönen Kommi!

    Hallo ihr Lieben,
    ich will hier auch nochmal auf den neusten Stand bringen. Aufgrund des kleinen Bauchbewohners war ich die letzten 8-10 Wochen ziemlich ausgeknockt. Ich würde "Slanach" sehr gerne fortsetzen, aber zurzeit weiss ich noch nicht so recht, ob das so gut klappt. Ich will aber auf jeden Fall dran bleiben. Im Gegensatz zu "Tiefer" ist es aber so, dass ich hier noch keine ganz detailierte Storyline habe und das Schreiben somit wesentlich "komplizierter" ist. Desweiteren fotografiere ich hier nicht vor und muss immer erst alles bauen und so weiter.


    mal schauen, wie gut ich mich in den nächsten Wochen mit dem PC vertragen werde. ;) Auf jeden Fall versuche ich, weiterzuschreiben. Ich hoffe, ihr bleibt mit dran :)


    Trotzdem hat "Tiefer" erstmal Vorrang, weil ich da nicht mehr so viele Kapitel habe und das unbedingt abschließen will. Ich hoffe, ihr habt dafür Verständnis!