„Du sollst es ja auch nicht ans schwarze Brett hängen“, erwiderte Monika trocken, „sondern es deinen besten Freundinnen aus der Uni sagen, mit denen du immerhin einen Großteil deiner Zeit verbringst. Ich meine, du weißt doch auch aus der Gruppe, dass es nichts nutzt, es zu verheimlichen, es auf Dauer auch gar nicht möglich ist. Tessa, ich bin deine Freundin, aber ich sage dir jetzt etwas, das du nicht gerne hören wirst…“
Monika holte tief Luft und sprach dann weiter: „Ich freu mich wirklich für dich, dass du ein neues Leben anfangen konntest. Ich weiß, wie schwer das war, es hat bei mir auch lange gedauert, bis ich das voll und ganz konnte. Und ich weiß mehr als jede andere, dass es dir auch schwer gefallen ist, und dass du lange Zeit Schuldgefühle deswegen hattest. Ich habe das Gefühl, dass das in den letzten Wochen immer weniger wurde und du wieder zu leben angefangen hast, und das ist gut so! Denn du wirst Jess auch durch Trauer und Selbstbestrafung nicht zurückholen… aber du kannst auch nicht so tun, als habe es ihn nie gegeben. Mach nicht denselben Fehler wie zuvor, dass du versuchst, zwei Leben zu leben – das mit Jess, wenn auch nur in deinem Herzen, und das ohne. Das wird nicht funktionieren, und du weißt das. Erzähle deinen Freundinnen von Jess – verschweig ihn nicht, er gehört zu dir, auch wenn du ihn niemals wiedersehen wirst – er ist ein Teil deiner Vergangenheit! Und wenn du ihn heute wieder treffen würdest, wäre er auch wieder Gegenwart und Zukunft… du musst zu ihm und deiner Geschichte stehen, das ist meine Meinung.“
Tessa seufzte und sagte dann langsam: „Ja, ich weiß, dass du recht hast. Aber ich habe Angst, dass sie es nicht verstehen…“
„Tessa, und wenn schon- dann sieh es als eine natürliche Selektion an. Sie sind deiner nicht wert, wenn sie es nicht verstehen. Wenn sie so voller Vorurteile und seltsamen klischeehaften Vorstellungen sind wie deine Eltern, sind es einfach keine Menschen, mit denen du zu tun haben musst und willst, oder? Gut, deine Eltern kannst du dir nicht aussuchen – deine Freunde aber sehr wohl! Wenn sie es nicht verstehen, sind sie auch nicht deiner Freundschaft wert!“
Tessa schluckte. „Du hast recht, Moni…. du hast ja so recht. Jemand, der Jess verurteilen und als unnormal oder sonst etwas abstempeln würde, ist niemand, mit dem ich zu tun haben brauche, richtig?“
„Genauso meinte ich es! Und jemand, der dich mag und schätzt, kann es schaffen, auch gegen die ein oder andere eingefleischte falsche Wertvorstellung zu kämpfen und sie über Bord zu werfen, da bin ich sicher!“
Tessa nickte. „Das stimmt – das stimmt wirklich. Gut, Moni – du hast recht. Ich werde es ihnen sagen müssen… so bald es geht. Oh Moni, danke für deine Hilfe… was tät ich nur ohne dich?“
Monika lachte am anderen Ende der Leitung. „Keine Ahnung, aber ich weiß, was ich täte – schlafen nämlich, es ist bereits halb zwei in der Nacht! Gut, dass heute Samstag ist!“
Tessa biss sich verlegen auf die Lippe. „Oh weh – das war wohl der Wink mit dem Zaunpfahl, was? Gut, ich lass dich jetzt schlafen, Moni! Gute Nacht und vielen Dank noch mal! Ich melde mich, sobald ich es hinter mir habe!“
„Du schaffst das schon, Tessa! Gute Nacht!“
Tessa lächelte und legte den Hörer auf.
Sie fühlte sich um vieles leichter als zuvor und nun auch ruhig genug, um ins Bett zu gehen. Und sie schlief mit dem Vorsatz ein, gleich morgen früh mit Felicitas zu telefonieren und sie und die anderen um ein Gespräch zu bitten … ganz gleich, wie es verlaufen würde. Es musste getan werden!
Fortsetzung folgt.