Beiträge von Appolonia

    Kapitel 9.1


    Und nun stehe ich hier im Brautkleid.



    Es ist stickig im Zimmer, der samtige Stoff liegt schwer auf meinen Schultern, die bestickten Ärmel kratzen unangenehm auf meiner Haut. Die Schneiderin zieht, ihre Nadeln zwischen die Zähne geklemmt, ihre Kreise um mich, huscht hin und her, näht hier, schnürt da, steckt dort etwas ab.
    Ich atme aus und sehe zu Boden. Die letzten Tage waren anstrengend, viel zu anstrengend. Allein das Gespräch mit Großvater will mir keine Ruhe mehr lassen.

    ~~~



    Großvater sah mich lange an, ohne irgendetwas zu sagen. Es waren endlose Minuten, in denen mir das Herz so heftig pochte, dass ich dachte, es bliebe gleich stehen.




    Nervös blickte ich im Raum umher. Großvaters Arbeitszimmer war ganz anders als das restliche Haus. Er hatte es erst vor ein paar Jahren neu täfeln und einrichten lassen. Er sagt immer, dass die Erneuerung der Innenräume sein Anteil am Aufbau unseres Hauses sei.
    Endlich stand er auf und ging mit langsamen Schritten um den Tisch herum, direkt auf mich zu. Erkläre ihm einfach alles, bleib ruhig und freundlich, sagte ich mir. Du hast es dir vorher überlegt. Einfach nur...



    Und mit einem Mal brach alles aus mir heraus.
    Meine ganzen Pläne, alle meine Vorsätze waren binnen einiger Sekunden dahin. Ich stürzte auf Großvater zu und umklammerte ihn so fest, als ob ich ihn danach nie wieder sehen würde. Meine Augen wurden feucht, meine Wut und meine Angst flossen in Tränen meine Wangen hinunter. Das einzige, was ich noch hervorbrachte, war ein ersticktes, in Silben zerfetztes „Tut mir leid“.




    Ich weiß nicht mehr, wie lange wir in dieser Haltung verharrt haben. Großvater hatte seine Arme um mich gelegt und sprach mit leiser Stimme beruhigend auf mich ein. Ich weinte nur in den Stoff seines Gewandes und verstand kein einziges seiner Worte.
    Irgendwann hörte ich auf zu weinen, vielleicht, weil ich mich beruhigt hatte, vielleicht, weil mir die Tränen ausgegangen waren. Langsam zog ich meinen Kopf zurück, wagte es aber nicht, Großvater in die Augen zu sehen. Ich schämte mich schrecklich dafür, weggelaufen zu sein, für die Worte wider Mutter, für mein langes Fortbleiben. „Es tut mir leid“, wiederhole ich, zwar heiser von den Tränen, aber wenigstens in einem Atemzug.



    Großvater aber strich mir mit der Hand übers Haar und brachte mich damit dazu, doch meinen Kopf zu heben. „Es ist gut, mein Kind. Es ist ja niemand zu Schaden gekommen“, sagte er und trocknete meine Wangen mit dem seidigen Stoff seines Ärmels. Sein Gesicht war friedlich, liebevoll wie immer, nicht enttäuscht, aber auch nicht erleichtert, wie ich es eigentlich erwartet hatte. Ich schluckte und nickte schnell.
    Dann ging Großvater zu seinem Lehnstuhl, nahm das Kissen herunter und legte es vor sich auf den Boden. Sofort folgte ich ihm, und noch bevor er etwas sagen konnte, saß ich schon auf dem Kissen. Er setzte sich, ich lehnte mich an ihn.


    Großvater hat es immer gern, wenn wir so zusammensitzen, genauso wie ich. Als ich so zu ihm aufsah, fragte ich mich, warum ich mich so nach meinem Vater gesehnt hatte. Ich war nur wütend gewesen. Ich brauche ihn nicht. Ich habe Großvater. Er war einfach immer für mich da, vor allem dann, wenn Mutter es nicht war.
    „Deine Mutter hat sich Sorgen um dich gemacht“, sagte Großvater, als hätte er meine Gedanken gelesen, „und sie möchte auch, dass du das weißt.“ Es fühlte sich gut an, das zu hören, und trotzdem zweifelte ich daran. Was ich tat, war ihr nicht egal. Obwohl ich stur bin. Obwohl ich sie beleidigt hatte. Aber warum sollte Großvater mir Dinge erzählen, die nicht wahr sind? Ich senkte den Kopf, schämte mich für diese Gedanken und dafür, mich vor Mutter verborgen zu haben.


    „Das tut mir leid“, sagte ich und war mir sicher, dass ich es so meinte. Großvater lächelte und strich mir wieder übers Haar. „Dann solltest du ihr das sagen.“ Ich nickte. Großvater hatte Recht, wie immer. Nur war mir auch ein paar Tage danach, also bis heute, keine angemessene Entschuldigung eingefallen. Ich suche immer noch nach den richtigen Worten, nach der richtigen Gelegenheit. Ich suche und suche und suche und finde nichts, rein gar nichts.


    Großvater durchbrach die Leere meiner damaligen Gedanken. „Martin sprach davon, dass Vallentin dich nach Hause bringen wollte.“ Ich sah zu Boden. So war es gar nicht, Martin hat das erfunden. Er hat Dinge hineingedacht, die eben nicht hinein gehören, gar nicht hinein gehören können. „Er hat mich und Vallentin angetroffen, ja“, sagte ich leise. Schweigen zu einer Unwahrheit war eigentlich nichts anderes als eine stumme Lüge. Andererseits waren das hier ja nur eine Kleinigkeit, eine Art Verzierung, eine Ausschmückung. Viele Leute schmückten ihre Geschichten aus.



    Also schwieg ich weiter. Ich hätte auch gar nichts mehr sagen können, denn Großvater fuhr gleich fort: „Vallentin ist ein guter Handwerker und ein netter Bursche. Es ist schön, dass ihr wieder mehr Kontakt habt. Früher wart ihr viel öfter zusammen.“ Ich lehnte mich an Großvater. Früher. Was war das schon, was hieß das schon?
    „Ja, das waren wir“, antwortete ich. Aber das war vorbei, das ist vorbei. Mag sein, dass er ein guter Handwerker ist. Sein Vater ist es jedenfalls, er hat das beste Schuhwerk weit und breit, das sagt Großvater immer. Wir sind alle sehr stolz darauf. Aber über Vallentins Können sagt das gar nichts. Ich dachte erst gar nicht darüber nach, ob er nett sei. Ich wollte nicht, dass der Ärger wieder über mich kam. Nicht in diesem Moment. Nicht hier bei Großvater.



    Ich schmiegte mich an den Stoff seines Gewandes und fühlte mich so geborgen, so ruhig. Zum ersten Mal an diesem Tag, nein, zum ersten Mal seit Wochen. Erst jetzt fiel mir wieder ein, wie erschöpft ich eigentlich war, und ich musste unweigerlich gähnen. Meine Augen schmerzten, ich fühlte mich wie benommen. Obwohl ich versuchte, mich zusammenzureißen, hatte Großvater mein Gähnen und mein müdes Blinzeln wohl bemerkt, denn er fasste mir liebevoll an meine Schulter. „Du solltest zu Bett gehen. Es war ein langer Tag für uns alle.“



    Sofort stand ich auf, entfernte mich einige Schritte und verbeugte mich leicht. Großvater hatte sich ebenfalls erhoben. Er strich mir durchs Haar und brachte mich damit wieder dazu, ihn anzusehen. Ich erschrak beinah. Seine Miene war mit einem Mal so seltsam. So ernst. Ich lächelte einfach unsicher weiter. „Philine;“ sagte er, seine Stimme war verändert, „streun nicht mehr herum, hörst du? Lauf nicht mehr ohne Begleitung draußen herum, vor allem nicht abends und nachts. Nie mehr, versprichst du mir das?“ Ich nickte, ohne an die Bedeutung dieses Versprechens zu denken. Wie und warum hätte ich widersprechen sollen?



    Darauf lächelte er mich wieder freundlich an. „Morgen müssen noch einige eingegangene Waren kontrolliert und sortiert werden. Möchtest du deiner Mutter dabei helfen? Bei der Gelegenheit könntest du gleich mit ihr reden.“ Ich nickte noch einmal, obwohl ich damals noch einmal darüber nachdenken wollte, was ich zu Mutter sage. Außerdem waren die Waren, die zur Zeit eingingen, recht öde. Früher war es immer viel lustiger gewesen.„Ich wünsche dir eine gute Nacht“, sagte er und küsste sanft meine Stirn. „Ich wünsche Euch dasselbe“, erwiderte ich leise.

    ~~~



    Als die Schneiderin den Brustteil des Kleids noch enger zusammenschnürt, schnappe ich entsetzt nach Luft, kurz wird mir schwarz vor Augen.



    „He!“
    „Halt still! Es ist noch lange nicht perfekt!“
    „Es ist ja auch zu eng.“
    „Es ist ja auch nicht dein Kleid.“




    Ich erwache. Sie hat Recht. Es ist nicht mein Kleid, es war es nie und wird es auch nie sein. Es gehört nicht mir, sondern der Schneiderin. Und die Schneiderin ist auch nicht irgendeine gewöhnliche Handwerkerin, sondern Magdalena, genannt Madlen, Tochter von Ulrich, einem Meister mit Nadel und Faden, und meine beste Freundin.



    Sie wird dieses Kleid tragen, nicht ich.
    Sie wird heiraten, nicht ich.


    Fortsetzung folgt...


    So. Freue mich wie immer über Kommentare.


    Liebe Grüße


    Appolonia

    So... Nach langer Zeit hab ich dann doch mal wieder eine Fortsetzung fertig.
    Aber zuvor...


    Kommentarbeantwortung
    @ Julsfels
    Danke für das Lob.

    Zitat

    Ich hatte mir den Großvater noch etwas älter vorgestellt, als er dann aussah,


    Ich eigentlich auch.
    Aber als ich ihn erstellt habe, kam mir irgendwann nach einer Änderung: Das ist er. So und nicht anders.


    @ Lunalumi
    Auch dir danke für das Lob.

    Zitat

    Am besten gelungen finde ich persönlich das zweite, bei dem Philine so nachdenklich zur Seite sieht, das ist so voller Stimmung und Gefühl, dass es auch ohne Text Geschichten erzählt (hört sich irgendwie doof an)


    Nein, hört sich ganz und gar nicht doof an, genau das wollte ich damit bezwecken. Dankeschön.

    Zitat

    Er scheint sich ja nicht so wohl zu fühlen, etwas bedrückt ihn, Mariola bringt es möglicherweise nicht übers Herz, Philine davon zu erzählen.


    Ja, es bedrückt ihn etwas. Einige Hinweise waren schon im letzten Kapitel, im 9. gibt es jetzt noch ein paar. Aber direkt verraten tu ich das (noch) nicht.

    Zitat

    Es tut mir leid, das zu sagen, aber ich mag dieses Haus überhaupt nicht, zumindest den Hausflur. Diese verschiedenen Holzfarben, die so gar nicht zueinander passen, und diese düstere Atmosphäre erschlagen einen fast.


    Philine sagte ja, dass verschiedene Generationen das Haus auf- und ausgebaut haben. Mal ist das in Mode, dann gibt's dieses Holz mal nicht etc. Waren sich halt nicht ganz einige, diese Generationen. :)


    So...
    Dieses war der erste Streich, doch der zweite folgt sogleich.
    Nach dem Vesper. Ich hab Hunger.


    Bis gleich,
    Appolonia

    Jetzt meld ich mich auch mal.


    Der Tod als Person. OK, ein Tod als Person. Schöne Thematik, dass jemand mit einer solch kühlen Aufgabe sich so verliebt, auch, sich so mit dem Tod zu beschäftigen.
    Der Tod war früher ja nicht so steril wie heute.
    Früher versammelte man sich, betete, sang, begleitete den Sterbenden... Und der Tod war kein Tabu, er gehörte einfach zum Leben.
    Heute wohnen die Großeltern/Eltern ja oft nicht einmal in der Nähe, sind vielleicht sogar im Alters- oder Pflegeheim. Dann erfährt man oft als Letzter von deren Tod.


    Hübscher Bursche, dieser Tod. Auch wenn jedes Mal, wenn ich an die Person Tod denke, in meinem Kopf sofort Uwe Kröger "Die Schatten werden länger" und "Der letzte Tanz" zu singen anfängt.
    [Für alle, denen das jetzt nichts sagt - Uwe Kröger war die Premierenbesetzung für den Tod im Musical Elisabeth, hat ne tolle Stimme, der Herr]


    Es ist gut, dass das Mädchen zwar hübsch - ja, das ist sie wirklich -, aber jetzt nicht wunderschön ist. Das macht sie authentisch. Außerdem ist sie ja aus dem einfachen Volk, viel Zeit und Geld für Make-up und Maniküre hat sie ja nicht. Aber dafür duftet sie ja so schön nach Lavendel. :)
    Sie tut mir leid, dass sie einen Mann heiraten muss, den sie nicht lieb, der viel älter ist. War damals halt üblich. Und sie spielt mit, weil sie keine andere Wahl hat, der Vater ist tot, sie und ihre Mutter ohne ihn ohne Einkommen...


    Bin schon gespannt, was der Tod tun will, um die Heirat zu verhindern. Den Bräutigam sterben lassen? Verstöße wahrscheinlich gegen die Regeln, er führt die vorherbestimmten Aufträge ja nur aus, eigenwilliges Handeln ist da vielleicht auch gar nicht drin.
    Kann er jemandem im Traum erscheinen? Dem Bräutigam drohen?


    Freu mich schon auf die nächste Fortsetzung.


    Grüße,


    Appolonia

    Hm. Ist ja jetzt nicht so spitze gelaufen.
    Das Thema Ex-Beziehungen ist ja ohnehin schon kritisch, aber bei einer Verabredung... Autsch.


    Marcel hat wieder alles ruiniert, und dafür muss er noch nicht mal anwesend sein. :angry


    Ist halt schwierig, sie denkt noch viel an ihn oder über ihn nach.
    Eileen hatte eine lange, intensive Beziehung zu ihm, und die Trennung ist ja auch noch relativ frisch. Zudem wohnt sie noch im gemeinsamen Haus, alles erinnert irgendwie an ihn, siehe Thema Essen. Eileens Gedanken springen gleich zu Marcel, zwar nur, wie schwierig - also negativ - es in diesem Bezug mit ihm war, aber trotzdem.


    Das kann ja noch was werden mit den Dreien.


    Ich glaube, kein Arzt ist vor dem Leid gefeit, aber in einem Krankenhaus ist es natürlich besonders schlimm.
    Unfallpatienten, Krebskranke, Komapatienten etc.
    Ist ja aber auch schon hart, als z.B. Hautarzt/Allergologe zu sehen, wie sich ein Kind mit Neurodermitis oder Asthma über Jahre bzw. lebenslang herumplagt.


    Eine sehr nachdenkliche Fortsetzung, aber sehr gut.
    Ich bin schon gespannt auf die nächste.


    Liebe Grüße
    Appolonia

    Dann schließ ich mich TheSlayer mal an und sage auch Danke. :heppy
    Es war richtig toll, den Beitrag vorzubereiten und im Wettbewerb zu präsentieren.
    War ein tolles "Gefecht".:fechtl
    Ich hoffe, dass es noch viele Wettbewerbe geben wird, und dass es auch dort so zahlreiche Beiträge gibt.


    Glückwunsch an Llynya, The Slayer und PsychoticKitten! :strike

    Och. Ein gemeiner Cliffhanger.


    Für ein Brautkleid ist das Paket zu klein. Kann man auch nicht einfach so in der Hand halten.
    Für ein traumhaftes Paar Eheringe fast zu groß.
    Vielleicht ein Kuchen. Jeder mag doch Kuchen. :)


    Scherz beseite, ich hab keine Ahnung, aber doch einige Vermutungen.
    Wenn Stacy es als unfair bezeichnet, muss es doch schon etwas sehr "beherztes" sein, etwas sehr direktes, verbindliches.
    Ich lass mich einfach mal überraschen.


    Jane sieht gut aus im Anzug, die Frisur gefällt mir auch.


    Ein hübsches Häuschen hat sie sich ausgesucht für den Neuanfang, aber ob eine kaum bewohnte Gegend das Richtige für Stacy ist?
    Klar, einerseits ist es ein guter Rückzugsort, aber ich denke, Stacy will auch den Kontakt zu Menschen.


    Miranda tut mir leid.
    Klar, sie hat damit rechnen müssen. Jane hatte die Wahl zwischen Miranda und Stacy, und hat ihre Wahl getroffen.
    Eins muss man ihr anrechnen: Sie macht Jane keine große Szene.
    Trotzdem. Die Arme.


    Bin schon ganz gespannt, wie's weitergeht.
    Vor allem mit dem Geschenk.


    Liebe Grüße


    Appolonia

    Also, als Fränkin blieb mir ja eigentlich gar nichts anderes übrig.


    Hier ein Ernhaus ganz im Stil meiner Heimat.



    Aussenansicht mit Garten, Brunnen und Misthaufen



    Der Bauerngarten



    Die gute Stube mit Kachelofen



    Die Küche



    Die Speise(kammer)



    Die Kammer des Bauern und seiner Frau



    Der Stall



    Noch eine Innenansicht des gesamten Hauses
    Hier ist noch die Kammer für Knecht oder Magd zu sehen.


    Danke für eure Aufmerksamkeit.


    Liebe Grüße


    Appolonia

    So, jetzt ist hier auch mal wieder ein Kommentar fällig :)


    Wow. Die Bilder sind einfach nur klasse, vor allem das Narziss-Bild.
    Und die verdrehten Möbel bei Fünftens. Muss ne Menge Arbeit gewesen sein, die so hinzudrehen.


    Oh... Das Mädchen tut mir leid.
    Ab Achtens scheint sie sich so von sich entfremdet zu haben, dass du gleich in der dritten Person schreibst.


    Das Frage-Antwort-Spiel bei Neuntens fand ich wunderbar. :)


    Interessant, auch mal den Jugendfreund, den "Narziss" zu hören.
    Da hat man gleich wieder ein anderes Bild.


    Und der Ehemann...
    Irgendwie so ein schicker 08/15-Managertyp. Hübsch, aber irgendetwas fehlt.


    Ich wünsch dir weiterhin viel Spaß mit deinen Experimenten(die dir nebenbei sehr gut gelingen).


    Grüße,
    Appolonia

    Hallo!


    Nun möchte ich meine Website - die nun schon ein bisschen besteht, aber ich hatte bis jetzt keine Zeit dazu - auch einmal vorstellen und meine Downloads hier zeigen.


    Mein erster Upload
    (eigentlich schon am 19. Juni)




    Ich hoffe, ihr schaut ab und zu mal bei mir vorbei.

    Oh Gott.
    In Janes Familie geht es ja zu...
    "Du bist Abschaum!"
    Welche Mutter würde das zu ihrer Tochter sagen?
    Wahrscheinlich eine, der "Moral" und die Meinung anderer wichtiger ist als das Wohl ihres Kindes.
    Oder sie kann ihre Sorge um Ruth nicht anders ausdrücken, weil es in ihrer Familie auch nicht anders war... So nach dem Motto: "Gelernt ist gelernt"
    Die arme Ruth... Es ist immer schlimm, wenn man nicht akzeptiert wird, wie man ist – vor allem, wenn es die eigenen Eltern sind, die sie nicht akzeptieren.
    Und genauso schlimm ist es, dass sie, jetzt wo anscheinend einen Menschen gefunden hat, der ihr die Liebe und die Akzeptanz geben kann, die sie vom Elternhaus nie bekommen hat...
    Ruth hat eigentlich nie erwähnt, ob der Grund ihrer Entblätterung ein Mann oder eine Frau ist...
    Sie erwähnte ja, dass sie unter den Männern noch nicht das gefunden hat, was sie sucht...
    Und die Mutter sprach ja von "SOLCHEN Leuten"... Von gleichgeschlechtlich Liebenden? Diese Art von Liebe ist in der Kirche ja auch nicht sonderlich beliebt...
    "Die Gesellschaft von all diesen Mädchen", deren Eltern genauso uneinsichtig sind.
    Tja, alle anderen sind ja die schlimmsten Sünder, die die Welt je gesehen hat...
    Hm...
    Jane kann also ihre eigene Sorge um Ruth von damals nicht mehr nachfühlen...
    Für mich klangen Janes Erinnerungsgedanken irgendwie nicht besonders sorgenvoll. Sie ist ja zuerst sogar darauf bedacht, sich selbst in Sicherheit zu bringen, als sie die Mutter zetern gehört hat.
    Vielleicht meinte sie den Gedanken aber so, dass sie zu dieser Zeit selbst nicht daran dachte, sexuelle Erfahrungen zu machen und sich deshalb um ihre Schwester, die diese unbekannte Terrain betreten hat, sorgte.
    Und ja, Stacy würde wahrscheinlich fordern, dass Miranda gefeuert wird.
    Wäre ja irgendwie auch eine peinliche Situation, wenn sich die Affäre und die Betrogene ständig sehen würden, besonders für die psychisch labile Stacy...
    Ein Mann als Haushälter wäre wohl wirklich besser. Von dem würde sich Stacy auch nicht sofort wieder bedroht fühlen. Jane hat ja im ersten Kapitel selbst gesagt, dass sie Miranda auch wegen ihres Äußeren eingestellt hatte.
    Ich bleib dran und bin schon ganz gespannt, wie’s weitergeht.
    Liebe Grüße,
    Appolonia

    Oh Gott, die arme Eileen...
    Sowas ist hart. Jetzt kommen ihre ganzen alten Erinnerungen und Gefühle wieder hoch, ihre ganzen Ängste...


    Ich hoffe, es ist nichts ernstes. Vielleicht einfach nur der Stress, gegen den ihr Körper wieder rebelliert.
    Hoffentlich sind es keine vorzeitigen Wehen oder sowas.
    Meistens resultiert daraus strikte Bettruhe für den Rest der Schwangerschaft - und das könnte Eileen nun überhaupt nicht brauchen.
    Ich meine, wenn sie jetzt schon in ihrem Job ausfällt, was wird dann? Klar, sie könnte nix dafür und wäre für den Rest der Schwangerschaft und die Zeit des Mutterschutzes vor Kündigung sicher, aber danach?


    Hoppla... Das war jetzt tiefste Schwarzmalerei.


    Eileen fragt sich ja, wie das mit Marcel passieren konnte...
    Sein Bohren, sein Appell an ihren weichen Kern, an ihre frühere - "heile" - Beziehung...
    Hat vielleicht irgendwas in ihr ausgelöst.
    Wenigstens ist er gegangen, ohne eine Szene zu machen und Eileen noch mehr aufzuregen.


    Grüße
    Appolonia

    Endlich hat Neiyra sich jemandem anvertraut.
    Wurde aber auch Zeit.
    Sie hat schließlich noch genug anderes, mit dem sie sich alleine rumquält.


    Endlich gibt es eine Vermutung, wer der Unbekannte ist.
    Aber ob er wirklich der Vermutete ist?
    Raghnall?
    Ich weiß nicht. Er trägt Kleider, die auf einen Gefangenen passen würden. Aber Runcall sollte ja eigentlich auch gefangen sein.
    Und außer Martainn kennt hier keiner Raghnalls oder Runcalls jüngeres Aussehen - Shainnara sagte ja, man könne beim Geistwandern jedes Alter annehmen - und eine Überprüfung wird schwierig...
    Obwohl, Neiyra könnte ja eine Art "Phantombild" machen. :) Vielleicht kann sie ja gut zeichnen.


    Ich finde es sehr anständig und mutig von Raghnall, seinen eigenen Tod für sein Vergehen zu fordern.
    Außer natürlich, er hat damit etwas im Schilde geführt... Wir werden sehen.


    Stimmt, solange ein Buch existiert, bleibt das Wissen darin erhalten. Selbst wenn es unter Verschluss und Bewachung steht, es ist ja (rein theoretisch) noch zugänglich.
    Aber ich glaube, sie haben das Recht, es zu wegzuschließen, wenn es den Leuten mehr schaden würde, als das es hilft.
    Nutzen-Risiko-Abwägung also.


    Schlecht ist jetzt nur, dass es mit "legalen" Mitteln bis jetzt nicht recht vorwärts ging bei der Entzauberung der Kinder.
    Der Zweck heiligt die Mittel, ja, aber das kommt wieder auf die Mittel und den Zweck an.
    Nutzen-Risiko-Abwägung. :rollauge


    Kanns jedenfalls ebenfalls kaum erwarten, was der Druiden-Rat spricht.


    Artair... Grrrr... :angry


    Ok, mich ärgert hauptsächlich, dass er Neiyra einfach nur als Schwester sieht.


    Denn er würde nie zu einem nackten Mädchen ins Bett steigen, wo er doch seine Ariadna hat. Natürlich (noch) nicht im Bett, aber... Na ja.
    Es sei denn, er hat nur brüderlichen - oder in diesem Fall gar keinen - Respekt vor dem Mädchen.
    Auch wenn er denkt, er käme nur so an Neiyra ran - in Ordnung finde ich das nicht.
    Erst hat er sich kaum mehr um sie gekümmert, und dann will er auf einmal wieder alles von ihr wissen und natürlich sofort.
    Vielleicht sollte er sich mal fragen, warum sie sich in letzter Zeit vor allem ihm gegenüber so einen "Pelz" anlegen musste.


    Und kaum ruft seine Ariadna nach ihm, muss er natürlich schleunigst dorthin... Hm.
    Mal sehen, wie lange Dian warten muss.


    Bin schon gespannt auf die nächste Fortsetzung...
    Die Antwort über Runcalls "Gefangenenstatus" steht ja auch noch aus... (oder?)


    Grüße
    Appolonia

    Oh mein Gott!
    Was soll das denn jetzt?
    Ja, Marcel hat schon recht – er ist echt verdammt schäbig.

    Ich meine, schon die Begrüßung. "Hallo Schatz!"
    Genauso wie "wieder zu Hause zu sein" und das Gerede um diesen Baum, den er doch noch schneiden wollte. Das klingt so selbstverständlich.
    Und schon allein seine Haltung auf dem einen Bild. Beine breit, Arme verschränkt, machohaft, keinen Widerspruch duldend. Püh.

    Und seine Strategie ist echt das letzte.
    Immer weiter bohren, immer mehr an Eileens Schale kratzen, bis zum weichen Kern.
    Darunter immer wieder so kleine Vertrauensseligkeiten wie das Gerede mit dem Baum streuen, ein paar Schulbekenntnisse - die entweder nicht echt sind oder echt sind, aber Marcel wieder aus dem Gedächtnis fallen, wenn er sein Ziel erreicht hat – und Voila! Wir haben Eileen rumgekriegt.

    Als ob die Situation an sich nicht schon blöd genug wäre, hört Eileens Doktor auch noch mit.
    Oder er hat es nicht wirklich gehört und einfach aufgelegt, weils eben so lang gedauert hat. Wär nicht schlecht...

    Für Eileen wäre ein Treffen im Krankenhaus aber in jedem Fall peinlich...
    Bettina tut mir Leid. Marcel kann zu keiner Frau wirklich ehrlich sein, und wahrscheinlich ist sie ein ähnlicher Beziehungstyp wie Eileen, eher nachgiebig eben.
    Bin schon total gespannt, wie’s weitergeht...

    Guten Abend!


    Hach ja... Schon ein bisschen länger her mit dem letzten Kommentar... :kopf


    Hehe... Könnte mir grad selber in den Hintern beißen. :hammer Ich hab das Kapitel vorher zweimal gelesen und jetzt erst geschnallt, wen wir schon kennen.
    David und Penelope! :applaus Großartig! Sind das wirklich die beiden oder sehen sie nur so aus und heißen so? Oder heißt das, die beiden haben sich wieder zusammengerauft, geheiratet und jetzt ein Kind und bald zwei zusammen? Das wär ja richtig klasse.


    Mit Jane und Stacy gehts auch drunter und drüber.
    In den ersten Kapiteln war es so, dass sich Jane nur so nach Stacy verzehrt hat und sich gefragt hat, wie sie sie überhaupt verdient hat.
    Und wie wir nun wissen - Ok, irgendwie konnt ichs mir denken -, ist es bei Stacy genauso.
    Naja, Jane hat sich nach der Aussprache von ihr distanziert und sie nicht mehr "durch die rosarote Brille" gesehen, nicht mehr so erhoben wie vorher.


    Es war auch keine Überraschung, dass Stacy sich die Schuld gibt an dem Betrug, meint, nicht mehr schön oder aufregend genug gewesen zu sein, wie so viele Frauen.
    Allerdings war es eher ihr Drang, Janes zugegebenermaßen gewöhnungsbedürftige Geschichte zu verdrängen...
    Missverständnis folgt auf Missverständnis, und dann ist alles hin...


    Das Wesen gefällt mir in Grün nicht schlecht.
    Ok, ist meine Lieblingsfarbe. ;)


    Gerade frage ich mich, ob das Wesen nicht einen Teil von Janes Seele verkörpert, ob es eine Art "lebendiger Metapher" ist.
    Weil:
    Niemand anderes sieht es.
    Wenn jemand anderes dabei ist, Stacy zum Beispiel, beschäftigt sich Jane mit ihr statt mit sich selbst, folglich ist es nicht da.
    In Janes Kindheit war es noch ein Kind. Jetzt ist Jane erwachsen, und auch das Wesen ist gewachsen.
    Janes Seele verändert sich, kommt in dieser Nacht zu mehr Selbstbewusstsein und das Wesen trägt nun eine andere Farbe.
    Dann küsst das Wesen Jane. Dazu fällt mir im Moment keine Deutung ein, aber ich bleib dran.
    Warum Ruth es auch gesehen hat, das weiß ich auch noch nicht. Aber mal sehen.
    Vielleicht stimmts ja, wenigstens zum Teil.


    Bin gespannt, was Jane nun tun wird, ob sie jetzt versucht, tief in die Romantik-Kiste zu greifen und Stacy mit Schild und Schwert zurückerobern will...
    Sie spottet ja schon über Stacys "weibliche" Vorliebe fürs Laufband.
    Trotzdem war Jane sehr fixiert auf Stacy, dass sie nicht bemerkt hat, dass Penelope schwanger ist... Ist von der Seite ja nicht zu übersehen...


    Was hat Jane eigentlich erwartet? Dass sich alles so schön aufklärt wie in ihrem Traum?
    Naja.
    Nicht vor allen Leuten. Nicht vor der heilen Familie, zu der Stacy sich geflüchtet hat.
    Ist ja auch ein anschaulicher Gegensatz...


    Die Outtakes sind ja klasse.
    Janes Vater taucht auf einmal wieder auf und wird sofort verscheucht.
    "Hau ab, ich seh dich schon oft genug im Traum!"


    Bin schon gespannt auf die nächste Fortsetzung.

    Wenigstens hab ich nur einen Tag länger gebraucht als geplant... Persönliche Bestleistung. :rollauge


    Zur Abwechslung gibt's diesmal einen vierten Kapitelteil.
    Viel Vergnügen!

    Kapitel 8.4


    Ich hätte nie gedacht, dass der Weg nach Hause so lang sein kann. Jeder Schritt fühlt sich an wie Dutzende, jeder Atemzug erscheint mir nicht als Erfrischung, sondern als eine unglaubliche Anstrengung. Jetzt erst wird mir bewusst, dass ich nicht nur geistig vollkommen erschöpft bin. Ich laufe so langsam, dass Martin sich schließlich besorgt zu mir umdreht. Um ihm zu zeigen, dass alles in Ordnung ist, schüttele ich den Kopf und beschleunige meine Schritte.



    Einerseits will ich nach Hause. Ich will mich nur noch schlafen, am besten einige Tage lang. Ich müsste mit niemandem reden, niemandem etwas erklären. Mein Großvater wird wissen wollen, wo ich war. Martin wird ihm sagen, dass ich mit Vallentin unterwegs war. Er wird das glauben, sich wahrscheinlich auch freuen. Unsere Familien sind seit Ewigkeiten befreundet. Ich hoffe, dass er nicht mich persönlich fragst. Ich könnte ihn nicht anlügen. Er ist der freundlichste und liebevollste Mensch, den ich kenne. Er wäre auch der gutmütigste, wenn Martin nicht wäre. Aber das will ich mir lieber nicht ausmalen.


    Ich schäme mich, ihm Sorgen bereitet zu haben. Aber da war dieses Verlangen, diese schändliche Begierde nach der Wahrheit und dann plötzlich gab es die Gelegenheit, sie nun endlich zu erfahren, diese verführerische Chance, die mich alles andere hat vergessen lassen. Ob Mutter sich wohl auch gesorgt hat? Ach ja. Mutter. Gott stehe mir bei.
    Erst jetzt wird mir nämlich richtig bewusst, was ich ihr in meinem Zornesrausch alles an den Kopf geworfen habe. Ich habe übertrieben, ziemlich sogar. Habe sie der Vielmännerei bezichtigt. Sie hat schon Liebhaber, ohne Zweifel, aber nicht so oft, wie ich es zu vermuten gegeben habe. Außerdem sind es meist Reisende, das ist der Grund, weshalb die Beziehungen eher kurz sind. Heute hat sie mich aber wirklich überrascht, denn die letzte Liebelei ist schon über ein Jahr her. Ich dachte einfach, dass sie es jetzt sein lässt.



    Das Blut schießt mir in den Kopf, ich werde rot vor Scham. Wie habe ich nur mit ihr gesprochen? Meinen Vater kenne ich nicht, weiß nicht, ob ich ihn je kennen lernen werde, aber sie ist meine Mutter, das ist sicher. Diejenige, die mich geboren und aufgezogen hat. Sie hätte sich ja auch gegen mich entscheiden können. Mich vor den Stufen eines Klosters aussetzen. Soviel ich gehört habe, und von so etwas hört ein anständiges Mädchen wie ich eigentlich nur wilde Gerüchte, gibt es auch Methoden, sich der Angelegenheit schon viel früher zu entledigen.



    Gerade, als meine Gedanken nicht mehr unlauterer werden könnten, lässt mich Martins Stimme erwachen. Tatsächlich sind wir schon vor meinem Geburtshaus angekommen. „Philine? Soll ich Euch bei Eurem Großvater ankündigen?“ Vielen Dank, Martin. Nicht nur dafür, dass du mich vor schändlichen Gedanken schützt. Auch dafür, dass du mich davor bewahrst, Großvater alles persönlich erklären zu müssen. Ich könnte nicht lügen. „Ja“, sage ich laut und bestimmt, „teile ihm mit, wo ich war und...“ Ich breche ab. Nein, dass es mir leid tut, das werde ich ihm selbst sagen. Martin wartet noch kurz ab, ob ich noch etwas hinzufüge, neigt dann aber ruckartig seinen Kopf und geht hinein.



    Ohne zu zögern folge ich ihm ins Obergeschoss, wo er an die Tür des Arbeitszimmers meines Großvaters klopft und gleich darauf schnell darin verschwindet, während ich auf dem breiten Flur zurückbleibe. Wieder spüre ich meine Müdigkeit, meine Beine beginnen zu schmerzen. Ich lasse mich auf den Stapel von Teppichen fallen, der hier schon seit Monaten liegt und wundere mich, wie ich überhaupt unsere steile Treppe überwunden habe.


    Nichts passiert. Die Zeit steht still. Wie lange ist Martin schon da drinnen? Wie lange sitze ich hier schon? Das ist kein gutes Zeichen. Das dauert schon viel zu lang. Vielleicht gibt es Probleme. Vielleicht ist er wütend. Hoffentlich tadelt er Martin nicht für mein Verfehlen. Nein, denk doch nicht so etwas. Wenn man schlimme Gedanken hat, erfüllen sie sich zur Strafe.


    Um mich abzulenken, lasse ich meinen Blick schweifen. Ich liebe diesen Raum. Er ist voll von Statuen, Wandgehängen und anderen kleinen Schätzen, die Großvater von seinen Handelspartnern aus aller Herren Länder geschenkt bekommen hat.
    Der kleine afrikanische Tisch zum Beispiel, auf dem das Kästchen aus dem Heiligen Land steht. Dahinter hängt der hübsche Wandteppich, der von der Insel namens England stammt. Alles hier wirkt so neu und aufregend. Unser Haus selbst ist alt, sogar uralt. Großvater hat mir erzählt, dass sein Urgroßvater die Grundmauern mit seinen eigenen Händen errichtet hat, und dass seither jeder Hausherr seinen Teil zum Ausbau beigetragen hat. Er hat gesagt, wir würden schon in der sechsten Generation hier leben, und dann traurig geseufzt…



    Die Tür öffnet sich, ich wäre wohl wieder einmal zusammengezuckt, wäre ich nicht so erschöpft. Martin kommt mit schnellen Schritten auf mich zu. „Euer verehrter Großvater spricht noch mit Eurer Frau Mutter.“ Ich senke meinen Blick, als er das Wort ‚Mutter’ ausspricht. Er übersieht es taktvoll und fährt fort: „Ich habe ihm alles erklärt. Er lässt Euch ausrichten, dass es noch einige Minuten dauern wird und bittet Euch, hier zu warten, bis Eure Frau Mutter sein Arbeitszimmer verlässt.“ Martin verbeugt sich und wünscht mir eine gute Nacht. Ich sehe ihm nach. Seine Nachtruhe hat sich der Gute redlich verdient.



    Auf einmal packt mich ein Gedanke. Ich könnte doch… Nein. Nein, Philine. Das tut man nicht. Das ist nicht höflich. Das gehört sich einfach nicht. Aber wenn ich mich einfach auf den Hocker neben der Tür setzen würde? Ganz zufällig. Getrieben von schändlicher Neugierde, die Unterstützung findet bei dem Alkohol, den ich getrunken habe, nicht hätte trinken sollen, wechsele ich auf leisen Sohlen den Sitzplatz und spitze die Ohren. Ganz zufällig. Ganz aus Versehen.



    Leise, aber doch verständlich erklingt die schöne, tiefe und warme Stimme meines Großvaters. „Und du bist dir deiner Sache sicher, Mariola?“ Er klingt wie immer freundlich, keinesfalls verärgert. Ich atme auf. Nun höre ich Mutter sprechen. „Ja. Ich könnte das nicht tun. Es tut mir sehr leid.“ Großvater seufzt. „Es ist schon gut, mein Kind.“
    Er seufzt erneut. „Die Unwissenheit ist ein zweischneidiges Schwert, sie kann Fluch und Segen zugleich sein.“ Er hat Recht. Leandro hatte auch so etwas in der Art behauptet. Ich kann mich nur noch sehr undeutlich daran erinnern. „Ich weiß, Vater“, sagt Mutter nur. „Geh jetzt schlafen. Ich wünsche dir eine gute Nacht.“ Ich höre, wie Mutter sich erhebt und zur Tür geht. Als sie kurz inne hält, um Großvater ebenfalls eine gute Nachruhe zu wünschen, springe ich auf und verberge mich hinter dem großen Schrank, der schon seit Urzeiten unseren Flur ziert.




    Sowie Mutter auf den Flur tritt, krampft sich mein Herz zusammen, ich halte die Luft an. Vorsichtig luge ich um die Ecke des Schrankes, jederzeit bereit, wieder dahinter zu verschwinden. Dabei sieht sie nicht erbost aus. Sie steht nur da und sucht den Raum mit ihren Blicken ab. Vielleicht wundert sie sich, dass ich nicht hier bin. Martin hat mich schließlich angekündigt. Vielleicht sollte ich mit ihr sprechen. Vielleicht sollte ich einfach…
    „Philine?“ Mutter ruft nach mir. Nur mäßig laut und in ihrem üblichen, trockenen Tonfall, der sich so schnell in einen keifenden verwandeln kann. Ich drücke mich wieder in die Ecke zwischen Wand und Schrank. Antworte ihr nicht und weiß nicht, wieso. Schließlich höre ich ihre sich entfernenden Schritte, zuletzt nur noch das Knarren der Stufen, die ins Dachgeschoss führen. Ich erlaube es mir, wieder zu atmen und komme aus meinem Versteck.



    Langsam nähere ich mich der Tür, sehe immer wieder unruhig zur Treppe, vielleicht kommt Mutter zurück. Ich sollte keine Scheu haben. Martin hat ihm schon alles erklärt, und Großvater ist nur äußerst selten schlechter Laune. Er scheint nur etwas bedrückt zu sein in letzter Zeit, aber als ich ihn einmal danach gefragt habe, hat er gesagt, ich solle mir nicht den Kopf zerbrechen, es sei alles in Ordnung.
    Lange stehe ich nur unnütz herum, starre auf die feine Maserung der Tür. Schließlich hebe ich meine Hand, balle sie und lege meine ganze letzte Kraft in die einfache Bewegung, meine Faust gegen das Holz zu schlagen.



    „Komm herein, mein Kind“, tönt es tief und warm. Jegliche Angst verschwindet, ich atme tief durch und trete ein. Großvater sitzt hinter seinem Schreibtisch und liest in einem seiner Handelsbücher. Mein Herz beginnt, laut zu pochen. Ich dachte, die Aufregung sei verschwunden. „Hallo, Großvater“, grüße ich leise. Ich habe keine Kraft mehr, um laut zu sprechen.
    Er schaut nicht auf, er schließt nur langsam sein Buch und lässt es auf seinen Schoß sinken. Zitternd atme ich ein. „Ich wünsche Euch einen guten Abend“, sage ich und knickse verkrampft. Endlich richtet sich sein Blick auf mich, er ist nichtssagend, geradezu unheimlich ist das. Bedächtig gehe ich einen Schritt auf ihn zu und warte, gleichzeitig ängstlich und aufgeregt, was er mir sagen möchte.


    Fortsetzung folgt...



    So. Ende von Kapitel 8.

    Habt ihr Kritik? Eines schönes Lob?
    Ich lese alles gern, fürwahr.
    So überlegt nicht lange, ob
    schreibt einfach einen Kommentar.


    Liebe Grüße,


    Eure Appolonia


    Kommentarantworten


    Lunalumi:


    Zitat

    Mich würde mal interessieren, was denn für Vorschriften herrschen, wahrscheinlich Ausgangssperre, schon klar, aber in welchem Rahmen und warum (gibt es einen bestimmten Grund wie einen freilaufenden Mörder oder sollen nur nächtliche Verabredungen unterbunden werden)?


    Die Nacht war im Mittelalter allgemein die gefährlichste und gefürchtetste Zeit, da waren die Vorschriften eigentlich immer streng.
    Es gab ja keine Straßenbeleuchtung, da musste jeder schon seine eigene Beleuchtung mitnehmen.
    Und wer weiß schon, wer oder was nachts so seine Runden dreht? ;)


    Zitat


    als ein Jugendlicher mit schlechtem Umgamg, der ihr nachstellt. Entweder Vallentin ist einen Schritt zu weit gegangen und hat sich ihr derart aufgedrängt, dass sie sich von ihm bedroht fühlt


    Wow, Vallentin ist ja richtig beliebt... :rolleyes
    Philine ist auch nicht ganz unschuldig an der Sache.


    Zitat

    (einerseits ist er eher zu schüchtern, andererseits scheint er sehr von sich überzeugt zu sein)


    Interessante Kombination.


    Zitat

    Einerseits toleriert er Mariolas wachsende Männerschar, oder kann zumindest nichts dagegen ausrichten


    Mariola hat ihre Gründe, sogar mehrere. Und ganz egoistisch ist sie dabei nicht.
    Ein paar Hinweise sind in der nächsten Fortsetzung und im nächsten Kapitel (9) versteckt.


    Zitat

    Na ja, hauptsache er will ihr nicht das Treffen mit Leandro verbieten


    Wenn sie es ihm überhaupt erzählt.
    Aber leicht wird ihr das Schweigen nicht fallen.


    Julsfels:
    Danke! Ich hoffe, du hattest bis jetzt auch ein schö
    nes neues Jahr.


    Deinen Kommentar fand ich wirklich richtig klasse.


    Zitat

    Hm. Also, auch wenn es mir jetzt echt leid tut, das sagen zu müssen: ich fand Philline in diesem Kapitel richtig unsympathisch. Sorry.


    Du brauchst dich nicht dafür entschuldigen, dass du eine der Kernaussagen des Kapitels erkannt hast. :)
    Ich find das schön, dass du das trotz der oft so mitreißenden Ich-Perspektive, wie wir sie alle kennen (ich sag nur: Ariadna) und dann auch so offen heraus schreibst.
    Danke!


    Zitat

    Vallentin kam mir eher so vor, als wollte er den Streich seiner Freunde wieder gut machen, wenn es überhaupt seine Freunde waren und er überhaupt etwas davon gewusst hat, was ja auch noch nicht klar ist.


    Endlich bekommt Valletin auch mal Zuspruch. :applaus
    Und du liegst mit damit auch gar nicht so falsch...


    Zitat

    Vielleicht könnte ich Philline besser verstehen, wenn man die ganze Vorgeschichte kennt? (Oder kenne ich die und hab sie vergessen? :confused:)


    Nein, die kennst du nicht. Noch nicht. :D
    Und ob man Philine verstehen muss, selbst wenn man die Geschichte kennt, ist fraglich.
    Hat viel mit gekränktem Stolz zu tun, die ganze Sache...


    Zitat

    Also insgesamt ein Kapitel, dass bei mir eine Menge Fragen aufgeworfen hat. So mag ich das. ;)


    Das freut mich!


    Die nächste Fortsetzung ist soweit fertig, ich muss nur noch Zeit finden, sie hochzustellen... Ich hoffe, dass das morgen oder übermorgen ist.


    Bis dahin
    Liebe Grüße


    Appolonia

    Volle Zustimmung für Cindy Sim.


    Ja, ich war wirklich ein bisschen voreilig...
    Aber ich hab nur die Szenen durchgespielt, die entstanden wären, hätte Eileen eine andere Meinung.


    Jetzt bin ich auch heilfroh, dass sie nicht drauf anspringt.
    Ihren Ehering könnte sie jetzt auch langsam mal abnehmen, jetzt, wo sie ihn als "Handschelle" empfindet.


    Mal sehen, was sich entwickelt...
    Schön, dass Eileen doch mal wieder ein bisschen Glück hat.


    Grüße,


    Appolonia

    Godday Julsfels!


    Oje, wo soll ich anfangen...


    Ariadna.
    Ich hab mich gefragt, ob Ariadna Neiyras Ruppigkeit entweder nicht bemerkt oder sie taktvoll übersieht.
    Sie bemerkt es also doch.
    Was die Männer anzieht, wird bei ihr diese Hilflosigkeit sein, die den Beschützerinstinkt weckt.
    Die Situation mit Artair ist das beste Beispiel.
    Sie weint, er tröstet sie.
    Hach ja, das schafft Verbundenheit.


    Womit wir bei Artair wären.
    Ein echtes Goldstück, der Junge.
    Es ist wirklich süß, was er alles für seine Liebste tut... Richtig romantisch.
    Wenn es nur nicht die Falsche wäre.
    OK, so denke ich wahrscheinlich nur, weil ich Neiyras innere Gefühlswelt kenne, weil ich Mitleid mit ihr habe.
    Wäre es aus Artairs (oder Ariadnas) Sicht geschrieben, käme es mir wahrscheinlich viel romantischer vor.


    Hm... Kann es sein, dass Artair, jetzt wo er von dieser "Wir sollen Meduria deinen Kopf bringen"-Sache weiß, so eine Art "Torschluss-Panik" entwickelt hat?
    Ich meine, er ist der letzte seiner Blutlinie, hat keine (leiblichen) Brüder und Nachkommen, die ihn nach seinem (hoffentlich nicht so bald eintretenden) Tod ablösen könnten...
    Und da seine Eltern nicht mehr leben und neue Geschwister damit verdammt unwahrscheinlich sind, bleibt eben nur Möglichkeit 2 - Nachkommen.
    Söhne.
    Und just in diesem Moment, wie es der Zufall so will, schneit die kleine Prinzessin herein, funkelt mit ihren Augen... Naja.


    Jetzt würd ich doch gern wissen, was an diesem Stoff falsch war.
    Webfehler, wahrscheinlich.
    Vielleicht war ganz zufällig Gift eingewebt, toxische Pflanzenfasern oder sowas...
    Oder er ist verflucht, so ähnlich wie in dem Märchen des "Treuen Johannes", dass er seinem Träger etwas antut, z.B. (wie im vorhin genannten Märchen) Haut und Knochen verbrennt, oder ihm im falschen Moment (in der Schlacht eben) Kraft entzieht oder ihn würgt.


    Bin gespannt, wie's weitergeht.
    Gönnen wir Neiyra erstmal ihren wohlverdienten Schlaf.


    Nachträglich noch ein gutes, neues Jahr voller neuer Ideen wünscht


    Appolonia