Mein Vater verzog keine Miene – starr, nicht mal ein einziges Muskelspiel in seinem Gesicht. Was war jetzt wohl wieder im Busch? Ich drehte mich schnell noch mal um zu Enyama, der schon unsere Einfahrt erreicht hatte. „Enyama...“ Er drehte sich um und ihm war anzusehen, dass ihm das Ganze ebenso ein großes Rätsel war, wie mir. Enyama lächelte mir zu, zwinkerte und sagte „Wir sehen uns morgen.“ Ich nickte und wusste nicht, ob ich lachen oder weinen sollte. Mein Vater stand immer noch genauso da, er rührte sich nicht von der Stelle. Erst als ich im Flur stand, kam Leben in seine Glieder und er kam ebenfalls in den Flur. „Wir reden im Arbeitszimmer Kunami.“ Was um Himmelswillen musste er mit mir besprechen. Mir war schlecht und es war, als schnürte mir jemand die Luft ab. So eine Seite hatte ich an meinem Vater noch nie erlebt. Es machte mir Angst. Ich folgte meinem Vater ins Arbeitszimmer und schloss die Tür.
„Ist das deine große Liebe?“ Ich fiel aus allen Wolken. Galt dieser Auftritt keinem Familienproblem? „Ja, ich liebe Enyama.“ Gab ich nur knapp zur Antwort und meine Ohnmacht wandelte sich langsam in Wut. Was hatte Enyama jetzt damit zu tun? „Kunami bringe ihn nicht wieder hierher mit. Du hast Glück, dass deine Mutter ihn nicht gesehen hat. Es tut mir in der Seele weh es dir zu verbieten, aber ich möchte nicht, dass sie dir das Leben zur Hölle macht.“ „Warum? Kannst du mir das wenigstens mal vernünftig erklären?“ Mein Vater schlug die Augen nieder, atmete tief ein und langsam wieder aus und guckte mich an. „Ich werde es versuchen, mein Schatz. Du weißt, dass wir Besuch aus Afrika bekommen...“ Ich nickte, „aber was hat das jetzt wieder mit Enyama zu tun?“ „Deine Mutter ist im Moment sehr schnell gereizt und die Medikation ihres Arztes hilft da auch nicht viel. Kannst du dich an deine Musikhausaufgabe erinnern?“ „Ja, sie ist völlig ausgerastet.“ „Genau Kunami und ich weiß nicht, wie sie reagiert, wenn du ihr Enyama als Freund vorstellst. Ich habe Angst, dass sie wieder komplett ausrastet und weder dein Opa, noch ich sie bremsen können. Als sie hörte, dass Janet und Rick länger bleiben als geplant, flog hier eine Vase an die Wand. Kunami, ich verspreche dir, wenn der Besuch von den beiden um ist und deine Mutter sich gefangen hat, helfe ich dir dabei. Aber setze es jetzt nicht aufs Spiel, denn dann wäre alles verloren. Tu mir diesen Gefallen und bring ihn nicht wieder hierher. Noch bitte ich dich, zwinge mich nicht es dir zu verbieten. Ich will nicht, dass es schief läuft.“ Es war ihm anzusehen, dass es ihm schwer fiel und ich nickte ihm zu. Er nahm mich in den Arm und wünschte mir eine gute Nacht, er hätte noch zu arbeiten.
Ich verließ das Arbeitszimmer und ging direkt in mein Zimmer. Hunger hatte ich keinen mehr und mir kreiste im Kopf, was Enyama wohl jetzt darüber dachte. Bestimmt malte er sich haufenweise Variationen zusammen, was dieser Auftritt meines Vaters zu bedeuten hatte. Ich starrte aus meinem Fenster. Karina saß mit Fabian noch im Theater. Bei dem Gedanken musste ich lächeln. Ich zog mich um und merkte, dass ich immer noch die Tabletten in meiner Tasche hatte. Ich hatte sie unter dem Waschbecken gefunden vor ein paar Tagen und hatte immer noch nicht bei meinem Opa nachgefragt. Ich beschloss es sofort zu tun, vielleicht fehlten sie ihm und ich wollte nicht, dass er Schwierigkeiten bekam. Ich klopfte bei ihm an die Zimmertür. Mein Opa lag auf dem Bett und schmökerte in einem Buch. Mein Opa klopfte neben sich aufs Bett. „Wo drückt der Schuh?“ „Nirgends, hab keine an.“ Wir mussten beide lachen und ich ließ mich auf das Bett fallen. „Hab ich im Bad gefunden, gehören sie dir?“ Ich griff in die Tasche und hielt ihm den Tablettenriegel hin. „Nein, sind nicht meine.“ „Nicht?“ Mein Opa schüttelte den Kopf. „Wirklich nicht.“ „Muss ich weitersuchen. Spannend das Buch?“ „Ja, musst du. Zweite Leiche im Mc Gregory Castle und der Kommissar immer noch ratlos. Also ich tippe ja auf den Butler.“ Wir mussten beide lachen und ich rutschte wieder vom Bett und wünschte ihm noch viel Vergnügen.
Ich guckte mir den Tablettenriegel noch mal genauer an, Mein Vater nahm keine und dann blieb nur noch meine Mutter über. Ich machte den PC an und gab den Namen in eine Suchmaschine ein. Was ich da fand beruhigte mich nicht wirklich:
- wird gegen mäßige bis starke Schmerzen eingesetzt.
- wirkt im Gehirn und Rückenmark. Es hemmt die Wahrnehmung von Schmerzen, die Schmerzen werden nicht mehr als unangenehm empfunden, entzündungshemmend
- Nebenwirkungen: Kopfschmerzen, Wahrnehmungs- und Stimmungsbeeinträchtigungen, z.B. Depressionen, Euphorie, Verwirrungszustände, Halluzinationen und Albträume, Übelkeit und Erbrechen...
Sollten es tatsächlich ihre sein? Und warum bekommt sie die? Kein Wunder, wenn ihre Depressionen so stark sind. Das Zeug haute einen Elefanten um. Aber wenn sie die wirklich brauchte und das Zeug war verschreibungspflichtig dann war es sicherlich nicht gut, dass ich sie mit mir spazieren trug. Ich speicherte mir die Seite ab, sicher war sicher, wer weiß ob ich es nicht noch mal gebrauchen konnte. Ich suchte nach einer Möglichkeit die Tabletten wieder loszuwerden. Aber wie? Ich hörte meinen Vater die Treppe hochkommen. Ich nutzte meine Chance und winkte ihn in mein Zimmer. „Noch auf?“ „Ja, aber gehe gleich ins Bett. Hab da noch ein Problem.“ Ich zeigte ihm die Tabletten. „Ich glaube es ist besser, du gibst sie ihr. Die waren unter dem Waschbecken vor ein paar Tagen. Ich wollte immer Opa fragen, habe es aber immer wieder vergessen. Opa sagt, das wären nicht seine, also gib sie bitte Mama.“ Mein Vater nahm die Tabletten wünschte mir noch eine gute Nacht und ich war mit meinen Gedanken wieder alleine. Ich kuschelte mich in die Decke und ließ meine Gedanken noch mal zu Karina schweifen, sie lag bestimmt schon im Bett und träumte von dem schönen Abend mit Fabian...
Der Wecker rief zum nervenden Tagesanfang. Duschen, Frühstücken und ab zum Bus. Jonas, Karina und Fabian diskutierten gerade über Jonas neu gekaufte CD. Es tat gut Karina und Fabian an einem Fleck zu sehen. Ich wünschte einen guten Morgen und stieg gleich mit ins Gespräch ein. Die ersten Schulstunden liefen richtig entspannt ab, da Karina nicht mehr vor Fabian flüchtete, besser sogar, sie unterhielten sich zwischendurch und es tat mir irre gut das zu beobachten. In der Pause nutzte ich die Gelegenheit um beiden von den Schwimmplänen mit Enyama zu erzählen. Jonas war überrascht und ich konnte gerade noch mit den beiden einen Termin abstimmen, bevor Fabian zu uns rüberkam.
Er hatte da eine großartige Idee und wollte sie mit Karina durchsprechen. „Sehe euch nachher, ist jetzt wichtig!“, strahlte Karina und suchte sich ein Eckchen mit Fabian. „Du hast einen Freund und sagst keinen Ton.“ „Ja, habe ich. Bist du jetzt böse?“ „Hätte gedacht erzählst es deinem besten Freund gleich, aber ist okay, freu mich für dich. Lerne ich dann ja mal kennen. Vielleicht ja ganz nett, dein Traumprinz.“ Ich musste lachen, Jonas nahm das wieder von der coolen Seite. Wie immer. „Aber du, sag mal: Was geht da zwischen Fabian und Karina ab? Sollte ich das mal im Auge behalten... mein ja nur so.“ „Ja, solltest du im Auge behalten.“ Ich grinste ihn an und klaute ihm was von seinem Pausenbrot. „Na so haben wir aber nicht gewettet.“ Lachend gingen wir wieder ins Schulgebäude, denn es ging wieder weiter. Ich übte mit Karina Tanzen und Jonas tüftelte wieder an den Scheinwerfern.
Ich fuhr diesmal direkt nach der Schule ins Jugendzentrum. Es ließ mir keine Ruhe, ich musste Enyama das Chaos von gestern erklären. Ich wusste allerdings selbst noch nicht, wie ich das machen sollte.
Als ich ins Jugendzentrum kam stand Faye hinter der Theke und winkte mir gleich zu. „Suchst bestimmt Enyama. Der ist mit Ralph im Keller. Willst du was trinken?“ „Gerne. Wer ist Ralph? Einer vom Team?“ „Der Leiter von Jugendzentrum, echt ein Netter, wirst ihn mögen. Gucken Getränke nach, wegen dem Konzert am Freitag.“ „ Ach ja, Enyama sagte schon, dass er dann hier ist.“ „ Kommst du auch? Wird bestimmt lustig.“ Faye stellte mir eine Zitronenlimonade auf den Tresen und lachte mich an. „Bin froh, dass Enyama dich hat. Er strahlt immer, wenn er von dir spricht. Und die Augen leuchten so schön. Und jetzt halte ich lieber meinen Mund, Feind hört sonst mit.“ Sie grinste und Enyama stand auch schon hinter mir. „Habt ihr euch gut amüsiert?“ fragte er. „Klar, wir Mädels schaffen das auch ohne dich.“, gab Faye ihm gleich zur Antwort. „Faye, Donnerstag müssen wir noch mal los. Orangensaft und Cola gehen zu Ende. Von der Orangenlimo könnte ne kleine Menge auch nicht schaden. Kommst du mit, Enyama?“ Ralph sah Enyama gespannt an. Und Enyama sah wiederum mich gespannt an. „Was kam raus? Wann gehen wir Schwimmen?“
„Jonas kann auch nur Donnerstag.“ „Also Ralph, keine Chance am Donnerstag lerne ich die besten Freunde von Kunami kennen.“ „Nicht schlimm, ich frag Timm oder Sascha. Kunami, kommst du Freitag auch? Würde mich freuen.“ Ralph schien sein Zentrum gut im Griff zu haben. „Ich komme gerne.“ „Super! Wirst sehen wird klasse, haben Enyama und Faye wieder auf die Beine gestellt.“ „Bist früh dran heute. Die beiden dampfen gleich ab zu ner Volleyballgruppe und ich habe eine Stunde Thekendienst hier.“ „Halte ich aus. Nicht viel los hier, oder?“ „ Nee, im Moment alle beim Volleyball und zwischendurch mal ein paar Kids hier, aber die meisten kommen später.“ „Gut, denn ich muss noch mit dir reden.“ „Kein Problem, genug Zeit haben wir.“ Er holte sich auch ein Glas Limo und setzte sich zu mir an die Theke.„Also schieß los, was war gestern los?“ „Ist eine lange Geschichte...“ Ich nahm allen Mut zusammen und erzählte ihm alles, was ich bisher bei meinen Eltern beobachtet hatte, das Katz und Maus Spiel, den Besuch aus Afrika und den kompletten Ausraster meiner Mutter. Ich ließ nichts aus und er hörte mir geduldig zu. „Mein Vater ist der Meinung, dass wenn ich dich mit nach Hause nehme, meine Mutter ähnlich ausrastet. Er will, dass ich warte bis der Besuch wieder weg ist und meine Mutter sich gefangen hat.. Ist das überhaupt okay für dich?“ „Es ist in Ordnung für mich. Kunami ich will mit dir zusammen sein. Wo ist mir egal. Ich denke nach dem, was du mir von deiner Mutter erzählt hast, hat dein Vater völlig recht. Das würde sie alles überfordern. Viel los bei dir im Moment.“ Er nahm mich in den Arm und gab mir einen Kuss. „Ich freue mich schon am Donnerstag auf das Treffen mit deinen Freunden.“ Ich grinste ihn an „Und ich erst.“
Nach Enyamas Thekendienst gingen wir noch ein Eis essen. Und schauten uns einen Film im Kino an. Er brachte mich ein Stück nach Hause, die letzten drei Straßen ging ich dann lieber alleine.
Als ich nach Hause kam schoss mein Opa aus der Küche „Keinen Schritt weiter, die fetzen sich oben wieder.“ „Fetzen?“ „Ja fetzen, streiten, haben Stress, oder wie du es nennen willst.“ „Ich meinte eher warum wieder?“ „Na wieder wegen dem Fotographentreffen. Er will sie mitnehmen, sie will aber nicht. Ging beim Essen los. Steht noch alles, kannst gleich mit mir essen, aber vorher sollst du noch Shanice zurückrufen.“ „Shanice? Warum das?“ „Keine Ahnung, wird sie dir dann sagen denke ich. Nimm das Telefon im Arbeitszimmer.“ „Okay...“ Ich ging ins Arbeitszimmer und wählte die Nummer meiner Tante.
„Fotogalerie Shanice Evans...“ „Hallo, hier ist Kunami. Ich sollte dich zurückrufen?“ „... ja genau, hast du morgen schon was vor?“ „Worum geht es überhaupt? Ist das zeitlich gebunden?“ Ich hatte mich ja mit Enyama verabredet und keine Lust ihn zu versetzen. „... geht um dein Geburtstagsgeschenk will, dass du es vor dem Familienchaos bekommst und wir sollten bis 18.30 Uhr da sein.“ „Okay, kannst du mich um 17 Uhr am Jugendzentrum, Pappelstraße abholen?“ „Ist okay, machen wir es so.“ „Aber warum kann das nicht bis zu meinem Geburtstag warten?“ „...Kunami, vertraue mir einfach. Bis morgen dann“ „Okay, bis morgen.“
„Kunami, nur wundern, einfach nur wundern...“ murmelte ich und verbrachte den Rest des Abends mit meinem Opa.