• Da hat die gute Eileen aber einiges vor sich. Egal, wie sie sich entscheidet, das schlechte Gewissen ist eigentlich schon vorprogrammiert. Wenn sie sich Fabian anvertraut, wird diese schwere Zeit eine harte Belastungsprobe für ihre Gefühle, für die noch junge Beziehung werden. Früher oder später wird es da wohl mal krachen (oder vor sich hin gären bis zum bitteren Ende). Nacht - und Spätschicht wie Fabian sie übernimmt sind schon ohne zusätzlichen Stress eine enorme Belastung, und der Beruf als Arzt erfordert höchste Konzentration und Aufmerksamkeit, ein Fehler kann fatale Folgen haben. Aber sie kann ihn schlecht davon abhalten sich um sie zu kümmern. Sicher könnte sie das Ganze mit ihren Eltern regeln, aber sie kann es schlecht vor ihm geheimhalten. Und wenn er zu dem Schluss kommt, dass sie ihn in einer schweren Situation nicht um sich haben will, wäre das mindestens genauso destruktiv. Besonders wenn sie ihn beschwichtigt und über den Ernst der Lage im Unklaren lässt. Außerdem würde es ihr wohl schwerfallen, ihren Eltern das aufzubürden, um ihrer Tochter zu helfen den Lebenstraum aufgeben zu müssen. Sie würden es tun, kein Zweifel daran, aber das ändert nichts daran, dass es keine gute Lösung wäre (nicht, dass es eine gute Lösung grade gäbe), und Eileen müsste sich wohl ewig mit Schuldgefühlen plagen. Egal wie sie sich entscheidet, sie wird wohl Klartext reden müssen, jetzt kommt sie nicht drumrum. Das wird ein aufschlussreiches, wenn auch kein sehr glückliches Kapitel werden. Wahrscheinlich wäre ein paar Wochen Klinik wohl die beste Alternative gewesen, aber wenn sie nicht will... wird sie sich wohl für eine der Alternativen entscheiden müssen. Oder sich etwas ganz neues überlegen, es bleibt spannend. Ich könnte mir vorstellen dass Marcel auf der Stelle bei Fuß angehechelt kommt um Eileen zu pflegen, damit es seinem Baby auch ja gut geht. Und sich kräftig mit Fabian in die Haare kriegen. Auch wenn ich inzwischen weitaus mehr Verständnis für Marcel aufbringen kann, er war grausam, und ich halte nicht besonders viel von ihm. Er würde sich zwar um Eileen und vor allem das Kind kümmern wollen. Aber das heißt nicht dass er es auch darf. Das hat Eileen zu entscheiden, und er hat ihre Entscheidung zu respektieren. Es ist wahrscheinlich dass sie ihn nicht in ihrer unmittelbaren Umgebung haben will, und er sollte sich dem auch beugen. Doch wie man über Marcel gelernt hat, wird er ihr wahrscheinlich so lange auf die Nerven gehen, bis sie doch einwilligt, oder Nägel mit Köpfen macht und irgendwas auf die Beine stellt, was jetzt im Moment das letzte ist was sie brauchen kann. Noch mehr Stress in dieser schwierigen Situation wäre wohl der Super-Gau. Meine Empfehlung wäre ein Hündchen. Hält Marcel zuverlässig auf Abstand (Tierhaarallergie ;)), wäre ein sichtbares Zeichen, dass sie es ohne seine bestimmerische Art besser hat, und außerdem ist so ein tierischer Kamerad Balsam für die Seele, ein Tröster in der Not mit dem man über alles reden kann, und über nichts reden muss. Einen kleinen Spaziergang am Tag wäre wahrscheinlich sogar drin. Wäre die Frage wer den zweiten und evtl dritten Spaziergang, Tierarzt, Hundeschule usw übernimmt :rollauge Ich freue mich schon auf die Fortsetzung.

  • Hallo Innad,


    sei mir bitte nicht böse, dass es jetzt schon wieder so ewig gedauert hat mit meinem Kommi. :(
    War viel los, viel Stress, blablabla, die üblichen Ausreden. ;) Aber Du weisst ja vermutlich selbst, wie das ist. Aber sei versichert, dass es keine böse Absicht ist, und dass ich Deine Geschichte nach wie vor voller Freude lese.


    So, und jetzt zum Wesentlichen. ;)


    Das klingt ja alles gar nicht gut, und da ist Eileen in einem echten Dilemma. Sie scheint mir auch zu den Menschen zu gehören, denen es unangenehm ist, sich helfen lassen zu müssen (ich gehöre auch dazu :(). Aber in dieser Situation, wenn es um das Leben ihres ungeborenen Kindes und seine Gesundheit geht - und auch um ihre - wird sie das einfach tun müssen und sich helfen lassen müssen. Oder ins Krankenhaus gehen, wo sie versorgt wird.
    Und ich denke, es ist höchste Zeit, dass sie mit Fabian Klartext redet. Und ihm alles sagt, was sie auch Lene gesagt hat, die Gründe, weshalb es nicht so gut ist, wenn er derjenige ist, der ihr hilft - oder als Einziger hilft. So, wie ich Fabian einschätze, wird er diese Gründe sicher verstehen und auch nachvollziehen können. Aber sie sollte es ihm offen sagen, damit er sich nicht ausgeschlossen fühlt, und weil es ein partnerschaftlicher Schritt wäre. Dann kann man gemeinsam überlegen, wie man mit der Situation umgeht.
    Ich denke, im Moment ist es sicher keine schlechte Idee, zu den Eltern zu ziehen. Die werden bis zur Geburt des heißersehnten Enkelkinds vermutlich sowieso nicht in den Süden abdampfen, und so, wie die beiden wirken, sind sie doch sehr fürsorglich und würden sich bestimmt gern um ihre Tochter kümmern.
    Bis zum Herbst, wenn die Finca wieder Thema werden könnte, vergeht noch viel Zeit. Bis dahin ist das Baby auch schon größer, und dann findet sich möglicherweise auch eine andere Lösung. Und wer weiss, bis dahin sind Eileen, Fabian und das Baby vielleicht auch schon längst eine Familie.


    Ein echtes Problem - zumindest in meinen Augen - ist die Wohnung. Ich bin so ein Mensch, der absolut darauf angewiesen ist, dass er sich zuhause wohl fühlt, und ich könnte mir vorstellen, dass Eileen da ähnlich gestrickt ist. Eine (neue) Wohnung zu haben, sie man nicht mag und in der man sich nicht wohlfühlt, ist schon schlimm genug, aber in Eileens eh schon seelisch angekratzter Verfassung ist das nochmal doppelt schlimm. Da sehe ich im Moment aber wirklich auch keinen Ausweg. Auch hier hilft vermutlich nur, abzuwarten und zu sehen, wie sich die Dinge entwickeln.
    Dass Eileen aber immer wieder an ihrem alten Haus vorbeifährt und ihm nachtrauert, kann ich gut nachvollziehen, auch, wenn es ihre Lage nicht leichter macht, sondern eher nur erschwert.


    Vielen Dank jedenfalls für die schönen Kapitel!

  • Hallo liebe Leser


    sorry, dass es so lange schon keine Fortsetzung mehr gibt. Ich bin vor ein paar Wochen (wieder) Mama geworden und hatte während der Schwangerschaft überhaupt keine Chance, hier weiterzumachen, ich war vollkommen offline. Nun ist mein Büro im Haus auch zugunsten des Kinderzimmers umgezogen :rollauge und dabei ist irgendwie die entsprechende Sims2 CD verschollen (mal wieder...). Ich muss mich in einer ruhigen Minute - die eher selten sind :D - mal auf die Suche machen, damit es hier wieder weitergehen kann :)

  • Hallo Innad,


    ich freue mich so sehr für Dich, dass alles gut gegangen ist und die Kleine jetzt da ist! Ich hab in der letzten Zeit öfter an Dich gedacht und hier immer mal reingesehen, wollte Dich aber auch nicht mit einer PN belästigen.
    Jedenfalls die besten Wünsche für euch, und alles, alles Gute!
    Mach Dir bloß keine Gedanken wegen einer Fortsetzung, da gibt´s jetzt wirklich Wichtigeres, wir warten da doch gerne.
    Heißt die Kleine denn so wie angekündigt? :D Und Du weisst ja, ich möchte dann gerne virtuelle Patentante werden. ;)

  • Hallo in die Runde
    leider läuft SIMS2 überhaupt nicht mehr auf meinem PC seit ich die Software umgestellt hab. Und da ich auch keine Zeit habe, mich da nu technisch extrem reinzufuggern, hab ich entschieden, die verbliebenen 10 Kapitel einfach fix mit den 3er Sims zu bebildern. Natürlich sind die Fotos nun nicht so toll wie bei den 2er SIms, weil ich einfach nicht das technische Rüstzeug habe. Und natürlich sieht alles etwas anders aus, v.a. die Sims. Aber es geht ja v.a. um den Text und dass ich die Story hier abschließen kann und das nicht völlig ohne Bilder. In dem Sinne viel Vergnügen mit dem nächsten Kapitel.

  • 63.

    Fabian hatte eine ganze Weile nur schweigend mit ihr auf der Couch gesessen, eine Decke um sie gehüllt und sie weinen lassen.
    Als sie sich langsam beruhigt hatte, hob er ihr Kinn sacht mit dem Zeigefinger nach oben, so dass sie ihn anschauen musste.
    „Was war bei deinem Arzttermin los?“



    Eileen schluckte. „Ich… woher wusstest du, dass...?“, stellte sie stattdessen die Gegenfrage.
    „Dass etwas nicht ganz stimmen kann?“, vervollständigte er den Satz und beantwortete die Frage sofort, indem er fortfuhr: „Du hattest mir gesagt, dass du mich anrufst, sobald du fertig bist. Wir wollten eigentlich zusammen ins Kino gehen, hast du das vergessen?“
    Eileen sah ihn entgeistert an – sie hatte diese Verabredung tatsächlich vollkommen vergessen!
    Dabei hatten sie erst gestern darüber gesprochen, und sie hatte sich so gefreut, endlich einmal wieder herauszukommen, einen schönen Film zu schauen und ihren Alltag vergessen zu können.
    Doch nach der schlechten Nacht und im Laufe des Tages, der fast nur aus dem Kampf gegen die Müdigkeit bestanden hatte, waren ihre Gedanken nicht mehr an diesen Punkt zurück gekehrt – und nach dem Arztbesuch schon gar nicht mehr. Viel zu aufgelöst war sie deswegen.
    „Oh mein Gott“, stammelte sie beschämt und wischte sich die Tränen von den Wangen. „Das habe ich einfach vergessen, Fabian. Es tut mir so leid. Ich … hatte einen total bescheidenen Tag.“
    „Ist das alles?“, fragte Fabian und musterte sie forschend.
    Sie wusste nicht genau, was sie sagen sollte.
    „Hast… du mit Dr. Heinrichsen gesprochen?“, fragte sie darum vorsichtig.



    Fabian schüttelte den Kopf. „Nein, schon lange nicht mehr. Wir sehen uns nur ab und an mal beim Mittagessen, Eileen. Mehr nicht. Wieso? Ist etwas mit dem Kind?“
    Er sah sie besorgt an.
    Eileen schüttelte den Kopf – eigentlich stimmte das ja auch. Dem kleinen Bauchbewohner ging es ja gut, jedenfalls im Moment.
    „Nein… nein, alles in Ordnung.“
    „Also nur ein schlechter Tag?“, hakte Fabian nach.
    Eileen biss sich auf die Lippen und schüttelte dann langsam den Kopf.
    „Ich… muss etwas mehr ruhen“, sagte sie dann so knapp wie möglich. „Sie hat mich bereits jetzt in den vorgezogenen Mutterschutz geschickt. Und ich soll mich nicht mehr so viel bewegen. Das hat mich wohl etwas durcheinander gebracht.“
    Sie lächelte schief. „Ich meine, ich dachte einfach, dass ich noch zwei Wochen arbeiten gehe. Ich war wohl noch nicht soweit.“
    Fabian sah sie mitfühlend an. „Das glaube ich dir. Ich bin aber ganz froh, dass sie diesen Entschluss getroffen hat. So hast du etwas mehr Ruhe und Zeit, um dich auf die Geburt vorzubereiten. War denn sonst alles in Ordnung? Ich…“, er zögerte und sah sie nicht an, als er weitersprach, „ich hatte das Gefühl, dass du in letzter Zeit ziemlich erschöpft warst und dein Bauch kam mir manchmal recht hart vor. Ich bin natürlich kein Fachmann auf diesem Gebiet, aber…“



    Eileen nickte und versuchte, möglichst gelassen zu antworten. „Ja, ich weiß. Das war auch der Grund, weshalb sie sagt, ich soll lieber jetzt schon zu Haus bleiben. Es sind wohl noch keine Wehen, aber wohl auch nicht mehr so ganz Übungswehen.“
    Sie winkte leichthin ab. „Ich hab´s nicht so ganz verstanden, nur dass ich lieber ein wenig mehr die Füße hochlegen sollte, um das nicht zu fördern.“
    Er sah sie lange an, und sie fragte sich für einen Moment, ob er wusste, dass sie die Lage herunter spielte.
    Im selben Augenblick fragte sie sich selbst, wieso sie das eigentlich tat.
    Sie brauchte nicht lange nachdenken, um die Antwort zu finden. Wenn er wüsste, wie ernst die Lage war, würde er alles versuchen, um ihr zu helfen.
    Und das wollte sie nicht. Sie wollte sich nicht noch mehr in seine Schuld stellen. Die Lage war ohnehin schon schwierig genug. Wieder einmal verstand sie nicht recht, wieso er überhaupt noch bei ihr war. Sie vergaß Verabredungen, war eigentlich keine „Frau“ im normalen Sinne, hormongesteuert, verletzbarer als im Normalzustand und brachte jede Menge Altlasten mit in die Beziehung. Altlasten aus einer Ehe, mit der sie niemals ganz würde abschließen können, weil ein Kind aus ihr entstanden war, das noch nicht einmal das Licht der Welt erblickt hatte.
    Sie seufzte tief, woraufhin Fabian sie wieder prüfend ansah, aber nichts weiter sagte.
    „Also… dann bist du jetzt also ganz offiziell im Mutterschutz?“, fragte er nach einer Weile des Schweigens.



    Sie lächelte schief. „Naja, nicht so recht- noch bin ich einfach nur krankgeschrieben, weißt du.“
    Er nickte wieder und sie schwiegen eine Weile, bis das Geräusch ihres knurrenden Magens die Stille durchbrach.
    „Ich habe auch noch nicht gegessen“, sagte Fabian lächelnd und nahm ihre Hand. „Wir wollten das doch vor dem Kinobesuch machen. Jetzt ist es dazu aber zu spät, und ich glaube, es wäre für dich heute auch nicht so ganz das richtige, oder?“
    Eileen schüttelte den Kopf.
    „Also – soll ich uns etwas zu essen besorgen?“, fragte er sanft. „Auf was hättest du denn Lust?“
    „Mein Kühlschrank ist leider ziemlich leer“, erwiderte sie entschuldigend. „Ich habs nicht mehr zum Einkaufen geschafft.“
    „Finde ich gut – du weißt, dass ich nicht kochen kann“, antwortete er mit einem schiefen Grinsen. Eileen musste lachen.
    „Oh ja, das weiß ich.“
    Sie erinnerte sich an die wenigen Male, die er es versucht hatte – und seit denen sie verstand, wieso er sich in der Hauptsache von Fertiggerichten oder dem Tagesmenü der Krankenhaus-Kantine ernährte.
    „Also, was meinst Du? Pizza? Chinesisch?“
    „Pizza“, entschied Eileen. „Gehst du eine holen?“
    Er nickte. „Mach ich. Möchtest du mitkommen?“
    Sie schüttelte den Kopf. „Nein, ich bin ziemlich müde, Fabian. Wenn es dir nichts ausmacht, würde ich gerne hierbleiben und unter die Dusche springen. Nach den Untersuchungen klebt der Bauch immer noch stundenlang von diesem blöden Ultraschallgel. Finde ich jedenfalls.“
    Sie seufzte bei dem Gedanken an die lauwarme Dusche.
    „Versteh ich gut“, erwiderte er. „Ich bin gleich wieder da.“ Er gab ihr einen schnellen Kuss und verschwand durch die Wohnungstür.



    Eileen wartete, bis sie die Haustür ins Schloss fallen hörte. Dann griff sie nach ihrem Telefon und wählte die Nummer ihrer Eltern.
    „Mama“, sagte sie, als sich die vertraute Stimme am anderen Ende der Leitung meldete. Und dann begann ihre Stimme schon wieder zu zittern. „Mama, ich brauch eure Hilfe.“



    FS folgt.

  • cindy: Danke! :)


    64.

    Eileen streckte sich gemütlich auf der Couch aus und genoss die vertraute Stille um sich herum. Nur ein paar fröhliche Vögel waren zu hören, die im knospenden Baum vor dem Fenster ihr Lied sangen.
    Aus der Küche drang der verlockende Geruch von frisch gebackenem Kuchen.
    Sie zog die weiche Decke etwas mehr um sich, obwohl es nicht kalt war; nur um das wohlige Gefühl zu verstärken und schloss für einen Moment die Augen.



    Nach einer Weile hörte sie die Schritte ihrer Mutter näher kommen.
    „Schläfst du?“, fragte diese leise.
    „Nein – ich bin seit einer Weile wach.“
    „Hast du gut geschlafen?“, fragte ihre Mutter und setzte sich neben Eileen in einen der gemütlichen Sessel.
    Eileen nickte und setzte sich langsam auf. „Wie ein Murmeltier“, gab sie zu. „Ich habe schon seit Wochen nicht mehr so gut geschlafen, und das, obwohl es nur ein paar Stunden waren.“
    Eileens Mutter lächelte.
    „Das freut mich, Eileen.“
    „Hier ist es so schön ruhig“, seufzte Eileen traurig. „Bei mir ist immer Lärm, selbst nachts- finde ich jedenfalls.“
    „Du bist es nicht mehr gewöhnt, in einem Haus mit mehreren Parteien zu wohnen“, erklärte ihre Mutter ihr tröstend. „Aber das kommt wieder, da bin ich mir sicher. Obwohl ich es mir auch schwierig vorstelle. Wir wohnen ja auch schon seit Jahren in diesem Haus, seit Jahrzehnten um genau zu sein. Das ist schon etwas ganz anderes.“
    Eileen nickte traurig. „Ja – ich hätte das nie gedacht. Es klingt so dekadent, finde ich.“
    „Vielleicht ist auch einfach die Wohnung nicht die beste Wahl gewesen“, überlegte ihre Mutter nach einigen Sekunden des Schweigens. „Vielleicht ist das Publikum einfach zu gemischt?“



    Eileen zuckte die Achseln.
    „Ich habe bei der Wohnungssuche nicht so sehr darauf geachtet. Mir war nur wichtig, dass auch ein oder zwei Familien dort wohnen – und als ich zwei Kinderwägen im Eingang habe stehen sehen, war mir das klar.“
    „Ja, aber nun – hast du nicht gesagt, neben dir wohnt eine Familie, über dir verwitwete Rentner und auf der anderen Seite deiner Etage ein Studentenpaar?“
    Eileen nickte seufzend. „Ja, es ist eine komische Mischung. Die Leute aus dem dritten und zweiten Stock habe ich noch gar nicht richtig kennen gelernt. Im ersten Stock wohnt auch eine Familie und je zwei Rentner – eine Frau und ein Mann, die gehören natürlich nicht zusammen, jeder in seiner eigenen Wohnung. Neben mir wohnt eine Familie Uhrmacher, ich habe den Vater mal gesehen, als ich zur Arbeit ging, er war ganz nett. Sie haben drei Kinder, der liebe Gott allein weiß, wie sie die in diese Wohnung kriegen. Sie kann ja nicht sehr viel größer sein als meine. Und auf der anderen Seite neben mir wohnt wohl ein Studentenpaar, ja. Ich habe sie auch ein- oder zweimal gesehen. Sie sind aber auch sehr nett, nur sind sie eben gerne mal lange auf. Und letzten Samstag haben sie wohl eine kleine Privatfete gehabt, die bis drei Uhr in der Nacht ging. Es war nicht unbedingt laut, keine Musik oder etwas in der Art. Aber natürlich ging die Wohnungstür ständig auf und zu, auf dem Balkon wurde geraucht und sich dabei unterhalten… und morgens um sieben fing dann das Baby der Schuhmachers zu schreien an. Die Rentner sind aber auch nicht besser. Ich habe manchmal das Gefühl, sie stehen den halben Tag nur unten an den Briefkästen und erzählen mit jedem, der ihnen über den Weg läuft. Erst heute Morgen fingen sie schon wieder um halb sechs damit an, Mama. Wieso stehen nur alle Rentner so früh auf?“



    Ihre Mutter lächelte nachsichtig. „Vergiss nicht, dass dein Vater und ich auch Rentner sind.“
    Eileen winkte ab. „Aber ihr seid nicht so typische Rentner.“
    „Vielleicht in zehn Jahren? Wer weiß.“ Sie lachte.
    Eileen schüttelte den Kopf. „Glaub ich nicht. Außerdem bist du in Frührente gegangen.“
    „So kann man es auch nennen. Das macht natürlich den Unterschied“, erwiderte ihre Mutter belustigt. „Aber Spaß beiseite. Vielleicht solltest du irgendwann doch noch nach einer anderen Wohnung schauen. Wenn das Baby da ist und schon etwas gewachsen, was meinst du?“
    Eileen zuckte mit den Achseln. „Schon wieder umziehen? Ich weiß nicht, Mama. Mir hat der letzte Umzug gereicht – und was das wieder kosten würde.“
    Eileens Mutter nickte langsam. „Das stimmt, ja. Vielleicht musst du dich wirklich nur daran gewöhnen. Aber in deinem Zustand ist das nicht so einfach. Normalerweise würde dir das alles wohl nur halb so viel ausmachen.“
    „Das denke ich auch“, stimmte Eileen ihr zu.
    Ihre Mutter schwieg einen Augenblick, dann sagte sie: „Du kannst auch bei uns einziehen, Eileen. Bis das Kind da ist, und auch danach noch. Dein altes Zimmer steht mehr oder minder leer, das weißt du. Und das Gästezimmer ist auch frei.“



    Eileen lächelte ihr dankbar zu. „Vielleicht werde ich dein Angebot für ein paar Nächte nutzen, vielleicht kurz vor der Geburt. So wie die Tage vor dem Umzug.“
    Ihr graute vor dem Gedanken, sich mit dem Taxi zur Klinik fahren lassen zu müssen, wenn die Wehen einsetzten. Ihre Mutter hatte ihr bereits versprochen, bei der Geburt dabei zu sein. Auch Marlene hatte sich enthusiastisch angeboten, aber da der schon schlecht wurde, wenn jemand sich in den Finger schnitt, hatte Eileen dankend abgelehnt.
    Sie wollte nicht im Kreißsaal liegen und während der Wehen Wiederbelebungsversuche bei einer ohnmächtigen Marlene machen müssen.
    Natürlich hatte auch Marcel vorsichtig anklingen lassen, dass er gerne dabei wäre. Aber Eileen hatte ihm noch keine klare Zusage gegeben.
    Sie stellte sich die Geburt als sehr anstrengend und intim vor – und wusste nicht, ob sie sich vor ihm überhaupt noch fallen lassen könnte.



    Als hätte ihre Mutter ihre Gedanken erraten, sprach sie das Thema in diesem Moment an.
    „Hast du eine Entscheidung getroffen, was du Marcel sagen willst – ich meine, wegen der Geburt?“
    Eileen schüttelte den Kopf. „Nein. Noch nicht. Es ist ja auch noch etwas Zeit. Im Moment kann ich es mir einfach nicht vorstellen, ihn bei mir zu haben. Vielleicht ist zu viel kaputt gegangen zwischen uns – auch wenn wir uns wieder ganz gut verstehen?“
    Ihre Mutter sah sie nachdenklich an. „Aber es ist auch sein Kind, Eileen. Vergiss das nicht.“
    „Ja, aber sie muss es auf die Welt bringen“, fiel die tiefe Stimme ihres Vaters ganz plötzlich ins Gespräch ein.
    Er war unbemerkt von beiden Frauen aus dem Garten hereingekommen, wo er mal wieder stundenlang in seinen Blumenbeeten versunken war. Seit seiner Pensionierung war er zum leidenschaftlichen Gärtner geworden – sehr zum Leidwesen ihrer Mutter, die sich bisher verstärkt um die Pflanzen gekümmert hatte und sich nun mit dem ambitionierten Hobbygärtner arrangieren musste.
    Eileen Vater streifte die Gummistiefel von den Füßen und nahm zerzaust und mit roten Wangen neben ihrer Mutter Platz.



    „Entschuldigt“, sagte er schuldbewusst, als er die Blicke der beiden Frauen auf sich spürte. „Ich wollte euch nicht unterbrechen.“
    Eileen lachte über sein Gesicht.
    „Schon gut, Papa – keiner frisst dich deswegen. Du hast ja recht. Aber Mama auch. Ich bin mir einfach noch nicht sicher.“
    „Hör mal, Kleines – wegen deiner Dusche“, wechselte ihr Vater das Thema. „Ich dachte mir, ich fahre nachher einfach mal rüber und schau mir das an.“
    „Günther, die Dusche soll danach funktionieren“, sagte ihre Mutter belustigt und zwinkerte Eileen zu.
    „Das kriegen wir schon hin“, munterte Eileens Vater seine Tochter auf und tätschelte ihr die Hand, den belustigten Einwurf seiner Frau geflissentlich ignorierend.
    „Danke“, erwiderte Eileen. „Das wäre super.“
    „Nun – habt ihr beiden Pläne gemacht, wie es bis zur Geburt des kleinen Stammhalters weitergehen soll?“, fragte Eileens Vater und sah die beiden Frauen gespannt an.
    Eileens Mutter nickte.
    „Ja – Eileen kommt hierher, wann immer sie möchte, aber in aller Regel zum Abendessen. Und wenn sie zu müde dazu ist, bringe ich es ihr. Vielleicht wird sie auch einmal hier übernachten, Günther. Einmal in der Woche komme ich zum Putzen vorbei, und einkaufen gehe ich auch für sie, ab und an vielleicht auch Marlene.“
    Günther nickte zufrieden.


    „Wieso ziehst du nicht einfach bis zur Geburt hier ein, Schatz?“, fragte er seine Tochter liebevoll. „Es wäre schön, dich hier bei uns zu haben.“
    „Das hatten wir auch überlegt, aber Eileen ist gerade erst eingezogen und möchte sich langsam an die Wohnung gewöhnen“, erklärte ihre Mutter und lächelte Eileen an. Diese lächelte zurück, dankbar, dass ihre Mutter so gut begriffen hatte, was ihre Beweggründe waren.
    „Und Fabian?“, fragte ihr Vater und sah irritiert von einer zur anderen. „Kommt er auch in eurem Plan vor?“
    Nun schwiegen alle, und Eileen fühlte die fragenden Blicke von ihren Eltern auf sich ruhen.
    Sie rutschte unbequem auf ihrem Platz hin und her und sagte dann langsam.
    „Ich… ich habe Fabian nicht wirklich gesagt, was los ist.“
    Und als sie die verständnislosen Mienen erblickte, fügte sie verteidigend hinzu: „Ihr müsst das verstehen. Es ist nicht Fabians Problem. Er ist nicht der Vater. Manchmal… manchmal scheinen das einfach alle zu vergessen!“
    Ihre Stimme wurde nun fast wütend, denn sie hatte dieselbe Diskussion bereits vorhin mit Marlene am Telefon geführt.
    „Du musst es ihm sagen“, hatte diese energisch gesagt. „Es ist nicht richtig, es nicht zu tun.“
    „Es ist deine Entscheidung, Eileen“, besänftigte ihre Mutter sie. „Aber es wundert mich schon ein wenig. Sieh mal, Fabian scheint wirklich etwas an dir zu liegen. Und er hat dich nicht anders kennen gelernt. Er wusste, dass du das Kind bekommst und scheint damit kein Problem zu haben. Er ist ein so sensibler und netter junger Mann – und als Arzt doch bestimmt auch nicht blind gegenüber der Probleme, die sich bei dir gezeigt haben. Hast du ihm denn gar nichts gesagt?“
    Eileen seufzte abwehrend und erwiderte langsam: „Ja, doch – natürlich. Er hat mich gestern ja gesehen, als ich von der Ärztin kam und noch ziemlich fertig war. Das wisst ihr ja. Aber ich habe ihm nicht alles berichtet. Er braucht nicht alles zu wissen, Mama. Ich habe ihm gesagt, dass ich nicht mehr arbeiten gehen darf und mich mehr ausruhen soll.“



    „Aber du hast ihm nicht gesagt, dass die Ärztin dich eigentlich nicht einmal mehr nach Haus gehen lassen wollte, weil sie Angst hat, dass das Baby zu früh kommen wird?“, vervollständigte ihr Vater ihre Rede mit fragendem Unterton.
    „Nein“, erwiderte Eileen und spürte, wie ihre Wangen heiß und bestimmt auch rot wurden. Sie fühlte sich, als stände sie unter Anklage.
    „Nein, das hab ich nicht“, wiederholte sie fest. „Weil ich ihn gut genug kenne, um zu wissen, dass er dann alles stehen und liegen lassen würde, um bei mir zu sein und mich zu pflegen, einkaufen zu gehen… vielleicht sogar für eine Weile zu mir ziehen würde oder vorschlagen, dass ich zu ihm ziehe. Und das will ich nicht.“
    „Dass du nicht zu ihm ziehen willst, hast du doch bereits sehr deutlich gemacht“, warf ihre Mutter mit sanfter Stimme ein. „Aber was wäre so schlecht daran, wenn er ab und an bei dir übernachten würde? Ich würde jedenfalls ruhiger schlafen, gerade in der kritischen Situation jetzt.“
    „Und du würdest dich trotzdem an deine neue Umgebung gewöhnen können“, ergänzte ihr Vater, und Eileen fand, es klang fast so, als würden ihre Eltern einen Schlachtplan ausarbeiten.


    „Nein!“, rief sie entschieden aus, so laut, dass ihre Eltern sie erschrocken ansahen. „Nein – ich will das nicht! Ich… habe ohnehin ständig ein schlechtes Gewissen gegenüber Fabian, weil er all das mit machen muss, weil unsere Beziehung so belastet ist. Er… er hat einen stressigen Job, er… hat eine Wohnung, bildet sich weiter. Er ist über Ostern nicht einmal zu seiner Familie gefahren, weil er seinen Urlaub für meinen Umzug verschleudert hat. Das habe ich aber erst erfahren, als ich zufällig den Anrufbeantworter mitgehört hatte, als ich vor ein paar Tagen bei ihm war. Dort hatte seine Schwester eine Nachricht hinterlassen. Sie sagte, wie schade es sei, dass er nicht wie sonst hatte kommen können, dass er seinen Urlaub nicht dafür hat nehmen können.“
    Ihre Eltern sahen sie verunsichert an.
    „Weiß seine Familie denn von euch?“, fragte ihr Vater geradeheraus. „Das… hörte sich gerade nicht so an.“
    Eileen schluckte, dann sagte sie langsam. „Ich weiß es nicht. Wir haben nie darüber gesprochen.
    Ihre Eltern tauschten vielsagende Blicke.
    „Aber Eileen… er muss doch etwas gesagt haben, oder?“
    Eileen zuckte die Achseln, sie war gereizt. „Ich denke schon, dass sie von mir wissen – irgendwie jedenfalls. Ich weiß es nicht genau. Fabian spricht schon über seine Familie, aber da es ohnehin klar war, dass ich sie vorerst nicht kennen lernen kann… haben wir nie viel über diese Dinge geredet. Also von mir und seiner Familie… im Zusammenhang eben.“



    Es herrschte eine Weile betretenes Schweigen, bis ihr Vater ruhig, aber bestimmt sagte.
    „Gut, Eileen – es ist dein Wunsch, den wir respektieren. Ich jedenfalls. Aber ich werde nicht für dich lügen. Wenn Fabian mich also fragen sollte, was los ist, werde ich das sagen, was ich weiß. Darüber gibt es keine Diskussion.“
    Er sah sie so streng an, dass sie sich fast in ihre Schulzeit zurück versetzt fühlte.
    Ihre Mutter nickte. „Ich gebe deinem Vater Recht, Eileen. Ich denke, er hat ein Recht, nicht angelogen zu werden. Das hat er nicht verdient.“
    Eileen fühlte sich nun doch schlecht.



    „Ich… macht mir doch kein schlechtes Gewissen“, sagte sie traurig. „Ich lüge ihn natürlich auch nicht an. Ich habe ihm nur nicht alles gesagt. Er weiß, dass ich mich ausruhen soll, dass ich krankgeschrieben bin… und wer weiß, was ihm die Ärztin noch sagen wird, wenn sie sich mal wieder zum Mittagessen sehen sollten. Auch wenn sie es eigentlich ja nicht darf, aber… man weiß ja nie. Aber ich möchte ihm einfach keinen Stress machen. Er hat schon so viel für mich getan. Ich fühle mich besser, wenn er nicht so belastet ist mit all diesen Sachen.“
    Sie deutete auf ihren Bauch.
    Ihre Mutter nickte und klatschte sich auf die Beine.
    „Ist gut. Ich denke, wir müssen das nicht weiter ausdiskutieren. Du bist alt genug, um zu wissen, was du machst. Ich habe frischen Apfelkuchen gebacken. Wer möchte ein Stück?“
    Ihr Vater grinste Eileen zwinkernd zu.
    „Da sage ich nicht nein“, erklärte er, stand auf und ging zur Küche, um sich die Hände zu waschen, während ihre Mutter bereits mit dem Geschirr zu klappern anfing.



    Eileen nickte und sagte leise, dass sie gleich nachkommen werde.
    Sie zog die Decke wieder fester um sich, aber nun schien sie ihr nicht mehr die gewünschte Geborgenheit zu vermitteln wie noch wenige Minuten zuvor.




    Fortsetzung folgt.

  • So, es geht endlich weiter! :)



    65.

    „Wie geht es dir?“, fragte Marcel besorgt, als er die Wohnung betrat.
    Eileen lächelte.
    „Gut. Aber was führt dich hierher?“
    Marcel kratzte sich verlegen am Kopf.
    „Ich hätte vorher anrufen sollen.“
    Am liebsten hätte Eileen gesagt „Ja, hättest du“, aber sie schwieg und sah ihn nur erwartungsvoll an. Als er immer noch schwieg, schloss sie seufzend die Tür hinter ihm.
    „Komm rein“, sagte sie:
    „Es ist doch ganz… nett hier“, sagte Marcel und sah sich neugierig um. „Schöne Farbe.“



    „Die Tapete? War ein Sonderangebot im Baumarkt. Die einzige farbige. Ich wollte auf keinen Fall diese scheußliche Raufasertapete.“
    „Du hättest auch streichen können“, wandte Marcel ein und ließ sich auf dem weichen, roten Sessel nieder.
    „Nein, das wäre zu viel für mich gewesen“, erklärte Eileen. „Das Tapezieren hat Lene übernommen.“
    „Lene?“, fragte Marcel mit großen Augen.
    „Ja, sie tapeziert leidenschaftlich gerne. Es haben nicht alle Frauen so linke Hände wie ich. Zumindest nicht gleich zwei davon“.
    Sie lächelte schief, Marcel lachte leise auf und ließ seinen Blick dann besorgt über Eileen, die Decke auf dem Sofa, das Kissen, die Thermoskanne und den Stapel an Büchern und Keksen schweifen, der verriet, dass sie die meiste Zeit des Tages an diesem Platz verbrachte.



    „Also, Marcel. Was führt dich her?“, hakte Eileen noch einmal nach.
    „Ich… es sind zwei Dinge. Zum einen wollte ich wissen, ob du das Kinderzimmermöbel abholen kannst. Das Möbelhaus hat angerufen, es ist fertig. Ich kann es aber auch gerne holen und herbringen. Es müsste alles in den Kombi passen, wenn ich richtig gerechnet habe. Ich kann dir auch beim Aufbau helfen. Aber das war nicht der Grund, wieso ich vorbeigekommen bin…“, er zögerte. „Ich… habe mir Sorgen gemacht.“
    Eileen sah ihn erstaunt an. „Und wieso das?“
    „Nun… ich denke, es war nicht umsonst, oder?“
    Er deutete mit der Hand auf ihre Umgebung, die so eindeutig davon kennzeichnete, dass sie die meiste Zeit des Tages auf der Couch verbrachte.
    Eileen sah ihn fragend an.
    „Das ist es nicht nur“, sagte er. „Ich… Dirk hat mir alles gesagt.“


    „Wie bitte?“
    Eileen traute ihren Ohren kaum.
    „Nun… es war nicht so, wie du dachtest. Du weißt, dass wir nicht mehr so viel Kontakt hatten, aber wir spielen nun einmal immer noch Fußball miteinander. Und ich habe mit ihm darüber gesprochen, dass es ja nicht mehr lange ist, bis das Baby kommt. Dass ich für den Sommer eine Saison aussetzen werde…“
    „Du wirst was?“



    Erneut glaubte Eileen, sie müsse sich verhört haben. Als wolle sie sich vergewissern, dass mit ihren Ohren alles stimmte, fuhr sie sich nervös darüber.
    „Du hast noch nie eine Saison ausgesetzt. Selbst nicht, als wir geheiratet hatten und vier Wochen in Flitterwochen waren. Du hast zwei oder drei Spiele sausen gelassen, mehr nicht“, stieß sie hervor, als sie sicher sein konnte, dass mit ihrem Hörorgan alles in bester Ordnung war.
    Marcel verzog das Gesicht.
    „Ich weiß, aber… Flitterwochen sind etwas anderes als die Tatsache, Vater zu werden. Es war ja auch nur eine Sicherheitsmaßnahme. Ich möchte einfach für dich und das Baby da sein, so weit du es zulässt und ihr mich braucht. Und das kann ich nicht, wenn ich dreimal die Woche trainiere und ein- oder zweimal pro Monat auf Auswärtsspielen bin. Du könntest mich nur per Handy erreichen und… ich hatte auch gehofft, das Baby vielleicht ab und an mal am Wochenende ein paar Stunden bei mir haben zu dürfen. Oder…“, fügte er schnell hinzu, als er ihren entsetzten Blick sah ,“irgendwie Zeit mit euch oder mit ihm zu verbringen, vielleicht auch hier, ganz wie du es haben wolltest. Wir haben bisher ja nicht viel darüber gesprochen, wie es werden wird.“


    „Ich werde eine ganze Weile stillen“, erklärte Eileen und versuchte, das kalte Gefühl in sich zu ignorieren, das sich auf einmal breit machte und eine Form von Angst zu sein schien – Angst, dass Marcel doch noch auf die Idee käme, zu starke Besitzansprüche zu stellen. „Da ist es schwierig, lange vom Baby getrennt zu sein.“
    „Gibt es nicht so Pumpdinger?“, fragte Marcel nachdenklich, ohne zu verstehen, worauf sie hinaus wollte.
    „Ja… aber… das … nun, das kann man dann noch sehen“, erklärte Eileen schnell und versuchte, sich wieder zu beruhigen, bis ihre Gedanken zu Marcels erster unglaublicher Aussage zurück wanderten.
    „Was hat das alles zu bedeuten?“, fragte sie nach. „Was hat Dirk dir um Himmels Willen gesagt, dass du hier am einfach so vor der Tür stehst?“
    Marcel sah ertappt aus. „Es tut mir leid, ich dachte nicht, dass ich dich störe…“, entschuldigte er sich.



    „Darum geht es ja nicht, es ist nicht schlimm, dass du gekommen bist, sondern was du über Dirk gesagt hast“, erwiderte Eileen schnell.
    „Er hat nichts sagen wollen, also bitte erklärte Lene das, sonst beißt sie ihm am Ende den Kopf ab“, sagte Marcel eindringlich und schnitt eine Grimasse.
    Eileen musste gegen ihren Willen grinsen, als sie sich diese Szene innerlich vorstellte. Marcel hatte damit nicht ganz Unrecht.
    „Es ist ihm einfach rausgerutscht, als ich sagte, dass es noch gute achte Wochen sind. Er sagte daraufhin völlig in Gedanken versunken, dass das ja nun nicht mehr ganz so sicher sei…“
    Eileen stöhnte leise auf.
    „Und da sag einer, wir Frauen seien tratschsüchtig…“, grummelte sie. „Und weiter?“


    „Nicht mehr viel – er hat dann ja gemerkt, dass er sich verplappert hat. Ich habe auf ihn eingeredet, bis er mir zumindest gesagt hat, dass wohl nicht alles ganz in Ordnung sei und du darum liegen müsstest und auch nicht mehr arbeiten gehen darfst.“
    Marcel beugte sich zu ihr und sah sie streng an.
    „Wieso hast du mir nichts davon gesagt? Und was ist los?“
    Eileen seufzte und fuhr sich durchs Haar.
    „Es ist alles nur halb so schlimm“, erwiderte sie dann. „Wieso müsst ihr Männer gleich um alles so einen Aufruhr machen. Ich wäre sowieso in zwei Wochen in den Mutterschutz gegangen, er wurde praktisch nur vorgezogen, sicherheitshalber. Das Arbeitengehen hat mich doch sehr angestrengt, diese viele Sitzerei – es war Gift für meinen Rücken. Und so kann ich es mir nun viel früher gemütlich machen und ein wenig ausruhen. Die letzten Wochen waren ja nun wirklich nicht die Erholung pur.“
    Damit hatte sie ihm fast das gleiche gesagt wie Fabian – nur dass Marcel sich nicht so leicht mit dieser Antwort zufrieden gab. Kein Wunder, er hatte schließlich Dirks Einwurf nicht vergessen.
    „Und wieso spricht Dirk dann von einer drohenden Frühgeburt?“, hakte er mit zusammengezogenen Brauen nach und starrte auf ihren Bauch.
    Eileen legte die Hände darauf, als wolle sie ihn vor seinen Blicken verbergen. Sie fühlte sich wie eine Angeklagte.
    „Das weiß ich auch nicht!“, zischte sie, ihre Stimme klang hell.
    Sie schwiegen beide, aber Marcel starrte sie weiterhin an.
    Er wusste, dass sie das auf den Tod nicht ausstehen konnte.
    Schließlich seufzte sie wieder und sagte langsam: „Dirk hat das ganze wohl falsch verstanden, überbewertet. Das einzig wahre daran ist, dass ich mich mehr ausruhen soll, damit es eben nicht zu einer Frühgeburt kommt. Darum verbringe ich die meiste Zeit des Tages mit hochgelegten Beinen, lese viel, schlafe viel… und versuche, mich nicht aufzuregen. Was ich im Übrigen in diesem Moment nicht behaupten kann“, fügte sie ärgerlich hinzu.


    Sofort wurde Marcels Miene weicher und er hörte auf, sie wie ein grimmiger Schullehrer zu fixieren.
    „Achso“, sagte er nach einer Weile. „Aber… er hatte also auch nicht ganz Unrecht? Was hat denn die Ärztin gesagt?“
    Eileen sah ihn zögernd an, er erwiderte ihren Blick, diesmal jedoch weicher und fast flehentlich.
    „Eileen, es ist auch mein Kind“, sagte er langsam und leise. „Ich mache mir Sorgen um es und um dich genauso. Auch wenn wir nicht mehr zusammen sind, du bist mir nicht gleich. Das warst du nie.“
    Eileen schluckte und wusste einen Moment nichts zu sagen. Ihr Bauch zog sich einmal mehr zusammen, wie so oft am Tag – auch wenn es seit ihrer strikten Ruhe etwas besser geworden war.
    „Ich muss morgen wieder zum Arzt“, sagte sie. „Ich kann dich danach direkt anrufen. Ich mache mir wenig Sorgen, dass etwas passiert. Auch wenn es mir nicht so gut geht, ja. Aber… ich möchte nicht, dass du das… irgendjemand erzählst.“



    Sie verschwieg, dass sie mit „irgendjemandem“ eigentlich hauptsächlich eine einzige Person meinte.
    „Wo ist Fabian heute?“, hakte Marcel nach, als habe er sehr wohl verstanden, wen Eileen meinte.
    „Er arbeitet, hat Spätschicht.“
    „Ich sage es ja ungerne“, sagte Marcel nach einer Weile nachdenklichen Schweigens. „Aber jetzt bin ich ganz froh, dass er bei dir ist.“
    Sie sah ihn erstaunt an. Er schnitt eine Grimasse.
    „Nicht, dass ich ihn nicht immer noch jedes Mal am liebsten auf den Mond schießen würde, wenn er dich anfasst“, erklärte er, woraufhin Eileen missbilligend den Kopf schüttelte und unwillkürlich an eine Szene vor mehr als einem halben Jahr denken musste, als sie Marcel und seine neue Freundin im gemeinschaftlichen Ehebett vorgefunden hatte.
    Und da redete er vom Mondschießen auf ihren neuen Partner, den sie Monate nach der Trennung gefunden hatte?
    Sie musste die Männer nicht verstehen – wenigstens nicht diesen.



    „Nein“, fuhr Marcel unbeirrt fort. „Aber ich bin froh, dass er so oft bei dir ist. Er ist Arzt, wenn auch nicht vom Fach an sich, aber er kann dich bestimmt sehr viel besser beeinflussen als jeder andere. Und auf dich achtgeben. Auf dich und das Kind.“
    „Ach, dazu ist er also gerade gut genug?“, erwiderte Eileen säuerlich. „Als meinen Partner kannst du ihn nicht sehen, das schaffst du nicht… aber als Aufpasser für dein Kind schon? Er ist nicht mein Aufpasser, Marcel. Er ist auch nicht mein Arzt. Er ist mein Partner, mein Freund.“
    Marcel zuckte mit den Schultern. „Ich weiß, Eileen. Aber ich muss das ja nicht auch noch so deutlich machen.“
    „Denkst du denn immer noch, wenn er nicht wäre, würde es zwischen uns gutgehen? Dass ich dir noch eine Chance gegeben hätte?“ Eileen schüttelte seufzend den Kopf. „Marcel, das ist Unsinn.“



    Marcel nickte. „Das weiß ich, Eileen, wirklich. Nein, ich denke nicht, dass Fabian viel mit deinem Entschluss zu tun hatte. Die Dinge, die vorher geschehen waren sind die Ursache dafür. Das ist mir inzwischen klar, Eileen.“
    Sie sah ihn misstrauisch an, dann schwiegen sie wieder eine Weile.
    „Wir haben nie darüber gesprochen, wieso es eigentlich so weit kommen musste,“ stellte Marcel irgendwann leise fest.
    Eileen seufzte. „Nein, ich weiß. Ich weiß.“
    Für einen Moment setzte Marcel an, etwas Weiteres zu sagen, doch dann schwieg er und sagte letztlich nur:
    „Ich sollte gehen. Du siehst müde aus, und du brauchst viel Schlaf, hast du gesagt. Kann ich dir noch irgendetwas helfen, etwas bringen oder so? Einen Tee, eine Decke, was zu essen? Hast du denn Abend gegessen?“
    Eileen nickte. „Ja, ich war bei meinen Eltern. Und nein, danke, ich brauche nichts mehr.“
    Sie deutete auf den Tisch. Ich hab alles, was ich brauche. Danke, Marcel.“
    „Und du rufst morgen direkt an, wenn du zu Haus bist?“
    Sie nickte wieder. „Ich verspreche es. Mach dir bitte nicht so viele Sorgen. Jetzt, wo alles wieder ruhiger ist und ich nicht mehr so viel unterwegs sein muss wegen der Arbeit, geht es mir bald wieder besser. Ich bin auch erst seit Dienstag zu Hause, Marcel. Also gerade mal drei Tage.“
    „Du hättest es mir trotzdem nicht gesagt“, stellte Marcel tonlos fest.



    Eileen erwiderte nichts und zuckte nur hilflos die Achseln.
    Marcel strich ihr kurz über die Schulter. „Naja, Schwamm drüber. Wer weiß, vielleicht würde ich es an deiner Stelle nicht anders machen. Nur…“
    Er stockte. „Bitte schließ mich nicht aus, Eileen. Ich möchte nie wieder so etwas erleben wie… damals.“
    „Was meinst du?“ Eileen sah ihn erstaunt an.
    „Dass du mich anrufst und mir sagst, dass alles vorbei ist“, murmelte er leise. „Bitte… wenn irgendetwas ist, egal was, ruf mich an. Ich bin schneller bei dir, als du dich umdrehen kannst. Bitte lass es uns gemeinsam durchstehen. Nicht als Paar, gut- aber als Eltern unseres Babys. Ja?“
    Eileen schluckte, sie wusste nicht, was sie empfinden sollte, so sehr überraschte sie dieser ungewöhnlich emotionale Ausbruch Marcels. Es war vielleicht das erste Mal seit mehr als einem Jahr, dass er von alleine von „damals“ gesprochen hatte.
    Sie nickte schließlich und sah ihn fest an. „Ich versprech es dir.“
    Marcel tätschelte ihr noch einmal den Arm. „Gut, dann lass ich dich jetzt allein.“
    Er beäugte die Tür und korrigierte sich dann. Vielleicht solltest du lieber abschließen, allzu sicher sieht dieser Öffner ja nicht aus.“
    Eileen lächelte. „Das mache ich auf jeden Fall, gleich bevor ich schlafengehe.“
    Marcel nickte noch einmal und öffnete die Tür, woraufhin sich das Flurlicht mit einem lauten „Klack“ automatisch einschaltete.
    „Mach´s gut“, sagte er. „Du auch“, erwiderte Eileen. Als die Tür ins Schloss gefallen war, sank sie auf die Couch und schloss die Augen, ohne zu wissen, was sie noch denken sollte.



    Fortsetzung folgt.

  • Oh, eine neue Fortsetzung!
    Na das sind ja mal ganz andere Seiten bei Marcel. Hätte er sich mal so interessiert gezeigt, als die Beziehung noch intakt war. Aber vielleicht hat er ja mittlerweile auch ein wenig reflektiert. Und natürlich ist es verständlich, dass er als Vater Kontakt mit seinem Kind haben möchte.
    Mal sehen, wie sich die beiden aushandeln, wann und wie lange das Kind bei wem ist. Das bietet ja auch ganz gerne Konfliktpotential.

  • Endlich schaffe ich es mal wieder. Bitte seid nicht böse, es sind etwas wenig Fotos geworden heute.
    Dafür wird die nächste FS hoffentlich sehr bald fertig sein ;)
    Es sind nicht mehr viele Kapitel bis zum Ende der Geschichte. :)


    66.

    „Und?“, fragte Eileen nervös und sah die Ärztin ängstlich an. Diese studierte immer noch den Ausdruck des Wehenschreibers.
    „Nun ja, zufrieden stellt es mich nicht wirklich“, antwortete diese langsam. „Aber es ist zumindest nicht schlimmer geworden als vor vier Tagen.“
    Sie sah Eileen streng an. „Haben Sie sich denn auch geschont in den letzten Tagen?“
    Eileen nickte heftig. „Mehr als das. Ich habe mich kaum gerührt. Meine Mutter bekocht mich, meine Freundin kauft für mich ein, ich muss nichts mehr tun als zu liegen, zu essen, zu schlafen… und habe schon zwei Bücher durch gelesen.“
    Die Ärztin lachte auf. „Na, überzeugender hätten Sie es mir nicht darstellen können. Ich bin froh, dass Sie es so organisieren konnten.“
    Eileen biss sich verlegen auf den Lippen herum, unsicher, ob sie das, was sie auf dem Herzen hatte, ansprechen sollte. Schließlich gab sie sich einen Ruck und sagte langsam: „Frau Doktor Heinrichsen, ich… möchte Sie etwas fragen.“
    „Ja?“



    Die Ärztin sah sie aufmerksam an.
    „Ich… also, ich… das, was Sie bei mir getestet haben und all das… das bleibt doch in diesem Raum, oder?“
    Verwirrt sah ihr Gegenüber sie an.
    „Wie meinen Sie das, Frau Viersen?“
    Eileen fühlte sich verlegen und wurde rot. „Ich… ich meine nur…“, sie suchte nach Worten. „Wissen Sie, ich… habe nicht jedem in meinem Umkreis gesagt, was Sie mir gesagt haben.“
    Sie sah die Ärztin vielsagend an. Diese nickte langsam, und schien zu begreifen, worauf Eileen hinaus wollte.
    Aus ihrem Blick konnte Eileen nicht ablesen, ob sie sich darüber wunderte, es guthieß oder nicht. Ihre Augen ruhten völlig neutral auf Eileen, als sie antwortete: „Nein, natürlich dringt nichts nach außen. Allerdings…“, sie zögerte. „Allerdings sollten Sie wissen, dass rein theoretisch jeder Arzt der Klinik auf die Patientenakten zugreifen könnte. Normalerweise machen wir das nur bei den Patienten, die wir auch behandeln.“ Sie zögerte und plötzlich hatte Eileen das Gefühl, dass die Ärztin jetzt auch verlegen wurde.
    „Ich … finde nur, dass Sie das wissen sollten.“
    Eileen nickte beklommen. An diese Möglichkeit hatte sie noch gar nicht gedacht.
    Dass Fabian vielleicht von Frau Heinrichsen erfahren würde, was wirklich los war, ja… aber ob er sich ihre Akte ansah?
    Er war schließlich auch einmal einer ihrer behandelten Ärzte gewesen.
    Wenn Eileen an den Tag, an dem sie nach Marcels Unfall hier zusammengebrochen war, dachte, schien er ihr Jahrzehnte entfernt.
    Es entstand ein peinliches Schweigen im Raum, bis die Ärztin langsam sagte: „Sie sollten sich noch ein wenig mehr schonen, Frau Viersen. Wie viel bewegen Sie sich denn am Tag?“
    Eileen überlegte. „Die letzten Tage? Nur ein paar Stunden, wie Sie es gesagt haben. Ich stehe auf, dusche, mache mir Frühstück, dann lege ich mich wieder auf die Couch. Ich war gestern ein wenig an der Luft, und ich fahre jeden Abend zum Essen zu meinen Eltern. Viel mehr nicht.“
    Die Ärztin nickte. „Das klingt schon ganz gut, aber vielleicht sollten Sie in den kommenden Tagen schauen, dass Sie sich noch weniger bewegen. Also erst einmal keine wirklichen Spaziergänge. Könnten Sie auch zu Hause essen?“
    Eileen nickte. „Ja, ich denke schon… aber… ist es denn schlimmer geworden?“
    Frau Heinrichsen schüttelte den Kopf. „Nein, das nicht. Und es dauert auch immer etwas, bis der Körper auf die Ruhe reagiert, egal, worum es geht. Ich glaube nicht, dass wir Sie nun für die nächsten sechs Wochen in diese Ruhe zwingen müssen. Aber ein paar Tage mit sehr viel Liegen kann die Nerven beruhigen und die Vorwehen-Stärke senken.“
    Sie griff in ihre Schublade und schob Eileen eine kleine Visitenkarte hinüber.
    „Wir hatten schon einmal darüber gesprochen, aber durch den vielen Stress hatten Sie sicher keine Zeit dazu. Jetzt sollten Sie es sich aber noch einmal überlegen. Das hier ist eine der besten Hebammen im Umkreis, Sie macht auch die Betreuung vor der Geburt und Hausbesuche. Ich würde mich wohler fühlen, wenn Sie sie ab und an besuchen würde.“
    Eileen nahm die Karte entgegen und sah die Ärztin erstaunt an.
    „Ich dachte immer, Krankenhausärzte würden private Hebammen hassen“, sagte sie. „So wegen Konkurrenz und so weiter.“
    Frau Heinrichsen lächelte. „Vielleicht sind nicht alle begeistert davon, aber ich arbeite gerne mit ihnen zusammen. Sie betreuen Sie einfach viel besser, als ich es kann. Ich sehe Sie nur ein paar Minuten pro Woche, aber die Hebamme kann Ihnen zuhören, Ihnen Ängste nehmen.
    Einen Geburtsvorbereitungskurs wollten Sie nicht machen, oder?“
    Eileen schüttelte den Kopf. Sie hatte schon einmal mit Frau Heinrichsen darüber gesprochen, aber der Gedanke, als alleinstehende Mutter zwischen all den glücklichen Paaren zu sitzen war nicht gerade verlockend.
    Und Marcel hätte sie niemals mitnehmen wollen. Und Fabian natürlich auch nicht.
    „In Ihrem Fall kann ich Ihnen eine Bescheinigung ausstellen, dass die Hebamme die Vorbereitung einzeln mit Ihnen zu Hause macht. Da Sie ja nicht viel laufen oder draußen sein sollen.“



    Eileen seufzte erleichtert. „So hat das ganze doch eine gute Seite, was?“
    Frau Heinrichsen lächelte und fuhr fort: „Ansonsten sieht alles sehr gut aus. Dem Kind geht es hervorragend, und auch alle anderen Werte sind in Ordnung. Sie scheinen auch schon etwas weniger gestresst als beim letzten Mal.“
    Eileen nickte. Sie musste gegen ihren Willen zugeben, dass die Last der letzten Wochen allmählich von ihr abfiel. Sie schlief seit zwei Nächten fester, döste auch tagsüber immer einmal wieder und ihr Rücken tat nicht mehr halb so weh, seit sie nicht ständig am Schreibtisch saß oder Kisten schleppte, renovierte oder einräumte.
    Kurze Zeit später huschte sie durch die Lobby und sah sich verstohlen um. Niemand zu sehen.
    Sie wusste, dass Fabian Dienst hatte –aber es hätte schon ein komischer Zufall sein müssen, wenn er gerade in diesem Moment durch die Lobby gegangen wäre.
    Sie hatte ihm vorsorglich nichts von dem Termin gesagt, denn es hätte seinen Verdacht erregt, wenn sie innerhalb einer Woche zweimal zur Vorsorge gegangen wäre.
    Rasch verließ sie die Klinik und seufzte erleichtert auf, als sie endlich ihr Auto erreicht hatte.
    Langsam kam es ihr selbst auch so vor, als täte sie etwas Verbotenes.
    Und allmählich kamen ihr Zweifel, ob ihr Verhalten Fabian gegenüber ganz richtig war.
    In den letzten Tagen hatten sie sich nicht viel gesehen, da er seit drei Tagen Spätschicht hatte. Morgens hatte er Schlaf nachgeholt, abends war sie bereits im Bett, so dass sie beschlossen hatten, sich erst wieder am Sonntag, wenn er frei hatte, zu sehen.
    Natürlich telefonierten sie, wie immer. Er ging immer noch davon aus, dass sie einfach nur wegen des Stress und der Belastung früher in den Mutterschutz entlassen worden war.
    Dass es doch etwas ernster stand, dass sie viel liegen musste, ihr normales Leben nicht mehr meistern konnte, das hatte sie ihm trotz aller Einwände ihrer Eltern und seitens Lene – die sie jeden Tag am Telefon erneut zur Rede zu stellen versuchte – verschwiegen.
    Sie hätte jetzt gerne mit Frau Kolopp über dieses Dilemma gesprochen, aber durch ihre aufgezwungene Ruhe musste sie den Termin, den sie am kommenden Montag hatte, wohl oder übel absagen.
    Die Fahrt zu ihr, das lange Sitzen dort, die Fahrt zurück – es würde wohl zu anstrengend sein. Und Eileen wollte wirklich nichts riskieren.
    Sie merkte selbst, dass die Ruhe ihr sehr viel mehr Kraft gab, als sie gedacht hatte, jede Aufregung und Anstrengung aber genau den gegenteiligen Effekt hatten.
    Nachdenklich fuhr sie nach Hause, stellte den Wagen auf dem reservierten Parkplatz ab und ging in ihre Wohnung. Auf dem Flur begegnete sie einem älteren Paar aus dem zweiten Stock.
    Die Dame betrachtete wohlwollend und fast wehmütig ihren Bauch und fragte: „Wie lange ist es denn noch, Frau Viersen?“
    Eileen lächelte, verwundert, dass das Paar schon ihren Namen kannte, obwohl sie selbst sich noch nicht vorgestellt hatte. Vermutlich hatte der Hausmeister alle Bewohner ausreichend mit Informationen versorgt, nachdem er mehrmals wegen der Dusche und der Heizung in Eileens Wohnung gewesen war.
    Der Gedanke daran half nicht gerade, sich in dieser wohler zu fühlen.



    „Noch ein paar Wochen“, antwortete Eileen trotzdem möglichst freundlich.
    „Und was wird es?“, fragte die alte Dame lächelnd. „Das weiß man doch heute schon vorher, oder?“
    „Ich weiß es nicht“, erwiderte Eileen ebenfalls lächelnd. „Es möchte sich einfach nicht offenbaren.“
    „So war das früher immer“, erklärte der Mann mit barschem Ton, aber freundlichen Augen und zog seine Frau am Arm die Treppe hinunter. „Komm jetzt, Else, der Bus wartet nicht auf uns.“
    „Alles Gute für Sie“, schloss die Frau die Unterhaltung ab und folgte ihrem Mann auf wackligen Beinen aus der Haustür.
    Eileen sah ihnen verwirrt nach und ging dann zu ihrer Wohnungstür, um aufzuschließen. Wie so oft verhakte der Schlüssel sich zuerst im widerwilligen Schloss, und Eileen rüttelte unwillig an der Tür herum, um sie dazu zu bringen, sich doch noch zu öffnen.
    Aus der Nachbarwohnung hörte sie laute Stimmen, offenbar stritten die beiden Studenten sich lautstark.
    „… ich bin eben nicht deine Putze! Du kannst deine Wäsche auch selbst waschen!“, kreischte eine weibliche Stimme in hoher Oktave.
    Die Stimme des jungen Mannes war so tief und sonor, dass Eileen die Worte nicht verstehen konnte, die er erwiderte.
    Sie lachte leise in sich hinein, als sie sich die kleine, untersetzte junge Frau vorstellte, wie sie ihrem Zwei-Meter-Freund die ungewaschenen Socken vor die Füße warf.
    Sie trat mit dem Fuß gegen die Tür, woraufhin der Schlüssel sich endlich im Schloss lockerte und drehen ließ.
    In der Wohnung war es immer noch kalt, Eileen fröstelte, als sie ihren Mantel auszog.
    Es war inzwischen April, und der Hausmeister hatte ihr erklärt, dass die Heizung nicht etwa defekt sei, sondern auf Frühlingsschaltung liefe, angepasst auf die Außentemperaturen.
    Eileen fluchte leise vor sich hin, als sie durch die Wohnung lief und alle Heizkörper auf vollen Anschlag drehte. Heute Morgen war es noch recht angenehm gewesen – vermutlich weil es draußen eben auch recht kühl war. Aber nun schien die Aprilsonne vom Himmel und trieb die Temperaturen auf irgendetwas um die fünfzehn Grad.
    Das mochte für draußen angenehm sein nach einem langen, kalten Winter. Aber für drinnen war es erbärmlich kalt.
    Mit zwei Decken und ihrer Thermoskanne bewaffnet ließ sich Eileen auf die Couch fallen und schaltete den Fernseher an.



    Der warme Tee wärmte zumindest ihre Hände, die sie um den Becher gelegt hatte.
    Dass diese Wohnung so viele Probleme machen würde, hätte nicht sein müssen. Die Mitbewohner im Haus waren zwar gewöhnungsbedürftig, aber freundlich – nur dieser brummelige Hausmeister war eine absolute Katastrophe.
    Wenigstens hatte ihr Vater am Mittwoch die Dusche reparieren können, so dass das heiße Wasser jetzt relativ schnell aus der Brause strömte.
    Sie warf einen Blick auf den Innen-Außen-Thermometer, den ihr Vater an die Wand geschraubt hatte – er hatte ihr eingebläut, sie solle jeden Tag dreimal die Temperatur notieren und zur Not damit zur Hausverwaltung gehen, was ihr jedoch zu viel Aufwand erschien – und schauderte. Nicht einmal zwanzig Grad, die Flüssigkeit verharrte nur mühsam über der neunzehn-Grad Marke herum.
    Zu Hause hatten sie immer mollige ein- oder zweiundzwanzig Grad gehabt, im Badezimmer oft sogar mehr. Denn Eileen war einfach eine furchtbare „Frostbeule“, wie Marcel immer gesagt hatte.
    Dieser hatte bei weitem nicht so schnell gefroren, er war meist im Shirt zu Hause herumgelaufen, während sie eine dicke Strickjacke und ein Langarm-Top übergestreift hatte und manchmal immer noch ein wenig fröstelte.
    Aber diese Temperaturen hier waren wirklich alles andere als gemütlich.
    Eileen seufzte, als ihr einfiel, dass sie Marcel noch den versprochenen Anruf schuldete.
    Sie wollte gar nicht mehr an den gestrigen Spontanbesuch denken, der sie so verwirrt hatte. Es war nicht der rechte Zeitpunkt, sich über Marcels Gefühlsleben und seine Sinneswandlungen den Kopf zu zerbrechen.
    Unwillig griff sie nach dem Telefon und wählte seine Nummer.
    „Eileen?“, meldete er sich sofort.
    „Ja, ich bin´s. Ich bin gerade nach Haus gekommen. Bist du noch arbeiten?“
    „Ja, klar“, erwiderte er, und ein Blick auf die Uhr offenbarte ihr die Unsinnigkeit ihrer Frage, da es nicht einmal vier Uhr war – und Marcel nie vor sechs aus dem Büro kam. „Wie geht es dir? Alles ok?“
    Seine Stimme klang angespannt und besorgt.
    „Ja, alles in bester Ordnung“, sagte sie schnell. „Ich muss immer noch viel liegen, klar. Aber dem Baby geht es super gut, und alles sieht bisher ganz gut aus.“
    „Also keine Gefahr mehr, dass es zu früh kommt?“
    Eileen wusste nicht recht, was sie antworten sollte und sagte darum: „Nein, ich denke nicht, so lange ich nicht vorhabe, Hürdenlauf zu rennen.“
    Marcel lachte leise. „Das könnte ich mir jetzt auch schwer vorstellen“, sagte er dann. „Aber das beruhigt mich doch sehr. Kann ich dir denn etwas helfen? Soll ich dir einkaufen gehen oder sowas?“
    Nun lachte Eileen. „Du? Seit wann gehst du denn bitteschön einkaufen?“
    Es entstand eine Pause, dann sagte er: „Seit ich allein bin.“
    Sie schluckte. So direkt hatte er es nie ausgesprochen – sie wusste zwar, dass er und Bettina nicht mehr zusammen waren, aber die Tatsache, dass er nun zum ersten Mal seit Jahren sein Leben alleine leben und organisieren musste, war ihr nie gänzlich bewusst geworden.
    Sie erinnerte sich noch zu gut an die ersten Wochen, nachdem er gegangen war. Das Gefühl, alleine nicht stehen und gehen zu können, weil einem praktisch ein Bein fehlte.
    Ständig zu viel einzukaufen, weil man für zwei plante. Für Marcel war es wohl andersherum, bestimmt war er mehr als einmal nach Hause gekommen und hatte sich gefragt, wieso der Kühlschrank erneut leer war.
    Auch daran erinnerte sie sich aus den ersten Wochen – auch wenn der Grund bei ihr eher an ihrer allgemeinen Verfassung gelegen hatte.
    „Also müsste ich das eher für dich machen“, überbrückte sie scherzhaft die entstehende Pause.
    „Was denn, ich kann es inzwischen auch. Es ist ganz einfach, die Truhe mit den Tiefkühlsachen zu finden“, ging er auf sie ein. Dann wurde seine Stimme wieder ernst. „Nein, wirklich – gibt es etwas, womit ich dir helfen kann?“
    Für einen Moment spielte Eileen, die schon wieder ein Frösteln erfasste, mit dem Gedanken, ihm von ihrem Ärger mit dem Hausmeister zu erzählen. Sie kannte Marcel, ein Anruf bei diesem seltsamen Blaumantel-Fanatiker würde vermutlich reichen, dass er ihr samt und sonders neue Heizungen und eine komplett neue Dusche einbauen würde.
    Marcel war sehr überzeugend in solchen Dingen. Darum hatte er sie früher auch immer erledigt. Wo Eileen mehrfach „bitte“ sagte, forderte er.
    Es war meist so einfach für ihn, während sie es immer als sehr unangenehm empfunden hatte.
    Doch sie widerstand dem Impuls und sagte stattdessen: „Nein, danke, Marcel. Ich hab alles, was ich brauche. Im Moment würde ich einfach gerne was essen und dann vielleicht eine Runde schlafen.“
    Diese Worte verfehlten ihre Wirkung nicht, sofort ermunterte sie Marcel, genau das zu tun und verabschiedete sich von ihr.
    Eileen legte das Telefon zur Seite und rutschte tiefer in die Couchkissen. Mit halbem Auge verfolgte sie die rührige Soap, die über den Bildschirm flackerte, nahm sich zwei Haferkekse, die ihre Mutter extra gebacken hatte, und knabberte daran herum.
    Ihre Gedanken schweiften wieder zu Fabian zurück. Und zu der strengeren Regelung ihrer „Ruhepflicht“, die man ihr auferlegt hatte.
    Ihr fiel ein, dass sie dringend ihre Mutter informieren sollte, also griff sie wieder zum Telefon und erklärte ihr kurz die veränderte Sachlage.
    „Möchtest du dann nicht doch lieber für ein paar Tage hier einziehen?“, hakte ihre Mutter noch einmal nach. „Dann könntest du mit uns zusammen essen, hättest es warm und gemütlich…“
    Eileen überlegte einen Moment und antwortete dann, dass sie darüber nachdenke. Damit gab ihre Mutter sich vorerst zufrieden und versprach, in ein paar Stunden vorbei zu kommen und Eileen das Abendessen zu bringen.
    Als sie aufgelegt hatte, dachte Eileen noch einmal über den Vorschlag ihrer Mutter nach. Eigentlich war sie immer noch der Meinung, dass es nichts half, sich aus ihrer immer noch eher unsympathischen Wohnung zu flüchten. Es wäre sicherlich besser, jetzt hier „Fuß zu fassen“, ein Heimatsgefühl zu entwickeln – und nicht erst, wenn das Baby da war. Dann konnte sie auch nicht mehr bei ihren Eltern unterkommen. Nun, rein theoretisch vielleicht schon, aber sie war keine neunzehn mehr und fand den Gedanken, bei den Eltern zu wohnen, mehr als seltsam.
    Natürlich war die Situation jetzt ganz anders. Der Gedanke daran, den ganzen Tag alleine hier zu liegen, war für ein paar Tage vielleicht reizvoll, aber dann…
    Und ihrer Mutter buckelte sie schon genug Arbeit auf. So lange sie sich in dieser Wohnung bewegte und lebte, musste diese auch geputzt werden, die Einkäufe hierher geschafft werden, das Essen.
    Letztlich wohnten ihre Eltern schließlich nicht um die Ecke, sondern gut fünfzehn Minuten Autofahrt quer durch die Stadt entfernt.
    Eileen schluckte, als ihr einfiel, dass es eine grundlegende Sache gab, die gegen einen vorrübergehenden Umzug in ihr Elternhaus sprach: Fabian.
    Wenn sie nicht mehr hier in der Wohnung wäre, würde er die Verharmlosung der Situation sicher nicht mehr glauben. Er war ja nicht dumm, sie fragte sich jetzt schon, ob er nicht etwas ahnte.



    Als Marcel gestern an der Türe geklingelt hatte, war ihr für einen Moment bereits der Schreck durch die Glieder gefahren. Es hätte genauso gut Fabian sein können; denn seine Schicht endete in etwa um diese Zeit und es wäre nicht das erste Mal gewesen, dass er spontan noch vorbei gekommen wäre.
    Nur die Tatsache, dass sie erst ein paar Minuten zuvor mit ihm gesprochen hatte und die Telefonnumer auf ihrem Display eindeutig jene der Klinik gewesen war, hatte sie sicher werden lassen, dass es sich um jemand anders handeln musste.
    Wäre es Fabian gewesen, hätte sie wohl einige der Spuren, die allzu sehr auf die Anzahl der Stunden, die sie auf der Couch verbracht hatte, hingewiesen hatten, verwischt.
    Sie hatte ihm zwar gesagt, dass sie sich viel ausruhte, aber sie wollte ihn nicht glauben lassen, dass sie den ganzen Tag nur zu Hause war.
    Es war schon verdächtig genug, dass sie plötzlich jeden Abend bei ihren Eltern aß. Vermutlich war es ihm nicht so sehr aufgefallen, weil er gearbeitet hatte.
    Eileen seufzte schwer.
    Wieso gab es nur immer so viele Komplikationen?
    Machte sie einen Fehler damit, Fabian nicht die volle Wahrheit zu sagen?
    Sie wusste es nicht. Ratlos legte sie sich wieder in die Kissen und döste nach einer Weile über ihren Gedanken ein.

  • 67.

    „Eileen? Magst du heute Abend nicht mit zu mir kommen?“, fragte Fabian und spielte an einer ihrer Haarsträhnen. „Ich habe morgen frei.“
    Eileen sah ihn erstaunt. „Hattest du mir das gesagt?“
    „Ich glaube schon.“ Er zwinkerte. „Aber das hat zurzeit nicht viel zu heißen, oder?“
    Sie streckte ihm die Zunge heraus und schwieg einen Moment.
    Der Tag war gemütlich und angenehm gewesen, auch wenn ihr schlechtes Gewissen an ihr nagte. Seit ihre Eltern am Dienstag so ungnädig reagiert hatten, war es zum Leben erwacht und von Tag zu Tag stärker geworden, besonders seit ihrem Besuch bei der Ärztin.
    Aber als Fabian heute Morgen mit einer Tüte frischer Brötchen bewaffnet vorbeigekommen war, hatte Eileen alle Bedenken weggewischt. Sie wollte die Zeit mit ihm einfach genießen; und als er begann, an den Heizungen herumzudrehen – offensichtlich fiel nicht nur ihr die Kälte in der Wohnung auf – fühlte sie sich wieder bestätigt.



    Wenn er wüsste, wie viel sie liegen müsste, dass die Situation doch nicht so harmlos war wie sie ihn glauben machte, würde er sich noch mehr sorgen, würde noch mehr Verzicht üben als ohnehin schon.
    Er war zwar fröhlich und gut gelaunt, sah aber müde aus. Die letzte Woche musste sehr anstrengend gewesen sein. Freitag- und Samstagabend hatte er offenbar sehr viele Überstunden gemacht und war erst lange nach Mitternacht nach Haus gekommen.
    Dass er nun schon wieder frisch und munter und mit duftenden Brötchen vor ihr stand, deutete darauf hin, dass er nicht ganz so viel Schlaf nachgeholt hatte wie es ihm wohl gut getan hätte.
    So wunderte es sie später auch nicht, als er während der Wiederholung eines nur wenig aufregenden Quiz im Fernsehen an sie gelehnt eindöste und nach wenigen Minuten schnorchelnde Geräusche von sich gab.
    Sie ließ ihn schlafen, schaltete den Fernseher aus, rutschte ein wenig nach unten, gerade so viel, dass er nicht aufwachte, und schloss selbst für eine Weile die Augen.
    Fabian schlief selten vor dem Fernseher ein, aber wenn es dann doch geschah, war es ein untrügliches Zeichen dafür, dass er wirklich erschöpft war.
    Wenn er jetzt noch gewusst hätte, wie es ihr wirklich ging, hätte er versucht, ihr noch mehr abzunehmen oder sich eben irgendwie einzubringen, da war sie sich vollkommen sicher.
    Auch wenn sie jetzt ja eigentlich alles schon so organisiert hatte, dass es gut funktionierte und sie die benötigte Ruhe erhielt.
    Aber Fabian würde seinen Teil dazu beitragen wollen. Und selbst wenn das nicht der Fall wäre, würde er sie noch besorgter beobachten.
    Oder er würde gar darauf bestehen, dass sie der ersten Überlegung der Ärztin folgte und einige Tage in der Klinik verbrachte.
    Alleine bei dem Gedanken schauderte es sie und sie beschloss erneut, dass sie ihm genug gesagt hatte.
    Er musste sich nicht unnötige Sorgen machen. Schließlich bekam sie die Ruhe, die sie brauchte, jetzt – und damit war auch das Risiko enorm gesunken. Morgen musste sie wieder zur Ärztin – sie wollte sich zu Beginn der Woche noch einmal ein Bild machen und dann die Termine, wenn sich die Werte gebessert hatten, wieder in größeren Abständen belassen – und alles würde sich bestimmt als viel entspannter herausstellen.
    Sie hatte die vergangenen zwei Tage fast nur gelegen, geschlafen und gelesen. Ihr Bauch wurde fast gar nicht mehr hart und die unschönen Krämpfe, die sie sonst immer wieder verspürt hatte, waren deutlich weniger geworden.
    Eileen war absolut sicher, dass kein Grund mehr zur Sorge bestand.
    Vielleicht würde sie ab morgen sogar wieder etwas mehr Bewegung zulassen dürfen, weil sich alles so rasch und gut verändert hatte.
    „Eileen? Was meinst du?“



    Fabian sah sie aufmerksam an. Sie hatte seine Frage völlig vergessen und biss sich nun auf die Lippen, als sie nach einer vernünftigen Antwort suchte.
    Sie konnte ihm wohl schlecht sagen, dass sie eigentlich nicht in der Gegend herumfahren sollte – obwohl die zehn Minuten Autofahrt zu seiner Wohnung nun bestimmt nicht besonders ins Gewicht fallen würden. Morgen musste sie ja schließlich auch wieder zur Klinik fahren, und dieser Weg war doch noch etwas weiter.
    Aber sie musste morgen zur Ärztin – ein weiterer, ungeplanter Termin. Eigentlich hätte sie erst wieder in zwei Wochen vorbeischauen sollen, das wusste Fabian.
    Eileen seufzte. Die Vorstellung, für ein paar Stunden in Fabians gemütlicher Wohnung, die deutlich warm und nicht halb eingerichtet wie die ihre war, zu verbringen, war nicht unbedingt unattraktiv. Auch wenn der Gedanke an eine gemeinsame Nacht sie nach wie vor schreckte. Vor allem, wo sie immer dicker und unförmiger wurde und das Baby sie nachts mehr als einmal wach strampelte, sie inzwischen alle zwei Stunden auf die Toilette musste und sich schwer und trampelhaft vorkam.
    „Das klingt verlockend“, sagte sie schließlich langsam. „Aber du würdest wohl kaum Schlaf bekommen, und ich glaube, das hast du dringend nötig. Das Baby ist definitiv nachtaktiv in letzter Zeit, was meinst du, warum ich den halben Tag nur hier liege?“
    Damit hatte sie direkt auch eine weitere Erklärung für ihre übertriebene Couch-Leidenschaft gefunden.



    Fabian sah sie einen Moment prüfend an und nickte dann. Eileen hatte das Gefühl, eine Spur von Traurigkeit und Enttäuschung über sein Gesicht gleiten zu sehen.
    Sie griff schnell nach seiner Hand und fügte an: „Ich würde wirklich gerne, Fabian, wirklich. Aber sag mal selbst, die Woche war anstrengend, oder?“
    Er nickte langsam und fuhr sich über die Augen. „Ja, das stimmt. Wir hatten zwei Krankheitsfälle im Team, und das kann man nicht so leicht abfangen. Ich hab nicht besonders viel geschlafen.“
    Er lächelte sie schief an.
    „Da geht es mir ähnlich wie dir“, sagte er.
    „Nur dass du dich nicht den ganzen Tag ausruhen kannst“, fügte Eileen hinzu. „Ich denke, der Schlaf ist wichtig für dich. Und ich fühle mich dann auch etwas weniger angespannt, weil ich nicht ständig Angst hab, dich zu wecken.“
    Dieses Argument schien ihm noch eher einzuleuchten als sein eigener Schlafbedarf. Er nickte wieder.
    „Die Temperaturen hier sind wirklich schlimm“, fluchte er dann, stand auf und legte prüfend die Hand auf die Heizkörper. Draußen begann es bereits zu dämmern. „Hast du nochmal mit dem Hausmeister gesprochen?“
    „Nein“, erwiderte Eileen. „Dieser Mensch ist einfach unausstehlich. Ich glaube, er tratscht im Haus über mich, Fabian.“
    Fabian warf ihr einen belustigten Blick zu. „Er tut was?“



    „Vorgestern habe ich im Flur ein altes Paar aus dem zweiten Stock getroffen, und irgendwie… war der Mann ziemlich komisch. Ich weiß auch nicht. Vielleicht bin ich ja ein Aufreger oder so… ich meine, unverheiratet und schwanger.“
    Fabian lachte auf. „Das ist ja besser als in einer Soap, erzähl mir mehr.“
    Er zwinkerte sie an, doch sie lachte nicht.
    „Ich finde das nicht lustig, es ist nicht schön, das Gefühl zu haben, dass dieser komische Kerl in meiner Wohnung herum läuft, wenn er mal wieder etwas reparieren soll, und dann dem restlichen Haus von meiner privaten Situation erzählt.“
    „Naja, genau genommen bist du ja nicht unverheiratet“, stellte Fabian fest und zuckte schuldbewusst mit den Achseln, als Eileen ihn grimmig ansah. „Ich meine ja nur – komm schon, Eileen, wir leben im einundzwanzigsten Jahrhundert.“
    „Ich ja - und du auch. Aber wer weiß das schon von dem Rest hier?“
    „Ist das Studentenpaar auch mit an der Verschwörung beteiligt? So als Vorzeige-Pärchen im Haus, so total unverheiratet, studierend und party-feiernd?“
    Er sah sie amüsiert an. Eileen streckte ihm erneut die Zunge heraus, musste aber selbst lächeln.
    „Vielleicht bilde ich es mir ja auch nur ein“, gestand sie lächelnd. „Und dieser Typ ist nur ein komischer Kauz.“
    „Was du dir aber nicht einbildest, ist die Kälte“, erklärte Fabian entschieden, legte den Arm um sie und rieb ihr den Rücken. „Das ist ja nicht auszuhalten. Frühlingsschaltung nennt er das? Ich würde sagen, der macht sie am 01. April einfach aus. Oder dass deine Thermostate einfach nicht mehr in Ordnung sind. Ich bin nun wirklich kein Handwerker, aber das sehe sogar ich. Du solltest morgen eine Fremdfirma anrufen.“
    Eileen seufzte. „Das wird viel zu viel kosten.“
    Fabian schüttelte den Kopf. „Aber wenn sie genau das feststellen, kannst du es dem Vermieter weiter berechnen. Lass sie doch nur eine Diagnose stellen – und gib diese an die Hausverwaltung weiter. Dann müssen sie reagieren. Du hast das Recht auf eine Zweitmeinung.“
    Nun kicherte Eileen vor sich hin, Fabian zog die Brauen hoch. „Was ist denn?“
    „Du redest, als sei die Heizung einer deiner Patienten“, stieß Eileen zwischen zwei Lachern hervor.
    Fabian blickte ertappt auf seine Fußspitzen.
    „Du bist wirklich überarbeitet“, sagte Eileen immer noch lachend und knuffte ihn in die Seite. „Aber deine Idee ist gut, das versuche ich morgen, danke.“
    Fabian lächelte.
    „Und bis dahin? Willst du hier einfrieren?“
    „So kalt ist es nun auch wieder nicht.“
    „Nein, aber angenehm auch nicht. Und wenn ich friere, wie geht es dir dann erst? Möchtest du nicht doch mit zu mir kommen? Ich kann auch das Bettsofa ausziehen und darauf schlafen, das ist äußerst bequem.“
    Eileen lachte und schüttelte den Kopf.


    „Nachts geht die Heizung ohnehin aus, Fabian – wenn ich unter meiner warmen Decke liege, merke ich das nicht mehr.“
    Fabian seufzte und gab seinen Versuch auf.
    „Na gut, dann – wollen wir trotzdem noch zusammen zu Abend essen?“
    „Sicher, gerne“, antwortete Eileen. „Ich habe meiner Mutter schon gesagt, dass ich heute Abend nicht…“
    Sie biss sich auf die Lippen, bemerkte dann aber, dass es zu spät war und sprach so unbekümmert wie möglich weiter: „… also nicht bei ihnen esse. Sie hatte mich gefragt, weißt du. Sie bekocht mich gerade besonders gerne.“
    „Du hast es gut“, seufzte Fabian.
    „Ach, komm – schließlich hab ich dich auch schon einige Male bekocht“, erwiderte sie lächelnd.
    „Das meine ich nicht – du hast es gut, dass du deine Mutter so nah bei dir hast, dass sie dich bekochen kann“, antwortete er und sah traurig aus
    „Du vermisst deine Familie?“, fragte Eileen.
    Er zuckte mit den Schultern und sah aus dem Fenster.
    „Wieso bist du letzte Woche dann nicht hingefahren? Das hast du doch fast immer zu Ostern gemacht“, fragte Eileen sanft nach.



    Er schüttelte den Kopf. „Nein, nicht immer. Ich musste auch oft arbeiten. Manchmal ist meine Schwester hergekommen, aber seit sie geheiratet hat, ist das schwierig. Für zwei reicht das Bettsofa nämlich wirklich nicht.“ Er lächelte schief.
    „An Weihnachten warst du auch nicht dort“, stellte Eileen fest.
    „Nein, ich musste doch an beiden Feiertagen arbeiten“, erwiderte Fabian, aber es klang nicht ganz überzeugend. Eileen fragte sich, ob er den Dienst damals vielleicht freiwillig angenommen hatte, um die Zeit mit ihr verbringen zu können. Es war ja alles noch recht frisch gewesen.
    „Hast du nur morgen frei?“, fragte sie.
    Er nickte. „Ja, heute und morgen.“
    „Wieso bist du dann nicht heute hingefahren?“
    „Die Fahrt ist ein bisschen zu lang für einen Tag. Ich müsste morgen ja schon wieder zurück. Das lohnt nicht, man fährt fast sieben Stunden.“ Er lächelte sie an. „Außerdem wollte ich dich nicht alleine lassen.“
    Sie schluckte. Genau das hatte sie befürchtet.
    „Aber du vermisst sie doch“, erwiderte sie nach einer Weile des Schweigens. „Mich siehst du jeden Tag, wenn du möchtest. Versuch doch, dir ein oder zwei Tage mehr frei zu schaufeln und zu ihnen zu fahren.“
    Sie strich ihm sanft über den Rücken.
    Er seufzte.
    „Das wird schwierig. Ich möchte den Urlaub nicht dafür verbraten, ich denke, ich kann ihn vielleicht noch dringender brauchen…“
    Er warf einen unbewussten Blick auf ihren Bauch und instinktiv legte Eileen die Hand darauf und seufzte.
    Sie hatten nie eingehend darüber gesprochen, aber sie vermutete, dass er damit rechnete, sich in den ersten Tagen nach der Geburt frei zu nehmen, um für sie da zu sein.
    Da war er wieder – der ständige Verzicht, im Prinzip für das Kind eines anderen.
    Eileen hatte das Gefühl, ihr Herz krampfe sich zusammen.
    „Ein paar Tage mehr oder weniger“, sagte sie. „Das macht doch nichts. Fabian… ich… du musst dir nicht frei nehmen, wenn das Kind kommt. Es ist nicht dein…“



    Sie biss sich auf die Lippen, denn das war nun doch etwas zu direkt gesagt.
    Fabian sah sie lange an, und sie wusste nicht, wie sie seinen Blick deuten sollte.
    „Ich… denke, das kann man dann noch sehen“, erwiderte er dann langsam und unsicher. „Aber ich könnte mir momentan einfach nicht frei nehmen. Ich habe schon Glück, dass es heute und morgen geklappt hat, bei den vielen Krankheitsfällen.“
    Eileen überlegte einen Moment.
    „Versuch es einfach. Wegen mir musst du nicht da bleiben.“
    Er sah sie an und sagte dann. „Du hast vielleicht recht. Wenn ich fahren will, dann sollte ich besser bald fahren und nicht erst im Mai, oder? Immerhin ist der Termin für den zweiten Juni angesetzt.“
    Sie nickte langsam. „Ja, wäre bestimmt vernünftig. Aber wenn es erst im Mai geht, zum Beispiel an den Brückentagen oder so, möchte ich dir nicht im Wege stehen. Das kann ich nicht von dir verlangen.“
    Er seufzte und strich ihr so zärtlich das Haar aus der Stirn, dass sie wohlig erschauerte.
    „Du verlangst doch gar nichts“, sagte er langsam. „Ich weiß genau, dass du es auch alleine schaffst. Aber ich möchte einfach bei dir sein. Wenn du mich lässt.“
    Sie schluckte und fühlte dieses vermaledeite schlechte Gewissen in sich brennen, ohne zu wissen, wieso es eigentlich da war.
    „Ja, natürlich“, erwiderte sie so leise, dass es kaum zu hören war.
    Fabian drückte ihr Hand und lächelte dann wieder unbekümmerter.
    „Genug Trübsal geblasen. Ich bekomme langsam Hunger. Wollen wir was essen gehen? Oder hast du was da?“
    Eileen überlegte kurz, was sie antworten sollte und sagte dann: „Wir sind beide doch viel zu müde und faul, um essen zu gehen. Und ich hab keine Lust, mich aufzuhübschen. Aber ich habe noch eine riesige Tüte Sandwich-Toast da, Salat, Tomaten, Hühnchen und jede Menge Käse. Und diese leckere Barbecue-Soße, die du als eines der Hauptnahrungsmittel bezeichnest.“
    „Das klingt doch lecker. Sogar so lecker, dass ich es fast alleine machen könnte“, erwiderte Fabian.
    „Naja, vielleicht helfe ich dir besser“, lachte sie. „Es geht ja schnell.“



    Und kichernd folgte sie ihm in die kleine Küche.


    FS folgt.

  • Ich habe direkt zwei Kapitel fotografiert. Ich hoffe, es ist noch jemand von Euch dabei :)?


    68.

    Marlene beäugte Eileen kritisch.
    „Du hast es ihm immer noch nicht gesagt“, stellte sie fest und runzelte dabei so sehr die Stirn, dass sie etwa zwanzig Jahre älter aussah.
    Eileen seufzte und ließ sich auf einen der Küchenstühle sinken.


    „Müssen wir schon wieder darüber diskutieren?“, stöhnte sie langsam.
    Marlene schnaubte missmutig und knallte eine der Küchentüren mit etwas zu viel Elan zu.
    „Ich verstehe dich einfach nicht, Eileen“, sagte sie so zurückhaltend wie möglich, während sie unglaubliche Mengen an Wurst und Käse in dem kleinen Kühlschrank zu verstauen versuchte.
    „Vielleicht ist das auch schwer, wenn man nicht in der gleichen Situation steckt“, erwiderte Eileen leicht angesäuert und biss sich dann auf die Lippe. Sie wollte Lene nicht zurechtweisen oder verletzen, dafür war sie ihr viel zu dankbar für alles, was diese in den letzten Monaten und auch jetzt noch stillschweigend für sie tat.



    Marlene nahm schwungvoll einen Henkel Trauben und eine Tüte Äpfel aus dem mitgebrachten Einkaufskorb und arrangierte sie stirnrunzelnd in der Obstschale.
    „Das gilt nicht“, sagte sie dann, schob den leeren Korb mit dem Fuß zur Seite und sank ebenfalls auf einen Küchenstuhl. „Es gibt Situationen und Verhaltensweisen, bei denen die Umstände nicht so sehr ins Gewicht fallen – bei denen nur die Sache an sich zählt.“
    Ihr Blick wurde sanfter. „Ich möchte nicht mit dir streiten, Eileen, aber glaub mir bitte, nur dieses eine Mal – du machst einen Fehler, einen riesigen Fehler damit.“
    Eileen verzog unwillig das Gesicht.
    „Ich finde, dass ihr alle eine viel zu große Sache daraus macht“, stellte sie fest.
    Marlene sah sie entgeistert an.
    „Sag mal, Eileen, auf welchem Planeten lebst du eigentlich? Hast du mir nicht vor fünf Minuten noch erzählt, dass deine Ärztin dich heute eigentlich gar nicht mehr nach Hause gehen lassen hätte, wenn du sie nicht auf Knien angefleht hättest?"



    Eileen schluckte und versuchte, die Erinnerung an den wenig erfreulichen Arzttermin zu verdrängen. Ihre Hoffnung vom Vortag hatte sie nicht bestätigt – eigentlich war die Situation noch schlimmer geworden, trotz der vielen Ruhe.
    Doktor Heinrichsen hatte sie nur äußerst unwillig nach Hause gehen lassen. Aber Eileen hatte sie letztlich davon überzeugt, dass – gerade aufgrund ihrer etwas vertrackten Situation bezüglich Fabian – es ihr zu Hause sehr viel besser gehen, sie sehr viel mehr Ruhe finden würde.
    Der Stress einer Krankenhauseinweisung stand dem deutlich gegenüber, und glücklicherweise war Doktor Heinrichsen eine der wenigen Ärztinnen, die diesen Faktor mit einrechnete.
    Zudem hatte sie selbst zugegeben, dass man auch in der Klinik nicht sehr viel mehr tun könnte als Eileen zu umsorgen und zu überwachen. Sollte die Geburt aber wirklich zu früh einsetzen, gab es wenig, um es zu verhindern.
    Wehenhemmende Mittel wollte Eileen nur im äußersten Notfall einsetzen, und ihre Ärztin stimmte ihr zu – zu unsicher war man sich über die Nach- und Nebenwirkungen, so dass sie in diesem Status darauf verzichteten.
    „Wir haben ja schon am Freitag darüber gesprochen, dass es manchmal etwas dauert, bis die Ruhe ihre Wirkung entfaltet“, hatte die Ärztin am Ende tröstend gesagt. „Wenn man lange unter Stress gestanden hat, kann plötzliche Ruhe am Anfang auch anstrengend sein und gerade gegenteilig wirken. Vielleicht ist das ja der Fall. Warten wir noch einige Tage ab, viel mehr können wir nicht tun.“


    Eileen hatte ihr jedoch versprechen müssen, mit der Hebamme Kontakt aufzunehmen – was sie in den Vortagen vergessen hatte – und sich ab sofort in die Klinik zu den Terminen fahren zu lassen, um sich noch weniger anzustrengen.
    Ihr Vater hatte sich sofort bereit erklärt, diesen Part zu übernehmen. Auch Marcel hatte sich angeboten – ihm hatte sie eine etwas abgemilderte Version des Gesprächs mitgeteilt -, da er aber nur gegen Abend Zeit finden konnte, hatte Eileen dankend abgelehnt.
    Fabian hatte sie vorhin kurz am Telefon gesprochen – er wusste ja nicht einmal etwas von dem Termin – und ihm erklärt, dass sie sehr müde sei und heute Abend sehr früh schlafen gehen würde, so dass er sofort erklärt habe, er würde den Abend mit einigen Fachstudien verbringen, die schon lange auf seinem Schreibtisch lagen und gelesen werden wollten.
    „Was, wenn das Baby wirklich zu früh kommt?“, riss Marlene sie aus ihren Gedanken. „Wie willst du Fabian das erklären?“



    Eileen zuckte die Achseln und erwiderte gleichmütig: „Babys kommen schon einmal zu früh, auch ohne jede Vorwarnung.“
    „Wir alle wissen es“, wandte Marlene ein. „Wir alle. Jeder von uns kann sich verplappern, und wird es auch. Wenn nicht du selbst, dann ich – Dirk oder deine Eltern. Oder Marcel. Denn der weiß ja wohl nichts von deiner Doppelmoral gegenüber Fabian, oder?“
    Eileen sah sie wütend an. „Natürlich nicht. Das hätte noch gefehlt, er würde sofort Streit wittern und sich am Ende noch darüber freuen.“
    „Das weiß ich nicht“, erwiderte Marlene zu Eileens Überraschung. „Auch wenn er Fabian nicht gerade toll findet, ist er vielleicht ganz froh, dass du jemanden hast.“
    „Marcel? Sprechen wir von demselben Mensch?“
    „Du weißt, ich bin alles andere als sein Fan“, gab Marlene mit einem schiefen Grinsen zu. „Aber ich finde, er verhält sich für diese schwierige Situation doch ganz gut, und ich habe nicht das Gefühl, dass er sich für dich wünschen würde, dass du unglücklich wirst … schon wieder.“
    Sie schwiegen beide einen Moment, dann griff Marlene den Faden wieder auf: „Aber genau das wird passieren, Eileen. Fabian mag ein sehr geduldiger, liebevoller Mann sein, aber er wird es nicht tolerieren, angelogen zu werden. Du bist ihm schuldig, ehrlich zu ihm zu sein.“
    „Aber er…“



    Marlene unterbrach sie. „Komm nicht wieder mit dem Gerede darüber, dass du ihn vor was auch immer schützen willst. Das, wovor du ihn schützen willst, ist gar nicht existent – jedenfalls nicht so, wie du es dir denkst. Er hat dich in diesem Zustand kennen gelernt. Als getrennte Frau, die von ihrem Ex schwanger ist. Wenn er damit nicht klar kommen würde, wäret ihr nie so weit gekommen, Eileen. Sei doch selbst einmal ehrlich. Gut, am Anfang, da war es vielleicht nur Verliebtheit, Faszination, was weiß ich. Als du mir im Dezember von eurem Kuss erzählt hast, habe ich mich zwar diebisch für dich gefreut, mich aber selbst gefragt, wie das gehen soll. Ich dachte, dass das Ganze nicht lange halten kann. Aber ich hab mich geirrt, und ich kenne Fabian zwar nicht lange, aber ich glaube doch, ihn ganz gut zu kennen. Gut genug jedenfalls um zu wissen, dass er wirklich etwas für dich empfindet. Und zwar so wie du bist, nicht so wie du sein könntest, wenn du single und nicht schwanger gewesen wärst, als ihr euch getroffen habt. Das sind doch alles nur Hypothesen, was soll dieses WasWäreWenn denn bringen? Du bist schwanger, du wirst ein Baby von einem anderen bekommen – er weiß das, und er liebt dich trotzdem. Vielleicht empfindet er sogar irgendetwas für das Baby, hast du ihn je danach gefragt?“
    Sie starrte Eileen herausfordernd an. Diese schluckte und rieb nervös ihre Hände.
    „Nein“, gab sie dann kleinlaut zu. „Darauf wäre ich nie gekommen. Lene“, ihre Stimme wurde wütender, „du – ihr alle – scheint nicht zu begreifen, dass es nicht SEIN Kind ist.“
    „Oh doch, das begreifen wir durchaus, Eileen“, rief Marlene aufgebracht aus. „Wir sind alle nämlich nicht blöd, wir wissen, dass der Erzeuger des Kindes Marcel ist. Und dass er immer sein Vater sein wird, und offenbar auch dazu steht. Aber dennoch kann Fabian etwas für das Baby empfinden, egal was – und wenn es nur Zuneigung ist, weil es das Kind der Frau ist, die er liebt.“



    Es herrschte Schweigen in der Küche. Eileen wusste nicht, was sie sagen sollte. Marlene seufzte und fuhr sanfter fort: „Du versuchst ihn zu schützen, aber dabei begehst du einen der schlimmsten Vertrauensbrüche überhaupt. Es ist nicht gut, wenn man sich nicht alles sagt, wenn man nicht miteinander spricht. Das müsstest du doch von allen am besten wissen, nach allem, was zwischen dir und Marcel schief gegangen ist…“
    Eileen funkelte Lene wütend an. „Das ist ja toll. Du mit deiner optimalen Beziehung kannst das natürlich ohne weiteres sagen. Hättet ihr mal mehr miteinander geredet, dann wäre nichts passiert!“
    „Ihr alle habt so leicht zu reden! Und bauscht alles so sehr auf! Was zwischen mir und Fabian ist, hat nichts mit dem Baby zu tun! Nichts mit der Schwangerschaft! Nicht noch mehr als ohnehin schon! Er muss sich nicht den Kopf zerbrechen, mich pflegen, wie ein Mann seine schwangere Frau! Denn ich bin nicht seine schwangere Frau!!!“
    Marlene schüttelte resigniert den Kopf.
    „Nein, Eileen – du redest dir das alles einfach ein. Das Problem ist, dass du dir wünschst, du wärest nicht schwanger, wenn du mit Fabian zusammen bist. Damit will ich nicht sagen, dass du das Baby nicht möchtest, nein. Aber wenn es um Fabian geht, ist es für dich nur eine Komplikation. Für Fabian ist es das aber nicht. Für ihn ist es ein Teil von dir- für ihn gibt es dich nur mit ihm. Es war nie anders. Aber das willst du einfach nicht sehen. Und darum verletzt du ihn, indem du ihn belügst und ausschließt. Und das alles mit der Rechtfertigung, ihn eigentlich nur schützen zu wollen – vor dem, was in einer Beziehung normal ist, nämlich, dass man füreinander da ist, sich zuhört, sich umeinander kümmert. Was du bei Marcel immer selbstverständlich angenommen hast, wehrst du bei Fabian mit Händen und Füßen ab, und immer unter dem Vorwand, dass es mit der Schwangerschaft zu tun hat.
    Das kann nicht gut gehen. Und ich sehe es wie deine Eltern: ich werde nicht mehr für dich lügen. Aber ich werde ihm aus dem Weg gehen – mehr nicht. Ich geh jetzt.“



    Sie schlüpfte rasch in ihre Jacke und war so schnell durch das Wohnzimmer und aus der Tür gehuscht, dass Eileen keine Chance mehr hatte, irgendetwas zu erwidern.


    Fortsetzung folgt.

  • Bin auf jeden Fall noch dabei. ;)


    Das ist doch mal eine Ansage von Marlene. Bin ganz ihrer Meinung, was Fabian angeht. Eileen sollte ihm davon erzählen. Ich habe den Verdacht, dass er eigentlich auch schon etwas weiß/ahnt oder zumindest merkt, dass sie nicht ganz ehrlich zu ihm ist.

  • cindy: Ja, das kann natürlich gut sein, denn Fabian ist ja recht feinfühlig und Eileen eher eine miese Lügnerin :D


    69.

    Fabian sah Eileen lange an und drückte sie dann vorsichtig an sich.
    "Es ist wirklich in Ordnung, dass ich fahre?", fragte er zum wiederholten Male.
    Eileen nickte, auch wenn sich ihr Magen bei dem Gedanken daran zusammenzog.
    "Ja, natürlich. Das habe ich dir doch schon etliche Male gesagt. Ich freue mich sehr für dich."
    Das entsprach nun wirklich der Wahrheit.
    "Schade, dass du nicht mitkommen kannst", sagte Fabian bedauernd. "Aber mehr als verständlich. Ich hätte mich gefreut, wenn du meine Familie endlich kennen gelernt hättest."
    Eileen sah ihn nachdenklich an.



    "Fabian... was... was wissen sie denn von uns? Ich meine... was hast du ihnen erzählt?"
    Fabian sah sie überrascht und etwas verwirrt an.
    "Was soll ich ihnen denn erzählt haben? Was meinst du?"
    "Nun ja, ich meine... diese Situation und all das...", sie deutete auf ihren Bauch. "Ich könnte mir vorstellen, dass man sich als Mutter, Vater und Schwester etwas anderes für den Sohn oder Bruder wünscht als mich?"
    Fabian ließ ihre Hand los und rutschte auf die Kante der abgewetzten Couch.
    "Das meinst du jetzt aber nicht ernst, Eileen, oder?"
    Eileen zuckte mit den Schultern und sah verlegen zu Boden.
    "Ich habe ihnen alles genau so gesagt, wie es ist. Dass ich mich in dich verliebt habe und wir zusammen sind, und das schon an Weihnachten, als es gerade anfing. Und auch dass du gerade in der Scheidung steckst - oder naja, kurz davor jedenfalls - und ein Kind von deinem ehemaligen Mann erwartest, ja."
    Er sah sie lange an. "Schämst du dich etwa dafür? Immer noch?"



    Sie errötete und biss sich auf die Lippen. "Vielleicht", gab sie dann zu. "Ich... ich weiß auch nicht. Ich denke mir einfach, dass man sich als Eltern oder Geschwister doch jemanden wünscht, der... frei ist. Also so richtig."
    Fabian schüttelte den Kopf. "Eileen, manchmal verstehe ich dich nicht. Ich dachte eigentlich, dass du frei bist... jedenfalls im Herzen. Oder etwa nicht?"
    Eileen lehnte sich rasch nach vorne und griff nach seiner Hand. "Doch, natürlich- bitte, bitte, versteh mich nicht falsch. Ich... ich meine einfach nur... normalerweise bringt eine Frau nicht einen solchen Packen an Altlasten mit, oder?"
    "Wer weiß. Es ist vielleicht keine Standardsituation, aber was ist das schon", erwiderte Fabian nachdenklich. "Eileen, meine Eltern und auch meine Schwester freuen sich einfach für mich, dass ich jemanden gefunden habe, der mir etwas bedeutet... und dem - so hoffe ich doch - ich ebenso etwas bedeute."
    Eileen knuffte ihn in die Seite.
    "Das fragst du mich nicht wirklich, oder?", gab sie zurück. "Du weißt, wie sehr du mir am Herzen liegst."
    Fabian seufzte einen Moment und zog sie dann nah an sich.
    "Ja, weiß ich." Er strich über ihre Wange. "Du solltest dir nicht mehr so viele Gedanken darüber machen, wer was über dich denkt oder deine Situation. Manchmal machst du den Eindruck, als würdest du glauben, du lebst in Schande oder etwas Ähnliches. Oder als tätest du etwas Unrechtes."
    Eileen schüttelte den Kopf. "Nein", erwiderte sie. "Nein, das denke ich nicht. Nur... manchmal wünsche ich mir, es wäre weniger kompliziert."




    "Ist es das denn so sehr?", fragte er. "Ich gebe zu, es ist nicht einfach, dass du schwanger bist und wir gerade am Anfang stehen. Aber welche Beziehung ist frei von Komplikationen?"
    Eileen dachte an die Anfänge ihrer Beziehung mit Marcel und seufzte.
    "Ich weiß nicht."
    Sie wollte nicht zugeben, dass die letzten Monate mit Fabian nichts von der Leichtigkeit und Unbeschwertheit des Frischverliebtseins zu tun hatten, die sie bei Marcel erlebt hatte.
    Und das nicht, weil sie weniger für Fabian empfand- eher im Gegenteil.
    Marcel hatte sie zu Beginn einfach anziehend, faszinierend gefunden. Kribbeln im Bauch, Herzrasen, sie hatte ihn manchmal geradezu angebetet.
    Das war bei Fabian anders. Natürlich fand sie ihn attraktiv, und der Blick seiner blauen Augen ließ sie auch jetzt immer wieder schwach werden und ihre Knie wie Wackelpudding wirken.
    Aber sie fühlte viel mehr für ihn als sie anfangs für Marcel empfunden hatte.
    Sie fühlte sich bei ihm geborgen und warm, wohlig und verstanden, angenommen und gesehen - das traf es wohl am ehesten. Sie hatte bei Marcel bis zum Ende nie das Gefühl gehabt, so sehr gesehen und verstanden zu werden.
    Sie liebte Fabians ruhige Art, sie empfand tiefen Respekt vor dem, wie er sich verhielt und was tat und der Gedanke daran, ihn nicht mehr um sich zu haben, schnürte ihr die Kehle zu.
    Selbst wenn es sich nur um eine Woche handelte.



    Er hatte ihren Vorschlag vom April in die Tat umgesetzt. Nachdem das Team endlich wieder vollständig war, hatte er sich über den Maifeiertag eine Woche Urlaub herausschlagen können und wollte am morgigen Sonntag in Richtung Heimat fahren, um endlich einmal wieder die Familie zu sehen.
    Fabian hatte sich sehr schwer mit dieser Entscheidung getan und Eileen etliche Male gefragt, ob er sie wirklich alleine lassen solle. Immerhin war sie jetzt bereits in der 35. Woche.
    Doch Eileen hatte ihm mehrfach beteuert, dass dies in Ordnung sei - es war ja noch Zeit, und eine Woche würde schnell vorbeigehen.
    Die letzten drei Wochen hatten ihren Zustand nicht verbessert, aber auch nicht verschlimmert. Bei der letzten Untersuchung war sogar der Muttermund schon ganz weich gewesen, aber noch saß alles fest und die Ärztin meinte, dieser Befund sei in dieser Woche nicht mehr allzu besorgniserregend, so lange sie sich weiterhin schonte. Das Baby hatte sich auch immer noch nicht gedreht, was ihr zusätzlich Sorgen machte.
    Aber seit sie von ihrer Hebamme Klara betreut wurde, fühlte sich Eileen etwas sicherer. Klara kam rund dreimal die Woche. Die meiste Zeit sprachen sie viel, auch darüber wie die Geburt werden würde, was zu beachten sei und wie sich Eileen fühlte.
    Wenigstens hatte Eileen so Klarheit über die Frage bekommen, ob sie Marcel oder Fabian oder überhaupt jemanden bei der Geburt dabei haben wollte.
    Da Klara mit ihrer Ärztin zusammen arbeitete, hatte sie versprochen, bei der Geburt an Eileens Seite sein zu können. Auch ihre Mutter hatte sich bereit erklärt, ihr beizustehen.
    Marcel hatte sie gesagt, dass sie ihn sofort informieren würde, wenn sie in die Klinik fahren sollte und dass er dort warten konnte, sie ihn aber nicht im Kreißsaal selbst dabei haben wollte. Sie hatte jedoch mit Klara vereinbart, dass sie die anwesenden Hebammen bitten würde, Marcel ununterbrochen auf dem Laufenden halten und sofort nach der Geburt dazu holen würde, damit er seine kleine Tochter - zumindest vermutete man, dass es ein Mädchen werden sollte - so schnell als möglich sehen konnte und auch bei der Versorgung - Baden, Anziehen - dabei sein durfte. Denn das lag ihm offenbar sehr am Herzen, und Eileen fand sich nicht in der Position, ihm dieses Erlebnis zu versagen. Zumal sie keinen Sinn darin sah. Er war nun einmal der Vater, und sie war eigentlich sehr froh, dass er so sehr zu seiner Vaterrolle zu stehen schien. Nachdenklich sah sie zum Fenster hinaus, während Fabian aufstand und seine Sachen zusammen suchte.



    Fabian und sie hatten nur kurz darüber gesprochen, welche Rolle er bei der Geburt spielen sollte.
    Beiden war eigentlich klar, dass sie gerne beieinander gewesen wären in dieser Situation, aber beide waren unsicher, ob dies angebracht war.
    So waren sie letztlich dabei geblieben, dass es auf die Situation selbst ankommen würde und man immer noch spontan sehen könnte, was sich ergab.
    Letztlich hatten sie also nicht wirklich darüber gesprochen, auch wenn nicht mehr sehr viel Zeit blieb.
    Inzwischen waren beide aufgestanden und gemeinsam zu Fabians Auto gegangen.
    "Ich habe mir überlegt, dass ich wohl schon heute Nacht losfahre", sagte Fabian, während er den Motor anließ. "Der Verkehr ist dann sehr viel weniger, und ich bin einen Tag früher wieder hier."
    Eileen nickte. "Ja, das mit dem Verkehr verstehe ich. Aber du brauchst nicht einen Tag kürzer zu bleiben."



    Fabian zuckte die Achseln. "Mal sehen. Geht es dir wirklich gut?"
    Eileen nickte und schluckte gegen das schlechte Gewissen an, das ihr wie so oft in den letzten Wochen den Hals zuschnürte.
    Sie hatte Fabian immer noch nichts von der eigentlichen Situation gesagt.
    Da aber die letzten drei Wochen ohne besondere Ereignisse verstrichen waren, machte sie sich deswegen nicht mehr allzu schwere Vorwürfe.
    Er hatte drei anstrengende Wochen hinter sich, mit viel Arbeit und Aufregungen. Wenn er gewusst hätte, wie anfällig sie eigentlich gewesen war, hätte ihn das noch mehr belastet.
    Es war ja nichts passiert, und letztlich war es egal für Fabian, ob sie den ganzen Tag im Bett oder auf der Couch gelegen hatte oder nicht, da er ohnehin den ganzen Tag arbeiten war und sie sich nur alle zwei oder drei Tage hatten sehen können.
    "Es ist doch nur eine Woche", sagte Eileen jetzt noch einmal, wie um sich selbst zu beruhigen.
    Ihr letzter Untersuchungstermin war schon vier Tage her, und am Montag hatte sie den nächsten. Sie hoffte, dass die Wehenstärke nicht noch mehr geworden war. Viel mehr hoffte sie aber, dass das Baby sich endlich gedreht haben würde.
    "Wenn du am Montag bei der Ärztin warst, ruf mich bitte an. Ich würde gerne wissen, ob sich endlich etwas bewegt hat", sagte Fabian in diesem Moment, als hätte er ihre Gedanken zum Teil erraten.
    Das war das einzige, was Eileen ihm gesagt hatte - dass sie immer noch darauf warteten, dass das Baby sich drehte.
    "Mach ich", versprach Eileen. "Ich denke, ich sollte langsam nach Hause. Ich bin müde."
    "Kein Problem. Ich bringe dich heim."
    Eileen nickte. Sie war heute zum ersten Mal seit drei Wochen überhaupt aus dem Haus gegangen - abgesehen von den Arztbesuchen. Zwar war ihr "Aufstehverbot" nur leicht gelockert wurde - schließlich ging es ihr nicht viel besser - aber sie hatte es einfach nicht mehr in ihren vier Wänden ausgehalten und Fabians Vorschlag, den Tag bei ihm zu verbringen, nur zu gerne zugestimmt. Allerdings hatte sie ihn gebeten, sie abzuholen.
    "Mit dem dicken Bauch fährt es sich einfach nicht mehr gut", hatte sie ihm erklärt und er hatte nicht weiter nachgefragt.
    Abgesehen davon stimmte dieses Argument sogar. Inzwischen war sie so schwerfällig geworden, dass sie auch ohne ein "Ausgehverbot" nicht mehr allzu viel Lust auf Unternehmungen gehabt und sich nur ungern hinter das Lenkrad gequetscht hätte.
    "Morgen kommt Marcel vorbei?", fragte Fabian.




    Eileen nickte. "Ja, er hat noch einige Sachen fürs Kinderzimmer gekauft, die er vorbeibringen und installieren möchte. Eine Wärmelampe und sowas."
    Den Rest hatte ihr Vater in der vorigen Woche aufgebaut. So gesehen war jetzt alles für das Baby vorbereitet.
    "Dann ist alles fertig, oder? Es könnte also losgehen", erwiderte Fabian. "Aber jetzt natürlich noch nicht. Das wäre etwas zu früh."
    Eileen überlegte einen Momente, ob sie ihm diese Frage stellen konnte, überwand sich dann aber doch: "Aber... wenn... es doch zu früh wäre, meinst du, das wäre riskant für das Baby?"
    Er sah sie überrascht von der Seite an.
    "Wieso? Denkst du, dass es zu früh kommen kann? Ich denke doch eher nicht, schließlich gibt es dafür keine Anzeichen. Und dass es sich nicht gedreht hat, deutet ja auch eher darauf hin, dass es noch etwas Zeit braucht."
    Eileen wusste nicht, was sie sagen sollte und schwieg. Fabian sprach daraufhin weiter: "Aber um deine Frage zu beantworten - ich bin kein Gynäkologe, das weißt du, aber nein, das würde vermutlich nichts machen. Im Prinzip würde man schon in zwei Wochen nicht mehr von einer Frühgeburt sprechen. Dein Entbindungstermin ist ja nicht in Stein gemeißelt, ist nur ein Orientierungswert. Natürlich gilt jeder Tag im Bauch als besser, aber Babys kommen nicht immer nach Zeitplan.“



    Eileen atmete still auf. Sie hatte sich nicht mehr wirklich getraut, ihrer Ärztin diese Frage zu stellen, ohne zu wissen, wieso. Und selbst wenn diese ihr vor einigen Wochen etwas Ähnliches gesagt hatte, gab ihr die Antwort aus Fabians Mund ein noch tieferes Vertrauen.
    Dieser warf ihr erneut einen Seitenblick zu.
    "Eileen? Ist irgendetwas? Hast du Angst, dass die Geburt zu früh losgeht? Hast du schon richtige Wehen?"
    Eileen schluckte und verfluchte sich dafür, das Thema überhaupt angefangen zu haben.
    "Ich... ich weiß nicht", sagte sie dann. "Man... man kann sich halt nie ganz sicher sein, oder? Und Vorwehen sind ja normal... also Senkwehen, meine ich. "
    Fabian griff nach ihrer Hand und drückte sie kurz.
    "Nein, natürlich kann man sich nicht sicher sein. Und ja, Vorwehen sind normal, so kenne ich das auch."
    Sie nickte und wechselte rasch das Thema, bevor er weiter fragen konnte.
    "Was hast du für nächste Woche denn alles geplant? Ich meine, außer deine Familie zu sehen?"
    Fabian zuckte die Achseln. "Ich weiß nicht. Ein paar alte Freunde treffen vielleicht - ausschlafen, Bücher lesen und das Meer genießen." Er seufze. "Ich wünschte, du könntest mitkommen. Seeluft täte dir auch ganz gut. Aber nächstes Mal, oder?"
    Sie nickte. "Nächstes Mal, ja. Versprochen."



    Und zum Ende dieses Kapitels passt dieses Lied sehr gut.


    "How Far"


    There's a boat, I could sail away
    There's the sky, I could catch a plane
    There's a train, there's the tracks
    I could leave and I could choose to not come back
    Oh never come back


    There you are, giving up the fight
    Here I am begging you to try
    Talk to me, let me in
    But you just put your wall back up again
    Oh when's it gonna end


    [Chorus:]
    How far do I have to go to make you understand
    I wanna make this work so much it hurts, but I just can't
    Keep on giving, go on living with the way things are
    So I'm gonna walk away
    And it's up to you to say how far


    There's a chance I could change my mind
    But I won't, not till you decide
    What you want, what you need
    Do you even care if I stay or leave
    Oh, what's it gonna be


    [Chorus]


    Out of this chair, or just across the room
    Halfway down the block or halfway to the moon


    How far do I have to go to make you understand
    I wanna make this work so much it hurts, but I just can't
    Keep on giving, go on living with the way things are
    So I'm gonna walk away
    And it's up to you to say
    YeahI'm gonna walk away
    And it's up to you to say how far



    http://www.metrolyrics.com/how…mcbride-ml-video-7lh.html




  • 70.


    Eileen riss die Augen auf, als sie ein heftiger Schmerz unsanft auf dem Schlaf riss. Für einen Moment hielt sie die Luft an, dann wurde der Schmerz wieder weniger. Sie konnte nicht sagen, wie lange das messerscharfe Ziehen in ihrem Unterleib gedauert hatte. Es war ihr wie Ewigkeiten vorgekommen. Schlaftrunken und immer noch benommen von dem unsanften Wecken sah sie auf die Uhr. Ein Uhr nachts. Sie hatte das Gefühl, schon Stunden geschlafen zu haben. Dabei war sie erst vor einer Stunde ins Bett gegangen, nachdem Fabian sie zuhause abgesetzt hatte.



    Ihre Hand wanderte zu ihrem Bauch, der sich weich und warm anfühlte. Sie seufzte auf. Für einen Moment hatte sie geglaubt, eine richtige Wehe zu erleben. Aber vielleicht hatte sie auch nur schlecht geträumt und falsch gelegen. Vorsichtig wuchtete sie ihren schweren Leib von der linken auf die rechte Seite, kuschelte sich wieder in ihr Kissen und schloss die Augen. Sie war sterbensmüde und schlief rasch wieder ein.
    Sie hatte kein Gefühl, wie lange sie geschlafen hatte, bevor erneut ein heißer Schmerz im Rücken, der Lendenregion und im Unterleib sie mit aller Macht aus dem Schlaf riss.
    Sie keuchte unwillkürlich auf und fasste sich schutzsuchend an den Bauch, der sich nun bretthart anfühlte. Sie versuchte, die Luft langsam und gleichmäßig aus ihrem Mund fließen zu lassen, um der Wucht des Schmerzes irgendetwas entgegenzusetzen, während ihre Gedanken sich überschlugen. Was war hier los?
    Als der Schmerz nachließ, warf sie einen Blick auf die Uhr. Sechs Minuten nach eins.
    Draußen stand der Mond hoch am Himmel und lächelte auf sie herab, als ob es nichts gebe, worüber man sich aufregen müsse.



    Bevor sie weiter überlegen konnte, ob sie nun tatsächlich in den richtigen Wehen steckte, schien es in ihr „plopp“ zu machen und mit einemmal ergoss sich ein kleiner Schwall warmer, klebriger Flüssigkeit an den Innenseiten ihrer Oberschenkel entlang ins Bett, durchnässte ihre Schlafanzughose und dann das Bettlaken.
    Eileen stieß einen kleinen Schrei aus. Hektisch schlug sie die Bettdecke zurück und sprang aus dem Bett. Das Gewicht des Wassers zog an ihren Hosenbeinen und sie spürte, wie erneut Wasser ihre Beine hinunterlief.
    Hektisch rannte sie an ihren Schrank, zog ein Handtuch hervor und versuchte, sich trockenzureiben. Da ergriff sie schon wieder ein erneuter Schmerz, der sie das Handtuch fallen lassen und fast in die Knie gehen ließ. Sie stieß die Luft tief durch den Mund und versuchte, nicht in Panik zu verfallen. Gleich würde es vorbei sein.



    Es dauerte einige Sekunden, dann war der Schmerz wieder vergangen. Sie zitterte vor Aufregung und Kälte, schnappte sich ihre Weste und schlüpfte hinein. Ihre Gedanken überschlugen sich förmlich.
    Ohne noch weiter zu überlegen riss sie das Telefon von der Ladestation und wählte die Nummer.
    „Hallo?“, meldete sich eine Stimme am anderen Ende des Telefons.
    „Ich bin´s“, stieß Eileen heftig atmend aus. „Du… du musst kommen! Ich brauche dich! Mir ist die Fruchtblase geplatzt und ich habe Wehen! Das Baby kommt!!!“



    Fortsetzung folgt.

  • Das vorletzte Kapitel...


    71.

    Eileen packte rasch ihr Handyladekabel in ihre Handtasche und setzte sich dann aufs Sofa, das sie vorsorglich mit einigen Handtüchern bedeckt hatte.
    Sie versuchte, so ruhig wie möglich zu atmen und schaute immer wieder auf die Uhr mit jeder erneuten Welle, die angerollt kam.
    Fünf Minuten.
    Sie versuchte bei jedem erneuten Schmerz tief auszuatmen. In ihrem Kopf purzelten die Gedanken nur so durcheinander, aber nicht einer dauerte lange genug an, um ihn zu begreifen oder gar zu weiteren Handlungen zu führen.
    Nach dem Telefonat hatte sie lediglich ihre Unterhose mit den dicksten Binden, die sie finden konnte, gepolstert, sich vorsorglich zwei Schlabberhosen übereinander angezogen, eine frische Weste, die Haare nach hinten geklemmt, sich mit einigen weiteren Handtüchern ausgerüstet, ein paar Sachen in ihre schon lange fertig gepackte Kliniktasche gepackt – mehr nicht.
    Es vergingen fünfzehn Minuten, dann klingelte es an der Haustür.
    Vorsichtig stand Eileen auf, um nicht noch mehr Fruchtwasser zu verlieren, und ging langsam zur Tür.
    Kaum hatte sie geöffnet, zog Fabian sie in seine Arme.



    „Seit wann hast du die Wehen?“, fragte er sofort.
    „Ich bin vor etwa einer halben Stunde davon aufgewacht. Kurz danach ist auch die Blase geplatzt.“
    „Setz dich bitte wieder hin, Eileen“, sagte er so ruhig wie möglich und führte sie zurück zur Couch. „Ich hab schon den Krankenwagen gerufen.“
    „Wieso das?“, fragte Eileen erschrocken.
    „Ich denke, das ist sicherer. Schließlich liegt das Kind nicht mit dem Kopf im Becken. Ich war mir unschlüssig. Das ist der sicherere Weg. Aber keine Angst, ich werde versuchen, hinten bei dir mitfahren zu dürfen. Und ansonsten fahre ich direkt hinterher.“
    Er drückte zuversichtlich ihre Hand. „Das wird schon.“
    „Aber es ist viel zu früh, Fabian“, schluchzte Eileen.
    „Wir haben doch vorhin darüber gesprochen – das macht nichts, dein Baby wird dadurch keine Nachteile haben. Es kann höchstens sein, dass es ein paar Tage in die Kinderklinik muss, aber wenn es dir und ihm soweit gut geht, kannst du mitkommen und dort mit ihm ein Zimmer beziehen.“ Er lächelte sie sanft an. „Ich regel das alles schon für dich. Keine Angst.“



    Sie atmete tief durch und spürte die nächste Wehe mit Macht kommen. Instinktiv griff sie nach Fabians Hand und achtete nicht darauf, wie stark sie diese in diesem Moment drückte. Er rieb ihr einfach nur sehr vorsichtig den Rücken, bis der Schmerz nachließ.
    „Wieso warst du noch nicht auf der Autobahn?“, stieß sie hervor, als sich ihr Atem wieder beruhigt hatte.
    „Ich musste noch einmal nach Hause, ich hatte etwas vergessen. Und dann habe ich im Radio gehört, dass es einen Unfall auf der Autobahn gegeben hatte und Stau war – und das trotz dieser späten Stunde. Da hab ich entschieden, doch erst morgen früh zu fahren. Ich würde sagen, das muss sowas wie glückliche Fügung gewesen sein.“
    Eileen nickte stumm. Erst jetzt wurde ihr klar, dass sie Fabian völlig instinktiv angerufen hatte. Es war für sie in diesem Moment überhaupt niemand anders in Frage gekommen.
    Bevor sie etwas zu ihm sagen konnte, klingelte es erneut an der Haustür. Fabian sprang auf und öffnete den Sanitätern die Tür. In wenigen kurzen Worten erklärte er die Situation, dann kamen die freundlich lächelnde junge Frau und der ältere Herr zu Eileen an die Couch und erklärten ihr, dass es besser wäre, sie auf der Trage nach draußen zu bringen, um kein Risiko einzugehen.
    Eileen schauderte es bei der Vorstellung, aber sie nickte. Fürsorglich holte Fabian ihre Jacke und half ihr im halben Liegen hinein, fragte, was er mitnehmen sollte, während die Sanitäter mit der Trage zurück kamen und Eileen vorsichtig hinauf halfen.
    Als sie nach draußen in die kühle Nachtluft kamen, griff Eileen hilfesuchend nach Fabian.
    „Bitte bleib bei mir“, flehte sie.
    Er drückte ihre Hand. „Keine Angst, ich fahre vorne im Krankenwagen mit. Meinen Wagen kann ich später noch holen.“
    Erleichtert ließ sie seine Hand los, während die Trage in den Wagen gelagert wurde.
    Der Krankenwagen kam in der stillen Nacht sehr schnell am Krankenhaus an. Kaum berührte die Trage wieder den Boden, war Fabian wieder an Eileens Seite und hatte ihre Hand ergriffen.
    Gemeinsam fuhren sie einige Stockwerke nach oben zum Kreißsaal, wo Fabian erneut einige kurze Worte mit den Hebammen wechselte. Inzwischen forderte eine kleine Hebammenschülerin Eileen freundlich auf, von der Trage in ein bereit gestelltes Bett zu klettern, das sie sofort in ein helles, von warmem Licht erfüllten Zimmerchen schob, um Eileen am CTG anzuschließen. Immer wieder wurde diese von heftigeren Wehen ergriffen.
    Einen Moment vergaß sie völlig, wo sie war und was los war. Doch als die Wehe wieder nachließ, sah sie sich hilfesuchend nach Fabian um.


    Dieser trat gerade ins Zimmer, kam an ihr Bett, warf einen Blick auf den Wehenschreiber und sagte dann: „Deinem Kind geht es gut, Eileen, keine Angst. Die Herztöne sind einwandfrei. Es kommt auch gleich Frau Heinichsen zum Untersuchen. Du hast Glück, sie hat ausgerechnet heute Nachtdienst.“
    Eileen atmete auf, es würde ihr gut tun, mit einer vertrauten Person zu tun zu haben.
    „Kann ich irgendetwas für dich tun?“, fragte Fabian. Sie schüttelte den Kopf und griff nach seiner Hand. „Nur bei mir bleiben“, hauchte sie. „Wenn es für dich in Ordnung ist.“
    Er sah sie liebevoll an und sein Blick schien in ihrem zu versinken.
    „Es gibt keinen Ort, wo ich lieber wäre.“
    Eileen wollte etwas erwidern, wurde jedoch durch die Macht der nächsten Wehe daran gehindert, die sie sich im Bett winden ließ.
    Als die Welle wieder verebbte, drehte sie sich zu Fabian um, zog ihn zu sich und sagte: „Ich muss dir etwas sagen, Fabian. Ich war nicht ehrlich zu dir.“
    Er sah sie fragend an.
    „Es war nicht alles in Ordnung, nicht die letzten Wochen. Ich musste liegen, weil ich frühzeitige Wehen hatte. Aber ich wollte dich damit nicht belasten.“



    Einen Augenblick fürchtete sie, er würde nun aufstehen und den Raum verlassen. Aber stattdessen lächelte er nur sanft. „Ich hab mir das schon gedacht“, sagte er leise und strich ihr beruhigend über die Stirn. „Aber ich wollte dich nicht drängen, etwas zu sagen. Darum hab ich mir auch so schwer getan, wirklich wegzufahren heute Nacht.“
    „Es tut mir so leid, dich angelogen zu haben. Diese ganze Situation ist so kompliziert gewesen“, schluchzte Eileen.
    „Bitte beruhige dich“, sagte Fabian sanft. „Das ist jetzt alles nicht wichtig. Jetzt ist nur wichtig, dass du dein Baby gesund und munter zur Welt bringst.“
    Sie lächelte ihn unter Tränen an. Seltsam, wie anders auf einmal alles geworden war. Alle ihre Zweifel der letzten Monate, ob es Fabian zu viel sein könnte, eine schwangere Frau und baldige Mutter an seiner Seite zu haben, waren mit einem mal wie weggewischt.
    Ja, selbst dass sie vorgehabt hatte, ganz besonders unabhängig von ihm zu bleiben, schien ihr plötzlich völlig lächerlich. Sie brauchte ihn – und das war keine Schande!
    Die Tür öffnete sich und Frau Heinichsen trat ein. Sie lächelte Eileen aufmunternd an.



    „Nun, Frau Viersen, ganz so schnell hatte ich Sie hier ja nicht antreffen wollen, aber wir werden das Kind schon schaukeln.“ Sie drückte ihre Hand und nickte Fabian lächelnd zu.
    „Wir machen jetzt nochmal einen Ultraschall und schauen, wie weit der Muttermund offen ist, dann können wir Sie vom CTG nehmen und schauen wir mal, wie wir die Wehen für Sie erträglicher machen, ja?“
    Eileen nickte und schnaubte erneut unter der nächsten Wehe.
    „Abstand?“ Diese Frage war an Fabian gerichtet.
    „Ich würde sagen, weniger als vier Minuten“, erklärte dieser und sah seine Kollegin fragend an.
    „Vollkommen ok“, sagte diese beruhigend. „Das kann noch eine ganze Weile dauern. Beim ersten Kind geht es ja meistens leider nicht so schnell, aber Sie schaffen das schon.“ Noch einmal tätschelte sie Eileens Hand und verließ dann wieder den Raum. Eine Hebamme kam, stellte sich Eileen vor und fuhr ihr Bett dann zum Ultraschall.
    Einige Minuten später saßen sie und Fabian wieder in ihrem Zimmer und Frau Heinichsen erklärte ihr zufrieden, dass das Baby ein gutes Startgewicht hätte, so dass man nichts zu befürchten haben sollte. „Außerdem hat es sich tatsächlich noch gedreht“, verkündete sie freudig. „Einer normalen Geburt steht also nichts im Wege.“ Der Muttermund sei auch schon einige Zentimeter geöffnet, es würde aber vermutlich noch einige Stunden brauchen, bevor das Baby da sei.



    Als die Ärztin den Raum wieder verlassen hatte, beugte Fabian sich zu Eileen, die sich eingerollt seitlich aufs Bett gelegt hatte, da diese Position ihr am erträglichsten von allen vorkam.
    „Sollen wir jemanden anrufen? Deine Mutter? Marcel?“
    Eileen schnaubte tief unter der nächsten Wehe aus und schüttelte dann den Kopf.
    „Nein, meine Mutter müssen wir jetzt nicht aus dem Schlaf klingeln. Aber Marcel sollte ich wohl anrufen.“
    „Ich mach das. Du musst dich jetzt auf deine Wehen konzentrieren.“
    Eileen verzog das Gesicht. „Das wird ihn nicht freuen.“
    „Das ist jetzt nicht wichtig“, sagte Fabian entschieden, griff sich Eileens Handy und wählte.
    „Mach ihm bitte klar, dass unsere Abmachung nach wie vor gilt. Ich will ihn nicht hier haben, so lange das Kind noch nicht geboren ist“, sagte Eileen schnell.
    Fabian nickte.
    Eileen bekam nicht viel von dem Gespräch mit, da sie mit der nächsten Wehe beschäftigt war. Als diese abklang, sah sie Fabian fragend an. „Alles gut“, beruhigte er sie. „Er wird vom Kreißsaal warten.“



    „Er war sicher stinkig, dass du bei mir bist.“
    „Wenn, dann hat er es nicht gezeigt“, erwiderte Fabian. „Er hat mich nur gefragt, wieso es so früh ist und inwiefern das gefährlich sein könnte. Ich habe ihn beruhigt. Soll ich dir etwas bringen? Etwas zu Essen, zu trinken?“
    Eileen schüttelte den Kopf. „Bleib einfach nur da.“ Fabian nickte, zog sich den Stuhl ans Bett heran und ergriff ihre Hand.
    Die Minuten und Stunden zogen wie im Nebel vorbei. Bald waren die Wehen so stark und einvernehmend, dass Eileen nicht mehr viel wahrnahm. Nur das Gefühl, geborgen und begleitet zu sein, umhüllte sie wie ein wärmender Mantel. Fabian schien immer genau dort zu sein, wo sie ihn gerade brauchte.
    Als draußen der Morgen zu dämmern begann, forderte die Hebamme sie auf, mit ihr in den Kreißsaal zu gehen, da das Baby nun nicht mehr lange auf sich warten lassen würde.
    Dann ging alles recht schnell und mit einer letzten heftigen Wehe ertönte der Schrei eines kleinen neuen Erdenbürgers.
    Weinend vor Erschöpfung und Freude sah Eileen Fabian an.
    Auch dieser hatte die Tränen in den Augen stehen und sagte: „Es ist wirklich ein Mädchen.“
    „Will der Papa die Nabelschnur durchschneiden?“, quäkte die Hebamme. Fabian und Eileen sahen sich an und mussten unwillkürlich lachen.
    „Du darfst das gerne machen – Papa“, kicherte Eileen.
    Mit routinierten Handgriffen erledigte Fabian die ungewohnte Aufgabe.
    In ein Handtuch gewickelt legte die Hebamme Eileen das Baby auf die Brust. Diese nahm nun nichts mehr wahr als die großen, tiefblauen Augen ihrer Tochter, die sie nach der langen Strapaze genauso erstaunt anstarrten wie sie zurück starren musste.
    Fabian flüsterte irgendwann: „Ich gehe jetzt Marcel Bescheid sagen“ und sie nickte nur beiläufig.
    Dann irgendwann war dieser an ihrer Seite. Verwundert stellte sie fest, dass Tränen über seine Wangen liefen. Sie fragte sich für einen Moment, ob sie ihn je hatte weinen sehen, wusste aber keine Antwort.



    Die Hebamme nahm ihr das Baby irgendwann kurz ab, um es zu wiegen, zu waschen und mit einer Windel zu versorgen, Marcel folgte ihr und half dabei.
    Währenddessen trat Fabian wieder vorsichtig an ihre Seite.
    „Möchtest du, dass ich gehe?“, fragte er leise und warf einen Blick zu Marcel, der mit der Hebamme ein Stück entfernt stand.
    „Nein“, sagte Eileen entschlossen und griff nach seinen beiden Händen. „Wenn du hierbleiben möchtest.“
    Er lächelte sie sanft an und küsste sie kurz auf die Wange. „Das fragst du mich jetzt nicht wirklich, oder?“
    Eileen lächelte ebenfalls. „Nein“, sagte sie leise. Sanft strich er ihr das feuchte Haar aus der Stirn. Sie griff nach seiner Hand und hielt sie an ihrer Wange fest.
    „Eigentlich möchte ich, dass du mich das niemals wieder fragst“, flüsterte sie leise und sah ihm fest in die Augen. Er erwiderte nichts und küsste sie statt einer Antwort sanft.
    Im nächsten Augenblick trat die Hebamme wieder an das Bett und reichte Eileen ihr in weiche Decken gewickelte Tochter. Marcel schniefte laut und deutlich, trat an Eileens andere Seite, griff ebenfalls nach ihrer Hand und sagte: „Das hast du einfach großartig gemacht.“
    Sie war selbst überrascht, dass sie den sanften Kuss, den er ihr auf die Wange drückte, zuließ, begriff aber im gleichen Moment, dass diese Geste nichts mehr mit der eines liebenden Paares zu tun hatte, sondern ein Ausdruck von Freundschaft und Dankbarkeit war.



    Dann vergaß sie die beiden Männer an ihrer Seite, als die Lippen ihrer Tochter suchend an ihrer Brust entlangstreiften. Sie sah das kleine Geschöpft an und versank in einem Rausch von nicht benennbaren Gefühlen, die sich nicht sortieren ließen. Eines jedoch stach so deutlich heraus, dass es schon fast weh zu tun schien. Es war das Gefühl von tiefem, dankbarem Glück.



    Fortsetzung folgt.

  • Hallo meine Lieben


    da mir die Sims auf allen PCs gecrasht sind und ich einfach nicht dazu komme, sie neu zu installieren, gibt es heute das letzte Kapitel ohne Fotos.


    Vielleicht hole ich es nochmal nach. Aber jetzt möchte ich einfach einen Strich unter das Thema ziehen. Immerhin begleiten wir Eileen, Fabian und alle anderen schon über 7 Jahre durch ihre Höhen und Tiefen. Es wird Zeit fürs Happy End :)


    Ich danke allen, die so fleißig dabei geblieben sind und freue mich zum Abschluss - trotz fehlender Bilder - auf Eure Meinungen und Gedanken.


    EUch allen einen schönen Advent.




    72.


    „Joenna, lass das los“, lachte Eileen und befreite die rote Weihnachtskugel vorsichtig aus den klebrigen Fingern ihrer Tochter. Diese sah sie breit grinsend an und lachte gurrend.
    „Zum Glück war sie nicht aus Glas“, stieß Eileen seufzend und kopfschüttelnd aus.
    Fabian streckte seinen Kopf nach vorne, es sah aus, als wäre er wie ein Eichhörnchen im Baum gefangen. „Ist was passiert?“, krächzte er.
    Eileen lachte. „Nein, unsere kleine Dame meinte nur, der Weihnachtsschmuck sei hervorragendes Spielzeug.“
    „Nun, wer soll es ihr verdenken, es funkelt und glänzt alles ja auch so schön“, grinste Fabian und schien aus dem Gestrüpp regelrecht heraus zu klettern.
    „Fertig“, verkündete er stolz und musterte den Baum kritisch. „Ich denke, so können wir ihn lassen.“
    Eileen beugte sich nach unten und nahm Joenna auf den Arm.
    „Was meinst du?“, fragte sie und sah das kleine Mädchen fragend an.
    „Sssöööön!“, jauchzte das Kind und klatschte in die Hände.
    Fabian und Eileen lachten.
    „Ich denke, ein besseres Qualitätsurteil hättest du nicht bekommen können“, stellte Eileen fest und warf einen Blick auf die Uhr. „Aber nun wird es höchste Zeit. Ich muss mich umziehen, dann muss ich Joenna fertig machen und dann ab in die Küche.“
    „Ich schau schon einmal nach dem Vogel“, bot Fabian sich an. „Und du, meine kleine Motte, darfst so lange ein bißchen mit deinem Hasen spielen. Und nachher kommt der Weihnachtsmann.“
    „Das Christkind“, verbesserte Eileen ihn und Fabian schnitt ihr eine Grimasse.
    „Wie gut, dass sie es noch nicht zu hundert Prozent versteht.“
    „Naja, das wird das letzte Mal sein, nächstes Weihnachten ist sie schon zweieinhalb.“
    Fabian zog Eileen in die Arme, während beide das Mädchen beobachteten, wie es vergnügt mit seinem Spielzeug hantierte.
    „Mein Baby ist so schnell groß geworden“, seufzte Eileen. „Im Herbst geht sie schon in den Kindergarten.“
    Fabian nickte und fuhr sich durchs Haar. „Himmel, mir kommt es vor, als sei es gestern gewesen, dass sie die Nächte zum Tag gemacht hat und nur von Milch leben konnte. Und jetzt läuft sie schon herum und stellt seit Monaten die Wohnung auf den Kopf.“
    „Immerhin eine gute Ausrede, dass wir es nach mehr als einem dreiviertel Jahr immer noch nicht geschafft haben, alle Umzugskartons auszuräumen“, stellte Eileen fest und schnitt eine Grimasse. „Nun muss ich aber ins Badezimmer. Und dann bist du dran, kleine Motte. Papa kommt schon in einer Stunde.“
    „Baba!!!“, quietsche Joenna vergnügt.
    „Ja, und Oma und Opa auch. Und zwar alle drei.“
    „Welches Kind kann schon von sich behaupten, drei Omas und drei Opas zu haben?“, lachte Eileen und eilte ins Badezimmer.
    Eine Stunde später stand die Türklingel eine ganze Weile nicht mehr still, und bald darauf war das Wohnzimmer von dem Gelächter vieler Stimmen gefüllt.
    Sie aßen zusammen, bescherten und Joenna wanderte quietschend von Schoß zu Schoß.
    Als es etwas ruhiger wurde und Eileens Mutter gemeinsam mit Fabians Mutter Weihnachtslieder anstimmte, setzte Fabian sich leise neben Eileen auf die Couch. Diese lächelte ihn sanft an und küsste ihn und während er sie fest in seine Arme zog, schweifte ihr Blick durch das Zimmer, vorbei am festlichen geschmückten Baum, über die singenden Gesichter ihrer Eltern, Marcels Eltern und Fabians Eltern, die vor wenigen Tagen angekommen waren und bis Neujahr im Hotel in der Nähe wohnten, um Weihnachten mit ihnen zu verbringen.
    Ihr Blick blieb bei Marcel stehen, der Joenna auf seinem Schoß hin- und herwiegte und so verliebt auf seine Tochter schaute, als sei er im Paradies gelandet. Er hatte diesen Blick seit ihrer Geburt fast nie verloren. Eileen konnte sich nicht erinnern, ihn in all den Jahren ihrer Ehe jemals so glücklich gesehen zu haben.
    Sie spürte Fabians Lippen auf ihrer Schläfe und drückte sanft seine Hand, während sie sich an jenen Tag im Kreißsaal zurück erinnerte, als ihr mit einem Schlag klar geworden war, dass sie in ihm ihre Liebe und ihr Zuhause gefunden hatte.
    Für Marcel hatte sie anders empfunden. Ihn hatte sie stürmisch-verliebt geliebt, all die Jahre, selbst als der Alltag ihre Ehe zunehmend einnahm.
    Bei Fabian war es von Anfang an anders gewesen. Sie hätten sich in keiner denkbar schlechteren Situation kennenlernen können – und doch war ihre Liebe immer stark genug gewesen.


    Sie schüttelte den Kopf, als sie an die letzten Wochen vor Joennas Geburt dachte. Wie sie Fabian krampfhaft aus ihrem Leben auszuschließen versucht hatte.
    Heute wusste sie, dass es einfach nur Angst gewesen war – vor erneuter Verletzung, davor, sich erneut zu verlieren in einer Beziehung – was nie der Fall gewesen war, da Fabian und sie eine ganz andere Form der Beziehung führten, als sie es jemals mit Marcel getan hatte.
    Doch als Joenna sich so urplötzlich und etwas zu früh auf den Weg gemacht hatte, war ihr klar geworden, wohin ihr Herz gehörte.
    Einfach war es nicht immer gewesen. Nach der Geburt war sie zurück in ihre ungemütliche Wohnung gekehrt – Fabian hatte sich die ersten Tage frei genommen, musste dann aber zurück in seine Wohnung und zu seiner Arbeit.
    Sie war die ersten Wochen mehr als einmal an die Grenzen ihrer Belastungsfähigkeit gestoßen. So wunderschön diese ersten Wochen gewesen waren, so furchtbar anstrengend hatte sie diese dennoch in Erinnerung.
    Es hatte einige böse Worte zwischen ihr und Fabian gegeben, aber auch zwischen ihr und Marcel.
    Anfangs hatte er nicht verstehen wollen, dass sie und Joenna erst einmal Zeit brauchten, um einen eigenen Rhythmus zu finden. Er hatte sie mehrfach zum Abstillen gedrängt, um Joenna auch einmal mehrere Stunden am Stück oder sogar eine Nacht zu nehmen. Doch sie war standhaft geblieben.
    Nach einigen Monaten hatte sich alles eingespielt, und bald hatte Fabian Eileen vorsichtig gefragt, ob sie sich nicht vorstellen könnte, ihre Wohnung in Kürze aufzugeben und mit ihm gemeinsam ein Heim zu beziehen.
    Diesmal sagte sie nur allzu gerne „Ja“, denn sie hasste die kleine, ungemütliche Wohnung nach wie vor und als Joenna allmählich einen Schlafrhythmus entwickelt hatte, spielte es sich immer mehr ein, dass Fabian fast jede Nacht bei ihnen schlief, wenn er nicht gerade Dienst hatte.
    Für drei Personen war die Wohnung aber letztlich doch einfach zu klein.
    Im Frühjahr packte sie darum also erneut ihre Habseligkeiten in viele Kartons und zog gemeinsam mit Fabian in ein kleines Haus am Stadtrand.
    Seitdem hätte ihr Leben nicht glücklicher sein können. Seit Sommer ging sie wieder einige Stunden arbeiten. In dieser Zeit passte entweder ihre Mutter, ihre ehemalige Schwiegermutter oder auch einmal Fabian – je nach seiner Schicht – auf Joenna auf.
    Mit Marcel hatte sich auch alles eingespielt. Joenna verbrachte jedes zweite Wochenende bei ihm und auch viele Tage einfach einmal wie es anfiel. Die meisten Feiertage verbrachten sie alle gemeinsam. Marcel hatte seit Joennas Geburt zwei lose Beziehungen gehabt, die jedoch beide nicht lange gehalten hatten.
    Vermutlich war es für ihn schwer als frisch gebackener Vater. Einmal mehr war Eileen froh, Fabian bereits vor Joennas Geburt kennengelernt zu haben.
    An einem warmen Sommerabend vor einigen Monaten, als Fabian Nachtschicht hatte, war Marcel einmal vorbei gekommen, hatte den Grill angeworfen und Joenna dann ins Bett gebracht. Sie hatten auf der Terrasse gesessen und den Sonnenuntergang betrachtet, als er plötzlich sagte: „Ich wünschte, unser erstes Kind wäre auch bei uns.“
    Eileen hatte sich vor Schreck fast an ihrem alkoholfreien Bier verschluckt und musste erst einmal nachfragen: „Was sagtest du gerade?“
    Marcel hatte betreten in sein Glas geschaut und dann gesagt: „Ich weiß heute, ich hätte dich nicht so allein lassen dürfen mit allem, was geschehen war. Aber ich war selbst so traurig. Ich dachte, wenn ich nun auch noch einbreche, geht es dir erst recht schlechter. Ich… konnte einfach nicht damit umgehen. Vielleicht, wenn es ganz zu Beginn geschehen wäre. Aber unser Leben war schon so klar auf Elternsein ausgerichtet zu diesem Zeitpunkt.“ Er hatte geseufzt und mit den Achseln gezuckt. „Du weißt, wie ich bin. Wenn ich einen Plan schmiede, lasse ich normalerweise nicht zu, dass mir etwas dazwischen funkt. Das hatte bisher fast immer geklappt. Aber hier war ich hilflos. Als du mich angerufen hast, war schon alles entschieden und… ich wusste einfach nicht, wie ich mich verhalten soll. Nach ein paar Tagen habe ich mir gedacht, es wäre das Beste für uns alle, einfach möglichst schnell alles zu vergessen. Aber ich hab es selbst nicht gekonnt, und doch verlangt, dass du genauso wie ich so tust, als wäre es vergessen. Das tut mir leid.“
    Eileen hatte eine Weile gebraucht, um diese Ankündigung zu verdauen. „Mir tut es auch leid“, hatte sie dann gesagt. „Vielleicht hätte ich anders handeln sollen damals bei der Ärztin.“


    „Du hast eben geglaubt, was man dir gesagt hat. Das war schon okay. Weißt du, irgendwann hatte ich fast Angst, nach Haus zu kommen. Es tat mir
    weh, dich immer wieder so fertig zu sehen. Du hast so oft geweint, und gedacht, ich merke es nicht. Immer wenn ich dich so antraf, fühlte ich mich verzweifelt, wütend… alles kam wieder hoch… dafür habe ich dich irgendwann nicht mehr ausstehen können. Es war, als würdest du immer wieder alles hochwühlen, was ich den ganzen Tag mühsam vergraben hatte. Und dann war da Bettina. Es war das Ostergrillfest, ich hatte etwas zu viel getrunken. Mit ihr fühlte sich alles so leicht und gut an“. Er hatte verächtlich gelacht. „Als wär ich wieder zwanzig, und weit weg von der Realität des Lebens und vor allem der Tatsache, dass ich eben nicht alles im Griff hatte. Ich dachte wirklich, ich würde sie lieben, aber in Wahrheit habe ich nur diese Welt geliebt, die sie mir wieder geöffnet hat.“ Er hatte sie traurig angesehen. „Und als ich das begriffen habe, warst du mir schon lang entglitten. Wer hätte es dir verübeln sollen.“
    Eileen konnte es nicht mehr richtig beschreiben, aber in diesem Abend war es, als wäre endgültig Frieden zwischen ihnen eingekehrt. Natürlich gab es immer noch einmal wieder Zoff, Meinungsverschiedenheiten, aber im Großen und Ganzen kamen sie ganz gut klar.
    „Woran denkst du?“, flüsterte Fabian ihr zu, während die Mütter-Brigade zu „O du fröhliche“ überging und ihr Vater die Frauen mit seinem sonoren, aber leider sehr schiefen Gesang übertönte und fast zum Wahnsinn trieb, während Joenna kichernd an Marcels Bart zog.
    „Ich denke daran, wie glücklich ich bin, euch alle zu haben.“ Sie drehte sich zu ihm um. „Ich hätte vor zwei Jahren niemals geglaubt, dass alles sich so zum Guten entwickeln könnte.“
    Fabian lächelte. „Soll ich dir was gestehen?“, flüsterte er. „Ich auch nicht. Aber ich hielt es für grundlegend möglich, und was soll ich sagen – ich hatte mal wieder recht.“
    Er zwinkerte sie an und sie boxte ihn sanft in die Seite, während sie ihren Blick wieder zum Baum richteten.
    „Ist da noch etwas?“, fragte Fabian leise.
    Eileen lächelte versonnen.
    „Wer weiß.“ Sie sah ihn lange an. „Wer weiß schon, was das lange Jahr bringen wird.“
    „Was meinst du damit?“
    Sie zuckte mit den Achseln.
    „Ich meine ja nur. Vielleicht schauen nächstes Jahr ja zwei Kinder zu dem funkelnden Baum auf.“
    Fabian riss die Augen auf. „Was willst du mir damit sagen?“
    Eileen lachte leise auf. „Nun ja, wie du selbst schon sagtest: grundlegend ist alles möglich, nicht wahr? Und letztlich behalte damit wohl ich recht.“
    Und versonnen lächelnd legte sie den Finger auf seine Lippen, küsste ihn und streckte dann die Arme aus, um ihre lachende Tochter durch die Luft zu wirbeln.


    ENDE