In ihrer Hilflosigkeit fiel ihr nichts anderes ein, als die Handynummer von Eileens Eltern zu wählen. Erst als sie mit deren Mutter sprach, erfuhr sie, dass beide zurzeit auf Lanzarote waren – aber nun war es zu spät, sie waren informiert und nichts und niemand hielt sie davon ab, sofort in den nächsten Flieger zu steigen.
Marlene seufzte und warf Eileen erneut einen Blick zu.
Sie spürte, dass sie sich ein wenig überfordert mit allem fühlte, was in den letzten Wochen und Monaten geschehen war. Sie konnte nicht recht nachvollziehen, wieso Eileen so sehr um ihre missglückte Schwangerschaft trauerte – aber sie hatte so etwas ja auch noch nie selbst erlebt. Noch weniger verstand sie, was da genau zwischen ihr und Marcel passiert sein mochte.
Seit letztem Wochenende hatte Marlene manchesmal das Gefühl, ein wenig verrückt geworden zu sein, so sehr hatte sich auch ihr Weltbild verschoben. Das perfekte Paar, das Eileen und Marcel für sie gewesen waren, hatte sich als Trugschluss heraus gestellt. Ihr Verstand sagte ihr, dass Eileen sich Marcel gegenüber anders verhalten sollte, ihr Herz begriff aber dennoch, dass dem nicht so einfach war.
Sie konnte sich nach wie vor nicht erklären, wie sie sich in diesem Menschen so sehr geirrt zu haben schien, dass er derart eiskalt geworden war, derart unbesonnen und hart seine Linie durchzog.
Dass Liebe verging und verwelkte, war nichts neues – es geschah jeden Tag aufs neue, das wusste auch Marlene gut. Aber dies war nicht eine lockere Beziehung über einige Monate, sondern eine feste Gemeinschaft gewesen. Neben der emotionalen und menschlichen Verpflichtung gab es tatsächlich auch rein gesetzliche, über die Marcel sich einfach nicht klar zu sein schien.
Eileen derweil schien in eine tiefe Depression verfallen zu sein und dies zurzeit zu ignorieren. Marlene trommelte nervös mit den Fingern auf ihrem Schreibblock herum. Was konnte man tun, um ihr zu helfen? War sie dazu überhaupt in der Lage? Vielleicht würde Eileen ein Psychologe oder Berater besser helfen können. Auch in Hinblick auf all die rechtlichen Schritte, die jetzt zu tun waren.
So wie Marlene das sah, gab es für Eileen und Marcel kein Zurück mehr. Seit sie Marcel am Wochenende selbst begegnet war, bestand für Marlene kein Zweifel mehr daran.
Sicherlich würde er bald eine Scheidung vorschlagen. Es war unbedingt erforderlich, dass Eileen sich der Tatsache stellte, dass ihr Mann sie endgültig für eine andere verlassen hatte und dass sie sich einen Rechtsbeistand suchte, bevor Marcel am Ende völlig ausflippen und ihr das Haus, die Autos und ihr Eigentum strittig zu machen begann.
Inzwischen hielt Marlene alles für möglich. Seufzend hackte sie auf den Tasten herum, ohne wirklich zu realisieren, was genau sie arbeitete.
Wie sollte sie Eileen dazu bringen, sich dieser Tatsache zu stellen? Sie konnte ihr Gegenüber überhaupt nicht einschätzen.
Dann war da ja auch immer noch Eileens Zusammenbruch, den Marlene nach wie vor nicht so leicht abtun konnte wie Eileen selbst.
Natürlich ging einem all das an die Nerven und konnte einen schwach machen, aber wer kippte schon so mir nichts-dir nichts am helllichten Tage einfach um und schlief dann wie ein Toter fast zwei Tage lang?
„Eileen, ich…“, begann sie nach einigen weiteren Minuten des Grübelns. „Ich… ich weiß gerade nicht, wie ich dir helfen kann, Süße… ich… ich weiß nicht genau, was du brauchst und wo du stehst und…“
Eileen sah auf und wirkte mit einemmal sehr müde.
„Ach, Lene“, seufzte sie. „Glaub mir – ich wünschte, ich könnte es dir sagen. Aber ich kann es nicht.“
Sie starrte auf ihren Bildschirm und stand dann abrupt auf.
„Ich… ich fühl mich wohl doch nicht ganz so gut“, murmelte sie,und lächelte Marlene müde an. „Ich… ruf dich an, ja? Entschuldigst du mich beim Chef? Ich… versuche morgen wieder zu kommen und länger durchzuhalten.“
Marlene schluckte und nickte unbeholfen. „Klar… geh nach Hause und ruh dich ein wenig aus…“
Eileen nickte. schlüpfte in ihre Jacke und ließ wortlos die Tür hinter sich ins Schloss fallen.
Fortsetzung folgt.