• Die heutige FS ist ziemlich lang, aber ich wollte sie einfach nicht auseinander reißen!!! Ich hoffe, ihr haltet alle durch mit dem Lesen! ;)



    18.

    Es war bereits dunkel, als Eileen nach Hause kam und ihren kleinen Wagen vor dem Haus parkte. Sie stieg aus und fuhr sich müde über die Stirn. Im Büro hatte sich durch ihre lange Abwesenheit viel Arbeit angehäuft und sie fühlte sich von den Aktenbergen, die sich immer noch auf ihrem Schreibtisch türmten, wirklich überfordert. Normalerweise hatte sie keine Probleme mit reichlich Arbeit, aber über den ganzen Tag hatte sie gemerkt, wie überaus anstrengend es war, sich zu konzentrieren und nicht ablenken zu lassen.



    Manche Dinge hatte sie vier- oder fünfmal neu beginnen müssen, da sie durcheinander gekommen war.
    Dazu war sie so schlapp und müde wie selten zuvor in ihrem Leben. Irgendwann gegen Nachmittag hatte es eine Phase gegeben, wo sie all ihre Kraft dafür hatte aufwenden müssen, nicht vornüber auf die Schreibtischplatte zu kippen und einzuschlafen.
    Dazu war ihr den ganzen Tag schon übel und ihr Magen krampfte – was aber kein Wunder angesichts der Tatsache war, dass sie mal wieder fast nichts zu sich genommen hatte.
    Die frische Luft tat ihr wohl und sie atmete tief ein.
    Ihr Magen gab ein wütendes Knurrgeräusch von sich.
    Ein Blick auf die Uhr verriet ihr jedoch, dass sie keine Zeit mehr hatte, um sich zu stärken – es war bereits kurz vor sechs und Marcel würde jeden Moment eintreffen.
    Sie schloss das Auto ab und ging über den knirschenden Kies zur Haustür. Seufzend realisierte sie, dass es dringend Zeit war, die Blätter der Bäume zu entfernen. Eigentlich hatte das meist Marcel übernommen.


    Einen Moment dachte sie daran, dass sie ihn ja trotzdem darum bitten könnte. Schließlich war das auch immer noch sein Haus – wieso sollte sie nun alle Pflichten alleine übernehmen müssen?
    Aber dann schob sie den Gedanken beiseite. Es gab wohl wirklich wichtigeres zu besprechen als das welke Laub auf dem Boden.
    Sie öffnete die Haustüre, schälte sich aus ihrem Mantel und widerstand nur mühsam dem Wunsch, sich wenigsten für ein oder zwei Minuten auf der Couch auszustrecken.



    Zielstrebig nahm sie sich stattdessen ihr Notizbuch und setzte sich vorsorglich im Schneidersitz auf den Boden – sie wollte auf keinen Fall in die Versuchung geraten, doch noch einzudösen. Und auf der Couch wäre dies vermutlich passiert, bevor sie auch nur darüber hätte nachdenken können.
    Rasch schrieb sie stichpunktartig auf, welche Dinge heute Abend dringend geklärt werden mussten.
    Nach einigen Minuten war sie fertig und ging ihre Liste noch einmal durch. Dann stand sie auf und warf noch einmal einen Blick in den Kühlschrank, denn der Hunger ließ ihren Magen noch immer knurren. Während sie erneut feststellte, dass sich nichts Anziehendes darin befand, schweiften ihre Gedanken zurück zu den Notizen, die sie sich eben gemacht hatte.



    Eigentlich hätte sie als obersten Punkt am liebsten dick und fett eingetragen: „Warum?!“ und „Was ist nur geschehen?“.
    Wenn sie es sich recht überlegte, begriff sie das immer noch nicht. Und wie sollte sie mit allem fertig werden, wenn sie überhaupt nicht wusste, was geschehen war. Wie und wo und unter welchen Umständen? Wie lange hatte Marcel sie schon zum Narren gehalten?
    Ihr schoss mit einemmal ein Gedanke durch den Kopf, der ihr den Magen zusammenschnürte: Was, wenn das ganze nicht erst ein paar Wochen nach dem Verlust ihres Kindes, sondern viel mehr sogar schon DAVOR begonnen hatte?
    Ihr wurde speiübel bei dem Gedanken, dass Marcel vielleicht schon mit dieser anderen im Bett gelegen hatte, während in ihrem Bauch das gemeinsame Kind heranwuchs.
    Was, wenn es wirklich so gewesen wäre? Sie malte sich aus, wie sie gefühlt hätte, wenn sie es währenddessen erfahren hätte. Sie konnte sich vorstellen, dass sie das Kind dann abgelehnt, vielleicht sogar gehasst hätte. Ein Kind von einem Mann, der zur selben Zeit mit einer anderen schläft.
    Auf der anderen Seite – hätte das Kind denn etwas dafür gekonnt? Nein.
    Verwirrt lehnte sich Eileen gegen den Kühlschrank und starrte auf die ordentlich über die Couch drapierte Decke im Wohnzimmer, während sie versuchte, ihre Gedanken wieder zu bündeln.



    Wichtiger als die Klärung der emotionalen Dinge waren erst einmal die ganz irdischen.
    Müde stieß sie sich vom Schrank ab und wanderte eine Weile ziellos durch die Küche, bis sie ihre schmerzenden Füße ins Wohnzimmer trieben, wo sie am Esstisch platz nahm. Sie dachte daran, wie hektisch sie noch vor wenigen Tagen durchs Haus gehastet war, als sie auf Marcel wartete. Wie sie alles aufgeräumt hatte, sich selbst herausgeputzt. Heute wollte sie nicht einmal einen Blick in den Spiegel werfen. Sie wusste, dass der lange Tag ihre Spuren an ihr hinterlassen hatte, aber es war ihr egal.
    Inzwischen schien sich ein Teil ihres Herzens verschlossen zu haben – nein, sie hielt es nicht mehr für denkbar, dass Marcel und sie noch einmal zueinander fänden.
    Für einen Augenblick blieb sie verblüfft stehen, als sie diesen Gedanken in seiner ganzen Aussagekraft begriff. Dann setzte sie ihren stillen Spaziergang durch das Wohnzimmer fort.
    Es stimmte. Sie konnte sich nicht mehr vorstellen, dass es noch eine Chance gäbe.
    Und wenn sie ehrlich zu sich war, so war sie sich auch alles andere als sicher, ob sie diese denn noch wollte.



    Ihre Augen weiteten sich, als sie Schritte auf der Vortreppe hörte. Gleich darauf klingelte es – wieder fuhr ihr durch den Kopf, wie albern das eigentlich war, wo dies doch immer noch Marcels Zuhause war.
    Im selben Moment dachte sie daran, dass sie es mehr als angebracht empfand, dass er nicht seinen Schlüssel benutzte und einfach hier eintrat, als könne er noch tun und lassen, was er wolle. Um sich zu versichern, warf sie einen raschen Blick aus dem Fenster und sah Marcel draußen stehen, während hinter ihm der Regen in Fäden vom Himmel rannte und auf dem Vordach ein trommelndes Geräusch machte.



    Sie ging raschen Schrittes zur Tür und öffnete.
    Eine halbe Minute später standen sie sich gegenüber, wortlos.
    „Hallo“, sagte Marcel schlicht und starrte auf seine Fußspitzen.
    „Hallo“, erwiderte Eileen ebenso nüchtern.



    „Wollen wir uns setzen?“ Eileen öffnete die Tür zum Wohnzimmer und deutete absichtlich auf die Ess-Ecke, da sie eine Unterhaltung auf der Couch nicht für angebracht angesichts der Situation hielt.
    Marcel schien ähnlich zu empfinden und nahm zielstrebig auf einem der Stühle Platz.
    Eileen wählte den Stuhl, der den größten Abstand zu ihm aufwies und nahm ebenfalls Platz. Für einen Moment saßen beide stillschweigend und starrten ins Leere.



    Eileen ging für einen Augenblick der Gedanke durch den Kopf, dass es vielleicht höflich wäre, Marcel etwas zu trinken anzubieten. Aber ihr stand der Sinn gerade nicht nach Höflichkeiten und sie war zu müde und schlapp, um sich dazu aufzuraffen, in die Küche zu gehen und Kaffee aufzusetzen.
    Für einen Moment verlor sie sich erneut in Vergangenem, dachte daran, wie sehr Marcel es geliebt hatte, wenn sie ihn im Urlaub oder am Wochenende mit dem Duft frischen Kaffees weckte. Er war ein Kaffee-Liebhaber, wie er im Buche stand.
    Als sie vor einigen Jahren eine zweiwöchige Reise durch Italien gemacht hatten, war Marcel danach in den Schilderungen der Reise oftmals mehr ins Schwärmen über die vielen köstlichen Espresso-Spezialitäten verfallen als in begeisterte Beschreibungen von Land und Leuten, dem Meer oder den idyllischen kleinen Städtchen, die sie besucht hatten.
    Eileens Herz wurde schwer, als sie an diese glücklichen Zeiten zurück dachte. Es kam ihr vor, als sie dies alles in einem anderen Leben geschehen. Das ganze fühlte sich wie ein seltsamer Traum an, den sie irgendwann einmal geträumt hatte – der aber nicht zur Realität zu gehören schien. Und doch waren die Erinnerungen intensiver und näher als je zuvor, fast so, als könne sie danach greifen und sich in jene Zeit zurück katapultieren.


    Wie zerbrechlich Glück doch war.
    Sie musterte Marcel, der immer noch stillschweigend da saß und seinen Blick durch das Zimmer schweifen ließ.
    War dies immer noch derselbe Mann wie jener, mit dem sie damals lachend und glücklich am Strand gelegen hatte?
    Was war es gewesen, dass ihn so verändert hatte? War es der Lauf der Zeit? War sie es gewesen? Oder er selbst?
    Eileen wusste es nicht und fragte sich, ob Marcel während seine Augen durch das Zimmer streiften und alles musterten, als sähe er es zum ersten Mal, wohl ebenfalls irgendwelchen Erinnerungen nach hing.
    Und wenn ja, ob diese wohl glücklich waren? Oder versuchte er sich alle schlechten Augenblicke ins Gedächtnis zu rufen, um es sich leichter zu machen? Um sein Verhalten und seine Entscheidungen zu rechtfertigen?
    Sie wusste es nicht. Mühsam unterdrückte sie einen Seufzer und hob den Kopf nach oben.
    „Marcel“, sagte sie dann mit möglichst fester Stimme. „Ich denke, wir haben einiges zu besprechen.“



    Marcel sah sie einen Augenblick lang fest an und für den Hauch einer Sekunde schien es wieder wie früher zu sein. Seine Augen und ihre Augen versanken ineinander und Eileen fühlte in sich eine Wärme aufsteigen, die sich wie Nach-Hause-Kommen anfühlte.
    Doch der Augenblick war schnell wieder vorbei. Marcel richtete den Blick wieder auf die gläserne Tischplatte und sagte mit nüchterner Stimme: „Du hast recht.“
    Eileen schluckte und hatte das Gefühl, auf etwas furchtbar bitteres gebissen zu haben.
    „Gut“, sagte sie dann, ohne sich etwas anmerken zu lassen. „Bevor wir irgendetwas Genaueres besprechen, würde ich gerne von dir hören, wie es deiner Meinung nach weitergehen soll?“
    Marcel blickte erneut auf und sagte dann langsam: „Eileen, ich habe dir doch schon gesagt, dass … ich… mit uns ist es…“
    „Das meine ich nicht“, erwiderte Eileen und sah ihn hart an. „Dass es mit uns beiden aus ist, brauchst du mir nicht sagen. Es ist aus – egal, was du sagen würdest.“
    Sie spürte ein Gefühl von Triumph in sich aufsteigen, als sich Marcels Augen auf ihre Aussage hin für einen Moment weiteten und er unbequem schluckten musste.



    „Vielmehr möchte ich wissen, wie du dir vorgestellt hast weiterzumachen, was unsere gemeinschaftlichen Verpflichtungen angeht. Ziehst du zu deiner… äh, wie hieß sie doch gleich… nun ja, ist ja auch nicht so wichtig… ich gehe mal davon aus, dass du bereits dort eine neue Bleibe gefunden hast“, sagte sie möglichst gelassen und genoss es dabei zu beobachten, wie Marcels Gesichtszüge immer länger wurden. „Von daher gehe ich davon aus, dass du möglichst rasch vollständig aus diesem Haus ausziehen kannst. Du hast jedoch noch recht viele Sachen hier und einiges gehört natürlich uns beiden. Wir haben also jede Menge Klärungsbedarf - oder sehe ich das falsch?“
    Marcel schluckte hart, fasste sich dann jedoch wieder und sagte: „Ja – ja, du hast natürlich recht.“
    Eileen nickte und lächelte dabei höflich. „Gut, dann sind wir uns wenigstens in diesem Punkt ja einig. Ich hätte gerne, dass du am Samstag zwischen neun und zwei Uhr mittags herkommst und deine Sachen holst. In dieser Zeit werde ich bei meinen Eltern zum Frühstück sein.“
    Sie sprach ruhig und so, als sei alles schon lange von ihr geplant – aber jetzt, wo sie zu sprechen angefangen hatte, schien alles von alleine zu laufen.
    „Wir werden außerdem eine Vereinbarung treffen müssen, welche Verbindlichkeiten du bezüglich der Hausraten noch übernehmen wirst.“



    „Ich… darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht“, stammelte Marcel.
    Eileen zog die Augenbrauen hoch. „Nun, dann solltest du das wohl tun“, erwiderte sie dann leichthin. „Natürlich werde ich den Großteil der Rate weiter abbezahlen, schließlich nutze ich das Haus auch noch.“
    Marcel schien einen Moment heftig nachzudenken und sagte dann: „Aber… wenn ich das Haus nicht mehr nutze, möchte ich auch nicht mehr dafür zahlen.“
    „Ich denke, dass das nicht so einfach sein wird“, erwiderte Eileen und lächelte ihn scheinbar freundlich an. „Du hast die Finanzierung gemeinsam mit mir aufgenommen und das nicht von Nutzungsrechten abhängig gemacht. Natürlich steht dir frei, das ganze mit einem Anwalt zu besprechen. Grundlegend kannst Du natürlich auch hier wohnen bleiben, wir müssten dann eben zwei verschiedene Wohnbereiche schaffen.“
    Sie sah ihn offen an. Er starrte sie derweil an und machte den Eindruck, als habe er sie noch nie gesehen. Wie gut, dass er nicht wusste, dass ihr Herz in ihrer Brust so schnell schlug, dass sie fürchtete, es würde jeden Moment aus ihr herausspringen oder er müsse es selbst von außen sehen können.



    Sie hatte sich nicht viele Gedanken im Vorfeld darüber gemacht, was sie sagen wollte oder welche genauen Vereinbarungen zu treffen waren. Doch nun schien sie Oberhand zu gewinnen und ihr wurde klar, was sie wollte und was sie zu fordern hatte, ohne dass sie vorher darüber nachdenken musste. In ihr machte sich ein wohltuendes Gefühl breit, dass sie wohl am ehesten als eine Art Rachegelüst definieren konnte.
    Ein anderer Teil in ihr, gegen den ihr Inneres mit aller Kraft ankämpfte, wäre am liebsten aufgesprungen und hätte Marcel umarmt und ihn um Verzeihung gebeten – und gleichzeitig gehofft, dass er nun – wo er zu spüren bekam, dass all das nicht so einfach ablief wie er sich das vielleicht vorgestellt hatte – doch zu ihr zurück käme und den Unsinn mit dieser anderen Frau beendete.
    Doch davon ließ sie nichts nach außen dringen. Sie blieb ruhig sitzen und wartete darauf, dass er etwas erwiderte.
    „Ich… ich denke nicht, dass ich wieder einziehen werde“, sagte er schließlich. „Es… das würde doch keinen Sinn machen. Wegen dem Geld… darüber muss ich nachdenken.“



    „Gut, dann tu das, aber tu es bald“, sagte sie dann fest. „Du ziehst dann am Samstag aus, ja?“
    Marcel nickte langsam. „Ja… ich werde wohl noch einiges organisieren müssen, aber… ich denke, das wird machbar sein.“
    „In Ordnung. Ich würde dir vorschlagen, dass du sämtliche Möbel aus dem Arbeitszimmer mitnimmst, inklusive des Computers. Im Gegenzug würde ich gerne das Laptop behalten. Die Küche muss natürlich komplett hier bleiben, aber wenn du dir irgendwelche Küchengegenstände mitnehmen möchtest…“
    „Nein“, erwiderte er langsam und starrte sie wieder verständnislos an. „Bettina ist voll ausgerüstet.“
    „Ah, Bettina ist also ihr Name. Ich dachte, sie heißt Sabrina“, sagte Eileen und versuchte die Bitterkeit in ihrer Stimme zu unterdrücken. „Nett.“
    Es entstand einen Moment lang Schweigen und Marcel begann sich aufzurichten. Eileen wurde klar, dass sie weitersprechen und zu ihrer Gelassenheit zurück finden musste, wenn sie nicht alles, was sie sich eben an Oberwasser erarbeitet hatte, verlieren wollte.
    „Also gut – was möchtest du aus dem Wohnzimmer mitnehmen? Die Couch oder den Tisch oder…?“



    „Nichts – vorerst“, erwiderte Marcel. „Dafür habe ich keinen Platz. Ich werde meine Bücher, meine CDs und den ganzen Kleinkram mitnehmen und das Arbeitszimmer, so wie du gesagt hast. Außerdem meine Werkzeuge und diesen ganzen Kram eben. Den Rest… lassen wir erstmal hier, bis… wir mehr entschieden haben.“
    „Gut“, erwiderte Eileen. „Dann haben wir das ja geklärt. Zu den Finanzen – ich habe heute Morgen ein eigenes Konto eingerichtet.“
    Wieder sah Marcel sie an, als sei sie vom guten Geist verlassen. Eileen gab dies nur noch mehr Kraft und sie sagte: „Ich denke, dass auch du dir nun ein eigenes Konto einrichten solltest und wir unser gemeinsames auflösen sollten. Was wir mit unserem Ersparten machen, können wir später noch sehen.“
    Sie stockte einen Moment. „Wir… sollten uns vielleicht erst eine Weile Zeit geben, diese Trennung zu verdauen und uns neue Strukturen aufzubauen und dann entscheiden, wie es weitergeht.“
    „Was meinst du?“, wollte Marcel wissen.
    „Ich spreche von Scheidung.“


    Marcel sprang auf und begann unruhig im Zimmer auf und ab zu gehen. Eileen begann nun auch sich unwohl in ihrer Haut zu fühlen und stand ebenfalls auf.
    „Eileen… findest du es nicht… etwas zu früh, sich darüber Gedanken zu machen?“, stieß Marcel dann hervor.
    Eileen zuckte mit den Achseln.
    „Ich weiß nicht“, sagte sie dann. „Was denkst du denn?“
    „Ich… ich weiß nicht, ich dachte… ich meine…“
    Er unterbrach seine Wanderung und blieb vor ihrem Hochzeitsbild stehen, dass er eine Weile versunken betrachtete.
    Dann versuchte er sich zu fassen und erwiderte: „Ich denke, dass eine Scheidung sehr teuer und aufwendig ist.“
    „Das ist richtig. Darum sagte ich ja, dass wir uns erst einmal an alles gewöhnen sollten. So lange sollten wir unser Erspartes unberührt lassen.“



    Marcel nickte langsam. „In Ordnung. Das halte ich auch für vernünftig.“
    Er ging wieder im Zimmer auf und ab. Eileen blieb still stehen. Nach einigen Minuten des Schweigens sagte sie: „Bleiben noch die Autos… ich wäre dir dankbar, wenn du das große übernehmen würdest. Die Halterrechte können wir ja erst einmal so lassen wie sie sind.“
    Marcel starrte sie wieder irritiert an und nickte dann langsam. „Ja. Gut. Machen wir es so.“



    Eileen holte tief Luft und warf einen Blick auf die Uhr.
    „Es ist schon nach sieben“, sagte sie. „Ich bin ziemlich müde. Hatte einen langen Tag.“
    Marcel sah sie an und sagte plötzlich mit sehr viel weicherer Stimme als zuvor: „Dir geht es nicht gut… oder?“
    Nun starrte Eileen ihn an. Was sollte das denn nun?
    „Nun… ich bin einfach müde“, sagte sie schnell und versuchte, möglichst gefasst zu klingen. „Und wir haben ja nun auch alles besprochen, nicht wahr. Also machen wir es so – du holst am Samstag deine Sachen und ich werde mich in dieser Zeit vom Haus fernhalten. Wir sollten nächste Woche noch einmal telefonieren, wenn du dir etwas wegen der Hausraten überlegt hast.“



    Marcel schluckte und sah Eileen irritiert an, die nun langsam zur Haustür ging, um anzudeuten, dass er nun gehen könne.
    Langsam folgte er ihr. Er trat hinaus in die frische kühle Luft. Es hatte wieder zu regnen begonnen.
    „Also dann…“, setzte er an.
    „Ja, bis dann“, erwiderte Eileen und wollte schon die Tür schließen, da hielt er sie zurück.
    „Was?“ Sie sah ihn irritiert an.
    „Eileen… ich…“, er strich sich verwirrt durchs Haar. „Willst… du denn gar nicht wissen, was geschehen ist … warum und…“



    Eileen unterbrach ihn forsch. „Nein – nicht jetzt. Nicht heute.“
    Sie starrte auf den Boden und sagte dann: „Vielleicht ist es dazu einfach zu spät, Marcel.“
    Er schluckte, rieb sich die Arme, drehte sich um und ging die Treppen hinunter.
    „Bis bald, Eileen“, sagte er langsam mit warmer Stimme und einem sanften Lächeln, als er sich noch einmal zu ihr umdrehte.



    „Bis bald, Marcel“, sagte sie mit dünner Stimme und schloss die Türe hinter ihm.
    Atemlos lauschte sie seinen Schritten auf dem Kies, der Autotür und schließlich dem leiser werdenden Motorengeräusch und schien dabei zur Salzsäule erstarrt.



    Erst als kein Laut mehr zu hören war, sackte sie zusammen und begann laut zu schluchzen und zu schluchzen, bis keine Träne mehr in ihr zu sein schien.






    FS folgt.

  • Dieses Kapitel hat richtig gut getan. :D
    Super gemacht, Eileen! Oberwasser ist genau der richtige Ausdruck. Klar, kühl und sachlich formulieren, Forderungen stellen und Marcel mit den Konsequenzen konfrontieren. Ihm klarmachen, dass er nicht einfach nach dem Lustprinzip handeln kann, sondern dass er die Folgen ebenso zu tragen hat.


    Und schon ändert sich seine Haltung. Eine verstörte, vielleicht weinende Eileen, die sich an ihn klammert? Nee, die muss man von sich stossen, dass ist lästig. Aber eine, die ihm klar zu verstehen gibt, dass er sich zum Teufel scheren kann - na, das ist schon wieder eine ganz andere Sache. Da wird er auf einmal selbst zum Zurückgewiesenen, das hat er offensichtlich nicht so gerne. Anscheinend erwacht da wieder so was wie ein Jagdtrieb. ;)


    Hach, ich mag diese Geschichte. Und ich freue mich schon sehr auf die nächste Fortsetzung.


    LG!

  • Hallo!!!


    Sorry, dass es diesmal mit der FS doch recht lange gedauert hat. Ich hatte echt keine Zeit und dann habe ich die Nachbarschaft geladen und plötzlich war sie ein Mischmasch aus den Charaktern von Caged und Tiefer :confused::confused:


    Habe dann schon befürchtet, alles plattmachen zu müssen, aber dann gsd bemerkt, dass einfach der Caged-Ordner in den Tiefer-Ordner gerutscht ist - als Unterordner sozusagen :cool: Die beiden wieder fachgerecht getrennt und es war wieder alles wie es sein soll *schwitz*



    Julsfels: Danke für Deinen Kommi! Ja, da hat Eileen ihn wohl eiskalt erwischt, denn damit hat er nicht gerechnet. Ob Eileen jetzt gar wieder interessant für ihn wird? wer weiß, wer weiß.




    Heute geht es ganz still weiter. Ich hoffe, es gefällt euch. Diesmal ist es auch nicht ganz soooo lang (ich fürchte, die letzte lange FS hatte einige von euch abgeschreckt *lach*)

  • 19.

    Sie konnte nicht genau sagen, wie viel Zeit sie dort unten auf den kalten Fliesen verbracht hatte, die kühle Holztür in ihrem Rücken und die Stille des Herbstabends um sich – nur unterbrochen von dem ein oder anderen Schluchzer.



    Doch als alle Tränen aus ihr herausgeweint waren, blieb sie noch eine unbestimmte Zeit einfach sitzen und starrte ins Leere.
    Sie fühlte sich wie in einen Wattebausch gehüllt, doch das Gefühl hatte nichts von der Geborgenheit, die eine solche Vorstellung vermitteln mochte.
    Es fühlte sich viel mehr an wie dichter, klebriger Nebel oder der Anfang einer Besinnungslosigkeit.
    Mühsam versuchte sie sich dazu zwingen, einen klaren Gedanken zu fassen. Doch es schien ihr, als sei ihr Kopf mit einemmal um das neunzigfache geschrumpft und selbst für die einfachsten Gedankengänge zu klein geworden.



    Irgendwann bemerkte sie zumindest die Kälte, die ihr die Glieder herauf kroch und einen dumpfen Schmerz im Unterleib mit sich brachte.
    Sie hatte Mühe, auf die Beine zu kommen, denn diese fühlten sich wie Pudding an.
    Langsam ging sie ins Wohnzimmer und ließ sich dort erschöpft auf die Couch fallen.
    Zorn begann in ihr aufzusteigen; Zorn auf diese erneute Kraftlosigkeit.



    Sie schloss für einen Moment die Augen und sah Marcels Gesicht vor ihrem inneren Auge auftauchen. Wie er sie betrachtet hatte – sie hörte seine Worte nachhallen: „Es geht dir nicht gut, oder?“
    Zum ersten Mal seit Wochen hatte er wieder diesen Tonfall gehabt. Diesen Tonfall, den sie so gut kannte und den sie so geliebt hatte.
    Besorgt, liebevoll. Aber wieso jetzt? Wieso jetzt, wo sie gerade dabei war, sich damit abzufinden, dass es kein gemeinsames Leben mehr geben würde?
    Wieso begann er genau in diesem Augenblick wieder jene Züge herausblitzen zu lassen, die sie an ihm kannte und liebte?
    War sie ihm doch nicht ganz gleichgültig?
    Eileen fühlte sich unendlich verwirrt, ihre Gedanken schienen sich zu überstürzen, aber keinen Sinn zu geben.



    Sie spürte, wie die bleierne Müdigkeit, die sie bereits vor dem Gespräch erfasst hatte, die Überhand gewann und ehe sie noch einen weiteren Gedanken zu fassen vermochte, war sie eingeschlafen.


    Es war noch immer stockdunkel draußen, als sie aus einem unruhigen Schlaf hoch schreckte.
    Zerstreut sah sie sich um und begriff zuerst nicht, wo sie war, geschweige denn, wie viel Uhr es sein mochte.
    Dann erinnerte sie sich wieder an den vergangenen Abend und seine seltsame Wendung. Ihr Magen knurrte und sie fror, als sie sich aufrichtete und sich müde über die Augen fuhr. Es war finster im Wohnzimmer und nur durch die Terrassentür drang spärlich das silbrige Mondlicht.



    Ein mulmiges Gefühl überkam sie, als sie sich im dunklen Raum umschaute. Sie war nie gerne über Nacht alleine geblieben, aber da Marcel durchaus ab und an auf Geschäftsreisen war, hatte sie sich damit abgefunden.
    Trotzdem war ihr immer unwohl gewesen, so alleine in dem großen Haus, und sie hatte es vor allem vermieden, in der Nacht ins dunkle, große Wohnzimmer zu gehen.
    In den letzten Nächten hatte sie dafür kaum einen Gedanken gehabt, da Tag und Nacht für sie in ihrem depressiven Schockzustand ohnehin verschwommen waren. Aber nun wurde ihr bewusst, dass sie gänzlich alleine war und ein Gefühl von Furcht überkam sie.
    Rasch stand sie auf und tastete sich vorsichtig in die Küche, wo sie das Licht einschaltete.



    Als der Raum mit dem warmen Licht durchflutet wurde, fühlte sie sich schon etwas besser. Schnell machte sie nun auch alle verfügbaren Lichter im Wohnzimmer und im Flur an und schaute vorsorglich auch in die dunklen Ecken, als wolle sie sich vergewissern, dass dort kein Attentäter hockte und nur darauf wartete, sie zu überfallen.



    Doch alles war ruhig und wie immer.
    Sie atmete auf, konnte das klamme Gefühl jedoch nicht ganz abschütteln. Sie hatte das Bedürfnis, mit einem Menschen zu sprechen – mit Lene oder ihrer Mutter – doch ein Blick auf die Uhr verriet ihr, dass es mitten in der Nacht war – die Zeiger standen auf kurz nach drei.
    Eileen seufzte tief – in nicht ganz vier Stunden musste sie schon wieder aufstehen und sich für die Arbeit fertig machen. Sie war zu früh eingeschlafen und hatte auf der Couch nicht den bequemen Schlaf gefunden, der ihr Bett ihr sonst versprach.
    Ihr Magen knurrte erneut und ihr wurde übel. Resigniert öffnete sie den Kühlschrank, obwohl sie sich im Klaren darüber war, dass dieser genau so leer sein musste wie am Morgen zuvor.
    Sie griff schließlich zu dem letzten Rest Milch, der noch von Lene übrig war, und schüttete diese über etwas Müsli.



    Die kalte Milch und das Müsli widerten sie an, doch sie versuchte sich zu überwinden und sie tapfer zu essen. Nach der Hälfte der Schüssel ging die kalte Nahrung in ihrem seit mehr als anderthalb Tagen leeren Magen jedoch vollständig gegen sie und sie schob die Schüssel mit der Übelkeit kämpfend von sich.
    Erschöpft rieb sie sich die Arme. Ihr war kalt. Draußen waren es nicht einmal mehr zehn Grad, die Heizung war auf Nachtbetrieb und sie hatte ohne Decke auf der Couch geschlafen.
    Hoffentlich hatte sie sich nicht auch noch erkältet. Wie zur Bestätigung musste sie niesen.
    „Auch das noch“, seufzte sie, schüttete das Müsli in den Ausguss und beschloss dann, nach oben zu gehen, sich in ihren Schlafanzug zu hüllen und sich ins warme Bett zu kuscheln.
    Da sie das unheimliche Gefühl immer noch nicht ganz hatte abschütteln können, ließ sie entgegen ihrer sonstigen Gewohnheit das Licht in Flur und Wohnzimmer an und ging dann nach oben.
    Im Bad angekommen löste sie ihre Frisur, schälte sich aus den Kleidern und begann sich die Zähne zu putzen. Ihr Magen schien ihr das unangebrachte Nachtmahl noch immer leicht übel zu nehmen und zwickte unangenehm vor sich hin. Aber wenigstens war ihr jetzt nicht mehr übel.



    Sie versuchte bewusst die Gedanken an das Gespräch am Abend zu verdrängen, um nicht schon wieder in sinnlose Grübeleien zu fallen. Vielmehr nahm sie sich vor, morgen mit Lene über alles zu sprechen, was vorgefallen war. Diese würde vermutlich einen klareren Kopf bewahren als sie selbst das jemals gekonnt hätte.
    So sehr sie sich jedoch auch bemühte, immer wieder kehrten ihre Überlegungen zu jenem Satz zurück „Dir geht es nicht gut, oder?“ – es ging nicht um die Worte an sich, sondern in welchem Ton, mit welchem Gesichtsausdruck er sie ausgesprochen hatte.
    Eileen verließ das Badezimmer und holte ihren Schlafanzug aus dem Schrank.



    Dann löschte sie die Lichter – nur die Nachttischlampe auf ihrer Seite ließ sie brennen – und legte sich mittig aufs das Bett, starrte auf die trotzdem noch leere Hälfte neben sich und berührte die Bettwäsche sanft mit der Hand.
    Ein schmerzlich-sehnsuchtsvolles Gefühl ergriff sie mit voller Wucht und schien ihr Herz zu zermalmen.
    Was, wenn es doch noch eine Chance gab?
    Für einen Moment schien ihr Herz wieder leichter zu werden.
    Vielleicht hatte Marcel erst durch ihre harten Ausführungen begriffen, was für einen Fehler er begangen hatte?
    Wieder dachte sie an die so sanft ausgesprochenen Worte, den liebevollen Blick…



    Dann schoss ihr jedoch ein anderer Gedanke durch den Kopf: Vielleicht hatte sie ihn mit ihren harten Ausführungen auch nur in die Enge getrieben und er versuchte durch seine freundliche Umwandlung nur, ihr den Wind aus den Segeln zu nehmen?
    Aber war er etwa so berechnend?
    Sie versuchte sich an irgendeine Gelegenheit ihrer gemeinsamen Zeit zu erinnern, an der sie diese Frage hätte messen können – doch sie kam zu keinem Ergebnis.
    Sie wusste schlichtweg nicht, ob sie ihn für so etwas fähig hielt oder nicht.
    Wieder einmal wurde ihr klar, wie fremd er ihr geworden zu sein schien… oder war er es in gewissen Punkten vielleicht sogar immer gewesen?



    Sie fühlte sich abermals bis aufs unermesslich verwirrt und beschloss, sich nun wirklich keine Gedanken mehr darüber zu machen. Ein Blick auf die Uhr verriet ihr, dass ihr Wecker in weniger als drei Stunden klingeln würde.
    Also kroch sie unter die Decke, lösche tapfer das Licht, schloss sofort die Augen und versuchte, ihre Gedanken abzuschalten. Das gelang mehr schlecht als recht, aber schließlich siegte doch die Müdigkeit und sie sank in einen traumlosen, tiefen Schlaf.







    Fortsetzung folgt.

  • Hi Innand,


    wieder eine tolle Fortsetzung. Ich finde Bilder und Text ausgesprochen gut gelungen und sehr passend. Eine Frage hätte ich zu den Downloads: Woher hast du die Tränen und die verlaufende Wimperntusche?


    Ich lese schon länger mit, kam nur noch nicht dazu einen Kommentar zu schreiben.
    Auch deine abgeschlossenen Fotostories haben mir sehr gut gefallen.


    lg, Nif3a

  • 20.

    Günther warf seiner Frau einen unsicheren Blick zu und rutschte unbequem auf dem natur gebeizten Landstuhl hin und her.
    Der Tisch bog sich förmlich unter einer Vielzahl an Köstlichkeiten – Anita hatte all ihre Künste spielen lassen und ein Frühstück der Königsklasse auf den Tisch gezaubert.
    Sie sah ihren Mann an und warf ihm ein angespanntes Lächeln zu.
    Dann richteten beide wieder ihre Blicke auf ihre einzige Tochter, die still und in Gedanken versunken auf ihrem Stuhl saß und auf den Tisch starrte.



    „Liebling, möchtest du denn nichts essen?“, fragte Anita sanft. Eileen riss die Augen auf und sah sie erschrocken an.
    Sie hatte sich wieder in ihren Gedanken verloren und schämte sich dessen.
    „Doch… doch, Mama. Gerne. Du hast dir wirklich so viel Mühe gegeben“, sagte sie mit einem matten Lächeln und ließ ihren Blick über den reichlich gedeckten Tisch schweifen. Dabei hatte sie selbst gerade gar keinen Appetit. Viel mehr fand sie den Duft des frischen Kaffees fast schon penetrant in ihrer Nase und ihr Magen drehte sich um, wenn sie daran dachte, auch nur einen Schluck davon trinken zu müssen.
    „Ich… hast du vielleicht einen Tee für mich?“, fragte sie nach einer kleinen Weile des Schweigens.
    „Aber natürlich, Schatz“, antwortete ihre Mutter nickend und wollte aufstehen, doch ihr Mann war schneller.



    „Ich… ich mach das schon“, sagte er schnell und stand auf, offenbar froh darum, das unangenehme Schweigen eine Weile verlassen zu können.
    Anita griff derweil nach Eileens Hand und sah sie offen an.
    „Es muss furchtbar schwer für dich sein, mein Kleines“, sagte sie liebevoll.
    Eileen wusste nicht recht, was sie antworten sollte. Zum einen tat ihr die Zuneigung und die Sorge ihrer Mutter gut, zum anderen fühlte sie sich davon seltsam beschämt.
    „Es… ist nun einmal wie es ist“, sagte sie langsam und versuchte zu lächeln.
    „Du musst nicht stark sein, Eileen“, sagte ihre Mutter sanft. „Du machst im Moment eine unheimlich schwere Zeit durch und da ist es normal, schwach zu sein und traurig zu sein, nicht mit allem direkt fertig zu werden.“
    Eileen schluckte und nickte.



    „Wenn ich es doch nur… begreifen könnte, was geschehen ist“, stammelte sie dann leise. „Ich… ich habe wirklich nichts gemerkt, Mama. Ich hätte nie gedacht, dass uns, dass mir so etwas passiert.“
    Anita seufzte und nickte. „Ich weiß, Schatz. Das ging uns genauso. Marcel war für uns immer wie ein Sohn.“
    Eileen nickte und realisierte, dass diese Trennung auch für ihre Eltern schmerzhaft und seltsam sein musste. Immerhin war Marcel seit fast zehn Jahren Bestandteil der Familie.
    Eine Weile herrschte wieder Schweigen am Tisch, in das Eileens Vater mit einer Tasse frisch aufgebrühtem Tee platzte. Eileen nahm ihn dankend entgegen und spürte, wie die heiße, duftende Flüssigkeit ihren Magen füllte und entspannte.
    Ihr Vater hatte ihr derweil ganz wie früher, als sie noch ein kleines Kind gewesen war, ein Brot geschmiert und ihr auf den Teller gelegt.
    „Das wird jetzt gegessen“, sagte er und versuchte streng zu klingen. „Du brauchst Kraft, Kind, Du bist schon jetzt ein Strich in der Landschaft.“
    Eileen musste gegen ihren Willen lächeln und sagte: „Nun mach mal halblang, Papa. Ich falle schon nicht vom Fleisch.“



    Er lächelte zurück und sah zufrieden zu, wie sie – zwar immer noch mit gemäßigtem Appetit, aber mit gutem Willen – ein großes Stück Brot abbiss.
    Dann warf sie einen Blick zur Uhr. Der Zeiger wollte sich offenbar nicht fort bewegen.
    „Wie lange wird Marcel in etwa brauchen, was meinst du?“, fragte ihre Mutter, die ihrem Blick zur Uhr gefolgt zu sein schien.
    „Ich bin nicht ganz sicher. Wir hatten vereinbart, dass er bis etwa zwei Uhr alles geschafft haben sollte.“ Und jetzt war es gerade erst zehn.
    Eileen schauderte bei dem Gedanken daran, wie es zu Hause wohl aussehen mochte, wenn sie zurück kehrte. Die leeren Zimmer, die leeren Schränke.
    Dann war endgültig. Dann gab es kein Zurück mehr…
    „Eileen, Schatz…“, ihre Mutter sah sie sanft an. „Ich möchte dir nicht zu nahe treten, aber… ist dieser Entschluss des Auszugs nicht vielleicht übereilt?“



    Eileen sah ihre Mutter überrascht an.
    „Mama, was meinst du damit?“
    „Ich… ich meine ja nur…“, Anita warf ihrem Mann einen Blick zu und er half ihr weiter, indem er langsam sagte: „Weißt du, Eileen… jede Ehe hat ihre schlechten Zeiten und wir haben uns einfach nur gefragt, ob es wirklich überhaupt keine Chance mehr für Marcel und dich gibt?“
    Eileen schluckte. Einen Moment war sie selbst unsicher, aber dann kam der Zorn zurück.
    „Nein“, sagte sie darum fest und schob ihre Unterlippe nach vorne. „Er hat mich hintergangen, das dürft ihr nicht vergessen. Er hat diese Affäre seit Monaten.“
    Ihre Eltern sahen sie erstaunt an und Eileen wurde bewusst, dass sie seit dem Vorfall an jenem Wochenende, als ihre Eltern aus Lanzarote zurück gekehrt waren, nicht mehr detailliert mit ihnen gesprochen hatte.
    Aber sie kannte ja selbst so wenige Details…
    „Es… er hat diese andere Frau schon lange“, erwiderte sie. „Ich hab es nicht gewusst. Ich hab es erst vor kurzem erfahren, und unmittelbar danach haben wir uns getrennt. Was heißt – er hat mich verlassen, ist einfach gegangen. Den Rest kennt ihr ja.“



    „Wie lange?“, wollte Günther scharf wissen.
    Eileen zuckte mit den Achseln. „Ich weiß es nicht genau. Eine ganze Weile schon.“
    Irgendetwas in ihr hinderte sie daran zu erzählen, dass die Affäre wohl schon kurz nach ihrer Fehlgeburt angefangen haben mochte.
    Vielleicht weil sie Marcel aus einem alten Impuls heraus immer noch in Schutz nehmen mochte.
    Vielleicht aber auch, weil sie sich dafür schämte und weil sie Angst hatte, ihre Eltern könnten ihr die Schuld geben, könnten ihr nun sagen, dass auch sie sich von ihm abgewendet und entfremdet habe.
    Es fühlte sich für sie an, als würde sie sich nackt ausziehen, wenn sie dies zugab. Und dafür war sie nicht bereit, noch nicht.
    Eine Weile herrschte wieder Schweigen am Tisch, dann stieß ihr Vater hervor: „Das ist ja ungeheuerlich.“



    Anita seufzte. „Das hätte ich Marcel niemals zugetraut.“
    Eileen nickte. „Ich weiß. Das ist es ja, was es so schwer macht.“
    Sie stand auf und ging einige Schritte, ließ ihren Blick durch den gut gepflegten, mediterran bepflanzten Garten schweifen.
    „Wenn wir uns einfach auseinander gelebt hätten, wenn die Liebe eingeschlafen wäre, wenn wir gemerkt hätten, es macht keinen Sinn mehr – dann könnte ich es sicher verstehen, weil es auch für mich einen Prozess dargestellt hätte. Aber so kam es für mich aus dem Nichts.“



    „Hattet… ihr denn vorher oft Streit, gab es Probleme?“, fragte ihre Mutter sanft.
    „Und wenn schon! Das gibt ihm noch lange kein Recht, sie zu betrügen!“, fiel ihr Vater aufgebracht ein.
    Eileen drehte sich wieder um und sagte langsam: „Ja – wir hatten eine schlechte Phase und… ja, es gab Probleme. Aber ich hätte nie gedacht, dass sie so… schwerwiegend sind. Ich dachte, es ist eben eine Phase, die wieder vergeht, wie so viele Phasen in den letzten Jahren. Ich meine, es ist doch immer mal ein Auf und Ab, wenn man mit einander verheiratet ist, oder?“
    Ihre Eltern nickten zustimmend. „Ja, natürlich. Wo Licht ist, ist auch Schatten“, sagte ihre Mutter.
    „Ja… aber bei uns war wohl doch mehr Schatten als ich dachte“, seufzte Eileen.
    „Habt… habt ihr denn schon das rechtliche geregelt?“, fragte ihre Mutter langsam.
    „Einiges, ja. Ich habe mir eine Anwältin genommen.“
    Eileen war erstaunt, wie klar und nüchtern ihre Stimme mit einemmal wieder klang.



    „Das… war sehr klug von dir“, sagte ihr Vater. „Wenn du irgendwelche Unterstützung brauchst, Eileen – du weißt, wie sind für dich da. Ich meine… was das Haus und die Raten angeht oder die Autos, die Gebühren für deine Anwältin… du weißt, wir helfen dir, wo wir können.“
    Eileen lächelte dankbar. „Danke, Papa, es ist gut, das zu wissen. Ich glaube aber, im Moment schaffe ich das schon alleine. Ich habe ja noch mein Gehalt und Marcel wird seinen Anteil der Rate wohl erst einmal weiter bezahlen. Ich denke, das Haus werde ich erst einmal halten können.“
    „Es wird sehr groß für dich werden…“, setzte ihr Vater an, schwieg aber sofort, als er einen strafenden Blick von Anita erhielt.
    Eileen nickte jedoch und setzte sich wieder. „Das stimmt, aber ich kann es nicht verkaufen. Noch nicht. Alles Schritt für Schritt. Und die Miete für eine kleinere Wohnung wäre wohl auch nicht um so vieles geringer als die Hälfte der Rate und die Nebenkosten für das Haus.“
    Sie seufzte. „Ich weiß zurzeit noch nicht genau, wie es weitergehen soll. Ich bin froh, dass wir das mit dem Auszug jetzt schon regeln konnten. Alles andere wird sich wohl ergeben…“
    „Aber natürlich, Schatz“, sagte ihre Mutter sanft. „Eins nach dem anderen.“



    Eileen nickte. „Genau, eins nach dem anderen.“ Sie versuchte zu lächeln und sah erneut auf die Uhr. Viertel nach zehn.
    „Wie wäre es, wenn wir ein wenig shoppen gehen?“, fragte Anita aufmunternd.
    Eileen zuckte die Achseln.
    „Nun komm, Kleines. Davon dass du da sitzt und die Uhr anstarrst, wird es nicht schneller gehen. Ein wenig Ablenkung tut dir gut und für eine Frau ist es immer noch am heilsamsten, sich neu einzukleiden.“
    Eileen lächelte. „Warum eigentlich nicht?“, sagte sie dann und stand auf.
    Marcel war gerade zu Hause seine Sachen am Ausräumen. Sie würde in ein halb-leeres Haus zurückkehren und er… in die Arme seiner „Tussi“.
    Sie spürte wieder den Zorn in sich, diesen kräftigen, guten Zorn, der sie mit Kraft und Kampfeswillen zu betanken schien.
    Gut, Mama. Du hast recht. Könnten wir vorher vielleicht auch noch zum Frisör gehen?“
    Anita lächelte. „Aber natürlich, Schatz. Ich zieh mir nur rasch andere Schuhe an und dann geht´s los.“



    Günther sah verdattert von einer zu anderen.
    „Und wer räumt das alles hier weg?“, fragte er empört.
    Beide Frauen lächelten ihn an. „Na, du bist doch noch hier“, sagte Anita zwinkernd.



    Günther kratzte sich am Kopf.
    „Ihr wollt mich hier jetzt so ganz alleine mit diesem Chaos lassen?“, fragte er fast ungläubig.
    „Du schaffst das schon, mein Lieber“, sagte Anita zwinkernd und drückte ihrem Mann einen Kuss auf die Wange, dann verließ sie das Zimmer.
    Ratlos sah er Eileen an, die im Durchgang zum Wohnzimmer stand und lächeln musste.
    „Tut mir leid, Papa“, zwinkerte auch sie. „Da gebe ich Mama vollkommen recht.“



    Und mit diesen Worten folgte sie ihrer Mutter lachend zur Tür hinaus.
    Günther derweil seufzte, fügte sich grummelnd in sein Schicksal und begann das Geschirr zusammen zu räumen, während Eileen und seine Frau sich auf den Weg machten.
    Irgendwie hatte er sich diesen Morgen etwas anders vorgestellt.



    Fortsetzung folgt.

  • Na sowas! Irgendwie hab ich da ein Kapitel übersehen. Wie konnte mir denn das passieren? *Schäm*
    Das vorletzte Kapitel fand ich ein bißchen gruselig. ;) Als ich das Bild von dem Attentäter gesehen habe, hab ich mich richtg erschreckt und gedacht: "Och nee - jetzt wird die Arme auch noch überfallen!" Aber war ja zum Glück nicht so. Diese Angstgefühle im Dunkeln kann ich gut nachvollziehen, die hatte ich als Kind auch. Ich kann mich heute noch deutlich erinnern, wie schrecklich das war und wie gelähmt man sich dann fühlt.
    Die Eingangsszene, in der Eileen so teilnahmslos im Flur sitz, fand ich wieder sehr berührend. Du findest immer die richtigen Worte, um uns ganz bildhaft klarzumachen, wie es in ihr aussieht, großartig gemacht.
    Und ich hab wieder neue Nahrung für meine "Eileen-ist-doch-schwanger" Lieblingstheorie gefunden. :D Nicht nur, dass ihr immer noch übel ist, jetzt hat sie auch noch ziehende Schmerzen im Unterleib. Hach, das würde mich sooo freuen! Wenn es tatsächlich so sein sollte, dann darfst Du uns Marcels Gesicht nicht vorenthalten, wenn er die gute Neuigkeit erfährt. :applaus
    Das neue Kapitel fand ich dagegen amüsant, das war eine nette Auflockerung. Am besten fand ich den armen, hilflosen Vater, der mit der schier unüberschaubaren Menge an Frühstücksgeschirr heillos überfordert ist. :roftl
    Schön fand ich, dass Eileens Eltern ihr zur Seite stehen, nicht zu aufdringlich, aber ihr klar zu verstehen geben, dass sie für sie da sind, wenn sie etwas braucht.
    Und der Friseursalon ist natürlich der Klassiker. ;) Ich glaub wirklich, dass Liebeskummer eine feste Einnahmequelle für Friseure ist. :D


    Vielen Dank für die schönen Kapitel!

  • Hallo Julsfels,


    danke für Deinen Kommi!
    Nee, nee, die arme Eileen muss nicht auch noch einen Attentäter überstehen ;) ich hab noch genug fiese Sachen mit ihr vor :cool: das reicht schon. :)
    Ja, die Szene mit Günther mochte ich auch ganz gerne :) auch wenn mich der Frühstückstisch beim Fotografieren in den Wahnsinn getrieben hat, bevor alle ihre posen eingenommen hatten, ist das Essen nämlich immer schlecht geworden :rollauge *arghhh*







    Bevor es heute weiter geht, habe ich noch ein lustiges Outtake für euch:



    So fand ich Dirk heute beim Laden des Spieles vor - hoch genervt im Schlafanzug in Eileens Schlafzimmer stehend :rolleyes Mh... ob mir das was sagen soll?

  • 21.

    Eileen parkte den Wagen vorsichtig ein und schluckte.
    Einen Moment lang blieb sie unbeweglich sitzen und starrte das neben ihrem Kleinwagen parkende Auto an.
    Marcel war noch nicht fertig, sein Auto stand noch in der Einfahrt.
    Es schien für einen Moment, als sei es ein ganz normaler Samstag, an dem sie von einer Shoppingtour mit Lene oder ihrer Mutter zurück kam, vom Einkaufen fürs Wochenende oder vom Yogakurs im Fitnesscenter, den sie eine Weile sporadisch besucht hatte.
    Sie sah sich fast mit Einkaufstüten beladen aus dem Wagen steigen, ganz so wie früher, die Vortreppe nach oben gehen, die Haustüre aufschließen und fröhlich „Bin wieder da-haaa!“ rufen.
    Marcel fand sich meist in seinem Büro, saß vor dem Fernseher und spielte Playstation oder war ab und an auch auf der Terrasse oder im Garten am Werkeln.



    „Na, Schatz, hast du wieder Geld ausgegeben?“, hatte er dann zu sticheln gepflegt. Danach hatte sie ihm meist ihre erstandenen Kleider gezeigt, sie hatten es sich den Rest des Tages im Garten oder auf der Couch gemütlich gemacht, waren abends ausgegangen oder hatten sich eine Pizza bestellt und einen netten Film geschaut.
    Das waren sie gewesen, die typischen Samstage, einer wie der andere, die Höhepunkte der Woche.
    Seit sich das Leben jedoch so sehr geändert hatte, schienen die Wochentage zu einem verschmolzen zu sein, der sich fast immer wie Montag anfühlte, nur noch grausiger.
    Eileen stellte immer öfter fest, dass sie morgens nach dem Aufwachen erst einige Sekunden angestrengt nachdenken musste, um den Wochentag zu bestimmen.
    Die normalen Rituale, welche jeden Tag typischerweise gekennzeichnet hatten, waren fast alle verloren gegangen, genauso wie sie fast jedes Zeitgefühl verloren hatte.
    Müde seufzte sie und starrte den Wagen weiterhin an, als könnte sie ihn mitsamt Marcel nur durch ihre Gedankenkraft entweder verschwinden lassen oder aber die Zeit zurückdrehen und einfach wie nach einem seltsamen, ängstigenden Traum wieder ins „normale Leben“ zurückkehren – mit all seinen schönen Momenten, seiner Leichtigkeit.



    Dass das aber niemals mehr möglich sein würde, das war ihr inzwischen klar geworden.
    Ihr Blick fiel auf die digitale Zeitanzeige in ihrem Wagen. Es war schon fast vier Uhr – Marcel war sehr viel länger im Haus als vereinbart.
    Einen Moment lang ärgerte sich Eileen maßlos darüber, dann seufzte sie jedoch und zuckte die Achseln. Sie wusste ja selbst gut genug, dass vier Stunden nicht ausreichend Zeit waren, um all die Sachen einzupacken und wegzuräumen.
    Deswegen hatte sie sogar schon fast zwei Stunden länger gewartet als vereinbart, aber schließlich waren ihre Mutter und sie durch alle Geschäfte der Innenstadt gewandert, hatten zu Mittag gegessen und fanden ihre Füße schmerzend vor, so dass es Zeit wurde, nach Haus zu fahren. Darüber hinaus hatte sie selbst auch noch einiges zu tun, sie musste einige Tabellen für ihre Anwältin fertig stellen, um die genauen Vermögensverhältnisse zu klären.
    Außerdem hatte sie sich ein wenig Arbeit aus dem Büro mit nach Haus genommen, denn während ihrer Krankheit war viel liegen geblieben. Und immerhin brauchte sie ihren Job jetzt dringend!
    Eileen seufzte noch einmal tief. Eben hatte sie sich noch so gut gefühlt, voller Tatendrang und neuem Mut.



    Sie war mit ihrer Mutter durch sämtliche Geschäfte gegangen und hatte sich ausgiebig neue Kleidung gekauft – sie empfand das fast wie einen Befreiungsschlag.
    Und vorher war sie noch zum Friseur gegangen und hatte sich in einem Anfall von Veränderungswillen ihr langes Haar sehr viel kürzer schneiden lassen. Es fiel ihr jetzt fransig und frech in die Stirn und gab ihr einen wilden, entschlossenen Ausdruck.
    Das hatte zumindest der Frisör gesagt, als er mit ihr fertig gewesen war.
    Jetzt gerade fühlte Eileen sich gar nicht mehr wild und entschlossen. Am liebsten hätte sie den Zündschlüssel wieder umgedreht und wäre noch einmal weggefahren. Aber sie wusste nicht recht wohin.
    Lene war heute den ganzen Tag mit Dirk unterwegs, zu ihren Eltern zurück wollte Eileen nicht mehr, alle Einkäufe hatte sie getätigt.
    Und was half es schon, der Konfrontation aus dem Weg zu gehen?
    Also straffte sie die Schultern, öffnete die Wagentür und stieg aus. Die Luft roch nach frischem Regen, auch wenn die Sonne kräftig und warm schien, und das welke Laub klebte auf den Bordsteinen des Gehwegs, was es zu einer rutschigen Matte werden ließ.
    Erneut dachte Eileen daran, dass sie es unbedingt entfernen musste.


    Ob Marcel auch die Gartengeräte mitgenommen hatte oder sie mitnehmen wollte? Einmal mehr wurde ihr bewusst, dass sie auf Dauer nicht in diesem Haus würde wohnen bleiben können. Es war ihr einfach zu groß – und das nicht nur in räumlicher Hinsicht. Viele Aufgaben daran hatte ihr Mann übernommen, wogegen ja auch gar nichts einzuwenden war.
    Eileen hatte handwerklich gesehen zwei linke Hände und konnte sich auch für nichts davon begeistern. Natürlich, einen Nagel in die Wand schlagen oder ein einfaches Möbelstück zusammenzuschrauben war auch für sie relativ mühelos machbar. Aber damit hörte es auch schon auf.
    Sie stieg die Vortreppen nach oben und zögerte einen Augenblick. Sollte sie klingeln, um sich anzukündigen? Oder einfach aufschließen?
    Dann schnaubte sie und warf einen Blick auf die Uhr. Es war bereits nach vier, Marcel war nun schon mehr als zwei Stunden über der Zeit, da musste sie sich wirklich nicht auch noch ankündigen – schon gar nicht in ihrem eigenen Haus.



    Immerhin war Marcel gegangen, nicht sie!
    Also steckte sie wie gewohnt den Schlüssel ins Türschloss und öffnete die Türe.
    Einen Moment lang blieb sie im Vorraum stehen und lauschte in alle Richtungen. Es war still.
    Verwirrt sah sie sich um. Ob Marcel vielleicht gar nicht mehr da war?
    Vielleicht hatte er ein größeres Auto für den Umzug besorgt, war mit diesem jetzt zu seiner neuen Wohnung gefahren und lud es dort aus – und hatte den Van darum erst einmal hier stehen lassen, um ihn später wieder zu holen?
    Da sie wirklich keinen Laut hörte, schien ihr diese Möglichkeit am schlüssigsten.



    Sie schälte sich aus ihrem Mantel, legte die Handtasche ab und ging ins Wohnzimmer. Auch hier war kein Mensch zu sehen.
    Ihre Augen fuhren durch den Raum und blieben an den Stellen hängen, die leerer waren als am Morgen. Sie schluckte bitter. Es fühlte sich ein wenig an wie in ihrem Innern – als seien gewisse Fragmente einfach aus dem Gesamtbild heraus gerissen worden.
    Müde strich sie sich über die Augen und ging dann nach oben, direkt ins ehemalige Arbeitszimmer. Einen Moment musste sie tief durchatmen, als sie in dem fast leeren Raum stand. Dies war wirklich immer Marcels Reich gewesen.
    Eileen arbeitete meist unten im Wohn- und Esszimmer am Notebook, wenn sie etwas zu tun hatte.
    Marcel hatte sich hier stundenlang vergraben, im Internet gesurft, Onlinespiele gespielt und zuletzt mit seinen Jungs gepokert. Entsprechend chaotisch hatte es hier immer ausgesehen, und irgendwann hatte Eileen aufgegeben, Ordnung und Sauberkeit in diesem Raum bringen zu wollen und Marcel gebeten, einfach in Zukunft selbst zu putzen, was er dann nur sporadisch getan hatte – einmal im Jahr vielleicht und dann auch nur, indem er mit dem Staubsauger über den von Chipskrümeln gesäumten Boden gefahren war.
    Sie seufzte, als sie den leeren Raum so betrachtete. Bis auf einige wenige Überbleibsel war er fast komplett leer geräumt.


    Ihre Gedanken wurden jäh unterbrochen, als sie ein Geräusch vernahm.
    Sie horchte auf, doch nun war es wieder still. Für einen Moment dachte sie schon, sie habe irgendwelche Einbildungen, doch dann hörte sie es wieder – ein Geräusch, das aus dem Schlafzimmer kam.
    Zielstrebig ging sie darauf zu und überlegte zuerst noch zu klopfen, was sie dann aber doch ließ – statt dessen schnappte sie sich einen Regenschirm, der verlassen in der dunkelsten Flurecke stand und stieß die Türe zum Schlafzimmer mit einem Ruck auf.
    „Heiliger….!“, schrie sie auf und ließ den Regenschirm vor Schreck mit einem lauten Knall auf den Boden fallen.


    Dann wich sie entsetzt zurück, drehte sich um und schlug die Türe mit einem lauten Knall hinter sich zu.


    Fortsetzung folgt.

  • Eileens neue Frisur gefällt mir prima, obwohl ich lange Haare eigentlich lieber mag.
    Das Bild, dass Du in meinem Kopf hast entstehen lassen, als Du über Eileens Gedanken angesichts des leeren Raumes geschrieben hast, war wieder mal wunderbar. Wirklich super Assoziationen!
    Tja, und was findet Eileen nun im Schlafzimmer vor? Ich wette ja, die neue Tusse wollte sich unbedingt mal ansehen, wie Marcel so mit der Rivalin gelebt hat, und hat ihn dann überredet, das Ehebett zu "benutzen". :angry Um gleich nochmal eine Duftmarke zu setzen. Ich hasse solche Zicken. Ich hoffe, sie kriegt ihr Fett weg. :misstrau :angry Falls es so war. Aber nee, sie soll auch bestraft werden, wenn es nicht so war. :D *GanzParteiischBin*

  • Hallo Julsfels,
    ja, die Frisur mag ich auch, sie macht sie irgendwie reifer und weniger verletzlich.
    Hihi, ich schmunzle über das in Deinem Kopf entstandenen Bild vor mich hin. Mal schauen, ob Du recht behältst. ;)




    Heute bin ich mit der FS mal sehr schnell, aber ich bin gerade so gut im Lauf und es sind noch soooo viele Kapitel vor uns, dass es nicht schaden kann, zwischendrin mal ein bißchen das Tempo zu erhöhen.

  • 22.

    „Du bist doch krank! Krank!“
    Eileens Stimme überschlug sich förmlich.



    Marcel stand ihr gegenüber, nur bekleidet mit T-Shirt und Boxershorts und sah ein wenig wie ein Häufchen Elend aus.
    „Eileen, es… es tut mir leid, ich habe die Zeit vergessen und…“
    „Das ist mir doch völlig egal! Die Zeit vergessen – zwei Stunden lang?“ Eileen funkelte ihn zornig an. „Aber selbst das wäre nicht schlimm! Nur wie…wie kannst du es wagen… hier… mit ihr????! Auf unserem… auf meinem Bett?!“



    „Es… ist einfach so passiert“, erwiderte Marcel achselzuckend. „Ich gebe zu, der Zeitpunkt und der Ort waren nicht der beste, aber… du weißt doch, wie das ist, wenn man frisch verliebt ist, Eileen… das war bei uns doch damals…“
    „Wag es nicht!“, schrie sie ihn an. „Wag es nicht, diese Vergleiche anzustellen und wag es noch viel weniger, von mir Verständnis für deine verliebten Gefühle zu erwarten! Wer bist du eigentlich, Marcel??? Ich dachte ja schon, ich könnte mich gar nicht noch mehr in dir täuschen, aber – Überraschung: da ist mehr drin!“



    Sie lief aufgebracht im Zimmer auf und ab. Marcel stand nun nur noch da und schwieg. Schließlich sagte er: „Es tut mir leid, Eileen, aber es nun einmal nicht mehr zu ändern. Ich ziehe mich jetzt an, packte die restlichen Kleider ein und gehe.“
    „Und vergiss nicht, das Bettzeug abzuziehen und am besten mitzunehmen! Sonst verbrenne ich es nämlich!“, rief sie ihm zornig hinterher.
    Dann wurde es still im Wohnzimmer, nur ihren eigenen schweren Atem hörte sie noch. Sie fühlte sich, als sei ihr die Kehle zugeschnürt und versuchte krampfhaft immer wieder, das eben gesehene Bild aus dem Kopf zu bekommen.



    Als sie die Geräusche gehört hatte, war sie von allem ausgegangen – einem Dieb, einem Einbrecher oder vielleicht auch doch noch Marcel, der eben noch nicht fertig war und den sie vorher nicht bemerkt hatte.
    Aber das, was sich ihr geboten hatte, als sie die Türe zum Schlafzimmer aufstieß, wäre ihr in den wildesten Träumen nicht eingefallen.
    Marcel lag mit seiner neuen Freundin fasersplitternackt im Bett und schlief.



    Das Geräusch selbst war nicht von den beiden gekommen, sondern durch zwei Bücher verursacht worden, die nacheinander von dem Stapel, den Marcel vor einen der Umzugskarton gesetzt hatte, um ihn einzupacken, gerutscht waren.
    Eileen schnaubte entsetzt auf. Die beiden hatten es tatsächlich in ihrem Bett getan!
    Das war derart unerhört und dreist und unverschämt, dass ihr sprichwörtlich die Worte fehlten.
    Bevor sie jedoch noch weiter darüber nachdenken konnte, hörte sie ein Räuspern von der Türe. Marcel stand dort, er war inzwischen wieder vollständig bekleidet.
    „Eileen, ich bin… wir sind dann fertig und würden dann fahren. Gibt … es noch irgendetwas, das wir besprechen müssen?“
    Eileen stand auf und versuchte trotz all ihrer Wut, ihrer Empörung, ihre Gedanken zu ordnen und zu Marcel in den Flur zu gehen.
    Sie wollte gerade sagen, dass sie sich noch einmal wegen der Finanzierung des Hauses besprechen mussten, als sie die Frau hinter Marcel im Flur wahr nahm.



    Ihr Herz begann ihr bis zum Hals zu schlagen und zwar so schnell und kräftig, dass ihr fast schwindelig davon wurde und es in ihren Ohren zu rauschen begann.
    Einen Moment standen sich die beiden Frauen gegenüber und starrten sich an, dann wand Bettina den Blick ab.
    Argwöhnisch musterte Eileen jene, die dafür verantwortlich war, dass ihr eigenes Leben in Scherben vor ihr lag.



    Ihre Haut war braun gebrannt und das blonde Haar fiel ihr in einem seidig glänzenden Schwanz über die Schultern. Vermutlich war sie auch um einige Jahre jünger. Das Gesicht selbst sagte Eileen nichts – was sie darauf schließen ließ, dass Bettina noch nicht lange in Marcels Firma arbeiten konnte, denn die meisten dort kannte Eileen von Betriebsausflügen und Weihnachtsfeiern.
    „Eileen?“, wollte Marcel wissen. Sie wandte den Blick von Bettina, die unbequem in eine Ecke starrte, als gäbe es dort etwas überaus Spannendes zu sehen, ab und blickte Marcel mit kalten Augen an.



    Messerscharf fuhr die Erkenntnis durch sie hindurch: Genau in diesem Moment hatte sie endgültig aufgehört, Liebe für ihn zu empfinden.
    Jetzt war da nur noch Verbitterung, Gram und so etwas wie… ja, wie Hass.
    „Hast du alles?“, fragte sie kalt und warf ihre frisch geschnittenen Haare in den Nacken.
    Marcel sah sie lange an und bedeutete Bettina dann, schon einmal vor zu gehen, was diese ohne ein weiteres Wort tat.
    „Ja“, antwortete er dann und kam ein Stück auf sie zu. „Eileen, hör mal… das mit eben tut mir leid, ich… ich glaube nicht, dass es dafür eine Entschuldigung gibt, aber… es ist eben einfach passiert und…



    „Hör auf dich zu entschuldigen“, schnitt Eileen ihm das Wort ab. „Du brauchst mir nichts zu erklären, da gibt es nichts zu erklären – die Sache erklärt sich sozusagen von selbst. Ich möchte nur eines klar machen: Ich kann dir vorerst nicht verbieten, dieses Haus noch zu betreten, denn es gehört nach wie vor uns beiden. Aber hör mir gut zu: Wenn ich noch einmal erlebe, dass du diese Frau mit in unser Haus nimmst, egal wofür und wie lang, dann wirst du das bereuen.“
    Marcel starrte sie an, als habe er einen Geist gesehen.
    „Was willst du damit sagen?“, erwiderte er dann leicht angesäuert. „Wie du selbst schon sagst, es ist auch mein Haus und ich nehme mit hinein, wen ich möchte.“
    „Nein, das tust du nicht, denn ab sofort wohnst du nicht mehr hier“, sagte Eileen bestimmt. „Ich würde dir empfehlen das zu akzeptieren, ansonsten müssen wir vielleicht doch auf dem Rechtsweg miteinander kommunizieren – wenn dir das lieber ist.“



    Sie lächelte kalt.
    Marcel schluckte und schüttelte den Kopf. „Nein – ist schon gut. Du hast ja recht.“
    Er seufzte und versuchte dann schief zu lächeln.
    „Sieht toll aus“, sagte er dann.
    Eileen sah ihn verwirrt an. „Wie bitte?“
    „Deine neue Frisur“, erwiderte er schlicht, dann hob er die Hand zum Gruß und ging zur Haustür hinaus, während Eileen ihm wie vom Donner gerührt hinterher sah.



    „Der hat doch einen Vollknall“, schnaubte sie dann. „Mir auch noch Komplimente zu machen!“
    Sie schloss die Tür hinter sich und beobachtete Marcel, wie er die letzten Kartons gemeinsam mit Bettina im Van verstaute. Dann zog er sie lächelnd an sich heran und küsste sie.
    Eileen schluckte, es fühlte sich bitte an.
    „Und dann raus und die Olle küssen!“, zischte sie. Wie konnte man sich nur jahrelang so in einem Menschen täuschen? Aber- und abermals fuhr ihr diese Frage durch den Kopf.



    Langsam ging sie die Treppen nach oben und öffnete die Türe zum Schlafzimmer, wo sie aufs Bett starrte und dann schauderte.
    Ohne weiter nachzudenken, raffte sie die Kissen und Decken zusammen und trug sie in den Hauswirtschaftsraum, wo sie direkt in die Waschmaschine und danach in den Trockner wanderten.
    Dann zog sie das Bett erst ab und bezog es dann wieder neu, saugte, wischte alle Flächen mit einem nassen Tuch ab und seufzte dann, während sie noch einmal über die frischen Laken strich.



    Erst jetzt fühlte sie sich wieder halbwegs wohl. Es erschien ihr fast, als sie das ganze Zimmer beschmutzt und immer wieder hatte sie das Gefühl, als hätten die Wände Augen, weshalb sie noch rasch die Fenster öffnete.
    Draußen war es jetzt schon dunkel. Eileen seufzte tief. Sie fühlte sich unendlich müde und erschöpft, aber es wartete noch viel Arbeit auf sie.
    Sie trat auf den kleinen Balkon vorm Schlafzimmer und starrte in den Himmel, während sie herauszufinden versuchte, was sie eigentlich gerade fühlte.



    Es war kein Schmerz, es war keine Trauer, es war nicht einmal Wut.
    Sie fühlte sich wie ausgebrannt, wie leer gesogen. Fast stumpf.
    Ja, sie fühlte sich taub und leer an, wie abgestorben.
    Gefangen in ihrer eigenen inneren Kälte.
    Schaudernd ging sie wieder in zurück ins Zimmer, schloss die Fenster und setzte sich müde aufs Bett. Morgen war auch noch ein Tag. Für heute war genug geschehen.



  • Sooo
    und hier hab ich noch Outtakes, die ich euch nicht vorenthalten wollte :)



    Nun ist die Liebe auch ganz real im Sim-Spiel zerplatzt. War nicht wirklich geplant, da ich die zwei als Liebespaar für erinnerungsszenen immer noch gebrauchen konnte. Aber als Marcel und bettina ins Bettchen hüpften, roch Eileen das selbst durch 2 Zimmerwände hindurch und kam angestürmt!




    Das Schlagen konnte ich noch verhindern, aber Marcel erlitt direkt nach dem Stelldichein mit seiner Neuen einen nervenzusammenbruch. Jaja, eigentlich ist der Gute nämlich eine treue Seele und nur von mir zum Fremdgehen vergewaltigt worden :D



    Und dann war die Verwirrung natürlich groß, was sich so äußerte


  • Hallo Innad!


    Boa, Schande über mein Haupt! Ich hab jetzt echt seit heute Vormittag alle von mir verpassten Fortsetzungen nachgelesen.. ich komm in letzter Zeit absolut zu garnicht´s mehr, dieses Forum betreffend! Bin überall nur noch am nachlesen und aufholen *schäm* Naja es kommen auch wieder andere Zeiten, nur daheim hat sich soviel geändert, dass ich dafür kaum noch Zeit habe! Trennung, Scheidung, neue Liebe, Umzug ins Eigenheim.. um nur ein paar Dinge zu nennen.. .und ich hoffe du verzeihst mir!


    Ich bin von deiner Story nach wie vor absolut begeistert! Sie ist so tiefgründig, dass ich manchmal das Gefühl habe, dass es sich um eine wahre Begebenheit handelt. Soviele Datails, die einem sonst nicht in den Sinn kommen, außer man hat sie vielleicht selbst erlebt...
    z. B. das mit der Beerdigung bzw. Trauerfeier von ungeborenen Babys... das Kinder, welche kurz vor Ende oder während der Geburt gestorben sind beerdigt werden wusste ich ja, aber auch bei recht frühen Fehlgeburten war mir z. B. nicht klar.
    Marcels verhalten kann ich auch überhaupt nicht nachvollziehen. Ich denke er hat sich mit seiner Affähre eine "heile Welt" geschaffen und das ist eskaliert. Wer weis wie es gewesen wäre, hätte sie es nicht rausgefunden! Vielleicht hätte es sich irgendwann wieder geändert, wenn sie auch aus ihrer Depression erwacht wäre/ist ... andererseits tut ihr die Trennung auch gut. Es reißt sie in die Realität zurück, macht ihr viele begreiflich!
    Toll fand ich den Part mit dem Anwalt und das darauf folgende Telefongespräch sowie das Treffen, in dem sie um Klärung bat. Es ist wichtig reinen Tisch zu machen, das weis ich aus Erfahrung!


    Das er es jetzt wagt mit seiner neuen im Ehebett zu verkehren fand ich auch mehr als dreist. Ich wäre sicherlich genauso wie Eileen ausgetickt! Das war ja mal ein total hartes Stück! Würde ich ihm auch nicht verzeihen... andersrum ist aber so wohl jetzt auch langsam der Rosenkrieg entstanden, da sie immer mehr Hass für ihn entwickelnt, wodurch sich spätere Verhandlungen sicherlich verhärten werden... es wird bestimmt noch weiter spannend bleiben!


    Was mir aber gerade noch einfällt... ich hätte mit einem männlichen Anwalt gerechnet, mit dem sie dann irgendwann auch die wahre Liebe findet *kicher* so wie in machem Hollywoodfilm ^^ Hätte was gehabt... :O) Weil unglücklich soll sie nicht bleiben.. aber wo ist ihr Mr. Right???


    Freue mich auf die Fortsetzung und hoffe sie diesmal nicht wieder Monate später lesen zu können... nochmal sorry...

    [CENTER][COLOR="White"]Bussi @all Kiara :wink
    ***************[/CENTER][/COLOR]




    [CENTER][SIZE="1"][COLOR="Sienna"]P.S. Für Rehctshcbriefleher wird kiene Hatufng übrnemoemn! *g*[/COLOR][/SIZE][/CENTER]

  • So, hat das olle Gewitter mir doch gestern einen Strich durch die Rechner gemacht und mich vom Rechner vertrieben. Aber was soll's. Wozu ist ein freier Vormittag sonst gut.


    Erstmal was generelles muss ich loswerden. Eileens Entwicklung gefällt mir. Dass sie sich anfangs in ihrem Schmerz über die Trennung aus heiterem Himmel vergraben und gehen lassen hat, das verstehe ich voll und ganz. Ich versuch mir lieber nicht vorzustellen, wie es mir in einer solchen Situation gehen würde. So einen Absturz aus den rosaroten Wolken verkraftet man nicht einfach so, selbst wenn die Lage angespannt war durch die Fehlgeburt.
    Allerdings und das ist das zweite generelle, sehe ich meine Befürchtungen hinsichtlich Marcel voll und ganz bestätigt, leider. Er ist ein rückratloses A.....(Ich denke es ist klar, welches Wort hierhin gehört, ich beherrsche mich nur, was bezüglich dieses Kerls nicht so ganz leicht ist).
    Ich gehöre eigentlich nicht unbedingt zu denen, die gleich A...schreien, wenn jemand ne Affäre hat obwohl verheiratet. Was nicht heißt, ich würde sowas toll finden. Im Gegenteil. Das wichigste in einer Ehe sind doch Vertrauen und gegenseitiger Respekt, abgesehen von der Liebe, über deren essentielle Bedeutung niemand debattieren muss. Und an beidem mangelt es Marcel und zwar gewaltig.
    Es gibt keine Garantien in der Liebe, nicht dafür, dass man sie findet, noch dafür, dass sie bestehen bleibt auf Dauer. Wenn man erstmal eine gescheiterte Beziehung ob mit oder Trauschein hinter sich hat, sollte einem sowas klar sein. Aber wenn die Liebe schon geht oder sich einem anderen zuwendet, dann muss man schon verdammt noch mal den Mut haben, es seinem Partner zu sagen, statt ihn monatelang zu hintergehen, und wenn die Situation zehnmal schrecklich war durch den Tod des Ungeborenen und Elieens Rückzug in sich selbst. Wer weiß, vielleicht hätte ein offenes Wort in dieser Sache das Mädchen eher wachgerüttelt, dass man die Beziehung obwohl angeknackst doch noch hätte retten können.
    Aber Marcel scheint vor allem eines nicht zu können, sich mit Problemen auseinander zu setzen, bzw, mit den Konsequenzen seiner eigenen Handlungen. Ich gewinne mehr und mehr den Eindruck, dass er einer von denen ist, die sich gern an allem, was ihnen nicht behagt oder sie in ihrer Bequemlichkeit stört, vorbeizujonglieren. Durchs Leben gehen mit so wenig wie möglich Anstrengungen, alles mitnehmen, was man so an Annehmlichkeiten kriegen kann, aber Probleme so lange ignorieren, wie es geht, in der Hoffnung, sie lösen sich von allein, durch andere Personen, oder verschwinden einfach. Toll!
    Vor der Fehlgeburt hatten sie sicher ein recht angenehmes und von Problemen jeglicher Art recht freies Leben, jedenfalls scheint es mir so, wenn ich mir die Rückblenden so ansehe. Gemütliches Miteinander, wie diese Samstage, die Höhepunkte der Woche. Es war, könnte ich mir vorstellen, eine recht bequeme Ehe. Sie haben sich gut verstanden, im Bett war es bestimmt auch erfüllend, wer braucht da eine Geliebte, die schafft für gewöhnlich auch nur Probleme. So lange das Leben rosarot und schön ist, ist eine Affäre nicht nötig.
    Aber dann kommt der große Hammer und aus der beschaulichen Ehe wird ein Problemfall und den Rest sieht man nun.
    Ich meine mich zu erinnern, dass jemand in einem Kommi geschrieben hat, eine heulende und weinende Eileen wäre ihm lästig. Nun, ich denke, das ist vollkommen richtig. Ich will vielleicht nicht gleich soweit gehen, ihn als Schwächling zu bezeichnen, obwohl wie ich zugeben muss, dass ich kurz davor bin, aber ich denke, dass er tatsächlich schwach genug ist in seinem Charakter, dass er mit der Schwäche eines anderen, die noch dazu durch ihn verursacht wird, nicht umgehen kann. Was ihn anzieht ist Stärke. Das merkt man immer wieder. Wie bei dem so lange überfälligen Gespräch mit Eileen über die Zukunft. Schätze mal, der gute Junge hat das große Staunen bekommen, wie stark seine ach so schwach scheinende Noch-Ehefrau auf einmal war. Dass sie ihm da auf einmal ruhig und ich möchte ein weiteres Wort aus einem Kommi übernehmen, überlegen gegenübersaß und ihm einfach so aufzählen konnte, was sie alles zu klären hätten und das "Wie" auch gleich noch hinterher schob, mit so was hat er nicht gerechnet. Die Ruhe und Bestimmtheit, mit der sie ihre Forderungen vorgebracht hat, haben mir sehr gut gefallen. Es muss sie enorm viel gekostet haben, das hat man ja bei dem kleinen Zusammenbruch hinterher gemerkt, aber es war gut, und es war notwendig und man fühlt sich richtig stolz auf sie. Denn es ist doch für sie ein so wichtiger Schritt in die richtige Richtung gewesen.
    Ich denke, Marcel ist sich nie wirklich über seine Frau und ihr wahres Potenzial klar geworden, sie sich wahrscheinlich auch nicht. Und ja, vielleicht hat er seine Frau an diesem Tag mal mit ganz anderen Augen betrachten können. Diese kleinen plötzlichen Anwandlungen von Freundlichkeit, die Eileen doch wieder an ihre glücklichen Tage erinnern, die könnten durchaus ein Zeichen dafür sein, dass er sich vielleicht nicht ganz so sicher bei seiner Wahl fühlt oder vielleicht auch nur kurzzeitig etwas ins Wanken geraten ist.


    Aber zurück zum Thema Vertrauen und Respekt. Von Ehrlichkeit hielt er ja nun nicht besonders viel. Ihr nichts von seiner Affäre zu sagen, das war schlichtweg feige. Aber nun ja, er ist nicht der erste und er wird nicht der letzte sein, der sowas tut und vielleicht kann er sich auch wirklich damit herausreden, dass sie viel zu tief in ihrem Schmerz vergraben war, um etwas anderes um sich herum wahrzunehmen. Es kann sein! Muss nicht, aber wir wollen ja fair bleiben.
    Aber: was er sich da eben geleistet hat, das ist schlichtweg das Letzte!
    Erstmal der Fakt an sich, dass er es tatsächlich fertigbringt, während er seine Sachen einräumt, um auszuziehen, seine neue Freundin zu vernaschen, im ehemaligen Ehebett! Also hallo! Und dann kommt er mit der oberlahmen Entschuldiung, es wäre einfach passiert??? Nichts gegen die Leidenschaft einer doch recht neuen Beziehung, aber wie charakterlos, wie unglaublich unsensibel muss man denn sein, um sowas zu tun? Ich stelle mir vor, wie ich mich fühlen würde, wenn ich meine Sachen aus meinem ehemaligen Heim ausräumen würde, damit einen doch recht deutlichen Schlussstrich unter eine alte Beziehung setze, etwas aufgebe, das mir doch kostbar gewesen war, in der Vergangenheit. Das ist im Grunde doch eine traurige Situation, da denke ich doch nicht an SEX. Dass seine Neue mitgekommen ist, um ihm zu helfen, dass er schneller fertig wird und vielleicht auch, um ihn moralisch zu unterstützen, ok, damit kann jeder leben, aber DAS?
    Sorry, Mädchen (und ich meine Bettina, nur um das ganz klar zu stellen), wenn ich dir damit zu nahe trete, aber es wirft ein verdammt schlechtes Licht auf dich selbst, was du da abgezogen hast. Ich weiß ja nicht, wer da wen zuerst angegraben hat während der Aufräumaktion, aber wenn du es warst, dann verdienst du es wahrhaftig, dass der Kerl dich beim ersten Problem genauso sitzen lässt, und wenn er es war, nun, dann frag ich mich ernsthaft, wieso du nicht den Verstand besessen hast, ihm einen Vogel zu zeigen und ihn zu fragen, ob er noch ganz dicht ist!
    Es zeugt jedenfalls von mehr als nur mangelndem Respekt der beiden gegenüber Eileen, dass sie es fertig gebracht haben, diesen Mist abzuziehen.
    Selbst der Kuss vor dem Haus war einfach unnötig und unangebracht. Himmel, da platzt einem der Kragen, obwohl ich es doch nun schon mehrmals gelesen habe, aber ich bin doch jedesmal wieder auf hundertachtzig.


    Ich weiß noch, dass ich mir anfangs gewünscht habe, dass die beiden am Ende doch wieder zu einander finden. Gereift durch ihre Erfahrungen und dadurch beide stärker. So was soll es ja geben, auch im wirklichen Leben. Wenn man sich seinen Fehlern stellt und sie verarbeitet, daraus lernt. Einsieht, dass beide vieles falsch gemacht, das Gute als zu selbstverständlich hingenommen und das Schlechte jeder für sich auf die eigene Weise gehandhabt haben.
    Im Augenblick scheint es mir allerdings, als wäre der Einzige, der aus dieser Situation wirklich etwas lernt und daraus am Ende vielleicht wirklich gestärkt hervorgehen wird, Eileen ist.
    Und genau jetzt, in diesem Moment scheint mir eine weitere oder neuerliche Ehe mit Marcel in keinster Weise erstrebenswert für sie zu sein.
    Denn Marcel tritt auf der Stelle. Ausreden und lahme Entschuldigungen, von den Folgen seines eigenen Tuns immer wieder überrascht, ist er in meinen Augen nicht unbedingt der Mann, den Eileen eigentlich verdienen würde.
    Vielleicht ist das eine sehr harte Einstellung, aber vielleicht hat Eileen einfach nur recht, wenn sie sagt, dass sie ihn nie wirklich als den Mann gekannt hat, der er im Inneren wirklich ist.
    Vielleicht sollte sie die Scheidung durchziehen und nach dem Mann Ausschau halten, der sie wirklich zu schätzen weiß.
    Ich gebe meiner Hoffnung Ausdruck, dass sie, egal, was kommen mag, trotz gelegentlicher Rückschläge und schwerer bis schwerster nervlicher und wohl auch finanzieller und emotionaler Belastung ihre neugewonnene Stärke nicht verliert.


    Ich glaube, ich habe es schon mal gesagt, dass mich der Realismus dieser Geschichte manchmal regelrecht erschreckt. Trotzdem kommt man vom Lesen nicht los. Dafür setzt du es einfach viel zu gut um, mit den Bildern genauso wie mit dem Text. (Ich hab übrigens gar nichts dagegen, wenn eine Fortsetzung mal länger wird, ich lese gern mal mehr :)
    Und diese Geschichte hat einen durchaus positiven Nebeneffekt. Man ist doch jedes Mal dankbar für die eigene glückliche Ehe und wird sich dessen bewusst, was man an ihr hat.


    Das soll's für heute gewesen sein, verzeih den Roman, aber ich hatte ja so einiges nachzuholen und wenn die Gedanken einmal laufen, dann ist es schwer sie zu bremsen.
    Liebe Grüße
    Nery

  • Liebe Kiara,
    ich freue mich wahnsinnig, dass Du mit dabei bist! Es tut mir leid, dass Dein Leben das letzte Jahr so chaotisch und anstrengend war, und da ist es doch ganz klar, dass die eher unwichtigen und kleinen Dinge - wie das Forum zum Beispiel - total wegfallen! Also bitte, Du brauchst Dich nicht entschuldigen!
    Deinen Kommi fand ich sehr interessant. Ja, das stimmt, marcel hat sich sicherlich eine heile Welt mit der Affäre geschaffen. Vielleicht weil ihm alles andere einfach zu viel war, wie auch immer. Und Eileen war alleine in ihrer Trauer, die er nicht verstehen konnte und wollte. Und so haben sie sich wohl entfremdet.
    Einige der Details kenne ich (heute) natürlich durch meinen eigenen Bezug. Wie gesagt, als ich die Story zu schreiben anfing, das war 2007 und ich kam bis 2008 so ca. bis zum dem Punkt, wo Eileen sich mit Marcel ausgesprochen hat, viel weiter bin ich nicht gekommen. Und dann habe ich ja selbst einen noch weiteren Bezug zu der Thematik Kindesverlust bekommen und gerade das Detail, das Du ansprichst, weiß ich u.a. von daher, da ich in diesem Bereich auch sehr ehrenamtlich unterwegs bin seitdem.
    Also, das muss Dich nicht wundern :)
    Ansonsten - neee, neee, kein männlicher Anwalt :D extra nicht! Ob sie ihren Mr. Right wiederfindet? Wir alle würden es ihr wünschen, sicherlich, aber zurzeit ist sie wohl noch dabei, die alte Beziehung zu überwinden. Im heutigen Kapitel merkt man auch einmal, wie "wenig" Zeit in der Geschichte erst vergangen ist, dazu gibt es einen Hinweis.
    Aber, es gibt auch eine angedeutete Wende in der heutigen Fortsetzung. Ja, auf Eileen werden noch einige spannende Veränderungen warten *gg* und auch Euch auch!



    @Nery: wow, was für ein Kommi!
    Ja, es ist wohl wirklich so, dass die Meinung über Marcel auf das Wörtchen mit "A" am Anfang und "och" am Ende fällt. Noch hat sich ja nicht viel anderes herauskristallisiert. Aber ich denke, DU triffst den Nagel schon auf den Kopf. Vor der Fehlgeburt war die Ehe und Beziehung sicherlich eher unkompliziert, vielleicht war das die erste größere Prüfung für beide und sie haben einfach keinen gemeinsamen Weg gefunden.
    Zudem muss man sich natürlich auch klar machen, dass Marcel in dem Augenblick, in dem er sich zur Affäre entschied, auch ein Stückweit schon mit Eileen abgeschlossen hatte. Anders geht das ja gar nicht wirklich.
    Und es stimmt auch, die "starke" Eileen beeindruckt hin. Vielleicht ist es so wie Julsfels damals schrieb, und er bekommt dabei wieder Balzanwandlungen, weil es ihm eine neue, aufregende Seite von ihr zeigt.


    Ob die ehe noch zu retten ist... schwierig, schwierig, ich lasse es mal offen. Und ja, dass er mit seiner neuen Freundin im Haus geschlafen hat, ist wirklich der Hammer. Das zeigt aber auch noch einmal seine Sorglosigkeit. Er macht sich nicht wirklich viel Gedanken über die Konsequenzen. Lebt im Hier und Jetzt.


    Vielen Dank, dass Du die Story so magst und so voller Lobes bist. Ich werde ja ganz rot :heppy





    Zur nächsten Fortsetzung empfiehlt es sich, das hier anzuhören :D


    http://www.youtube.com/watch?v=mLNnlg_vddw

  • 23.

    Lene starrte Eileen an, als habe diese den Verstand verloren.
    „Er hat… was?!“


    Eileen nickte.
    „Ja, du hast ganz richtig gehört.“
    „Also, also, das ist ja un-er-hört!“, rief Lene aufgebracht aus und schlug mit Wucht auf den Tresen, so dass der mürrische Barmann, der gerade dabei war, Tequila in einige Gläser zu schütten, zusammenschreckte und ihr dann einen böse funkelnden Blick zuwarf.
    „Du musst das deiner Anwältin mitteilen! Sie wird diesen … diesen… Möchtegern-Gigolo in… in Grund und Boden stampfen!!!“, rief Lene weiter aus und sah Eileen funkelnd an, ihr Gesicht war ganz rot geworden vor Wut.
    Doch Eileen winkte ab.



    „Was soll das bringen? Es gibt kein Gesetz, das ihm verbietet, in seinem eigenen Haus mit seiner neuen Partnerin … du weißt schon…“
    Lene biss sich auf die Lippen, dachte einen Moment nach und rief dann aus: „Ich bin mir da nicht so sicher! Vielleicht gilt es als eine Art seelischer Grausamkeit? Oder…“, sie dachte weiter nach und verkündete dann mit sich überschlagender Stimme: „Ich hab´s! Ich hab´s! Unzucht!“



    Eileen musste trotz der eigentlich wenig amüsanten Situation lachen. „Unzucht? Lene, wir sind nicht im Mittelalter! Und abgesehen davon wäre es wohl nur Unzucht, wenn die beiden es auf dem Marktplatz getan hätten und nicht in ihrem eigenen Schlafzimmer.“
    „In deinem! In deinem Schlafzimmer!“
    „Ja, in meinem, aber rein rechtlich gesehen in unserem.“
    Eileen seufzte. „Ich sollte vielleicht wirklich bald versuchen, aus dem Haus auszuziehen. Was meinst du?“



    Lene zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es nicht, Eileen. So einfach wird das alles ja nicht, oder? Du kannst wohl kaum die Raten abbezahlen und dir eine Wohnung leisten, oder?“
    Eileen schüttelte den Kopf. „Ich denke nicht. Ich muss offen zugeben, dass ich noch nicht ganz dazu gekommen bin, alles haarklein durchzurechnen. Ich meine, ich weiß schon, wie unsere Belastungen sind, aber so lange Marcel mir nicht sagt, wie viel er dazugeben wird…“
    Lene unterbrach sie: „Eileen, ich sage dir das nur ungern, aber ich finde, darauf solltest du nicht mehr warten. Mach Nägel mit Köpfen und gehe gerichtlich gegen ihn vor.“



    Eileen aber schüttelte den Kopf.
    „Noch nicht, Lene. Selbst meine Anwältin sagte, ich solle es erst einmal auf dem guten Weg versuchen und mit einer normalen Kommunikation. Und weißt du, es ist ja auch alles noch relativ frisch. Schau mal, es ist erst drei Wochen her, seit Marcel gegangen ist. Noch vor einer Woche habe ich selbst überhaupt nicht begriffen, was los war, erinnerst du dich? Es ist alles so wahnsinnig schnell gegangen.“
    Sie seufzte. „Ich brauche selbst noch ein bisschen Zeit.“



    Marlene nickte und strich ihr über den Rücken.
    „Ja, das kann ich verstehen. Weißt du, es ist so viel geschehen in dieser knappen einen Woche, seit ich bei dir vor der Tür stand, dass es mir vorkommt, als seien schon Monate vergangen. Wahrscheinlich bin ich dem ganzen deswegen immer einige Schritte voraus.“



    Sie nippte an ihrem Getränk, während Eileen nickte.
    „Ja, mir geht es genauso. Wenn ich mir überlege, dass wir heute vor einem Monat praktisch noch alle vier zusammen ausgegangen sind, dass mein Leben mehr oder minder ganz normal war, erscheint es mir wie ein verrückter Traum. Ich meine, das kann doch nicht erst einen Monat her sein, oder? Es kommt mir vor, als sei seitdem ein halbes Leben an mir vorbei gezogen.“
    Lene zuckte die Schultern. „Vielleicht ist das ja auch so“, erwiderte sie dann.
    Eine Weile schwiegen beide, bis jemand hinter ihnen an das Mikrofon trat und sagte: „So, und heute findet unser allwöchentlicher Karaoke-Abend statt. Wer hat Lust, mit zu machen?“
    Marlene klatschte in die Hände und Eileen seufzte. Marlene liebte Karaoke, war geradezu süchtig danach. Wie hatte sie nur vergessen können, dass heute Sonntag war und in einer ihrer liebsten Bars von zehn bis zwölf Uhr Karaoke-Singen statt fand?
    Wieder einmal wurde Eileen klar, wie schlecht ihr Zeitgefühl geworden war.
    „Nein, vergiss es, Lene“, sagte sie übellaunig. „Wenn mir heute nach allem ist, dann nicht nach Karaoke. Wir sollten lieber zahlen und gehen, es ist auch schon spät und…“
    „Ach komm, Eileeeeeen! Bitte, bitte, bitte – nur ein winzig kleiner Song!“



    Eileen seufze ergeben. „Na gut, wenn du meinst…“
    „Was magst du singen?“
    „Ich?!“ Eileen verschluckte sich fast vor Schreck an ihrem Getränk. „Ich will gar nichts singen! Wenn mir heute nach allem ist, nur nicht nach Singen!“
    „Ach komm schon, das hilft dir vielleicht, deine Aggressionen los zu werden!“, schlug Lene vor-


    Sie wartete kaum eine Antwort ab, sprang vom Stuhl und verschwand. Eileen kratzte sich am Kopf. „Diese Frau macht mich wahnsinnig!“, murmelte sie, woraufhin der Barkeeper ihr einen Blick zuwarf, der fast „nicht nur dich“ hätte bedeuten können.
    Nur wenige Sekunden später tauchte Marlene wieder auf und nahm zufrieden grinsend auf dem Barhocker platz.
    „Wo warst du?“, zischte Eileen ihr zu, doch Marlene macht nur „schhhh“ und schenkte ihre ganze Aufmerksamkeit dem Moderator des Abends, der nun ans Mikrofon trat und ankündigte: „Und hier haben wir heute unsere erste Interpretin des Abends – Eileen singt für uns *Zu spät* von den Ärzten!!“



    Die Besucher klatschten und Eileen verschluckte sich vor Schreck an ihrem Cocktail
    „Lene… du…. du … ich….!“, zischte sie ihrer Freundin zu, die sie grinsend vom Barhocker bugsierte und in Richtung Mikrofon schob.
    Eileen wäre am liebsten im Erdboden versunken!
    Puderrot versuchte sie, die neugierigen Blicke der Gäste zu ignorieren. Ihr war klar, dass es jetzt kein Zurück mehr gab, und obwohl sie Lene am liebsten gevierteilt hätte, griff sie tapfer nach dem Mikrofon und heftete ihren Blick auf den Bildschirm, während die ersten Akkorde des Liedes aus den Boxen dröhnten.
    Warum hast du mir das angetan? Ich hab’s von einem Bekannten erfahren: Du hast jetzt einen neuen Freund“, sang sie mit noch schüchterner Stimme, die von der gedämpften Hintergrundstimme des eigentlichen Sängers Bela fast übertönt wurde.



    Dann fing sich ihre Stimme langsam und die Bedeutung des Textes ergriff Besitz von ihr und mit lauterer Stimme sang sie: „Zwei Wochen lang hab ich nur geweint!
    Jetzt schaust du weg, grüßt mich nicht mehr, und ich lieb dich immer noch so sehr! Ich weiß, was dir an ihm gefällt: Ich bin arm und er hat Geld! Du liebst ihn nur, weil er ein Auto hat,
    und nicht wie ich ein klappriges Damenrad!
    Aus den Boxen dröhnten die heftigen Schlagzeugbeats der aufgepeppten Karaokeversion des Klassikers und Eileen musste grinsen und spürte, wie sie ein Kribbeln erfasste, während sie mit lauter und klarer Stimme sang:
    Doch eines Tages werd' ich mich rächen, ich werd die Herzen aller Mädchen brechen.
    Dann bin ich ein Star, der in der Zeitung steht, und dann tut es dir leid, doch dann ist es zu spät! Zu spät, zu späääät, Zu spät, zu späääät, Zu spät, zu späääät, doch dann ist es zu spät. Zu spät, zu späääät!! Dann ist alles viel zu spät!“



    Sie grinste Lene zu, die lachend aufstand und wie viele andere Gäste freudig in die Hände klatschte.
    Eileen spürte sie wieder, die heilende Wut, die in ihr aufstieg und sang weiter:
    Du bist mit ihm im Theater gewesen, ich hab dir nur Fix und Foxi vorgelesen.
    Du warst mit ihm essen, natürlich im Ritz, bei mir gab’s nur Currywurst mit Pommes frites!
    Der Gedanke bringt mich ins Grab!Er kriegt das, was ich nicht hab!“
    Oh ja, sie hätte das haben sollen – sie hätte diejenige sein sollen, die sich mit Marcel an einem regnerischen Samstagnachmittag im Bett wälzte. Sie hatte es verdient, geliebt und bewundert zu werden! Und nicht diese… andere!!!
    Die Wut bahnte sich ihren Weg in ihrer Stimme, mit voller Kraft sang sie weiter:
    „Ich hasse sie, wenn es das gibt, so wie ich dich vorher geliebt!!“



    Lene hüpfte jetzt auf und ab und Eileen lachte so laut auf, dass sie einige Wörter des Textes verschluckte, die Gäste fanden das jedoch nicht weiter schlimm und lachten einfach klatschend mit.
    Fast schon aggressiv und doch auf ihre Weise freudig sang Eileen sich weiter durch das Lied, bis der letzte Akkord aus der Box dröhnte.
    Verschwitzt und mit rotem Gesicht gab sie dem Moderator das Mikrofon zurück und ging lachend und unter dem Applaus der versammelten Gästeschar zu ihrem Platz zurück.
    „Und? Und?! Fühlst du dich besser?!“, fragte Lene grinsend.



    „Sei froh, dass ich meine Aggression gerade in das Lied gepackt habe und nicht an dir auslasse!“, gab Eileen zwinkernd zurück. Lene lachte laut auf, sagte jedoch nichts dazu.
    „Ich bin völlig fertig, ich muss mal auf die Toilette!“, rief Eileen schnell und Marlene nickte.
    Rasch rutschte sie vom Barhocker, ihr Rock klebte am Nylon der Strümpfe und sie wischte sich den Schweiß aus dem Gesicht. Das war anstrengend gewesen!
    Schnell machte sie sich auf den Weg zur Toilette, wo sie sich ein wenig erfrischte.


    Kaum war sie aus der Türe stieß sie jedoch hart mit jemandem zusammen, der gerade in die Männertoilette gehen wollte.
    „Autsch!“, entfuhr ihr, denn sie rammte sich den Ellenbogen des anderen mit Wucht in die Rippen.



    „Entschuldigen Sie!“, sagte eine warme, männliche Stimme. „Ist alles okay?“
    Eileen sah auf und erblickte ein Paar unglaublich blau funkelnder Augen, das sie freundlich musterte.
    „Oh… ich… ja, kein Problem!“, erwiderte sie rasch und trat einen Schritt zurück, um ihr Gegenüber besser im gedämpften Licht sehen zu können.
    „Haben Sie sich weh getan?“, der Mann blickte sie freundlich an.
    „Nein, nein – Sie hoffentlich auch nicht?“ Eileen lächelte verlegen. „Ich bin wohl zu schnell um die Ecke gesaust!“



    „Vermutlich ist das noch Rest-Energie aus ihrem sagenhaften Auftritt“, sagte die weiche, aber tiefe Stimme und der Mann lächelte freundlich. „Ich muss sagen, ich habe selten jemandem dieses Lied derart abgekauft wie Ihnen!“
    Eileen lachte leise. „Ja, das kann ich mir gut vorstellen. Ich hoffe, ich habe Sie und die anderen Gäste damit nicht zu sehr schockiert.“
    „Ganz und gar nicht“, lachte der Mann.
    Eileen lächelte wieder und fühlte sich plötzlich nervös. „Ja… dann… entschuldigen Sie nochmals“, sagte sie rasch. Der Mann nickte und verschwand hinter der Tür zu den Toiletten.
    Als Eileen weitergehen wollte, merkte sie, dass ihre Beine sich seltsam weich anfühlten.



    Sie war froh, als sie den Barhocker wieder erreicht hatte und Platz nehmen konnte.
    „Du warst lange weg!“, sagte Marlene vorwurfsvoll. „Du hast meinen ganzen Auftritt auf der Toilette verbracht. Alles in Ordnung mit dir? Du siehst aus, als hättest du einen Geist gesehen.“


    Eileen schaute auf. „Was? Nein… ich… du sag mal, wollen wir dann gehen?“
    Sie warf einen Blick auf die Uhr. „Es ist schon fast halb elf und wir müssen morgen früh raus.“
    Lene nickte. „Ja, ich hab schon bezahlt, weil ich auch müde bin. Geht´s dir gut?“
    Eileen nickte und versuchte, das verwirrend-kribbelnde Gefühl in sich zu verdrängen, während sie sich vom Barhocker gleiten ließ.
    „Ja, alles okay. Lass uns gehen.“
    Doch als sie die Bar verließ, konnte sie nicht umhin sich dabei zu ertappen, wie sie sich noch einmal suchend umschaute, als die Tür hinter ihr zufiel.



    Fortsetzung folgt.

  • Outtakes :D



    Alle sind neue auf dem Bar-Grundstück eingezogen und der freie Wille war noch an - kaum kuckt man mal eine Minute nicht hin, machen die ein Happening daraus ;)



    Die vielen Getränkedosen ließen meine Statisten regelmäßig verzweifeln:



    Hier der Beweis, dass der Barmann WIRKLICH nicht mit Marlene konnte:



    Hui, die Begegnung mit dem unbekannten Mann war wirklich aufregend :D und ver-rückt für beide!




    Nein, der Barmann ist wirklich kein sonniges Gemüt




    Hui, Eileen SO sollte man mit Rock nicht auf einen Stuhl steigen (den Barmann regt es offenbar auch auf oder sinnt er immer noch darüber nach, wie er Marlene beseitigen kann?)



    Man achte auf die ältere Dame, die am Tisch steht - sie war wohl nicht sehr erquickt von Eileens Gesang :D