Callous

Heute war sie mein erstes Opfer. Ich lockte sie an, wie ich alle anlockte.
Sie war noch so jung, doch ich scherte mich nicht darum.
Warum auch?
Das Mädchen war DJ in der Disco, die ich immer besuchte. Aber erst seit heute.
Niemand würde sich wundern, wenn sie nicht mehr auftauchen würde.
Und wer wunderte sich schon darüber, dass jemand in einer vollen Disco ermordet wurde?

Sie hatte leuchtend grüne Augen. Das gefiel mir. Ich sah oft dabei zu, wie das Licht in den Augen erstarb. Nicht, weil mir das besonders gefiel.
Sondern weil es zuerst abstoßend war – eines der einzigen Dinge, die ich abstoßend fand. Und wenn sie tot war spiegelte sich etwas in ihren Augen wieder.
Etwas, was ich nicht kannte.
Oft etwas Unbekanntes. Ein Traum, ein Gefühl…
Vielleicht der letzte Gedanke, der langsam aus den Augen schwindet?
Sie war leichtsinnig. Sie ließ sich einlullen, mit Komplimenten, mit freundlichen Sprüchen.
Und auch bei ihr konnte ich zusehen, wie der Ausdruck der Angst aus den Augen wich.
Sie war mutig. Sie hat versucht mich abzuschütteln, sie versuchte zu entkommen.
Aber ich war schneller.


Stumm lag sie vor mir. Ihre Augen standen weit offen, das grün war aus ihnen gewichen. Nun waren sie schwarz. In dem Schwarz spiegelte sich etwas wieder.
Etwas schönes, etwas, was man nicht beschreiben kann.
Schon jetzt erzürnt es mich wieder, dass ich, ICH etwas schön finde. Nichts auf der Welt ist schön, bis auf die Erkenntnis, das ich stärker, dass ich schöner und mächtiger bin, als alle andere.
Die anderen sind mir hilflos ausgeliefert.

Mit lautlosen Schritten entferne ich mich wieder von der Toten. Es ist ja nicht so, dass ich nur töte, um den abgestumpften Blick, um die sehnlichsten Träume, die schrecklichsten Ängste in den Augen zu sehen. Dennoch, man darf auch nicht behaupten, dass diese letzte Regung nicht den Mord wert war.
Schweigend trete ich wieder in die gefüllte Disco ein. Ein anderes Mädchen steht nun an dem Mischpult und lässt die Musik ablaufen.
Die Musik wummert, die Menschen sind teilweise besoffen, knutschen, tanzen oder hocken irgendwo herum. Sie sprechen, nein, sie brüllen sich an. Der Krach schmerzt in meinen Ohren.

Es wummert weiter. Ich stehe da und schaue in die Menge. Nein, so spät kann man kaum jemanden finden, der noch rein ist.
Stumm wende ich mich ab.
In drei Stunden wird sich die Sonne am Horizont zeigen.
Schweigend trete ich vor die Tür der Disko und werfe diese zu. Dennoch höre ich die hirnlose Wummer-Musik.
Ich versuche sie zu ignorieren, aber ich weiß, dass ich jetzt hier weg muss.
Ich beeile mich von diesem Lauten – hellen Ort zu entfernen.
Nicht das Licht ist mein zu Hause, sondern die ewige Dunkelheit. Ohne sie würde ich nicht existieren.

Noch lange streife ich durch die Nacht. Wäre mir das ewige Leben nicht geschenkt, so hätte ich wohl ein Ziel. Aber meine Ziele gingen verloren. Verloren, als mein Leben verloren ging.
Anfangs war es ein Abenteuer.
Nun ist es fast eine Qual.

Plötzlich halte ich in meiner Bewegung inne. Es tagt. Ich kann es spüren, an der schrecklichen Wärme, die die aufsteigende Sonne mit sich bringt. Die Menschen können sie nicht spüren, doch ich weiß sofort, wann die ersten Wärmestrahlen, wann die ersten Sonnenstrahlen durch die Dunkelheit brechen.

Wie ein weißer Engel wende ich mich ab. Ich muss zurück, bis die Sonne sich am Horizont zeigt. Der Weg ist wesentlich weiter, als ich ihn in Erinnerung hatte, doch in meinem Körper macht sich noch keine Panik breit. Die Wärme der Sonne ist noch weit entfernt. Dennoch bewege ich mich schneller, als ich es gewohnt bin, jedoch ohne zu rennen. Meistens halte ich mich bis zum Sonnenaufgang in oder in der Nähe der Disko auf. Heute war es nicht so. Ich musste mir wohl eingestehen, dass auch ich Schwächen hatte. Obwohl das fast unmöglich war.

Kein Wesen wie ich hatte Schwächen.
Kein Wesen wie ich hatte Gefühle.
Wir lebten, während wir andere töteten. So war es. Und nicht anders.
Meine Schritte verlangsamen sich, als ich das bekannte Wummern der Disko höre. Ich wusste, dass dies nichts bedeutet. Die Disko ist wohl noch Kilometer entfernt. Damit muss ich rechnen, wo mein Gehör doch bis aufs Äußerste geschärft ist.

Meine Berechnungen trügten mich nicht. Erst viele Kilometer später erreiche ich die Disko. Darin sind nur noch wenige Menschen – Kein Wunder. Bei der frühen Stunde.
Plötzlich öffnet sich die Tür der Disko. Ein Mann tritt heraus und schließt sorgfältig hinter sich die Tür. Er sieht sich um, doch bemerkt meine Gestalt nicht. Zu meiner Verwunderung scheint er bei vollem Bewusstsein zu sein. Kein Tropfen Alkohol hatte diesen Abend seinen Kopf vernebelt, keine einzige Droge.

Fast erschrocken blicke ich ihm nach. Was ist das denn für ein Typ? Er geht in die Disko und trinkt keinen Schluck? Außerdem… Vorhin war er mir doch schon aufgefallen? Als ich kurz die Disko betrat, starrte er mich die ganze Zeit an…
Doch meine Gedanken an den merkwürdigen Typen werden abrupt unterbrochen. Die Wärme kriecht an meinem Körper hinauf und lässt mich erschaudern. Ich wende mich dem Horizont zu. Die Sonne ist noch nicht erschienen. Nein. Das kann nicht sein. So warm kann es nicht werden, solange die Sonne noch nicht erschienen ist.
Ich mache mich auf den Weg. Es ist nicht mehr weit… Auf jeden Fall für mich nicht.
Der Friedhof liegt vor mir. Mein zu Hause. Fast, auf jeden Fall.
Meine Sinne entschärfen sich leicht. Es wird Tag.

Meine Schritte hallen wider auf dem steinernen Boden, die Geräusche werden von den Steinwänden zurückgeworfen. Ich befinde mich in dem steinernen Gang. Er führt direkt zu meinem Heim. Der Schatten tut gut. Er spendet noch die wenige Kälte, die mir am Tage versagt bleibt.

Auf dem düsteren Sockel am Ende des Ganges steht eine weiße, steinerne Dame. Ihre Augen sind geöffnet und sie scheinen mich direkt anzuschauen. Still trete ich näher. Wie selbstverständlich steige ich ebenfalls auf den Sockel und nehme die selbe Haltung ein, wie die Statue. Ich spüre die Kälte des Steines, der langsam mit mir verschmilzt. Es ist, als wäre alles egal, wenn ich zu Stein werde. Egal, ob sich die Erde weiterdreht, oder einfach abstürzt in dem unendlichen Universum. Meine gerade noch so beweglichen Finger versteinern sich. Bewegung wird unmöglich. Dann schließe ich die Augen und lasse mich in die Unendlichkeit fallen. Es gibt nichts auf dieser Welt, für die es sich lohnt zu leben.
Für nichts, als die Hoffnung.
Und ich besitze keine Hoffnung… Nur unendliches Leben und Macht über das Leben anderer…
Und in dem Moment, als ich meine Augen schließe, versteinert mein gesamter Körper, verschmilzt mit der Statue und verwandelt das strahlende Weiß in ein trostloses schwarz.
Die Augen der Statue sind geschlossen.
Sie schläft. Schläft den Schlaf der Toten. Und weiß gleichzeitig, dass sie wieder erwachen wird.

To be continued