„Hi Dad.“ Das zierliche junge Mädchen vor der Tür lächelte Gene unsicher an. Der machte zunächst keinerlei Anstalten, sie hereinzubitten, sondern antwortete nur zurückhaltend: „Hallo Georgia.“ Sie trat nervös von einem Fuß auf den anderen. So hatte sie sich den Empfang nicht vorgestellt. „Du scheinst ja nicht gerade überrascht zu sein.“ „Jedenfalls habe ich bereits gehört, dass du nicht da bist, wo du sein solltest“, antwortete Gene und seine Tochter verzog das Gesicht über die vorhersehbare Reaktion ihrer Mutter. Natürlich hatte die nichts Besseres zu tun gehabt, als ihren Ex-Mann anzurufen, sobald sie Georgias Verschwinden bemerkt hatte. „Aber dass du zu mir kommen würdest, habe ich ehrlich gesagt nicht erwartet.“ Er trat zur Seite und ließ das Mädchen ins Haus gehen. „Kann ich nicht einfach mal meinen Vater besuchen?“
„Du hast mich die letzten neun Jahre nie besucht, wenn ich dich daran erinnern darf.“ Georgias Augen blitzten auf. „Tja, ich wurde nie eingeladen, oder?“ Ihr Vater verzichtete darauf, sie auf die Tatsache hinzuweisen, dass er sie auch dieses Mal nicht eingeladen hatte. Hätte Gene das je getan, hätte Helen ohnehin einen Weg gefunden, ihre Töchter von einem Besuch bei ihm abzuhalten. Er nahm eine abwartende Haltung ein, um ihr zu zeigen, dass seiner Ansicht nach immer noch eine Erklärung fällig war. Als diese ausblieb, beschloss er nachzuforschen. „Hat das Geld nicht gereicht, dass ich dir zum Geburtstag geschickt habe?“ Seine Tochter bedachte ihn mit einem angriffslustigen Blick. „Ich bin nicht wie Mum und Jen, das solltest du eigentlich wissen!“
Dem konnte Gene schlecht widersprechen. Während Helen und seine ältere Tochter Jennifer sich während seiner Ehe meistens damit zufrieden gegeben hatten, dass er ihnen einen gewissen Lebensstandard ermöglichte, war Georgia nicht so leicht abzuspeisen gewesen. Sie hatte als kleines Kind immer gewollt, dass er mit ihr spielte, mit ihr redete, mit ihr kuschelte – all das, wofür er keine Zeit gehabt hatte. Was sie wollte, war ein Vater, nicht nur ein Ernährer. Und in den letzten neun Jahren, wenn er zu größeren Feiertagen zu Helen und den Mädchen fuhr, um Geschenke abzuliefern (und den Kontakt nicht völlig zu verlieren), war es immer Georgia, die sich hinsetzte und wirklich mit ihm redete. Da er nicht reagierte, gab seine Tochter vor, sich interessiert in dem für sie fremden Haus umzublicken.
„Kann ich eine Weile bleiben?“ fragte sie plötzlich. „Wie lange ist ‚eine Weile’?“ konterte Gene. Sie überschlug im Kopf, wie lange sie wohl brauchen würde, um sich einen Job und eine andere Unterkunft zu besorgen und meinte vorsichtig: „Zwei, drei Wochen?“ „Das schlag dir mal aus dem Kopf. Du fährst schön brav wieder nach Hause.“ Die Reaktion fiel ziemlich heftig aus. „Ich geh nicht wieder zurück! Mum behandelt mich wie ein kleines Kind, das lass ich mir nicht mehr gefallen!“ Gene atmete tief durch und gab widerstrebend seiner Ex-Frau insgeheim Recht. „Du benimmst dich ja auch wie eins… Läufst bei Problemen einfach weg. Es gibt doch Probleme?“ Das Verhalten von Teenagern mochte manchmal schwer zu verstehen sein, trotzdem glaubte Gene, dass es einen bestimmten Auslöser gegeben haben musste.
„Nichts, was dich…“ Georgia stockte. „Was mich etwas angeht?“ fragte ihr Vater provokant. „Nichts, was dich interessieren würde“, entgegnete sie bestimmt, um gleich danach ihre Taktik zu ändern. „Also… kann ich hier bleiben? Bitte!“ flehte sie und setzte einen hochgradig verzweifelten Blick auf. Nicht, dass Gene sich von einer derartig schlechten schauspielerischen Leistung hätte beeindrucken lassen, aber er überdachte seine ursprüngliche abwehrende Haltung – und wenn es nur war, um Helen eins auszuwischen. „Okay, aber nur dieses Wochenende.“ Plötzlich hatte er eine fuchsteufelswilde Ex-Frau vor Augen, die ihn der Entführung beschuldigte und ergänzte schnell: „Und du rufst deine Mutter an und sagst ihr, dass es dir gut geht, ist das klar?“ Seine Tochter nickte begeistert und versprach, diese kleine Bedingung zu erfüllen.