78. Kapitel
Dieses verdammte Plastikzelt! Viviane verdammte dieses Ding schon jetzt, obwohl
es erst seit 2 Tagen ihr Bett umsäumte. Doch es musste leider sein, wollte sie sich
keine Infektion einfangen. Jetzt, wo sie ihre Chemotherapie bekam, war ihr Körper
geschwächt und schnell anfällig für jegliche Art von Viren.
Draußen strahlte die Sonne. Es war kurz vor Ostern und sie wusste, daß sie dieses
Fest nicht mit ihrer Familie würde feiern können. Yves erstes bewusstes Osterfest.
Wie gerne hätte sie mit ihm die angemalten Eier im Garten gesucht. Stattdessen lag
sie hier, umgeben von diesem Plastikzelt. Aber immerhin vertrug sie die Chemo
ganz gut. Sie hatte kaum noch Übelkeit. Nur müde war sie ständig. Aber immerhin
hatte sie ja genügend Zeit zum schlafen.
[B]Ich hatte Krankenhäuser eigentlich immer nur in positiver Einnerung. Da war es
aber immer nur um Babys gegangen, die auf die Welt gekommen waren. Doch
diesmal fiel mir der Gang besonders schwer. Es war mein erster Besuch bei Viviane
und ich hatte keine Ahnung, was mich erwarten würde. Was sollte ich sagen, wie mich
verhalten? Ich hätte John gerne dabei gehabt, einfach, weil er mir etwas Sicherheit
gegeben hätte, aber er musste bei den Kindern bleiben. Venus war in einem richtigen
Flegelalter und stellte ständig irgendetwas an und Kimberly hatte scheinbar eine
leichte Erkältung.
Ich betrat das Krankenhaus, fragte nach dem richtigen Zimmer und fuhr dann mit dem
Aufzug auf Station 2, wo Viviane lag. Von weitem sah ich Marlene, Vivianes Mutter,
den Gang auf und ab laufen, wie eine hungrige Raubkatze, die auf ihr Fressen wartet.
Als sie mich erblickte, blieb sie aprupt stehen. "Ayleen! Ach, schön das Du da bist.
Viviane wird sich freuen".
[B]"Wie geht es ihr denn?" fragte ich und löste damit scheinbar eine Reaktion in
Marlene aus, denn sie ließ sich plötzlich auf einen Stuhl fallen und fing furchtbar
an zu schluchzen. "Marlene! Es....hab ich etwas falsches gesagt? Ist...ist etwas
passiert?" Völlig hilflos stand ich neber ihr und wusste mir nicht zu helfen. So
wartete ich einfach ab, bis Marlene von sich aus das Wort ergriff.
"Ach, Kind. Du kannst Dir gar nicht vorstellen, was für ein Druck auf mir lastet.
Auf uns allen. Dazu diese schreckliche Angst, diese Ungewissheit". Sie kramte ein
Taschentuch aus ihrer Hosentsche, schneuzte, hörbar laut, ihre Nase, nur um
dann, in einem weiteren Anfall, wieder laut loszuweinen.
[B]Verlegen schaute ich zu Boden und wusste nicht, was ich sagen sollte. "Weist Du,
wie schrecklich das ist, immer vor Augen zu haben, daß Dein Kind sterben könnte?".
Nein, wie sollte ich. Ich hatte nie darüber nachgedacht. Doch jetzt...ja es musste
furchtbar sein. Es gab mir direkt einen Stich ins Herz, wenn ich mir vorstellte, daß
unsere Kinder so leiden müssten, oder schlimmer...gar sterben würden.
"Ayleen...ich bin 53 jahre alt und kerngesund. Und in diesem Zimmer liegt meine
Tochter, grade mal 25 jahre jung und dem Tod so nah! Keine Mutter, verstehst Du
Ayleen, kein Mutter sollte ihr eigenes Kind zu Grabe tragen müssen. Und ich habe so
eine Angst, daß es soweit kommen könnte. Die Angst...sie frisst mich langsam auf".
Ich war erschrocken über Marlenes Worte und erst jetzt wurde mir die ganze Tragik
so richtig bewusst. Spontan zog ich sie von Ihrem Stuhl hoch und nahm sie fest in
meine Arme. "Das wird nie passieren, hörst Du?" sprach ich, mit zitternder und doch
sanfter Stimme auf sie ein. "Viviane ist doch eine Kämpfernatur. Sie schafft das, glaube
mir. Du wirst sie nicht verlieren. Ihr werdet sie nicht verlieren!".
Marlene drückte ihr spitzes Kinn auf meine Schulter, das es mir schon fast weh tat, doch
ich ließ sie. Tränen tropften auf meinen Pullover und sickerten in den Baumwollstoff,
sodass ich die Feuchtigkeit bis auf die Haut spürte. Ich fühlte einen dicken Kloß
in meinem Hals und bemerkte die Tränen in mir aufsteigen, als Marlene mich loß ließ
und mich anlächelte. "Danke, mein Kind. Es geht mir schon besser. Ich werde jetzt
nach Hause gehen. Und Du...geh zu Ihr. Sie freut sich schon so auf Deinen Besuch".
Sie gab mir einen Kuß auf die Wange und machte sie dann auf den Weg Richtung
Aufzug.
Ich schnaufte noch einmal tief durch, bevor ich leise an Vivianes Zimmertür klopfte.
Nachdem ich ein "Herein" gehört hatte, drückte ich die Türklinke herunter und
betrat das Zimmer. Es tat mir in der Seele weh, wie ich meine Freundin da, eingeschlossen
in einem Plastikzelt, auf ihrem Bett liegen sah. Der Gedanke einer Quarantäne kam
mir in den Sinn, wie bei Leuten, die einen hochgefährlichen Virus in sich trugen.
"Hey! Wow! Endlich mal etwas Abwechslung hier. Hast Du meine Mom noch gesehen?"
begrüßte Viviane mich. Wenigstens schien sie ihren Humor nicht verloren zu haben.
Ich schloß die Tür und ging auf das Bett zu. "Sie ist gerade gegangen. Ich glaub,
sie ist ganz glücklich, daß Du so fit bist" log ich. Ich wollte auf keinen Fall, daß
Vivi von dem Weinkrampf ihrer Mutter erfuhr.
"Naja, Mütter. Weist ja wie das ist. Am liebsten wäre sie rund um die Uhr hier".
Sie legte das Buch, in dem sie gerade gelesen hatte, neber sich. "Schnapp Dir nen
Stuhl und setz Dich. Wie geht es Euch?" Irgendwie war es komisch. Ich fühlte mich
bedrückt und wusste so recht überhaupt nicht, was ich sagen sollte, auch aus Angst,
irgendetwas verkehrtes zu sagen. Ich nahm den Stuhl, der an der Seite stand und
rückte ihn an das Bett, damit ich besser durch diese Plastikwand schauen konnte.
"Die Frage ist wohl eher, wie es Dir geht?" erwiederte ich Vivis Frage. "Geht so".
Ich bemerkte an ihrer Stimme, daß ihre gute Laune in den Keller rasselte. "Wenigstens
kaum noch Kotzerei. Das schlimmste ist das Ding hier!". Sie patschte mit dem
Handrücken gegen das Zelt, daß ich erschrak. Schnell versuchte ich sie irgendwie
abzulenken. "Ich dachte Du hättest eine Zimmergenossin?" "Hmm, Hmm. Die ist
weg". "Oh! Ist sie wieder gesund? Siehst Du...." "Sie ist gestorben!"
Der Besuch im Krankenhaus hatte mit zutiefst erschüttert. Alles war so verkrampft
gewesen. Was hatte ich auch erwartet? Das ich mit ihr erzählen und rumalbern könnte,
als wäre nichts? Ich war fix und alle und völlig durchgeschwitzt. Ein schönes
Schaumbad wird mir guttun, dachte ich und setzte dies auch gleich in die Tat um.
Ich hätte mir in den Hintern beissen können, daß ich Viviane auf ihre Zimmernachbarin
angesprochen hatte. Aber ich konnte ja nicht ahnen, daß diese mittlerweile verstorben
war. Immerhin hatte der Arzt bestätigt, daß die Chemoblöcke gut anschlugen. Und
Viviane gefiehl sich mit Glatze mittlerweile sogar ganz gut. Sie meinte sogar, und das
war, so hoffte ich, nur ein Scherz, daß sie nach der ganzen Prozedur, bei dieser
Frisur bleiben würde. Von wegen Shampoo, Wasser und Strom sparen. Ein leichtes
Lächeln konnte ich mir nicht verkneifen. Das war doch wieder meine Viviane, wie ich
sie kannte und liebte. Und ich hofft inständig, daß sie es auch bleiben würde.
geht noch weiter.....
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