„Nun… ich… ich weiß einfach nicht, ob es richtig ist, dass ich das Studium anfange, nach allem, was geschehen ist…“, gab Tessa zurück. „Es kommt mir irgendwie wie ein Verrat an Jess vor. Ich meine… es kann doch nicht in Ordnung sein, dass ich mein Leben nun einfach so weiterlebe…. als habe es ihn nie gegeben. Als ob ich ihn abgeschrieben, vergessen hätte… so wie es vor ihm geplant war. Bevor ich ihn kennenlernte. Ich kann doch nicht einfach zum Alltag übergehen, auch wenn ich es seit Wochen versuche… aber ich finde es nicht richtig, Monika!“
Monika schwieg, bis der gerade an den Tisch herangetretene Kellner das Essen serviert hatte und erwiderte dann ruhig: „Tessa – nun hör schon auf. Natürlich ist es in Ordnung, wenn du dein Leben weiterlebst. Es ist sogar noch viel mehr als nur das. Es ist erforderlich, es ist notwendig. Was würde es Jess schon helfen, wenn du dein Leben nun auch noch ruinierst? Ich weiß, dass du es nicht so empfindest, und ich kann es verstehen. Aber tief in dir weißt du ganz genau, dass du alles getan hast, was du tun konntest. Du hast ihn gesucht, so gut du konntest. Du hast versucht, ihn zu finden… aber er ist verschwunden. Was soll es nun bringen, wenn du dein Studium nicht antrittst, deine Pläne und Hoffnungen für die Zukunft über Bord wirfst? Es wird nichts an der Situation ändern, das weißt du. Und es würde Jess nicht helfen, auch wenn er hier wäre. Und offen gesagt glaube ich außerdem, dass er es auch nicht gut heißen würde. Meinst du nicht auch?“
Nachdenklich starrte Tessa auf ihren Teller, ohne das Essen anzurühren.
„Vermutlich nicht…“, flüsterte sie dann leise.
„Na siehst du. Es ist wichtig, dass du weiterlebst, Tessa. Dass bedeutet nicht, dass du Jess verrätst oder dass du ihn vergisst. Es hat nichts miteinander zu tun.“
Tessa seufzte und nickte. „Ich denke mir nur immer wieder, dass ich nicht alles getan habe, um ihn zu finden.“
„Aber was hättest du noch tun wollen? Du bist in den letzten Wochen fast täglich durch die Stadt gelaufen, hast alle bekannten Plätze abgeklappert, ohne jemanden zu finden.“
„Nicht einmal Jasmin ist mehr zu finden…“, sagte Tessa leise. „Vielleicht hätte sie mir etwas über Jess sagen können…“
„Und du warst bei der Drogenbehörde, die dir auch bestätigt hat, dass Jess nicht in der Liste steht, aber trotzdem nicht bei ihnen aufgetaucht ist. Seither ist er offenbar auch nicht dort gewesen, sonst hätte man dich informiert…“
Tessa nickte. „Ich weiß das alles, und dennoch kommt mir das, was ich getan habe, zu wenig vor…“
„Aber ich weiß auch, dass es keine anderen Möglichkeiten mehr gibt“, seufzte sie. „Und wenn ich den Tatsachen ins Auge sehe, muss ich einfach einsehen, dass die Chance, Jess zu finden, immer geringer wird. Vermutlich haben wir beiden mit der Annahme, dass er die Stadt verlassen hat, tatsächlich recht. Es tut nur so weh, sich vorzustellen, ihn vielleicht niemals wiederzusehen… wenn ich mich doch wenigstens noch von ihm hätte verabschieden können… in irgendeiner Form…“
Sie seufzte und sah Monika dann an. Reue überkam sie. „Oh Monika – ich bin grausam. Im Gegensatz zu dir habe ich zumindest noch eine kleine Hoffnung, Jess wieder zu sehen… eine Hoffnung, die du nicht mehr haben kannst. Es ist nicht richtig, dass ich dich so voll jammere.“
Monika lächelte gütig. „Mach dir keine Gedanken darum, Tessa. Es ist schon in Ordnung, du kannst ja nichts für mein Schicksal, und es ist vollkommen normal, dass dir die Aussicht, Jess nie wiederzusehen, furchtbar weh tut. Aber gib die Hoffnung nicht auf. Wenn das Schicksal es gut mit euch meint… wer weiß, vielleicht findet ihr euch ja doch noch einmal… irgendwann und irgendwo…“
Tessa nickte. „Ja… wer weiß…“
„Und nun ist es erst einmal wichtig, dass du dein Leben weiterlebst und die Uni in Angriff nimmst! Darauf hast du schließlich so viele Monate gewartet!“
Sie lächelte Tessa aufmunternd zu und diese lächelte schwach zurück.
„Das erscheint mir zwar alles in einem anderen Leben gewesen zu sein… aber du hast dennoch Recht. Die Arbeit hat mir all die Zeit dennoch Spaß gemacht, und letztlich hat sie mich ja auch irgendwie ein Stückweit zu Jess gebracht. Es ist gut, dass ich nun meine beruflichen Ziele in Angriff nehmen und verwirklich kann. Auch wenn mir die Arbeit im Verlag erst einmal fehlen wird. Die Uni wird sicher auch spannend werden.“
Monika nickte zufrieden. „Das ist die richtige Einstellung.“
Sie aßen schweigend zu Ende, dann winkte Monika den Ober heran. „Zwei Gläser Prosecco bitte“, sagte sie lächelnd und zwinkerte Tessa zu. „Wir sollten auf diesen neuen Abschnitt deines Lebens anstoßen!“
Nur wenige Minuten später hoben die beiden jungen Frauen die Gläser und Tessa flog sogar ein Lächeln übers Gesicht.
„Auf dich, Tessa, und darauf, dass dieser Abschnitt deines Lebens etwas glücklicher und freudvoller werden mag als der vergangene…“
„Ja…“, erwiderte Tessa und lächelte ebenfalls. „Und auf dich und uns, Monika! Ich bin froh, dich als Freundin zu haben!“
Und als die Gläser gegeneinander klirrten, empfand Tessa zum ersten Mal seit Wochen wieder etwas wie Freude in ihrem Herzen.
Fortsetzung folgt.