
Die düstere Stille der von ewiger Dunkelheit eingehüllten Eisfestung des Herrn der Finsternis wurde auf einmal von einem tief aus dem Erdinnern kommenden Grollen unterbrochen. Immer mehr verstärkte es sich, bis aus dem scheinbar in die Unendlichkeit hinabreichenden Brunnen ein heller Lichtschein brach, der das Wasser blutrot zu färben schien. Dies war für jeden von Variks unsichtbar wirkenden Dienern das Zeichen, dass ihr Herr aus den unterirdischen Feuersälen in sein kaltes Schloss zurückkehrte.
[FONT="]Zwei Gestalten wurden sichtbar, die sich langsam den Weg nach oben an die Oberfläche zu bahnen schienen.

[/FONT] „Ich bin sehr zufrieden mit dir!“ meinte Varik, als sie beide trockenen Fusses den schneebedeckten Boden betreten hatten und Celia sich nach ihm umdrehte. „Du lernst ausgesprochen schnell!“
[FONT="]Kein freudiges Aufblitzen ihrer Augen quittierte sein offenkundiges Lob, kein Lächeln stahl sich auf ihre Lippen, sie nickte nur kurz mit dem Kopf, bevor sie sich wieder abwandte. Aber Varik störte sich nicht daran. Im Gegenteil, er meinte, was er sagte, er war mehr als nur zufrieden mit dem Ergebnis ihrer heutigen Lehrstunde. Zum ersten Mal hatte er sie mit hinunter genommen in die Tiefen der Erde, dort, wo er die Katastrophen dieser Welt erschuf, Seuchen, Beben, Stürme. Dort unten, wo sich die riesigen Feuerschlünde ins Innere der Erde öffneten, dort hatte er sie lehren wollen, ihre dunkle Macht zu gebrauchen und dabei festgestellt, dass sie kaum mehr einer Unterweisung bedurfte. Mit fast schlafwandlerischer Sicherheit hatte sie auf seinen Wunsch hin die Erde erbeben lassen, in einer Kraft und Stärke, die selbst ihn zunächst überrascht hatte.

[/FONT] Diese Kraft dann in die richtige Richtung zu lenken war eine Kleinigkeit für ihn gewesen. Sie hatte ihn nicht einmal gefragt, wo das Erdbeben denn nun stattfinden würde. Ihre Konzentration war einzig und allein auf die Aufgabe gerichtet, die er ihr gestellt hatte. Der Kristallsaal hatte seine Wirkung diesmal also nicht verfehlt und seine Geduld wurde belohnt. Ihre Erinnerungen und die damit verbundene Traurigkeit, die er anfangs so gefürchtet hatte, schwanden mit jeder neuen Ruhephase immer mehr dahin, einzig ihre Wut blieb noch zurück und vergiftete ihr Herz, ganz so wie er es wünschte. Ihrer Transformation stand damit nichts mehr im Wege. Nur noch ein wenig mehr Zeit, und sie wäre soweit. Wie hätte er da nicht zufrieden sein sollen!
[FONT="]Und dennoch, während er nun neben ihr her ging, fühlte er sich weit weniger befriedigt als er es im Grunde sein sollte.

[/FONT] Irgendwo in seinem Innern nagte ein unbequemer Gedanke an ihm, der Gedanke an die Einsamkeit der Äonen, die vor ihm lag, wenn es ihm diesmal gelang, das Herrscheramt zu erlangen. Keyla hatte nicht jeglichen eigenen Willen oder alle Gefühle verloren, nachdem sie die Transformation durchlaufen hatte, ihre bedingungslose Liebe war ihm erhalten geblieben und er hätte sie auch als Herrscher an seiner Seite gehabt. Doch ihre Enkelin war im Begriff nichts anderes zu werden, als die empfindungslose Marhala, eine Marionette in seinen Händen, ein Werkzeug, aber doch nicht mehr. Niemals würde sie ihm eine Gefährtin sein, so wie Keyla es gewesen war. Doch er konnte das Risiko einfach nicht eingehen, denn die neue Herrin der Schwarzen Seen, die er im Begriff stand zu erschaffen, würde weitaus mächtiger sein als ihre Vorgängerin, durchaus in der Lage, ihn nur aus einer Laune heraus mit einem einzigen Wimpernschlag zu vernichten, ebenso wie den Rest der Welt.
[FONT="]„Du solltest dich jetzt noch etwas ausruhen!“ meinte er. „Ich will nicht, dass du dich überanstrengst.“ Wieder nickte sie nur und begab sich ohne erkennbares Zögern zu ihrem Ruhelager.
[/FONT][FONT="]Zur gleichen Zeit im Garten von Blandfort Manor:

[/FONT] „Guten Abend, Vater!“ sagte Keyla ohne eine Spur von Überraschung in der Stimme, als sie sich umwandte und dem Herrn des Lebens, der so plötzlich hinter ihr aufgetaucht war, gegenüberstand. „Wir haben uns lange nicht gesehen.“
„Zu lange!“ stimmte Zardon ihr zu und legte die Hand auf das Torgitter. „Darf ich?“ fragte er. Keyla hob die Augenbraue, nickte aber langsam. Seine Bitte war ohnehin nur ein, wenn auch ungewohnter Akt der Höflichkeit.
[FONT="]Abwartend blieb sie vor dem schweren Steinkreuz stehen, unter dessen Sockel man dereinst ihren Sarg begraben hatte, als ihr menschlicher Körper dahingeschieden war. Schweigend musterte sie den Mann, der sich einst im Zorn von ihr getrennt und geschworen hatte, sie nie wiedersehen zu wollen.

[/FONT] „Und nun bist du doch gekommen!“ konstatierte sie, während sie die Erinnerung an ihr letztes Treffen heraufbeschwor. „Ich weiß auch, weshalb....,“
„Ranyia war also bereits bei dir?“ unterbrach er sie.
„Ja, das war sie. Und wir sind uns beide einig, Vater. Ich werde ihn dir nicht überlassen.“
Eigentlich hatte sie erwartet, dass er wütend werden würde, wie schon beim letzten Mal, doch statt dessen sagte er mit einem gütigen Lächeln, das sie beinahe veranlasst hätte, seine Hand zu ergreifen. „Du bist voreilig wie immer. Ihr beide seid es! Vielleicht hörst du dir doch erst an, was ich zu sagen habe. Immerhin geht es hier um das Wohl beider Welten und nicht um eine Familienstreitigkeit!“
„Doch Vater, genau darum geht es. Um nichts anderes! Und das schon seit ich mich damals geweigert habe, Henry zu verlassen.“
[FONT="]„Fang nicht wieder davon an!“ verlangte er energisch. „Ich will über diesen...Menschen...nicht mehr reden!“ Beinahe schien es so, als hätte der mächtige Elo-i schon Schwierigkeiten, allein das Wort Mensch auszusprechen. Keyla schüttelte den Kopf und wandte sich ab.

[/FONT] „Er war mein Ehemann und der Vater meiner Kinder, deiner Enkelkinder!“ erinnerte sie ihn leise, voller Trauer.
„Er war ein Mensch!“ widersprach Zardon dennoch heftig. „Du hättest ihn gar nicht heiraten dürfen.“
„Und warum nicht? Nach Melynnes Willen sollte ich für immer in ihrer Welt leben, hätte ich vielleicht für den Rest meines Lebens allein bleiben sollen?“
„Nein, du hättest mir nur vertrauen und etwas Geduld haben müssen, dann wäre nichts von dem geschehen, was jetzt die Welt auseinanderreißt. Stattdessen hast du dich an einen Menschen verschwendet und das Unverzeihlichste getan, das ein Elo-i tun kann.“
„Ja, aber du hast mich dazu gezwungen.“
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