Dornen des Glücks - oder: Rosen der Liebe 2

  • Maida nahm mich in den Arm. "Ach kleine Maus, wein doch nicht. Ich weiß ja, dass alles schei*e ist momentan, aber auch du wirst irgendwann ne richtige Arbeit finden die dir Spaß macht." Ich schüttelte den Kopf. "Nein, du verstehst das nicht. Es ist nicht nur die Arbeit. Ich weiß einfach nicht mehr, wofür ich noch auf der Welt bin. Ich habe keinen Spaß mehr daran." Sie sah mich zweifelnd an. "Wir müssen eine Lösung für dich finden..." Sie küsste mich auf den Mund. "Alles wird gut."


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    Ihr Freund sah uns ein wenig skeptisch zu, dann mussten wir alle lachen. Dann setzten wir uns wieder an den Tisch und aßen weiter. "Ich hab da eine Idee.", sagte Maida plötzlich. "Wie wärs, wenn du ein soziales Jahr machst, um dich ein bisschen in der Berufswelt zu orientieren?" Ich hatte schon von diesem sozialen Jahr gehört. Es wurde zur Zeit allen Jugendlichen ohne Ausbildung angeboten. Vielen brachte es was. "Und wo soll ich das machen?" Maida dachte kurz nach. "Eine Freundin von mir sucht ein Kindermädchen, und zwar rund um die Uhr. Ihr Sohn geht mit meiner Kleinen in die Krabbelgruppe, und sie ist momentan wieder schwanger. Sie bräuchte jemanden, der sie Vollzeit unterstützt. Am Besten ist es, ich ruf sie gleich mal an!" Das tat Maida dann auch, und das Gespräch war sehr vielversprechend.




    "Sie will dich gerne kennenlernen.", sagte Maida nach dem Gespräch.

  • Hi Moni!


    Schön, dass du dich entschlossen hast, mal wieder eine Fotostory zu beginnen. Ich war schon ein stiller Leser von "Rosen der Liebe" und auch deiner anderen Fotostorys.


    Miranda hat es ja nicht einfach...
    Muss mit Vorurteilen und Familienintrigen kämpfen...


    Ich frage mich ernsthaft, was da zwischen Berta und Mirandas Familie passiert ist.
    Es ist schwer zu glauben, dass sie nur wegen der Erbangelegeheiten so biestig ist.
    Wie sie Miranda behandelt, ist nicht richtig.
    Zwar ist ein wenig Strenge gesund, aber nicht verbunden mit solcher Unbarmherzigkeit und Beschimpfungen. Pfui.


    Nichts gegen den Berufsstand der Köche, diese Leute arbeiten viel und hart und müssen echt gut sein, wenn sie es zu etwas bringen wollen, aber eine Perspektive für ein Mädchen, das nicht für sein Leben gern kocht und es nur tut, weil "eine Frau das können muss", ist es nicht.


    Dein Schreibstil ist schön und deine Bilder gut getroffen.
    Mach weiter so!


    Grüße


    Appolonia

  • Hey Moni,

    hab mir alles mal durchgelesen und es ist echt toll. Gratuliere.

    Mir gefallen deine Bilder sehr gut und dein Text ist ziemlich gefühlvoll geschrieben ;D
    Arme Miranda, sie hat ziemlich viel zu schlucken.
    Jetzt hat diese dämliche Tante ihr auch noch das Abi ruiniert, die ist ja echt unmenschlich.
    Bestimmt steckt da irgendwas dahinter und wie Appolonia schon sagte, da geht es bestimmt nicht nur um Erbe.

    Bravo, echt toll gemacht und GRatulation zur Verlobung
    Lg Williwaw

    Lesen bannt alle Gefahren, ausser der Gefahr in der Geschichte zu versinken, aber das ist ja wohl mehr ein Segen.

  • Erst mal vielen Dank an die Kommi-Schreiber! Ist wirklich seeeehr aufbauend, zu sehen, dass Leute die Story auch gut finden!
    @ Appolonia: Was hinter dem ganzen Wirr-Warr steckt, werdet ihr noch erfahren! Und glaubt mir, ihr werdet überrascht sein! Mehr verrat ich aber noch nicht! Und danke für dein Lob, hab mich sehr gefreut, einen Leser von Rosen der Liebe wieder zu finden :)


    @Willwaw: Auch dir vielen Dank! Auch du lobst mich und meinen Schreibstil, was für mich Balsam auf der Seele ist! Ich freue mich, so etwas zu lesen, wobei ich auch über Kritik nicht enttäuscht bin.


    An alle Thank-You-Giver! Auch euch vielen Dank, und selbstverständlich auch den stillen Lesern! Zur "Belohung" gibts auch gleich noch zu später Stunde eine Fortsetzung! Viel Spaß!


  • "Waaaas? Haha! Du dummes kleines Kind! Dann geh doch! Na los, geh doch!" Sie schrie so laut, dass ich mir fast die Ohren zuhalten musste. Von wem ich spreche? Oh, ich vergaß. Von der Wirtin. Nachdem ich ihr erklärt hatte, dass ich eine neue Stelle antreten würde, war sie außer sich vor Wut, wollte sich das aber nicht ankennen lassen. Deshalb lachte sie mich nun aus.

    Sie verzog ihr Gesicht zu einer hässlichen Fratze. "Schau, dass du weg kommst von hier. Ab morgen ist unsere Tür für dich verschlossen!" Das kam nun doch ein bisschen überraschend. So eine Reaktion hätte ich selbst von dieser Frau nicht erwartet.



    Am Dienstag war ich bei Familie Meisner zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen gewesen. Schon vor dem Haus wurde mir etwas mulmig. Nicht nur, dass Till sich hier herumtrieb, war der erste Schock für mich. Dies war nicht einfach nur ein Haus, dies war eine richtige Villa.




    Ich fragte mich wirklich, woher meine Schwester solche Leute kannte, war aber zugleich davon überzeugt, dass sie mich niemals einstellen würden. Nicht ein einfaches Sintimädchen wie mich. Nach einem kurzen Gespräch mit Till entschloss ich mich, es doch zu versuchen, und klingelte.
    Eine junge Frau öffnete mir die Türe. Sie hatte ein freundliches Lächeln auf den Lippen und bat mich hinein. "Du musst also Miranda sein." Ich stellte mich kurz vor, und da stellte auch sie sich vor. "Mein Name ist Tanja. Ich bin die Mutter hier im Haus." Sie streichelte sich kurz über ihren schlanken Bauch. "Und hier drin wächst vielleicht gerade deine neue Arbeit." Sie grinste, und ich fühlte mich sofort wohl. "Ich bin erst im dritten Monat, aber ich liebe dieses Kind schon jetzt." Diese Frau strahlte so viel Liebe aus, die ich schon so lange vermisst hatte. Am liebsten wäre ich ihr einfach um den Hals gefallen und hätte sie angefleht, bitte hier bleiben zu dürfen. Doch natürlich unterdrückte ich diesen Wunsch. Sie bat mich in das erste Zimmer, anscheinend ein Bücher- oder Esszimmer. Ein Mann saß am Tisch.



    Als ich herein kam, legte er sein Buch zur Seite und sah mich interessiert vor. Auch ihm stellte ich mich vor. Und er sich mir. "Ich bin Marius, aber alle sagen einfach nur Marie, so wie der Frauenname." Auch er war mir auf Anhieb sympathisch.




    "Was wir brauchen, ist ein junges, agiles Mädchen, welches sich um unsere Kinder kümmern kann.", sagte Marie später in unserem "Vorstellungsgespräch". Er sah mir dabei tief in die Augen. "Wir wollen keine Discotorte, aber auch keine graue Maus. Einfach ein richtig nettes, aufgewecktes junges Mädchen. In dir scheint mir sehr viel Temperament zu schlummern." Wie recht er doch hatte, dachte ich. Am liebsten wäre ich den ganzen Tag über draußen gewesen, so wie damals in der Wohnwagensiedlung. Das waren noch Zeiten!
    "Wir mögen auch keine Stubenhocker. Unsere Kinder sollen viel Zeit draußen an der frischen Luft verbringen." Dann durfte ich den kleinen Dean-Lewis kennen lernen. Ein wirklich putziges kleines Kerlchen.




    Irgendwie habe ich ihm wohl auch auf Anhieb gefallen, denn sofort brabbelte er mir etwas vor und wollte, dass ich mit ihm spiele. Ich gab mein bestes und schon bald wich mir der kleine Mann nicht mehr von der Seite.

  • Ich weiß nicht, ob es nur deswegen war, weil Dean-Lewis mich so toll fand, oder ob es auch an mir oder an meiner Schwester lag, aber ich bekam die Stelle, was für mich sehr überraschend war. So richtig glauben konnte ich es erst, als ich meine wenigen Habseligkeiten packte und aus dem Wirtshaus in den Haushalt der Meisners zog. Hier sollte ich nun einen geregelten Tages- und Wochenablauf haben, mit zwei freien Tagen am Wochenende und einem gut bezahlten Lohn.



    Das Zimmer, das mir die Familie zur Verfügung stellte, war im Dachgeschoss. Es war groß, hell und geräumig und ich freute mich schon darauf, hier in einem der vielen Bücher zu lesen, die sich im Haus befanden. Für mich war das Lesen zu einer kleinen Flucht aus dem Alltag geworden.


    Der erste Tag bei Familie Meisner war ein Donnerstag. Ich erinnere mich noch sehr gut daran, denn die beiden Eheleute spielten gemeinsam mit einer Spielkonsole.



    Das machten sie jeden Donnerstag, wie ich später herauskriegen sollte. Dean-Lewis klammerte sich an mein Bein und wollte gar nicht mehr weg. Tanja hatte mir erklärt, wo Dean-Lewis Sachen waren und was ich alles zu tun hatte. Ich musste für Dean-Lewis und sein Wohlergehen sorgen, genau so wie für das Essen der gesamten Familie. Dies war eine Sache, die mir zunächst Angst machte, da ich trotz meiner Arbeit in einem Wirtshaus rein gar nichts vom Kochen gelernt hatte. Ich beichtete Tanja dieses Defizit, woraufhin sie lauthals lachte und mich in den Arm nahm.



    "Weißt du, Mira, genau so hab ich mir das schon gedacht. Aber hab keine Angst, es ist nicht all zu schwer. Alles, was du wissen musst, ist, wie man Nudeln kocht und vielleicht noch, wie man eine ordentliche Lasagne zusammen baut. Ne Pizza solltest du auch in den Ofen schieben können, aber ansonsten stellt unsere Familie keine hohen Ansprüche. Alles andere kannst du dir locker selbst beibringen!" Ich musste nun auch lachen. Das würde ich wohl gerade noch so hinbringen.



    Immer, wenn ich mit dem Kleinen in seinem Zimmer spielte, fragte ich mich, wieso meine Kindheit nicht so verlaufen war. Meine Mutter hatte nie Zeit für ein Kind allein, da einfach zu viele da waren. Wir hatten auch keinen Vater, und schon gar keinen, der Anwalt war, so wie der Vater von Dean-Lewis, und somit eine Menge Geld nach Hause brachte.



    Diese Familienidylle der Eheleute Meisner rührte mich fast zu Tränen. Sie hatten ein wunderbares Leben mit viel Geld, einem tollen Kind, und ein weiteres war unterwegs. Und dann hatten sie noch mich, ein Kindermädchen, das für diese beiden Kinder sorgen sollte. Ich hatte hier eine richtige Chance, mich in diese Familie mit einzubringen, nicht einfach als Kindermädchen, sondern als Mitglied der Familie. Als ein Mensch, den man braucht, auf den man nicht verzichten kann. Ja, ich war überzeugt, es hier zu dem zu bringen, was ich wollte: Vielleicht könnten mir die Meisners sogar eine gute Schulbildung ermöglichen, wenn sie mich nur tief genug in ihr Herz eingeschlossen hatten. Ich hatte wieder neue Hoffnung, neuen Mut. Ich frage mich bis heute, warum ich mir diese Chance vertan habe...


  • Tanjas Schwangerschaft verlief, wie sie stets beteuerte, viel leichter wie die erste. Sie wünschte sich ein Mädchen und Dean-Lewis wollte einen Bruder. Was Marius wollte, konnte man nicht erfragen. Er sagte immer: Hauptsache, gesund!
    Der Meinung war ich auch, wobei ich meine Nichte natürlich über alles liebte und ich fand, dass man mit Mädchen viel mehr machen konnte als mit Jungs. Vielleicht sah ich das aber auch nur aufgrund meiner Jugend so.



    Eines Tages kündigte sich großer Besuch an. Mittlerweile war ich schon zwei Monate bei Familie Meisner und kannte den Tagesablauf und die Personen, die hier lebten, schon sehr gut. Deshalb merkte ich auch, dass Tanja an diesem Tag sehr aufgeregt war. Sie tänzelte förmlich durch das Haus und warf alles hinunter.



    "Mira, ich muss mit dir reden. Ich habe vorhin einen Anruf bekommen. Mein Schwiegervater kommt vorbei. Du denkst dir jetzt bestimmt, ist nichts Besonderes, aber für mich IST es was Besonderes- er hält nämlich nicht unbedingt viel von mir. Er sieht in mir immer das kleine Dummchen, das sich einen Anwalt geangelt hat, um es mal leicht im Leben zu haben. Aber so einfach ist es nicht. Du musst wissen, dass Marius auch seine Eigenheiten hat. Manchmal trinkt er und wird ausfallend. Gott sei Dank hält sich das, seit Dean-Lewis auf der Welt ist, in Grenzen. Ich hoffe, du musst so eine Szene nie miterleben. Nun, auf jeden Fall kommt mein Herr Schwiegerpapa, und da ich weiß, dass wir beide nicht kochen können, will ich, dass du heimlich was anständiges zu essen organisierst. Mach es so, dass keiner was davon mit bekommt, auch Marius nicht." Sie drückte mir einen Geldschein in die Hand. Es waren hundert Euro. "Und Geld spielt keine Rolle.", fügte sie noch hinzu. "Wenn du noch etwas brauchst, sag es." Ich beschloss, erst einmal im Internet nachzusehen. Schnell wurde ich fündig. Ein Italiener, der nicht nur die qualitativ hochwertigste Ware versprach, sondern auch noch hundert Prozent gute Rezessionen von seinen Gästen hatte.



    Ich wählte die Nummer und bestellte ein Menü aus diversen Gängen, Sorten und Arten. Der Lieferant versprach, sofort da zu sein. So war es dann auch. Im Dunkel der Dämmerung nahm ich verschwörerisch die Lieferung entgegen. Doch ich erkundigte mich auch noch einmal genau nach den Namen dieses Essens und nach dessen Zubereitung. Schließlich wollte ich eventuelle Fragen des Schwiegervaters auch beantworten können. Ich gab dem netten Lieferanten auch noch ordentlich Trinkgeld.



    Er bedankte sich überschwänglich und rauschte mit seinem Lieferwagen davon. Nun würde bald der Schwiegervater kommen. Ich musste nur noch das Essen so auf die Teller trappieren, dass keiner von dem Betrug etwas mitbekam. Ich kam mir vor wie der Teil einer kleinen Verschwörung. Es war ein tolles Gefühl!

  • Knapp eine Stunde später erschien dann der gefürchtete Schwiegervater. Es wunderte mich, dass sich Tanja nicht zurecht gemacht hatte. Eigentlich hätte ich erwartet, sie top gestylt am Tisch sitzen zu sehen, doch sie sah aus wie immer. Der Herr Schwiegervater kam mir auch nicht so nobel vor, wie ich es erwartet hätte. Nur Marius trug einen seiner braunen Anzüge.
    Als nun alle am Tisch saßen und Tanja mich auch herwinkte, dachte ich, nicht richtig zu sehen. Sie wollte MICH dabei haben? Ich setzte mich kleinlaut auf meinen Stuhl, während Tanja mich beruhigend anlächelte.



    Beim ersten Thema, das sich am Tisch entwickelte, konnte ich noch nicht mitreden, da es ein persönliches Gespräch war. Doch dann entwickelten sich die Gespräche in eine andere Richtung, und ich konnte meinen Senf dazu geben. Zuerst sah mich der Schwiegervater, der sich mir als Walter Meisner vorstellte, noch etwas brüskiert an. Ein Kindermädchen, das sich in Sachen Politik auskannte, hatte er wohl noch nie gesehen. Doch dann lächelte er immer wieder und nahm mich ernst. Das war ein tolles Gefühl. Sogar Marius schien mein Wissen und meine Artikulation zu bewundern.



    Langsam wurde mir auch klar, warum Tanja mich mit am Tisch sitzen ließ: So konnte sie ihr eigenes Defizit an Wissen vertuschen. Außerdem würde der Schwiegervater hernach bestimmt fragen, wo man dieses tolle, kluge Kindermädchen gefunden hätte, und dann würde Marius sagen: "Tanja hat dieses Goldstück gefunden." Und so konnte sie sich Anerkennung und Sympathiepunkte holen. Obwohl ich die Situation durchschaut hatte, kam ich mir nicht ausgenutzt vor. Ich war immer noch stolz auf mein Allgemeinwissen und legte mich voll ins Zeug. Natürlich wollte ich auch nicht zu altklug klingen.



    Nach dem Essen stand Marius auf. Nun gingen die Herrschaften dann jedoch alleine ins Wohnzimmer. Tanja trug mir auf, den Tisch abzuräumen und danach das Gästezimmer für Herrn Dr. Meisner vorzubereiten. Er würde übermachten.



    So räumte ich ein bisschen enttäuscht den Tisch ab. Der alte Herr hatte mich so angesehen, als wollte er sagen: "Ach, komm doch mit, Kleine. Du bist so unterhaltsam." Doch Marius wollte nun allein mit ihm reden, warum auch immer.
    Am nächsten Tag verabschiedete sich Herr Dr. Meisner sehr früh, und vor allem nur von mir, denn die junge Generation Meisner schlief noch.
    "Du bist wirklich etwas Besonderes, das habe ich deinem Chef auch schon gesagt.", sagte er bewundernd.
    "Es tut mir leid für dich, dass du dein Talent hier verschwenden musst. So ein Mädchen wie dich habe ich noch nie gesehen. Deine Intelligenz ist wirklich beeindruckend. Als ich von Marius dein Alter erfahren habe, war ich zuerst skeptisch. Das konnte ich gar nicht glauben. Du musst wissen, ich hätte mir für Marius immer so ein kluges Mädchen wie dich gewünscht. Doch leider hat er sich in diese No-Name-Mädchen verliebt, eine davon war Tanja. Und die ist ihm nun geblieben." Es ließ mich erröten, wie der Herr über meine Chefin sprach. Er bemerkte seinen Fehler und schüttelte den Kopf. "Hör mir einfach nicht zu. Was ich dir eigentlich sagen wollte: Wenn du einmal Hilfe brauchst, dann komm zu mir."



    Er drückte mir seine Visitenkarte in die Hand, dann verabschiedete er sich und ging.



  • Ich konnte in den nächsten Tagen beobachten, wie das Verhältnis zwischen Tanja und Marius deutlich abkühlte. Normalerweise waren sie zärtlich zueinander, und am Donnerstag verbrachten sie den Nachmittag vor der Konsole. Doch diesmal war es anders. Es war Donnerstag, doch Marius saß am Klavier und spielte ein Lied, das ich von irgendwo her kannte, ich konnte mich nur nicht erinnern, woher.



    Tanja kam in den Raum. "Schatz, gehst du mit mir joggen?" Sie schien gut gelaunt zu sein, doch Marius gab keine Antwort. Ich verließ schnell den Raum, denn ich wollte die beiden nicht stören, doch noch in der Küche hörte ich, was Tanja dann sagte: "Seit dein Vater da war, bist du so abweisend. Was hat er denn wieder über mich gesagt?" Das Klavier verstummte. "Weißt du, Tanja, es ist schon schlimm genug, dass du unser Kindermädchen mit am Tisch sitzen lässt, wenn mein Vater da ist. Aber ihr nun auch noch das Wort zu erteilen, nur um nicht mit meinem Vater reden zu müssen, das ist schon sehr armselig. Dachtest du wirklich, er würde es nicht merken? Er hält jetzt mehr von unserem gescheiten Kindermädchen als von meiner eigenen Frau. Dein Plan ist nach hinten los gegangen, Tanja." Sie schluchzte. "Wie kannst du nur so etwas denken? Und wie kannst du nur so gemein sein?" Marius schwieg. Es war mir schrecklich peinlich. Ich hätte nein sagen sollen, ich hätte eine Ausrede finden müssen, um nicht mit am Tisch zu sitzen. Ich hatte gedacht, ich könnte mich hier in diese Familie mit einbringen wie ein Mitglied derren... Ich war so dumm.



    Kurze Zeit später ging Tanja dann alleine zum Joggen. Ich passte wie immer auf den Kleinen auf. Um acht brachte ich ihn ins Bett, doch Tanja war immer noch nicht zurück. Ich kam ins Wohnzimmer, weil ich dachte, keiner wäre da, doch dann sah ich Marius. Auf dem Tisch stand eine Wodkaflasche, die bereits leer war, und in der Hand hielt er eine Flasche Ouzo. Er sah mich an, versuchte nicht, seinen Alkoholkonsum zu verheimlichen. "Setzzz dich zzzu mirrr.", säuselte er in einem betrunkenen Tonfall. Ich wusste nicht, was ich machen sollte. Er stellte die Flasche auf den Tisch. "Wenn duuu auch wasss willllssst, mussst du dir ´n Glas holn." Ich schüttelte nur den Kopf.



    Stumm setzte ich mich neben ihn. "Schöööön, dassss du mir Geselllllschaft leistest. Du bisssst so klug, das hat sogar meinen Papi fasssziniert." Ein wenig peinlich war mir die Situation zwar schon, aber es war auch schön, so etwas zu hören. Etwa zwei bis drei Minuten saßen wir auf der Couch und schwiegen uns an. Auf einmal sah er mich an, von oben bis unten. "Du siehst so gaaaanz andersss aus als meine Frau. So hübsch... obwohl... du bis nich geschminkt, ne?" Ich schüttelte verlegen den Kopf. "Wills du nich auch mal wieder so richtich lieb gehabt werden?" Ich sah ihn misstrauisch an. Dann wollte er den Arm um mich legen, doch ich blieb stocksteif sitzen.



    "Findest mich wohl nich so nett, was? Denkst, ich bin besoffen und weiß nich was ich tu." Ich nahm all meinen Mut zusammen und sagte: "Ich glaube, es ist besser, wenn ich jetzt ins Bett gehe." Er lachte laut auf, so laut, dass ich erschrocken zusammenzuckte. "Hätte ich mir denken können, dass du nich so bist wie das Mädchen vor dir. Die is leicht hergegangen. Aber die war auch blond und dumm. Fast so dumm wie Tanja. Aber du, du bist anders, nich wahr? Bei dir muss man sich echt anstrengen, um dich zu kriegen."



    Schnell stand ich auf und lief hoch in mein Zimmer, wo ich erst mal den Schock überwinden musste...





    _____________________________________


    Soooo, das wars erst mal für heute. Natürlich freue ich mich riesig über THANKS und Kommis!
    Ich hoffe, euch hats gefallen!
    Spekulationen erwünscht :)
    Eure Moni


  • Na klasse.
    Der Plan hat ja nicht funktioniert.
    Trotzdem ist es fies von Marius, nicht einmal Tanjas Versuch, vor seinem Vater geschickt zu wirken, zu würdigen.

    Er scheint alkoholtechnisch labiler zu sein als gedacht.
    Es ist nicht in Ordnung, sich wegen so etwas zu betrinken. Deshalb ist es auch einfach unmöglich, sich dann besoffen an das junge Kindermädchen ranzumachen.

    Miranda tut mir leid. Jetzt gibt sie sich auch noch die Schuld daran.

    Hm... Ob sie irgendwann auf das Angebot des Vaters zurückkommen wird oder sogar dazu gezwungen ist?

    Spannung! Ich bin schon gespannt, was noch so alles passiert.

    Grüße

    Appolonia

  • huhu alsoo ich hab deine beiden stories heute endeckt und finde die super
    hab mir vorhin deine erste bis zur seite 20 durchgelesen
    aber ich kan leider keine bilder sehen :( keine ahnung woran das liegt
    ab der storie kan ich es allerding und muss sagen ich find sie echt klasse mach weiter so
    deine fotostories sind echt hammer genial und joar mach ganz schnell weiter mit der fortsetzung

    Lg SUnny


  • Zerst wolle ich meine Schwester anrufen. Ich überlegte hin und her, tat es dann aber doch nicht. Sie hatte sich so gefreut, dass ich diese Stelle bekommen hatte, und so viel Hoffnung hier hineingesteckt, das wollte ich ihr nicht zerstören. Allerdings ging es mir aber auch alles andere als gut in dieser Lage. Am liebsten hätte ich meine Sachen gepackt und wäre gegangen, einfach irgendwo hin, wo mich keiner kannte, doch ich wusste, dass das nicht möglich war. Ich war mittellos. Völlig arm.
    Ich beschloss, die ganze Sache zu vergessen. Allerdings hoffte ich auch, dass sich meine Schwester bald melden würde, denn ich vermisste sie schrecklich. Auch meine Mutter fehlte mir, doch sie dachte einfach nicht an mich, rief nie an, fragte keinen nach mir. Bis ich eines Tages einen Brief bekam. Es war schon sehr spät, deshalb rechnete ich nicht mit Besuch. Die Meisners waren aus, und ich passte auf den kleinen Dean-Lewis auf, als es an der Tür klingelte.



    Ich öffnete vorsichtig, und da stand der Postbote. Er war ganz außer Atem. "Es tut mir leid, Frau Meisner, aber ich habe diesen Brief hier gefunden. Er muss mir wohl beim Austragen der Post hinuntergefallen sein. Es tut mir wirklich sehr leid, ich hoffe, es ist nichts all zu wichtiges." Ich dankte ihm, nahm den Brief entgegen und verabschiedete mich noch kurz. Auf dem Kuvert stand: "Meisner - zu Händen Miranda". Er war also an mich.


    Ich öffnete ihn vorsichtig. Von wem er wohl war? Schon an der Schrift, die kaum lesbar war, und an der Wortwahl, ein schlechtes Deutsch, wusste ich, von wem er war.



    LIebe Miranda,
    es tud mir in der Sele weh, das ich dir schreiben muss, und dir das alles nich bersönlich sagen kann aber ich weis nicht, wie ich dir sonst meine gefüle zeigen kann. ich kann mich nich gut ausdrucken und das weisd du auch, aber ich versuche es hir. ich liebe dich, du bist mein kind, uns ich wusste schon, als du noch ein gans kleines mädchen warst, das aus dir mal was besondres werd. ich habe nie gezweifelt, das ich einmal auf eins meiner kinder stolz sein werden würde. aber bei dir war ich mir sicher, das du mir freude bringen würdest, und ich wusste das ich mich auf dir ferlasen kann. danke das du nicht zurück gekommen bist und das du alles getan hast was in dieiner macht gestand. ich wollte dich nie allein lassen und du must wissen das ich immer an dich denke, auch wenn ich glaube, das es das beste ist, wenn wir uns auch in der zukunft nicht sehen. vielleicht später wenn du irgentwan auf eigengen beinen stehst, dann werden wir uns sehen und über alles reden.
    du bist in meinem hertzen.
    deine mama



    Es war sehr schwierig, den Brief zu lesen, nicht nur wegen der zahlreichen Fehler, sondern auch, weil mir die Tränen gekommen waren. Auch, wenn es nicht viele Worte waren, waren sie doch an mich gerichtet, und meine Mama hatte mich nicht vergessen. Nein, sie dachte an mich, und hatte mir sogar einen Brief geschrieben. Es war schön, zu wissen, dass jemand bei mir war und an mich dachte.
    Ich ging zu Dean-Lewis, der seelig in seinem Bettchen schlief, und sah ihm eine Weile zu. Wie gern würde ich jetzt an seiner Stelle sein, dachte ich. Einfach schlafen, keine Sorgen haben, einfach ein normales Leben führen. Doch für mich war schon immer alles schwierig gewesen.



    Als wir eines Tages nach dem Essen alle zusammen saßen, sprach Tanja über das Kind in ihrem Bauch. Es trat und bewegte sich ständig. Auch für mich war es eine interessante Erfahrung, so genau zu erfahren, wie sich das Leben einer schwangeren Frau veränderte. Bei meiner Schwester war ich wohl noch zu klein gewesen.
    Tanja verkündete, dass sie sich nun mit Dean-Lewis ein bisschen hinlegen würde, und ließ mich und Marius am Tisch sitzen.



    Er wandte sich sofort an mich. "Wegen dem einen Mal, wo ich den Arm um dich legen wollte... das hättest du nicht gleich so ernst nehmen sollen.", sagte er. Ich hatte irgendwie ein schlechtes Gewissen. "Weißt du, Mira, es war einfach ein bisschen traurig, alles. Und wenn mein Vater da ist, dann ist immer alles sehr schwierig." Ich nahm seine Fahne war. Wann hatte er getrunken? Ich hatte es gar nicht mitbekommen. Unter dem Tisch legte er seine Hand auf meinen Oberschenkel. "Du brauchst doch auch ein bisschen Liebe. Ist es nicht scheuslich, allein hier zu sein, ohne jemanden, der einen in den Arm nimmt?"



    Ich sprang sofort auf. "Bitte, Herr Meisner, lassen Sie mich in Ruhe. Ich will das nicht und ich werde es auch nie wollen. Bitte behalten Sie ihre Hände bei sich." Er wurde zornig. "Denkst Du wirklich, ich würde auf so was wie Dich stehen? Ich wollte dich nur in den Arm nehmen." Sein Blick entspannte sich. "Du siehst immer so einsam und so traurig aus, und Du hast doch keine Freunde. Ich wollte Dich nicht verunsichern, es tut mir leid. Setz Dich wieder." Doch ich wollte mich nicht mehr hinsetzen. "Ich habe noch zu tun.", sagte ich und ging aus dem Raum.



  • Zu den Kommis:
    Sorry hatte heut ein bisschen Stress aber nehme mir jetzt Zeit die Kommis zu kommentieren :)
    @ Appolonia: Alkohol kann vieles aus der Bahn bringen. Es ist ja bekannt, dass Männer meistens anzüglich werden, und so eben auch der Marius aus unserer Geschichte. Wenn er nüchtern ist, ist er schüchtern und würde es sich nie wagen, auch nur ein falsches Wort zu Miranda zu sagen, doch kaum hat er was getrunken, wird ihm klar, wie sehr sie ihm gefällt, und versucht, bei ihr zu landen. Ich darf natürlich noch nicht all zu viel verraten, aber es wird noch viel schlimmer werden mit ihm und dem Alkohol. Seid gespannt!


    @ Sunny: Bei meiner anderen Story lade ich grad alle Bilder neu hoch, denn mein Bilderhoster hat sich von einen Tag auf den anderen leider verabschiedet, bzw. ist er einfach nicht mehr vorhanden. Das ist bei 30 Seiten sehr ärgerlich, aber ich bemühe mich, die Bilder alle wieder hervorzukramen :)
    Danke für dein Lob, und schön, in dir einen neuen Leser gefunden zu haben!


    Auch vielen Dank an alle stillen Leser und Thanks - Sager :)

  • Dass ich Tanja nichts davon erzählte, war für mich selbstverständlich. Ich wollte keinen Streit anfechten. Aber wirklich wohl war mir nun im Hause Meisner nicht mehr. Marius verfolgte mich nun immer öfters, berührte mich ganz "zufällig" und ließ sogar vor Tanja zweideutige Bemerkungen fallen. Je dicker sie wurde, desto mehr schien er zu trinken. Seinen geheimen Vorrat verbarg er wohl im Schlafzimmer, das ich so gut wie nie betrat und deswegen auch sicher war, dass er den Alkohol dort versteckt haben musste. Wo anders hätte ich ihn beim Aufräumen gefunden.


    Eines Tages wollte Tanja, dass ich ihren Bauch anfasste. "Hier, schau mal, Mira. Es bewegt sich ganz deutlich!" Sie war so glücklich. Ich legte meine Hand vorsichtig auf ihren runden Bauch und spürte die Tritte.



    Erschrocken wich ich zurück, aber Tanja lachte und zog meine Hand wieder zu sich. "Keine Angst, das ist ganz normal, und es tut mir auch nicht weh." Und so tätschelte ich fast jeden Tag ihren wachsenden Bauch. Für Dean-Lewis schien sie nun fast gar keine Zeit mehr zu haben, obwohl das neue Baby ja noch gar nicht da war. Sie grübelte den ganzen Tag über den richtigen Doppelnamen für das Kind und was es wohl werden würde. Ich schlug ihr auch ein paar Namen vor, die sie alle aufschrieb. Es schien, als könnte ihr der Name gar nicht ausgefallen genug sein. Doch was mich wunderte, war, dass sie sich das Geschlecht des Kindes nicht verraten ließ, wo sie doch alles so ganz und gar bis auf den letzten Punkt plante. "Ich wünsche mir zwar ein Mädchen, aber ein Junge ist auch okay.", pflegte sie zu sagen. Und Marius? Ich wurde aus ihm nicht schlau.




    Er sagte meistens gar nichts dazu. Doch dann, wenn er getrunken hatte,
    sagte er, er wolle weder eine Tochter, noch einen Sohn. Ihm reiche ein Kind. Als ich eines Tages faul auf der Couch lag, fix und fertig von der vielen Arbeit, kam Marius herein. Ich wollte mich schon aufsetzen, da es mir sehr unhöflich erschien, so faul herum zu liegen, doch er hob die Hand und sagte: "Bleib nur liegen. Ich will nur kurz mit dir reden." Ich sah ihn prüfend an. "Wirklich, bleib liegen. Es ist kein Problem."




    Also behielt ich meine Liegeposition bei. Er setzte sich neben mich und sagte leise: "Glaubst Du, dass das normal ist, Miranda?" Ich sah ihn fragend an. "Was meinen Sie?", fragte ich. Er zögerte, erklärte jedoch dann: "Glaubst du, dass es normal ist, dass Männer sich anderwertig umsehen, wenn die Frau schwanger ist? Es ist nicht so, dass ich sie nicht mehr lieben würde... Aber sie ist so üppig. Ich bin doch auch nur ein Mann." Nun setzte ich mich doch auf. "Herr Meisner, ich kann verstehen, dass es vielen Männern so geht, aber es ist nun mal so, dass eine Frau dicker wird, wenn sie schwanger ist. Ich bin mir sicher, dass Tanja, sobald das Baby da ist, wieder abnimmt. Das war, wie sie mir erzählt hat, bei Dean-Lewis genau so."



    Er nickte. "Ja, sie war schnell wieder die Alte. Aber trotzdem..." Er sah zu Boden. "Ach, was rede ich eigentlich... Du kannst mir ja doch nicht weiter helfen." Ich spürte seine Verzweiflung. Irgendwie wollte ich ihm helfen. "Herr Meisner, wenn ich irgendwas für Sie tun kann, dann brauchen Sie es nur zu sagen. Ich habe immer ein offenes Ohr für Sie." Er sah mich erfreut an. "Wirklich? Das ist sehr lieb. Ich werde darauf zurück kommen." Er schien mir nüchtern zu sein, zumindest roch ich keinen Alkohol in seinem Atem. Dann stand er auf. "Danke. Du hast mir eine große Last genommen." Eigentlich hatte ich gar nichts getan, aber ich war froh, dass es ihm jetzt besser ging. Ich konnte ja nicht ahnen, was er mit all dem meinte...

  • :applaus:applaus ne echt Hammer Fortsetzung :applaus:applaus
    ich würde nie im Leben solch tolle Bilder hinbekommen
    echt Klasse :):applaus

  • Ich hab deine Fotostory grade erst entdeckt, und sie gefällt mir sehr gut :)
    ich bin sehr gespannt wie es weiter geht, und vor allem - hoffentlich bald ;-)
    Ich fand schon Rosen der Liebe so toll, und das du jetzt eine neue fotostory machst, in der es auch um Zigeuner geht, find ich klasse :)
    Dein Schreibstil ist super ;)

    [RIGHT][SIZE=3]Home is wherever I’m with you.[/SIZE][/RIGHT]

  • Der Anfang vom Ende begann schon sehr bald, nachdem Marius auf der Couch bei mir gesessen hatte. Zwei Tage später schlief ich wie immer in meinem Bett in dem Zimmer, in dem mich die Meisners untergebracht hatte. Da wurde ich wach, und spürte sofort, dass jemand auf mir lag und mir den Mund zuhielt. Ich verstand gar nicht, was geschah. Ich sah nichts, weil es dunkel war. Alles, was ich spürte, waren die unsanften Berührungen, die an meinem Körper auf und ab wanderten. Dann war da dieser unerklärliche Schmerz. Ich wand mich und wollte schreien, doch der Körper auf mir war einfach zu schwer, um gegen ihn anzukommen. Ich hatte keine Chance. Ich roch den Alkohol, als er sich auf mir bewegte. Dann hörte ich ein Stöhnen und sogleich war alles vorbei. Die Gestalt ließ von mir ab und stand auf. Ich wusste intuitiv, dass es Marius war. Er musste mich vergewaltigt haben, auch das war mir irgendwie klar. Die Nässe zwischen meinen Beinen ließ mich wie versteinert in meinem Bett liegen. Ich konnte nicht einmal mehr schreien. Er kam noch einmal näher an mein Bett heran und sagte drohend: "Wenn Du Tanja auch nur ein Wort sagst, werde ich ihr sagen, dass Du mich verführt hast, und dann wirst Du hier wegmüssen, zurück in Dein altes, kaputtes Leben. Mach Dich sauber und vergiss es einfach. Vergiss alles."


    Was danach geschah, wurde eigentlich nur noch schlimmer. Ich sprach Tagelang kein Wort. Tanja machte sich furchtbare Sorgen um mich.



    Sie kam und nahm mich in den Arm, und ich weinte wie ein Schlosshund. Es vergingen einige Wochen, in denen Marius auf eine Geschäftsreise ging. Mir wurde immer häufiger schlecht, und eigentlich war mir von Anfang an klar, was geschehen war, doch Tanja war die, die mir dann einen Schwangerschaftstest kaufte.



    Ich saß weinend in meinem Zimmer, las immer wieder das POSITIV in dem Kontrollfeld und konnte es einfach nicht fassen. Auch die ständige Übelkeit war eine Last für mich.



    Auch jetzt war Tanja für mich da. Sie dachte, ich hätte mich mit einem Jungen aus der Stadt eingelassen, und hatte Mitleid mit mir, als der Test positiv war. Ich hätte ihr nie die Wahrheit sagen können. Sie war es, die Marius von meiner Schwangerschaft erzählte, gleich an dem Tag, an dem er von seiner Geschäftsreise zurückkam. Er lief sofort zu mir in mein Zimmer und stellte mich zur Rede.



    "Ist das wahr, was Tanja sagt? Du bist schwanger? Du willst mich doch nur erpressen!" Ich wurde wütend. "Natürlich, was hätte ich denn davon!" Ich zeigte ihm den Test. "Das hast Du Dir schön ausgedacht, kleine Zigeunerin. So macht ihr es doch alle. Einem reichen Mann ein Kind anhängen und ihn dann ausnehmen. Aber mit mir nicht. Du gehst! Noch heute!" Er schrie mich an, ich hatte schon Angst, Tanja könnte es hören, doch er ließ sich davon nicht ablenken. Eigentlich war ich sogar ganz froh, dass er verlangte, dass ich gehen solle, denn hier bleiben wollte ich nach allem auch nicht mehr. Er wandte sich ab und dachte nach.



    "Wir werden schon eine Lösung für Dich finden. Ich rede mit Tanja. Warte hier oben." Er ging nach unten, und ich konnte nicht anders, ich musste ihm folgen. Da hörte ich das ganze Gespräch.
    "So ein dummes Kind, lässt sich von irgend einem dahergelaufenen Burschen ein Kind anhängen. Ich hatte mehr von ihr erwartet.", sagte Marius.
    Tanja schwieg zunächst, dann sagte sie: "Wir müssen ihr irgendwie helfen. Sie ist ganz allein. Wenn wir sie jetzt hängen lassen, dann wird sie untergehen." Marius dachte anscheinend wieder nach. Dann sagte er: "Das Kind muss weg. Wir müssen sie zu einer Abtreibung überreden." Ich konnte mir jetzt Tanjas Gesicht richtig gut vorstellen: Entsetzt und verständnislos. "Was schaust Du so, Tanja? Denkst Du etwa, sie könnte für ein Kind sorgen? Allein finanziell wäre das ihr Ruin. Es ist das Beste, auch wenn es grausam ist." Da Tanja immer auf ihren Mann hörte, der sowieso keine Widerworte duldete, blieb sie auch jetzt stumm. "So machen wir es. Und dann können wir sie ja irgendwo unterbringen. Ich kenne genug Leute, die sich um ein Mädchen wie sie reißen würden." "Wie meinst Du das?", fragte Tanja. "Als Hausmädchen eben. Sie ist gut in ihrem Job." Tanja seufzte. "Dann kann sie doch auch hier bei uns bl..." "NEIN!", schrie Marius. "So ein Mädchen will ICH nicht in MEINEM Haus haben!" Dann blieb alles still, und ich verkroch mich leise wieder nach oben. Kurze Zeit später kam er herein. "Wir haben uns dazu entschlossen, dass Du das Kind abtreibst." Ich wagte es nicht, ein Wort zu sagen, da er so bestimmt war wie noch nie zuvor. "Das alles hätte nicht passieren dürfen, wir waren dumm, aber JETZT müssen wir schlau sein! Tanja wird mit dir alles nötige erledigen, bis dieses Ding da endlich im Müll ist."



    Eigentlich schien es auch für mich die beste Idee zu sein. Ich wollte dieses Kind nicht. Es würde niemals von mir geliebt werden können, weil in meinem Kopf immer jene Erlebnisse dieser schrecklichen Nacht sein würden. Ich würde dem Kind die Schuld an allem geben, und ich hatte auch noch keine Muttergefühle für dieses Ding, das mir so viel Ärger bereitet hatte. Aber wie sollte es weiter gehen? Würde ich wieder zu so einer verrückten Familie kommen? Am liebsten wäre ich in dem Moment einfach nur gestorben. Ich hatte einfach keine Kraft für all das. Was hätte ich dafür gegeben, wieder bei meiner Mutter zu sein. Doch das ging nicht, und das wusste ich auch. Und so ließ ich alles einfach geschehen. Dieses Kind in meinem Bauch wurde schon wenige Tage später für immer entfernt, getötet und weggeworfen. Ich wusste nicht einmal das Geschlecht, konnte ihm auch keinen Namen geben, obwohl ich bei dem einzigen Besuch, den ich beim Frauenarzt hatte, schon sein kleines Herz schlagen sehen und hören konnte. Doch es war vorbei, und alle sagten, dass es besser so sei, und auch ich empfand es so. Noch vor der Geburt von Tanjas Baby verließ ich das Haus. Von nun an sollte ich bei einer Familie leben, die ein Café betrieb, hart arbeiten und jeden Tag todmüde ins Bett fallen. Doch wenigstens fasste mich hier niemand an.



    Und so verging ein Jahr, in dem ich mich hauptsächlich von all dem, was mir widerfahren war, erholte, und zugleich älter wurde, reifte, und irgendwann bereit war, endlich selbst zu bestimmen, was mit mir und mit meinem Leben geschehen sollte...

  • Ich ging zurück nach Hause. Dieser Entschluss fiel mir nicht leicht, weil mich meine Mutter so sehr enttäuscht hatte. Ich kündigte meine Stelle im Café, packte meine Sachen und nahm den nächsten Bus in meine Heimatstadt. Alles war immer noch genau so wie damals, als ich vor zwei Jahren gegangen war. Nun war ich sechzehn, hatte schon viel gesehen und auf einmal erschien mir unsere Wohnwagensiedlung so klein wie nie zuvor. Es regnete. Ich stand mitten in unserer Siedlung und da sah ich meine Mutter. Sie stand draußen, mit ihrem roten Regenschirm, den sie schon hatte, seit ich klein war. Obwohl es so ein Mistwetter war, waren wie immer alle draußen. Das war das Leben, das ich liebte, auch wenn es primitiv war. Ich blieb stehen und sah dem Treiben zu. Irgendwie traute ich mich nicht näher heran. Sollte ich das wirklich tun? Ich hatte ja gar nicht vor, wieder hier zu leben, aber ich wollte einfach mal wieder nach Hause, in mich gehen, überlegen, was der nächste Schritt war. Irgendwas musste ich ja machen. Also ging ich auf Mama und die anderen zu. Sie sah mich sofort und bekam Tränen in die Augen.



    "Oh mein Gott, Kind, was machst Du hier?" Sie schüttelte verwirrt den Kopf. "Ich dachte, Du bist so weit weg von mir und glücklich!" Ich sah sie traurig an. "Nein, Mama, glücklich war ich nie seit ich von hier weg gegangen bin!"
    Sie drückte mich an sich, so, als wolle sie mich nie wieder los lassen. "Ich bin so froh, Dich wieder zu sehen, mein Kind! Ich habe Dich so vermisst!"
    Ich bekam gar keine Luft mehr, so sehr drückte sie mich.



    "Komm erst mal mit rein, wärm Dich. Und dann erzähl mir, wie es Dir ergangen hat." Eigentlich wollte ich gar nichts erzählen, weil alles, was mir passiert ist, so schlimm gewesen war, dass ich es am Liebsten vergessen hätte. Was wollte sie denn nun von mir hören? Ich hatte nichts von dem erreicht, was sie sich gewünscht hatte. Ich hatte auf voller Linie versagt, war sogar noch dazu in Schwierigkeiten geraten. Sollte ich ihr das alles erzählen? Ich liebte meine Mama zwar, doch sie war nicht der Mensch, mit dem ich über all das sprechen wollte.


    Wir gingen nach drinnen und ich zeigte ihnen erst einmal, was ich in der Gaststube und im Café gelernt hatte, indem ich ihnen ein Abendessen kochte, das sie so schnell nicht mehr vergaßen. Ich wusste, wie ich meine Lieben glücklich machen konnte.



    Alle lobten mein Essen in den Himmel und waren sofort der Meinung, dass ich eine gute Ausbildung genossen hatte. Dass ich das aber eigentlich nie wollte, war ihnen egal. Das machte mich schon wieder traurig, aber ich versuchte, mir nichts anmerken zu lassen. Ich fühlte mich so fehl am Platz, so, als würde ich ein schreckliches Geheimnis in mir tragen, von dem niemand was erfahren durfte. Dabei hatte ich doch eigentlich gar nichts getan. Ich war doch die, die vergewaltigt worden war, über deren Leben bestimmt worden war und die, in die so viel falsche Hoffnung gesetzt worden war. Es wäre besser gewesen, wenn nicht alle so viel von mir erwartet hätten, denn nun musste ich sie alle enttäuschen, am meisten meine Mutter und meinen Onkel.



    Nun saß ich wieder mit einem Teil meiner Familie am Tisch und alle warteten gespannt auf das, was ich zu erzählen hatte. "Nun spann uns doch nicht so auf die Folter. Was ist passiert, wie ging es Dir?", fragte mein Bruder. "Ich habe viel gelernt in der Zeit, in der ich weg war." Das war alles, was ich sagen konnte. "Was habt ihr denn immer so gemacht?", fragte meine Mutter weiter. "Gekocht, gelernt, meinen Abschluss gemacht, geputzt, mich um einen kleinen Jungen gekümmert..." Beinahe hätte ich nasse Augen bekommen, doch ich beherrschte mich. Beim Gedanken an Dean-Lewis wurde ich traurig, denn es war sein Halbgeschwisterchen, das ich fast zwei Monate unter meinem Herzen trug, und es hätte ihm bestimmt ähnlich gesehen.


    Als wir alles aufgegessen hatten, ging ich in mein altes Zimmer. Mein Bett gehörte nun meiner kleinen Schwester, doch heute Nacht würde sie auf der Couch schlafen. Ich legte mich sofort hin und schlief ein.



    Doch nicht lange, denn dann kam mein Bruder, der im selben Zimmer schlief, und weckte mich. "Was hast Du jetzt eigentlich vor?" Ich wusste zuerst gar nicht, wo ich war. Doch dann realisierte ich, was geschehen war. "Ich weiß es nicht, Dano... Es ist alles so schwierig. Es ging mir nicht gut, dort, wo ich war, und jetzt möchte ich es besser haben." Er sah grimmig drein. "Wenn Du hier bleiben willst, muss Mama Dir einen Mann suchen, sonst bleibst Du ja ewig hier. Du bist schon so alt und hast noch nichts auf die Reihe gebracht." Seine Worte versetzten mir einen Stich ins Herz. Wieso reduzierte er mich so auf das Schicksal einer einfachen Frau? Ich dachte, sie hätten ein bisschen Respekt vor mir! Er legte sich einfach ins Bett und schlief und ließ mich zurück mit dieser schrecklichen Unruhe. Irgendwann schlief ich dann doch ein.



    Als ich am Morgen erwachte, war ich ganz allein im Zimmer. Es musste schon spät sein, zumindest kam es mir so vor. Ich stand auf und ging in die Küche, wo meine kleine Schwester mich sofort überschwänglich begrüßte. "Ich bin so froh, dass Du hier bist, Mira. Ich hab Dich lieb! Kochst Du heute wieder was für uns?"



    Ich musste lachen. Sie war jetzt acht Jahre alt, so süß und unschuldig. Und sie hatte mich lieb, was ehrlich war und mich glücklich machte. Lange hatte das niemand zu mir gesagt.



  • Meine Mutter wollte mal wieder mit mir reden. "Was ist jetzt eigentlich los, wieso bist Du hier und wie soll es weiter gehen?" Ich starrte sie lange an. Dann fing ich an mit meiner lange vorüberlegten Erklärung. "Ich habe meinen Job im Café gekündigt. Ich wollte einfach nicht mehr länger dort sein. Es war keine schöne Zeit, ich wollte diesen Beruf noch nie ausüben, und auch meine Ausbildung habe ich abgebrochen. Ich stehe mit leeren Händen vor Dir, denn alles, was ich verdiente, brauchte ich für die teuere Wohnung, die sie mir aufgebrummt hatten, und das tägliche Leben. Ich habe Schande über unsere Familie gebracht, das weiß ich, doch ich bitte Dich nun, Mama, hilf mir. Ich weiß nicht mehr weiter. Es tut mir weh, das zuzugeben, doch es ist wahr.



    Ich kann nichts mehr ändern. Ich war auch bereits auf dem Arbeitsamt und auf dem Sozialamt. Die haben mir etwas vorgeschlagen. Es ist ein Wohnheim, ein betreutes Wohnen, drüben in Rottdorf. Dort sind schwer erziehbare Jugendliche und solche, die keinen Ausbildungsplatz haben. Man würde mich dort aufnehmen und mir helfen, einen Ausbildungsplatz, der auch mir gefällt, zu finden. Ich bekomme zwar nicht viel Geld, aber zumindest bin ich dort versorgt."



    Anscheinend gefiel auch meiner Mutter der Gedanke, denn sie lächelte selig. "Und ich dachte schon, Du bist schwanger.", sagte sie. Ich erschrak. "Wenn das so ist... Dann mach das, was Du willst. Du weißt ja, dass ich will, dass etwas aus Dir wird, und das hört sich ganz gut an." An dieser Stelle möchte ich erwähnen, dass meine Mutter keine Ahnung hatte, was Betreutes Wohnen oder schwer erziehbar bedeutet. Sie lebte seit ihrer Geburt in der Wohnwagensiedlung, war in der achten Klasse von der Sonderschule gegangen und hatte sich seither nicht weitergebildet. Sie konnte nicht lesen und nur ihren Namen als Unterschrift auf Papier kritzeln, für alles andere fehlte ihr die Bildung. Ihr war es in dem Moment nur wichtig, dass ich irgendwo versorgt war, hauptsache weg von hier, denn ihr schien es so, als wäre es überall besser als in der Wohnwagensiedlung.



    "Wann kannst Du dort anfangen?", fragte sie noch, während ich die Küche sauber machte, und ich erklärte ihr, dass ich, sobald ich ihre Erlaubnis dafür bekam, dort hin gehen konnte. Es konnte ihr anscheinend gar nicht schnell genug gehen, mich wieder los zu haben, aber bei der Enge, die im Wohnwagen herrschte, konnte ich es auch nachvollziehen.



    Bereits eine Woche später radelte ich mit dem Fahrrad meines Bruders nach Rottdorf. Mama hatte mein Gepäck mit der Post schicken lassen, weil es auf dem Rad zu schwer gewesen wäre. Das Gebäude, in dem das betreute Wohnen sich befand, war groß und sah sehr gepflegt aus. Vor dem Haus stand meine Betreuerin, die ich bereits von einem Vorgespräch aus dem Amt kannte. Inge war ihr Name.Sie begrüßte mich überschwänglich und erklärte mir, dass mein Gepäck bereits auf mich wartete. Ich folgte ihr in das Innere des Hauses und entdeckte sofort meinen Rollkoffer und meinen alten Lederkoffer.



    "So, liebe Miranda, wir sind da. Das hier ist Dein neues Zuhause. Ich hoffe, dass Du Dich hier wohl fühlen wirst. Ich stelle Dir jetzt erst mal alle vor. Also mich kennst Du ja schon. Schauen wir mal in das erste Zimmer." Wir betraten den Gang rechts und Inge klopfte an die Tür. Eine tiefe Männerstimme brummte: "Herein!" Und sie machte auf. Es war ein schönes, großes Zimmer. Auf dem Bett saß ein schwarz gekleideter Junge, der sofort den Blick abwandte.



    "Das ist Julien, unser Grummelgriesgram.", lachte Inge. Er verzog das Gesicht. "Und das hier, lieber Julien, ist Miranda. Sie wird Kathis altes Zimmer bekommen." Er nickte nur stumm und sagte dann kurz und knapp "Hi."


    Wir gingen weiter in einen großen Raum, den Gemeinschaftsraum. Hier lief der Fernseher und ein paar Jugendliche kauerten auf einem schönen Sofa. "So, hier sind wir bei der Fernseh-Fraktion. Setz Dich einfach." Ich setzte mich auf einen einzelnen Sessel.



    "Das hier ist Miranda, Leute. Und jetzt stellt euch mal alle vor." Ich lernte Sophia, Stefanie, Laura und Fabian kennen.


  • Doch irgendwie war auch das hier nicht das Richtige. Ich bekam ein schönes Zimmer, über das ich mich eigentlich sehr glücklich schätzen konnte, doch trotzdem war ich auch hier nicht zu Hause. Es würde wohl nie einen Ort geben, an dem ich mich geborgen fühlen würde. Immer war alles so falsch, es schien mir, als gehöre ich nirgendwo hin.



    Inge brachte mir aus der Stadt ein paar neue Kissen mit, mit denen ich mein Zimmer dekorieren konnte. An den ersten Abenden verkroch ich mich noch in meinem Zimmer, doch dann baten mich die anderen, in den Gemeinschaftsraum zu kommen. Es wurde manchmal sehr lange, und wir hatten viel Spaß. Heimlich tranken wir Alkohol. Zuerst wollte ich keinen, doch irgendwann hatten die anderen mich dann überredet, einen Schluck zu probieren. So wurde ich dann auch das erste Mal betrunken. Inge merkte es sofort und fragte mich, woher ich den Alkohol hatte, doch ich sagte ihr nichts. Sie wurde ernst und erklärte mir, dass ich, wenn ich länger hier bleiben wolle, den Alkoholkonsum einstellen sollte. Doch irgendwie gefiel mir das Gefühl, einmal ohne Sorgen zu sein. Wenn ich was trank, dann vergaß ich zumindest für einige Stunden alle meine Probleme und es ging mir gut. Mit den anderen verstand ich mich auch immer besser. Ein Junge hatte ein Auge auf mich geworfen und machte mir immer Komplimente. Auch ich fand ihn sehr süß, doch irgendwie traute ich mich nicht, ihn anzusprechen. Alles geriet aus den Fugen, als ich mich eines Tages mit Julien anfreundete. Der sonst so stille Gruftie kam eines Tages in mein Zimmer und fragte mich, ob ich mir seine Musik anhören wolle. Ich wusste zuerst gar nicht, wie mir geschah, doch dann rappelte ich mich auf und folgte ihm in sein Zimmer. Er schaltete die Musik ein und wir hörten eine Band, von der ich vorher noch nie was gehört hatte. Ich sah ihm tief in die Augen. Er war gar nicht so hässlich, wie ich zuvor immer gedacht hatte. Unter dieser schwarzen Fassade verbarg sich ein junger, hübscher Mann mit wunderschönen Augen und einem tief vergrabenen Geheimnis. Da lief eine Träne über sein Gesicht.



    Verwirrt sah ich ihn an. "Es tut mir leid... Ich habe noch nie vor einem fremden Mädchen geweint. Ich habe eigentlich vor niemanden geweint... Aber heute ist der schlimme Tag... Ich will nicht allein sein." Ich wusste nicht, was ich machen sollte, und das spürte er auch. Ich setzte mich auf den Stuhl, der vor meinem Bett stand, und Julien saß sich aufs Bett. "Es wäre schön, wenn Du mir einfach nur zuhören würdest, Miranda. Wenn Du nicht willst, kann ich auch gern gehen. Du musst es nur sagen." Ich schüttelte den Kopf. "Nein, es ist schon okay. Ich hör Dir gern zu."
    Dann begann er, seine Geschichte zu erzählen...



    "Es war heute vor einem Jahr... Ich saß zu Hause in meinem Zimmer. Damals trug ich noch kein Schwarz, und mein Leben war noch in Ordnung. Es klingelte. Ich wollte nicht aufmachen, denn mein Zimmer war im ersten Stock. Also rief ich meiner Mutter. Der größte Fehler meines Lebens, denn vor der Türe stand mein Vater. Meine Mutter hatte sich vor Jahren von ihm getrennt, eine neue Identität angenommen und sich versteckt. Er war schon immer gewalttätig gewesen, und als er sie einmal fast totgeprügelt hatte, war sie mit mir von ihm fort gegangen. Ich weiß bis heute nicht, wie er uns gefunden hat, doch er hatte es... Und dann erstach er sie. Ich bekam von alldem nichts mit. Später ging ich dann nach unten, wo mein Vater in der Küche stand und sich das Blut von seinen Händen wusch. Und dann sah ich die Leiche meiner Mutter, verstand, was geschehen war, und ging auf ihn los." Julien zog sein T-Shirt hoch, und eine lange Narbe kam zum Vorschein. "Er wollte sich noch wehren, stach mir das Messer in die Brust, doch ich war schneller als er... Deswegen bin ich hier, Miranda. Und heute ist der erste Tag... Der Jahrestag."


    Ich erschrak. Hatte er diesen Mann umgebracht? Als könne er meine Gedanken lesen, sagte er: "Der Dreckskerl hat allerdings überlebt, was irgendwie auch mein Glück war, sonst wäre ich heute nicht hier, sondern in irgendeiner Zelle. Wir sind alle verlorene Kinder." Beinahe hätte ich erwartet, dass er mich nach meiner Vergangenheit fragte, doch er sagte nichts. "Du solltest jetzt gehen. Ich will mir was reinziehen." Ich verstand nicht, was er meinte, und sah ihn verständnislos an. "Ne Portion Hero, falls Du verstehst was ich meine." Natürlich verstand ich nur Bahnhof. "Willst Du es sehen?", fragte er, und ich nickte. Er zog eine Packung mit braunem Pulver aus seiner Hosentasche. Dazu noch einen Löffel, eine Zitrone und ein Feuerzeug. Die Spritze und einen Zigarettenfilter nahm er aus seinem Nachttisch. Dann bereitete er alles zu. Er gab das Pulver auf den Löffel, drückte den Saft aus der Zitrone darüber aus, gab Wasser hinzu und dann kochte er das Gemisch mit dem Feuerzeug auf dem Löffel. Interessiert sah ich ihm zu. Dann setzte er den Filter an, stach durch ihn hindurch mit der Spritze in die Lösung und saugte sie mit der Spritze auf. "Der Filter ist wegen dem Streckmittel. Und bevor Du stichst, musst Du unbedingt die Luft aus der Spritze drücken, sonst stirbst Du beim Injezieren." Ich konnte meine Augen gar nicht abwenden. "Wenn Du die Nadel in die Vene schiebst, zieh zunächst etwas Blut in die Spritze, um zu sehen, ob Du tatsächlich die Vene getroffen hast. Ist das Blut hell und schaumig, zieh die Nadel sofort heraus - dann hast Du eine Aterie erwischt! Such die neue Einstichstelle dann an einer anderen Körperstelle, z.B. am anderen Arm. Hast Du eine Vene getroffen, injiziere das Heroin ganz langsam, Du spürst das Heroin sofort." Genau so tat er es dann auch. Er spritze sich ins Bein, wo er mehrere blaue Flecken hatte. Bei dem Anblick wurde mir schlecht.



    Als er sich den Schuss gesetzt hatte, wurden seine Augen glasig und er lehnte sich zurück. "Ein geiles Gefühl. Da machst Du Sachen, da weißt Du morgen nichts mehr davon." Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Einmal ausprobieren, sagte ich mir, macht doch gar nichts. Von Heroin und den Folgen dessen hatte ich vorher kaum was gehört. Seit ich Alkohol trank, kannte ich diese Welt, in die man sich flüchten konnte, und dass Julien mir eine absolut tolle, noch bessere Welt durch dieses braune Pulver versprach, war ein unablehnbares Angebot. Er hielt mir fragend das Spritzbesteck hin. "Willst Du auch? Ein bisschen was hab ich noch." Ohne noch mal darüber nachzudenken, nickte ich. Er bereitete mir einen Schuss zu. Doch selber wollte ich mich nicht spritzen. Er nahm die Spritze und drückte meinen Arm nach einer geeigneten Stelle ab. Dann setzte er an und stach zu. Es tat gar nicht weh, und sofort füllte sich die Spritze mit Blut. Dann drückte er das Wundermittel in meine Blutbahn, und sofort spürte ich, wie sich alles um mich herum veränderte. Das war also diese "Welt", die Julien mir versprochen hatte. "Ich geh in mein Zimmer.", sagte ich. Dort legte ich mich dann aufs Bett und schlief sofort ein. Ich träumte so einen verrückten Traum, wie ich noch nie vorher geträumt hatte.